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Es war einmal ein Stück Holz, schäbig sah es aus, schäbig und daher auf ganz eigene Art auch einzigartig. Dennoch, welches noch so armselige Stückchen Holz würde schon gerne freiwillig so aussehen? Zumindest eines blieb ihm aber in seinem langem Leben erspart, es besaß nämlich das Privileg bisher noch von keinerlei Kleingetier befallen worden zu sein. Keine Käfer, keine Würmer, keine Maden, kein sonstiges Kleinstgeziefer, die Tierwelt ließ von ihm ab, zumindest die Sichtbare. Kleinste Tierchen sind ja schließlich in jedem Organismus enthalten, selbst im Menschen, diesem ach so stolzem selbsternanntem Herrscher der Erde, sogleich jedoch auch sein dämonischer Zerstörer. Man könnte den Menschen natürlich auch einfach nur als seinerseits einen äußerst schäbigen Parasiten mit Möchtegernherrscheranleihen auf diesem einst so hübschem Planeten betrachten. Im Gegensatz zu der Tier und Pflanzenwelt hat es der Mensch einfach komplett versäumt - bzw. verlernt - im Einklang mit der Natur zu leben, nein er fühlte sich ja schließlich zu sehr viel Höherem berufen.

Unser Holzstückchen jedoch hatte nun auch schon ein langes und bewegtes Leben hinter sich. Eine lange Reise, welche derzeit seinen Höhepunkt auf See fand. Zwar nicht auf hoher See, sprich Meer, sondern auf einem ganz nettem süßlichen Binnengewässer, das ganz ruhig und friedlich in einer überraschend naturellen Landschaft eingebettet war. Nicht alle Gewässer haben das stille Vergnügen auf solche Weiten von Grünfläche und Bewaldung zu blicken. Sogar die Abfälle halten sich noch in Grenzen, selbst wenn es im Sommer so manchmal passieren kann, dass irgend ein unverschämter junger Zögling der Gattung Mensch die Frechheit besitzt seine Körperflüssigkeiten im Wasser zu hinterlassen. Im Vergleich zu diesen nicht ganz geruchsneutralen Stoffen war das naturelle Stück Holz inmitten den Weiten, den Weiten der realistisch betrachtet doch ein wenig begrenzten Wassermassen, ein wahrer Segen. Und dies obwohl seine Schönheit bereits längst verwelkt war, die früher ach so stolze Stabilität war der Morschheit gewichen und seine früher ganz sanfte Oberfläche war nun glitschig und von Algen behangen. Diese ganzen Mängel, vom außenstehenden verächtlich beäugt, ist jedoch für den wahren Kenner lediglich ein Gütesiegel der Authentizität.

Herangewachsen ist das Holz in einem gänzlich hübschen und selbstredend naturbelassenem Wald. Jahr um Jahr stand das Holz sich selber überlassen im Wald und streckte sich gegen den strahlenden Himmel, sättigende Nahrung fand sich genügend in Mutter Erde. Hunderte Male schon sah es dann auch diese komischen Geschöpfe, die sich auf 2 dürren Stelzen hinfort bewegten, ziemlich eigenartig waren die. Doch dies waren dann auch schon die negativsten Gefühle zu dessen das so herzensgute Holz fähig war. Selbst als eines der Wesen mit einer ohrenbetäubenden Maschine seine ganze stolze Standhaftigkeit, aufgebaut in vielen langen Jahrzehnten, zerstörte und es damit von seinen innigsten Wurzeln entzweite, hegte das Holz noch immer keine allzu großen Rachegefühle. Jenes dominierende Lebewesen fuhr so auch unbeschwert in seinen Gräueltaten fort und raubte dem Holz sämtliche ehemalige Persönlichkeitsmerkmale. Erst nach langer, langer Zeit ging die gräuliche Behandlung zuende und das Holz fand sich als Brett in einer kleinen Hütte wieder. So vergingen neuerlich endlose Jahre in relativer Ruhe. In dieser neuen Umgebung konnte das Holzstück sogar erstmals ganz neuartige Beobachtungen machen. An Erfahrung reicher fand es diese Individuen der Gattung Mensch mit der Zeit immer noch schräger. Oftmals wenn sich zwei Humanoide allein in der Hütte befanden waren ganz merkwürdige Laute zu vernehmen, die Holzteile auf dem die Menschen lagen, hatten gar von ganz seltsamen Bewegungen und Verrenkungen zu berichten, die diese Menschen in ihrer Verschlungenheit vollführen konnten. Ganz typisch für diese Menschen geschahen die an Innigkeit rührenden Bewegungen natürlich in gänzlich unkalkulierbarem Tempo und wurden begleiten von Ausrufen und kehligen Stöhngeräuschen. Kannten denn diese Wesen wirklich keine Gemütlichkeit? Während das Holz einfach jahrelang ganz gemächlich verweilen konnte, waren die Menschen kaum eine Sekunde mal ruhig. Welch bemitleidenswerte Volk. Ob die auch wirklich dazukommen das Leben zu genießen?

