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Der König der Nacht




Wenn der Tag sich zum Ende neigte und die unzähligen Aufgaben auf der Farm erledigt waren, nahm sich Fahrid das Geländemoped und heizte über die steinigen Wege zwischen den einsamen Hügeln bis zum Reiterhof. Den zweiten Sommer verbrachte er hier und er begann diese wilde Landschaft zu mögen, obwohl in seinem Bauch eine ständige Unruhe wütete. Er konnte Anordnungen anderer schwer akzeptieren. Seit seiner Kindheit hatte ihm seine kämpferische Eigenschaft Ärger bereitet.

Das laute Plärren des Motors zerriss die ländliche Ruhe, niemand konnte sein Kommen überhören. Beinahe fünf Kilometer Staub fraß er jeden Abend, um zu einem Ort zu fahren, an dem er nichts verloren hatte. Die wohlhabenden Leute mit ihren wertvollen Pferden mochten keine Rumtreiber mit dunkler Haut und schwarzen Augen. Seinesgleichen gehörte in das Bild heruntergekommener Stadtviertel der Metropole.

„Was treibst du da? Verschwinde! Du machst die Pferde nervös mit deinem erbärmlichen Lärm!“, keifte Herr Dupont, ein allgemein respektierter Herr mit prallem Bauch unter seinem teuren Markenhemd. Fahrid streifte sich mit demonstrativer Ruhe den Helm vom Kopf und funkelte den Mann aus zornigen Augen an. Der Junge trug wie immer einen Cutter in seine Hosentasche. Wenn er schon keine Waffe tragen durfte, hatte er sich wenigstens dieses Ding aus dem Büro des Aufsehers der Farm geklaut. Wenn ein Kerl einem Typ in seiner City keinen Respekt zeigte, konnte er dafür mit seinem Leben bezahlen. Hier musste sich Fahrid mit einem unerbittlichen Augenkrieg zufriedengeben, den er gewann. Herr Dupont fluchte unschön und stieß eine rassistische Bemerkung zwischen den Zähnen aus, bevor er mit gesenkten Augen auf dem Absatz seiner Markenschuhe kehrtmachte.
Der Triumph brannte in Fahrids Brust, mit demonstrativer Selbstverständlichkeit ließ er den Motor noch einmal aufheulen, bevor er ihn abstellte und in Seelenruhe zum Reitplatz hinüber ging. Um eine Reitstunde zu beobachten, war es bereits zu spät, aber dort ging immer etwas vor sich. Sabine, die zierliche Pferdepflegerin stand abwartend am Geländer gelehnt und schaute in die entgegengesetzte Seite des Platzes. Fahrid begrüßte die junge Person mit einem flüchtigen Wangenkuss, wie es hierzulande üblich war.
„Was gibt’s?“
„Hallo! Heute Morgen bekam der Besitzer dieses Pferd geliefert. Ich weiß nicht, warum er es hat kommen lassen! Keiner kann es reiten. Mit Mühe haben wir es nach den Reitstunden auf den Platz geschafft, damit es nicht noch mehr Schade in der Reithalle anrichtet“, erklärte Sabine und umfasste mit beiden Händen die runde Holzabgrenzung, die ihr bis zum Schlüsselbein reichte. Fahrid kniff die Augen zusammen und betrachtete das Tier, scheinbar ruhig hatte es den linken Hinterhuf angehoben, den Kopf halb gesenkt und schien auszuharren.
„Und jetzt?“, fragte Fahrid und stützte sich neben Sabine auf dem Balken ab, dass sein Ellenbogen fast ihre schmale Hand berührte. Das Mädchen zuckte mit unwirklicher Gleichgültigkeit die Schultern.
„Wenn wirklich niemand mit ihm fertig wird, muss er geschlachtet werden.“
Ungläubig blinzelte der junge Mann durch das staubige Licht der abendlichen Sonne hinüber zu dem geheimnisvollen Pferd.
„Hat er einen Namen?“, erkundigte er sich.
„Sie nennen ihn Recke, mehr weiß ich nicht.“
Fahrid nickte verständig und schlüpfte zwischen den Querbalken hindurch.
„Bring mir ein paar Möhren und ein Halfter!“, ordnete er seiner Freundin an. Sie rief ihm nach, aber es war zwecklos, Fahrid von einer Idee abbringen zu wollen. Wenn er sich erst etwas in den Kopf gesetzt hatte, hörte er keiner vernünftigen Stimme mehr.

(...)

Wer weiter lesen möchte, kann die Geschichte in der Anthologie
Der Sattelbote

Equitanische
Anthologie finden

ISBN 978-3-8482-2043-4,
Paperback, 240 Seiten ¤
19,90


Nicht Turnier-, Ponyhof- und Girliestories bildeten den Hauptteil der Beiträge des Exlibris Publishing Sattelfest-Literaturwettbewerbs. Nein, die Bandbreite war viel
umfangreicher. Mystik, Krieg, Terror, Rassismus und Verbrechen waren ebenso kreative Kernpunkte wie wirtschaftliche Notlagen, das Altern, die Liebe, das Vergessen, Verdrängen und Vergeben. Dabei stehen Pferd
und Reiter nicht immer im Mittelpunkt, spielen aber stets eine wichtige, wenn nicht entscheidende Rolle in den Geschichten. Hier sind die besten.

http://www.exlibrispublish.de/exlibris-aktuell/




Impressum

Texte: Stephanie Berth-Escriva
Bildmaterialien: Stephanie Berth-Escriva
Tag der Veröffentlichung: 28.06.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für Pferdefreunde, und alle, die von Freiheit träumen

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