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Prolog


Was ist Wahrheit? Die meisten können es nicht beantworten. Wenige glauben es zu wissen. Es gibt die Legende eines Mannes, der die Wahrheit über alles kannte. Dieser Mann stammt aus einer längst vergangenen Zeit. Die meisten sagen es hat ihn nie gegeben. Viele sagen, er ist tot. Wenige sagen er lebt… bis heute. Was ist Wahrheit?

***

1. Der Überfall


Ein geheimnisvoller Mann und seine Anhänger betraten eines der Dörfer des Ignis Stammes.
Jeder von ihnen sah sehr kräftig aus und sie waren aus ganz verschiedenen Stämmen, was unüblich für eine Gruppe von mindestens zehn Mann war. Es scheinen Kämpfer oder Soldaten zu sein. Die Bewohner des Dorfes musterten sie skeptisch, während die Gruppe langsam auf ein Haus zuging. Es war das Haus von Sabba dem Schmied und seiner Frau Tamris. Sabba war wie gewöhnlich mit seiner Arbeit beschäftigt und ließ sich durch die Besucher nicht beirren. Mit seiner flammenden Faust schlug er immer wieder auf ein Stück Eisen ein. Er war ein sehr starker Mann und wurde von allen im Dorf respektiert. Die kleine Gruppe von Männern blieb nun vor ihm stehen und einer von ihnen, es schien eine Art Anführer zu sein, trat hervor. „ Guter Mann, ich und meine Freunde haben einen langen Weg hinter uns. Ich bitte dich, gib uns doch ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen für eine Nacht und danach will ich dich nicht weiter bemühen“, sprach er und brachte somit seine Bitte vor Sabba.
Sabba war erstaunt darüber und dachte eine Zeit lang nach. Er kannte diese Männer nicht, aber seine Menschenkenntnis sagte ihm, dass es keine Verbrecher waren. Bloß der Anführer, welcher ihn angesprochen hatte, war anders als die anderen. Es war etwas unmenschliches an ihm, was Sabba verunsicherte. „ Wer seid ihr?“, fragte Sabba, um mehr Informationen zu bekommen. „ Ich bin der von dem viele gesagt haben, dass ich kommen werde. Ich bin ein Reisender, der viele Orte besucht hat und nicht mehr viele Orte besuchen wird. Meine Reise wird bald zu Ende sein. Ich brauche nur noch einen Ort, an dem ich das letzte Mahl zu mir nehmen kann bevor meine Reise endlich endet“. „ Du bist mir ein Rätsel Fremder und du redest Dinge von denen ich nichts verstehe. Aber ich verstehe etwas von Menschen und du gehörst zu den guten, das spürt man“, lachte Sabba. „ Seid meine Gäste solange ihr wollt“.
Zusammen traten sie in das Haus ein. Es war einfach gehalten, aber jeder von ihnen fand Platz darin. Sabba hatte auch eine kleine Scheune in der die neuen Gäste übernachten konnten. Tamris tat alles dafür, um den Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten.
Doch immer wieder hörte man das Schreien eines Kindes aus dem Nebenzimmer, woraufhin sie kurz darin verschwand und kurz danach wieder Ruhe herrschte. So ging es drei Tage lang. Als sich die Gäste verabschieden wollten forderte der geheimnisvolle Mann Tamris auf ihren Sohn zu ihm zu bringen. Tamris gehorchte, obwohl sie skeptisch war. „Woher wusste er, dass es ein Sohn war? Wer ist dieser Mann und was hat er vor?“, dachte sie bei sich. Auch Sabba wurde nun nervöser, als es um seinen Sohn ging. Kurz darauf betrat Tamris wieder den Raum und zeigte voller Stolz ihren Sohn, der wohl erst vor kurzem geboren worden war. „ Wie heißt er?“, fragte der Mann. „Wir haben noch keinen passenden Namen für ihn“, sagte Sabba zögernd. Nachdem er Tamris gefragt hatte, nahm der Mann den kleinen Menschen auf seine starken Arme und schaute ihm tief in seine blauen Augen. Anders als bei anderen Fremden, verhielt der kleine Junge sich dieses Mal sehr ruhig. Der Mann hielt seine rechte Hand an den Hinterkopf des Kindes und fing an leise, unverständliche Worte zu sprechen .Plötzlich wurde es hell in dem Raum. Es war ein rötliches, warmes Licht, das scheinbar alles zu durchdringen schien. Sabba und Tamris waren erschrocken was mit ihrem Jungen passiert und schrieen gleichzeitig er solle aufhören. Das Licht verschwand im selben Augenblick. „ Was hast du mit unserem Sohn gemacht“, schrie Tamris ihn an und nahm ihren Sohn wieder an sich. „ Ich habe ihm den Namen Cen Sioni gegeben. Als Dank für eure Gastfreundschaft, habe ich einen Segen über ihn gesprochen. Ihm ist nichts passiert, vertraut mir.“, sagt der Mann lächelnd und mit beruhigender Stimme. Er und seine Männer verließen das Dorf und alles ging wieder seinen gewohnten Gang. Er war ein guter Mann und dem kleinen Cen Sioni gefiel sein neuer Name. Seit diese Gruppe Männer da war, lag ein tiefer Friede auf dem Haus und auf ihrem Sohn. Es war wie ausgewechselt. Sabba und Tamris vertrauten diesem Fremden aus tiefstem Herzen. Sie wussten nicht genau warum, aber durch seinen Besuch hatte er ihr Leben verändert und ganz besonders das Leben ihres Sohnes.

