Stephanie Berth- Escriva
Blutschwert
All Copyrights by Stephanie Berth-Escriva, 2011
Ich widme dieses Buch meinem geliebten Ehemann Jean-Luc und allen grauen Mäusen, die ihre geheimen Träume, vielleicht sogar ihre lebenswerten Momente, hinter Notlügen verbergen, um nicht ausgelacht oder verachtet zu werden.
Vorwort:
Wie kam ich auf eine Geschichte wie ‘Blutschwert’?
Zu mal die Idee bei einem Spaziergang im Wald von Fontainebleau mit meinen Töchtern wuchs.
Ich hatte mir kurz davor zum wiederholten Male den Film ‚Solomon Kane‘ angeschaut, wobei mir aufgefallen war, dass diese Story gut aufgebaut und durchdacht war. Nichts einfacher als mal wieder die alten originalen Geschichten aufzugreifen…
Bekannte meinten damals, weil ich Fan von Robert E. Howard bin, müsste ich ähnliche Geschichten schreiben, doch die Werke eines Meisters zu lesen, bedeuten noch lange nicht, zwangsläufig versuchen, ihn kopieren zu wollen.
Aber die Ideen hinter seinen Geschichten berührten mich. Ein dunkler, einsamer Krieger, brutal, der unzähligen Männern das Leben nahm und sich bewusst ist, dass sein eigenes Leben nicht mehr viel wert ist. Er nimmt all die Qualen und Gefahren auf sich, um eine Idee von Unschuld zu retten – Meredith, ein völlig unverdorbenes Mädchen, noch keine Frau und doch voll Vertrauen in das Leben.
Gut, einfach herrlich.
Aber was ist mit uns?
Unserem normalen Leben?
Bei meinem Waldspaziergang versuchte ich mir die Welt aus einer anderen, vergangenen Zeit vorzustellen, wild, gefährlich. Dort hätte ich nicht ohne Weiteres mit meinen Töchtern spazieren gehen können, denn sogar heute ist Wachsamkeit und Vorsicht angeraten.
Wie würde ein Mensch von heute auf eine Begegnung mit einem ‚Unhold von damals‘ reagieren?
Meiner Meinung nach überhaupt nicht komisch oder amüsant, wie es in den meisten Filmen oder Geschichten mit Zeitreisen beschrieben wird.
Im Gegenteil, ich denke, die potenzielle Gefahr eines vollbewaffneten Auftragsmörder aus einer Zeit wie dem Hundertjährigen Krieg, zum Beispiel, würde selbst unsereins augenblicklich klar werden.
Erst wollte ich die Begegnung einer Familie mit Ottmar erzählen, doch ich entschied mich rasch, die Kinder erst einmal aus dem Spiel zu lassen, da mir die Situation zu gefährlich erschien. Außerdem war mir wichtig, dass die Person von heute alleine ihre Entscheidungen trifft, denn jeder verhält sich anders, alleine oder in Begleitung.
Oft werde ich dafür belächelt, weil ich ‚nur‘ Liebesgeschichten schreibe. Aber wahrscheinlich ist mir das wichtig, weil die meisten Liebesgeschichten, die ich gelesen oder gesehen habe, irgendwo im Ablauf der Handlung hängen bleiben, für mich unlogisch sind, oder irgendwelchen heuchlerischen, puritanischen Regeln folgen – was weiß ich.
Allein die Idee, ein Superheld begegnet einer Superfrau, sie finden einander toll und es passiert – nichts. Sehr witzig! Ich sehe ein, dass solche Begebenheiten natürlich nicht in jede Geschichte passen. Die Charaktere der verschiedensten Helden sind auch oft zu kompliziert, sei es in Geschichten aus heutiger Zeit oder im fantastischen Bereich.
Mir gefiel die Idee, dass zwei Menschen aus so entfernten Epochen sich eigentlich nicht verstehen können, es sei denn sie legen die festgefahrenen Regeln ihrer Gesellschaft, ihres normalen Umfeldes ab. Ich denke, in so einer Situation bleibt ihnen nichts anderes übrig.
