Cover

Prolog

Die Hand legte sich beruhigend auf Seine Schulter.
Nur zögernd wendete er seinen Blick ab, von den Geschehnissen, die sich in weiter Entfernung abspielten.
Die Stimme seines Freundes erreichte ihn nur schwer in diesem Moment der völligen Dunkelheit.
„Malak, du kannst dir sicher sein, er geht diesen Weg aus liebe und in der Gewissheit, das Richtige zu tun und nur er kann es vollbringen. Komm du mit mir, für uns gibt es in Zukunft eine wichtige Aufgabe.“
Malak schaute seinem Freund an, nickte ihm zu,
„ja du hast recht, so lass uns gehen und unsere Befehle entgegennehmen.“


Es begann mit einem Sommerurlaub in Kroatien.

Hier wollten sie, gemeinsam mit ihren Freunden ausspannen, Spaß haben, feiern und einfach in den Tag leben.
Wem dann die Idee kam mit diesem verfluchten Segeltörn, Tom konnte sich nicht mehr erinnern- er wollte diese Erinnerung nicht zulassen. Alle sechs waren sie begeistert, malten sich ihr kleines Segelabenteuer aus. Den ersten Urlaubsabend beendeten sie, beschwipst und glücklich mit einem lautem "Sail away …." In der Hotelloby.
Für Tom war der Törn vorbei, bevor er begonnen hatte. Eine Magenverstimmung, mit allen dazugehörigen Zutaten beschränkte seinen Aktionsradius um ein Gebiet, was sich in direkter Nähe zu einer Kloschüssel befand.
"Sail away, you can only … .” Tom grinste und rief Richtung Bad. "Ey Schatz nicht, nicht, bitte nicht das ist krausig schief.“ „Na und, es kommt aber von Herzen." Der Föhn setzte ein, kurz nur, der Föhn verstummte wieder. “Och Tom“, motzte Marion mit ihrer
Schmollstimme, „ohne dich ist echt blöd, komm ich bleib' hier bei dir.“
„Pfft, ist ja auch total romantisch mit mir. Nee nee, du machst mal schön mit, du bist so begeistert gewesen von dem knackigen Skipper und so wie der auf dich gestarrt hat, nein du musst mit.“ Der Haarbürste, die Torpedo mäßig aus dem Bad auf ihn zuschoss, konnte Tom noch ausweichen, gegen den Frontalangriff seiner Frau war dann kein Kraut gewachsen. Wild zappelnd und nach Luft schnappend brachte Tom, unter lautem Gelächter, ein „ Ich ergebe mich Schatz“, von sich. „Keine Gnade!, wart's nur ab was ich mit dir anstelle, bin ich erst wieder zurück, du Schuft." Tom blickte Marion lüstern an. Marions noch feuchtes, dunkles Haar kitzelte ihn im Gesicht, ihre braunen Augen blitzten frech und ihre Zungenspitze strich verlockend über ihre Lippen. Sie saß nackt auf Toms Brust, hielt seine Handgelenke fest und ließ ihr Becken verführerisch kreisen. „Guck nicht so, heute nicht mein Lieber.“ Marion richtete ihren Oberkörper auf, ließ Toms Handgelenke los und nahm sehr provozierend und mit einem Blick, der Tom fast den Verstand kostete, ihre kleinen, festen Brüste in ihre Hände. „Lass mal deine Pfoten wo sie sind, du hast jetzt Pause und auf mich wartet der Skipper.“ Tom verschränkte die Arme hinter dem Kopf, schaute auf zu seiner Frau die sich erhob, über ihm stehend, mit blinkernden Augen, einen Kuss in seine Richtung hauchte und mit wiegenden Hüften wieder im Bad verschwand.
Tom warf seiner schlanken, großgewachsenen Frau, einen schmachtvollen Blick hinterher.
„Ich liebe diese Frau, so sehr.“
Vorsichtig, weil jede schnelle Bewegung ein bedrohliches Kluckern in seine Magengegend auslöste, setzte er sich auf und knurrte mit einem Lächeln untermalt, „In zwei Tagen versohl ich dir deinen kleinen straffen Arsch.“ Grinsend streckte er Marion die Zunge raus. „Aber gerne doch, und werde ja gesund, sonst überlebst du dein Arschversohlen nicht, denn das wird doch dann nicht alles sein, was du im Sinn hast?“ Während sie das sagte, schlüpfte Marion in den Bikini, streifte ihr rotes Top, schlüpft in kurze Jeans, knutschte Tom der, mittlerweile mit angestrengtem Blick auf dem Klo saß, auf die Stirn und verschwand.

Die Ereignisse die dann über Tom hereinbrachen, drückten ihm die Kehle zu, schlugen ihm die Beine unter dem Körper weg, quetschten seinen Brustkorb zusammen und spannten seinen Kopf in eine mächtige Schraubzwinge. Er nahm sein Umfeld, die Menschen die mit ihm sprachen, seine Freunde nur durch einen grauen, dicken Vorhang aus Trauer, ohnmächtiger Wut und Verzweiflung, gepaart mit Angst war.
„Wetteränderung, Sturm und hoher Wellengang, der höllische Wind, Suche eingestellt!“
Marion war Tod!

Fünf Jahre in denen Tom versuchte, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Oh ja, nach außen sah alles gut aus, Haus, guter Job, ein Auto. Tom war wegen seiner Freundlichkeit und seiner Offenheit, den Leuten gegenüber sehr beliebt. Das waren die Wahrheiten, die die Leute sahen. - Tom wollte es so - .

„Marion gab nie auf, niemals, nie resignierte sie vor schwierigen Situationen. Sah immer den Regenbogen nach dem Regen und packte das Leben mit beiden Händen. Oft riss sie mich mit ihrer Begeisterung, munterte mich auf.“
Dieser Gedanke an seine Frau, hielten Tom damals am Leben.
"Lebe Tom, Tom lebe!“

.Die Wohnung, so voll mit Marion, die Straßen die, Menschen mit denen sie lachten. Ihre Freunde mit denen sie soviel geteilt hatten.
Tom fühlte sich unter ständiger Anklage, jeder Gegenstand, jeder Mensch schleuderten ihm die Wahrheit, seine Wahrhheit entgegen, „WO WARST DU? WARUM WARST DU NICHT AN IHRER SEITE? DU HAST SIE NOCH ZU DEM TÖRN GEDRÄNGT!!!“
Immer und immer wieder zermarterte Tom sich sein Hirn. Oft konnte er nichts anderes fühlen und denken. Es waren seine persönlichen Anklagepunkte.
Niemand machte ihm Vorhaltungen.
Sie waren da, die Freunde.
Tom sah bei ihnen keine Schuld an Marions Tod.
Tom ertrug keine Nähe. Er verschloss sein Innerstes damals für immer und unwiederbringlich versenkte er den Schlüssel tief im Dunkel seiner Selbstanklage.
Er musste damals raus aus Hamburg! Weg von einfach allem. Nur an einem anderen Ort, empfand Tom, konnte er seine tiefe Bitterkeit und Verzweiflung überleben.
Woher nur sollte er nur die Kraft nehmen und gab es so einen Ort? Wie diesen Ort ihn finden?

Tom spulte damals seinen Job gewohnt routiniert und professionell ab.
Er liebte seine Arbeit bei einer renommierten Hamburger Bank. Dort war er im Immobiliengeschäft tätig. Sein Beruf gab ihm wenigstens etwas Sicherheit in dem durcheinander seines Lebens. Den Kollegen gab er das was sie sehen wollten, den trauernden Witwer, der trotz des Verlustes, brav funktionierte und wie immer Häuser an gut betuchte Hamburger verkaufte.
In der Bank gab es nur einen Menschen der erkannte, wie es tatsächlich in Tom aussah, der erkannte, in welchem tiefen Loch sich Toms Leben momentan abspielte. Dieser Mensch war es auch der Tom die Tür für einen Ortswechsel öffnete, ja ihm eigentlich keine andere Wahl ließ und ihm dadurch eine neue Lebensperspektive bot.


