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Titel







Das erotische Tagebuch

der Anaïs Nin




27. Juli 1967

Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Freund. Er war fünf und wohnte in meiner Nachbarschaft. Hugo, Huge Cardot glaube ich, blond, verwegen und mit einem Lächeln, dass mir damals schon die Beine weich werden ließ. Er hatte sogar eine Narbe auf der Wange, weil er sich meinetwegen mit dem Hund unseres Hausmeisters gerauft hatte.

Er war mein Held und ich 4 Jahre alt. Wir gingen zusammen, einen ganzen Sommer lang, bis meine Eltern aus der Stadt aufs Land zogen und wir einen eigenen Hund bekamen, den ich Hugo 2 nannte. Ich war damals traurig, nicht weil ich Jungs mochte, nein, weil mir mein bester Freund fehlte. Mit vier unterscheidet man noch nicht wirklich, an wen man sein Herz verschenkt, aber ich hatte meines verschenkt und es war gebrochen.

Hugo 2, unser Hund, fand rasch Anschluss und da ich die meiste Zeit an seiner Leine hing, kam ich nicht umhin, andere Kinder des Örtchens kennenzulernen. Da waren Sarah, das kleine rothaarige Mädchen mit den vielen Sommersprossen, Clara ihre wenig ältere Schwester und Mathéo, ein Junge in Hugos Alter, der, schüchtern, wie er war, kaum mit meiner ersten Liebe vergleichbar war. Dennoch gefiel er mir mit seinen blauen Auge, die in einem so magischen Kontrast zu seinen schwarzen Haaren standen, dass ich immer öfter an ihn denken musste.

Sarah wurde bald meine beste Freundin und zusammen mit ihrer Schwester und Mathéo bildeten wir ein unschlagbares Quartett, dem sich einen Sommer später noch Leon, der Junge des Metzgers anschloss. Leon war schon älter, fast 10 und überragte uns um mindestens einen Kopf. Aber er war nicht besonders helle, weshalb er sich mit uns Kleinen bestens verstand. Er wollte meistens der Anführer sein, doch kaum wurde es etwas brenzlig, war der Hasenfuß der erste, der das Weite suchte.

Ich dachte immer seltener an Hugo. Aber manchmal, wenn ich allein auf meinem Bett saß und mit meinen Puppen spielte, stellte ich mir vor, was passiert wäre, wenn wir nicht umgezogen wären. Ob Hugo und ich ein Paar geworden wären, geheiratet und Liebe wie die Großen gemacht hätten? Ich wusste nicht, was es bedeutete „Liebe zu machen“, doch ich fand, es klang schön und ich wollte unbedingt mit Hugo „Liebe machen“. Stellvertretend verheiratete ich in diesen Tagen meine Puppe Emma mit meiner anderen Puppe, die ich notwendigerweise Clément nannte, und ließ sie die Beziehung führen, von der ich dachte, dass Hugo und ich sie einst gehabt hätten.

Emma sah hinreißend aus in ihrem Brautschleier aus einem alten Stück Gardine und Clément machte sich gut in seinen schwarzen Hosen und einem Schal, weil ich kein männliches Oberteil hatte. Emma war sehr häuslich und wartete immer sehnsüchtig auf ihren Clément, bis der endlich vom Stall, der Ernte oder aus dem Wirtshaus kam, um ihm sein Essen hinzustellen. Vorher hatte sie sich hübsch gemacht und nette Unterwäsche angezogen. Das hatte ich mal bei meiner Mutter beobachtet, als wir Besuch bekamen und mein Vater auf einer Messe für Traktoren war.

Emma und Clément waren meine Familie, vor allem, als sie ihr Baby bekamen, einen kleinen Teddy, den mir einst mein Großvater aus Deutschland mitbrachte. Es war aufregend für ein Mädchen von vier Jahren ihre Puppen aufeinander zu legen und sie wie die Erwachsenen Liebe machen zu lassen. Clément musste natürlich oben liegen und Emmas Puppenbeine waren weit gespreizt. Ich hatte das bei meinen Eltern gesehen, als sie an einem Abend im Sommer dachten, ich würde schon schlafen. Anschließend verkündete ein kleines Kissen unter Emmas Kleid die frohe Botschaft.

30. Juni 1968

Ein Jahr später, als der Lavendel wieder blühte und ich meinen fünften Geburtstag feierte, brachte mir Mathéo einen selbst gepflückten Feldblumenstrauß mit. Es war das erste Mal, dass mir ein Junge Blumen schenkte, und auch später bekam ich nie mehr einen solch schönen Strauß. Meine Mutter war ganz gerührt von diesem kleinen Kavalier in seinen kurzen Hosen und dem weißen Hemd, das er sonst nur am Sonntag in der Kirche trug. Verlegen nahm ich die Blumen und hauchte Mathéo auf Drängen meiner Mutter einen Kuss auf die Wange. Meine Lippen brannten wie Feuer, ebenso unsere Gesichter und peinlich berührt hatten wir die erste halbe Stunde meiner kleinen Gartenfeier kaum Worte für einander. Zum Glück kamen Sarah und ihre Schwester, die das unangenehme Schweigen beendeten. Ein Blick von Mathéo und ich wusste, dass dieser erste Kuss unser Geheimnis bleiben würde.

Clara hatte damals schon einen richtigen Freund. Er hieß Bernard und ging bereits zur Schule, eine Klasse über Clara, die dieses Jahr eingeschult werden würde. Ich war ein bisschen neidisch, auch weil Bernard ein wirklich hübscher Junge war. Zudem erinnerte er mich an Hugo, wie er war er blond und braun gebrannt. Keiner in unserer Clique konnte schneller laufen oder weiter werfen als er, selbst Leon nicht. Auch konnte Bernard schon schwimmen, während ich mich kaum weiter als bis zu den Beinen in den kleinen Weiher unseres Örtchens traute. Bernard war auch der erste Junge, den ich nackt sah, unfreiwillig zwar, aber dennoch war es ein unvergessliches Erlebnis.

Sarah und ich wollten eines Morgen, es waren gerade Sommerferien, zum Beerensammeln in den benachbarten Wald, als wir Clara und Bernard trafen, die mit den Rädern zum Weiher fuhren. Bernard schlug vor, doch gemeinsam baden zu gehen und während Clara noch überlegte, ob auch sie uns dabei haben wollte, sagten Sarah und ich zu. Aufregt liefen wir in den Hof zurück und holten unser Badezeug. Auf dem alten Rad meiner Mutter strampelten wir dann zu zweit Clara und ihrem Freund hinterher, wobei einmal ich und einmal Sarah in die Pedalen traten, während die andere auf dem Gepäckträger saß.

Es war eine schöne Fahrt, quer durch die Lavendelfelder, mit wehenden Haaren an einem strahlenden Sommertag bis Sarah und ich am Weiher antrafen, wo Clara bereits auf einer Decke lag und las. Noch musste sie sich die Buchstaben laut vorsagen, doch sie war stolz, bereits lesen zu können und zeigte das auch. Sarah verzog nur das Gesicht und warf ihr Handtuch wie zufällig gegen das Buch ihrer Schwester, das ihr auf die Nase schlug. Wütend sprang Clara auf und ich verzog mich hinter eine Hecke, um mich umzuziehen.

In deren Schutz streifte ich mein Kleid ab und suchte in meiner Tasche nach dem Badeanzug, als es in der Hecke raschelte und ich mich erschrocken umdrehte. Noch heute spüre ich mein Herz bis in den Hals hinauf schlagen, als ich mit Nichts außer einem Armreif bekleidet einem ebenso nackten Jungen gegenüberstand und vor Scham im Boden versinken wollte. Doch ich war wie gelähmt und starrte nur unfähig zu einem klaren Gedanken auf diesen kleinen Wurm zwischen Bernards Beinen. Ich erinnere mich kaum noch an Details, weder, wann ich mich aus der Starre löste und bedeckte, noch wie Bernard reagierte, einzig sein kleines Glied faszinierte mich so sehr, dass ich noch heute daran denken muss.

Immer wenn ich die nächsten Wochen mit meinen Puppen Vater, Mutter, Kind spielte und dafür Emma und Clément in mein Puppenbett legte, sah ich Bernhard nackt vor mir und bedauerte, dass Clément keinen solchen Wurm hatte.

