Steffen Bärtl
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BIS ZUR LETZTEN SEKUNDE
Teil 4.1
Das Berlin Attentat
Der Autor
Geboren wurde Steffen Bärtl 1977 in Torgau/Sachsen. Er besuchte von 1984-1994 die Polytechnische Oberschule in Torgau und verließ sie mit dem Realschulabschluss.
Bereits in der Schulzeit verspürte er den Drang zu schreiben. Das Schreiben ist bis heute sein Hobby geblieben.
Nebenbei gilt sein Interesse dem Film. Er absolvierte seine Grundausbildung in der Fritz-Erler Kaserne bei Kassel.
Nach seinem Grundwehrdienst orientierte er sich um und beendete 2007 eine Weiterbildungsmaßnahme zum “Staatlich geprüften Altenpfleger”. In diesem Bereich ist er noch tätig.
Seit 2009 ist, von ihm, die Romanfigur, BOTSCHAFTER ANDRÉ HARTMANN, in der Bücherwelt unterwegs. Nachfolgend sind drei weitere Romane, um den Botschafter erschienen.
Hinweis
Das vorliegende Werk ist, auch wenn es auf Tatsachen basieren könnte, eine Fiktion. Figuren, Firmen, Organisationen und Behörden in diesem Roman sind entweder fiktiv oder, wenn real, in einem fiktiven Zusammenhang verwendet, ohne jede Absicht, ihr tatsächliches Verhalten zu beschreiben.
Impressum
1. Auflage
Sachsens Imperia Verlag * Torgau / Germany
Lektorat/Korrektorat:
Textwerkstatt * Barbara Lechner * Österreich
Satz und Druck:
ISBN:978-3-943934-00-7
Preis: 7.90¤
Das Berlin Attentat
PROLOG
Guantanamo Bay, Kuba
Mit dem ersten Tageslicht konnte man, zwischen den südlichen Bergen Kubas, Guantanamo aus dem Nebel beim auftauchen sehen.
Guantanamo, mit traurigen Details in die Geschichte der US-Politik geraten, beherbergte im US-Militärgefängnis, nahe der großen Bucht gelegen, mehr als zweitausend Häftlinge.
Die Lage des Gefängnisses hatte sich tief in den Erinnerungen jener Soldaten eingeprägt, die hier stationiert und inhaftiert waren. Es sollte einst nur ein Ort der Rehabilitierung, der Reue und des Vergessens sein. Doch seit dem einige Jahre vorher, zwei Gebäudeflügel von den militärischen Häftlingen abgetrennt waren, terroristische Gefangene hier einzogen, schienen die Verbrechen der Soldaten, wie ein schlechter Traum gewesen zu sein. Belanglos gegenüber Terroristen.
Befehlsverweigerung, Angriff auf einen Offizier, das unerlaubte Entfernen von der Truppe, Drogenhandel und Dissertieren – es war alles vertreten. Und sie hielten zusammen, wie eine verschworene Gemeinde.
Hier hatten sie ihre eigenen Gesetze – härter und brutaler.
ZUSAMMEN SIND WIR STARK – hieß das Überlebensmotto der Gefangenen, und dass jeden gottverdammten Tag. Sie spürten den Krieg am eigenen Leibe. Ein Krieg zwischen Häftlinge und Aufseher.
Wer sich nicht an die Regeln hielt, bekam Einzelhaft. Dunkelheit für eine lange Zeit. Eine Zeit, die den Verstand mürbe macht. Besonders, wenn der Direktor die kontrollierte Besessenheit seiner Macht demonstrierte.
Unter Einzelhaft konnte man sich durchaus einige Tage Ruhe verschaffen – sich den Ärger fern halten und den Schlägereien aus dem Weg gehen. Eine willkommene Abwechslung, sollte man meinen.
Hier sah es ganz anders aus. Hier bedeutete Einzelhaft Erniedrigung, die Züchtigung des menschlichen Fleisches, das Brechen des Verstandes, bis der Gefangene seinen freien Willen aufgab.
Camp X-Ray, war eines der vier Internierungslagern, die errichtet wurden. Es war das erste seiner Art. Mit der Kapazität von 330 Gefangenen, schien es zu klein geworden zu sein und Camp Delta mit eintausend Insassen und Camp Echo mit weiteren 400 Insassen, entstanden im Zuge der terroristischen Verfolgungszeit bis 2007. Das letzte Camp, das errichtet wurde, hieß Camp Iguana.
Diese vier Camps symbolisierten die Macht der USA über Terroristen und verhalfen der GUANTANAMO NAVAL BASE zu trauriger Berühmtheit.
An diesem Morgen wurden terroristische Häftlinge mit Feuerwehrschläuchen und sehr kaltem Wasser, in ihren Käfigen geweckt. Für diese Käfige, die sich auf dem Territorium von Camp Delta befanden, hatte nicht die Navy die Kontrolle und Aufsicht.
Es waren zivile Mitarbeiter, die teilweise in Anzügen oder in Hawaii-Hemden und Jeanshosen herumliefen. Zwischen ihnen befanden sich gelegentlich Uniformierte, die als Verbindungsoffiziere agierten.
Die Gefangenen, meist aus dem Orient stammend, waren zusammengepfercht und in die Ecke gedrängt. Durch das kalte Wasser, das während des Morgengebetes auf sie abgefeuerten wurde, konnte einem das Herz still stehen lassen. Der Körper ist einiges gewöhnt, doch tägliche Tortur von Gewalt, Drohungen und Folter, ließen selbst ihren Geist langsam brechen. Und die Sprache der Folterung trug nur eine Handschrift – CIA.
Einer von ihnen war Ernesto Mariuchi. Sein Narbengesicht verschreckte so manchen jungen Mann, der neu hier einfuhr oder als Wärter seinen Dienst hier antrat. Er war nicht so bekannt, wie andere Personen, die man als Top-Terroristen bezeichnete. Dieser Umstand verschaffte ihm einige Ruhepausen ein. Denn, immer wenn ein Top-Terrorist gefangen und nach Guantanamo Bay verschleppt wurde, hatte man frische Nahrung für den kranken Verstand, gewisser CIA Agenten.
Mariuchi hatte sich ebenfalls in die Enge des Käfigs treiben lassen. Durchnässt von Kopf bis Fuß, zitterte sein gekrümmter Körper. Sein Blick zu Boden gewandt – ab von den Gesichtern der Aufseher – dies würde bedeuten, dass der innere Stolz, in ihm, nicht gebrochen wurde und somit Anlass zu neuen Foltermethoden führte. Ernesto war schlau genug, sich dies nur einmal antun zu müssen. Eines Tages würde er wieder frei sein oder seinen Seelenheil im Grab, in unbekannter Erde, gefunden haben. Für ihn war es ein tröstlicher Gedanke. Es war bei Weitem mehr, als ihm eigentlich zustünde. Die Art, wie er zu Tode kommen würde, war ihm egal und bereitete ihm keine Sorgen oder Ängste.