Drei Monate waren vergangen.
Tom arbeitete wieder.
Der Regen prasselte an diesem Freitagnachmittag unaufhörlich auf Hamburg nieder und zerstörte die Hoffnung der Hanseaten auf einen sonnigen Feierabend. Tom hatte gerade einen Ortstermin abgearbeitet, saß hinter dem Steuer seines Autos, da klingelte sein Handy, riss ihn aus seinen trüben Gedanken. „Hallo Tom, kommen sie bitte sofort in mein Büro, es ist sehr dringend!“ Tom kam nicht einmal dazu seinen Namen zu nennen, geschweige denn, eine Frage zu stellen.
Tom wusste, sofort und dringend in einem Satz seines Chefs ließen nur einen Schluss zu, die Luft war am brennen, Alarmstufe rot.
Angekommen in der Bank, auf das Schlimmste gefasst, ging Tom unverzüglich zu dem Büro seines Vorgesetzten. Wie immer war das Vorzimmer weit offen, aber schon verwaist.
Tom kam nicht zum anklopfen, gedämpft vernahm er, durch die verschlossene Tür, die Stimme seines Chefs.
„Kommen sie schon rein, oder wollen wir durch die geschlossene Tür miteinander reden?“ Tom öffnete mechanisch die Tür, „der Alte hat ja Ohren wie ein Luchs“, dachte Tom und konnte nur mit Mühe ein Grinsen vermeiden. Es wunderte Tom nicht seinen Chef völlig entspannt beim Blumengießen vor zu finden. „Tom setzen sie sich.“ Tom setzte sich auf den Stuhl vor dem riesigen, ausladenden Schreibtisch. Sein Chef stellte die Gießkanne auf die Fensterbank, steuerte einen Stuhl am Konferenztisch an, zog sich den Stuhl ran und saß so direkt vor Tom. „Ich will gleich zur Sache kommen Tom, Tom sie brauchen einen Ortswechsel und zwar schnell. Ihnen fehlt die Kraft diesen Umstand laut auszusprechen, doch ich kenne sie gut. Ich kenne ihre Einstellung zu ihrem Job, der im übrigem ja wohl auch der einzige Fixpunkt in ihrem Leben ist. Leute wie sie braucht unsere Bank Tom.“ Tom verstand nicht auf was sein Chef genau hinaus wollte, hob an etwas zu sagen, mit einer eindeutigen Geste wurde die Frage im Keim erstickt. „Nein Tom, keine Fragen, hören sie weiter zu.“
Sein Chef beugte sich zu Tom.
„Bitte, Es gibt in meinem Heimatort in Hessen eine kleine Bankfiliale unseres Hauses. Der Filialleiter dort, ein guter Freund von mir, ist vor einigen Wochen schwer erkrankt und geht aus diesem Grund vorzeitig in den Ruhestand. Um es kurz zu machen, Tom sie werden, ab kommenden Montag, dort in Giesslingsried, die Filialleitung übernehmen. Alle Formalitäten sind geklärt, ihre Bezüge bleiben selbstverständlich bestehen. Für ihre Wohnung hier dürfte es wohl kaum schwierig sein einen Käufer zu finden und dort, in Giesslingsried wohnen sie im alten Forsthaus, es ist im Besitz unserer Bank und steht ihnen quasi als Dienstwohnung zur Verfügung.“ Sein Chef deutete auf einen Briefumschlag der auf seinem Schreibtisch lag.
„ Hier sind ihre Hausschlüssel und die Adresse, die Filiale können sie nicht verfehlen, sie liegt direkt am Ortseingang nach Giesslingsried. Und jetzt Tom, sie wissen was zu tun ist, ordnen sie ihr inneres Chaos, ergreifen sie diese Chance!“
Toms Chef erhob sich streckte Tom die Hand entgegen, “ich wünsche ihnen, dass sie frieden finden Tom.“

Mit trockenem Mund und wie benommen stand Tom auf, erwiderte den Handschlag und ging. Wie in Trance und grußlos, keinen Blick für die wenigen Kollegen die sich noch an ihrem Arbeitsplatz befanden, verließ Tom die Bank, stieg in seinen Wagen und steuerte auf seine Wohnung zu. Den vertrauten Weg fahrend, wurde Tom klar, -ja er konnte diesen Weg gehen und er wollte es auch-. Es war seltsam, das Gespräch hatte ihn zwar unvermittelt getroffen, „aber ja“, dachte Tom, „will ich überleben, muss ich gehen.“
Es war, vorsichtig ausgedrückt, ein dreistes Einmischen in sein Leben, nur hätte er denn auf eine andere Art auf irgendjemanden gehört, einem anderen Menschen überhaupt auch nur zugehört?
Tom wusste, nur so war es möglich ihn zu erreichen und auch nur von diesem Mann.
Tom stoppte den Wagen vor seiner Wohnung. -Wozu zurück? Dorthin wo er sich nicht mehr wohl fühlte, nein wenn, dann sofort aufbrechen und dies hier hinter sich lassen-.

Giesslingsried empfing nicht sehr freundlich.
Der Himmel war, früh morgens, Wolken verhangen, auf den kleinen verwinkelten Gassen des Ortes bildete, das in schmalen Rinnsalen zusammenlaufende Regenwasser, des letzten Gewitterregens, kleine Wasserpfützen. Die Häuser wirkten grau und farblos. Tom nahm die Szenerie nur wie durch einen milchigen Schleier wahr. Übermüdet und abgeschlagen durch die Fahrt und die wenigen Stunden Schlaf in einem billigen Hotel irgendwo auf der Strecke, kannte Tom im Moment nur ein Bedürfnis, ankommen, egal wo, nur ankommen und Ruhe finden, hämmerte es in seinem Schädel.
Durch den Ort führte nur eine schmale Straße und so landete Tom unweigerlich vor dem kleinen Bäckerladen in der Dorfmitte. Trotz des frühen Morgens war Die Schaufensterscheibe hell erleuchtet. Tom steuerte seinen Wagen auf den einzigen Stellplatz vor dem Laden. Angeregtes Gemurmel drang nach außen. Tom öffnete die Ladentür, trat ein und wurde augenblicklich von drei Augenpaaren angestarrt. Er räusperte sich: “Ähm, guten Morgen. Ich hätte eine Frage und sie können mir bestimmt weiterhelfen."
Die Augen richteten sich immer noch auf ihn und es zeichnete sie keine Regung in den drei Gesichtern ab.
„Also ich suche die Waldaue.24.“
Die Frau, eine sehr energisch wirkende dralle Person, die hinter dem kleinen, mit lecker aussehendem Kuchen bestückten, Verkaufstresen stand, rang sich ein breites Lächeln ab, „Na immer die Straße weiter dann rechts und wieder gerade bis zur zweiten Abbiege, da den Hügel hoch sehen sie dann schon das alte Forsthaus.“
„Gelle Wilm“, Sie richtete sich wieder den beiden Alten zu. „Lernst'e ja gleich den Neuen Förster kennen“, kicherte sie.
Wilm brummte. “Förster wäre ja schön! Komm Manne, die Brötchen hon mer, Irmel machs gut.“ Die beiden nickten kurz zu Tom, verließen den Laden und zockelten langsam die Straße entlang.
Irmel schüttelte mit dem Kopf, lächelte Tom aufmunternd zu, „herzlich willkommen und lassen sie sich nicht von den Beiden einschüchtern, die tun nur so, eigentlich sind die Zwei friedlich. Die können sich nur nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass es jetzt hier keinen Förster mehr gibt und ein Geldheini im Forsthaus wohnt, hat nichts mit ihnen als Person zu tun, nur mit dem Stolz der Giesslingsrieder. Hier gab es immer einen Förster. Nur, durch die Forstreform sitzt der nun halt in der Kreisstadt und das ist für die Alteingessesenen ein Skandal. Ja, ja Giesslingsried und der Wald, das werden sie schon noch selber merken.“ Während Irmel redete, packte sie zwei Kuchenstücke auf eine Pappe.
„So, hier für sie und nun sagen sie endlich ihren Namen und machen nicht so ein Gesicht, hier weiß jeder, dass wir einen neuen Bankheini bekommen der im alten Forsthaus wohnen wird.“ Irmel streckte Tom die Hand entgegen. „Ich bin die Irmel.“ Tom schlug in die Hand ein. „Ja schön und danke für den Kuchen. Tom, ich bin der Tom. Sieht lecker aus.“ Irmel lachte aus vollem Hals: „ Das ist ja mal ein guter Anfang Tom, lecker hat mich hier noch keiner genannt, hab' ich nix dagegen, danke schön.“ Tom musste auch lachen.
Es war ein gutes Gefühl endlich mal wieder zu lachen, nett zu quatschen und zu flirten. „Ja, lecker Frau und lecker Kuchen.“
Irmel prustete los, schüttelte sich vor lachen.
„Oh jeh, da musst du mal meinen Mann fragen ob der mich noch lecker findet. So, nu' mach dich mal auf in dein neues Heim. Hier kommt gleich ganz Giesslingsried angetrabt und bestimmt hast du keine Lust von denen gleich heute Morgen in die Mangel genommen zu werden.“
Tom verabschiedete sich rasch, denn das wollte er nun auf keinen Fall.
Der Weg war leicht zu finden und nach der zweiten Kreuzung,tauchte das alte Forsthaus auf, etwa dreihundert Meter, von dem nächsten Haus entfernt, den kleinen Hügel hoch, am Waldrand liegend. Am Haus angekommen stellter seinen Wagen in die kleine Einfahrt, atmete tief durch,
-hier also-, Tom konnte den Gedanken nicht weiterdenken, die Erinnerungen an Marion übermannten ihn.
Mit ihr hatte er das letzte Mal so gelacht wie eben in dem Laden und es war falsch so wie es ist, Marion du gehörst doch hierher an meine Seite. Tom wurde von seiner Trauer gepackt, es schüttelte ihm am ganzen Körper, die Verzweiflung und Einsamkeit brachen wie riesige Wellen über ihm zusammen, kalter Schweiß benetzte seinen ganzen Körper, hilflos ließ er seinen Kopf auf das Lenkrad knallen. Die Bilder wirbelten in seinem Kopf wild durcheinander.
Er versuchte die Hand zu erreichen, die sich aus der aufgepeitschten See, nach ihm ausstreckte. Es zeriss ihn förmlich, nur, mehr als eine leichte Berührung der Fingerspitzen gelang ihm nicht. Viel zu wenig um fest zugreifen zu können.
Die Müdigkeit und die bleierne Schwere breiteten sich urplötzlich in Tom aus.
Ein lautes Pochen riss ihn aus seiner Starre.
„Hey, geht’s ihnen nicht gut? Kann ich helfen?“
Wieder wurde an die beschlagene Seitenscheibe geklopft. „Mann, antworten sie endlich, das ist jetzt nicht wahr, sitzt in der blöden Karre und rührt sich nicht!“
Tom ließ die Scheibe runter und blickte direkt in ein grüngraues, wild funkelndes Augenpaar. „Mir geht’s gut, ich wohne hier.“
„Ja im Auto oder was? Vor zwei Stunden bin ich schon mal hier vorbei gefahren, da saßen sie, schon so, mit ihrem Kopf auf dem Lenkrad, hier in ihrer Karre, jetzt komm' ich zurück und sie hängen immer noch hier rum. Entweder wartet dort drinnen im Haus jemand sehr böses auf sie, oder sie sind total stoned oder voll wie ein Ofen.“
Das Gesicht verschwand aus Toms Blickfeld. Tom glaubte kaum, was er sah. Er hatte gerade in das schönste Gesicht geblickt, das er sich hier auf dieser Welt vorstellen konnte. Doch leider verschwand es aus seinem Blickfeld. Die Frau machte einen Schritt nach hinten, Tom erwiderte beim Aussteigen, „ Nein, nicht voll, einfach nur eingeschlafen, ich hab' 'nen weiten Weg hinter mir.“ murmelte Tom, „ich wohne jetzt hier.“
Mitten in seiner Bewegung erstarrte Tom, ein bedrohliches, tiefes Knurren war ganz deutlich zu hören, sehr nah! Schräg neben der Frau stand ein riesiger Schwarzbrauner Hund mit gefletschten Zähnen. Sein zotteliges Fell stand in alle Richtungen ab und er machte den Eindruck, dass er nur auf ein Zeichen wartete um seinem Gegenüber an die Gurgel zu springen. Scheinbar bremste ihn nur die Hand seiner "Chefin", die sein Halsband fest Hielt. „Ich bin echt total durchgeknallt, da steht dieser riesige Köder vor mir und ich glotze, wie ein Idiot, die Frau an-. Dieser Anblick war es auch wert von einer Bestie zerfleischt zu werden. Blonde, ein wenig rötlich schimmernde Haare, grob zu einem mittellangem Pferdeschwanz gebunden, geschwungene Augenbrauen und diese Augen, die jetzt amüsiert zu Tom blickten, ihre Nase war gerade, Tom lächelte, -bestimmt fand sie ihre Nase viel zu lang-, markant hervortretende Wangenknochen, ein festes Kinn.
Um ihren Mund spielten kleine Grübchen, die ihr lächeln einfach bezaubernd untermalten. Das ganze Gesicht war mit Matschspritzern gesprenkelt und auch der restliche Teil Frau, der in einer Regenjacke und kurzen, schwarzen Radhosen steckte, war so dekoriert. Die langen, sportlich geformten Beine, Tom ließ seinen Blick genüsslich an ihr herabwandern, waren klatschnass und noch dreckiger als der Rest dieser wunderbaren Erscheinung. Die ganze Person strahlte Elan aus.
„Fertig mit der Beschau?“
„Ja äh, ich, tut mir leid, ich wollt sie nicht erschrecken.“
„Erschrecken? Wie willst du mich denn in deinem Zustand erschrecken, du siehst aus wie von einem Bus gestreift und dann durch den Fleischwolf gedreht
und wenn du, anstatt mich anzugaffen, mal auf Mogli, sie nickte Richtung knurrendem Hund,
„geguckt hättest,“ Johanna lachte innerlich, „tja da ist wohl nicht viel mit erschrecken für dich drin.“
„Entschuldige, also ich bin Tom und wohne wirklich, ja ab jetzt hier, ich bin einfach nur kaputt, es war ziemlich spontan das …." Tom hob entschuldigend die Schultern, „ich wollte dir keine Mühe machen und vor dem Hund habe ich keine Angst, schließlich hältst du ihn ja fest.“
Der riesige Hund hatte sich in der Zwischenzeit gesetzt und lehnte seinen massigen Körper an die Beine seiner Besitzerin. „Soso, vielleicht bin ich ja auch die Gefahr hier für dich,“ Johanna feixte Tom frech und herausfordernd an.
„Johanna.“ Wir sind jetzt Nachbarn, ich wohne dort im nächsten Haus, bist eben dran vorbei gefahren.“ Johanna genoss die Situation, sie wusste ja schon länger von Tom.
Gut nicht das er mal ihr Nachbar werden würde, das hatte sie erst gestern morgen erfahren. Neu war auch, dass der Kerl aus Hamburg so wahnsinnig gut aussah und einfach nicht in ihr Bild eines Bankfuzzis passte.
Groß war e r, sehr groß fand sie ihn. -Ich reich' ihm ja mal knapp ans Kinn- .Blonde Haare, die wirr in von seinem Kopf abstanden, ausdruckstarkes Gesicht mit wahnsinnig blauen Augen, breite Schultern die Joh förmlich zum rankuscheln einluden, kräftige Arme, breiter Brustkorb, lange Beine.
Sie sah auch die Trauer die sich in Toms Gesicht widerspiegelte, den Kummer in seinen Augen. Joh kannte den Grund seiner Trauer.
Jetzt in dem Moment des Kennenlernens beschloss sie ihm nichts von ihrem Wissen über ihn zu sagen. Es hätte ihn sicherlich nur noch mehr verwirrt.
Sie standen sich lange unschlüssig gegenüber, beide empfanden es nicht als unangenehm. Mogli hatte sich mittlerweile neben Johanna fallen lassen und lag nun dort, alle Viere von sich streckend in der Sonne. Für ihn war die Situation geklärt, seine Chefin signalisierte ihm, keine Gefahr, der Typ ist mir sehr sympathisch.