Irgendwann ging dann aber auch die Zeit im Kollektiv der Hütte vorbei. Eine lange Zeit lag das Holz als einzelnes und vereinsamtes Brett in irgendeinem Winkel und verlor nach und nach sein jugendliches Aussehen zur Gänze. Von Staub überdeckt landete landete das Stück Holz in irgendeiner menschlichen Hektik schließlich in einem noch nervöserem Gewässer. Getragen von den Wassermassen trieb das Brett durch etliche Täler und Schluchten Richtung Westen. Eines Tages, nach einigen schmerzhaften Bekanntschaften mit etwas zu groß geratenen Steinen, landete es endlich im See. Dort kehrte dann auch endlich wieder eine gewisse, sehr geliebte und altbekannte, Ruhe ein.

Eine Ruhe resultierend aus Verlorensein in der Welt, ein phänomenales Ereignis? Natürlich ist auch diese Ruhe, wie so ziemlich alles, schlicht gesagt relativ. Zusätzlich wird selbst dies Ereignis als Empfindung maximal ein peripheres Tangieren in den anderen Dingen, Sachen, Lebewesen, Individuen, usw. auslösen. Doch sind wir nicht alle schlussendlich einfach nur irgendein Gegenstand, irgendeine Substanz? Man könnte sogar soweit gehen zu behaupten, dass ein Stück Holz, auf dem es sich im Laufe der Jahre so manch ehrenvoller Allerwertester gemütlich macht, in einer Zeitspanne von nicht mal einem Jahrhunder,t keinen Deut weniger an Wert besitzt als sein Besitzender, es gibt dann keinen Unterschied mehr. Es wäre gar möglich, dass jenes mutmaßlich höhere, stets obenauf sitzende menschliche Ding sehr viel rascher zur Asche wird, als das untere aus dem Wald Entstammende, welches ja unfein als minderwertig angesehenen wird. Doch wir sind letzten Endes ja doch alle nur ein organisches Gemisch, ein Ding, eine Sache.
Sie wollen nun bereits vehement dagegen protestieren und zusätzlich noch den Geist, die Seele und die Erinnerung in die Waagschale werfen? Tun sie´s doch, mir egal, steht nicht zur Diskussion, aus, fertig, basta!