Wie gewohnt kamen mehrere Beamte der CIA und einige bewaffnete Soldaten in Mariuchis Käfig hinein. Mindestens zwei Mal am Tag – immer dann, wenn man ihnen die Fußketten und Handschellen anlegte. Sonst war allen klar, warum sie diese umgeschnallt bekamen. Es war Zeit für den Hofgang.
Doch in diesem Augenblick wurden sie, vom Käfig aus, in eine andere Richtung gelenkt. Die Soldaten standen, mit ihren schussbereiten M4A1-Karabiner, parallel zueinander und formten den Gehweg der Gefangenen. Sie wurden dabei angebrüllt und mit Schimpfwörtern angeschnauzt, die man sich schwer vorstellen konnte. Einige mussten auf den rechten Weg zurück gestoßen werden, da sie einige Soldaten ausversehen anrempelten. Mariuchi stolperte auch mehr als einmal über seine Fußketten und fiel einem Sergeant fast vor die Füße. Dieser rammte ihm seinen Ellenbogen und den Kolben seiner Waffe gleichzeitig in den Magen. Ernesto krümmte sich kurz, wurde aber von einem der CIA Männer in die Laufrichtung getrieben, auf dass er Schritt halten möge.
Mit seinen schmalen Augen beobachtete er jeden Einzelnen der hier Anwesenden. Er versuchte an ihnen Schwachstellen ausfindig zu machen. Auch wenn kaum die Hoffnung an Flucht greifbar wäre, so versuchte Mariuchi für sich, in jeder Situation, einen Vorteil herauszuholen.
Es war ein gewöhnlicher Gang, ähnlich wie ein Schulflur, auf denen die Kinder nicht rennen durften. Und wenn sie es doch taten, tadelte sie ein Lehrer oder gar der Direktor. Hier war es nicht anders.
Der Gang machte eine Rechtsbiegung von neunzig Grad. Das letzte Licht, des leicht erhellten Ganges, flackerte.
Als Mariuchi um die Ecke ging, bemerkte er einen neuen Mann. Ebenfalls in einem zivilen Anzug. Aufgrund der Begrüßungsrituale mit anderen seines Schlages, musste er ebenfalls beim CIA tätig sein. Er schien noch jung und unerfahren zu sein – so um die dreißig. Dieser Mann hielt ein Klemmbrett in seiner Hand und hakte ständig etwas ab. Ein anderer las die Namen vor, die auf den orangenen Overalls geklebt waren.
„Abdul Abdelkadar Baahradin.“, rief der Vorleser dem Schreiber zu und prompt glitt die Hand mit dem Stift über das Klemmbrett.
„Ernesto Mariuchi.“, ertönte die Stimme des Vorlesers. Und erneut schien der andere Mann einen Kontrollhaken auf einer Art Liste zu machen. Ernesto blickte diesen Mann kurz an, als er weiter gezogen wurde, um die Reihe nicht aufzuhalten.
„Gut.“, sagte der junge Mann mit dem Klemmbrett und wandte sich um und schritt neben Mariuchi und einem Soldaten her.
Die Gefangenen wurden in einem Raum zusammengehalten und weiterhin bewacht. Der junge Mann postierte sich vor ihnen hin, wahrte dennoch Distanz.
„Auf Anordnung werden sie von dieser Station herausgeflogen!“
Mariuchi konnte es sich schon denken - auch hier her kamen die Gerüchte von Presseveröffentlichungen, um Folterungen, die unter dem Schutz der Genfer Kommission verboten waren, und trotzdem noch angewandt und noch immer angewendet werden. Selbst die Gerüchte der Zwangsverlegungen in andere Staaten waren länger keine Geheimnisse mehr. Es war eher ein geistlicher Befreiungsschlag gegen die willkürliche Diktatur der CIA Agenten vor Ort. Ein Fünkchen Hoffnung keimte in allen Gefangenen Terroristen auf – besonders bei denen die unter der Klassifizierung „Eins“ geführt wurden. Es waren jene, die als sehr gefährlich eingestuft wurden und Tendenzen zu psychischen Störungen, wie Paranoia und Verfolgungswahn aufzeigten.
Ernesto blickte seine Mitgefangene an. Mit zwei von ihnen hatte er einmal ein Wort gewechselt. Mit den Anderen nicht. Sie hielten Abstand voneinander und fanden nur Halt in ihren Gebeten - denn auch für sie starben der Glaube und die Hoffnung zuletzt. Manch einer wünschte sich für seinen Glauben gestorben zu sein, andere dagegen kämpften in sich mit dem Gedanken eines Rachefeldzuges gegen diese US-Station und den hier lebenden Soldaten. Der Respekt untereinander war groß, dennoch schweißte der Glaube zu Allah sie zusammen.
Die Tür war noch verschlossen, bevor sie mit übergestülpten schwarzen Kapuzen, hinaus gebracht wurden. Sie mussten auf einen Militärtransporter aufsteigen.
Die Straße war holprig – nicht gut ausgebaut für den Verkehr von Militärfahrzeugen, auch wenn diese bessere Stoßdämpfer hatten, als gewöhnliche PKWs. Die Fahrt war auch nicht von kurzer Dauer.
Nach zehn Minuten hielt der Militärtransporter wieder an. Die Soldaten stiegen aus und positionierten sich in zwei Reihen, parallel auf und ließen dabei einen drei Meter Abstand zueinander. Sie blickten sich nun gegenseitig an – die Schusswaffen wurden entsichert und vor dem Oberkörper gehalten.
Anschließend wurde die Abstiegsluke des LKWS geöffnet und ein Sicherungsschloss entriegelt. Die sich im Inneren des LKWS befindlichen Soldaten zogen eine Eisenkette, die mit den Fußfesseln aller Gefangenen verbunden war – so konnte keiner eben mal aufstehen und aus der halboffenen Ladeluke springen. Die Soldaten hatte beim Anbringen der Eisenkette die strikte Vorschrift, diese zu überprüfen ob sie auch straff genug gespannt war - den Häftlingen keinerlei Bewegungsfreiheit gewährte.
Durch eine Berührung an der Schulter wusste Ernesto Mariuchi, dass er aufstehen musste. Aufgrund der Sprachbarrieren zwischen den Soldaten, einigen CIA Agenten und den Terroristen, war es erforderlich, eine Art Kommunikation aufzubauen – Zeichensprache und Gesten, waren dafür eine hervorragende Möglichkeit.
Da Mariuchi als letzter einstieg, musste er als erster wieder aussteigen.
Einer der obenstehenden Soldaten blickte hinunter zum harten, staubigen Boden, bevor er hinunter sprang, Mariuchis Fußfesseln in die Hand nahm und kräftig daran zog. Daraufhin verlor Mariuchi das Gleichgewicht und setzte sich unfreiwillig auf den Lkw Boden. Seine Beine baumelten an der herabgelassenen Holzklappe. Ein Sprung und Ernesto fühlte unter seinen Füßen den Boden. Dabei spürte er jeden einzelnen, spitzen Kieselstein, die sich durch die hauchdünnen Sohlen seiner Gefängnisschuhe drückten. Die Schuhe waren aus einfachem, billigem Leder, Mokassins, kostengünstig in der Dritten Welt produziert - auch der Geheimdienst muss einen harten Sparkurs fahren. Kostet doch die Unterbringung seiner "Gäste" jährlich ein kleines Vermögen.