„Nein sie wollte nicht zulassen was mit ihr geschah, „nein diese Gefühle gehen jetzt mal gar nicht, ich bin eh bald weg hier und … -. Ihre wilden und verrückten Gedanken wurden von Toms Stimme unterbrochen.
„ Also wie soll ich Sie denn nun nennen?“
„Das war doch völlig unmöglich! Ich seh' den Kerl zum ersten mal und bing, schießt der mir alle Lichter aus. Ich muss hier weg sonst zappel' ich gleich wie der Wurm an seinem Haken oder noch Schlimmer, ich fall über ihn her, oh nee Joh nu' reis dich zusammen. Hau einfach ab sonst wird’s echt kompliziert.“
„Nenn mich Joh, und ich geh, ich mein ich fahr jetzt und
tschau.“ Hastig schnappte sie sich ihr Mountainbike, sprang auf und war um die nächste Wegbiegung verschwunden. „Na das war ja mal ein Auftritt und ihren Mogli lässt sie einfach hier liegen. Wenn das hier so weiter geht, drehe ich echt noch durch.“
Tom ging in die Hocke, streichelte versonnen durch das nasse Hundefell. Wohlig rekelte sich Mogli, schielte mit einem Auge in Richtung Tom und streckt seinen eh schon imposanten Körper unter den Streicheleinheiten des Fremden. Von weit her ertönte ein greller Pfiff der Tom aufblicken ließ, Mogli aber keine Reaktion entlockte. Noch ein Pfiff diesmal schon Näher, immerhin wackelte Mogli jetz mit einem Ohr.
Unfassbar, was sie da sah, lag ihr Hund doch in aller Seelenruhe in der Sonne, machte nicht mal den Ansatz nach Hause zu kommen und genoss Toms Streicheleinheiten. „Obwohl kein Wunder, ich würde ja auch still halten. Oh es hatte sie echt voll erwischt.“ Beide, Hund wie Kerl blinzelten ihr versonnen entgegen. „Na, wolltest du deinen Hund doch nicht
Aussetzen, oder ist dir an mir was entgangen?“
Joh entwich die Luft wie nach einem Volltreffer in die Magengegend, Ihr Gesicht brannte „Ich leuchte wie ein Feuermelder!“
„Ach weißt du, der Hund ist mir egal und was der so frisst, wollte dich einfach einladen für kommenden Samstag, bring deinen Hund einfach mit.“ Joh wendete ihr Rad und verschwand. „War sie denn jetzt total irre?“ Nächstes Wochenende musste sie weg und zwar für immer! Es stand schon seit Monaten fest, daß sie für ihren Arbeitgeber nach Kanada geht, dort wartete das Projekt ihres Lebens. Was machte sie hier nur? Auf einen Schlag schienen ihr alle Sicherungen durchzubrennen. Ihr wie konnte ihr das nur passieren? Ihr, der ach so vernünftigen Joh.
Mogli richtete sich umständlich auf, schüttelte sich kräftig und trottete langsam und gemächlich hinter Joh her, die schon längst nicht mehr zu sehen war.


Erst jetzt registrierte Tom sein neues Heim. Ein kleines, aus rotem Backstein gebautes Haus, daneben ein Holzschuppen. Zwischen den beiden Gebäuden lag ein, mit groben Sandsteinen, gepflasterter Hof. Umrahmt wurde das kleine Anwesen von einer wild wucherten
Buchenhecke, die auch den Garten hinter dem einstöckigen Haus mit einfasste, der im wesentlichem aus alten Obstbäumen und einer Wiese bestand. Ein ehemaliges Gemüsebeet wurde erfolgreich von Disteln, Brennnesseln und anderem Kraut erobert.
Tom Schloss die Tür zu dem Haus auf und war überrascht, das ihm nicht der typische, muffige Geruch empfing, den er erwartete. Die Wohnung zeigte sich schlicht und einfach möbliert. Klar strukturiert. Für Tom war es so genau richtig. Hier gab es keinen Gegenstand, auch kein Möbelstück, das ihn an Marion erinnerte.
Langsam ging er durch seine neue Wohnung.
„Seltsam, wirklich fremd fühle ich mich hier nicht.“ Das Haus nahm ihn mit offenen Armen auf, empfand Tom.