1. August 1968

Einige Monate vor unserem Umzug aufs Land wurde meine kleine Schwester Marcelle geboren. Als meine Mutter aus der Klinik nach Hause kam und ich Marcelle das erste Mal sah, ahnte ich, dass nichts mehr so sein würde, wie es war. Ich hatte mir so sehr einen Bruder gewünscht, doch jetzt drehte sich alles nur um das Baby und ich hasste sie dafür. Selbst mein Vater, für den es bisher nur eine Prinzessin gegeben hatte, kümmerte sich die meiste Zeit um das schreiende Ding in der Wiege. Vielleicht auch, weil er immer öfter abends länger im Büro blieb, um Überstunden zu machen. Mutter meinte, er tue das für die Familie, weil wir wegen des Babys mehr Geld bräuchten.

Ich war deshalb sehr froh, als wir im Herbst zu meinen Großeltern in die Provence zogen, auch wenn ich Hugo vermisste und meine Eltern das Baby mitnahmen. Hier aber hatten wir mehr Platz als in der Stadtwohnung, meine Großeltern kümmerten sich um mich und ich konnte mit Hugo 2 in den Wiesen und Wäldern herumtollen. In der Stadt gab es bisher nur Autos, Straßen und Dreck. Hier aber schien jeden Tag die Sonne, es war grün und ich sah zum ersten Mal richtige Tiere, die nicht hinter Gittern im Zoo lebten. Auf dem Hof meiner Großeltern gab es Schweine, zwei Kühe, einen Hahn und viele, frei herum laufende Hühner, denen Hugo 2 für sein Leben gern nachjagte.

Mathéo hatte auch einen Hund, einen Terrier namens Frida, die genauso alt wie Mathéo war und damit eine alte Dame. Sie und Hugo 2 verstanden sich gut, auch wenn Frida mittlerweile zu langsam für die Hühnerjagd war und sich lieber von mir den haarigen Bauch kraulen ließ. Mathéo und ich saßen immer öfter zusammen bei uns auf dem Hof, schauten den balgenden Hunden zu oder beobachteten die Wolken am Himmel. Manchmal fragte er mich, ob ich in der dicken Wolke über uns auch einen Pferdekopf erkennen würde oder wieso manchmal die Sonne scheint, obwohl es gleichzeitig regnet. Wegen des Regenbogens, antworte ich dann und sah versonnen auf die Wolke, die eher wie ein Herz als ein Pferdekopf aussah.

Sarah war verliebt in Mathéo. Zumindest gestand sie mir das eines Tages und ich zuckte mit den Schultern. Seit unserem Umzug hatte ich nie wieder das Gefühl gehabt, wie ich es von der Zeit mit Hugo kannte. Ich mochte Mathéo, aber er konnte mir das Herz nicht brechen, das gehörte Hugo, dem Hugo, der unendlich weit in der Stadt zurückgeblieben war. Doch Mathéo reagierte nicht auf Sarahs Werben, er spielte lieber mit mir und unseren Hunden und wenn Sarah dazu kam, verabschiedete er sich oft schon nach wenigen Minuten. Wir waren fünf Jahre alt und hatten noch alles vor uns.

Ich hatte Sarah nie von dem Kuss erzählt, den ich Mathéo an meinem Geburtstag gegeben hatte. Sie war meine beste Freundin und wir teilte alle unsere Geheimnisse, doch das, so fühlte ich damals, war keines, von dem sie wissen wollte. Ebenso wenig, dass Mathéo einige Wochen nach meinem Geburtstag versucht hatte, mich nochmals zu küssen.

Wie so oft saßen wir im Heuschober meines Großvaters, versteckten uns vor den Erwachsenen und malten uns aus, wie es wäre, wenn wir mal groß sind. Plötzlich sagte Mathéo, dass er mich dann heiraten würde und griff nach meiner Hand. Es war wie elektrischer Schlag. Erschrocken zog ich meine Hand weg und sah, dass Mathéo näher gerückt war. Unsicher, was ich tun sollte, wartete ich ab, bis er plötzlich die Augen schloss und mit seinem Mund versuchte, mein Gesicht zu treffen. Ich wich zurück und spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Da sprang Mathéo auf und rannte ohne ein weiteres Wort aus dem Stall.

2. Oktober 1968

Ich sah Mathéo lange nicht mehr. Fast war es, als ob er mir aus dem Weg ging, und als wir uns doch wieder trafen, taten wir, als ob nichts geschehen wäre. Wir sprachen nie wieder darüber, auch wenn er mich später noch viele Male geküsst hat. Der Sommer ging langsam zu Ende und Clara kam in die Schule. Sarah und ich aber hatten noch ein Jahr, das wir sorgenfrei spielend bei unseren Familien verbringen konnten. Unsere liebsten Spiele damals waren Hüpfgummi, Haarkränze aus Butterblumen flechten oder auf der Ziege von Sarahs großem Bruder zu reiten.

Leider ereilte die Ziege ein tragisches Unglück, als auch Leon, der Metzgerjunge, auf ihr reiten wollte. Er war zu groß und zu schwer für das Tier und als er sich auf sie schwingen wollte, strauchelte Martha, die Ziege, knickte um und brach sich den Vorderhuf. Sie musste geschlachtet werden, was Leons Vater übernahm. Sarah weinte drei Tage lang und ihr Bruder drohte an, uns windelweich zu prügeln, wenn wir jemals wieder auf einem seiner Tiere reiten würden.

Sarah wollte nichts mehr mit Leon zu tun haben, so dass nun nach Mathéo auch der zweite Junge einen großen Bogen um uns machte. Uns war das egal, wir lachten den ganzen Tag, tollten durch die Wiesen oder vergnügten uns an den letzten warmen Spätsommertagen am Weiher. Ab und zu begegneten wir Bernard, dem ich noch immer nicht in die Augen gucken konnte, so sehr schämte ich mich beim Gedanken an unsere unfreiwillige Begegnung damals hinter der Hecke am See.

Bernard musste nach der Schule oft seinem Vater im Stall helfen. Doch sobald er ausbüchsen konnte, trieb er sich gerne auf unserem Hof herum, tat als wartete er auf Clara. Ich mochte ihn, mehr noch die Erinnerung an sein kleines Geheimnis, das ich nackt zwischen seinen Beinen gesehen hatte und dessen Anblick mich seither nicht mehr losließ. Natürlich hatte ich schon oft Jungs gesehen, wie sie sich mit weitem Strahl an einem Baum erleichterten, aber nie darüber nachgedacht, womit sie das taten. Sarah und ich mussten dann immer kichern, während wir uns hinhockten, um es ihnen gleichzutun. Nun aber stand etwas zwischen Bernard und mir, ein Geheimnis, das meine Neugier weckte und ich fing an, die Jungs in meiner Umgebung zu beobachten, versuchte einen Blick zu erhaschen, wenn sie sich umdrehten, um ihr Würmchen hervorzuholen und zu pinkeln.

Bernard tat mir den Gefallen nicht, noch nicht, aber er verbrachte mehr und mehr Zeit mit mir, ohne sich wie sonst noch nach Clara zu erkundigen. Auch Sarah fiel auf, dass ich immer weniger Zeit mit ihr verbrachte und zusammen mit ihrer Schwester stellten sie mich eines Tages zur Rede und verboten mir, mich weiter allein mit Bernard zu treffen. Ich versprach es, hatte ich doch Angst meine beste Freundin zu verlieren. Auch interessierte ich mich gar nicht für Bernard. Ich war gern in seiner Nähe, hörte mir seine Geschichten von Waldgeistern und Trollen an, die er angeblich jagen ging, und dachte an Hugo, an den mich Bernard vom ersten Tag an erinnerte. Aber Sarah und ihre Schwester waren meine Freundinnen und da hielt man zusammen.

Hugo übrigens sah ich kurz nach dem Tod der Ziege wieder. Meine Mutter hatte mich auf einen Ausflug in die Stadt mitgenommen und zufällig kamen wir an unserer früheren Wohnung vorbei. Hugo stand wie selbstverständlich in der Tür des kleinen Tabakladens im Erdgeschoss und winkte mir. Fast hätte ich ihn nicht erkannt. Er war gewachsen und trug einen Strohhut, so wie die Jungs bei uns auf dem Lande. Er stand ihm gut und wieder spürte ich dieses vertraute Ziehen unterhalb des Herzen bei seinem Anblick.