Von den Geräuschen her, die Ernesto wahrnahm, war die eines Flugmotors am lautesten. Sie mussten sich auf dem Militärflughafen befinden, der zur Basisstation gehörte.
Gezogen an der Führungsleine, wie Hunde, wurden sie in den Bauch des fliegenden Kolosses verfrachtet.
Ernestos Füße erklommen Stufe für Stufe, einer Treppe, die aus metallischem Boden bestand. Im Flugzeug wurde er wiederum von einem Soldaten berührt, die ihn an einen Platz führte und ihn zum sitzen hinunterdrückte. Seine Fußkette wurde erneut mit einer Eisenkette, welche rechts und links im Flugzeug am Boden fest verankert war, verbunden.
Ohne, ein Wort des Willkommens oder einer guten Geste, wurden die Gefangenen begrüßt. Es herrschte nur Schweigen. Nicht einmal die Begleitpersonen redeten miteinander, totale Isolation von der Außenwelt, keine Informationen um die Häftlinge zusätzlich zu zermürben. Nicht der geringste Hinweis sollte ihnen ihr Ziel verraten.
Insgesamt hatten sich im Vorbau der Maschine zwei Grüppchen gebildet. Die Eine saß auf der rechten Seite des Flugzeuges und die Andere, auf der linken Seite. So waren die Soldaten, die als Schutzmannschaft zugeteilt waren unter sich und die CIA-Agenten, die die Abwicklung des Transportes überwachten und stets Meldungen nach Langley gaben.
Den Anblick hübscher Stewardessen gab es hier nicht, auch der Boardservice war wohl den Sparpaketen der Regierung zum Opfer gefallen. Es gab eine kleine Boardküche - wer Durst verspürte, konnte sich eine Dose Wasser oder Cola aus einen der Kästen nehmen, oder aber ein nicht gerade appetitlich ansehendes in Plastikfolie verschweißtes Sandwich nehmen. Doch das war für die Gefangenen nicht vorgesehen, ihnen war jetzt schon der Mund trocken, so mancher schluckte trockene Luft, als einer der Agenten hörbar eine Cola Dose öffnete und lautstark fluchte; „tja man sollte Cola Dosen nicht schütteln und schon gar nicht öffnen während sich ein Flugzeug in der Startphase befindet.
Einige Meter vor der Kombüse befanden sich die Toiletten für die Begleitpersonen. Hinter den einzelnen Gefängniszellen, die kaum größer waren, als eine Toilettennische, befanden sich die Toiletten für die Gefangenen. Auch dahinter befanden sich Sitzgelegenheiten für weitere Begleitpersonen – es kam jeweils auf die Wichtigkeit der gefangenen Personen an. Wäre es BIN LADEN selbst gewesen – Ken Turner, Direktor der CIA, der wahrscheinlich gemütlich in seinem Büro in Washington DC saß, würde in diesem Flugzeug sitzen und die Überwachung persönlich leiten.
Im unteren Bauch der Maschine, wo sich das Elektronikgehirn befand, wurde eine kleine Kammer eingerichtet – die Waffenkammer, wo jeder Agent und Soldat die Waffe abgeben musste. Nur der Einsatzleiter der CIA besaß den Schlüssel dazu. Selbst die Crew hatte keinen Zutritt zur Waffenkammer.
Einsatzleiter, Anthony Beck, befand sich vorwiegend neben dem Cockpit, wo der Pilot und sein Co-Piloten, die Maschine zum Start vorbereiteten. Ein Ersatzpilot befand sich ebenfalls an Bord. Er lag in einer Nische, hinter dem Cockpit, da dieser die Maschine von Washington nach Guantanamo geflogen hatte und sich nun ausruhte. Es war außerdem eine Absicherung, falls das Flugzeug einen Schaden nehmen sollte, Pilot und Co-Pilot ums Leben kommen würden – diente ein weiterer Pilot als Ersatzmann, um die Maschine sicher nach unten zu bringen. Ob nun in Form einer Notlandung oder mit allen Rädern auf der Rollbahn, wäre in diesem Moment egal gewesen.
Beck saß im Funkraum, hatte ein Headset auf dem Kopf, und sprach im Stehen.
„Hier Tartarus! Stufe 1 abgeschlossen. Bitte um Bestätigung Stufe 2 einleiten zu dürfen.“
Anthony wartete die Antwort ab, die auf sich warten ließ. Sicherlich wurde die Meldung, in Langley, zu den Ohren des Projektleiters getragen und die Genehmigung eingeholt.
Nach drei Minuten ungefähr kam die Antwort – sie ertönte mit begleitetem Rauschen.
[„Genehmigung erteilt, Tartarus. Erwarten erneuten Kontakt am Zielort.“]
Beck konnte kaum ausmachen, ob es eine männliche oder weibliche Stimme war, die diesen Befehl an ihm weitergab.
Er setzt daraufhin sein Headset ab, klopfte an die Cockpittür, die sich ihm öffnete, nahm auf dem Platz des Bordmechanikers Platz und richtete nun den Befehl an die Pilotencrew.
„Wir haben die Starterlaubnis aus Langley erhalten.“
Beck gurtete sich an und sah in aller Ruhe dem Piloten zu, wie er die Maschine zum Rollen brachte.
Die Luft schien zu vibrieren und die Wände wackelten, als die Maschine zur Startbahn rollte.
Ein kurzer Stopp, ein Kontrollgespräch mit dem Tower und der Gefangenen-Transport nahm seinen Weg durch die Lüfte.
Den sechs Gefangenen wurde nun gestattet das Tageslicht nutzen zu können, indem man ihnen die schwarzen Kapuzen von den Köpfen zog. Zudem wurden ihnen die Klebebänder von den Augen gezerrt. Manch einer schrie dabei, als einige Augenbrauen geopfert wurden.
Ernesto Mariuchi konnte froh darüber sein keines der Klebebänder getragen zu haben – aber dafür befand sich sein Gesicht hinter einer Schutzmaske. Sie sollte die Begleitpersonen vor Mariuchis Biss-Attacken schützen. Der Anblick dieser Maske allein rief bei so manchen Soldaten Erinnerungen an Hannibal Lector hervor, nur im Gegensatz war diese Maske nicht aus Leder, sondern bestand aus feinstem Edelstahlgitter. In der Höhe seiner Augen befand sich zudem zusätzlich ein metallischer, verschiebbarer Blendschutz. Wenn man Mariuchi die Sicht nehmen wollte, brauchte man diesen nur den Blendschutz nach unten schieben und der Träger war gefangen im Dunkeln.