Tom lebte sich erstaunlich gut in seiner neuen Heimat ein, seine kleine Bankfiliale wuchs ihm ans Herz, genauso seine zwei Kollegen. Unter seinen Kunden war so manches schrullige Original und Giesslingsrieder Urgestein, die den „Hamburger“ schnell in ihre Herzen schlossen.
Irmel, die Bäckersfrau und ihr Mann Georg wurden im Lauf der Zeit zu Freunden, ihre beiden Jungs kümmerten sich, gegen Bezahlung, „schließlich hat der ja Geld“, so dachten die Jungs, um den Garten am Forsthaus. Tom fand hier was er brauchte, Ruhe und Abgeschiedenheit. Sein Haus lag weit genug vom Dorf entfernt, sodaß der Dorftratsch ihn nicht erreichte.
Schon bald nach seiner Ankunft damals verschwanden die entsetzlichen Alpträume und Tom empfand diesen Umstand wie das Aufblühen der Natur nach einem langen, frostigen Winter.
Es keimte Lebensfreude in ihm, Tom freute sich wieder an kleinen Dingen, die er bis vor kurzem nicht einmal sah.
Die Natur die ihn hier umgab, der riesige Wald, der gleich an seinem Grundstück anschloss, wurde zu seinem zweiten Wohnzimmer. Hier war er oft unterwegs, joggte stundenlang, erkundete die Gegend auf ausgedehnten Radtouren und kannte bald jede Ecke des Waldes.

Doch eins blieb in den Jahren nach Marions Tod bestehen, riss die alten Wunden auf, stürzte ihn zurück in sein dunkles Jammertal aus Ohnmacht, den unmenschlichen Selbstvorwürfen die ihn quälten.
Es fing immer gleich an. Der Sommer rückte näher und damit auch Toms Marter.
Sobald der Kalender den ersten Juni anzeigte, schlichen sich die Alpträume und die wachsende Unruhe in Toms Nächte und raubten ihm den Schlaf. Der Strudel aus Ohnmacht, Bitterkeit, mit den immer gleichen Selbstvorwürfen, nahm zu und erreichte am Todestag Marions, seine größte Kraft und drohte Tom für immer in die Dunkelheit und tiefe Verzweiflung zu ziehen.
Er mobilisierte seine ganze Kraft, um weiterhin, den Leuten den Tom zu
Präsentieren, den er in ihren Augen darstellen wollte. Umso erstaunlicher war es für ihn, zu spüren, wie mit fortschreitendem Sommer seine Ängste nachließen und er allmählich festen Boden unter seinen Füßen spürte und er Schritt für Schritt, in seine, Normalität zurück fand.

Es war wieder Sommersonnenwende.
Tom hatte eine schreckliche Nacht hinter sich. In seiner Hilflosigkeit, um den grausamen Bildern zu entkommen war er, wie schon öfters, Nachts durch den Wald gehetzt. Er musste, es trieb Tom regelrecht, seinen Körper total zu verausgaben.
Sein Puls hämmerte in seinem Schädel, der Atem brannte in seinen Lungen.
„Weiter Tom, schneller.“
Äste peitschten seinen Körper und klatschten ihm ins Gesicht, er stolperte über Wurzeln, rappelte sich auf und lief weiter bis er vor Erschöpfung zusammenbrach.
Er war wieder zu Hause.
„Wie?“ Tom Hatte keinen blassen Schimmer, ihm war es auch gleichgültig.

Ein greller Pfiff riss ihn aus seiner Grübelei. Dem Pfiff folgte lautes Bellen und etwas dunkles, wuseliges schoss durch die offene Hofeinfahrt direkt über den Hof, kam mit einem dumpfen Krachen vor seiner Haustür zum stoppen, hier verwandelte sich der Hund in ein zusammengerollten Fellbündel.
„Du Mistvieh, war ja klar das du bei Tom um Hilfe bettelst.“
Tom öffnete das Küchenfenster. „Morgen Joh, alles klar bei dir?“ Tom konnte sich ein freches Grinsen nicht verdrücken. Zornig funkelte Joh ihn an.
„Halt du noch zu ihm, der wäre heute Nacht fast erschossen worden, büchst aus und streunt Nachts durch den Wald, gut das Wilm heute morgen auf dem Hochsitz am Hohlweg saß und Mogli erkannte. Der neue Jagdpächter hätte nämlich den Finger krumm gemacht und nicht bei mir angerufen wie Wilm.“
Joh war richtig wütend, zwei kleine Steilfalten zwischen ihren wütend blitzenden Augen traten deutlich zum Vorschein, ein sicheres Zeichen das ihre Stimmung der einer in die Enge getriebener Raubkatze glich.“ Und du bist auch nicht besser! Demnächst könnt ihr ja zusammen auf eure nächtlichen Streifzüge gehen!“
„Woher, wie?
Joh was machst du eigentlich hier? Wolltest du nicht drüben in Kanada bei deinen geliebten Wölfen sein? Sonst tauchst du doch auch erst spät im August wieder auf.“
Joh arbeitete als Biologin im Auftrag der zoologischen Gesellschaft Frankfurt mit einem Forscherteam oft in Kanada. .So jedenfalls verstand Tom Johs Arbeit, Genaueres wusste er nicht. Joh hielt sich da sehr bedeckt. Tom sah oft die Aufnahmen und Bilder die Joh von ihren Reisen mitbrachte, das reichte ihm völlig aus.
„Dieses Jahr bin ich schon früher zurück, hier gibt’s ja auch genug zutun Tom, bin gestern Abend erst in Frankfurt gelandet, dann den Zottel bei meiner Schwester in Gießen
Abgeholt.“ Joh deutete auf Mogli der sich todstellte. „Ich bin von Gießen aus gleich hergefahren, wollte schlafen, na ja bis Karl anrief. Nun steh’ ich hier vor deiner Tür und hole den Schlawiner ab.“
Mogli versuchte jetzt unter der Türritze zu verschwinden.
„Na dann lass’ dich nicht aufhalten und sehen wir uns die Tage denn mal?“ Johs Gesichtsausdruck änderte sich, die Zornesfalten verschwanden, ihr Blick wurde sanft.
„Tom heute Abend um sieben bei mir. Und Tom lass es einfach, sag es nicht ,,ich weiß selber wie oft ich dich schon versetzt habe.“ „Oh ja das wusste Tom nur zu genau, mit dieser Frau eine Verabredung zu haben war die eine Sache, ob Joh die Verabredung einhielt, stand auf einem anderen Blatt. Nicht das sie Tom einfach versetzte, nein Joh meldete sich immer ab, trotzdem machte ihre Unstetigkeit die Freundschaft nicht unbedingt einfacher. Toms Gedanken schweiften zu Johs erster Einladung die sie auch, kurz nach ihrem damaligen Abgang wieder zurücknahm und einfach für zwei Monate verschwand.
„Joh ich kann nicht, ich hab’noch Arbeit, ich.“
Joh fiel ihm ins Wort. „ Tom du bist ein schlechter Lügner! Du musst! ich bitte dich darum, es ist echt sehr wichtig. Bitte!“
Mit Schmollmund und leicht gesenktem kopf, blinkerte sie Tom an. „Ach, mein liebster Bankfuzzi.“
Joh nickte nur leicht mit dem Kopf zu Mogli, der sprang entgegen seiner Gewohnheit sofort auf und war prompt an Johs Seite. Im rückwärts gehen, mit einem spitzbübischem Lächeln im Gesicht. „Ähem, heute Abend, also Tom, nicht das mir nicht gefällt was ich sehe, na du kennst ja die Leute.“ Johs Lächeln wurde immer breiter, „oder du willst wieder mal Mittelpunkt des Dorftratsches sein?“ Sie schüttelte sich vor Lachen. „Nu’ guck doch nicht
So, du machst mich echt ganz wuschig.“
Tom schielte nach unten, blickte wieder nach oben und entgegnete feixend, „das dich der Dorftratsch interessiert ist ja ganz was Neues.“
Joh musste gehen, sie konnte sonst für nichts mehr garantieren .Wie Tom dort stand löste Gefühle aus die sie jetzt echt nicht brauchte. So gerne wollte sie Tom trösten ihn halten und spüren, Joh sehnte sich nach mehr Nähe zu Tom, sie war verrückt nach Tom, es fiel ihr immer schwerer ihre Liebe und ihr Verlangen unter Kontrolle zuhalten.
„Nun, heute Nacht sollte ihr Warten enden, So oder so, es war ihre und Toms Schicksalsnacht.