Um der Geschichte mehr Tiefe zu geben, musste ich mir eine Vorgeschichte von Claudia ausdenken, deutlich machen, dass sie sich von der Normalität des alltäglichen Wahnsinns so weit wie möglich zurück hält. Daher ihr nachdenklicher Moment beim Warten an der Kasse im Supermarkt. In gewisser Weise hat sie auch eine Art von Unschuld und einen Glauben an das Leben und die Menschen nicht aufgegeben, denn sie schenkt einer Unbekannten ein Lächeln, welche ihr es nicht erwidert.
Ottmar ist ein Mann, sein Leben ist zum Tode verurteilt und er akzeptiert diese Tatsache. Vieles kann er nicht verstehen und ich denke, er ist im Grunde nicht in der Lage, in unserer Gesellschaft zu leben. Aber er sieht Dinge, die wir gerne übersehen, oder nicht wahrhaben wollen. Zum Beispiel erkennt er in Christoph sofort einen möglichen Rivalen bezüglich dieser sonderbaren Frau. Weder Christoph noch Claudia scheinen sich darüber im Klaren zu sein … so läuft es heutzutage doch oft zwischen Menschen oder?
Auf diese Weise können sich unausgesprochene Situationen über Jahre ziehen und in Vorwürfen und Unverständnis enden.
Helden haben diese Probleme wenigstens nicht.
Ich hoffe, ich enttäusche meine geduldigen Leser mit dieser recht einfachen Geschichte (nur eine Liebesgeschichte) nicht, selbst wenn ich mich dazu bekenne, dass die Figur Solomon Kane der Auslöser dieser Idee war.
Vielleicht gibt es noch andere mutige Schreiber, die sich von Werken alter Meister beeinflussen lassen, und sich das Gedankenspiel erlauben, was wäre wenn – ich eine Geschichte auf meine Art und Weise erzähle?
Und nun geht es los……
Vor zwei Tagen hatte der Sommer offiziell begonnen und zeigte sich mit einem kühlen Gesicht. Es regnete bereits seit drei Tagen ohne Unterlass. An diesem Nachmittag ging ein erfrischender Wind, dieser schob endlich die schweren Wolken fort.
Claudia wollte sich einen ausgiebigen Spaziergang im Wald erlauben. Zunächst hatte sie das schlechte Gewissen geplagt. Immerhin hatte sie ihren Jungen, Klaus, acht Jahre alt, für ein paar Tage bei einer Freundin gelassen, denn sie hatte viel Arbeit, neue Artikel und Texte warteten auf die Übersetzungen. Doch während sie mit dem Auto über die Landstraße durch den Wald fuhr, atmete sie bereits auf.
Sie kannte die Gegend sehr gut und liebte einsame, lange Waldspaziergänge, seit ihrer Jugend. Ab und zu wurde ihr wohl nahegelegt, wie gefährlich es doch für eine Frau war, ohne Begleitung durch den Wald zu gehen, aber sie fürchtete sich nicht. Die Leute hatten vor allem Angst, was in den Nachrichten erklärt wurde.
Im Wald, in der Natur, konnte sie ungestört nachdenken, einfach Träumen in Gedanken hinterher hängen. Claudia hatte sich im Laufe der Jahre an ihr einsames Leben gewöhnt.
Ihr kleiner Sohn war eine Bestätigung für ihre Mühe. Ihre Eltern lebten weit genug weg, diese hatten Claudias Beziehung mit dem Vater ihres Kindes nie befürwortet. Sie nahm es ihnen nicht einmal übel, als sie ihr nach seinem Verschwinden kaum beigestanden hatten. Er war ein Fotoreporter gewesen und nach einer Reise in Schwarzafrika nie wieder gekommen. Klaus war auf die Welt gekommen und erst vor vier Jahren hatte Claudia die Bestätigung bekommen, dass ihr Mann tatsächlich gestorben war.
Heute blieben ihr der Sohn und ihre Arbeit. Sie hatte es geschafft, ihr Haus behalten zu können, selbst wenn sie deshalb öfter in Träumen als in Wirklichkeit auf Reisen ging. Dennoch, sie verspürte keine Bitterkeit in ihrem Leben, sie liebte die Gegend ihres Wohnortes, der Wald gab ihr Kraft, ab und zu vermochte sie sogar ein überraschtes Reh zu sehen.
