September-Tod © 2012 Stefan Lehner
Umschlaggestaltung, Illustration: Stefan Lehner nach einem Foto von Gerd Waloszek c/o pixelio.de
Lektorat, Korrektorat: Stefan Lehner
Verlag: Eigenverlag («Phantastik-Buch«)
ISBN Taschenbuchausgabe: 978-1-48009-840-4
Ebenfalls erschienen als eBook
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Personen und Handlung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Mein Name ist Peter Wecker und ich habe Ihnen eine Geschichte zu erzählen. Ich bin nur ein einfacher Mann und ich hätte nie gedacht, dass mir mal so etwas passieren könnte. Solche Dinge, die mir widerfahren sind, sind weder mein Metier, noch überhaupt in meinen Kreisen üblich.
Ich habe getötet und allein, dass ich dazu fähig war, macht mich schuldig und fassungslos. Aber es ist nicht mehr zu ändern. Ich habe mich verführen lassen. Aber hatte ich eine Wahl? Eigentlich ja, aber wer hätte sich in meiner Situation schon anders entschieden als ich? Da kommen viele Dinge zusammen. Schreckliche Dinge.
Ich will Ihnen meine Geschichte erzählen, damit Sie Bescheid wissen. Damit Sie gewarnt sind. Damit Ihnen so etwas nie passiert.
Ich musste alle bitteren Konsequenzen tragen. Ich habe geglaubt, ich hätte es im Griff, irgendwie. Aber sie hatten mich im Griff. Als mir das bewusst wurde, war es zu spät. Für mich kamen alle Warnungen und Erkenntnisse zu spät und jetzt ist es vorbei ...
Röcheln. Die Kaffeemaschine röchelte altersschwach, aber zuverlässig und in der Kanne sammelte sich das heiße Gebräu.
Morgens ist das mein erster Gang. In die Küche und die Kaffeemaschine anstellen, dann erst ins Bad. Morgens brauche ich meinen Kaffee und ein paar Zigaretten, sonst fängt der Tag gar nicht erst an. »Abenteuerfrühstück« hatte meine Frau immer gesagt. »Tja, Maria, jetzt ist es wieder soweit« dachte ich. Maria war schon seit sieben Jahren tot, sie starb mit 35 an Krebs. Seitdem lebe ich allein. Irgendwie ging es mit mir seit ihrem Tod stetig und langsam bergab, wenn ich es recht bedenke. Nach ihrem Tod hatte ich einen kleinen Unfall im Betrieb und seitdem zwackt es immer wieder im Kreuz. Bandscheiben. Tut scheiße weh, wenn die aus der Verankerung rutschen. Naja, Volkskrankheit ... Ich war lange krank und irgendwann haben die mir dann gekündigt.
Maschinenschlosser bin ich oder besser: war ich. Ein großer Betrieb hier in Köln, die haben eigentlich immer gut zu tun, aber ein 40-Jähriger, der dauernd wegen Rückenschmerzen krank ist und seine Arbeit nicht mehr anständig machen kann, ist eben auch dort irgendwann mal eine Last und so kam es eben wie es kommen musste.
Zwei Jahre bin ich nun arbeitslos, fast zwei Jahre um genau zu sein. Ich hab mich immer noch nicht dran gewöhnt, dafür war ich eigentlich auch immer zu gerne im Betrieb, habe mit meinen Händen was geschaffen und mit den Kollegen Spaß gehabt, auch mal nach der Arbeit.
