Ich saß an meinem Schreibtisch, versuchte mich zu konzentrieren und blickte verträumt aus dem Fenster. In voller Blüte stand mein selbst gepflanzter Apfelbaum in der Mitte des Gartens. Wunderschöne Blüten reckten sich zur Sonne, ein feiner Hauch von Frühlingsduft streichelte meine verunstaltete Nase. Ein Blutstropfen fiel inmitten des unbeschriebenen weißen Blattes, eine riesige Wespe flog mit voller Geschwindigkeit auf mich zu, fixierte meine Augen, bog dann scharf ab, umflog mich zweimal und begutachtete interessiert das wunderschöne rote Zeichen. Ein Kunstwerk, eine einzigartige Form, dachte ich mir noch, da flog die Wespe wieder hoch. Ich verlor sie aus den Augen, und wenig später meine Kontrolle, als ich bemerkte wie sie sich meinem linken Ohr mit voller Geschwindigkeit näherte, und meinem panischen Gefühl zufolge, darin verschwunden sein musste. Dann tauchte sie wieder in meiner Nase auf, sie musste mitten durch meinen Schädel hindurch geflogen sein, mir blieb einzig die Hoffnung, dass sie nichts entwendet hatte.
Ein wenig verwirrt richtete ich wieder meinen Blick in den Garten, und erblickte eine Katze, die gerade meinen Baum markierte. Sie wollte Besitz von ihm ergreifen, mir meinen ganzen Stolz enteignen, mir meine ganze Freude verderben. Große Wut stieg in mir hoch und ich rannte mit geballten Fäusten und zitterndem Körper in den Garten. Ich wollte meinen Mund öffnen und lauthals schreien: „Verschwinde von meinem Grundstück oder ich hol den Hund!“. Doch in diesem Moment hörte ich wieder die Wespe, ich erschauderte, wusste aber nicht mehr warum. Den Sprachschlund getraute ich mich jedoch nun nicht mehr der Welt bloßzustellen. Mein Herz begann heftig zu klopfen, meine Brust schmerzte, ein unheilvoller Rhythmus ließ meinen ganzen Körper erbeben. Ich musste Schreckliches erlebt haben, ich flüchtete in das Haus, doch in der Türschwelle vergaß ich den Grund hierfür. So blieb ich abrupt stehen. Kurz verspürte ich den Drang in der Nase zu bohren, ich unterdrückte dieses unziemliche Verlangen und wollte mich wieder auf meine Arbeit konzentrieren. Ich hatte zu schreiben. Vor mir auf dem Schreibtisch lag ein Blatt mit einem Tropfen Blut, mein Ohr schmerzte, meine Nase kratze, und um meine Füße schlenderte plötzlich eine liebliche Katze, sie miaute und rieb sich wollüstig an meinen Beinen. Dann biss sie mich, ich blickte an mir herunter und sah, dass mein kleiner linker Zeh fehlte. Die Sanftpfote hatte ihn abgebissen und war damit geflüchtet. Ich entschloss mich dennoch zu der Vermutung, dass sie nur Hunger hatte, und nicht an sich bösartig war.
Ich erinnerte mich nun wieder daran, dass irgendwas mit meinem geliebten Baum gewesen war, so drehte ich mich nochmals um, und rannte zu ihm, ich wollte ihn retten, es war Zeit für eine Heldentat. Auf dem Weg dorthin traf ich mit einem meiner Füße unachtsam auf einen Ball, er krachte gegen die Mauer, prallte auf den Boden danieder, und mit voller Wucht zu mir zurück, traf mich am linken Auge. Dabei musste ein Mauersplitter ins Auge gelangt sein, denn ich sah nun wesentlich schlechter. So stolperte ich gemächlich auf der Rasenfläche dahin und verhakte mich in der ausgebreiteten Liege, ich taumelte noch mehr und lag nun betäubt vor meinem Baum. Da sah ich ihn, einen fetten Käfer der gerade meinen Baum besteigen wollte, ihn entweihen, ihn schändigen. Ich erzitterte, fühlte neuerlich wie sich ein unermesslicher Zorn in mir ausbreitete und von meinem friedvollen Geiste Besitz ergriff. Alles kribbelte, aus diversen Köperteilen spritzte Blut, Rauch drang aus meiner Nase, auch eine Wespe. Ich schrie mit aller Kraft: „Verschwinde von meinem Grundstück oder ich hol den Hund!“. Der Satz machte wohl nicht viel Sinn, war mir einfach so zugeflogen, und zugeflogen kam nun auch ein Vogel, brachte mit seinem Flügelschlag meine Frisur durcheinander, schnappte sich den Käfer, doch verlor ihn im Wegflug wieder. Er fiel zwischen meine noch immer wütend erzitternden, weit auseinander gerissenen Lippen, das Tierchen rappelte sich aber wieder auf, es hatte glücklicherweise überlebt, und eilte nun geschwind an meinen Zahnreihen entlang, auf der Suche nach dem richtigen Weg, nach seinem Weg. Ich musste tief durchatmen, und erstmal schlucken. Nun ganz entspannt auf dem Boden liegend, wollte ich meine vollkommene Beherrschung wiederfinden, zurück finden in den wundersamen Einklang friedfertiger Natur. In einer dunklen Ecke spielte eine fröhlich wirkende Katze mit meinem kleinen Zeh. Eine Wolke verschob sich, und ein Sonnenstrahl erhellte uns beide. Eine unbegründete Freude am Sein stieg in mir hoch, und ließ mich selig lächeln.
Tag der Veröffentlichung: 14.04.2011
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