Claudia hatte sich zu einer ausdauernden Läuferin entwickelt, sie kannte abgelegene Anhöhen, auf denen sie weit über das Land blicken konnte. Dort hielt sie sich besonders gerne auf. Abgeschieden von der Welt, mit dem Wind in den Ohren und den Haaren, keine Worte, nur die Geräusche der Natur.
Wenn Claudia alleine durch den Wald lief, mochte sie das Gefühl, wenn sich ihre Muskeln erwärmten, niemand ihren Gesichtsausdruck sehen konnte. Es völlig egal war, wie ihre Haare lagen oder ob sie schwitzte. Sie konnte einfach nur Mensch sein und ihre Gedanken still formulieren. Ab und zu gelang es ihr, an nichts zu denken und einfach nur zu sein.
Wer würde solche Vorlieben in der heutigen Zeit schon verstehen?
Sogar ihre beste Freundin warf ihr regelmäßig vor, sich nicht oft genug unter andere Menschen zu begeben. Sie war doch hübsch und verdiente ein anderes Leben. Claudia hingegen war zufrieden, wenn sie ihren Sohn heranwachsen sah. Leider traute sie fremden Menschen nicht. Sie zeigte sich höflich, aber mochte ihre persönliche Distanz zu den anderen.
So war sie nun einmal, wahrscheinlich fürchtete sie, ein Fremder könne ihre geliebten Träume zerstören.
Schnellen Schrittes legte sie Kilometer für Kilometer zurück. Sie wusste genau, wo sie sich befand, genoss den Anblick der knorrigen Bäume, die wild zwischen den emporragenden Felsen wuchsen.
Das war gerade das Besondere an diesem Wald. Die riesigen Steinbrocken hatten schon immer jede Forstwirtschaft verhindert. Seit Jahrhunderten wuchs die Natur so wie sie konnte, der Mensch hatte hier nie viel eingreifen können.
Claudia streckte ihre Arme weit über den Kopf und dehnte ihre Schultern, die frische Luft hatte ihr sehr gut getan, ihre Lungen waren von kräftigender Waldluft erfüllt. Die Sonne versteckte sich ab und zu hinter den restlichen Wolken, das Licht veränderte sich ständig, als sie plötzlich etwas blendete. Kaum waren die Strahlen wieder hervor gekommen, blinkte und blitzte etwas einige Meter weiter weg.
Was mochten die Leute wohl hier in die Büsche werfen?
Leicht verärgert und neugierig trat sie nähre, um sich das anzusehen. Claudia verabscheute gegenüber der Natur Respektlosigkeit.
Kaum hatte sie die Stelle erreicht, wunderte sie sich. Was dort das Sonnenlicht reflektierte, sah wie eine Klinge aus, größer und breiter als die eines gewöhnlichen Messers, zweischneidig und blank. Was Claudia aber am wenigstens gefiel, war das angetrocknete Blut auf dem Metall.
Was konnte es schon anderes sein?
Sie hockte sich verwundert nieder und betrachtete das Ding. Es sah nicht wie eines dieser Schwerter aus einem Geschäft für Fantasy-Fans aus, sondern viel authentischer. Der mächtige Griff war mit einem abgewetzten Lederband umwickelt. Sie konnte erkennen, dass diese Waffe benutzt worden war.
Wer mochte sie hier verloren haben?
Vielleicht wurde hier vor wenigen Tagen eine Filmszene gedreht und dieses Equipment war vergessen worden, dachte sie sich und umfasste nachdenklich den Griff der ungewöhnlichen Waffe. Zwischen ihren Fingern spürte sie die leichte, klamme Feuchte des Leders, als habe jemand diesen Gegenstand lange benutzt. Wenn dies ein Schwert aus einem Film sein sollte, dann war dieses Team sehr auf Detailtreue bedacht gewesen. Mit dieser Waffe in der Hand beschlich sie ein ungutes Gefühl. Das Schwert erschien zu real. Die junge Frau kannte sich zwar nicht mit Waffen aus, aber sie spürte die mittelbare Ausgewogenheit des Schwertes in ihrem Arm.
Was für Verrückte mochten sich hier, mitten im Wald aufgehalten haben?