Tom schloss das Fenster.
„Wie macht sie das?“ Er ging zur Kaffeemaschine um sich den dritten Kaffe einzugießen, “zieht um die halbe Welt, steht mit ihrem Riesenhund vor meiner Tür, und reist mich, einfach mal so, aus meiner Bitterkeit. „Joh ist manchmal ein Orkan der durcheinander wirbelt und manchmal wie eine ruhige Brise die meine Seele streichelt.“
Tom Im Laufe der letzten Jahre entwickelte sich eine tiefe, innige Freundschaft. Joh erzählte Tom viel über Giesslingsried und die Leute hier, gemeinsam waren sie oft in den Wäldern unterwegs, beide liebten sie die Natur,
quatschten über so ziemlich alles, amüsierten sich über Gerüchte die über sie in Giesslingsried kursierten.
Für die Giesslingsrieder galten sie als Paar. Es schien für die Leute sonnenklar mit den beiden und nur eine Frage der Zeit, wann die Hochzeitsglocken endlich läuten würden Joh und Tom teilten vieles.
Tom nahm Mogli oft bei sich auf, war Joh beruflich für einige Tage unterwegs. Gerne kümmerte er sich dann auch um Johs Garten. Hier war kümmern eigentlich zu viel gesagt, denn in dem Garten herrschte ein „gesundes Chaos“, so jedenfalls bezeichnete Joh den Garten.
Johs Garten umrahmte ihr Haus. Ein schmaler, Pflasterweg führte, durch ein
üppig, buntes Staudenbeet, von der Straße zur Eingangstür zweigte hier ab, reichte bis hinter das Haus und ging dort in locker angeordnete Steinplatten über. Folgte man diesen Platten, führte der Weg zu der Bank unter dem alten Kirschbaum. Von hier sah man den ganzen Garten, der auf Tom eine freundliche, friedliche Atmosphäre ausstrahlte. Die
Düfte, Farben und Formen der vielen Pflanzen nahmen Tom förmlich gefangen. Geordnetes Chaos, genau wie Joh, voller Leben, harmonisch. Facettenreich.
.Beiden war klar, dass es Lebensbereiche gab, die sie nicht miteinander teilen wollten oder konnten. Seltsamerweise belastete das ihre Freundschaft nicht, sie hatten einen Weg gefunden damit umzugehen, so dachte Tom.
„ Nein, du weißt ganz genau das du dich belügst du bist feige und willst deine Liebe zu Joh nicht über deine anderen Gefühle siegen lassen, Tom du hast Angst diese Frau auch noch zu verlieren und weißt, dass das dein Ende wäre.“
Die dampfende Tasse in Händen, sah Tom Johannas Bild vor sich. Das Bild dieser Frau die er doch so sehr liebte. Ihre grüngrauen Augen faszinierten ihn von Anfang an. Tom liebte
Johs, manchmal auch sehr dreckiges ,Lachen. Die Grübchen, wenn Joh lächelte. Ihre Nase, Tom schmunzelte, er hatte Johs Worte über ihre Nase im Ohr. „Das ist keine Nase sondern ein Zinken.“ Nase war einfach kein gutes Stichwort in Johs Gegenwart.
„Joh ist der einzige Mensch der keine Antworten über meine Vergangenheit fordert und doch mehr von mir kennt als sonst jemand. Was Joh wohl in mir sieht?
Was bedeutet ihre Einladung, ihr Flehen, ja Angst, das ich nicht komme?“
Der Gedanke, das Joh ihm heute Abend ihre Liebe zu ihm … .Nein Joh,
das darf nicht sein. Ich könnte nicht!“
Zornig fegte Tom die Tasse vom Tisch. „Verdammt noch mal, warum jetzt, heute! Ich kann nicht lieben, kann Joh niemals geben was sie verdient.“
Tom hielt es nicht mehr auf seinem Stuhl, er sprang auf, tigerte hilflos durch seine
Küche. „Ich fühle nur noch Chaos, gibt es denn keinen Ausweg ohne das ich jemanden in mein Schlamassel mit reinzieh?“
Tom sank auf den Boden, sammelte die Scherben, die in der ganzen Küche verstreut lagen, mit seinen bloßen Händen auf. Die Schnitte die er sich zuzog,
das Blut in seinen verletzten Handflächen erschinen ihm so unwichtig. Wie von einem weitentfernt stehenden Turm starrte er seine Hände an.
„Schnell, ganz schnell wäre Schluss!“
Dieser Gedanke gab Tom den Rest. Wimmernd wälzte er sich auf dem kalten Fußboden, rollte sich hilflos zusammen.
„Lass mich doch endlich los!“
„Marion, Johanna! Ich bin Schuld!“ Tom versank in seinem Schmerz unfähig klar denken oder handeln zu können.
Ein mächtiger Donnerschlag riss ihn aus seiner Ohmacht. Das Sommergewitter ging so schnell wie es gekommen war. Nach weiteren drei oder vielleicht auch vier Schlägen und einem kurzem Regenguss zog es weiter. Toms Kopf fühlte sich an, wie in einen Schraubstock gespannt, er schwitzte am ganzen Körper und sein Herz raste. Mit steifen Bewegungen schleppte er sich in Bad, seine Handflächen brannten wie Feuer.
Tom schaute in den Spiegel, „du bist ein Wrack Tom, aber aufgeben, nein, stell dich
endlich!“ Mit diesen Gedanken beschäftigt, stand Tom unter der Dusche.
Die Entscheidung stand für ihn fest,
Joh sollte heute Abend erfahren was er für ein kaputter Typ sich hinter der Maske versteckte.
Das Herz schlug Tom bis zum Hals und der kurze Weg zu Johs Haus war schnell zurückgelegt.
Tom stand wie ein Schuljunge, der dem Direktor beichten musste, seiner Lehrerin mit dem Lineal auf deren ausladendes Hinterteil geklopft zu haben, vor Johs Haus.
„Ey, jetzt reis dich zusammen…“ Tom blieb keine Zeit mehr, Mogli kam auf ihn zugesaust und führte sein übliches Begrüßungsritual durch. Bellend, winselnd, wie ein Gummiball sprang er vor Tom hin und her. „Na, hast den morgen ja überlebt.“ Mogli stürmte vor Tom her, Richtung Hintereingang und war verschwunden bevor Tom auch nur um die Hausecke
bog. „Oh nicht gut Mogli.“ Tom wusste was Mogli blühte, wagte er es
ohne Erlaubnis ins Haus zu gehen. „Braver Hund“, Mogli war doch nicht in Johs heilige Hallen eingedrungen, sondern lag unter der struppigen Eibe, die sich langsam dran machte die kleine Terrasse zu erobern. „Wie oft war er hier schon einfach rein gegangen und Heute?“
Moglis hinterhältiger Angriff nahm ihm die Entscheidung ab. mit einem mächtigen Satz sprang Mogli Tom in den Rücken. Die Wucht des Aufpralls ließ Tom Quer durch den Flur jagen und nur wenige Zentimeter vor dem Türblatt der Badtür konnte er seinen Sturzflug abbremsen. Es war typisch für Joh, alle Türen im Haus standen sperrangelweit auf. Tom verharrte mit pochendem Herzen, zwei fetten Pfotenabdrücken auf der Rückseite seines weißen T-Shirts, der Tür vor der Nase in Johs Hausflur.
Mogli zeigte sich sehr begeistert, dass Tom ihn mit ins Haus lies. Aus dem Bad dröhnte das Geräusch eines startenden Düsenjets, die Pilotin schrie der Welt entgegen, singen konnte es unmöglich sein.
„Raise your Glass if you are wrong, raise your Glass.” Plötzlich vollführte Mogli eine wilde Drehung und suchte das Weite. Der Düsenjet hatte eine Haarbürste in Richtung der Hundenase abgeschossen, und
Getroffen. Gleichzeitig setzte das Dröhnen und der Sirenengesang aus, die Tür flog noch weiter auf, dotzte an die Wand. Tom wich, mit einem schnell Satz nach rechts aus, fiel dabei über den flüchtenden Hund und lag wie auf dem Präsentierteller vor Joh. „Mann, ihr Wahnsinnigen!“
Joh schnappte nach Luft, war echt überrascht und erschrocken, gleichzeitig gefiel ihr was sie vor sich sah. Ein Ziehen und Prickeln machte sich wohlig breit in ihrem Bauch.
„Ich hab' fast 'nen Herzinfarkt, ticken die Uhren bei dir anders, oder was?“
Die Gedanken rasten wild in Toms Hirn, nicht nur die Gedanken. „Wieder liege ich auf dem Fußboden, nur diesmal fühlt es sich einfach gut an!“
„Hallo! Erde an Tom, mach mal deinen Mund zu und glotz doch nicht wie ein Dackel.“
Joh griente verschmitzt.
„Sieben Uhr, sagtest du doch.“
„Ja sieben du Hirni, jetzt ist es grade mal sechs Uhr und wenn du mich weiter – So – anschaust“, Joh schob ihre Zähne leicht über ihre Unterlippe, ein Zeichen das sie echt verlegen war, „ach dann weiß ich auch nicht was gleich passiert.“
Tom sortierte seine langen Beine, rappelte sich auf. „Nein Joh, nur ,ähm“, Tom schluckte, „du siehst klasse aus.“
Joh schüttelte den Kopf und lachte, „Ja klar, ich sehe aus wie ein Wischmopp, hab' Creme im Gesicht und mir 'nen Badetuch umgeworfen, klar Tom, sehr
Geil.“ Joh biss sich wieder auf die Lippe.
„ Na ja, mir gefällt's.“
Tom wurde plötzlich von der Erinnerung überfallen und schluckte. Er wollte was sagen, doch Joh legte im einen Finger an die Lippen. „Scht Tom, nicht, es ist gut, ist okay. “ Joh ließ ihren Finger über Toms Wange gleiten. „Die Erinnerung ,ich ….“ „Tom später .“ Johs Worte und die zarte Berührung taten Tom unendlich gut. Seufzend, „Ja später.“
Tief blickte Joh in Toms Augen und lächelnd,
„jetzt hau ab, in den Garten zu deinem Verbündeten ,kannst noch die Blumenkübel gießen und such' schon mal eine Flasche Roten aus ,ich bin dann gleich bei dir.“ Joh verschwand im Bad, der Düsenflieger und Johs "Gesang" setzten wieder ein.
„Wie macht sie das bloß? Bei ihr scheinen die Dinge so klar und einfach. Joh ist nie verletzend oder herablassend, wie macht sie da nur?“
Er ging in den Garten. „Oh, ihr Finger, die Berührung.“ Tom schloss die Augen, „ich muss endlich reinen Tisch machen.“