Es war also einmal ein See, auf diesem See schwamm ein von den Gezeiten schwer mitgenommenes Stück Holz, dieses Stück Holz war früher allerdings einmal ein hübsches, stolzes Brett und dies Brett war Brett und ist Brett oder doch einfach nur mehr ein altes Stück Holz?
Ein Stück Holz schwimmt auf einem Binnengewässer, friedlich umrahmt von bewaldeten Bergrücken. Zwischen den Bergen schlängeln sich stark verzweigte Täler an deren tieferen Stellen fließen zumeist Flüsse Richtung See. Und da also immer neue frische Wassermassen im See ankamen war nie alles ruhig, es gibt keinen Stillstand, alles ist in Bewegung, ob bewusst oder unbewusst ist der Bewegung eigentlich vollkommen egal. So schwamm eines Tages das Stück Holz auf hoher See und daher doch eher etwas entfernt von der Zivilisation, keine “Zivilisation“ hätte schon auch mal was an sich, doch ganz fehlt sie eben nie, sie ist überall auch inmitten des Sees verkehren stündlich Schiffe, meist große mehrstöckige auf denen sich einige Menschen tummeln. Manche haben lustige Uniformen an, manche Fotoapparate in den Händen. Die einen tragen den Mund nach unten gekrümmt, die anderen wiederum tragen ein breites Lächeln vor sich her. Ein Mensch allerdings steht still und einsam an der Reling, sein starrer trauriger Blick verliert sich in den Wellen, die vom Schiff ausgehen, ein Denker, ein Ruhiger, ein Guter. Doch dass diese Wellen auch das Holz wieder weiter in die Ferne treiben bleibt ihm verborgen, es interessiert ihn nicht. Wiederum ein paar andere Menschlinge hocken rund um ein paar Tische, ihre Füße strecken sie genüsslich von sich und manchmal greift die eine oder andere Hand nach einem Glas mit goldigem und geschäumtem Inhalt. Abwechselnd bewegen sich ihre Münder und entlassen ihre Laute in die Welt, doch braucht die Welt diese Laute überhaupt? Den Lautgebern ist es egal ...

Fortgedriftet im Schwung der Wellen driftet unser bereits fast liebgewonnenes Holzstück nun wieder Richtung Ufer. Dort entdeckt es aber alsbald eine Eingrenzung des bisher so weit reichenden Gewässers. Eine Mauer ragt hinauf nach dort wo oben ist. Und dort wo dann nicht mehr unten ist taumeln sich wieder etliche Lebewesen, die meisten in menschlicher Form, doch auch ein paar Vierbeiner sind zu erspähen. Getreu folgen sie ihren imperialistischen Herrschern, nur manchmal rufen sie zur Revolte, um an einem Baum unter anderem ein Füßchen zu heben, oder einfach um einen Artgenossen zu grüßen und mit ihm ein Spiel zu wagen.
Und was machen die Zweibeiner? Hmm..., schon alleine ihre verschiedensten Fortbewegungsmittel sind vielfältig. Die Überzahl bilden zwar noch immer Leute im Gebrauch der guten alten Kunst des Gehens. Doch viele rollen auch auf Rädern und Rädchen in verschiedenster Ausführung dahin, wenigstens bewegen sie zumeist die Rädchen noch selber, nur 2 ihrer Gattung fallen wieder negativ auf, sie tragen witzige blaue Uniformen und sitzen in einem großen Blechkasten, geschmückt mit zwei blauen Höckern und vier Rädern die von einer komplizierten Konstruktion vorangetrieben werden. Allerdings hinterlässt dieses Ding grässliche erstickende Stoffe, die es ganz unverschämt in der klaren Luft hinterlässt. Und eben diese zwei werfen dann böse und gnadenlos ihre eiskalt kontrollierenden Blicke auf all die anderen.

Ungeachtet dessen schlenderte liebevoll umschlungen auch die eine oder andere Zweierkonstellation an Menschen dem Gewässer entlang. Mit welch sanfter Anmut und völligem Einklang manch Paar dahinwandelte, vergessen war die bösartige Welt ringsherum, langersehnter glückseliger Frieden umgab sie. Und so wurde manch rührselige Erinnerungen an jene alte Hütte, in der das Brett einst Teil des Kollektivs war, wach. Welch friedliche und gemütliche Zeit, dies damals noch war. Doch warum scheint jene Erinnerung bereits so fern, so unwirklich. Der echte Bezug zu damals ist ganz unbemerkt abhanden gekommen. Nun dies wäre ja noch nicht so schlimm, ein verblassen der schönen Vergangenheit ist alltägliches Schicksal, doch zusätzlich fehlt derzeit einfach die Zukunft. Keine Inspiration für irgendwelche Vorhaben ist mehr spürbar. Gut, aber auch diese sollte sich in der wichtigsten Zeitform, der Gegenwart, ja wieder irgendwie finden lassen. Tja, doch eben genau da liegt das wahre Problem, auch die Gegenwart ist nicht greifbar, das Dasein driftet ganz trostlos vor sich hin. Was tun wenn jegliche Beschäftigung ohne Bedeutung bleibt, die Freude am Tun sich in engen Grenzen hält? Doch wahrscheinlich ist nur das Hirn etwas verwässert, was kann man denn schon erwarten wenn man Tag für Tag hilflos im Wasser treibt und nichts anderes zu tun hat als diese jämmerlichen Menschen zu beobachten ...