Jetzt war ihr mit einem Mal gar nicht mehr so wohl zu Mute. Vor kurzer Zeit hatten sich hier irgendwelche merkwürdigen Menschen aufgehalten. Möglich, dass die finsteren, stumpfen Flecken auf der Klinge kein künstliches Blut waren…
Ihr war klar, wie weit entfernt sie von ihrem Auto und dem nächsten Dorf war. Sie hob ihren Blick von dem Schwert und versuchte sich zu beruhigen. Offenbar war sie nach wie vor alleine und vermochte einfach den Weg wieder zurückgehen. Die Waffe würde sie vielleicht mitnehmen und der Polizei übergeben. Jemand könnte sich damit verletzen. Sie brauchte es nicht nachzuprüfen, um zu wissen, wie scharf die Klinge tatsächlich war.
Nachdenklich schaute sie in die stille Umgebung, als ihr Blick auf einen dunklen Stiefel fiel. Erschrocken richtete sie sich auf. Ein langes Bein mit einem schmutzigen schwarzen Leder und einem Stiefel bekleidet streckte sich hinter einem der gezackten Felsen hervor. Da ruhte jemand, verborgen und trug dunkle Klamotten. So einen Stiefel hatte sie selbst auf einem Rockfestival mit Motorradfahrern noch nicht gesehen.
Claudia hielt den Atem an, ihre Sinne konzentrierten sich auf diese neue, unheimliche Entdeckung. Sie warf einen gehetzten Blick auf den Weg, auf dem sie gekommen war. Ihre Brust schien sich vor Angst zusammen zu ziehen. Sie war nicht alleine und kilometerweit von anderen Menschen entfernt. Behutsam und ohne das Bein aus den Augen zu lassen, glitt sie mit ihrer Hand in die Tasche und zog ihr Telefon hervor. Ein Blick darauf verriet ihr, dass sie in dieser abgelegenen Ecke des Waldes natürlich keinen Empfang erhoffen konnte.
Das hatte sie nun davon, nie auf die Ratschläge anderer zu hören. Sie versuchte sich zu beruhigen, aber der gallige Geschmack der Angst machte sich in ihrem Mund breit. Am besten wäre, sie würde sich so leise wie möglich aus dem Staub machen. Claudia blickte auf das Schwert in ihrer rechten Hand. Es war schwer, sie konnte es aber gut festhalten.
Sie dachte sich, dass sie zwar bewaffnet sein mochte, allerdings war die Wahrscheinlichkeit groß, dass dieses Ding zu dem Menschen dort, hinter dem Felsen verborgen, gehören konnte.
Was, wenn er verletzt war und Hilfe brauchte?
Wenn sie das Schwert jetzt zur Polizei bringen würde und in ein paar Tagen Jäger die Leiche dieser Person finden sollten, würde man sie verhören und fragen, warum sie nicht nachgeschaut habe.
Der Unbekannte rührte sich nicht, ihr war wirklich bange zu Mute als sie sich vorsichtig näher schlich. Da lag ein hoch aufgeschossener Mann mit langem, schwarzem Haar an den Felsenvorsprung gelehnt. Sein Haar schien sehr beschmutzt und verdeckte halb sein auf die Brust geneigtes Gesicht. Claudia konnte sehen, dass er sich seit Tagen nicht rasiert hatte. Er trug die wunderlichste Kleidung, die ihr je unter die Augen gekommen war. Aus dunklem, festen Leder schienen diese Stücke maßgeschneidert zu sein. Es sah wie ein authentisches Kostüm aus einem längst vergangenen Zeitalter aus, vielleicht eine Nachbildung eines Fundstückes aus dem Museum.
Schlief er oder war er tot?
Er rührte sich nicht. Claudia war zu weit entfernt, um seinen Atem hören zu können. Sie kniff beunruhigt die Lippen aufeinander, ging in die Knie, um vorsichtig sein Gesicht von
unten zu betrachten. Er war weder jung und noch alt. Über seiner einen Augenbraue befand sich ein mächtiger Bluterguss, die Haut hatte sich dunkel verfärbt. Offensichtlich hatte man ihm schwer zugesetzt. Unwillkürlich verzog sich Claudias Gesicht, beim Anblick der unschönen Verletzung stellte sie sich die Brutalität des harten Hiebes vor.