Die Bewegungsfreiheit der Agenten und der Soldaten beschränkte sich auf diesen einen Gang. Anthony Beck kam ihnen entgegen, um nach dem Rechten zu sehen. Er sah in die Gesichter der Soldaten und erkannte fragende, zugleich auch langweilige, Blicke. In den Gesichtern seiner Agenten spiegelte sich der gleiche Ausdruck wieder.
„Nun kann ich sie direkt einweihen, meine Herren. Unsere Flugroute wird über SAN JUAN und MARRAKESCH gehen - von dort aus schwenken wir in Richtung FRANKFURT/MAIN. Also macht es euch bequem.“
Beck wandte sich wieder um und begab sich zum Cockpit zurück, wo er erneut Platz nahm - dieses Mal schnallte er sich nicht an. Er blickte durch die Windschutzscheibe des Flugzeuges hinaus und sah etwas Seltsames.
„Sollte heute nicht purer Sonnenschein sein?“, fragte er sarkastisch den Co-Piloten.
„Warum fragen sie, Beck?“
Beck deutete mit einem Fingerzeig auf das, was er sah.
„Weil da hinten eine sehr dunkle Wolke auf uns zukommt.“
„Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, Beck. Es ist normal hier oben, dass wir an Gewitterwolken vorbeifliegen.“
„Sie scheint aber so groß zu sein, dass wir mitten in ihr durchfliegen!“
„Höre ich da Zweifel an meiner Flugkunst, Beck?“, fragte nun der ältere Pilot, der eher als schweigsam bekannt war.
„Um ehrlich zu sein, ein mulmiges Gefühl in der Magengrube habe ich schon!“, gestand Anthony den Beiden.
„Wenn sie sich wohler fühlen, dann schnallen sie sich doch an.“
Ein Sicherheitsgurt vermag keinem die Angst vor einem Sturz oder einem Blitzschlag zu nehmen, klammerte nur den starren Körper an den Sitz. Im guten Glauben, versuchte Beck dem Piloten keine Nervositäten vorzuspielen. Im Inneren waren sie da, aber wahrscheinlich völlig fehl am Platze.
„Vertrauen sie uns – wir landen die Maschine sicher am Bestimmungsort. Versprochen!“
Ob das Lächeln des Co-Piloten Beck jemals in Erinnerung bleiben würde, falls er mit seiner Beurteilung falsch lag?
Washington D.C.
Ken Turner saß mit Kopfschmerzen in seinem Büro im Weißen Haus. Er massierte sich seine grauen Schläfen und starrte an die Decke.
Auf seinem Schreibtisch befanden sich eine Flasche Wasser und ein Glas, aus dem er ab und zu einen Schluck nahm, um seinem Gehirn die Flüssigkeit zu geben, das es brauchte. Der Anruf, den er vor wenigen Minuten erhalten hatte, versetzte ihn in ein geistiges Koma. Ein Schlag in die Weichteile, würde man auf der Straße sagen – ein Rückschlag in der Verbrechensbekämpfung würde ein Polizist äußern. Doch, was er hören musste, war alles andere, als nur ein Tiefschlag – es war ein Neubeginn der Hölle, die nun drohte, die Erde erneut zu überfluten, mit all der Feuerbrunst durch Bomben, unschuldige Opferbringungen, und elende Qualen. Dies erinnerte Ken an die Opfergabe von Mohammed, der seinen Jüngsten auf einem Altar, dem Gott des Lebens opfern sollte. Eine Prüfung des inneren Glaubens, an jenen, der das Universum die Erde und den Menschen nach seinem Bilde gestaltete.
Turner bediente den Knopf seiner Wechselsprechanlage mit seiner Sekretärin.
„Die Akten der Gefangenen des Projekts TARTARUS bitte.“
Es dauerte keine drei Minuten und seine Sekretärin brachte ihm die gewünschten Akten ins Büro hinein, legte sie auf dem Schreibtisch ab, drehte sich um und verschwand, in ihren weißen Stöckelschuhen, zurück an ihrem Schreibtisch im Vorzimmer.
Turner schlug rasch die oberste Akte auf, las den Namen Ernesto Mariuchi und sah einige Fotos, die man von ihm nach der Verhaftung machte. Zudem befanden sich noch andere Fotos darin, die mögliche Komplizen darstellten – diese Fotos waren kleiner und mit Büroklammern an Notizen geheftet, die Verdachtsäußerungen mitteilten.
Turner blätterte die Seiten nach und nach um, registrierte dabei, was, in diesem Augenblick, für ihn wichtig und nicht wichtig war.
Erst als er sich eine gefaxte Kurzmeldung las, ergaben ein paar Informationen einen Sinn.
Nun befand sich ein weiterer Zusammenhang zwischen den Terroristen – die Inhaftierung und Folterung auf Guantanamo und Projekt: Tartarus.
Der Anruf war nur die Vorbereitung auf das Fax – das Scheitern des Projekts Tartarus.
Zumal der Projektname von Turner selbst stammte. Er bezog sich dabei auf die griechischen Überlieferungen, wo es heißt, dass Gottvater Zeus jene Götter und Halbgötter verbannte, die nach der Macht des Olymps strebten. Für den Frevel der Menschen hatte er die Unterwelt auserkoren – Hades Reich. Doch dahinter verbarg sich der Ort der Qualen und des Leides in düsterer Finsternis, dass selbst Zeus Sohn, Tantalos, es als Wellnessurlaub dort empfunden hätte. Ein Ort der gefallenen Seelen, verborgen in tiefster Dunkelheit, deren Namen in Vergessenheit geraten sollten – bis in aller Ewigkeiten.
Die Ironie des Schicksals schien sich erneut zu bewahrheiten.
Turner kannte, was einst geschah.
Durch eine Intrige seines Bruders, ließ Zeus die Tartaren frei, um den Glauben der Menschen für immer zu binden. Der Verrat lauerte überall und so zogen die Tartaren gegen Zeus selbst, um dessen Thron gewaltsam zu räumen – für Hades, Gott der Unterwelt. Zeus musste sich auf einen Menschen verlassen, der die Wahrheit der Intrige enthüllte.
Ken Turner ahnte, was wirklich geschehen sein könnte, doch fehlten ihm die Beweise. Jahrelange Erfahrungen haben ihn zu dem gemacht, was er heute ist – CIA Direktor und Berater in allen Fragen, was Sicherheit und Spionage angeht.
Er ließ seine Gedanken freien Lauf, schweifte sein Blick im Büro umher. Als er beim Bücherregal ankam, erblickte er die Lösung. Eine Fotografie in einem Bilderrahmen stand zwischen einigen Büchern. Es stellte drei Personen dar - ihn selbst, David Ross und André Hartmann. Als wäre es erst gestern gewesen, erinnerte sich Ken daran, wie das Bild zustande kam. Es war vor zwei Jahren im Oval Office – als André Hartmann von Präsident Sam Cahill ausgezeichnet wurde für Verdienste um das Wohl des amerikanischen Volkes. Eine hohe Auszeichnung für einen damaligen deutschen Botschafter.