Eines Morgens bei trüb behangenem Himmel gab´s an einer erschreckenden Geräuschkulisse zu rätseln. Zuerst das vertraute regelmäßige Rattern eines Zuges, dann ein Gemisch aus endlos lang gedrückter Hupe und einem Quietschen der Bremsen welches bis ins Knochenmark drang. Danach kehrte wieder für eine Weile Ruhe ein, doch nach wenigen Augenblicken kämpfte sich die Sirene eines Rettungswagens über die Seestraße dahin. Ob es noch was zu Retten gab?
Auch der Nachmittag konnte trotz den aufkommenden Sonnenstrahlen die positive Stimmung nicht zurückbringen. Allzu oft war leider bei den Fußgängern am Seeweg keine rechte Harmonie untereinander zu finden, selten erklangen wohlgeformte Grußworte, selten verzogen sich die Mundwinkel nach oben, zu jenem wohltuendem und herzerwärmendem Lächeln.

Einen schrägen Eindruck hinterließ auch eine der ganz sportlichen Gruppen. Jogger waren ja in Masse unterwegs, doch denen verschlug es meist bei ihren hunderten von Metern, die sie hingebungsvoll tapsend laufen, ihre Stimmen. Nur hie und da waren zwei untereinander im Gespräch, doch auch jene Worte wurden eher nur so herausgepresst. Ja aber dann gab es eben jene komische Truppe. Es dürften etwa 43 Stück gewesen sein. Alle trugen die selben bräunlichen Sportanzüge und die selben Turnschuhe. Bei dieser Ansammlung konnte man sogar von einer Formation reden, ne schöne Zweierreihe war gebildet, nur daneben her lief ein komischer Kauz, ganz misstrauisch beobachtete er die anderen. Herausragend bei diesem Trupp war aber vor allem die Geräuschkulisse, der seitlich laufende krächzte vor, die anderen jammerten es ihm nach. Einer dieser Rufverse ging etwa so: Mutter, Mutter, schau mich an was das Heer mir angetan. Wie traurig ...

Nahe dem Ort, an dem dieser komische Trupp sich wieder vom Seeufer abwandte, strandete das Stück Holz an einem Kiesstrand. Nun endlich wieder auf trockenem Untergrund verlor das Brett seine triefende Nässe, nur etwas feucht war es noch.
Dann wie schon so oft verschwand irgendwann wieder diese gelbe Scheibe vom Horizont. Aber einige Menschen blieben trotzdem weiterhin auch der Örtlichkeit am See treu. Irgendeine mysteriöse Anziehungskraft hatte diese Wasseransammlung schon für all die Lebewesen. Könnte sein, dass dies an den animalischen Urinstinkten der Nahrungssuche und des Überlebens liegt, könnte aber auch sein, dass der Anblick des Sees in den Humanen irgendwie ein Gefühl der Freiheit auslöst. Für das Holzstück war die Freiheit nun allerdings vorbei. Ein Mensch umfasste es mit seinen Greifgeräten und legte es mit anderen Holzstücken zusammen. Friedlich und sorglos lag es noch immer da, die neue wiedergebrachte Gemeinschaft mit den hölzernen Schicksalsgenossen sorgte sogar für eine gewisse Glückseligkeit. Auch die Menschen rundherum wirkten recht friedlich. Wie hübsch doch zwei von ihnen ihre Hände ineinander hielten, wie sehr ihre Blicke strahlten. Ganz sanft strichen manchmal Hände über den Körper des anderen, sie hatten wohl wirklich Feuer gefangen. Doch dann ganz plötzlich geschah das Unglaubliche, nach einigem hantieren eines der anderen Menschen stand auch das Brett plötzlich in Flammen. Schmerzen fühlte es zwar keine, doch eine gewisse Traurigkeit kam trotzdem auf, seine Existenz endete nun unwiderruflich. Einige Stunden später war nur noch Asche übrig.


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Tag der Veröffentlichung: 10.02.2009

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