25. Dezember 1968

Für uns Kinder war eine Jahreszeit von ganz besonderem Reiz. Der Winter. Hatte er doch in diesem Jahr früh Einzug gehalten und unseren Ort seit Wochen unter einer weißen Schneeschicht begraben. Überall auf der Straße hörte man es am Morgen kratzen und schaben. Die Leute räumten die Bürgersteige vor ihren Häusern und ich drehte mich nochmal in meinem kuscheligen Federbett um. Nur schlafen konnte ich nicht mehr, zu aufgeregt wartete ich, dass es endlich hell würde und wir auf den See konnten. Ich hatte neue Schlittschuhe zu Weihnachten bekommen und brannte darauf sie auszuprobieren. Die Eisschicht auf dem Weiher war mittlerweile so dick, dass man sogar mit einem Pferdegespann den Weg zum Nachbarort abkürzen konnte.

Doch noch mehr freute ich mich, Mathéo wieder zu sehen. Wir hatten uns seit dem verunglückten Kuss mehrmals getroffen, oft zufällig. Manchmal aber schien es mir, passte er mich ab, wenn wir von der Kirche oder aus der Stadt zurückkamen. Dann stand er meist am Tor unseres Hauses oder half meinem Großvater beim Heuwenden im Stall. Wir sprachen nicht viel miteinander. Manchmal erzählte ich ihm, wie es in der Stadt gewesen war, manchmal unterhielt er mich mit Mutproben, die die Jungs im Dorf für gewöhnlich anstellten, um die Mädchen zu beeindrucken. Doch Mathéo war noch viel zu jung, um da mit zu machen. Heute aber würde er Sarah, ihre Schwester und mich auf den See begleiten und vielleicht würden wir wie früher Hand in Hand übers Eis laufen.

Ich hatte meinen dicksten Winterpulli angezogen, den roten, den ich so gern mochte und von dem meine Großmutter immer sagte, er würde so gut zu meinen dunkelblonden Haaren passen. Dazu eine weiße Daunenjacke mit Latzhose. Die Pudelmütze mit der roten Bommel passte hervorragend zu meinem Pullover. Ich liebte es, so dick angezogen in der Kälte herum zu toben, den eigenen Atem aufsteigen zu sehen und so zu tun, als ob man heimlich rauchen würde.

Sarah hatte eine grüne Winterkombination an, unter der sie ebenfalls einen roten Pulli trug. Sie liebte es, wenn wir uns wie Zwillinge anzogen, auch wenn sie mit ihren roten Haaren und den grünen Augen eher meiner Schwester Marcelle glich, als mir. Noch mehr aber liebte sie es, grüne Sachen anzuziehen. Sie hatte viele grüne Kleider, die es unmöglich machten, sie im Wald zu finden, wenn wir im Sommer dort Verstecken oder Fangen spielten. Heute aber würde sie im Weiß des Sees für jedermann weithin sichtbar und ich die Unsichtbare sein.

Nicht so für Mathéo. Unverkennbar hatte er nur Augen für mich, ignorierte Sarahs Werben und half mir auf, wenn ich über meine eigenen Füße stürzte. Er konnte schon ziemlich gut Schlittschuh laufen, viel besser als ich damals, aber er war ja auch ein Jahr älter. Leon hingegen blieb dem See fern. Er traute dem Eis nicht, seit er – ungefähr in meinem Alter – beim Eisfischen mit seinem Vater eingebrochen und fast ertrunken wäre. Manche sagen sogar, er war für Minuten bewusstlos und ist seitdem etwas langsam im Kopf. Ich aber kenne ihn nur so. Zumindest meidet er das Eis und alles, was man Tolles darauf anstellen kann.

Am meisten aber freute sich Hugo 2. Er tobt den lieben langen Tag hinter uns her, rutschte bäuchlings über das Eis und bellte, wenn wir ihn mit Schneebällen bewarfen. Wie selbstverständlich gingen wir am späten Nachmittag Hand in Hand zurück nach Hause. Sarah rechts und ich links, Mathéo in der Mitte.



10. März 1969

20. Mai 1969

Jungs sind komisch. Mit dieser Überschrift hätte ich viele meiner Tagebucheinträge beginnen können. Aber ein Ereignis blieb mir besonders im Gedächtnis. Es war Kirmes in unserem Dorf. Einmal im Jahr kamen die Budenaufsteller und Karussellbetreiber und ließen für sieben Tage für uns Kinder die Zeit stillstehen. Wochen vorher schon malten Sarah und ich uns aus, wieviel Zuckerwatte, kandierte Äpfel oder gebrannte Mandel wir schaffen würden und welches Fahrgeschäft in diesem Jahr wohl neu wäre. Die Jungs hingegen prahlten, wie oft sie den Überschlag auf der Schiffsschaukel schafften oder wer sich traut beim Fahren mit der Himmel- und Höllebahn aufzustehen. Bernhard hielt den Rekord mit drei Überschlägen nacheinander, was Clara uns zu erzählen nicht müde wurde. Sie war sehr stolz, als einzige in ihrer Klasse schon einen Freund zu haben, mit dem sie Händchen hielt. Sie würden das erste Mal als Paar auf die Kirmes gehen und sorgten damit für jede Menge Getuschel.

Umso anstrengender wurde Clara wenige Tage vor der Eröffnung. Es drehte sich bei ihr alles nur noch um ihre Frisur und was sie anziehen solle. Sarah und ich verzogen uns, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot, und spielten mit Hugo 2 oder Mathéo, der sich anscheinend wenig aus dem Volksfest machte. Ihm war es egal, wer in diesem Jahr Sieger der Schiffsschaukel wurde oder wem als erstes auf dem Kettenkarussell schlecht werden würde. Er saß meist schweigend in unserer Nähe, kaute auf einem Grashalm oder warf Stöckchen mit Hugo 2.

Der Tag der Eröffnung ging einher mit dem Einzug der geschmückten Bierkutsche vom Wirt unserer einzigen Gastwirtschaft. Er betrieb auch das Festzelt auf der Kirmes, wohin er die aufgestapelten Bierfässer kutschierte. Die Kapelle des Heimatvereins schepperte hinter der Bierkutsche her und spornte uns Kinder dazu an, laut mitsingend nebenher zu rennen. Die einzelnen Vereine hatten sich herausgeputzt und folgten in kleinen Gruppen, bei denen immer ein Bannerträger vorausging. Es war alles sehr festlich und sogar meine Eltern hatten ihre Sonntagskleidung angezogen und begleiteten den Zug zusammen mit den übrigen Dorfbewohnern.

Clara trug ein weißes Kleid mit Häubchen und hatte ihre Haare zu zwei Schnecken geformt. An ihrer Hand führte sie Bernard wie ein Haustier an den staunenden Mädchen ihrer Klasse vorbei und lachte die ganze Zeit, ohne dass wir wussten worüber. Bernard sah weniger fröhlich aus, vielleicht auch, weil ihn die übrigen Jungen hänselten und sich über das tolle Liebespaar lustig machten. Auch Mathéo grinste, sah dann aber mit einem merkwürdigen Blick zu mir herüber, als ob es ihm peinlich war, gelacht zu haben. Mir war das egal. Ich freute mich für Clara und hoffte, selbst einmal mit einem Jungen aufs Fest zu gehen.

Doch dann passierte etwas, von dem ich heute noch nicht genau weiß, warum. Wie in jedem Jahr versammelte sich eine große Schar Schaulustiger um den Hau-den-Lukas und feuerten den jeweils Hammerschwingenden an. Auch Clara wollte zusehen, doch als sie Bernhard fragte, ob er nicht auch mal den Lukas schlagen wolle, reagierte dieser abweisend. Selbst ihr Bitten und Betteln änderte daran nichts, und als ihn dann auch noch die ersten Jungen neckten und ein feiges Huhn schimpften, riss er sich von Clara los und verschwand in der Menge. Aufgeregt machten wir uns auf die Suche nach ihm, doch keiner unserer Freunde hatte Bernard gesehen. Weder bei der Schiffsschaukel, noch der Himmel- und Höllebahn war er, auch nicht am Kettenkarussell oder an einer der Süßigkeitenbuden, wo wir sonst immer standen. Er tauchte erst am nächsten Tag wieder auf und hatte, wie uns Clara später tränenreich mitteilte, ohne eine Begründung mit ihr Schluss gemacht.