Das ist alles eingeschlafen. Die haben ihre Arbeit, ihre Frauen, Kinder und alles was dazu gehört. Wir haben uns immer in einer Kneipe um die Ecke getroffen nach der Schicht am Donnerstag. Da wurde viel gelacht und alles Mögliche und Unmögliche diskutiert. Jetzt verband mich nichts mehr mit denen. Ich arbeite nicht mehr dort und Maria ist tot.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich dürfte nun eigentlich nicht mehr in diese Kneipe gehen, denn die war über die Jahre so was wie der Treffpunkt für die Arbeiter aus dem Betrieb geworden. Natürlich gingen dort auch andere Leute hin, aber ich bin da nur rein, um mich mit den Kollegen zu treffen. Das ist nun vorbei und da wollte ich auch nicht mehr einfach so hingehen um mal ein Bier zu trinken. Ist schon komisch, aber es ist einfach nicht mehr meine Kneipe. Abgesehen davon, dass mir auch das Geld für so was fehlt.
Der Kaffee ist durch und ich nehme vorsichtig einen Schluck, ist noch sehr heiß. Zigarette hatte ich vorher schon an. Klar. Ich schaute raus, Regen. Wird gar nicht richtig hell heute wie es scheint. Ungemütlich, kühl, nass.
Apropos... Ich drücke die Marlboro aus und gehe ins Bad. Dusche an und als ich fertig war, klatschte der Regen noch stärker als vorher gegen das Badezimmerfenster. Komme mir selbst nach dem Abtrocknen noch nass vor bei dem Wetter.
Nackt wie ich bin, gehe ich wieder zu meinem Kaffee. Jetzt hat er die richtige Trink-Temperatur. Großer Schluck. Ahhh! Gut! Klick, Feuerzeug an, die nächste Kippe. Ich setze mich mit meinem nackten Hintern wieder hin und stiere raus.
Müsste eigentlich wieder zum Arbeitsamt diese Woche. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Ein 41-Jähriger mit »Rücken«, schon fast zwei Jahre beschäftigungslos, schwierige wirtschaftliche Lage blabla. Hab mir schon zu viele Absagen eingehandelt und Dämpfer hinnehmen müssen. Der Mensch auf dem Amt ist ja ganz nett, aber zaubern kann er auch nicht. Ich hab noch ein, zwei Bewerbungen laufen, aber auch keine großen Illusionen diesbezüglich. Tolle Gedanken, passen gut zum Wetter. Ach scheiße, was soll's. Nur nicht unterkriegen lassen. Zweite Tasse Kaffee und noch 'ne Kippe.
Ich schau mal in die Fernsehzeitschrift, was heute so läuft. Vielleicht wird der Film von gestern, bei dem ich eingeschlafen bin, noch mal wiederholt. Manchmal machen die das, wenn der jugendfrei ist. Dann kommt der am nächsten Tag nachmittags noch mal. Besser als Talkshows oder diese Pseudo-Gerichtsverhandlungen. Ja, stimmt, der Film kommt noch mal. Also gut, dann ist der verregnete Tag ja schon fast gerettet.
Heizung ist an, heißer Kaffee und trotzdem wird mir langsam kühl. Ich bin ja noch immer nackt. Ziehe mir wohl besser was an, obwohl es so eigentlich am bequemsten ist, aber frieren will ich auch nicht. Als ich gerade aufgestanden bin, klingelt das Telefon.
»Wecker«
»Guten Morgen Herr Wecker!« tönt es gut gelaunt aus dem Hörer. »Mein Name ist Buchmüller von der Firma Heberlein Metallwaren. Es geht um Ihre Bewerbung bei uns!«
»Ja?« frage ich, »hab ich was vergessen?«
»Nein Herr Wecker. Ich muss Ihnen nur leider mitteilen, dass uns Ihre Bewerbung zu spät erreicht hat. Wir haben die Stelle bereits vergeben.«
»Ach so?« Blöde Frage eigentlich, war auch mehr als Feststellung gemeint.
»Ja, es tut uns leid, aber unter diesen Umständen können wir Ihre Bewerbung natürlich nicht mehr in Betracht ziehen. Wir waren ja auch an einer schnellen Wiederbesetzung der freien Stelle interessiert!«
»Ja, schade« sage ich, »kann man nichts machen. Aber warum rufen Sie an?«. Normalerweise kommen Absagen immer schriftlich, da muss man sich keinen dummen Nachfragen stellen. Das hier war verdächtig.