***

Die Jahre vergingen wie im Flug und Cen wuchs zu einem stattlichem jungen Mann heran. Oft half er seinem Vater bei der Arbeit, aber er konnte sich nicht richtig damit anfreunden. Er hatte zwar starke Hände und von seinem Körperbau gesehen, könnte man meinen, dass er die Schmiede seines Vaters irgendwann übernehmen würde. Doch tief in seinem Herzen war eine Sehnsucht. Eine Sehnsucht nach… er konnte es auch nicht genau beschreiben. Eines Tages saß er bei seinem Vater und schaute ihm bei der Arbeit zu. Sabbas feurige Faust formte das Eisen, wie er es wünschte. „ Vater, werde ich auch mal so eine Fähigkeit besitzen?“, fragte Cen etwas zögernd. „ Du hast eine feurige Hand und du bist perfekt ausgerüstet für deinen Beruf, aber ich frage mich was ich kann? Bis jetzt habe ich nichts wunderbares an mir entdeckt“. Sabba legte bedächtig das glühende Eisen nieder und schaute seinem Sohn tief in die Augen. Jeder junge Mann wünscht sich in irgendeiner Sache gut zu sein, es besser zu können als andere. Cen war nun 18 Jahre alt. Ein Alter, in dem viele Fragen aufkommen, die zu beantworten sehr wichtig sind. Bedächtig schaute Sabba seinen Sohn an, welcher ihn mit erwartungsvollen Augen anblickte. Cen wusste, dass sein Vater sehr weise war und erwartete nun endlich die Lösung, was seine Fähigkeit angehen würde. „Mein Sohn“, sagt Sabba langsam, „ lass uns einen Spaziergang machen“. Damit hatte Cen nicht gerechnet. Er wollte die Antwort jetzt sofort, nicht erst nach einem Spaziergang. Aber er hatte keine Wahl. Um überhaupt irgend etwas zu erfahren musste er seinem Vater nun folgen. So schlenderten sie zusammen durch das Dorf. Die Häuser waren mit feuerroten Ziegeln gebaut, die in der Abendsonne rot zu leuchten schienen. Sie kamen an den vielen verschiedenen Menschen des Dorfes vorbei, die langsam anfingen ihre Arbeit niederzulegen, da es bald dunkel sein würde. Da war zum Beispiel Pranu der Heizer. Er hatte ein Heizsystem entwickelt, wodurch er jedes Haus des Dorfes warm halten konnte. Es bewirkt das irgendwie durch seinen feurigen Atem, aber junge Männer wie Cen neckte er nur, indem er sagt, dass es ein Betriebsgeheimnis sei. Außerdem war da noch Ristop der Bäcker. Er kann alles, was er berührt sehr stark erwärmen. Deswegen backt er das Brot mit seinen bloßen Händen. Es waren noch einige mehr, aber nun fing sein Vater an zu erzählen und Cen hörte auf, sich auf die Leute zu konzentrieren. „ Unser Dorf, mein Junge, trägt den Namen Ignis nicht umsonst. Dieser Name bedeutet Feuer. Und Feuer ist das, was wir sind. Der Gott dieser Welt, sein Name ist Pagea, schuf vor langer Zeit alles, was du sehen kannst. Die Berge, die Täler und Wiesen, alle Pflanzen, Tiere und Menschen. Uns Menschen gab er verschiedene Fähigkeiten, mit denen wir arbeiten können. Wir können die Macht des Feuers, des Wassers, der Luft und der Erde nutzen. Das sind die natürlichen Fähigkeiten, die Pagea uns gab, damit wir in dieser Welt zurecht kommen. Jeder bekommt eine ganz besondere Fähigkeit von ihm und davon ist keiner ausgenommen. Ich entdeckte ungefähr als ich in deinem Alter war, dass ich meine Hand brennen lassen kann ohne mich zu verletzen. Seitdem schmiede ich mit dieser mächtigen Gabe, denn das ist meine Bestimmung. Auch du wirst eine Fähigkeit an dir entdecken und sie wird etwas ganz besonderes sein“. Cen hatte sich alles angehört und die ganze Sache mit dem großen Gott Pagea hatte er auch schon mal irgendwo gehört. Allerdings war er seiner Fähigkeit dadurch noch nicht wirklich näher gekommen. Sabba sah den ungeduldigen Blick seines Sohnes und lachte laut. „ Lass uns wieder nach Hause gehen Junge, deine Mutter wartet bestimmt schon mit dem Essen auf uns“. Es dauerte nicht lange und da hörten sie schon die Stimme eines jungen Mädchens. „ Papa, Papa, da bist du ja. Ich habe Mama heute ganz viel geholfen und wir haben ganz viele tolle Sachen gekocht“, rief sie während sie ihrem Vater stürmisch in die Arme sprang. „ Das ist ja toll Sol Vera, ich bin stolz auf dich“, lobte Sabba seine Tochter und setzte sie wieder ab. Cen hatte seine Schwester sehr gern, obwohl sie sehr unterschiedlich waren. Sol Vera war erst acht Jahre alt und Cen war immerhin schon zehn Jahre älter. Sie hatte lange blonde Haare und seine waren dagegen ganz schwarz. Es gab jedoch eine Gemeinsamkeit, die sie beide verband und das waren die klaren blauen Augen. Und schon sprang Sol Vera auch schon in Cens Arme, um ihn auch zu begrüßen. Sie drückte ihre Hände fest an Cens Oberkörper und er spürte Wärme in seinem Herzen. Cen liebte es wenn sie das tat. Sabba schaute liebevoll auf seine beiden Kinder herab und dann zu Cen. „Ja, deine Schwester ist schon etwas besonderes. Sie hat die Gabe, die Herzen der Menschen zu berühren“. Als sie zu Hause ankamen, wartete Tamris schon mit dem Essen, welches einen wundervollen Duft im ganzen Haus verbreitete. Gemeinsam aßen sie und unterhielten sich angeregt über den Tag. „Cen bringst du mich heute ins Bett?“, fragte Sol Vera mit einem bittenden Blick. Tamris lächelte. „ Wenn sie dich so anschaut, kannst du ihr sowieso nichts abschlagen“, sagte sie mit einem Augenzwinkern. „ Tja, da hast du wohl Recht Mama“, lachte Cen, „ komm Sol Vera“. Als sie dann alleine in Sol Veras Zimmer waren und Sol Vera sich schon in ihre warme Decke kuschelte, blickte sie Cen noch einmal nachdenklich an. „ Cen versprichst du mir, dass du bei mir bleibst?“, fragte sie leise. Verwundert über diese Frage setzte Cen sich nun neben das Bett seiner Schwester. „ Wie meinst du das? Ich bin doch bei dir“. „ Aber du wirst fortgehen von hier und kämpfen“, flüsterte sie traurig. „ Wie kommst du denn darauf? Ich bin kein Kämpfer. Vermutlich werde ich einfach Papas Schmiede übernehmen, das ist alles. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen“, versucht Cen sie zu beruhigen. Sol Vera fielen schon die Augen zu, so müde war sie. „ Schlaf jetzt Schwesterchen“, flüsterte Cen und ging zur Tür. „ Feuerschwert… in deinem Herzen…“, murmelte sie nur noch in ihr Kissen und schlief dann endgültig ein. Cen hörte noch seine Eltern, wie sie leise miteinander redeten, aber aufgewühlt von Sol Veras Worten entschied er sich auch ins Bett zu gehen. Lange Zeit konnte er nicht schlafen. „ Was hat das nur zu bedeuten. Ein Feuerschwert? Mitten in meinem Herzen? Ich ein Kämpfer? Das ich nicht lache. Bis heute habe ich noch nie wirklich gekämpft und eine Fähigkeit habe ich auch noch nicht, die ich für so etwas einsetzen könnte“, dachte er bei sich. Er dachte auch viel über Sol Veras Fähigkeit nach. Sie war erst acht Jahre alt und benutzte ihre Fähigkeit schon. Zwar mehr aus ihrer Gefühlslage heraus, aber sie benutzte sie schon. Und er? Er wartet schon seit einer halben Ewigkeit darauf, dass sich in dieser Hinsicht mal etwas tut. Aber da ist nichts. „ Vielleicht bin ich ja in Wirklichkeit der einzige Mensch auf dieser Erde, den Pagea bei der Verteilung der Gaben vergessen hat“. Das war Cens letzter Gedanke bevor er nach einer langen Zeit des Nachdenkens endlich einschlief.

