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Die Familie ist heilig

Mit einem grauen, engen Rock aus teurem Stoff und schwarzen neuen Stiefeln auf formvollendeten Absätzen stolzierte die Dame durch den Laden und betrachtete mit ernster Miene die hübschen Wahren auf den ordentlichen Auslagen. Sie hatte sich eine Handtasche ausgesucht und ein Herr im schwarzen Mantel mit noblen Gesten bezahlte am dezenten Kassentisch. Die hübsche Frau nahm einen bunten Schal auf, legte denselben wieder auf den Glastisch und ging zu ihrem Begleiter. Sie lächelte nicht, sie hatte es nicht nötig, selbst wenn jemand ihr etwas Teures schenkte. Für sie war das selbstverständlich. Sie wusste genau, was sie wollte.

Der Verkäufer vollendete die Kassenabhandlung, überreichte dem Herrn die Rechnung in einem hübschen Umschlag und das neue Paket. Sein Kunde erwiderte das geschäftstüchtige Lächeln des jungen Mannes nicht, nahm das Paket entgegen und überreichte es der Schönen. Sie nahm es entgegen, die beiden verabschiedeten sich und ließen sich die Glastür öffnen. Mit schwingenden, bemessenen Schritten und hoch erhobenen Köpfen traten sie aus der Boutique und gingen ihres Weges. So gingen Reiche, Leute, die etwas auf sich hielten und nach ihren eigenen Regeln lebten, in einer Welt, die anderen verschlossen war. Ein goldener Aufkleber an der schicken Einkaufstasche war nicht fest genug angeklebt und mit der Feuchtigkeit des kürzlich beendeten Regens blieb er nicht am feinen Papier haften und fiel hinunter auf den glänzenden, schwarzen Asphalt. Es war dunkel, die Geschäfte würden bald zumachen, da bückte sich Mia und hob den goldenen Sticker vom Bürgersteig auf. Sie betrachtete ihn, und noch bevor sie sich wieder aufrichtete, fiel ihr Blick auf etwas Kleines, das sich heftig schüttelte und hinsetzte. Ein junger Hund, dessen schmutziges Fell ursprünglich hell war, winselte kurz, leckte sich über die Schnauze und schien verloren. Er trug kein Halsband und war allem Anschein nach zu jung, um über längere Strecken laufen zu können. Mia erinnerte sich, wie sie einst als neunjähriges Mädchen jeden Abend vor dem Schlafengehen ihren innigsten Wunsch Sorgenpüppchen anvertraut und die kleinen Dinger unter ihrem Kopfkissen verborgen hatte. Ihr Vater hatte ihr einige von diesen niedlichen Figürchen gegeben. Als Handelsvertreter einer Fairtradegesellschaft hatte er ihr erklärt, wo diese Figuren hergestellt wurden und wie wichtig sie waren. Das war die Zeit, bevor die Firma pleiteging und er arbeitslos wurde. Mias innigster Wunsch war es damals gewesen, einen kleinen Hund zu besitzen. Sie hatte ein ausgeprägtes Gefühl für Tiere und war sich als kleines Mädchen absolut sicher, eine gute Herrin für ein Tier zu sein. Doch ihr Wunsch erfüllte sich nie. Die Eltern meinten, dass sie es sich nicht leisten konnten, dass man vernünftig sein musste, ohne Garten und den ganzen Tag abwesend. Damals, als sie noch zusammen in einem Haus wohnten.

 

Das dünne Mädchen erhob sich aus ihrer Hocke, klebte den goldenen Sticker gedankenverloren auf ihren Handrücken und trat mit behutsamen Schritten auf den Welpen hinzu. Das kleine Tier sah sie kommen und begriff sofort, dass sie ihm nichts Schlechtes wollte. Vor Aufregung zitternd wedelte er eifrig und rappelte sich auf seinen Pfoten.

„Na du Kleiner! Hat man dich vergessen?“, fragte sie und hob das Hundekind vorsichtig vom nassen Boden auf. Es winselte leise und wollte

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Stephanie Berth-Escriva
Bildmaterialien: Stephanie Berth-Escriva
Tag der Veröffentlichung: 11.06.2014
ISBN: 978-3-7368-1967-2

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