War es möglich, dass noch andere sich irgendwo in der Nähe aufhielten?
Claudia warf einen Blick um sich herum in den stillen Wald und überlegte. Dabei war sie etwas unachtsam geworden, hatte ihre Füße bewegt und zerbrach einen Ast unter ihrem Gewicht. Das laute Knacken hatte den erschreckenden Effekt, dass der riesige Mann vor ihr aus seiner vermeintlichen Ruhe aufschreckte und sie wie eine wild gewordene Raubkatze angriff. So schnell hatte sich Claudia wohl noch nie in ihrem Leben bewegt. Sie schrie ebenso überrascht wie er, sprang auf, schnellte ein paar Schritt zurück und streckte aus einem verzweifelten Reflex heraus die Waffe mit beiden Händen in die Richtung des Unholdes. Er schätzte sie kurz ab, wollte mit einem ausfallenden Schritt ihr das Schwert entreißen, doch glücklicherweise spielten ihm seine Verletzungen einen Streich. Er war nicht im Vollbesitz seiner Kräfte und strauchelte. Ein unterdrückter Schmerzensschrei entfuhr ihm, der Claudia erschütterte. Offensichtlich erlitt er schwere Schmerzen und stürzte unerbittlich gegen einen Baumstamm. Schweiß perlte auf seinem Gesicht und er zeigte Mühe, sich zu sammeln.
Claudia bebte und zitterte am gesamten Körper und hielt das Schwert mit beiden Händen weit von sich gestreckt. Sie wusste, dass sie gegen diesen Kerl überhaupt keine Chance hatte, behielt ihre verteidigende Stellung aber wie einen instinktiven Schutz bei.
Ihr Blick fiel auf seinen rechten Arm und seine blutverschmierte Hand aus dem dunklen Ärmel. Offensichtlich war er schwer verletzt und verlor Blut. Er atmete schwer, hielt seinen Arm fest und versuchte, aufrecht stehen zu bleiben.
„Das ist mein Schwert. Gib es mir wieder, bevor du dir damit noch etwas antust!“, keuchte er, aber Claudia schüttelte heftig den Kopf.
„Kommt nicht in Frage! Ich will wissen, was hier geschehen ist. Sind noch andere hier?“, erwiderte sie mit überraschend fester Stimme und musste sich räuspern. Ihr Mund war vor Aufregung trocken.
„Ich glaube nicht, sonst wäre ich schon tot…“, war seine Antwort.
Claudia riss die Augen auf und ließ das Schwert zu Boden sinken.
„… tot…!“, hauchte sie entsetzt. Ihr Gegenüber blickte erneut auf und suchte ihre Augen. Beim Anblick ihres entsetzten Gesichtes musste er kurz auflachen.
„Du wahrscheinlich auch. Aber weiß der Teufel, wo sie jetzt sind.“
Seine Stimme versagte und er kämpfte darum, aufrecht stehen zu bleiben, kippte aber haltlos zur Seite und fiel schwer auf den Boden. Claudia zuckte erschrocken zusammen. Eine kurze Weile betrachtete sie den gefallenen Mann und überlegte, ob sie so einen merkwürdigen Akzent schon einmal gehört hatte. Er schien nicht aus der Gegend zu stammen.
Mit einem gequälten Stöhnen wälzte er sich auf den Rücken, kniff die Augenlider vor Schmerzen zusammen.
„Ich habe solchen Durst“, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Claudia zögerte einen Augenblick. Sie hatte eine kleine Flasche Wasser in ihrem Rucksack, wie immer, wenn sie lange Waldspaziergänge machte. Aber dieser Typ vor ihren Füssen flößte ihr gewaltigen Respekt ein. Sie betrachtete erneut seine Hand mit dem frischen Blut und dachte sich, dass er kein seltsam theatralisches Spiel veranstalten würde, sondern wirklich an einer schweren Verletzung litt.