»Herr Wecker, ich rufe an, weil bei uns im Werk eine andere Stelle zu besetzen wäre!« Immer dieses 'Herr Wecker', so betont freundlich. Kam irgendwie schmierig rüber. Aber erst mal abwarten.
»So, was denn für eine Stelle?« Meine Neugier war geweckt.
»Nun, sehen Sie, lieber Herr Wecker ...« 'lieber Herr Wecker', die Steigerung der Schmierigkeit. Kann den Typen jetzt schon nicht leiden. Aber er fuhr fort: »Wir benötigen eine Reinigungskraft, die sich auch mit den Maschinen auskennt, das ist ja alles hochsensibel und da können wir nicht jeden dran lassen. Sie wissen ja, was in einem Betrieb wie unserem so alles anfällt..«
Ich fiel ihm ins Wort.
»Hören Sie, das können Sie sich schenken. Ich will in meinem Beruf arbeiten und keine Hilfsdienste machen, schon gar nicht putze ich den Dreck hinter anderen weg!«
»Ja, das können wir gut verstehen, Herr Wecker.« Wir. er sagt immer »wir«. Spreche ich mit mehreren? Was für ein Idiot. Aber er fuhr fort: »Aber das ist besser als nichts und Sie wären schon mal bei uns in der Firma. So lernen wir uns kennen und wer weiß, wenn dann mal wieder was Passenderes frei wird.«
»Da glaube ich nicht dran und Sie auch nicht, wenn Sie ehrlich wären. Ich bin keine Putzfrau oder Putzmann. Ich mach' nicht jeden Scheiß, so was hab ich nicht nötig!« Bin wütend. Will der Spacko mich doch mit einem Job ködern, den es gar nicht gibt, nur um einen Dummen für die Drecksarbeit zu finden. Nicht mit mir!
»Das sehen Sie falsch Herr Wecker, da ergibt sich bestimmt mal was, irgendwann«.
»Dann rufen Sie mich an, wenn's soweit ist! Ich bin Facharbeiter. Kein Hibi!«
»Nun...« hob der andere wieder an, aber ich hatte schon aufgelegt. Keinen Bock auf so was. Ganz neue Masche. Mein Kaffee war inzwischen kalt. Mir war kalt. Ich stand ja immer noch nackt hier herum. Wollte mir ja eigentlich was anziehen, als der Depp anrief. Jetzt aber.
Mit frischem Kaffee, einer Zigarette im Mundwinkel und einem Jogginganzug flätzte ich mich aufs Sofa und machte die Glotze an. Ein paar Scheiben Toast und Marmelade hatte ich noch und so ließ ich es mir gut gehen an diesem trüben Tag.
Als ich wieder aufwachte, tat mir der Rücken weh und ich musste zunächst mal kurz nachdenken, warum ich hier auf dem Sofa lag. Muss wohl beim Fernsehen eingeschlafen sein. Schon wieder. Dieser Film hat ja eine durchschlagende Wirkung.
Soll wohl nicht sein, dass ich ihn sehe. Ich streckte mich vorsichtig, um die Knochen wieder alle in die richtige Position zu bringen und so langsam wurde ich wach.
Draußen dämmerte es schon wieder. Tat es das eigentlich nicht den ganzen verdammten Tag lang schon? Ist ja gar nicht erst richtig hell geworden heute. Es regnete immer noch. Jetzt als leichter Nieselregen. Genauso beschissen.
Ich machte den Fernseher aus und ging aufs Klo. Dann, wieder in der Küche, meldete sich mein Magen. Die beiden Toasts waren verarbeitet und er verlangte knurrend nach neuer Arbeit. Der Kühlschrank offenbarte die gleiche Leere wie mein Magen und so schloss ich die Tür wieder. Käse.