11. Juli 1969

Es war der Sommer, in dem meine Freundin Clara ihren ersten Liebeskummer hatte und ich meinen Stoffbären Mr. Bee bekam. Meine Tante Eugenie hatte ihn mir zum Geburtstag geschenkt und ich konnte ihn einfach nicht mehr aus der Hand legen. Überall war er dabei, im Stall, in der Kirche, am See und natürlich in meinem Bett. Wir knuddelten den ganzen Tag und wenn mich damals einer gefragt hätte, wer mein bester Freund ist, hätte ich auf Mr. Bee gezeigt. Er war hellbraun und hatte ein flauschiges Fell, große schwarze Knopfaugen und weiche Ohren. Einzig seine Schnauze war hart.

Es war aber auch der Sommer, in dem ich das erste Mal Ballettunterricht nahm. Eine Lehrerin an der Grundschule hatte in Claras Klasse gefragt, wer Spaß am Tanzen hätte und weil es dort zu wenige Mädchen gab, sollten die ihre jüngeren Geschwister fragen. So trafen Sarah und ich eines sonnigen Nachmittags in der Schulturnhalle auf acht weitere Mädchen aus unserem Dorf und bestaunten die ersten Schrittfolgen, die uns die Lehrerin vortanzte. Vermutlich war sie damals selbst noch nicht lange aus der Schule raus, für uns aber war sie die erste Respektperson neben dem Pfarrer und der Frau hinter dem Backstand. Das würde sich mit der Einschulung ändern, wurde meine Mutter nicht müde, uns zu drohen, doch in diesem Sommer hatten wir noch Schonfrist.

Auch meine kleine Schwester Marcelle tanzte für ihr Leben gern. Kaum hörte sie von irgendwoher Musik, drehte sie sich in ihrem süßen Kleidchen, hielt einem ihre pummeligen Babyarme hin und quiekte vor Freude. Als ich ihr aber sagte, dass sie noch zu klein fürs Ballett wäre, hatte sie fürchterlich geweint. Trotzig hielt sie sich an meinem Rock fest und fast fürchtete ich, er könne reißen, als meine Mutter Marcelle energisch losmachte, auf den Arm nahm und ins Haus trug.

Sophie, unsere Ballettlehrerin unterrichtete eigentlich Musik und Sport an Claras Schule. Ballett betrieb sie nur in ihrer Freizeit und hatte Freude daran, ihre Anmut und Grazie an uns weiterzugeben. Natürlich sahen die Anfänge alles andere als anmutig und grazil aus. Es war furchtbar schwer, nur auf den Zehen zu stehen, das Gleichgewicht zu halten oder sich gar noch zu drehen. Mir tat nach einer solchen Stunde alles weh, vor allem die Füße, aber auch die Beine und der Rücken. Sophie tröstete uns und versprach, dass sich das mit der Übung legen würde. Zum Beweis ließ sie sich in einen Spagat sinken und legte ihren Oberkörper auf ihr ausgestrecktes Bein. Die Hände umfassten einen ihrer Füße und mir schmerzte es schon vom Zusehen zwischen den Beinen.

Clara wurde schnell besser, während Sarah und ich noch keine ganze Umdrehung auf einem Fuß hin bekamen ohne umzufallen. Vielleicht lag es daran, dass sie ein Jahr älter als wir war oder weil die Jungs von ihrer Schule heimlich durch die Fenster der Turnhalle zusahen. Ich hingegen glaube, sie hoffte, dass auch Bernard sie beobachten würde. Der machte seit dem Vorfall auf der Kirmes einen großen Bogen um uns Mädels. Ab und an traf ich ihn in der Bäckerei oder auf dem Markt, wo seine Eltern einen Stand hatten. Dann aber sprachen wir kaum miteinander. Ich wollte nicht unbedingt mit ihm gesehen werden, fürchtete ich doch, dass Clara wieder einen ihrer Heulanfälle oder Wutausbrüche bekommen könnte, unter denen sie seit der Trennung litt. Beim Ballett allerdings staunten wir über die Ruhe und Eleganz, mit der sie bereits nach wenigen Wochen eine der Besten in unserem Kurs wurde.

Ich hingegen fühlte mich wie Mr. Bee, wenn er anstelle von Clément mit der zierlichen Emma Liebe machte und ich dabei an Hugo, Mathéo und Bernard dachte.

1. September 1969

Noch heute erinnere ich mich, wie aufgeregt ich vor meinem ersten Schultag war. Die Nacht davor lag ich wach in meinem Bett und malte mir aus, wie ich am nächsten Morgen mit meiner neuen Schuluniform, der weißen Bluse, dem blauen Röckchen, den weißen Söckchen in den ebenfalls blauen Schuhen zusammen mit meiner Mutter in meine Klasse gehen würde, um neben Sarah zu sitzen und endlich zu den großen Kindern zu gehören. Die Wochen davor hatten Sarah, ich und Clara lesen geübt, wobei Clara die gestrenge Lehrerin spielte.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, da stand ich schon fertig angezogen, mit meiner Schultasche auf dem Rücken und Mr. Bee im Arm bereit und wartete ungeduldig, dass meine Eltern wach werden würden. Es dauerte aber noch gute zwei Stunden, bis wir endlich los kamen und ich die anderen Kinder auf dem Schulhof traf. Sarah war schon da und winkte mir aufgeregt, kaum dass sie mich kommen sah. Auch sie hatte kein Auge zugetan und fragte mich bei jeder Frau, die den Schulhof betrat, ob das unsere neue Lehrerin sei. Ich wusste es nicht und sah mich nach den anderen Kindern in unserer Klasse um.

Da waren die Zwillinge Marie und Babette, Francis, der Sohn des Bürgermeisters, Claude, Vivette und Pascal und viele andere, mit denen wir den Sommer über gespielt hatten oder im Weiher baden waren. Alle strahlten und redeten aufgeregt durcheinander bis der Schuldirektor kam und unsere Eltern für Ruhe sorgten. Ich drückte Mr. Bee fest an meine Brust und hoffte, dass unsere Lehrerin nicht so streng sein würde.

Madam Dutroux war ungefähr im Alter meiner Mutter und nicht besonders streng. Sie leitete zusammen mit Sophie den Schulchor und organisierte alljährlich das Krippenspiel in unserer Pfarrei. Sie war schon ein paar Mal bei uns zu Besuch gewesen und hatte mir Süßigkeiten oder Weihnachtsgebäck mitgebracht. Sie und ihr Mann lebten in einem kleinen Häuschen am Rande des Dorfes, wo Monsieur Dutroux Pferde züchtete und Reitunterricht gab. Sie hatten einen älteren Sohn, den ich aber nur vom Sehen kannte.

Am ersten Schultag mussten wir mit Buntstiften unsere Familie auf ein weißes Blatt malen und dann den anderen Kindern von uns erzählen. Ich malte meine Eltern, Marcelle und meine Großmutter, wie sie eine Kuh fütterte. Großvater hingegen arbeitete im Stall, weshalb man ihn nicht sehen konnte. Den Stall aber malte ich neben unser Haus, aus dem Rauch aufstieg und ich aus meinem Zimmer im oberen Stockwerk winkte.

Ein Junge in der Bank neben mir, Maurice, lachte mich aus, weil mein Haus viel zu klein für so viele Menschen wäre. Doch Madam Dutroux kam mir zu Hilfe und erklärte, dass es darauf gar nicht ankäme, sondern wir uns nur kennenlernen sollen. Ich streckte Maurice die Zunge heraus, er aber lachte nur und zeigte mir seine Zahnlücke, mit der er ziemlich verwegen aussah.

Zuhause erzählte ich meiner Mutter haarklein alles, was wir in der Schule erlebt, gesprochen oder erfahren hatten. Berichtete von den anderen Kindern und wie nett Madam Dutroux wäre. Auch wollte ich unbedingt in den Schulchor und freute mich, dass Sarah und ich zusammen sitzen konnten. Schließlich erzählte ich noch von Maurice und dass er mich ausgelacht hatte. Meine Mutter lächelte und meinte, dass ich doch wirklich schon genug Verehrer hätte. Ich aber verstand nicht, was sie meinte.