Dieses Foto schien für Ken der Schlüssel zu einer Idee zu sein. Er schnappte sich das Fax und die Akten vom Schreibtisch, verließ eilig sein Büro und begab sich auf direktem Weg zu den Privatgemächern des Präsidenten.
Nach einer viertel Stunde Wartezeit vor der Eintrittstür, wurde er nun empfangen. Cahill selbst hatte die Tür geöffnet und bat Turner hinein.
„Turner – sie wissen, dass ich den heutigen Tag mit meinem Sohn verbringen wollte – fern ab aller politischen Geschäfte.“, erboste sich der Präsident, in einem weißen Pullover und einer schwarzen Anzugshose.
Turner betrat die Privatgemächer und durfte sich auf das weiße, schon leicht abgenutzte lederne Whitehall Chesterfield Sofa, das frei im Raum stand, setzen. Ken hatte das Gefühl auf einem erhabenen englischen Sofa zu sitzen, dass womöglich Queen Elisabeth für Cahill ausgesucht und geschenkt hatte.
Er legte die Akten ab und wagte es kaum den Mund aufzumachen.
„Sie sollten dies hier lesen.“, murmelte der alte Turner vor sich hin.
Cahill nahm es aus seiner Hand und betrachtete es genauer und las es mit leiser Stimme vor.
„to: ken turner – director of cia
from: howard walsh – leader of project tartarus
Bedauerlicherweise muss ich ihnen mitteilen, Mr. Turner, dass eines unserer Transportmaschine verloren gegangen ist. Aus unerklärlichen Gründen verschwand sie vom letzten Radarkontakt bei der Kontrollstation in San Juan.
Projekt: TARTARUS
Stufe 1 – vollendet gestern, um 10:00Uhr.
Stufe 2 – Verlust des Transpondersignals gegen
11:10Uhr.
- Verlust des Radarkontaktes gegen 11:55 Uhr
Bisherige Bemühungen die Transportmaschine ausfindig zu machen, sind fehlgeschlagen. Ein zweites Flugzeug fliegt die Route ab, um Spuren zu finden.
Hochachtungsvoll
Howard Walsh
Was hatte denn die Transportmaschine geladen und was ist Projekt Tartarus?“
Turner machte es sich nicht erst bequem und fing sogleich zu berichten an. In seinen Augen war nun Eile geboten. Mit jedem weiteren Tag Verzögerung, könnte die Welle der Gewalt, der Racheakte, schneller auf die Menschheit losgelassen werden.
„Projekt Tartarus war eine reine CIA-Operation mit Unterstützung der US-NAVY. Wir sprachen vor einigen Monaten darüber, als das Thema Guantanamo zur Sprache kam. Ihre Verhandlungen mit den Oberhäuptern Europas war maßgeblich der Anstoß für Projekt Tartarus.“
Cahill fasste sich nachdenklich an den Kopf, als würde er sich daran erinnern, legte dabei das Fax auf seinen Glastisch.
„Ich kann mich entsinnen! Der Druck der Medien und der Öffentlichkeit gegenüber ihrer CIA Methoden.“
„Nicht meine, möchte ich betonen. Seit jeher wurde in der CIA Folter angewandt um Informationen zu erhalten. Momentan sitzt das Rechtsgremium daran, neue Richtlinien, die eine bessere Handhabung von Gefangenen zusichern soll, zu erarbeiten. Sie kennen es ja besser, als ich – das Problem mit den Gesetzen!“
„Hier handelt es sich aber um interne Richtlinien, Gesetze der CIA – und diese dürften wohl kaum so viel Zeit in Anspruch nehmen. Wenn in ihren Augen das Rechtsgremium, welches sie einberufen haben zu langsam arbeitet, dann machen sie denen Feuer unterm Arsch. In diesem Punkt, will nicht nur ich, sondern vor allem die Weltöffentlichkeit Resultate sehen.“
„Ja, Sir. Habe verstanden Sir!“, erwidert Turner kleinlaut.
„Kommen wir zu der Transportmaschine zurück. Sie sagten sie diente dem Herausfliegen von Gefangenen?“
„Ganz richtig, Sir“
„Wo liegt denn das Problem? So, wie ich es sehe, ist das Flugzeug abgestürzt!“
„Könnte sein, Sir. Aber stellen sie sich einmal vor, dass dieser, so genannte, Sturz nur eine Täuschung darstellt.“
„Was wollen sie damit andeuten, Turner? Eine Befreiungsaktion in zwanzigtausend Metern Höhe? … Ach kommen sie, Turner. Da spielt ihnen wohl die lange Büroarbeit einen Streich!“
Cahill hatte gehofft, dass sein kleiner Scherz Turner zum Lachen brachte – doch er zeigte keine Reaktion, nicht einmal ein Schmunzeln oder das kleinste Verziehen eines seiner Mundwinkel.
„Sie glauben wirklich daran!“, stellte Cahill nun fest. „Aber wie?“
„Um dies herauszufinden benötigen wir eine Untersuchung!“, erklärte Turner.
„ … die ich umgehend einleiten werde!“, posaunte Cahill, als hätte er soeben eine wichtige Entscheidung getroffen, die er vor der Pressewelt verkündete.
„Ich will ihnen als Präsident nicht zu nahe treten, aber dies ist der falsche Weg. Wir brauchen einen Außenseiter.“
„Einen Außenseiter!?“, fragte sich Cahill, „Ist dies denn keine interne Angelegenheit?“
„Schon, “ platzte Turner dazwischen, „aber wir sollten daran denken, dass die Weltöffentlichkeit uns mit Adleraugen beobachtet, wenn es um Guantanamo geht. Dies ist immer noch unsere Achillesverse – ihre Achillesverse. Dies könnte ihre zweite Amtsperiode erheblich schaden!“
Turner sah zu, wie Präsident Cahill in seinem Wohnzimmer herumlief und nachdachte. Mit gesenktem Kopf, blickte zum roten Teppich hinunter, erkannte jede Fussel an ihm, den er mit der Fußspitze versuchte, wegzuschieben.
„Sie könnten Recht haben, Turner! Wie soll es nun weitergehen? Immerhin geht es dabei auch um ihren Job. Negativpresse ist nie etwas Positives abzugewinnen – auch nicht für einen CIA Direktor.“
Turner lehnte sich zurück, versuchte sein Bein etwas zu strecken, um den plötzlich aufkommenden, inneren Schmerz zu vertreiben.
„Mein Posten würde ich mit Freuden zur Verfügung stellen, wenn ich nur genau wüsste, dass ihn der Richtige übernimmt. Mit meinen Siebzig Jahren und den kommenden Arthritis-Schüben, bin ich eigentlich schon ausgemustert.“, würgte er hinaus, ehe er seine Lippen wieder versiegelte.
„Sie haben doch irgendeinen Plan? … also raus mit der Sprache.“
„Ich würde vorschlagen, dass sie die Untersuchung des Vorfalls einem ausländischen Vertreter anvertrauen. Zum einen haben wir dadurch ein objektives Ergebnis vorzuweisen, zweitens kann man ihnen und der CIA keine Vertuschungsversuche andichten. Und egal, wie das Ergebnis sein wird, ich werde meinen Hut nehmen.“
„Keine schlechte Idee, aber wie stellen sie sich das vor?“, fragte Cahill wissbegierig und zweifelnd zugleich.