***

Als Cen am nächsten Morgen aufwachte, waren seine Gedanken immer noch bei den Worten seiner kleinen Schwester. Er beschloss seinen besten Freund Coram zu besuchen und ihn nach seiner Meinung zu fragen. Cen schätzte ihn sehr und er war wie ein Bruder für ihn. . Gleich nach dem Frühstück würde er losgehen. Coram wohnte etwas abseits in Ignis, aber so weit war es nicht entfernt, sodass Cen nicht lange brauchte, um zu ihm zu gelangen. Cen sah Coram schon von weitem vor seiner Hütte liegen. Er war etwa so groß wie Cen und hatte braune Haare, meist ziemlich unordentlich und einzelne Strähnen fielen ihm ins Gesicht. Zusammen mit seiner Mutter lebte er dort in diesem Haus. Sein Vater hatte die Familie vor langer Zeit verlassen. So lebte Coram immer unbeschwert in den Tag hinein und genoss die Dinge, die das Leben zu bieten hatte. „ Na du Faulpelz, liegst du wieder den ganzen Tag nur auf der Wiese“, lachte Cen als er direkt vor ihm stand, ohne dass Coram auch nur etwas gemerkt hätte. „ Ah Cen, schön dass du mich mal wieder besuchst“, grinste er und hielt sich eine Hand vor seine braunen Augen, da die Sonne ihn blendete. „ Ich habe gerade davon geträumt, wie eine wunderschöne Prinzessin nur darauf wartet von mir gerettet zu werden“. Das war wieder einmal typisch. Coram dachte den ganzen Tag nur an hübsche Frauen. „ Und an welche hübsche Prinzessin hast du diesmal gedacht?“, fragte Cen sarkastisch und setzte sich zu ihm auf die Wiese. „ Na an die Prinzessin des Wetar Stammes. Sie soll wunderschön sein“.„ Die kannst du niemals für dich gewinnen. Schönheit ist praktisch ihre Gabe“, lachte Cen. „ Naja für den Schönsten nur die Schönste“. Wenn Cen nicht wüsste, wie unglaublich überzeugt Coram von sich selbst ist, hätte er ihn vermutlich für verrückt erklärt. Coram war ein Träumer, aber das störte Cen nicht weiter. Schließlich waren sie in irgendeiner Art und Weise Brüder. „ Also warum ich eigentlich zu dir gekommen bin...“, fing Cen an und wurde gleich unterbrochen. „ Ist nicht wahr. Du hast endlich eine Freundin? Ich bin so stolz auf di…“. „ Hey, bleib bitte etwas ernster. Meine Schwester hatte wohl eine Art Vision. Sie hat ein Feuerschwert in meinem Herz gesehen und irgendwas geredet, dass ich fortgehen werde, um zu kämpfen“. Jetzt wurde selbst Coram etwas ernster. „ Ach Cen. Sol Vera ist acht Jahre alt. Sie hat eine blühende Fantasie“, sagte er skeptisch. „ Ja, aber was wenn Pagea tatsächlich will, dass ich ein Kämpfer werde?“. „ Das ist Blödsinn. Das jeder Mensch Gaben hat ist klar. Aber dass sie von diesem Gott kommen sollen ist einfach ein Hirngespinst der Menschen. Die meisten brauchen einfach etwas woran sie sich festhalten können und du entwickelst dich auch immer mehr in diese Richtung“, antwortete Coram schon etwas ärgerlich. „ Außerdem wo ist Pagea, wenn die Menschen Krieg führen? Warum greift er in seiner ach so großen Macht nicht ein?“, provozierte Coram. „Und… warum hat er meinen Vater gehen lassen?“, fügte er noch leise hinzu und senkte seinen Blick. „ Ich weiß es nicht…“, antwortete Cen nachdenklich. „ Siehst du. Und eine kämpferische Gabe hast du auch noch nicht. Bis jetzt hast du gar keine Gabe und ich auch nicht und falls diese Gaben von Pagea kommen möchte ich auch keine haben“
Vermutlich konnte Cen nichts tun, um seinen sturen Freund umzustimmen, deswegen schwieg er eine Weile. Vielleicht hatte Coram ja Recht und Sol Vera hat sich das wirklich nur ausgedacht. In einem Punkt würde er Coram aber nie Recht geben. Es gibt Pagea! Daran glaubte Cen ganz fest. An diesem Tag taten die zwei Freunde nicht mehr viel, außer die Sonne zu genießen und über das Leben zu philosophieren. Als die Sonne anfing unterzugehen, verabschiedete sich Cen und ging wieder Heim. Friedlich war es im Dorf. Er liebte diese Ruhe am Abend und es gab ihm irgendwie ein Gefühl von Sicherheit. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass er zu dem wahrscheinlich mächtigsten der vier Stämme gehörte und niemand einfach so ein Dorf des Ignis Stammes angreifen würde. Jedenfalls war das Cens Bild der Situation und das gefiel ihm auch ganz gut. Sein Vater ermahnte ihn oft, die politische Lage des Landes im Blick zu behalten, doch kümmerte Cen sich nicht wirklich darum. Zu Hause angekommen, schlich er sich leise ins Haus. Er war wieder einmal viel zu spät. „ Du bist ganz schön spät, wo warst du den ganzen Tag?“. Cen erschrak, als er die ernste Stimme seines Vaters hörte. „Ich… ich war bei Coram“. „ Das ist auch gar nicht schlimm das du da warst. Aber habt ihr zwei auch mitbekommen, was im Land vor sich geht, während ihr gefaulenzt habt?“. „ Oh nein. Eben hatte ich noch über Politik nachgedacht und schon fängt Papa damit an“, dachte Cen. „ Das hab ich mir gedacht. Gar nichts habt ihr mitbekommen“, seufzte Sabba. „ Tut mir Leid Vater… was ist denn nun so wichtig, dass wir es wissen müssen“. „ Die Teneri sind zurück. Sie haben schon mehrere Dörfer überfallen und töten jeden, der sich ihnen nicht anschließen will“, sagte Sabba leise und Cen konnte Furcht in den Augen seines Vaters sehen, was ihn sehr verunsicherte. Sein Vater war normalerweise absolut furchtlos. „ Aber…aber sind das nicht nur Geschichten?“. „ Nein mein Sohn, es sind Krieger die Gutes nehmen und es in Böses verwandeln. Heute kam ein schwer verletzter Mann des Molus Stammes zu uns. Sein Dorf wurde komplett verwüstet. Er wollte uns warnen“. „Was ist mit ihm?“, fragte Cen etwas ängstlich. „ Er ist seinen Verletzungen erlegen. Er ist tot. Das letzte was er tat war, uns zu warnen. Wir sollten seine Warnung ernst nehmen. Morgen werden wir Ignis verlassen“, sagte Sabba in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Cen konnte diese Nacht nicht schlafen. Es sollte die letzte Nacht in seinem geliebten Dorf sein. Er hatte schon Geschichten über die Teneri gehört. Sie sollen das Böse höchstpersönlich verkörpern, aber bis jetzt waren es eben nur Geschichten. Es war einfach nicht real für ihn gewesen. Getrieben von diesen Gedanken wälzte er sich hin und her. So sehr er sich auch anstrengte zu schlafen, es klappte einfach nicht. Also beschloss er einen Nachtspaziergang zu machen. Immer wenn er nicht schlafen konnte ging er nach draußen, um die Sterne zu sehen. Das Vulkangebirge war ganz in der Nähe. Ihr Dorf lag im Prinzip direkt am Fuße, dieses Gebirges. Dahinter befand sich eine Welt die Cen nicht kannte. Dort lebten die anderen Stämme und es soll viele faszinierende Wesen geben. Auch auf der anderen Seite des Gebirges gab es Feuerdörfer, aber ihre Heimat war schon immer das Vulkangebirge. Cen liebte diese unberechenbaren Berge. Die Macht des Feuers schlummerte tief darin und von Zeit zu Zeit brach der Vulkan aus. Ein wunderbares Naturschauspiel, wie Cen fand. Langsam stieg er den Berg hinauf. Er wollte den perfekten Blick auf die Sterne haben. Plötzlich zerriss ein Beben die Stille der Nacht. Alles wackelte und Cen konnte sich nicht auf den Beinen halten. Er stürzte und rollte den Berg wieder ein ganzes Stück herunter. Seine Gliedmaßen schmerzten von dem Aufprall. Was war nur geschehen? Dann hörte er Schreie. Sie kamen aus dem Dorf. Schnell stellte er sich wieder auf und schaute aufs Dorf hinunter. Es brannte und Menschen liefen schreiend umher. Wieder bebte die Erde und von seiner Position aus sah er nur wie ein komplettes Haus in sich zusammen brach. Er musste schnell zu seiner Familie. Er rannte, wie er noch nie zuvor in seinem Leben gerannt war. Der Weg war felsig und uneben und durch das häufige Beben wurde er oft zu Boden geschleudert. Endlich war er wieder am Dorf. Was er dort sah ließ ihn erschaudern. Es waren Spalten im Boden und teilweise waren ganze Häuser in ihnen verschwunden. Da in ihrem Dorf viel mit Feuer gearbeitet wird, hatte sich auch vieles entzündet und stand in Flammen. Leblose Körper lagen auf der Straße. Tränen liefen Cen das verstaubte Gesicht herunter. Aber er hatte keine Zeit. Noch durfte er nicht schwach sein. Zuerst musste er seine Familie finden. Sofort lief er ins Dorf und schaute nach den Überresten seines Hauses. Es war zur Hälfte eingestürzt. Cen ging hinein und schaute sich um. „Vater, Mutter, seid ihr hier drin?“, rief er fragend. Plötzlich hörte er ein Geräusch und eilte in die Richtung, wo er es vermutete. „Vater, was ist passiert?“, schrie Cen. Sabba lag dort verschüttet unter Gesteinsbrocken. Nur sein Kopf und einen Arm konnte man erkennen. „Cen…Junge…dir ist nichts passiert… such deine Schwester…sie konnte fliehen…“, brachte Sabba unter Schmerzen hervor und schloss die Augen. Cens Gedanken rasten. Er musste seinen Vater ausgraben, aber seine Schwester hatte vermutlich riesige Angst. Sie war doch noch so jung. Und wo war überhaupt seine Mutter? Schluchzend ging Cen auf die Knie. Was sollte er nur tun? Er spürte eine große starke Hand an seiner. Es war die seines Vaters. „ Cen Sioni, du bist der Mann, der die Gabe hat Sol Vera zu retten. Ich bitte dich geh und such sie“, rief Sabba mit letzter Kraft und ließ Cen wieder los. Die Worte des Vaters rissen Cen aus seiner Verzweiflung. Augenblicklich begann er zu rennen. Er musste seine Schwester finden, koste es was es wolle. Er durchsuchte das ganze Dorf. Es schien niemand zu geben, der das Beben überlebt hat oder überleben würde. Tränen liefen ihm über sein Gesicht. Flammen schlugen umher und weitere Häuser wurden von ihnen verschlungen. Plötzlich tat sich vor ihm ein Erdspalt auf. Er stolperte und fiel zu Boden. Langsam fragte er sich, was das für ein Beben war, das hier so wütete. Das Vulkangebirge hatte sich noch nie so verhalten. Doch dann hört er was. Es waren Schritte, doch woher kamen sie? Aus den lodernden Flammen eines Hauses erschien langsam eine Silhouette. Cen wurde aschfahl, als die Gestalt aus dem Feuer kam und er sie erkennen konnte. Es war ein sehr großer Mann, falls es überhaupt ein Mensch war. Sein rechter Arm war komplett versteinert. Wie ein Art Panzerung. Aber auch sein Brustbereich und sein Kopf und auch seine Füße waren mit Stein bedeckt. Sein linker Arm noch relativ normal. Seine Augen waren komplett schwarz und in ihnen war nichts als Leere zu sehen. Langsam kam dieses Wesen auf ihn zu und Cen konnte sich kaum aus seiner Starre lösen. Er wusste nicht was er tun sollte, er durfte jetzt nicht sterben. Seine Schwester brauchte ihn. Sie muss irgendwo in den Bergen sein und er musste sie finden. Endlich fing sein Gehirn wieder an richtig zu funktionieren. Das einzige was ihm einfiel war, aufzustehen und zu rennen. Er rannte, wie er noch nie in seinem Leben gerannt war. Hinter ihm hörte er ein Lachen und das letzte an was sich Cen erinnern konnte, war ein unglaubliches Beben, dass ihn von seinen Füßen riss. Sein Körper schmerzte und sein Blickfeld war verschwommen. Bevor alles schwarz wurde, war da noch dieses gleißende Licht…