Mit einer entschlossenen Bewegung rammte sie das Schwert in den Waldboden, neben sich, wunderte sich kurz über das klare, metallene Geräusch, welches dabei entstand. An seine Waffe sollte er vorerst nicht gelangen. Vorsichtig näherte sie sich und zog ihren Rucksack vom Rücken. Er atmete schwer und sein Gesicht war schweißbenetzt. Claudia kniete sich neben ihn, schraubte die Flasche auf und glitt vorsichtig mit ihrer linken Hand unter seinen Kopf, um ihm beim Trinken zu helfen. Während er ein paar gierige Schlucke trank, beobachtete sie ihn dabei und kritisierte sich in Gedanken über ihre geheimen Freuden, diesem Unbekannten zu helfen. Das hast du nun von deinem einsamen Leben, schalt sie sich, nicht nur, dass du stolz wie eine albernes Göre über deinen dummen Mut triumphierst, sondern die Berührung seiner Haut mit deinen Fingern dir auch noch gefällt.
Kaum hatte er genug getrunken, legte sie seinen schweren Kopf wieder auf den Waldboden.
„Ich danke dir – das ist gutes Wasser. Es schmeckt süß“, sagte er mit leiser, rauer Stimme. Claudia betrachtete verdutzt die Flasche, aber es war normales Mineralwasser ohne Geschmack, wie man es für Kinder kaufen konnte.
„Ich möchte nicht wissen, was du zu dir genommen hast, du armer Irrer. Aber das sieht mir nach einem schlechten Trip aus“, brummte sie, verstaute die Flasche wieder im Rucksack.
„Ich habe seit Tagen nichts gegessen…“, war seine Antwort.
Claudia schüttelte verständnislos den Kopf.
„Meiner Meinung nach sollten wir uns schnellstens um deine Wunde kümmern. Du verlierst viel Blut und Fieber bekommst du auch.“
Sie wusste genau, dass ihr Telefon nicht funktionierte, warf dennoch einen weiteren Blick darauf, als könnte es ein kleines Wunder geben. Aber das Handy verfügte weiter über keinen Empfang.
„Ok, soll ich mir deine Verletzung einmal anschauen?“, fragte sie. Er schlug die Augen auf und blickte sie fragend an.
„Bist du eine Heilerin?“
„Nein, aber ich habe vor Jahren einen Erste Hilfe Kurs beim Roten Kreuz gemacht.“
„Ich verstehe kein Wort, von dem was du sagst. Aber du siehst seltsam aus mit deinen Kleidern.“
Sie lachte nervös und deutete auf ihn:
„Erspare mir deine blöden Kommentare. Wie siehst du denn aus? Willst du mir jetzt deine Wunde zeigen, oder hier mitten im Wald verbluten?“
Der Mann zog die Augenbrauen ärgerlich zusammen, machte sich aber an seinen Klamotten zu schaffen. Die einzelnen Stücke seines Oberteils waren mit ledernen Bändern zusammen geschnürt. Auf diese Weise konnte er den Ärmel über seinem rechten Arm lösen und seine Verletzung preisgeben. Erst jetzt fiel Claudia auf, dass das Leder zerschnitten war und eine tiefe Schnittwunde auf seinem Oberarm klaffte und schwer blutete. Sie verzog angewidert ihr Gesicht konnte ihren Blick aber nicht abwenden.
„Gütiger Himmel… wer hat dir das angetan?“, wisperte sie.
„Sie waren in verdammter Überzahl, glaube mir.“
„Das ist doch jetzt egal. Die Blutung muss gestoppt werden. Erzähle mir von dir, wie ist dein Name und wo kommst du her, sonst falle ich um!“
Mit einer entschlossenen Geste zerrte sie den Gürtel ihres Trenchcoats aus den Laschen, trat entschlossen neben ihn und legte eine Schlaufe oberhalb der Wunde an.
„Ich nenne mich Ottmar, ich komme aus…“, sein Satz wurde von einem überraschten Schrei unterbrochen, als Claudia mit aller Kraft den Knoten ihres Gürtels um seinen Arm zugezogen hatte.
Sie sah sich die Wunde an und sprach mehr zu sich selbst:
„Ich habe einen Kasten mit Verbandszeug im Auto, aber ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, dich hier zu lassen, wo es möglicher Weise noch andere Verrückte in der Gegend gibt.“
Er beruhigte sich und lehnte sich an den Stamm. Sein Gesicht war erschreckend bleich geworden.