Es dauerte eine Ewigkeit, so empfand es Tom jedenfalls, die Blumen waren gegossen, der Wein stand geöffnet auf dem kleinen Tisch vor der Bank unter der Kirschbaum, bis Joh aus der Hintertür trat. Tom blieb die Spucke weg, sein Mund wurde trocken, sein Herz machte wilde Sprünge. Joh sah komplett verwandelt aus, so hatte Tom sie noch nie gesehen. Sie trug ein weißes Sommerkleid mit dünnen Trägern, das ihr bis kurz über die Knie reichte. Es betonte ihre wohlgeformten Rundungen, unterstrich die Konturen ihres sportlichen Körpers. „So was trägt Joh doch nie“, schwirrte es Tom durch den Kopf. Ihre Lippen waren dezent rot geschminkt, das Haar leicht gewellt.
Ihre Augen strahlten Tom an. Barfuss ging sie zu Tom.
„Heute ist ein ganz besonderer Tag und eine ganz besondere Nacht für dich und für mich.“
Tom fiel ihr ins Wort, verzweifelt die Hände vors Gesicht schlagend, wimmernd sprudelte es aus Tom. „Es … nein Joh.“
Joh setzte sich neben Tom, ergriff seine Hände. „Lass los und schau' mich an.“ Zögernd ließ Tom seine Hände fallen, er schaute mit unendlich traurigen Augen in Johs, Zärtlichkeit ausstrahlendes, Gesicht. Joh tat es so weh, ihn so leiden zu sehen. Am liebsten hätte sie geweint, aber das ging nicht, es hätte Tom noch mehr fertig gemacht. „Ich liebe ihn so sehr, ich will Tom nicht verlieren, ich will ihn, bitte las ihn verstehen, bitte.“
Sie hielt seine Hände fest. Beiden liefen die Tränen über ihre Wangen und Joh brachte ihre ganze Kraft auf, um zu reden .Mit klarer Stimme und ihren Blick fest auf Tom gerichtet sprach sie.
„Tom, ich weiß sehr viel über dich, mehr als du erahnst.“
Toms Blick wurde fragend, seine Finger umschlossen Johs Hand.
„Nein, du kannst nicht wissen warum ich so fertig bin, du glaubst nur zu wissen was ich mit mir rumschleppe.“
„Da liegst du falsch, aber bitte Tom, lass mich dir erklären hör mir zu und … ach, hör' einfach zu.“ Ihre Stimme zitterte. Joh atmete tief durch. „Ich weiß, daß du vor fünf Jahren deine Frau durch ein schreckliches Unglück verloren hast. Nein Tom, bleib hier, hör mir zu.“
Joh zog Tom zurück auf die Bank.
„Woher?“ flüsterte Tom. Ratlos starrte er Joh in die Augen.
„Versprich mir, mich ausreden zu lassen, bitte Tom es ist so wichtig für uns, für dich, versprech’s mir.“
Stockend und mit krächzender Stimme brachte Tom ein Ja raus.
„Gut.“ Johs Lippen näherten sich Toms Gesicht und sie hauchte,
„Tom ich liebe dich egal was heute Nacht passiert.“
Sie küsste Tom zärtlich, zögernd, dann fest und fordernd. Tom wurde durch seine Empfindungen hin und her gerissen. Kurz war, er unfähig irgendetwas zu tun, doch Johs Kuss hauchte ihm wieder Leben ein, zog ihn ins Hier, es war so unendlich schön und innig, ihre Lippen zu spüren, die Wärme die von Joh ausstrahlte.
Nur schwer konnte Tom sich, nach dem langen und intensiven Kuss, von Johs Lippen lösen. "Erzähl weiter.
„Ja Tom, erst möchte ich noch etwas sehr wichtiges über mich loswerden.“ Joh räusperte sich, dann fuhr mit ruhiger, klarer Stimme fort.“
Das was die Menschen sehen ,was wir begreifen, die Dinge und Vorgänge die sie erforschen und beweisen können, nennen sie real, wirklich und wahr. Das ist aber nicht richtig,es ist nur
Die halbe Wahrheit, ein Bruchteil, ein kleiner Teil des Ganzen um uns rum.
Es tobt ein erbitterter Kampf um uns Menschen. Gut gegen böse, ein harter, erbarmungsloser
Kampf.“
Toms Blick drückte die pure Verständnislosigkeit aus, Joh nickte ihm zu.
„Um unsere Welt wird erbittert gekämpft. Gut gegen böse.
Gut ist daran, dass die Entscheidungsschlacht schon längst vom Guten gewonnen wurde. Die dunklen Mächte haben vor langer Zeit verloren. Ihr Kampf geht nicht mehr um die Herrschaft über die Welt, nein die Niederlage war endgültig, es geht jetzt darum, so viele Menschen wie nur möglich mit in die Dunkelheit und in die Verdammnis zu reisen. Verderben, ja auch Schmerz unter die Menschen zu tragen.
Das ist der Auftrag der Dämonen.
Sie sind gerissen und stark, sie wissen wie sie uns Menschen zum bösen locken und verführen können. Anfangs geben sie sich freundlich, lullen ein und erscheinen positiv und bereichernd. Irgend wann, wenn es zu spät ist, greifen sie zu, schlagen ihre Klauen in das Leben, offenbaren ihr böses Lebens vernichtendes Wesen.
Einsam und nur auf sich gestellt, gibt es kein Entkommen aus ihrer Umklammerung.
Die Gegner der Dämonen sind ebenso starke Wesen, oft werden sie Engel genannt.“
Tom zuckte vor Johs eindringlichen Worten zurück. „Bist du etwa?“
„Nein Tom, ich bin kein Engel.“
Joh schüttelte ihren Kopf. „Tom, ich bin ein Mensch, eine Frau.“
Tom nickte und grinste, „das stimmt.“
Joh fuhr fort. „Engel sind die Freunde der Menschen und ihr Herr ist "Der Löwe Judas".
Tom, die Bilder die du vielleicht im Kopf hast, von Engeln, Tom das sind keine rundlichen Chorknaben mit Flügeln die auf den Wolken abhängen und ab und zu ein Liedchen trällern.“ Joh war die Leidenschaft anzuhören eindringlich sprach sie weiter.
„Engel sind starke Wesen. Sie sind Boten des "Löwen aus Juda", manchmal auch unsere Beschützer und wenn es sein muss, sind sie auch Kämpfer und stehen gegen die Dämonen.
Sie kämpfen für uns, auch um uns Menschen. Im Gegensatz zu den Dämonen stehen sie im Licht. Sie schleichen sich nicht in unser Leben. Wir haben freien Willen und können selbst über unseren Weg entscheiden. Ihr Herr der "Löwe Judas " zwingt keinem Menschen seine Liebe, oder die Hilfe durch seine Engel auf.
Ach Tom, es gäbe noch soviel zu berichten, aber heute Nacht läuft uns die Zeit davon und es muss noch viel geschehen.“
Stille lag über Johs Garten.
Tom war völlig unvorbereitet von Johs Worten, ja auch von ihrem innigem Kuss und dem "ich liebe dich" erwischt worden. Seltsamerweise legte sich im laufe von Johs Ausführungen seine innerliche Unruhe etwas und er konnte sich voll auf Joh konzentrieren. Er war voll auf Joh fixiert und all seine negativen Gedanken und zerstörenden Gefühle konnten sich nicht in den Vordergrund spielen.
„Joh mach weiter, was? red' weiter.“
Joh atmete erleichtert auf. „Gut, du hältst mich ja anscheinend nicht für völlig
Durchgeknallt.“
Sie nippte an ihrem Rotwein, schaute Tom tief, sehr tief und verliebt in die Augen.
„Was du nun von mir hörst, ist nur für dich bestimmt, ein Geheimnis das nur sehr wenigen Menschen bekannt ist.“
Tom erwiderte Johs Blick, schloss die Augen und nickte.
„Erinnere dich an deinen Chef in Hamburg, er ist ein Gesandter ein Überbringer, kein Engel, sondern ein normaler Mensch, genau wie ich.“
Tom schaute auf. „Nein Tom, hör' zu!“
Es fiel Tom so unendlich schwer, diese ganze Situation und Worte, irgendwie
Einzuordnen, seinen Verstand einzustellen. Nur das was sie für ihn bedeutete hielt ihn auf der Bank, machte es Tom möglich nicht durchzudrehen.
„Auch ich bin eine Gesandte und auch mein Herr ist "Der Löwe von Juda".
Viele leben in seiner Liebe, gehen ihren Lebensweg mit ihm. oft werden diese Menschen mit besonderen Gaben beschenkt und meine Gabe ist es, Gesandte in seinem Auftrag zu sein.
Das muss dir jetzt einfach reichen, später rede ich gerne weiter darüber. Zurück zu deinem Chef. Er hat dich schon während deiner Ausbildung im Blick gehabt und auch in sein Herz geschlossen. Er hat dich gefördert und im Laufe der Zeit dir sehr häufig schwierige Geschäfte anvertraut. Du beeindrucktest ihn durch deine Art und Weise, da du, trotz der Geschäfte, immer auch die Menschen im Blick hattest, die von deinen Entscheidungen betroffen waren. „Wenn doch nur alle Bänker mal so denken würden wie Tom.“ Einer seiner Lieblingssätze. Tom berührte Joh leicht am Arm. „Jetzt wird mir so einiges klar, wir hatten sehr offene und ehrliche Gespräche, … .“
Tom sprang auf. „Verdammt woher weißt du das und wo war dein Löwe damals auf dem Boot, deine Engel-Joh!“ Schluchzend sank Tom auf die Bank.
Joh sprach ruhig weiter. „Dein Chef ist mein Vater. Oh Tom, der hat dich echt gerne und ich konnte deinen Namen manchmal echt nicht mehr hören .Tom hier, Tom da .“
Joh knuffte Tom leicht in die Seite.
„Ich fand das Damals keine gute Idee von ihm, dich hierher nach Giesslingsried zu
Versetzen, auch sein Vorgehen fand ich ziemlich daneben. So ist er halt manchmal.“ Joh lächelte versonnen. „ Mir war das eigentlich dann doch egal, da ich ja auf dem Sprung, ganz nach Kanada, war.“
„Warum wolltest du hier ganz weg ?, es ist doch hier wie im Paradies.“
„Ja Tom, so sieht's auf den ersten Blick aus, stimmt, dieses Haus ,der Garten .Ich hab' hier nicht nur gute Zeiten erlebt. Hier vorne auf der Straße starben meine Mutter und mein kleiner Bruder. Es war ein schrecklicher Unfall.
Tom ich kann jetzt und heute nicht darüber
Reden, später gerne bitte frag' jetzt nicht.“
Mit entsetztem Gesichtausdruck. „Warum hast du das nie erwähnt Joh?“
„Weil die Zeit noch nicht da war, dir darüber zu erzählen. Du warst und bist es ja auch noch, so voll mit Selbstzweifeln und Vorwürfen, mit Schuldgefühlen.“