Vielleicht zu Hilde? Hilde war die Wirtin von der Kneipe, die ich kürzlich entdeckt hatte, als ich gefrustet von einem Vorstellungsgespräch auf dem Heimweg war. Hildes Kneipe hatte einige eigene Parkplätze vor dem Haus, das war ein gutes Argument. Ich hielt kurz entschlossen an und trank ein Bier, aß eine Wurstplatte und gönnte mir einfach mal diesen kleinen Luxus. In der Wirtschaft kannte ich niemanden, es war auch nicht sonderlich voll und Hilde war nett und gesprächig. So war es damals ganz angenehm dort.
Also gut, abgemacht, auf zu Hildes Wurstplatte. Konnte man sich gerade noch leisten und ich brauch' nicht einkaufen und mir selbst was machen.
Ich zog mir was an, nahm den Autoschlüssel, meine Jacke und schon war ich im Hausflur. Als ich draußen war, regnete es noch immer. Die Menschen hasteten über den Gehweg, Kragen hochgeschlagen, bepackt mit Einkaufstüten, Aktentaschen und Schirme hochhaltend. Ich hatte meinen Schirm natürlich vergessen. Stand noch oben im Flur. Typisch ich! Den ganzen Tag Regen, ich geh' nur einmal raus und lass den Schirm oben. War mir jetzt auch egal. Mein alter Escort parkte nicht weit weg und ich tat es den anderen gleich und hastete zum Auto.
Als ich den Motor startete, sah ich auf die Uhr im Armaturenbrett. 18:10 leuchtete dort. Ich saß auf irgendwas drauf, was ich natürlich erst bemerkte, nachdem ich schon angeschnallt war, aber ich friemelte das Papier unter meinem Hintern raus. Ach ja. Vom Arbeitsamt. Termin am Freitag, hatte ich ganz vergessen. Hab den Wisch am Samstag ins Auto geworfen, nachdem ich am Briefkasten war. Gut dass ich nicht heute schon hingegangen bin, die hätten ja den Eindruck gehabt, ich hätte sie nicht alle.
Die blöden Scheiben im Auto sind total beschlagen. Ich war ziemlich nass geworden und hatte vergessen, die Scheiben einen Spalt zu öffnen. Lüftung volle Pulle nach oben, aber das brachte nicht viel. Mit dem Jackenärmel wischte ich ein wenig und fuhr dann los. Wenn die Heizung erst mal ein bisschen wirkte, würde es schon gehen.
Vor Hildes Kneipe waren noch zwei, drei Parkplätze frei. Super, denn auf der Straße kriegst Du hier nie einen Parkplatz. Ich rangierte rückwärts in eine Lücke und ging rein.
»Peter?« Meinen Namen hier zu hören, als ich eintrat, erschreckte mich ein wenig. Und noch mal: »Peter!«. Ich drehte mich nach links zum ersten Tisch, der ein wenig zurück versetzt in einer kleinen Nische stand. Da saß Werner, einer meiner alten Arbeitskollegen. Er hatte mich gleich erkannt und sofort gerufen, sichtlich erfreut.
»Hey Werner, gibt's Dich noch?« entgegnete ich und gab ihm die Hand.
»SetzDich, komm. Hast doch ein bisschen Zeit, oder?«
»Klar« sagte ich. »Zeit hab ich immer. Vor allem Zeit...«
Hilde kam und fragte, was ich wollte. Dabei lächelte sie uns an und wir bestellten jeder ein großes Kölsch. Ich nahm die Wurstplatte und Werner hatte wohl schon gegessen, denn Hilde nahm ihm einen leeren Teller mit benutztem Besteck ab, den Werner ihr hin hielt.