„Der Transport sollte nach Deutschland gehen – demnach müssten sie bei der deutschen Regierung eine Anfrage, nach einem Untersuchungsleiter, stellen.“
„Und wer wäre die richtige Wahl in ihren Augen?“
„Erinnern sie sich noch an André Hartmann?“
„ … Hartmann? Wer?“
„Vor zwei Jahren haben sie diesen Deutschen geehrt, weil er einen terroristischen Anschlag auf das UNO-Gebäude in New York aufgedeckt hat. Zudem war er noch voriges Jahr deutscher Botschafter.“
„Hier in Washington?“
„Ja, Sir.“
„Und das ist ihre Wahl?“
„Glauben sie nicht, dass sie da einen besseren Mann finden? Wie wäre es mit Gentscher, immerhin hat er mehr Gewicht in der deutschen Politik, als dieser Hartmann.“
„Herrgott noch mal, Gentscher ist älter als ich – wahrscheinlich kämpft dieser eher mit seinen Hämorriden oder streitet mit seiner Pflegerin um die Einnahme seiner Tabletten. … Zweifelsohne war Gentscher ein großer Politiker, aber das war vor zwanzig Jahren, als die Mauer fiel. Doch heute brauchen wir einen dynamischen, diplomatischen Mann, der die Dinge klar sieht und sich nicht der Gefahr scheut, ihr nachzugehen. Glauben sie mir, Mr. Präsident. Hartmann ist der Richtige.“
„Auf ihre Verantwortung, Turner, aber holen sie den ICIS mit an Bord dieser Untersuchung. Die können inzwischen schon Vorarbeit leisten – interne Informationen einholen, die Hartmann vorgelegt werden können.“
„Einverstanden, Sir.“
„ … und ich werde McNamara als Verhandlungspartner, morgen nach Berlin schicken.“
„Ich verstehe Sir!“, erwiderte Turner, erhob sich mit Schmerzen in den Beinen, reichte Cahill die Hand zum Abschied, verließ die Privatgemächer des Präsidenten und begab sich zurück sein Büro.
New York City
Seit dem André Hartmann den Posten des Deutschen Abgeordneten im UNO-Hauptquartier, eher inoffiziell, bekleidet, erschien ihm die Wahl seines Wohnortes noch nie so schwer.
Seit Jahren wohnten sie in Washington D.C., keine zwei Stunden Autofahrt von hier entfernt – lohnte es sich auch nur darüber nachzudenken, den Schritt zu wagen und nach New York zu ziehen?
Was er dabei für sich empfand war nicht ausschlaggebend für die Entscheidung, die nicht nur sein Leben verändern würde.
André konnte, was politische und diplomatische Entscheidungen anbelangt kompromisslos in die Schlacht ziehen, doch wenn es um private Entscheidungen ging, ließ er sich stark von seinen Kindern und vor allem von Renate, seiner Frau, beeinflussen. Was sie dachten und fühlten, bezweifelten oder ihnen Sorgen bereitete, war ihm wichtiger, als seine eigenen Belange.
In diesem Augenblick stand er zusammen mit seiner Frau auf der CENTRAL PARK SOUTH Seite und schaute mit ihr gemeinsam zu den hohen Wolkenkratzern hinauf, wo Wohnungen zu vergeben waren.
Wie auf einer diplomatischen Tagung hatte André seine Frau dazu gebracht, sich mit ihm diese Wohnung erst einmal anzusehen. Er war nicht der Typ, der seine Familie vor vollendeten Tatsachen stellte und abwartete, wie sie reagieren würden. Er wusste, was passieren würde, wenn er so gehandelt hätte. Die Arbeitszeit würde er in New York verbringen müssen, zusätzliche Zeit würde verstreichen für die Autofahrten – seine Kinder würde er nur noch spät abends sehen, wenn sie im Bett liegen und bereits schlafen – er würde ihnen einen guten Nachtkuss auf die Wangen geben, die Zimmertür schließen - das kalte Abendessen, welches Renate für ihn gekocht hätte, essen und anschließend zu ihr ins Bett kuscheln und erschöpft einschlafen. Am nächsten Morgen würde er vorzeitig aufstehen müssen, um rechtzeitig in New York zu sein. Um diese Zeit würden Renate und die Kinder noch schlafen – alles was er von ihnen hätte, wäre ein Augenblick, der es wert war eine Träne an seiner Wange kullern zu lassen. Auf Dauer würden sie sich entfremden und ihre Familienidylle würde zerbrechen, wie das Band seiner Ehe, dass er geschworen hatte zu achten und zu ehren, bis er eines Tagen von dieser Welt ginge – doch dieser Tag ist noch fern, an dem er seine Liebe, zu Renate und seinen Kindern, und das Vermächtnis seines Schaffens auf Erden zurücklassen würde.
Beide überquerten die Straße und reichten einer eleganten Frau, die mit einer Aktenmappe, auf sie gewartet hatte, die Hand. In ihrem weinroten Kleid und Damenjackett wirkte, sie eher, wie eine Darstellerin vom Broadway. André könnte schwören, dass sie augenblicklich ein Lied anstimmen würde, um sie Beide in New York willkommen zu heißen – doch es bleib nur bei einem einfachen Händeschütteln.
„Willkommen in New York, Mr. Und Mrs. Hartmann. Mein Name ist Amy Monaghan – ich arbeite für BICKFORD & MCGAVIN und werde sie in allen Belangen betreuen.“
„Guten Tag“, erwiderten Renate und André fast zur gleichen Zeit.
„Wollen wir keine Zeit verlieren!“, steuerte Monaghan die tägliche Zeremonie einer Wohnungsbegehung an. Sie wirkte ein wenig hektisch, in Renates Augen. André versuchte dabei sich zu fragen, als er Monaghans Stöckelschuhe sah, wie man in diesen Dingern auch nur gerade aus laufen konnte ohne die Balance und das Gleichgewicht zu verlieren.
Amy Monaghan durchquerte als erstes die gläserne Drehtür, in deren Scheiben sich das Leben auf der Straße spiegelte.
Der Innenraum glich einer gigantischen Empfangshalle.
„Hier sehen sie den Empfang. Der Boden ist aus verzierten Marmorplatten, Die Säulen die die erste Etage stützen, sind ebenfalls aus Marmor. Architekt dieses Gebäude war Henry M. Graves, gebaut wurde es um 1881 herum. Einige Zeit vorher 1859 entstand der Central Park, auf den sie einen wundervollen Blick haben werden. … Hier unten befindet sich eine Rezeption, die für die Bewohner des Hauses Informationen entgegen nimmt, sollten sie einmal nicht da sein. … Zu dem kommt hinzu, dass sich rund um die Uhr ein Wachschutz im Hause befindet. Wenn sie mir nun folgen würden.“, bat die schnell sprechende Amy.