2. Die Berufung


Cen sah sein geliebtes Dorf in sich zusammenfallen. Die Flammen verschlungen alles, was er sah, alles was er liebte. Er rannte hin und her und suchte seine Schwester. Oft stürzte er zu Boden und er fing an zu bluten, doch er durfte nicht aufgeben. Dann hörte er ein finsteres Lachen hinter sich und Furcht überfiel ihn. Langsam drehte er sich um und sah diese riesige dunkle Gestalt im Feuer. Seine Schwester war bei diesem Monster und schrie um Hilfe. Cen sah in ihre verzweifelten Augen und streckte seine Arme nach ihr aus, doch er entfernte sich immer weiter von ihr. Der Boden schien sich zu bewegen und alles bebte…
„ NEIN“, schrie Cen und saß senkrecht im Bett. Doch ein überwältigender Schmerz trieb ihn augenblicklich dazu wieder zurück auf sein Kissen zu fallen. Tränen liefen ihm das Gesicht herunter. Er hatte alles verloren, was ihm wichtig war durch eine Naturkatastrophe, ein Erdbeben. Seine Schwester soll geflohen sein, aber er hatte keine Anzeichen von ihr entdeckt. Würde er sie jemals wieder sehen? Das war alles an was er denken konnte.
Lange Zeit lag Cen einfach da und starrte in die Leere. Am liebsten wäre er tot, so schlecht fühlte er sich. Warum musste er ausgerechnet in dieser Nacht einen Spaziergang machen? Warum hatte er überlebt und nicht seine Schwester? Sie war doch noch so jung.
Plötzlich öffnete sich eine Tür und langsam betrat eine ältere Frau den Raum. Sie war von kleiner Gestalt und hatte lange graue Haare, die ihr runzliges Gesicht umrandeten. Zum ersten Mal fragte Cen sich überhaupt wo er hier war. Er blickte sich um und sah, dass er in einem kleinen, einfachen Zimmer untergebracht war. Es sah wie eine Berghütte aus, nach der Bauart seines Stammes. Allerdings war es nur mit dem nötigsten eingerichtet. In seinem Raum war gerade mal ein Bett und ein kleiner Kamin mit etwas Holz daneben. Das Feuer brannte friedlich vor sich hin und die Ruhe, die dieser Ort ausstrahlte war enorm. Cen fühlte sich irgendwie wohl, aber wie war das möglich nach allem was er erlebt hatte? Dann kam ihm ein Gedanke und er zuckte zusammen. „ Bin ich… bin ich tot?“, fragte er in Richtung der alten Frau. Die Frau lächelte und wieder wurde es ihm warm ums Herz. Sie erinnerte ihn an seine Großmutter. „ Nein mein Junge, du bist nicht tot. Aber es wird auch Zeit, dass du aufwachst, du liegst jetzt schon seit drei Tagen im Bett“, sagte sie sanft. „ Drei Tage? Oh nein…“. „ Wieso? Sei lieber froh, dass dir nicht mehr passiert ist. So wie ich die Situation beurteile bist du nur sehr knapp davon gekommen“. „ Aber meine Schwester…sie ist irgendwo da draußen“, seufzte er leise. „ Ich verstehe“, sagte die Frau leise und setzte sich an einen Stuhl neben Cens Bett. „ Du wirst allerdings noch eine ganze Weile das Bett hüten müssen, du hast dir bei deinem Sturz das Bein gebrochen. Ruh dich ein wenig aus, ich mache dir eine Suppe“, sagte sie und verließ wieder das Zimmer. Erst als sie gegangen war, merkte Cen, dass eigentlich keine seine Fragen beantwortet ist. Er hatte natürlich auch vergessen zu fragen. Diese komische alte Frau ließ ihn sogar so wichtige Fragen vergessen. Was hatte sie, dass sie so interessant ist, obwohl sie nicht einmal viel gemacht hat bisher? Cen grübelte und grübelte und schlief daraufhin wieder ein.
***
Der Weg des Vulkangebirges war sehr steinig und schwer. Drei Tage schleppte Sol Vera sich nun schon durch diese einerseits vertraute, aber andererseits auch so gefährliche Gegend. Cen hatte ihr einige Quellen gezeigt, die er einmal gefunden hatte. Das war überhaupt der Grund, warum sie noch lebte. Tränen liefen ihr die Wangen herunter. Sie konnte das alles nicht verstehen. Durch das Erdbeben waren ihre Mama und ihr Papa verschüttet worden. Ihr Papa hatte gesagt, sie solle weglaufen so schnell sie kann. Nun irrte sie irgendwo im Gebirge umher. Durch Cens Quellen hatte sie zwar genug zu trinken, aber etwas Essbares zu finden ist sehr schwierig. Sie spürte den Hunger allerdings kaum, da der Verlust ihrer Familie alles weitere überschattete. Außerdem hat sie Angst vor diesem Monster, das scheinbar hinter ihr her war. Weit hinter ihr hörte sie noch die Beben, die es verursachte. „ Ich kann doch nichts dafür“, wimmerte sie leise vor sich hin und setzte sich unter einen Felsen. Sie war zu erschöpft um weiterzugehen. Irgendjemand würde sie schon finden…

***
Gegen Abend war Cen wieder aufgewacht. Die alte Frau brachte ihm das Abendessen und stellte sich ihm nun vor. Ihr Name war Sophia. Sie kochte beinahe besser als seine Mutter, aber nur fast. Als er an seine Mutter denken musste, wurde sein Blick trüb. Sophia wollte gerade wieder das Zimmer verlassen, als Cen sich endlich durchrang zu fragen. „ Sophia… was ist überhaupt passiert? Wo bin ich hier? Wer bist du? Weißt du wo meine Eltern sind? Weißt du…?“, fragte Cen alles was ihm auf der Seele brannte, bis er von der alten Dame unterbrochen wurde. „So stopp jetzt. Eine Frage nach der anderen. Ich bin nicht mehr so jung“, lachte sie und setzte sich zu Cen ans Bett. „ Sag mir bitte, was passiert ist in…in meinem Dorf“, sagte Cen leise. Sophias Blick wurde ernster. „ Ihr wurdet von einem Teneri angegriffen. Er war aus dem Stamm Molus, bevor er zu dem wurde, was euch angegriffen hat“. „ Ja, ich habe von den Teneri gehört, aber du sagst er war aus dem Molus Stamm. Warum macht er das? Es ist doch gar kein Krieg…Warum?“, fragte Cen und fing an zu schluchzen, als ihm die Bilder seines Dorfes wieder in den Kopf stiegen. „ Cen…leider ist es doch ein Krieg. Aber nicht zwischen den Stämmen, da sind andere Mächte am Werk. Weißt du, dieser Mann aus Molus, er hat vermutlich viele böse Dinge getan in seinem Leben. Deswegen ist er zum Teneri geworden. Ich weiß es ist schwer zu verstehen, aber eigentlich sind die Teneri auch Menschen“, antwortete Sophia bedacht. „Ich glaube ich verstehe das alles nicht ganz, aber viel wichtiger ist auch was mit meinen Eltern geschehen ist? Weißt du, ob sie fliehen konnten?“, fragte Cen erwartungsvoll. „ Weißt du Cen, ich kann es nicht sagen. Aber du wirst sie eines Tages wieder sehen. Das hat uns der große Gott Pagea versprochen.“
„ Du denkst also sie sind tot. Immer wenn jemand Pagea ins Spiel bringt, steht es immer in Verbindung mit Tod“, murmelte Cen und drehte sich von Sophia weg. Eine lange Pause entstand und man hörte nur die leisen Atemzüge der beiden. „ Kennst du Pagea überhaupt, dass du so etwas behaupten kannst, mein Junge?“, fragte Sophia mitfühlend. „ Ich will ihn nicht kennen, er hat meine Eltern auf dem Gewissen. Endlich weiß ich, was Coram gemeint hat“, schrie Cen und fing bitterlich an zu weinen. Es war ihm egal, was diese Oma von ihm dachte und das Männer eigentlich nicht weinen. „ Ja Cen, weine nur. Der Schmerz in dir ist vermutlich viel größer, als der in deinem Bein. Ich werde hier sitzen bleiben. Hier bist du sicher, mein Junge“.
Wieder entstand eine lange Pause. Cen zitterte. Langsam drehte er sich wieder zu Sophia.
„ Hast…hast du mich vor ihm gerettet?“. Sophia nickte langsam. „ Aber…aber wie…?“
„ Ich weiß ich bin nur eine alte Frau. Aber Pagea liebt mich. Das weiß ich nun seit ca. 20 Jahren, seit ich IHN getroffen habe. Dieses Wissen verändert dich, wenn du es zulässt. Es gibt noch mehr Menschen, die von Pagea verändert wurden. Sie sind ähnlich wie die Teneri, aber sie sind gut. Die Teneri hassen uns, aber oft flüchten sie, wenn sie uns sehen“, antwortete Sophia und sah in Cens erstaunte Augen. „ Hast du auch schon einmal gegen einen gekämpft?“, fragte Cen nun sichtlich interessierter. Wieder wurde Sophias Blick ernster. „ Ja, das habe ich und ich habe sowohl gewonnen, als auch verloren“
„ Mein Wunsch ist es die Teneri auszulöschen“, sagte Cen mit kalter Stimme. „ Ich weiß. Das war zu Anfang auch mein Wunsch. Ich habe genau so gedacht wie du. Aber hast du mir eben nicht zugehört, als ich dir erzählt habe, dass es auch nur Menschen sind? Du hast kein Recht sie zu vernichten“.
„ Es sind keine Menschen! Das sind Monster. Sie töten jeden, den sie töten können. Ich hasse sie“. „ Cen, ich weiß, dass du kämpfen willst, aber so wirst du verlieren! Ich bin auch eine Kämpferin, genau wie du ein Kämpfer bist, aber finde erst einmal heraus für was du kämpfen willst und mit was für Mitteln“.