11. November 1969

Mir machte die Schule Spaß, auch weil Clara uns jetzt nicht mehr wie kleine Kinder behandelt konnte, war sie doch nur eine Klasse über uns. Fast alle in meiner Klasse konnten schon das Alphabet und die Zahlen bis 1000. Jetzt lernten wir, Zahlen so zu verbinden, dass eine neue Zahl entstand, die viel größer war. Das nannte sich Rechnen und Francis, der Sohn des Bürgermeisters, war Klassenbester darin. Maurice hänselte ihn deshalb öfters auf dem Pausenhof, schubste Francis oder nahm ihm sein Schulbrot weg. Einmal stellte ich mich ihm in den Weg, als er wieder mit Francis raufen wollte. Da stieß er mich zur Seite, so dass ich hinfiel und mir das Knie aufschürfte.

Francis nutze die Ablenkung und rammte seinen Kopf in den Bauch von Maurice, der umkippte und neben mir aufschlug. Sofort griff er nach Francis und riss ihn ebenfalls zu Boden, auf dass wir drei ein raufendes Knäul bildeten, um das sich eine Traube Schüler scharrte. Die Pausenaufsicht hatte große Mühe, die balgenden Jungs auseinander zu bekommen und zerrte sie zum Direktor. Ich allerdings musste auch mitkommen, obwohl ich gar nichts dafür konnte. Als unsere Eltern eintrafen und erfuhren, dass wir uns in der großen Pause gerauft hätten, gab es ein riesen Donnerwetter von meinem Vater und Stubenarrest für die nächsten drei Tage.

Ich weinte, weil ich das ungerecht empfand und war sauer auf Francis, der nicht zugegeben hatte, dass ich ihm nur helfen wollte. Maurice aber zwinkerte mir zu, bevor ihn seine Mutter am Arm packte und aus dem Büro des Direktors zerrte.

Zuhause schloss ich mich mit Mr. Bee, Emma und Clément in meinem Zimmer ein und spielte Unterricht. Als aber Clément ein falsches Ergebnis im Rechnen hatte, setzte sich Mr. Bee auf seinen Oberkörper und drückte ihn zu Boden. Genauso hatte es am Vormittag Maurice mit Francis gemacht und Emma schaute zu. Der Sieger durfte Emma heiraten und mit ihr mein Lieblingsspiel spielen, Liebe machen. Mr. Bee gewann und legte sich mit seiner harten Schnauze zwischen Emmas gespreizte Beine, die ich neben Clément auf den Boden gelegt hatte.

Aber anders als sonst machte mir das Spiel heute keinen Spaß. Es ärgerte mich, dass meine Eltern mir nicht zugehört hatten und so ungerecht waren. Auch weil ich Sarah drei Tage nicht sehen konnte und den Ballettunterricht verpasste. Deshalb beschloss ich, selbst ein wenig zu üben und zog mich aus. Als ich nur in Unterwäsche vor meinem Spiegel stand und zum hundertsten Mal versuchte, eine Pirouette zu drehen, klopfte es an meine Tür. Es war Marcelle, die mit mir spielen wollte und als einzige zu mir aufs Zimmer durfte. Als sie sah, dass ich Ballett übte, wollte sie mitmachen und freute sich, dass ich sie nicht wie sonst aus meinem Reich vertrieb.

Gemeinsam drehten wir uns auf Zehenspitzen, hielten ein Bein angewinkelt und die Arme ausgestreckt, hüpften und sprangen, bis uns die Luft ausging und wir erschöpft auf mein Bett fielen. Marcelle hatte einen Riesenspaß und auch ich vergaß allmählich meine Wut auf die Welt da draußen. Es war mittlerweile Abend geworden und bald würde Mutter zum Essen rufen. Da wir aber vom Tanzen verschwitzt und staubig waren, nahm ich Marcelle mit ins Bad, ließ uns ein heißes Bad ein und achtete darauf, dass sich eine dicke Schaumkrone auf dem Wasser bildete.

Schließlich half ich meiner Schwester beim Ausziehen, schlüpfte aus meiner Unterwäsche und gemeinsam stiegen wir in die dampfende Wanne. Es war herrlich und meine Traurigkeit schwand mit jedem Schaumball, den Marcelle und ich einander zuwarfen, bis das ganze Bad unter Wasser stand.

3. Januar 1970

Seit sechs Tagen lag ich krank im Bett und hatte sogar Silvester verschlafen. Am Neujahrsmorgen musste unser Hausarzt kommen, um mir dicke Tabletten zu verschreiben, die ich kaum schlucken konnte, ohne dass es mich würgte. Ich hatte 40 Grad Fieber und geschwollene Mandeln, wie der Doktor sagte. Meine Mutter kochte mir mein Lieblingsessen, doch ich bekam kaum etwas runter, zu müde und kaputt war ich. Die Schule hatte wieder begonnen und Sarah brachte mir jeden Nachmittag die Hausaufgaben, die ich unbeachtet liegen ließ. Spannender aber war, was sie Neues zu erzählen hatte.

Vivettes Eltern hatten sich getrennt, weshalb sie seit Tagen heulend in der Klasse saß. Sie hatten es ihr Weihnachten erzählt und keine Woche später schien es das ganze Dorf zu wissen. Selbst meine Eltern sprachen am Abendbrottisch darüber. Ich mochte Vivette und sie tat mir fruchtbar leid. Wenn ich allein in meinem Bett lag und darüber nachdachte, wie ich mich fühlen würde, wenn meine Eltern auseinander gingen, kamen auch mir die Tränen. Sarah meinte, sie würde bei ihrem Vater bleiben. Ich hätte mich nicht entscheiden wollen.

Kaum, dass es mir etwas besser ging und ich für eine Stunde am Tag raus in den Schnee durfte, bat ich Sarah, Vivette doch mal zum Spielen mitzubringen. Zu dritt ging die Stunde fruchtbar schnell rum, weshalb die Mädchen manchmal mit auf mein Zimmer kamen. Schnell freundeten wir uns mit Vivette an und als ich endlich wieder zur Schule gehen konnte, setzte sie sich zu uns in die Reihe.

Ich weiß nicht, ob es am Fieber gelegen hatte, aber ich war in den letzten Wochen ziemlich gewachsen. Ich war jetzt fast so groß wie Sarahs Schwester und überragte etliche Jungs in unserer Klasse. Selbst Mathéo, der so alt wie Clara war, fehlten ein paar Zentimeter. Damit war ich neben Leon und Clara die Längste in unserer Clique.

So kam es, dass mich meine Mutter mit in die Stadt nahm, um mir neue Sachen zu kaufen. Viele meiner Kleider waren zu kurz, die Schuhe passten kaum noch und auch die Hosenbeine endeten oberhalb der Knöchel. In der Stadt hatten sie seit Kurzem ein großes, neues Kaufhaus, in dem es auf mehreren Etagen alles gab, was man sich nur vorstellen konnte. Es war wie im Märchen. Egal wohin ich auch schaute, immer wieder entdeckte ich etwas Neues und zerrte meine Mutter mal hier hin, mal da hin, bis es ihr zuviel wurde, sie mich auf einen Stuhl setzte und selbst die Sachen für mich aussuchen ging.

An diesem Tag bekam ich einen roten Mantel, in den ich mich sofort verliebt hatte. Ich mochte rote Sachen und der Mantel passte wie angegossen. Stolz betrachtete ich mich im Spiegel und fand, dass ich damit viel älter aussah. Auch meine Mutter kaufte sich ein paar Sachen, weshalb wir uns auf dem Weg zurück zum Bahnhof ein Taxi leisteten, um all die Taschen und Tüten nicht tragen zu müssen. Zuhause würde uns mein Vater abholen und wieder jammern, dass wir zu viel Geld ausgegeben hätten.

Leider kamen wir diesmal nicht an unserer alten Wohnung vorbei. Wie gern hätte ich Hugo wiedergesehen und ihm erzählt, dass ich nun auch zur Schule ginge. Auch wollte ich ihm, jetzt, wo ich schreiben lernte, Briefe schicken, wusste aber seine Adresse nicht mehr. Ich würde meine Mutter fragen, doch vorher musste ich die verpassten Unterrichtsstunden aufholen. Vielleicht würde mir Francis beim Rechnen helfen. Lächelnd sah ich bei dem Gedanken aus dem Taxifenster und dachte an Maurice, dem es ganz bestimmt nicht gefallen würde, wenn ausgerechnet Francis zu mir zum Lernen käme.