Werner. Er war ein wirklich guter Kollege gewesen, damals. Nett, zurückhaltend, etwas introvertiert gegenüber den anderen, aber immer ganz korrekt. Eher der stille Typ. Deshalb war ich auch um so mehr überrascht, ihn hier zu sehen und zudem so laut nach mir rufend. Er hatte schon ein paar Kölsch intus und seine Zunge war gelockert.
Wir quatschten über die Arbeit, Werner war noch in der Firma, hatte aber gerade Urlaub und war hier in die Straße umgezogen. Scheidung. Schöner Mist. Nun fiel ihm im neuen Zuhause wohl die Decke auf den Kopf und er wollte hier ein wenig unter Leuten sein. Da kam ich natürlich wie gerufen.
»Hilde, noch mal zwei!« rief er und hielt sein noch halb volles Glas hoch. Legte ja ein gutes Tempo vor. Ich trank einen großen Schluck und merkte den Alkohol schon. Hatte ja noch nichts gegessen außer den beiden Toasts heute morgen.
Hilde kam mit zwei großen Kölsch und meiner Wurstplatte. Nachdem beides in meinem Magen war, konnten sich weder ich noch mein Magen beklagen. Ich war satt und das Verdauungsorgan hatte zu tun. Die Leber gleich mit, denn das nächste Bier war schon im Anmarsch. Werner und ich haben uns wirklich gut unterhalten, auch meine Zunge lockerte sich.
»Mensch Peter, eigentlich hast Du es doch ganz gut. Musst nicht mehr malochen. Kannst es Dir gemütlich machen und das Leben genießen!« sagte Werner.
»Ja, schön wär's. Aber wovon denn? Knete ist schon sehr knapp mit Hartz IV, glaub mir das mal!« sagte ich.
Ihm ging es aber auch nicht besser. Er sagte, die Scheidung war verdammt teuer und er arbeite eigentlich nur noch für seine Frau, seine Ex-Frau, wie er sich schnell verbesserte. Hatte es wohl noch nicht überwunden, der Arme. Ich hab auch verdammt lang dran zu knapsen gehabt, dass Maria nicht mehr da war. Schon irgendwie komisch, schoss es mir durch den Kopf. Der hat auch keine Frau mehr, aber zahlt immer weiter. Ich hab nur die Beerdigung gezahlt und das war's. Also besser tot als geschieden? Unsinn, hör auf, so einen Bockmist zu denken.
»Hey, scheiß drauf« riss mich Werner von meinen gedanklichen Abschweifungen los. »Heute geht alles auf mich! Keine Sorge!«
»Wirklich? Nein, das geht nicht, Werner. Du hast Deine Scheidung und den Umzug am Hals. Ich zahl' mein Bier schon selbst« sagte ich.
»Unsinn! Heute nicht. Ich hab was zu feiern und da lade ich Dich ein!« sagte Werner.
»So, was denn?« fragte ich.
»Geburtstag. Ich habe heute Geburtstag!« Während des Sprechens wurde Werner immer leiser und ich spürte seine Traurigkeit.
»Hey Glückwunsch!« überspielte ich die aufkommende Melancholie. »Ich hatte ja keine Ahnung«, sagte ich.
»Schon gut, ich wüsste Deinen Geburtstag auch nicht mehr« sagte Werner und hob das Glas. Wir stießen an und das noch mehrmals.
Später kam Hilde zu uns an den Tisch und sagte, es sei nun bald Schluss. Um eins mache sie zu und das sei in einer halben Stunde.
„Also ein Bier noch und dann ist wirklich Schluss für heute. Kommt morgen gerne wieder, Jungs. Dann gebe ich Euch mal eins aus.“
Sehr geschäftstüchtig, die Hilde. Aber nett. Also trank ich aus und schickte mich an, zu gehen. Werner bestand nochmals darauf, dass er zahlt und so ging ich noch mal aufs Klo und Werner zahlte. Ich bedankte mich nach meiner Rückkehr vom Klo bei Werner und wir machten ganz unverbindlich aus, uns mal wieder zu treffen, war doch nett und lustig. Werner ging zu Fuß, er wohnte ja jetzt nur ein paar Häuser weiter. Sehr praktisch.