***
„Sol Vera… Sol Vera, mein Kind. Wach auf“. Langsam öffnete Sol Vera ihre erschöpften Augen, aber da war niemand. Ihre Augen weiteten sich. „ Danke Pagea“, rief sie. Auf einem Felsen neben ihr stand frisches Brot. Es schmeckte viel besser als das Brot, dass Ristop immer gemacht hat. Es musste einfach ein Geschenk von Gott sein, denn niemand sonst war hier. Wasser hatte sie noch in einem ledernen Trinkbeutel von der letzten Quelle und so aß und trank sie. Ihr kleiner Körper kam langsam wieder zu Kräften, aber der Weg der hinter ihr lag hatte Spuren an ihr hinterlassen. Doch sie musste überleben. Sie wollte zu ihrem Bruder, aber wo konnte Cen schon sein? Plötzlich hörte sie ein Knurren und als sie sich umschaute erschrak sie fürchterlich. Es war ein Bergwolf. Das waren mächtige Tiere, fast so groß wie ein ausgewachsener Mensch. Er hatte ein glattes rot braunes Fell und stechende dunkle Augen. Langsam kam er auf Sol Vera zu. Hinter ihr war der Felsen und vor ihr dieses riesige Tier. Doch dann bemerkte Sol Vera etwas an einem Bein des Tieres. „ Oh nein, du hinkst ja“, rief sie und wurde von Mitgefühl gepackt. „ Ganz ruhig, ich möchte deine Freundin sein“, sagte Sol Vera in ihrem kindlichen Leichtsinn. Der Wolf knurrte nun noch mehr und er wollte gerade zum Sprung ansetzen, als ihn scheinbar ein tiefer Schmerz durchzuckte. Er fiel zu Boden und winselte leise. Sol Vera hatte panische Angst vor dem Wolf, aber was, wenn er eine Familie hat? Er will bestimmt nur seine Familie beschützen. Tatsächlich kam nun ein noch sehr kleiner Wolf hinter einem Felsen zum Vorschein und rannte zu seiner Mutter. „ Oh entschuldigt bitte, wenn ich euch Angst gemacht habe. Ich werde euch nichts tun“, sagte sie und der große Wolf schaute sie durchdringend an. Sol Vera sah Schmerz in den Augen des Tieres und wollte unbedingt helfen. Langsam näherte sie sich diesem mächtigem Tier. Allein der Kopf war wohl schon fast so groß wie Sol Vera selbst. Als sie nah genug dran war, erkannte sie einen Steinsplitter in der rechten Pfote des Tieres. „ Ob das auch bei dem Erdbeben passiert ist?“, fragte sie sich, da Bergwölfe eigentlich sehr geschickte Tiere sind. Gerade wollte sie den Splitter herausziehen, da sprang auch schon das Jungtier dazwischen und knurrte Sol Vera etwas ängstlich an. Das Junge war im Gegensatz zur Mutter noch sehr klein, gerade mal halb so groß wie Sol Vera. „ Ich tue deiner Mama nichts, ich verspreche es dir“, beruhigte sie es. Sie zog an dem Splitter und das sonst so gefährliche Tier winselte laut. Es hatte sogar feuchte Augen, aber es versuchte stark zu sein. Jetzt bekam auch Sol Vera Tränen in den Augen, da sie so sehr mit dem Tier mitfühlte. Sie legte ihre Hand auf den Brustkorb des Wolfes. Sie konnte den Schmerz praktisch fühlen, indem sie das Herz mit ihrer Gabe berührte. Aber es hatte auch eine tröstende Wirkung und das Winseln wurde leiser. Langsam zog sie den ganzen Stein aus der Pfote. Als Sol Vera fertig war, merkte man allen dreien förmlich die Erleichterung an. Als Zeichen ihrer Dankbarkeit schleckten die Wölfe Sol Veras Gesicht ab. „ Ihhh, ihr macht mich ja ganz nass“, lachte sie. So fand Sol Vera also zwei neue Freunde. Diese Nacht schlief sie zusammen mit dem kleinen Wolf ganz nah am Körper der Mutter. Es erinnerte sie sehr an die Zeiten, als sie bei ihren Eltern ins Bett gekrabbelt war. Es war so kuschelig warm, dass sie auch bald über ihren zahlreichen Gedanken einschlief.

***

Cen tat, was Sophia ihm geraten hatte. Er dachte nach. Er brauchte ein Schwert. Am besten wäre natürlich eine Art Feuerschwert, wie Sol Vera gesagt hatte. Damit könnte er die hässlichen Wesen ein für alle Mal vernichten. Er würde sie einfach weg brennen. Aber dazu musste er erst einmal gesund werden. Er tat also alles, was Sophia ihm sagt. Er schmierte komische Heilkräuter auf sein Bein und machte Übungen, die wohl hilfreich sein sollten. Sophia war schon sehr alt, da wird sie wohl wissen, was sie tut. Er hatte nach langem hin und her auch endlich einmal erfragt, wo er hier ist. Er war in einer Berghütte, mitten im Vulkangebirge, sehr nah am Hauptkrater, wo sonst kaum ein Mensch oder anderes Geschöpf zu finden ist. Cen blieb noch einige Wochen bei Sophia und sie erzählte oft Geschichten von einem Mann, der vor ca. 20 Jahren aufgetaucht war. Er soll ein großer Krieger gewesen sein und viele Teneri „befreit“ haben, wie Sophia es nannte. Cen dachte sich nur seinen Teil und malte sich aus, wie er diese Biester auf seine eigene Art und Weise „befreien“ würde. Interessant war allerdings, dass er einige von diesen Geschichten auch schon von seinen Eltern kannte, aber Sophia schien noch mehr über diesen Mann zu wissen. Als sein Bein dann endlich verheilt war, stand Cen draußen vor Sophias Hütte und schaute hinaus in die Weite des Landes. Was würde auf ihn zukommen? Tief in sich spürte er, dass es eine lange Reise mit vielen Gefahren werden würde. Jetzt wo er wieder gesund war, würde seine nächste Aufgabe sein, seine Schwester zu finden. Außerdem sehnte er sich danach Coram wieder zu sehen, falls er das Erdbeben überlebt hat.
Auch Sophia kam hinaus zu ihm und legte ihre Hand auf seine Schulter. Cen spürte eine Wärme und Liebe, die von ihr ausging und die er immer noch nicht begreifen konnte. „ Sophia… warum bist du so?“. Die alte Frau lachte herzlich. „Weil Pagea mich verändert hat mein Junge, ich kann gar nicht anders“. „ Weißt du Cen. Du erinnerst mich an meinen Mann, als er noch jung war“, sagte Sophia und blickte ihn tief in die Augen, „ du bist so wild und voller Tatendrang. Ich möchte dir etwas schenken, was früher ihm gehört hat“. Für kurze Zeit verschwand sie in ihrer kleinen Hütte und er hörte sie irgendwelche Sachen wegräumen. Dann kam sie wir mit einer schwarz glänzenden Scheide. Cen traute seinen Augen kaum. Sophias Mann hatte tatsächlich ein Schwert gehabt. Aber es war kein normales Schwert, so wie sein Vater sie ab und zu geschmiedet hatte. Ehrfurchtsvoll nahm er es in seine Hände und zog es aus der Scheide. Im Licht der Sonne funkelte es rötlich und der Griff war verziert mit Zeichen seines Stammes. Er kannte nicht alle Zeichen, aber das machte nichts. Langsam tat er das Schwert zurück und befestigte es an seinem Gürtel. „ Sophia, wer war dein Mann, dass er so ein Schwert besessen hat?“, wagte Cen zu fragen. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und er sah ein Feuer in ihren Augen, dass er während seines ganzen Aufenthaltes bei ihr nicht gesehen hatte. Man merkte, dass sie sehr stolz auf ihren Mann war. „ Mein Mann… tja weißt du… du wirst es auf deiner Reise herausfinden“, lächelte sie geheimnisvoll. „ Pass mir auf das Schwert auf und setze es weise ein“. „ Weißt du Sophia. Du bist eine ganz schön komische alte Frau und ich habe kaum etwas von dem verstanden, was du mir erzählt hast. Aber ich danke dir für alles, was du für mich getan hast“. Mit diesen Worten verabschiedete sich Cen und er wanderte Richtung Osten. Sein nächstes Ziel würde der Wetar Stamm sein.
In Gedanken versunken blickte Sophia diesem Jungen nach, der so einfach in ihr Leben geplatzt ist. „ Was meinst du Pagea? Ich bin mir sicher seine Berufung ist es, die Wahrheit zu finden und das Feuer neu zu entzünden, welches dein Sohn vor 20 Jahren gelegt hat“.

