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Es war Sommer

Ich liege im Gras, das noch etwas feucht, aber dadurch auch angenehm kühl ist. An diesem Sommertag weht kein einziges Lüftchen, weswegen man das Leben in der Wiese umso mehr wahrnehmen kann.

Das Licht der Sonne liegt warm auf mir und heizt meiner Garderobe mächtig ein. Die Shirts der Bands, die ich am meisten mochte, waren halt meistens schwarz und BlueJeans waren was für Hippies. Schwarze Schnürlederhosen und Metalshirts gehören einfach zusammen. Davon will der Sommer aber nichts wissen und brät mich ordentlich durch. Kurz überlege ich, ob ich mich meiner „Uniform“ entledigen sollte, aber dann ginge das Interesse sämtlicher Insekten in meinem Dunstkreis mit Sicherheit über ein Zirpen hinaus.

Also liege ich weiter in meinem Saft, kaue für ein möglichst geheimnisvoll verträumtes Erscheinungsbild auf einem Grashalm und stelle mir vor, wie es wäre, in den Wolken über mir nach irgendwelchen obszönen Formen zu suchen.

Früher sah ich dort natürlich Eisenbahnen, Hasen oder Hamburger, aber heute wäre es sicher ein Spaß gigantische Frauen … anatomie am Himmel vorbeiziehen zu sehen. Wenn das mit dem Sehen halt nicht, seit dem Ausbruch dieser dämlichen Erbkrankheit als ich elf war, Geschichte wäre.

Keine Angst, jetzt kommt kein Rumgeflenne, immerhin habe ich das Glück, mich an all die schönen Dinge, für die man sehen können sollte, erinnern zu können. Und erst die schönen Dinge, für die man keine Augen braucht. Frauen zum Beispiel. Wie toll sie doch riechen, sich anhören, sich anfühlen. Aber so 'ne Frau, ganz ohne, sieht bestimmt auch geil aus.

 

„Das ist gut. Schreib das auf.“ Verwirrt, fast erschrocken, sah ich in Wöllis breites Grinsen.

„Das … was?!“ Ich war immer noch nicht ganz da.

„Na, was du gerade gefaselt hast! Mit dem blinden Typen und den Möpsen. Bischen kitschig, aber gut. Darauf einen Düschardong.“ Wölli nahm einen großen Zug aus seiner Bierflasche.

„Ich habe was?“ Langsam begriff ich und es wurde mir zunehmend peinlicher.

„Du sagtest, an diesem schönen Tag hier mit deinem alten Kumpel auf der Parkbank zu sitzen und ein paar Bier zu zischen, inspiriert dich total und ich hab gemeint, erzähl doch mal.“

„Ich weiß, was mir gerade im Kopf herumging, aber das habe ich laut erzählt?“

„Scheiße ja! Aber keine Bange, hab nur ich mitbekommen. Du solltest das echt aufschreiben, hast scheinbar ein Händchen für sowas.“

„Ach quatsch nicht. Gib mir lieber noch'n Bier.“

„Ich hab da auch so 'ne Idee, das kannst du ja verwenden. Pass auf, da ist 'n Typ, so voll geheimnisvoll und jede Muschi, die ihn sieht, ist sofort voll verknallt. Aber dann kommt die eine, mit der is'es ihm ernst und er gesteht ihr, das er so 'n Vampir ist ...“

Ich muss ziemlich bescheuert ausgesehen haben, als ich wieder in das Grinsen meines Kumpels sah, das jetzt noch breiter war und den rostroten Flaum, den er sich gerade als Goatee stehen lassen wollte, in Nord- und Südhalbkugel spaltete.

„Du bist so ein Hirni, Wölli. Ich liebe dich, Mann. Bier her.“ erwiderte ich das Grinsen.

„Is alle.“ Er hielt mir seine Flasche hin. Viertelst voll, lauwarm, ohne Kohlensäure und die schunkelnden Schaumflöckchen stammen sicher nicht mehr von der Blume. Lieber würde ich ein Glas Schwefelsäure trinken. Aber natürlich nahm ich an und trank es in einem Zug aus.

„Danke, Alter.“ Meine Zunge fühlte sich an, als könnte ich sie kämmen. „Ab zur Tanke. Wer fährt?!“

„Wer so blöd fragt. Außerdem hast du noch nicht soviel gesoffen. Ihr Künstler braucht für euren Rausch ja immer so Absinth oder Küstennebel oder Düschardong.“ Wölli hatte die Arme nach oben angewinkelt und lief, die Nase himmelwärts, wie ein affektiertes Model vor mir her. Gute Gelegenheit für einen saftigen Tritt in seinen übertrieben wackelnden Arsch.