Als ich wieder an der frischen Luft war, merkte ich den Alkohol noch mehr. Puh, ich war das so nicht gewohnt. Mal abends ein Bier, ok, aber heute waren es ein paar mehr, das hatte ich so gar nicht vorgehabt. Es regnete wieder stärker.
»Meine Güte, hoffentlich ist das Auto nicht weg geschwommen« faselte ich so vor mich hin, albern kichernd. Alkohol hat schon eine bescheuerte Wirkung! Nachdem ich mit einiger Mühe den Wagen aufgeschlossen hatte, saß ich endlich drin und schon startete ich den Motor. Jetzt dachte ich auch daran, die Scheibe ein Stück runter zu machen.
Ich bog vom Parkplatz links auf die kleine Straße ab, an der Hildes Kneipe lag und kam gleich zum Militärring. Dort an der Ampel musste ich bei Rot warten. Eigentlich quatsch, kein anderes Auto auf der Straße, dachte ich gerade, als doch noch einer von rechts kam und weiter auf dem Militärring fuhr. Ich knurrte und gähnte.
Grün. Blinker rechts, hoppla. Ich hatte den Wagen abgewürgt. War zum Glück keiner hinter mir. Also neu starten und los. Jetzt auf dem Militärring war ich auch in meiner Richtung allein unterwegs, stadtauswärts. Bei dem Wetter, noch dazu Montag Nacht, blieben wohl alle lieber zu Hause. Einer kam mir entgegen und der blinkte ein paarmal mit der Lichthupe. Was denn? Ach scheiße, Fernlicht an, fiel mir auf. Scheiben waren auch nicht mehr so stark beschlagen, also kann ich das ausmachen, kicher...
Fernlicht aus, Radio an, ich gähnte schon wieder. Wollte jetzt nicht auch noch auffallen, also Konzentration! Fehlte noch, dass die Bullen mich so erwischen. Diese blöden Scheibenwischer taugen auch nichts mehr. Schmieren nur noch und müssen baldmöglichst ausgetauscht werden. Hier ist jetzt auch keine Straßenbeleuchtung mehr, rechts und links der Straße Wald. Viele Spazierwege, keine Ahnung wohin die führen. Jetzt war der Wald nur schwarz und da ging bestimmt keiner spazieren bei dem scheiß Wetter.
Ich wische noch mal mit dem Ärmelbündchen meiner Jacke an der Windschutzscheibe. Radio lauter, Tina Turner »We don't need another Hero« im ARD Nachtrock auf WDR 2.
Als ich im Augenwinkel rechts am Fahrbahnrand das Licht sah, krachte es auch schon fürchterlich. Im gleichen Moment. Ich verriss das Lenkrad leicht und trat voll auf die Bremse.
»Scheiße, Mann, was war das?« rief ich zu mir selbst. Der Wagen stand, aber mein Herz raste. Was war das für ein schreckliches Geräusch gewesen? Nicht einfach ein Zusammenprall mit was auch immer. Da war ein Knirschen und ein Schleifgeräusch und verdammt, war da noch was? War da auch ein Schrei gewesen? Ich hab gebremst, aber irgendwo ist der Wagen trotzdem drüber gefahren, es hat gehoppelt. Ein »Klong!« hatte ich auch noch gehört, das kam mehr von unten als von vorne oder seitlich.
»Oh Mann, Scheiße! Was war das?«. Ich war geschockt, erschrocken, mein Herz raste, mein Hirn ratterte und mir fiel außer »Scheiße« nichts Gescheites ein. Ich stieg aus, meine Knie knickten leicht weg, ich ging nach hinten zum Wagen, um zu sehen, was ich überfahren hatte. Das Licht war schlecht, aber soweit ich das sehen konnte, war da nichts, gar nichts. Der Wagen schien hinten in Ordnung, beide Rücklichter brannten. Also nach vorne und dort mal sehen. Da musste ja was sein, so wie das gerummst hatte.