3. Coram


Coram lag auf seinem Bett und dachte nach. Es war alles so verrückt. Vor zwei Monaten war sein Dorf durch ein Erdbeben zerstört worden. Er hatte keine Ahnung wer überlebt hat und wer nicht, ob er jemals seinen guten Freund Cen wieder sehen würde. Er hatte gesehen, wie das Haus über seiner Mutter zusammengestürzt war, während er sich den Nachthimmel angesehen hatte. Er war nun ganz allein auf der Welt, aber seit sein Vater die Familie verlassen hatte, war dieser Schmerz des Verlustes ein treuer Begleiter auf seinem Weg gewesen. Pagea hatte auch nichts getan. Der Hass auf diesen vermeintlichen Gott wuchs von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute. Es war ein so tiefer Hass, verbunden mit Schmerz, dass er einiges tun würde, um diesem passiven Gott ein Ende zu bereiten. Wer soviel Macht hat wie dieser Pagea, sollte auch so mit dieser Macht umgehen, dass es das Beste für seine Geschöpfe bringt. Es sollte keinen Schmerz mehr geben. Aber solange Pagea in dieser Welt noch Einfluss auf das Denken der Menschen hat, wird es wohl immer Schmerz geben. Ab dem morgigen Tag würden für ihn endlich andere Zeiten anbrechen. Er würde Krieger der Regierung. Ein Soldat des Königs. Immer noch wunderte er sich darüber, dass dieses dunkle Ereignis vor zwei Monaten für ihn so einen Aufstieg bedeutete. Er erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen…

***

Coram schaute in den friedlichen Abendhimmel. Cen hatte sich gerade von ihm verabschiedet und war noch Hause gegangen, wo ihn seine Familie vermutlich schon erwartete. Corams Mutter war schon zu Bett gegangen und er lag noch vor der Hütte und schaute in den Nachthimmel. Er sah die viel Sterne und ab und zu sogar eine Sternschnuppe. Das mächtige Vulkangebirge ragte majestätisch in den Himmel. Es war das Bild für die Stärke des Ignis-Stammes. Stärke? Was war schon Stärke? Er hatte niemanden, der ihm jemals zeigen könnte, was Stärke bedeutet. Sein Vater war verschwunden und dieser Pagea konnte auch nicht da sein. Die zwei waren sich wohl ziemlich ähnlich. Cen kann vermutlich auch nur an diesen Gott glauben, weil in seiner Familie noch alles in Ordnung ist. Aber Cen ist wie ein Bruder und vielleicht würden sie eines Tages zusammen herausfinden, was es bedeutet stark zu sein, was es bedeutet ein Held zu sein und eine Prinzessin zu erobern. Wobei Cen eigentlich nicht soviel von diesen Tagträumereien hält, jedenfalls sofern es um Frauen geht. Irgendwann würden sie zusammen die Welt bereisen und Abenteuer erleben, soviel ist sicher. Cen spinnt zwar ein bischen, auch mit diesen „Feuerschwert“- Einbildungen von seiner Schwester, aber er ist trotzdem ein toller Kerl. Coram dachte auch darüber nach, was seine Gabe sein könnte. Oder gibt es Pagea doch und er wollte ihm nur keine Gabe geben, da er ihn nicht anerkannte? Naja, letztendlich ist es auch egal. Das würde er wohl noch einmal mit Cen besprechen. Lange Zeit döste er so vor sich hin und dachte weiter darüber nach ein Held zu sein und eine schöne Frau für sich zu gewinnen. Dann ging alles sehr schnell. Er sah einen sehr großen Schatten mitten im Dorf und plötzlich bebte die Erde. Immer und immer wieder fielen Häuser zusammen und die Stadt fing an zu brennen. Im Schein des Feuers sah er dieses riesige Monster. So etwas hatte er noch nie gesehen. Als ob es spürte, dass Coram ihn beobachtete, drehte er sich zu ihm und kam auf ihn zu. Sein Körper war, wie ein steinerner Panzer um ihn herum und seine schwarzen Augen reflektierten das Feuer des Dorfes. Coram flüchtete so schnell wir möglich zu der nächstgelegenen Baumgruppe, um sich zu verstecken. Er sah, wie dieses Wesen ausholte und mit seiner Steinfaust auf den Boden schlug. Der Boden spaltete sich und Corams zu Hause versank praktisch im Erdboden, mitsamt seiner Mutter. Tränen liefen über sein Gesicht. Jetzt war er endgültig allein. Gedanken rasten durch seinen Kopf. Er wollte schreien, aber er durfte das Monster nicht zu ihm lenken. Es hatte sich mittlerweile wieder den anderen Häusern zugewandt. Plötzlich durchschoss ihn ein Gedanken. Cen! Er musste ihn warnen, ihm helfen. Stolpernd und fallend kämpfte er sich zum Haus seines Freundes. Es war schon zerstört und keine Spur von Cen. Dann sah er Sabba unter einem Steinhaufen liegen. Er konnte kaum noch atmen. „ Sabba, Sabba, wo ist Cen?“. Mühsam blickte Sabba auf. „ Ich… ich habe ich soeben weggeschickt, dass er Sol Vera suchen soll. Lauf weg … Coram.. Lauf…“. Das war alles was Sabba noch fertig brauchte. Coram ging zurück auf die Straße und wurde zugleich wieder auf den Boden geschleudert. Die Beben waren zu stark. Dann sah er Cen auf der Straße liegen und hinter ihm kam dieses Monster auf ihn zu und lachte auf eine Furchterregende Weise. Aber da war noch eine Person. Er kannte sie nicht, aber es war… es war eine alte Frau! Er musste ihr helfen, doch er konnte sich kaum bewegen. Die Frau fing an zu leuchten. So etwas hatte er noch nie gesehen. Sie schien aus dem Ignis-Stamm zu sein, da sie mit ihren Fingern Feuerzungen in die Luft malte. Dieses Feuer, was sie da erschuf blieb allerdings so wie sie es gemalt hatte und verflog nicht wie normales Feuer mit dem Wind. Es war mehr wie Seile aus Feuer. Und es war auch kein normales Feuer sondern ein gleißendes, alles verzehrendes Feuer. Es war so hell und das Licht, dass es ausstrahlte, war irgendwie übernatürlich. Coram traute seinen Augen kaum, als sie dann ein ganzes Netz von diesen mächtigen Feuerseilen auf dieses Monster warf und er darunter am Boden lag und sich nicht bewegen konnte. Es war vorbei und Stille lag auf dem ganzen Ort. Er hörte nur noch das Knistern der Flammen, die sich durch die Gebäude züngelten und seinen eigenen Atem. Wer war diese Frau? Er sah noch wie sie zu diesem Wesen hinging. Vermutlich um ihm den Todesstoß zu verpassen. Und tatsächlich fasste sie das Netz, welches sie geschaffen hatte und zog daran. Ganz sanft und fast sogar liebevoll. Langsam brannten sich die Stricke durch den Körper des Monsters aber es verletzte sich nicht. Soweit Coram es beurteilen konnte bröckelte nur der Stein von seinem Körper. Aber man hörte kurze Zeit auch einen lauten Schrei, der die Nacht ein letztes Mal zerriss und ein großer dunkler Schatten verschwand von dem… von dem Mann. Es war in Wirklichkeit gar kein Monster, sondern ein ganz normaler Mann. Er bewegte sich nicht mehr und Coram konnte nicht einschätzen, ob er noch lebte oder nicht, aber es war vorbei. Corams Gedanken rasten. Wer war diese mächtige alte Frau? Warum war das Feuer bei ihr nicht normal? Was war das für ein Schatten, der von dem Mann ausging? Er hatte so viele Fragen. Ein leiser Wind strich über seinen Körper. Er hatte so ein ungutes Gefühl, als wäre doch noch nicht alles vorbei. Plötzlich umfasste ihn eine steinerne Hand und er war starr vor Schreck. Alles um ihn herum war wurde schwarz.