„Das sieht hier alles so pompös aus und so kalt – ich meine, nirgendwo hängt ein farbenfrohes Gemälde – alles ist in einem hell bräunlichen und rötlichen Ton gehalten worden.“
Monaghan kannte bereits solche Hinweise, hatte sie fast täglich um die Ohren geschlagen bekommen. Sie blickte André an, um auch dessen Meinung darüber zu hören, doch dieser zuckte nur mit den Schultern und zog dabei seine Augenbrauen hoch. Als sie wieder wegsah, richtete André seine Brille und versuchte zu erblickten, was Renate gemeint hatte. Die Wände wirkten wirklich kahl, als wenn die Wände aus einer herausgearbeiteten Felswand stammten.
„Die Aufzüge vor uns – wie sie sehen, sind es fünf an der Zahl - bringen uns zum Penthouse hinauf. Ihre würde die oberste sein. Mit einem Schlüssel, den nur sie besitzen werden, können auch nur sie mit dem Aufzug in der Mitte bis ganz nach oben fahren. Der Schlüssel entriegelt sozusagen die letzte Etage.“
Im Aufzug steckte Amy Monaghan den Schlüssel neben den Plasteknopf mit der Zahl 40, in das Zugriffsschloss hinein und der Aufzug raste an Etage für Etage vorbei, bis er oben angekommen war.
Die Aufzugtür ging auf und Monaghan betrat als Erste den Parkettboden.
„Die Wände wurden in einem gelblichen Ton gehalten, um eine harmonische Atmosphäre zu schaffen. Dieser offene Bereich hier vorne ist der Garderobenbereich. Integrierte Schuhschränke in den Wänden sind eingearbeitet. Ebenso auch Kleiderschränke. Wie sie sehen befindet sich auch ein Regenschirmbehälter gleich neben der Aufzugstür, obwohl das nicht heißt, es ist immer schlechtes Wetter hier, aber sehen sich doch nur …“
Renate und André schwiegen, ließen Monaghan einfach weiter reden, sie schien es zu lieben, den Klang ihrer eigenen Stimme zu hören.
„Hier kommen wir zum Wohnbereich. Sonnendurchflutet, mit offener, kleinen Küche. … Die ganze Wohnung ist mit Paneelen und Parkettfußboden versehen. Ein Kamin befindet sich unmittelbar im Wohnbereich – für romantische Stunden zu zweit, wenn sie verstehen, was ich meine.“
Renate und André sahen sich kurz an und fragten sich, ob sie gerade dasselbe gesehen hatten – das Augenzwinkern von Monaghan.
„Und was ist mit Kinderzimmern?“
„Mit was bitte!?“
„Kinderzimmern … Sie haben doch welche?“
Monaghan schluckte erst einmal.
„Schätzchen, das Penthouse wird als Single-Penthouse gelistet. Um mal ehrlich zu sein – wer dieses Penthouse mietet oder kauft, hat kein Interesse an Kindern – eher das Interesse an Liebschaften.“
„Wenn das Penthouse keine Kinderzimmer hat, kommt es für uns überhaupt nicht in Frage!“, entgegnete Renate in einem schnippischen Ton.
Erneut blickte Amy Monaghan André an, als würde er stets die Entscheidungen treffen.
„Wo sie recht hat, hat sie recht!“, flüsterte er ihr zu und zeigte, wie nebenbei seinen Ehering an seiner rechten Hand. „Tut mir Leid.“
Renate und André ließen Monaghan stehen und fuhren mit dem Aufzug wieder hinunter. Bevor sie das Gebäude verließen, läutete mehrmals Andrés Handy. Er nahm den Anruf entgegen, blickte auf das Display.
„Außenminister Clemens.“, stellte er fest und sagte dies zu Renate, damit auch sie über den Anrufer Bescheid wusste.
„Hier Hartmann.“, meldete er sich.
Renate beobachtete ihren Mann, wie er Clemens Worte aufsaugte – doch erwiderte er nichts.
„Das war wohl ein einseitiges Gespräch?“
André schmunzelte Renate an.
„Der Termin für die Zeremonie steht fest - übermorgen in Berlin.“
„Dann bist du offiziell ein UN-Abgeordneter?“
„Ja – aus diesem Grund wollte ich, dass du dir diese Wohnung anschaust – was nicht meine Idee war. Diese Wohnung hatte Clemens vorgeschlagen. Er ging davon aus, dass ich alleine hier her ziehe.“
„Das nächste Mal hörst du lieber auf deine Frau, statt auf andere Männer. Ab sofort werde ich mich um die neue Wohnung in New York kümmern!“.
André drückte Renate einen Kuss auf ihre Lippen auf.
„Lieb von dir, aber Clemens meinte, dass du bei der Zeremonie nicht fehlen solltest!“
Renate wirkte plötzlich überrascht.
„Ich soll mit nach Berlin?! Und was ist mit Sophie und Lukas? Sollen die in Washington bleiben?“
„Wir können sie bei meinen Eltern in Torgau lassen! Es sind doch eh Osterferien!“
Renate schien zu schmollen, doch nach einigen Minuten verwandelte sich ihr Schmollmund in ein zufriedenstellendes Lächeln. Sicherlich hatte sie einige Hintergedanken, wenn sie die Zeit mit André in Berlin alleine wären – zu zweit im Hotelzimmer.
Mit diesem Lächeln, hakte sie sich bei André ein und verließ mit ihm endgültig das Gebäude.
„Auf nach Berlin!“ sagte sie ihm frohen Mutes zu.
Washington D.C.
Turner schloss die Akten, der auf Guantanamo stationierten Terroristen, die mit dem CIA Flug nach Deutschland ausgeliefert werden sollten, rasch, und verstaute diese in seine abschließbarer Schublade, ehe er sich auf den Weg machte, um sich mit Ross, dem Leiter der ICIS, zu treffen, den er vor zwei Stunden kontaktiert hatte.
Um den Treffpunkt einhalten zu können, musste er mindestens zwanzig Minuten mit dem Wagen unterwegs sein. Und bei dem heutigen Verkehr war es bei nahe unmöglich pünktlich zu erscheinen. Turner schnappte sich seinen Mantel, die Kurzmeldung von seinem Schreibtisch, schluckte schnell noch eine Kopfschmerztablette hinunter und begab sich zur Tiefgarage, wo er sich in seinen Dienstwagen setzte und losfuhr.
Das KOREAN WAR MEMORIAL hatte stets einige Besucher zu verzeichnen. Es war in der Form eines begehbaren Platzes innerhalb einer Grünanlage angelegt worden. In Reihe und Glied, in verschiedenen Körperpositionen, mit Waffe und ohne Waffe, präsentierten sich an der Mahntafel der Gefallen des Koreakrieges, Metallsoldaten in Menschengröße. Durch den dichten Wolkenbehang und dem drohenden Regen, schien es so, als wäre Turner allein gekommen.