23. März 1970

Marcelle war jetzt 5 Jahre alt. So alt wie ich damals, als wir mit meinen Eltern hierher aufs Dorf zogen. Sie war ein hübsches Mädchen, sehr zierlich und hatte rote Haare, weshalb viele, die uns nicht kannten, Sarah für ihre große Schwester hielten. So wie früher Clara mit mir, spielte ich oft Schule mit Marcelle. Sie lernte schnell und verbesserte immer öfter Mr. Bee, der erstaunlich wenig wusste und die meiste Zeit schwieg. Zusammen mit ihrem Hasen Chap, Emma und Clemént bildeten wir eine Klasse und übten, was ich am Vormittag in der Schule gelernt hatte.

Zu ihrem 5. Geburtstag bekam Marcelle Reitstunden auf dem Hof unserer Klassenlehrerin geschenkt. Ich begleitete sie zur Koppel und nahm Hugo 2 mit, der wenig Respekt vor den Pferden zeigte und sie tapfer anbellte. Marcelle war schrecklich aufgeregt, endlich auf einem dieser großen Tiere zu sitzen, doch zuerst musste sie lernen, diese zu füttern, zu striegeln und den Stall auszumisten. Nachdem das alles getan war, hob Monsieur Dutroux sie auf eines der kleineren Pferde, das an einer Leine im Kreis lief, während Marcelle staunend von oben zu mir herunter sah.

Ich musste lachen, dieses kleine Mädchen, deren Füße noch nicht einmal bis zu den Steigbügeln reichten, wie eine Königin auf diesem Pferd thronen zu sehen. Doch Marcelle war begeistert, so sehr, dass es am Ende der Stunde Tränen gab, weil sie nicht absteigen wollte. Monsieur Dutroux versprach, dass sie jederzeit wieder kommen könne und er ihr Pferd bis dahin versorgen würde. Natürlich war das nicht Marcelles Pferd, aber sie nickte tapfer und ließ sich endlich vom Rücken des Tieres herunter heben.

Zuhause gab es dann kein anderes Thema mehr. Stundenlang erzählte sie von der Koppel, den Pferden, dem Stall und all den anderen Mädchen, die wir dort getroffen hatten. Auch wollte sie uns zeigen, wie sie ganz allein geritten war und gab nicht eher Ruhe, bis mein Vater sie Huckepack auf allen vieren durch die Küche trug. Ab da lag sie unseren Eltern in den Ohren, um nochmal reiten zu dürfen und kurze Zeit später waren Marcelle und ich wieder unterwegs zu Monsieur Dutroux.

Marcelle bekam ein Fuchs-Pony zugeteilt. So nannte man ein kleines Pferd mit roter Mähne, passend zur Haarfarbe meiner Schwester. Er hieß Chevalier. Weil aber Marcelle das Wort nur schwer aussprechen konnte, nannte sie ihn Charlie nach dem Sohn der Dutrouxs.

Ich lernte Charles Dutroux wenige Wochen später kennen, als ich meine Schwester wieder einmal zur Reitschule begleitete. Sie war gerade in der Longierhalle und ich sah mich im Stall um, als Charles aus einer der Boxen trat und mich anlächelte. Unsicher lächelte ich zurück, war Charles doch schon älter, sicher schon 13 und mindestens einen Kopf größer als ich. Er fragte, ob ich nicht auch mal reiten wolle und als ich nicht gleich nein sagte, trat er näher, nahm mich bei der Hand und führte mich in die Box, aus der er gerade gekommen war.

Ein großes schwarzes Pferd, ein Rappe, wie mir Charles erklärte, scharrte unruhig mit den Hufen und blähte nervös die Nüstern, als wir näher traten. Ich kam mir neben dem Tier winzig vor. Charles strich ihm beruhigend über die Flanke und reichte mir einen Apfel, den ich dem Pferd geben sollte. Als aber der Rappe nach dem Apfel schnappte, zog ich mit einem spitzen Schrei meine Hand zurück und ließ ihn ins Heu fallen. Charles lachte, bückte sich und fütterte das Pferd, während ich irritiert zusah, wie dem Tier ein komischer Schlauch aus dem Bauch wuchs und an dessen Unterseite zu Boden hing.

30. Mai 1970

Kurz vor Ende des ersten Schuljahres verließ Vivette unsere Klasse. Ihre Mutter hatte sich nach der Scheidung wegbeworben und zog zusammen mit ihrer Tochter um. Sarah und ich waren recht traurig darüber, mochten wir Vivette doch sehr gerne. Deshalb schlug ihre Mutter vor, dass wir den Abschied feiern sollten und lud zu meiner ersten Pyjamaparty mit Übernachtung in ihr Haus ein. Meine Eltern waren wenig begeistert, mich im Scheidungshaus, wie Vivettes Zuhause überall nur noch genannt wurde, zu wissen, stimmten aber letztlich zu.

Man spürte in diesen Tagen den Sommer bereits. Es war warm, wenn auch noch nicht so heiß, wie in den bevorstehenden Monaten. Wir verbrachten den ganzen Nachmittag im Garten, jagten uns um die Bäume, flochten Blumenkränze oder spielten mit Hugo 2 Stöckchen holen. Vivettes Mutter hatte zwischendurch Kuchen und Tee aufgetischt und Obst bereitgestellt. Als wir vom Herumtoben ganz erhitzt waren, schlug Vivette vor, ein letztes Mal in den Pool zu springen.

Da wir aber keine Badesachen dabei hatten, zogen wir uns nur aus und gingen nackt plantschen. Das Wasser war noch ganz warm vom Tag und wir balgten und spritzten uns gegenseitig nass, bis mehr Wasser neben als in dem Pool war und Vivettes Mutter uns Handtücher brachte.

Eingewickelt saßen wir anschließend um ein kleines Lagerfeuer, trockneten uns und brieten Teig an langen Stöcken über den Flammen. Es war ein milder Abend, die Grillen zirpten und Hugo 2 lag eingerollt zu meinen Füßen. Ich glaube, die meiste Zeit sprachen wir über unsere Schule und unsere Klassenkameraden. Vivette fand René aus der Zweiten süß, den Sarah wiederum gar nicht leiden konnte, vielleicht auch, weil ihre Schwester ihn ebenfalls mochte. Ich regte mich über den Raufbold Maurice auf und alle drei waren wir uns einig, dass Jungs echt anstrengend sind.

Später auf dem Zimmer von Vivette saßen wir gemeinsam in ihrem Bett und spielten Wahrheit oder Pflicht. Ein Spiel, das uns Leon gezeigt hatte, in dessen Klasse das gerade alle spielten und in dem es darum ging, etwas Peinliches aus seinem Leben zu beichten oder eine Aufgabe zu lösen, wenn man lieber schweigen wollte. Leon machte da nur mit, weil man dabei Mädchen küssen konnte, wie er uns mit hochrotem Kopf erzählte. Ich musste an den Kuss von Mathéo denken und beichtete zum ersten Mal meinen Freundinnen davon.

Sarah war ganz entsetzt, doch Vivette verdrehte nur verliebt die Augen und fand es unglaublich romantisch. Sie hatte auch schon mal einen Jungen geküsst, allerdings nur ihren Cousin unter der Festtafel anlässlich einer Familienfeier, doch wir fanden das zählt auch. Ich genoss die Bewunderung der Mädchen und fühlte mich fast schon erwachsen, immerhin hatte ich nicht nur schon mal einen Freund gehabt, sondern jetzt auch noch einen Geliebten.

Tatsächlich aber hatte ich mit Mathéo länger nichts mehr unternommen. Seit ich zur Schule ging, sahen wir uns weniger und auch meine Ballettstunden ließen mir kaum noch Zeit für ihn. Fast glaubte ich ihn zu vermissen, als Vivette vorschlug, ob wir nicht Küssen üben wollen, falls es mal wieder ein Junge bei uns probiert. Sarah und ich sahen uns überrascht an, dann stimmten wir zu, neugierig, wie sich Vivette das vorstellte. Ich wollte gerade zu Mr. Bee greifen, um ihn zu küssen, als sich Vivette zu mir umdrehte und ihren Mund auf meinen setzte. Unwillkürlich schloss ich die Augen und staunte, wie weich ihre Lippen waren. Es hatte nur einen Moment gedauert, doch ich spürte die Berührung noch lange, nachdem Vivette bereits weggezogen war.