Joh strahlte Tom an.“ Tja mein Vater hatte aber doch recht mit seiner Schwärmerei und mich hatte es voll erwischt. Du bist so krass in mein Leben geplatzt, mich überfallen. Jede Minute mit dir ist für mich was Besonderes. Tom ich liebe dich von ganzem Herzen und mir tut es so
weh, dich so leidend zu sehen. Du hast dich so sehr mit deinen Gefühlen eingekapselt. Es gab keine Möglichkeit für mich dort einzudringen, diese harte Schale aus deiner
Wut, Verzweiflung, Selbsthass zu knacken. Mir ist heute Morgen klar geworden, dass ich nicht länger schweigen darf. Ich habe Angst um dich, Angst dich heute Nacht zu verlieren und unsere Freundschaft zu zerstören.“
Joh weinte leise vor sich hin, „bitte Tom lass dir
Helfen, ich kann es und will es auch, es ist mein größter Wunsch.“
Lange saßen beide so da, eng aneinander geschmiegt hielten sie sich an ihren Händen.
„Joh, was du sagst trifft mich ganz tief innen drin. Die Dinge die du eben, ich meine ich verstehe nicht alles, doch vertraue ich dir. Du bist der einzige Mensch dem ich so etwas glaube und auch mit mir hast du absolut recht. Ich krieg jetzt keinen vernünftigen Satz hin, tut mir leid.“ Tom schniefte. „Mittlerweile ist mir klar, ich komme echt nicht aus dieser, ja Kapsel, so sagtest du eben, dann hilf mir!“
Joh war noch nicht fähig etwas zu sagen. Ihr war klar, sie würde Tom tief in seine Verbitterung und Wut treiben mit dem, was sie vor hatte. Sie wusste aber auch, kein andere Weg kam für Tom in frage. Doch die Entscheidung musste er selber treffen. Den Weg, seinen Weg musste er ganz alleine gehen. Dieser Umstand machte Joh so traurig, sie wusste ja wie es in Tom aussah und was für eine Last seine Gefühle für ihn bedeuteten. In die erneute Stille räusperte sich Tom.
„Joh, Gesandte was bedeutet das und was hat es mit meiner Trauer zu tun?“
„Nun gut, Gesandte sind Menschen, die im Licht und der Wahrheit des Löwen von Juda
leben und eine besondere Gabe empfingen.
Wir sind befähigt, Menschen mit Dingen zu konfrontieren, die sie von anderen Menschen nicht akzeptieren, oder die andere Menschen nicht wagen, auszusprechen und wir sind in der Lage zwischen den Zeiten zu reisen.
Nichts davon können wir aus eigener Kraft tun. Hierbei sind wir Abhängig von einem "Krieger des Lichts.“ Joh lächelte leise, „den Begriff kennst du ja sicherlich.“
Tom nickte zustimmend.
„Das Lied ist ja auch klasse und die Idee auch nicht schlecht, aber gut, ich nenne deshalb, damit es keine Verwechslungen gibt, die Engel einfach Boten.
Dieser Bote überreicht uns Gesandten unseren Auftrag.
Oft sehr oft werden wir nicht angehört und unsere Worte sind für die Leute nichts wert. Wird aber unsere Botschaft gehört, auch beherzigt, dann ändert sich zum Beispiel die Sichtweise, Dinge die verborgen waren, werden sichtbar, Wege und Lösungen zeichnen sich ab.
Tom stockte der Atem.
„Hast du für mich eine Botschaft?“
„Nein, nicht direkt eine Botschaft. Vor dir liegt eine Aufgabe und wenn du sie annimmst, diese Aufgabe.“ Joh stockte.
„Nein ich darf dir nichts sagen, du musst es selber herausfinden.“
Tom schaute in diese Augen die ihn vom ersten Moment an so faszinierten, in das Gesicht der Frau die ihm soviel bedeutete und Tom wurde klar, die er auch lieben konnte, egal was die Nacht bringen würde.
„Erzähle mir über diese Aufgabe.“
Joh nahm Toms Hände. „Tom, ganz gleich wie du dich entscheidest oder was auch kommt, musst du wissen , dass es mir sehr ernst ist und ich dich echt liebe, solltest du nach dieser Nacht nichts mehr mit mir zu tun haben wollen, dann ja, dann bin ich hier weg, verschwinde aus deinem Leben.
Tom sag' jetzt nichts.Geh hoch in mein Arbeitszimmer, dort auf dem Schreibtisch liegt ein aufgeschlagenes Buch. Lies die kurze Geschichte, ein Hinweis auf ein Ort und ein
Geschehnis, dann komme wieder zu mir.“ Schmunzelnd, „und bring mir bitte meine Fleecejacke mit, die hängt an der Garderobe.“
Tom stand auf, still ging er, wie auf Schienen, richtung Haus. Mechanisch stieg er die Treppe nach oben, in Johs Arbeitszimmer, knipste das Licht an.
Auf dem Schreibtisch lag ein kleines Buch. Die aufgeschlagenen Seiten waren überschrieben mit "Der Leichenzug zur Giesslingskirche".
Tom war wie vor den Kopf gestoßen. „Das kann nicht sein.“ Wut machte sich breit. Tom schüttelte den Kopf, hob hilflos die Hände, schaute wieder auf das Buch.
„Leichenzug, Tod und Schmerz“, hämmerte es in seinem Hirn. „Ich begreif nicht, ich… . Aber sagte Joh nicht auch was von freier Entscheidung, dem eigenen Willen. Ja ich will heute Nacht Klarheit und Joh liebt mich und – Vertrauen, ja ich vertraue ihr.“
Mit diesen Gedanken nahm Tom sich das Buch, las diese merkwürdige Sage.
Tom schnappte sich im vorbeigehen die Fleecejacke, ging, das Buch in der anderen Hand wieder zu Joh.
„Danke für die Jacke und jetzt gib mir deine Hände, das Buch brauchst du nicht, leg's einfach weg.“ Tom schnippte das Buch auf den Tisch.
„Joh bitte, was soll das? Ich kann doch nicht hier sitzen und … .“
„Doch Tom genau das kannst du, komm zu mir.“ Tom setzte sich, widerstrebend, und doch froh um Johs Nähe.
Joh hatte sich die Jacke übergezogen und kramte aus einer Tasche eine kleine Dose. „Gib mir mal deine linke Hand.“ Sie nahm sich Toms Hand, behutsam massierte Joh mit leichten, kreisenden Bewegung etwas Creme auf die Schnitte in seiner Handfläche. Tom saß schweigend neben ihr .Er fühlte sich so kraftlos, Johs Berührungen taten ihm so unendlich gut. Fast flüsternd mit belegter Stimme redete Joh.
„Du kennst die kleine Ruine, die "Giesslingskirche" und du kennst auch die steinerne, uralte Sitzgruppe etwas abseits von der Ruine.“
Tom sah den Ort genau vor sich. Oft hatte er dort schon auf der Bank gesessen. Es war sehr schön dort auf der kleinen Waldlichtung, für Tom ein besonderer Ort, an dem er gerne eine Pause einlegte um die Ruhe zu genießen. Die Ruine war nicht sehr spektakulär und zog daher nur wenige Leute an, hier in der Umgebung war die Ruine doch bekannt und öfters auch Treffpunkt für Verliebte, die einen besonderen Ort suchten, für was auch immer. Es ging so manches Gerücht über die kleine Waldlichtung, hier in Giesslingsried, um.
Toms Handfläche grippelte angenehm. Er erschrak fast, als Joh weiterredete.
„Dieser er Ort ist für mich sehr bedeutend und wichtig, hier treffe ich Malak. Er ist ein himmlischer Bote und erteilt mir meine Aufgaben. Malak ist ein Freund, oft auch Beschützer für mich.“
Joh nahm Toms Rechte, fuhr mit ihrer zärtlichen Massage fort und entlockte Tom ein geniesserhaftes, leises. „Mhhm.
Malak ist ein sehr seltsamer Name. Was bedeutet Beschützer kann er seine Botschaften nicht selbst überbringen und braucht dich dafür? Warum dort mitten im Wald?“
„Die Ruine bedeutet mir sehr viel.“ Joh hielt kurz inne, fuhr dann weiter.“ Ich habe diesen Platz gewählt für die Treffen mit Malak. Ich, wir Menschen brauchen besondere Orte ,besondere Tage oder Nächte, es gibt uns Halt und Ordnung, mir geht es jedenfalls so.
Wenn ich dorthin gehe in dieser Nacht, also Mittsommer, dann bin ich ganz Gesandte, stelle mich auf die bevorstehende Aufgabe ein. Tom, das ist meine Art mich vorzubereiten, ich habe das so entschieden auch den Ort und den Zeitpunkt um Malak zu treffen.
Wir Gesandte verlassen einmal im Jahr unsere Zeit, wenn es uns geboten wird. Hier hast du auch den Grund für meine Abwesenheit im Sommer.“
„Ich verstehe, du hast die Ruine gewählt um von diesem Malak,“ Tom betonte jeden Buchstaben des Namens, „eine Botschaft zu empfangen, die dich dann zu Menschen in der Vergangenheit oder Zukunft führt. Mittsommernacht ist der Zeitpunkt, an dem du gehst.“
„Ja Tom genau so.“
„Wann kommst du zurück und was hat das mit der Sage auf sich. Joh? , mir brummt mein Schädel und meine Gedanken, weiß auch nicht, die fahren Achterbahn.“
Joh seufzte und redete mit ruhiger Stimme. „Blende meine Aufgabe aus, heute Nacht geht es um dich, um deinen Schmerz und du musst eine Entscheidung treffen, die sehr eng mit der Ruine zusammenhängt.
Die Sage spricht von einem Leichenzug zur Giesslingskirche, den gab es nie Tom. Dieser Platz hat ist schon lange der Ort an dem wir, die Gesandten, Malak treffen. Es ist seltsam, doch jeder Bote hier aus der Gegend wählt diesen Ort.
Nun zur Sage. Die zwei Knechte in der Sage, die sind echt. Alles spielte sich vor genau einhundertachzig Jahren in dieser Nacht ab. Nur sahen sie keinen Leichenzug sondern Malak der auf der steinernen Bank saß, dort wartete er auf einen Gesandten. Es hätte ja blöd ausgesehen, hätten sie im Dorf erzählt, das sie vor einem friedlichen Mann reis aus genommen hätten.“ Joh lachte leise.“ Die Beiden waren abends im Wirtshaus einen trinken und wussten, erwischte ihr Gutsherr sie, gab es sehr großen Ärger. Es war ihnen nicht erlaubt, während der Heuernte zu trinken.
Doch genau das passierte an dem Abend. Der Gutsherr war fuchsteufelswild, so fanden sich die Zwei auf der Wiese neben der Ruine wieder, anstatt ihren Rausch in ihren Betten auszuschlafen. Ihnen dröhnten mächtig die Schädel, na ja, also legten sie sich ins Gras und pennten ein.
Wie's halt so ist mit dickem Schädel, einer der beiden wurde wach, sahen Malmak auf der Bank sitzen und die Geschichte des Leichenzuges war geboren. Voller Panik rannten beide zurück ins Dorf, schlichen sich in ihre Hütte hier kamen sie langsam zur Besinnung. Ein Ziemliches Schlamassel. Das Werkzeug lag noch auf der Wiese, das Gras nicht gemäht und als Feiglinge wollten sie auch nicht gelten. So erfanden sie die Geschichte des Leichenzuges. Ja wie's so ist mit Geschichten. Frag' mal in Giesslingsried rum, ob jemals irgendjemand in der Mittsommernacht an der Ruine war. Du siehst, einfach der ideale Ort um sich mit Malak zu treffen. Es ist ruhig, weit und breit keine feste Straße. Die Leute meiden den Ort, in dieser Nacht.“
Tom trank einen tiefen Schluck aus seinem noch vollen Glas, stellte das Glas ab und legte seinen Arm um Joh. Sie schmiegte sich an Toms Schulter, streichelte durch sein Haar.
„Du siehst Tom, es gibt viele Dinge, die, wenn man sie mit einem anderen Blickwinkel betrachtet, sich plötzlich völlig verändert Präsentieren. Vertraue mir. Tom, du empfindest deine Gefühle als Trauer, ich sehe darin nur das zerstörerische, das was dich auffrisst.
Trauer ist Schmerz und Leid und auch Chaos, nur darf Trauer nicht leben bestimmend sein. Die Menschen, die wir verloren haben, behalten immer einen Platz in unserem Leben, die Trauer um sie wird immer ein Teil von uns sein.
Trauer soll uns helfen über unseren Verlust hinweg zu kommen und uns nicht tiefer in Verzweiflung, Ängste und Not stürzen.“