Seine Augen machten nicht mehr so mit. Er setzte sich seine Brille auf, die er am liebsten vor anderen verbarg. Eine Gestalt kam auf ihn zu gelaufen. Nach einigen Minuten konnte er diesen Mann erkennen. Es war Ross, wie er es gehofft hatte.
Er verstaute wieder seine Brille, so dass Ross sie nicht sehen konnte. Turner schämte sich dafür, eine Brille benutzen zu müssen. Nur wenn es nicht unbedingt erforderlich war, setzte er sie auf.
Beide reichten sich die Hand zur Begrüßung und gingen einige Schritte.
„Warum hier? Warum am Korean War Memorial?“, fragte Ross freundlich.
Ihm war es eigentlich stets egal gewesen, wo man sich getroffen hatte. Es war so üblich unter Kollegen zweier unterschiedlicher Abteilungen. Dies bedeutete stets, dass man eher ein unbedeutendes Zusammentreffen herbeiführen wollte, ohne dass Andere davon Wind bekamen. Es sollte ein Geheimtreffen sein.
„Einige meiner Freunde starben im Koreakrieg. Als wir die Hügel von Iwo Jima erstürmten und den schwarzen Strand hinter uns ließen. Wir liefen blindlings in eine taktische Falle. Der Berg Iwo Jima war stark befestigt und pflasterte stündlich Granaten auf uns. Wir konnten nach dem Donnern unsere Uhren stellen. Immer zum Anfang, Mitte und Ende einer Stunde, donnerten ihre Granatwerfer. Deren Munition schien nie ein Ende zu haben.“
„Es muss schlimm gewesen sein.“
„Ja – war es. Wenn sie die Schreie ihrer Freunde neben sich hören und sie im Schlaf erneut neben sich sterben sehen, dann können Sie nachvollziehen, wie es einem ehemaligen Marinesoldaten geht.“
„Auch wenn ich ihren Schmerz unterbrechen muss, Turner, würde ich doch gerne wissen, warum ich nach Washington kommen sollte?“
Ross empfand Mitleid mit Turner, kannte er doch die Schicksalsschläge von Verlust nur zu genau. Auch ihm erging es so, wie Turner. Als er seine Frau am 11. September 2001 verlor, zerstörte dies ein Teil von ihm. Seit dem besuchte er stets zum 11. September das Mahnmal in New York. Dies ist auch der Grund, warum er die ICIS in New York leitete und nicht, wie vor einigen Jahren ihm der Präsident Sam Cahill vorschlug, den neuen Geheimdienst in Washington zu leiten.
Ross verführte Turner zum Hinsetzen, da seine Beine schon lange unterwegs waren.
„Ich habe eine heikle Mitteilung von einer meiner internen Abteilungen erhalten.“
Turner händigte die mitgebrachte Meldung an Ross aus, um sie ihm zum Lesen zu geben.
„Wie sie selbst lesen, ist die Transportmaschine des Häftlingsfluges von Guantanamo über dem Atlantik abgestürzt. Man geht davon aus, dass Crew und Fracht dabei ums Leben gekommen sind!“
„Welche Art von Fracht?“, hakte Ross nach.
„Terroristen. Der Transport sollte unsere Gefangenen von Guantanamo nach Rammstein, Deutschland bringen, wo sie in ein deutsches Internierungslager kommen sollten. Aufgrund einzelner Praktiken von Folterspezialisten, die an die Öffentlichkeit gelangten, hatte das Außenministerium mit den Staaten Verhandlungen geführt, um die Gefangenen zu übernehmen. Nach wie vor bleiben sie Gefangene der Vereinigten Staaten. Nur der Ort sollte sich wechseln.“
„Und sie sagen, die Maschine ist abgestürzt?“
„Ja.“
„Warum machen Sie sich dann sorgen. Sind ein paar Terroristen weniger auf der Welt! Und wenn es nach mir ginge, sollten Sie alle Terroristen, unten in Guantanamo den Haien zum Fraß vorwerfen.“
Ross stand auf, um einige Schritte hin und her zu laufen. Erneut kamen ihm die alten Erinnerungen und die Schmerzen, um seine geliebte Frau, wieder.
„Ross, ich wollten sie nur darum bitten, mit mir und dem Außenminister nach Berlin zu fliegen, um die Sache dort zu vertreten.“
„Und sie sind der Meinung, die Terroristen sind tot?“
„Ich gehe davon aus, Ross. Und wenn es sie beruhigt; in dieser Stunde fliegen Rettungsflugzeuge die Route ab, um mögliche Überlebenden zu bergen!“
„Es beruhigt mich keineswegs. Ich stehe zu meinem Standpunkt. Dennoch kann ich Sie nach Deutschland begleiten, wenn es ihr Wunsch ist. Aber …“
„Was aber?“
„Die Deutschen wissen noch nichts davon – um fair zu spielen, sollten wir den Deutschen die Informationen im Vorfeld geben, ehe sich McNamara mit dem deutschen Außenminister und dem Verteidigungsminister an einen Tisch setzt.“
„Vielleicht haben sie Recht, Ross. Und wer soll uns den Kontakt zu Clemens besorgen? McNamara würde nur über uns lachen!“
„Dann sollten wir jemanden suchen, der direkten Kontakt zu Clemens hat. Wir müssten ein paar Stunden vorher in Berlin sein, bevor McNamara eintrifft. Und ich weiß auch schon wer uns den Kontakt herstellt!“
„Kennen ich die Person?“
„Ja – sie haben ihn vor zwei Jahren auf dem Präsidentenempfangsball kennen gelernt. Er hat die nötigen Informationen über die Giftgasbombe im UNO Gebäude geliefert. Nur so konnten wir die Drahtzieher finden und unschädlich machen.“
„Oh nein. Sie meinen doch nicht diesen Politiker?“
„Doch, genau den meine ich. Niemand würde den Verdacht auf Hartmann lenken. Er könnte indiskret mal anfragen, ob Clemens uns überhaupt anhören würde.“
„Und, wo befindet sich dieser Hartmann jetzt?“
“Ich frage in der Botschaft nach. Und wenn alles klappt, wie ich es mir vorstelle, werden wir ihn in Berlin treffen.“
„Also schön. Ziehen sie ihren Plan durch. Ich hoffe das bringt was.“, murmelte Turner vor sich hin, schüttelte Ross Hand zum Abschied und lief in langsamen Schritten in Richtung seines Dienstwagens.
Ross hingegen spürte plötzlich wieder Energie. Irgendwie kam die Aufgabe genau richtig. Inzwischen war ohnehin Langeweile im ICIS Zentrum New York eingekehrt, wenn man Zeit für Feuerübungen und Auffrischungskurse hatte. Nun musste er nur noch Hartmann überreden für ihn tätig zu sein. Und er wusste auch schon, wie er es anstellen würde.
Texte: Ja
Bildmaterialien: Ja
Lektorat: Lektorat / Korrektorat: Barbara Lechner * Österreich
Tag der Veröffentlichung: 02.05.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ebook ab 1. Juni im Online-Shop erhältlich