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Das Ultimatum - Leseprobe -


Das Ultimatum


eine Kurzgeschichte aus der Anthologie

Liebe: Geschichten rund um die Liebe
Gebundene Ausgabe: 187 Seiten
Verlag: Noel-Verlag (April 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3942802120
ISBN-13: 978-3942802123




Zwanzig Doppelpunkte dreiundfünfzig zeigten die roten Ziffern der Uhr an meinem Mikrowellenherd an, in meinem Whisky schmolz ein Eiswürfel vor sich hin und ich bekam es allmählich mit dem Hunger zu tun. Der Kühlschrank war so gut wie leer, eigentlich hatte ich vor gehabt, mit ihr in einem netten Restaurant essen zu gehen, aber daraus konnte nichts werden. Sie war dermaßen außer sich vor Wut und schimpfte, ihre Aufregung hatte ihr rotte Flecken auf die feine Haut ihres Halses gezeichnet und ihr Make-up hatte sehr gelitten. Sie und ich, wir lebten seit zwei oder drei Monaten wie ein richtiges Paar zusammen, sie wollte unbedingt bei mir wohnen, was ich ihr nie hätte erlauben dürfen.

Ich wollte gerne das Fernsehen anschalten und mich von den flimmernden Bildern ablenken lassen, doch dazu war nicht der richtige Augenblick. Sie wollte, dass ich ihr zuhöre, aber dazu war ich nicht imstande. Sie war sauer, wutentbrannt, weil sie eine Rechnung in meiner Jackentasche gefunden hatte. Der Beleg eines schicken Ladens, in dem sie mit mir vor einigen Tagen ein teures Kleid anprobiert hatte. Leider konnte sie nicht in Größe 36 passen, also folgte sie richtigerweise daraus, dass es sich um einen Einkauf für eine andere Frau halten muss.
Ich hatte nicht weiter darüber nachgedacht, als ich mit einer anderen Freundin in dieses Geschäft gegangen war. Wir kannten uns schon länger und sie wusste genau, dass es mich nicht störte, ihr ab und zu ein paar nette Sachen zu schenken.
Jene, die sich jetzt verraten, hintergangen und betrogen fühlte, hätte sich doch denken können, dass ich mich ihretwegen innerhalb von ein paar Wochen nicht in einen anderen Menschen verwandeln konnte. Warum sollte ich mich ihren Vorstellungen anpassen? Sie gab mir nicht mehr als meine anderen Freundinnen auch? Warum wühlte sie in meinen Taschen herum, um unangenehm Entdeckungen zu machen? Wir könnten jetzt ruhig zu Abend gegessen haben, vielleicht ins Kino gehen, es war Freitagabend und meine Woche war stressig genug gewesen. Aber nein, ich musste mir ihren überreizten Wortstrom über mich prasseln lassen. Es war nicht mein Ding, mich in solchen Situationen zu verteidigen oder zu rechtfertigen, das hätte noch gefehlt. Irgendwann würde sie sich schon beruhigen, dann würden wir weitersehen.

Ich nippte an meinem Glas und spürte den Drink wohltuend wärmend in meiner Kehle hinunterlaufen. Liebes oder Tigerchen, so nannte ich meine Freundinnen, sie begleiteten mich bei Geschäftsessen, waren angenehme Partnerinnen und austauschbar, wenn eine sich nicht fühlte, Migräne hatte oder nachdenken wollte. Für solche Verhältnisse schenkte ich gerne, denn ich mochte es, im Mittelpunkt zu stehen, wie ein Held gefeiert zu werden.
Ehrlichkeit und Treue, was sollte das schon bedeuten? Ich versteckte mich vor niemanden und war meinen eigenen Prinzipien treu. Offenbar war sie anderer Meinung, doch konnte diese in ihrem engen, sexy Röckchen und ihren kurzen, hastigen Schritten irgendwie nicht glaubwürdig erscheinen. Ich versuchte mir, ihr Gesicht ungeschminkt vorzustellen, was mir nicht unbedingt gelingen mochte. Die Pigmente ihres Liedschattens haben sich zu dunklen Linien zusammengeschoben und unter ihrem Lippenstift konnte ich winzige, trockene Hautfetzen erkennen.

Kürzlich hatte ich mich in einem Roman festgelesen, was ich normalerweise nie tue. Das abgegriffene Taschenbuch war auf einem Sitz in der U-Bahn liegen geblieben, einfach von seinem ehemaligen Besitzer vergessen worden und so war mir eine ungewöhnliche Geschichte in die Hände gekommen. Daran wollte ich mich jetzt in diesem ungemütlichen Moment erinnern.
Das Buch erzählte von einer jungen, schönen Frau aus dem späten Mittelalter, welche von neiderfüllten Nachbarn als Hexe angezeigt worden war. Diese recht einfache Geschichte hatte allerdings einen merkwürdigen Verlauf genommen. Normalerweise werden Helden in solchen Romanen irgendwie gerettet, doch die Seiten des Büchleins nahmen beachtlich beim Lesen ab. Es blieb keine Zeit, um ein glaubwürdiges Finale zu beschreiben, denn der Sinn dieser Geschichte wurde mir erst viel später klar.
Elsa, so der Name der vermeidlichen Hexe wurde verklagt und der Moment ihrer Hinrichtung war gekommen. Man ließ ihr einen Tag, vierundzwanzig Stunden, damit sie ohne Wasser und Brot Busse tun konnte. Sie war der zusätzlichen Folter der unbegreiflichen Zeit ausgesetzt worden. Die Minuten konnten endlos lang erscheinen und dennoch blieb ihr so entsetzlich wenig davon, um sich von ihrem Leben zu verabschieden.
Ich war beim Lesen verblüfft über die Beschreibung der Erinnerungen dieser jungen Frau.

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Tag der Veröffentlichung: 15.03.2012

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