„Ottmar! Was für ein altmodischer Name! Deine Eltern waren wohl nicht sehr inspiriert, als sie den ausgewählt haben.“
„Wer bist du, um über meinen Vater zu sprechen? Ich trage seinen Namen, rede sonst nie über ihn, weil es nichts zu sagen gibt…“, brummte er verärgert.
„Meinetwegen. Ich heiße Claudia. Du solltest auf dem schnellsten Wege in ein Krankenhaus gebracht werden. Mein Auto steht ein paar Kilometer weg und der Nachmittag neigt sich dem frühen Abend zu. Was sollen wir tun? Hier warten, bis dich andere anfallen oder willst du versuchen, bis zum Parkplatz zu kommen? Ich bin mir sicher, dass ich von dort telefonieren kann.“
Der Mann runzelte die Stirn, denn er verstand nichts von dem, was sie sagte. Er wusste nur eins, er konnte nicht an diesem Ort bleiben.
„Ich werde mit dir kommen“, sprach er mühsam und richtete sich auf. Claudia wusste nicht, wie er das anstellen wollte, aber sie wagte es nicht zu widersprechen. Er war einen halben Kopf größer als sie, wobei sie bei Weitem nicht zu den kleinen Frauen zählte. Sie beobachtete ihn dabei, wie er mit mühsamen Schritten zu seinem Schwert ging, es aus dem Boden zog, in die am Gürtel befestigte Scheide schob. Entsetzt legte sie die Hand auf den Mund, denn erst jetzt sah sie, dass er noch zwei weitere, lange Dolche am Gürtel trug. Er war auf seine Weise voll bewaffnet.
Als er sich zu ihr umdrehte und schwer atmete, darauf wartete, in welche Richtung sie gehen mussten, wurde sie sehr nervös. Das Blut schoss ihr in den Kopf und sie stammelte:
„Wenn man dich anschaut, könnte man meinen, du bist aus einem historischen Film ausgebrochen, nur dass die Kampfszenen schlimm ausgegangen sind …“ Ottmar sah sie verständnislos an.
„Warum redest du so viel, Frau? Willst du mir helfen oder nicht?“ Claudia verschlug es die Sprache, sie mochte überhaupt nicht, wenn einer so mit ihr sprach.
„Gut, hier entlang!“, sagte sie kurz und ging los. Ihr war nicht klar, wie er ihr folgen konnte, aber Ottmar schien ein zäher Bursche, überhaupt nicht zimperlich zu sein. Sie hielt einen gewissen Sicherheitsabstand zu ihm und gab Acht, keinen zu schnellen Schritt anzuschlagen. Dabei kam ihr die Vorstellung in den Kopf, ein wildes Tier folge ihr und sie sei nicht mehr bei Sinnen, sich von so einem abgefahrenen Typen überhaupt folgen zu lassen. Jeder normale Mensch hätte Reißaus genommen, schon gar als Frau.
Eine Weile verlief der Rückweg gut, bis Claudia bemerkte, dass Ottmar seinen Schritt verlangsamt hatte und kaum noch vorankam. Sie blieb stehen und drehte sich um, gerade in diesem Moment brach er in die Knie zusammen. Claudia eilte zu ihm, holte rasch die Wasserflasche herbei und gab ihm erneut zu Trinken.
„Ich danke dir…“, sagte er mit heiserer Stimme und reichte ihr die Flasche, nachdem er seinen Durst gestillt hatte.
„Wie hast du es nur geschafft, dich in so einen erbärmlichen Zustand zu bringen? Seit Tagen hast du nichts gegessen? Du riechst wie ein Tier, wahrscheinlich hast du dich auch
nicht gewaschen. Wer hat dir das denn angetan?“, bombardierte sie ihn mit Fragen.
„Männer aus Montargis…“
„Montargis? Aber das ist doch bestimmt fünfzig Kilometer weit weg? Was treibt euch hier in den Wald?“
„Mir blieb keine andere Wahl als vor ihnen zu fliehen und im Wald Deckung zu suchen…“
Tag der Veröffentlichung: 15.03.2012
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