„Joh, du dringst so tief in mein Inneres, ich bin so durcheinander, hilf mir, bitte!“
Tom nahm in diesem Augenblick nichts war, außer der Frau die neben ihm saß, die er liebte und vertraute. Johs Worte berührten ihn, auch wenn er vieles nicht verstand, einiges in seinen Augen unwirklich erschien, spürte Tom, die Liebe und Aufrichtigkeit ihrer Worte.
Nach langen Minuten des Schweigens, räusperte Joh sich und mit belegter Stimme, Toms Gesicht an sich ziehend.
„In dieser Nacht, gehe ich nur bis Hier mit dir, du musst alleine entscheiden was du machen wirst.“
Tom küsste Johs warme Hände. „Du erwähntest eben eine Aufgabe, worin besteht sie?“
Joh kramte in ihrer Jackentasche, förderte eine kleine Taschenlampe hervor und gab sie Tom. „Schalt' mal an und leuchte auf meine Hand.
Dieser Ring bedeutet mir sehr viel, er erinnert mich an meine Mutter. Es gab keinen einzigen Tag, an dem ich ihn nicht bei mir trug. Wer mich kennt, weis auch um die Bedeutung, die der Ring für mich hat. Meine Mutter gab ihn mir, kurz bevor sie starb. dieser Ring ist das Zeichen unserer Verbundenheit auch über den Tod hinaus.“
Joh legte den Ring in Toms Hand. „Nimm ihn heute Nacht als Zeichen meines Vertrauens zu dir.“ Tom war tief berührt, der Ring in seiner Hand strahlte Wärme aus die durch seinen Arm fließend, in sein Herz eindrang, und sich dort ausbreitete.
Joh fuhr fort. „Eben erwähnte ich ja schon mal Malak. Er wartet, ab Mitternacht an der Ruine. Tom, auch er kennt dich und auch meinen Ring,die bedeutung des Rings ist ihm ebenso bekannt.
Er wartet heute nicht auf mich, ich werde keine heute keine Aufgabe annehmen. Malak ist wegen dir dort.“
Tom schluckte hörbar, im Flüsterton. „Was will er von mir?“
„Ich weiß es nicht Tom, du musst ihn fragen, mir hat er sich in dieser Sache nicht offenbart.
Ich gehe jetzt ins Haus, lasse dich alleine. Du hast es in deiner Hand, du entscheidest, ob du Malak triffst. Gehst du nicht, dann bleibe hier in meinem Garten. Hier findest du Ruhe und Frieden. Ordne deine Gedanken, höre auf dein Herz.
Eins musst du noch wissen, das was schon geschehen ist, in der Vergangenheit liegt, lässt sich nicht mehr ändern. Tom wir können unser Leben nur gestalten, indem wir nach vorne schauen … ach.“ Johs Stimme zitterte, sie stand auf.
„Ganz gleich wie deine Entscheidung ausfällt, ich bin da, wenn du magst, kommst du nach Sonnenaufgang an meine Tür.“ Es fiel ihr so schwer Tom, den sie so liebte, jetzt allein zu lassen und ins Haus zu gehen.
Joh drehte sich nach wenigen Schritten um,
„Mogli bleibt gerne bei dir und du kennst ja seine Vorliebe fürs nächtliche Streunen.“
Mogli lag neben Toms Füßen und um Johs Worte zu unterstreichen, schob er seine Schnauze unter Toms Hosenbein, gab ein tiefes Schnauben von sich. Joh wandte sich um, nach wenigen Schritten war sie im Haus verschwunden.
Kurz leuchtete es hell aus Johs Schlafzimmer, dann lag das Haus im Dunkeln.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.02.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /