Der Vorhang öffnet sich. Es herrscht Stille, dennoch höre ich ein leichtes, unregelmäßiges Atmen hinter mir, doch sonst wohltuende Geräuschlosigkeit. Ich kann mich entspannen, mich der Ruhe hingeben, kein Rascheln von Popcorntüten, Knacksen aus den hässlich hohlen Kinderfratzen, Ausdünste eines Tortilla Duftes, auch kein kichernd naives Tratschen, nur Ruhe, kultivierte Ruhe.
Meine Sinne sind auf vollste Wahrnehmung hochgefahren, meine Nerven sind harmonisch wie zu einem Instrument gespannt, ich nehme mein Umfeld nicht mehr wahr. Schließlich verhält es sich ja auch so brav, welch Wohltat ist ein Ambiente, das einen mit keinerlei bösartigen Facette dauerhaft nervt, Wutausbrüche provoziert, seinerseits niveaulose Reaktionen nach sich zieht. Aber hier ist Ruhe, allein dadurch hat es sich schon gelohnt, Balsam, Meditation für die von der Welt so geknechtete Seele.
Aber was ist da los, der Vorhang stockt, vereinzelt wagen Besucher leichte Bewegungen und ein stummes Nicken zum Begleiter. Dann ertönt aber auch schon ein dröhnender Gong, und der Vorhang bewegt sich wieder. Dies wiederholt sich viermal, dann ist die Bühne freigegeben. Doch sie ist leer, keinerlei Requisit, kein lustiger Schauspielgesell, vollkommen leer.
Am rechten Rand ertönt einige Minute später ein lauter werdendes Flüstern, „Sollen wir schon?“, „Aber wir müssen“, „Komm jetzt!“, „Ach halts Maul, lass mich fertig essen“, „Nun komm schon“, „Arschloch!“. Mit diesen letzten Worten, es werden diesen Abend im Stück keine mehr folgen, landet plötzlich im Flug ein Cheeseburger von MacDonalds auf der Bühne. Dann kommen sie, auf einer Sänfte tragen sie einen kleinen, verunstalteten Baum. Er trägt keine Blätter mehr, kahl und kraftlos, wirkt grau, schon beinahe leblos. Hat er den Kampf auf dieser bösen Welt schon aufgegeben?
Die beiden verneigen sich, der eine kniet sich davor nieder, verabschiedet sich anscheinend und zeigt seine Ehrerbietung. Der Andere greift nach dem Burger, schmeißt ihn aber wenig später mit verzerrtem Gesichtsausdruck wieder fort. Dann gehen sie ab mit ihrer nunmehr leeren Sänfte. Als sie fort sind fällt dem Baum einer der dünnen, kranken Äste ab, der Klang dabei ist herzzerreißend grausam. Ein Trauermarsch erklingt.
Die Musik wird stiller, verstummt beinahe, erfängt sich aber wieder und geht über in ruhige Meditationsmusik. Ein Mädchen tritt auf, sie hat goldene Locken, goldbraune glatte Haut, ihr Kleid legt sich sanft und anmutig über ihren schönen Körper, bei jeder Bewegung springen die schönen Rundungen ins Auge, auf ihrem Gesicht trägt sie ein Lächeln. In der Musik mischt sich ein wärmer werdender Ton ein. Sie strahlt, sie verbreitet Freude, das Licht wird heller, Wärme durchstrahlt den Raum. Auch der Baum scheint nun zu knistern und zu rauschen.
Das Mädchen hält beim Baum inne in ihrem sinnlichem Gang. Sie schaut ihn mitfühlend an, streichelt ihn, holt den gebrochenen Ast und legt ihn vorsichtig dem Baum zu Füßen. Sie schlägt dabei die Augen nieder, das Licht verdunkelt sich leicht, sie öffnet die Augen wieder und offenbart ein neuerlich verstärktes Strahlen mit dem Aufblicken zum Baum. Die anfänglich leichte Unsicherheit verschwindet immer mehr. Dann umarmt sie ihn warm und innig, verweilt derart einige Minuten. Die Musik wird immer fröhlicher.
Als sie sich langsam wieder von ihm löst, gibt sie ihm noch einen kurzen, aber umso festeren, beinahe leidenschaftlichen und doch gleichzeitig schüchtern keuschen Kuss. Sie bettet sich am Boden zur Ruhe, geschützt und gefestigt von seinen Wurzeln, sie scheinen sich wärmend um sie zu legen. Ein Liebeslied klingt an, die Nacht und Dunkelheit legt sich über die Bühne, die Musik ertönt laut genug um keinen anderen Laut wahrnehmbar zu machen. Dann verklingt sie, und es ist vollkommen still.
Als es wieder heller wird, ertönt der Sonnenaufgang aus Zarathustra. Das Mädchen erhebt sich und streichelt sinnlich über ihr Kleid um es zu glätten.
Der Baum aber, der erstrahlt plötzlich in hellem Glanz, tausende Blätter und glänzend weiße Blüten machen ihn zur reinen Augenweide, die Liebe und Aufmerksamkeit hat ihm gut getan ...
Tag der Veröffentlichung: 07.03.2009
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