Wir quetschten uns in den winzigen, schlammgrünen Fiat, den Wölli von seinem Opa geerbt hatte. Dem Opa geht es gut, nur dass er nicht mehr Auto fahren darf, seit dem „Vorfall“. Wölli spricht nicht gerne darüber, weil er sich immer ab der Hälfte der Geschichte vor Lachen fast einpisst und das täte ihm dann leid für seinen Opa, denn der ist echt gerne Auto gefahren. Das und die Tatsache, dass wir, zwei Langhaarige mit locker vier Zentnern Gesamtgewicht, in dieser Schuhschachtel sicher wie eines dieser Clownsautos aus dem Zirkus wirken mussten, entlockte mir jetzt auch ein breites, fettes Wölligrinsen.

Die Ampel schaltete auf grün und trotzdem schmetterte Wölli noch belustigt ein „Rechts ist frei!“

Dann kippte die Welt um. Das Geräusch dazu kam irgendwie verzögert, als würde weit weg ein Container mit Glas umkippen. Der Innenraum des Fiats explodierte in einer Wolke aus Lärm, Metall und Schmerzen. Der BMW riss uns auseinander wie eine Pinata, um dann mit ein paar Dellen in der Leitplanke zu landen. Benommen lag ich im Freien, immer noch im Fahrersitz. Zum Glück war ich angeschnallt, dachte ich noch bescheuert und im Gegensatz zu dem Typen aus meinem Tagtraum im Park, konnte ich sehen. In einer dunklen Lache lag ein Arm. Einen einzelner, verdammter Arm. Der, der mir vor zehn Minuten noch sein letztes Bier gereicht hatte. Dann verlor ich das Bewußtsein.

 

„Das ist gut, schreib das auf. Eine Geschichte in der Geschichte. Aber diese schrecklichen Wendungen ...“

„Mama, du weißt doch, die dunkle Seite, das Böse schläft niemals, die ...“

„Ja, ja, ich weiß, dass viele deiner Leser das mögen. Mach dir ein paar Notizen, bevor du wieder vergessen hast, was du mir gerade erzählt hast. Und es ist fast acht, du musst zur Arbeit.“

„Ja, Mama, ich bin kein kleines Kind mehr.“ wobei ich die Augen wie ein kleines Kind verdrehe. Ich schnappe mir den Collegeblock aus meinem Zimmer und beschließe, dass Haltestelle und Bus ebenso ein guter Ort für Notizen sind.

Vielleicht wirkt ja ein nachdenklich schreibender Mittzwanziger auf die ein oder andere weibliche Lebensform etwas anziehend. Bei meiner Mutter hat es ja auch funktioniert. Habe ich das gerade wirklich gedacht?! Ich muss raus hier.

Das Treppenhaus unseres Altbaumietshauses ist selbst an solchen heißen Sommertagen herrlich kühl. Ich lehne mich mit dem Rücken an die Hauswand und schließe kurz die Augen, hab ja noch Zeit. Unter mir höre ich Stimmen, darunter auch ihre Stimme. Josephine. Letzte Woche eingezogen, im Hausflur begegnet und bäm. Also zumindest bei mir. Nicht dieses „Wow, sie sieht umwerfend aus“. Sie sieht natürlich umwerfend aus, aber es war dieses „Ja, ich will“, das einem so verdammt selten begegnet. Und jetzt wohnt es unter mir. Wohnt sie unter mir. Bei ihren Eltern. Ohne Freund. Und ich will sie so sehr, dass es weh tut.

Mit wem quatscht sie da überhaupt? Vorsichtig sehe ich über das Geländer in die darunter liegende Etage. Sie steht dort mit einer Freundin. Beide tragen dieses modische Nichts, das hübsche Mädchen halt an heißen Sommertagen so tragen und ich sehe von oben auf sie herab. Nicht im doppelten Sinne, nur im sehenden Sinne und der püriert gerade meine anderen Sinne. Es schmerzt. Diesmal im doppelten Sinne, einmal heiß in meiner Leistengegend und einmal, ganz um das Klischee zu bedienen, einen halben Meter höher. So nah und doch so fern. Ich atme tief durch, bevor ich noch anfange orientalisch zu tanzen.

Was soll ich tun? Mit Ständer und Schnappatmung an den beiden vorbeischieben? Auf keinen Fall. Josephines zweiter Eindruck von mir soll nicht der eines Triebtäters sein. Ich linse nochmal hinunter. Ihre Freundin scheint sich verabschieden zu wollen und sie küssen sich. Kein Küsschen hier, kein Küsschen da. Sie küssen sich. Fest umschlungen. Haare zerwühlend. Sicher mit Zunge und allem Drum und Dran. Ich muss nochmal zurück. Auf's Klo. Hab noch fünf Minuten bis mein Bus fährt.

 

Das ist gut. Das schreib ich auf ...

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Tag der Veröffentlichung: 26.05.2016

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