Und richtig, da war was. Der rechte Scheinwerfer war aus, das Glas gesplittert. Die Motorhaube stand darüber ein Stück hoch und hatte eine unschöne Wölbung nach oben bekommen. Das meiste hatte der rechte Kotflügel abbekommen, der war recht stark eingedrückt, im vorderen Bereich mehr als nach hinten. Das Rad schien in Ordnung, der Reifen war nicht platt.
»Oh Mann, verdammter Mist. Was hab ich da nur erwischt?« murmelte ich vor mich hin. Ich ging jetzt wieder nach hinten, aber diesmal nicht nur bis zum Heck meines Wagens, sondern weiter nach hinten. Ich
habe ja nach der Bremsung nicht sofort gestanden fiel mir ein, also musste sich weiter hinten, da wo der Aufprall gewesen sein musste, ja noch irgendwas finden. Ich hatte Angst, vor dem, was ich da finden würde.
Zunächst konnte ich nichts erkennen, die Rücklichter meines Wagens brachten da gar nichts. Ich ging einige Meter und dann sah ich was. Da lag was auf der Straße, am rechten Fahrbahnrand, halb im Graben. Das war kein Reh, soviel war von hier aus schon mal klar. Mein Herz schlug wieder schneller, nachdem es vorher den Takt etwas reduziert hatte.
Ein Motorrad, ja richtig. Oder besser das, was davon übrig war. So wie ich es erkennen konnte, war die Gabel vorne total verbogen, das Rad war ab und der Lenker war total krumm. Das Tank schien abgerissen zu sein, jedenfalls stank es nach Sprit. Das Krad lag auf der Seite, nur die Vordergabel auf der Straße, der Rest im Graben. Das Licht, was ich im Augenwinkel unmittelbar vor dem Zusammenstoß gesehen hatte, musste von dem Motorradscheinwerfer gekommen sein. Jetzt war es aus, der Scheinwerfer war gesplittert, genau wie meiner. Überall lagen kleine Splitter, Scherben und Plastikteile herum, ich trat auf einiges, was knirschte und zerbrach. Das Licht war wirklich schlecht hier.
Aber außer dem Motorrad konnte ich auf Anhieb nichts erkennen. Keinen Fahrer. Wo war der Fahrer? Oh Gott, schoss es mir durch den Kopf. Ich ging noch ein paar Meter weiter und sah angestrengt in den Graben und den anschließenden Waldrand.
Da!
Fast direkt hinter der Maschine lag jemand, ganz in schwarz gekleidet offenbar, denn ich sah ihn erst im letzten Moment. Keine Reflektoren oder so was. Ich stürzte in den Graben neben der Maschine und schon konnte ich mehr erkennen. Da lag ein Mensch, offenbar ein Mann, schwarze Jacke, schwarze Hose. Gesicht nach unten. Kein Helm. Der lag ein Stück weiter. Hatte er offenbar beim Unfall verloren. Ich ging vorsichtig noch einen Schritt näher und rief
»Hallo, hey Sie, alles ok?«. War natürlich Blödsinn, natürlich war nicht alles ok, aber in so einer Situation ruft man nicht etwas logisch durchdachtes.
»Hey, hallo, können Sie mich hören?« rief ich erneut und da
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Texte: (c) Stefan Lehner
Bildmaterialien: Umschlaggestaltung, Illustration: Stefan Lehner nach einem Foto von Gerd Waloszek c/o pixelio.de
Lektorat: Stefan Lehner
Tag der Veröffentlichung: 04.12.2012
ISBN: 978-3-7309-0082-6
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine geliebte Frau Katja
Danke für Deine Geduld und Nachsicht