***

Coram wachte in einem Raum auf, in dem er noch nie zuvor gewesen war. Der Raum war sehr gut eingerichtet. Sogar sehr gut. Edle Bilder hingen an der Wand und das Bett war so weich. So etwas hatte er noch nie gesehen. Als er seinen Blick weiter durchs Zimmer schweifen ließ, wurde er kreidebleich. Da stand es als wäre nichts gewesen. Dieses Monster war mit ihm in einem Zimmer. Oder nein, es war ein anderes. Aber es hatte dieselben stechenden roten Augen, wie das andere. Es hasste ihn, das spürte er. Die Tür öffnete sich und ein dunkel gekleideter Mann kam hinein. Er sah sehr ordentlich aus und hatte ein Schwert umgebunden. Auf seinem schwarzen Umhang hatte er das Wappen der Regierung. Das war Coram schon vorhin im Zimmer aufgefallen. Überall war dieses Wappen zu sehen, sei es auf dem Teppich oder an Wandbildern. „ Wo bin ich hier?“, fragte er den Mann. „ Du bist im Palast des Königs dieser Welt“, lachte der Mann. „ Bitte folge mir, er möchte dich persönlich sehen. „Der König?“. Wieder konnte sich Coram kaum vor den Fragen in seinen Gedanken retten. Warum war er in dem Palast des Königs? Was wollte der König von ihm? Was hat das Monster mit dem König zu schaffen? Warum er? Es blieb Coram nichts anderes übrig, als mit diesem Mann mitzugehen. Sie gingen durch eine Vielzahl von Gängen, bis sie letztendlich vor einer großen Tür stehen blieben. Wieder war das Wappen des Königs zu sehen. Es war ein Stern, aber Coram hatte nie interessiert warum das so war. Voller Ehrfurcht trat Coram ein. Der andere Mann blieb vor der Tür stehen und schloss die Tür hinter ihm. Langsam ging er auf den riesigen Thron zu. Ein älterer Mann saß dort auf dem Thron. Er hatte mittellange weiße Haare und einen gleichfarbigen Vollbart. Er strahlte eine Freundlichkeit und Wärme aus, wie er sie bei den anderen Personen, die er auf den Gängen gesehen hatte, nicht gespürt hatte. Der König lächelte einladend und Coram verbeugte sich vor ihm. „ Coram… richtig?“
„ Ja das ist mein Name Hoheit“, bestätigte Coram.
„ Du hattest Glück im Unglück. Bei dem Überfall auf euer Dorf, wurdest du von einem meiner Männer gerettet“. „ Aber… aber ich wurde von hinten gepackt und entführt. Von… von diesem Monster, dass auch in meinem Zimmer war“. „ Ich entschuldige mich dafür. Ich glaube ich bin dir einige Erklärungen schuldig“, lächelte der König verständnisvoll. „ Dieses Monster, wie du ihn nennst, ist ein Soldat meiner Armee. Er hat eine Gesteinsrüstung, da er aus dem Molusstamm kommt. Dies verstärkt seine Attacken und es lässt ihn besser kämpfen. Einer unserer Kämpfer hat uns verraten und seine Kraft ausgenutzt. Wir haben ihn verfolgt, aber ihn nicht mehr vor eurem Dorf eingeholt. Was dann passiert ist, hast du mit eigenen Augen gesehen“, erklärte der König mit einem traurigen Blick. Coram musste erst einmal begreifen, dass diese Monster eigentlich zu den guten gehören und vor allen Dingen, dass es noch mehr von ihnen geben solle. „ Warum… warum bin ich hier? Also in Eurem Palast?“, fragte Coram zögernd. „ Du hast vermutlich nicht nur unseren Soldaten gesehen, sondern auch eine alte Frau nicht wahr?“. „ Ja ich habe sie gesehen. Sie hat dieses Mon… ich meine euren Soldaten besiegt und das Dorf gerettet“. „ Das mag für dich so aussehen, das glaube ich dir gerne. Aber sie bezieht ihre Macht von einem bösen Kult. Sicherlich kennst du die alten Geschichten von Pagea und der Erschaffung dieser Welt. Es ist ein wichtiges Kulturgut unserer Zeit. Aber es sind eben nur Geschichten und das sollten sie bleiben. Sie gehört zu einer Gruppe von Menschen, die gegen den Thron ankämpfen. Sie arbeiten hauptsächlich verdeckt und es ist sehr schwer für uns sie aufzuspüren. Aber sollten sie eine Armee zusammen bekommen, sieht es für unser Land nicht sehr gut aus. Dann werden wir alle Sklaven sein“, erklärte er weiter. „ Aber verzeiht mir Hoheit, es macht doch keinen Sinn, sie zu verfolgen, denn sie hat doch das Dorf gerettet“. „ Das ist ihre Taktik. So etwas spricht sich herum und sie versuchen das Volk für sich zu gewinnen und einen Aufstand anzuzetteln. Wir müssen diese Frau finden und die nötigen Konsequenzen für diesen Verrat an der Regierung ziehen“. „ Ich verstehe nicht, was ich damit zu tun habe, eure Hoheit“. „ Ich habe dich seit längerer Zeit beobachten lassen. Du lässt dich nicht durch diese alten Mythen beeinflussen und bist zuverlässig. Wir sind momentan dabei, einen Spezialtrupp auszubilden, der eben diese Zwielichten Personen aufspürt und zur Rechenschaft zieht. Ich biete dir einen Platz in meiner königlichen Armee, als Soldat des Sterns dieses Landes“.