12. August 1970

Marcelle mochte Charles, nein sie himmelte ihn an, ihn den älteren Jungen, der so viel besser reiten konnte und nicht wie sie an dieser Leine im Kreis gehen musste. Er war ihr Held und auch ich konnte mich einer gewissen Faszination für den Sport und den Sohn meiner Klassenlehrerin nicht entziehen.

Nachdem Marcelle nun regelmäßig hinaus auf den Reiterhof der Dutrouxs ging, war es an mir, sie hinzubringen, wenn unsere Eltern keine Zeit hatten. Da aber gerade Sommerferien waren, übernahm ich die Begleitung meiner Schwester ganz und war nun auch einmal pro Woche im Stall. Dort überließ ich es Charles oder seinem Vater, Marcelle auf ihr Pony zu heben und ging zu Prince Noir, dem Pferd, bei dem ich Charles kennengelernt hatte.

Mittlerweile traute ich mich auch allein zu ihm in den Stall. Er ließ sich von mir füttern und striegeln. Oft sprach ich auch nur mit ihm, während Prince seine spitzen Ohren aufstellte und mit seiner feuchten Schnauze an meiner Hand schnupperte, in der er zu Recht eine Leckerei vermutete. Noch immer aber irritierte mich dieser merkwürdige Schlauch unterhalb seines Bauches, der immer dann erschien, wenn ich Prince verwöhnte. Als ich eines Tages Charles darauf ansprach, lachte der mich aus.

Damit pinkeln sie, meinte er grinsend und schlug Prince beherzt auf die Flanke, worauf sich dieser hautfarbene Schlauch zurückzog. Ich hätte im Boden versinken können, so peinlich war mir meine Frage und ich beschloss nie wieder in den Stall zu kommen. Aber Charles zwinkerte mir nur zu und nahm mich an der Hand. Er wolle mir etwas zeigen, deutete er geheimnisvoll an und als ich zögerte, ergänzte er, dass ich es sicher spannend fände.

So erfuhr ich im zarten Alter von Sieben das Wunder der Natur, das mich auf Jahre hin verstören sollte. Doch noch ahnte ich nicht, was mir Charles zeigen wollte und folgte ihm. Er führte mich raus aus dem Stall, hinüber zur Koppel, wo in einem offenen Verschlag zwei Pferde bei seinem Vater standen. Das eine war angeleint und stand mit dem Rücken zu Monsieur Dutroux, den anderen kannte ich schon. Es war ein wunderschöner, sandfarbener Hengst mit dem passenden Namen Beau Rivage.

Noch immer an Charles Hand blieben wir wenige Meter neben den Pferden stehen und gerade als ich mich fragte, was genau er mir zeigen wollte, sah ich wieder diesen Schlauch, der diesmal Beau Rivage zwischen den Beinen hervorwuchs. Doch anders als bei Prince hing er nicht knapp über dem Boden, sondern wurde lang und länger und bog sich unterhalb des Bauches empor. Es war kein Schlauch mehr, sondern eine Stange von ungefähr der Länge meines Armes, nur dicker. Erschrocken sah ich zu Charles hinauf, der aber hielt den Blick unverwandt auf diese fleischfarbene Stange gerichtet und grinste.

Das nächste, was geschah, glaubte ich lange verdrängt zu haben. Doch so oft ich heute Männer nackt sehe, so oft denke ich an Beau Rivage und bin dankbar, keine Stute zu sein. Diese begann unruhig vor dem Hengst zu tänzeln, konnte aber der Leine wegen nicht weg. Beau Rivage aber schnaubte und wieherte, dann erhob er sich auf seine Hinterbeine und legte sich auf den Rücken der Stute. Ich hörte sie förmlich ächzen, als die nach oben gebogene Stange plötzlich im Leib der Stute verschwand. Charles Vater hatte mit einer Hand nachgeholfen und den harten Schlauch gelenkt. Jetzt presste sich Beau Rivage in das arme Pferd, das überraschend ruhig hielt und als sie wenig später den Schlauch wieder freigab, ergoss sich eine milchige Flüssigkeit über den Boden des Verschlags. Ich aber wollte nur noch nachhause.

23. September 1970

Ich hatte das Erlebnis vom Reiterhof noch nicht ganz verdaut, als eine zweite Begebenheit mein junges Leben völlig durcheinanderbrachte. Eine Schülerin in der 8. Klasse war schwanger und würde in nur wenigen Wochen ihr Kind bekommen. Sarah und ich hatten uns in der großen Pause auf das benachbarte Collège geschlichen, um das Mädchen zu sehen, von dem das halbe Dorf sprach. Wir waren erstaunt, wieso sich unsere Eltern darüber so erregten, sahen wir doch in der damals 14jährigen Mitschülerin fast schon eine erwachsene Frau. Es wurde gemunkelt, dass sich ihr Onkel an ihr vergangen hätte, doch was aus den Gerüchten wurde, habe ich nie erfahren.

Uns interessierte viel mehr, was genau schwanger sein bedeutete und wie es dazu kam. Ich hatte mir bislang keine Gedanken darüber gemacht, wo ich oder meine kleine Schwester hergekommen waren, als Mama plötzlich einen dicken Bauch bekam. Auch wie das Baby in diesen Bauch gelangt war, hatte mich bisher nicht interessiert. Doch seit dem traumatischen Erlebnis auf dem Reiterhof dachte ich viel über das Gesehene nach und versuchte eine Verbindung zu dem Mädchen in der 8. Klasse herzustellen.

Nachdem aber auch Sarah hierüber nichts wusste und wir unsere Eltern nicht zu fragen wagten, baten wir Clara um Rat. Die allerdings errötete und erzählte uns, dass der Mann beim Liebemachen seinen Schwanz in den Schlitz der Frau stecken würde, die dann schwanger wäre. Sie wüsste das, weil sie die älteren Mädchen in der Turnumkleide belauscht habe. Sarah war schockiert und ich musste an meine Begegnung mit Bernards nacktem Wurm damals am Weiher denken und stellte mir vor, er würde diesen in meinen Schlitz stecken.

Doch statt von Bernard berichtete ich von dem Erlebnis auf der Koppel. Flüsternd beschrieb ich den Mädchen, wie Beau Rivage seinen fleischigen Schwanz, der allerdings viel größer als der von Bernard war, wie ich bei mir dachte, in die Stute gesteckt hatte, die wohl nun auch schwanger war. Es war erstaunlich, wie gut ich mich noch an die dicke, ädrige Stange des Hengstes und diese Unmengen an Flüssigkeit erinnern konnte, die nach dem Akt aus der Stute geflossen waren. Sarah glaubte mir kein Wort und auch Clara wirkte angeekelt. Um zu beweisen, dass ich nicht log, schlug ich vor, gemeinsam zu Charles auf den Reiterhof zu gehen, damit sie sich selbst davon überzeugen konnten. Doch weder Sarah noch ihre Schwester hatten Lust dazu.

Fast hätten wir gestritten, als mich meine Mutter zum Essen ins Haus rief. Danach ging ich auf mein Zimmer und musste noch immer daran denken, was Clara über das „Liebemachen“ gesagt hatte. Nie hatte ich bei meinem Vater-Mutter-Kind-Spiel mit Emma und Clemént an etwas wie das auf dem Reiterhof Erlebte gedacht. Keine meiner Puppen hatte so einen Schwanz, ebenso wenig wie einen Schlitz. Und auch bei Mr. Bee fand ich nichts Vergleichbares.

Natürlich hatte ich schon einmal meinen Vater nackt gesehen und wusste, dass Männer anders aussahen als Frauen. Wo Frauen ein Loch hatten, gab es bei Männern so ein komisches Ding, das, wenn Clara Recht hatte, genau in das Loch der Frau passen würde. Aber wie?, fragte ich mich. Dazu müsste man sich ja vor dem Jungen nackig machen und das konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Außerdem fürchtete ich, musste es ganz furchtbar wehtun, sich irgendetwas in diesen winzigen Spalt da unten zu stecken.

Abends nach dem Baden hockte ich mich nackt aufs Bett, spreizte die Beine und sah mich dort an, wo die Jungen ihren komischen Schwanz hineinstecken sollten. Ich fand die Vorstellung eklig und konnte mir nichts denken, was dort hineingepasst hätte.