***

Zwei Monate genoss Coram nun schon die Ausbildung des Königs. Einerseits fand er es komisch, da er nicht richtig wusste, wozu diese Spezialtruppe eingesetzt werden sollte. Was immer es aber war, es musste gut für das Reich sein, denn der König ist gerecht. Die Ausbilder des Königs waren sehr raue Zeitgenossen. Auch sie gehörten zu einer Art von Menschen, denen man nicht im Dunkeln begegnen möchte. Sie waren hart zu den Anwärtern und schon in den ersten Tagen wurden einige ausgefiltert, die den harten Anforderungen nicht gewachsen waren. Tag und Nacht wurden sie im Umgang mit den verschiedensten Waffen ausgebildet. Bei jeglichem Versagen, schlugen die Ausbilder gnadenlos zu. Wer dabei zu Boden ging, bekam den nächsten Tag nichts zu Essen. Aber es war nur zum Besten von allen, davon war Coram fest überzeugt. Er hatte sich mit allem anfreunden können. Er akzeptierte es, geschlagen zu werden und er akzeptierte es nur wenig zum essen zu bekommen. Aber eine Trainingseinheit war für ihn eine einzige Qual: Das trainieren der unterschiedlichen Gaben! Er wusste immer noch nicht, was er für eine Gabe hatte und das machte ihm schwer zu schaffen. Alle anderen lernten ihre Gaben als präzise Waffen einzusetzen. Feuer, Wasser, Erde und Luft, alles war vertreten und nur er war der einzige, der nur am Rand sitzen konnte und im wahrsten Sinne des Wortes machtlos war. Machtlos zu sein ist eine Schande hatte er gelernt und er hasste es nichts tun zu können. Aber er hatte das Training trotzdem als einer der besten abgeschlossen. Insgesamt hatten es zehn der Anwärter durchgehalten, was mit den anderen passiert war wusste er nicht.
Schon im Morgengrauen des nächsten Tages versammelten sich alle Neulinge im Thronsaal des Königs. Als der König sich erhob und zu reden begann, war Coram sehr aufgeregt. Wie würde es wohl weitergehen?
„ Meine treuen Soldaten, zehn von euch haben es bis hierher geschafft. Das Training war hart und es waren nur zwei Monate, die ihr hier in den Hallen meines Palastes gelernt habt. Umso besser ihr die Dinge verinnerlicht habt, umso sicherer ist euer Leben auf dem Schlachtfeld. Verlasst euch auf eure erworbenen Fähigkeiten. Ihr selbst seid der Schlüssel jeglicher Macht, die allein in euch selbst steckt. Ich bin sehr stolz euch sagen zu dürfen, dass es unter euch einen jungen Krieger gibt, der die anderen neun bei weitem übertrifft“. Nun wandte sich der König Coram zu und sah ihn direkt an. „ Coram hat ein Potenzial in sich, von dem ihr anderen nur träumen könnt. Ich hatte nichts anderes von ihm erwartet, denn auch sein Vater ist ein großer Krieger meine Armee und hat schon viele Schlachten bestritten. Aber Coram hat die Kraft zweier Stämme in sich. Feuer und Luft, vereint in diesem Jungen. Hast du davon gewusst Coram?“, fragte der König mit einem wissenden Blick in den Augen. Coram verstand das alles nicht. Der König kannte seinen Vater? Die Kraft von zwei Stämmen? Fast hätte er vergessen zu antworten, doch er besann sich eines besseren und trat vor. „ Nein mein König, davon wusste ich nichts“. Mitfühlend blickte der König seinen Schützling an. „ Das habe ich mir gedacht.“, sprach er leise und verständnisvoll, „ Es muss für dich schlimm gewesen sein ohne eine Gabe aufzuwachsen, aber du bist nicht krank mein Junge. Deine Eltern kommen aus zwei verschiedenen Stämmen. Dein Vater kommt aus dem Aurastamm und deine Mutter aus dem Ignisstamm. Du trägst die Kraft beider Elternteile in dir und diese braucht Zeit sich zu entfalten. Deswegen hast du deine Gabe nicht schon viel früher bekommen, aber es gibt eine Möglichkeit sie zu wecken“, verkündete er freudig. Ein Geflüster erhob sich zwischen den neun anderen und Coram verstand nichts mehr. Alle sahen ihn an, als wäre er eine Attraktion, etwas ganz besonderes. Während ihn alle anstarrten, holte der König einen länglichen Gegenstand hervor. Es war in ein goldenes Tuch gewickelt. Langsam zog der König das Tuch von dem Gegenstand und es kam ein Schwert zum Vorschein. Die Klinge war schwarz und schmal und es hatte einen verführerischen Glanz. In dem schwarzen Griff waren goldene Zeichen eingraviert, die Coram nicht verstand. Alle zehn Anwärter starrten wie hypnotisiert auf dieses Schwert und der König lächelte. „ Beeindruckend, nicht wahr?“
Er überreichte Coram die Waffe und es schien wirklich ein ganz besonderes Schwert zu sein. Es hatte etwas übernatürliches, aber er konnte nicht genau bestimmen, was es war. „ Dieses Schwert ist etwas Besonderes. Man sagt, es hätte eine eigene Persönlichkeit. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es nicht lange dauern wird, bis ihr eine perfekte Einheit bildet“, lächelte der König. Coram war von alledem tief beeindruckt.
Er konnte die Kraft des Schwertes förmlich spüren und er merkte auch, dass sich etwas verändert hatte, aber er wusste noch nicht was genau es war. Langsam trat einer der anderen neun hervor. „ Eure…eure Majestät. Warum bekommen wir nicht auch so ein Schwert?“, fragte er stotternd. Der König lachte. „ Ich hatte gehofft, dass diese Frage kommen würde. Ihr wollte also auch alle ein Schwert? Nun gut, die Sache ist die… ich habe nur dieses eine Schwert. Wenn ihr es also haben wollt, müsst ihr es Coram schon abnehmen“. Coram traute seinen Ohren nicht. Er fühlte sich stärker, aber soviel stärker? Zusammen wurden sie in der Arena des Palastes geführt. Auf der einen Seite stand Coram und gegen ihn traten neun der besten Schüler an. Wie sollte er das schaffen? Der König stand mit seinem typischen Lächeln am Rand. Es schien, als wüsste er mehr als er zugeben wollte. „ Mögen die Spiele beginnen“, rief er und verließ mit diesen Worten den Platz. Neun Kämpfer stürzten sich auf Coram. Wie würde das nur enden…?

4. Die Wüste und der Wetarstamm



Cen hatte sich mittlerweile entschlossen zuerst in Richtung Osten zu gehen und zu schauen, ob Sol Vera es vielleicht zum Wetarstamm geschafft hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben verließ er sein geliebtes Vulkangebirge, das nun in einer geheimnisvollen Ruhe hinter ihm lag. Sophias Hütte lag weit oben in der Nähe des Hauptkraters und er war nun schon am Fuß des Gebirges. Er war sehr aufgeregt, wie der Weg zu dem benachbarten Stamm wohl sein wird. Bis jetzt war er immer noch in dem steinigen Gebieten seiner Heimat, aber umso weiter er kam, umso kleiner wurden die Steine und Felsen. Bis schließlich nur noch Sand übrig war. Wo er auch hinschaute, überall sah er nur Sand. Scheinbar ist es wahr, dass man nur in einen anderen Stamm gelangt, wenn man dafür durch die Wüste geht. Cen schaute noch einmal andächtig in Richtung Heimat, doch dann gab er sich einen Ruck und ging los. Nach zwei Tagen wunderte es ihn nicht mehr, dass Sophia ihm geraten hatte, soviel Wasser wie möglich mitzunehmen. Er hatte von ihr einen ganzen Sack voll Wasser und Nahrungsmitteln mitbekommen und sie hatte darauf bestanden, dass er alles mitnahm. Er würde sich bei Gelegenheit noch bei ihr dafür bedanken müssen. Plötzlich wurde er stutzig. Hinter einer Düne kam eine Person mit langem blauem Haar und bläulicher Kleidung hervor. Als er genauer hinsah, merkte Cen, dass es ein Mädchen in seinem Alter war, aber ihre Kleidung und ihr Aussehen war ihm sehr fremd. Sie winkte wild in seine Richtung ohne, dass sie aufhörte zu rennen. Sie rief auch irgendetwas aber er konnte sie noch nicht verstehen. Kurze Zeit darauf sah er einen schwarzen Runden Fleck auf der Erde, der sie zu verfolgen schien. Instinktiv zog Cen sein neues Schwert, obwohl er noch gar nicht wirklich wusste, wie man mit einem Schwert wie diesem umzugehen hatte. Das Mädchen und dieser Schatten kamen näher und näher. Cen hatte Angst und Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Wie soll man denn bitte gegen etwas kämpfen, was sich nur auf dem Boden bewegt und zudem auch noch ein Schatten ist? Auch sein Schwert reagierte komisch auf den Schatten und es schimmerte in verschiedenen Rottönen. Die alten Zeichen des Schwertes fingen förmlich an zu glühen und Cen spürte wie es wärmer wurde. Mittlerweile war das Mädchen so nah, dass er verstehen konnte was sie ihm zurief. „ Lauf weg!“, schrie sie, „ Umbra der Schatten ist hinter mir her, lauf!“. Cen war jedoch so starr vor Angst, dass er sich kaum noch bewegen konnte. Sein Herz schlug immer schneller und schneller. Aus den Augenwinkeln sah er das Mädchen an sich vorbei rennen und dann ging alles sehr schnell. Plötzlich spürte er einen Ruck an seinem rechten Bein und er bemerkte, dass der Schatten nun direkt vor ihm war. Aus dem Schatten heraus ragte ein riesiger schwarzer Arm mit einer Klaue, wie von eine übergroßen Echse. Cen schrie und stieß sein Schwert mitten in den schwarzen Kreis. Was dann passierte war einfach unglaublich. Zuerst fing sein Schwert an zu brennen und die Flammen wirbelten um Cen herum, bis es zu einem wahren Inferno wurde. Cen merkte, wie seine Kraft immer weiter dahinschwand und sich das Feuer um ihn herum wieder legte. Von dem Schatten und der unheimlichen Klaue war nichts mehr zu sehen, außer ein brennender Kreis. Cens Augen schienen verrückt zu spielen, denn er konnte kaum noch scharf sehen. Mit letzter Kraft drehte er sich um und schaute zu dem Mädchen, die von der Hitzewelle auf den Sand geworfen worden war. Dann verschwamm alles und ihm wurde schwarz vor Augen.

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Tag der Veröffentlichung: 10.03.2011

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