11. November 1970

Sarah und ich sprachen eine ganze Weile nicht mehr über dieses Erwachsenenthema. Das zweite Schuljahr nahm uns ziemlich in Anspruch und auch die Freizeit war mit Ballettunterricht und Chor gut ausgefüllt. Zusätzlich brachte ich mindesten aller vierzehn Tage Marcell auf den Reiterhof, wo ich aber einen großen Bogen um die Koppel machte, aus Angst, noch einmal zwei Pferden beim Liebemachen zusehen zu müssen.

Ich wusste gar nicht, ob man das bei Pferden auch so nennt, doch noch immer gefiel mir der Begriff, weshalb ich eines Tages Sarah und Mathéo davon erzählte, was Emma und Clemént manchmal in meinem Kinderzimmer anstellten. Mathéo hatte auch zu reiten begonnen, weshalb wir uns wieder öfter sahen, und bestätigte, dass einige Pferde einen solchen Schlauch am Bauch hatten, mit dem sie pinkelten. Sarah aber interessierte sich mehr dafür, wie ich meine Puppen beim Liebemachen aufeinander legte, um Vater und Mutter zu spielen.

Sie hatte ein Buch in der Nachttischschublade ihrer Mutter gefunden, in dem auch solche Puppen abgebildet waren, die ähnlich wie Emma und Clemént miteinander Turnübungen machten. Dabei saß die Mädchenpuppe auf einigen Bildern auf der Jungenpuppe, dann wieder wechselte das Bild und der Junge lag mit seinem Gesicht zwischen den Beinen des Mädchens, die auf der nachfolgenden Abbildung das Gleiche bei dem Jungen machte. Auf anderen Bildern standen die Puppen hintereinander oder das Mädchen bückte sich, um vermutlich etwas aufzuheben, wobei der Junge sie von hinten festhielt, damit sie nicht falle.

Sarah und ich fanden diese komischen Turnübungen lustig und stellten sie mit Emma und Clemént nach, bis Mathéo fragte, ob die jetzt in dem Buch auch alle Liebemachen. So hatten wir das noch gar nicht gesehen und wunderten uns, wie das mit dem Schwangerwerden denn gehen solle, wenn die Mädchenpuppe mit dem Kopf auf dem Schoß des Jungen liegen würde, der wiederum ihren Bauch im Gesicht hatte. Das konnte auch Mathéo nicht erklären und so spielten wir den ganzen Nachmittag zu dritt Vater-Mutter-Kind, bis ich fand, dass Emma sich ausruhen müsse.

Es war ziemlich kalt draußen geworden. Regen fiel und der Wind trieb loses Heu über den Hof. Meine Großmutter hatte den Kamin angeschürt und rief uns Kinder runter in die gute Stube, damit wir uns bei Kakao und Keksen aufwärmen konnten. Gemeinsam saßen wir an einem kleinen Tisch beim Feuer und spielten T’en fais pas, ein Spiel, was wir später in Deutschland Mensch-ärgere-dich-nicht nannten. Marcelle und ihr Stoffhase Chap spielten mit, doch als meine kleine Schwester zwei Runden hintereinander verloren hatte, verschluckte sie vor Wut einen der Würfel, weshalb wir aufhören mussten. Meine Mutter brachte sie zur Strafe ins Bett und auch meine Freunde verabschiedeten sich nach Hause.

Sarah hatte versehentlich ihr Buch mit den Turnübungen bei mir im Zimmer vergessen, weshalb ich abends noch ein wenig darin blätterte. Oft lagen die Puppen nur nebeneinander am Boden, hatten mal das eine, mal das andere Bein von sich gestreckt, ähnlich wie wir es beim Aufwärmen im Ballettunterricht auch machten, nur eben jeder für sich. Auf einigen Bildern aber bildeten das Mädchen und der Junge ein solches Knäul, dass ich anhand der Beine und Arme nachzählen musste, wer wohin gehörte. Noch immer war mir unklar, wozu das gut sein mochte, und ich nahm mir vor, bei unserer nächsten Ballettstunde ein paar von den Übungen mit Sarah nachzumachen.

In dieser Nacht hielt ich Mr. Bee mit meinen Beinen fest umschlungen, so wie es das Puppenmädchen in Sarahs Buch auf vielen Bildern mit dem Puppenjungen tat.

20. Dezember 1970

Wieder einmal hatte geschneit und alle Kinder trafen sich am vereisten Weiher, wo wir Schneebälle warfen, Schlittschuh liefen oder uns einfach nur an einem der vielen kleinen Holzkohlefeuer wärmten und unterhielten.

Bernard und Clara hatten das Kriegsbeil begraben und sprachen wieder miteinander. Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet fühlten, griff Bernard sogar nach Claras Hand, ohne dass diese sie sofort zurückzog. Sarah meinte, dass die beiden wohl wieder miteinander gingen, doch Clara stritt das vehement ab. Sie fände Jungs viel zu schrecklich, was ich verstehen konnte. Hatte ich doch selbst gerade ein komisches Erlebnis mit einem von denen gehabt.

Nahm ich doch seit Kurzem auch Reitstunden, da unsere Ballettlehrerin erkrankt war und deren Unterricht auf absehbare Zeit ausfallen würde. Ich war froh, als mir Monsieur Dutroux anbot, dass mir Charles das Reiten beibringen könnte, wenn ich nichts dagegen hätte. Ich hatte nicht und so kam es, dass ich mit Charles und Prince Noir alleine in der geheizten Longierhalle versuchte, auf den riesigen Rappen zu steigen. Das war schwerer als gedacht, doch als ich fast oben war, spürte ich, wie mir Charles direkt unter den Rock zwischen die Beine fasste und mich nach oben schob. Irritiert landete ich auf dem Rücken des Pferdes.

Charles ließ sich nichts anmerken, doch mich hatte diese Berührung verunsichert. Natürlich war es nett von ihm, mir auf das Pferd zu helfen, doch noch nie hatte mich ein Junge an dieser privaten Stelle berührt. Es hatte nicht wehgetan. Im Gegenteil, es erinnerte mich an das schöne Gefühl, wenn ich mir beim Baden oder auch mal im Bett selbst die Hand dorthin legte.

Noch mehr aber gefiel es mir, mit Mr. Bee zu schmusen und ihn auf die eine oder andere Art, die ich aus Sarahs Turnübungsbuch kannte, an meinen Körper zu pressen. Am schönsten fühlte sich seine harte Schnauze zwischen meinen Beinen an, auch wenn ich nicht wusste wieso. Ich hatte mich oft gefragt, wieso der Puppenjunge das in dem Buch so oft bei der Mädchenpuppe tat und ahnte, dass es ihr vielleicht auch so gut gefiel. Emma und Clemént machten es uns nach und probierten im Laufe der Zeit alle Übungen aus dem Buch, bis mich Sarah bat, es zurückzugeben. Doch ich brauchte es längst nicht mehr, hatte ich doch die meisten Übungen verinnerlicht und brannte darauf, diese mit Sarah während des Balletts zu probieren. Da aber aktuell keine Stunden stattfanden, stimmte ich freudig zu, als sie vorschlug, zuhause die Tanzschritte zu üben.

Da Sarah in ihrem Zimmer einen großen Spiegel hatte, nahm ich meine Ballettsachen mit zu ihr und gemeinsam standen wir Hand in Hand davor, um uns bei den Drehungen und Balanceübungen zu stützen. Als wir unser Repertoire zweimal durch hatten und erschöpft am Boden saßen, erzählte ich Sarah von meiner Idee, doch auch ein paar von den Turnübungen aus dem Buch ihrer Mutter zu versuchen. Ich hielt das für ein gutes Training, sich zu dehnen und Sarah sah das ähnlich.

So bildeten wir rasch ein menschliches Knäul, verschränkten unsere Arme und Beine umeinander und hatten viel Freude dabei, uns anschließend wieder zu entwirren. Einmal setzte sich Sarah auf meinen Schoß und ich stütze mit meinen Händen ihren Brustkorb. Dann wieder drehte ich mich auf den Bauch, während sie sich oben auf meinen Rücken legte. Oft kitzelte es, manchmal tat auch ein Arm weh, wenn das Knie der anderen darauf landete, aber die meiste Zeit hatten wir Spaß, bis plötzlich Bernard im Zimmer stand. Er wollte zu Clara und hatte sich in der Tür geirrt. Überrascht sah er, wie ich bäuchlings zwischen Sarahs Beinen lag und schloss erschrocken die Tür.



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Tag der Veröffentlichung: 04.11.2016

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