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Straßenverkehr

 

“Feel that I could lay down time ain't long” schreit mir Muddy Waters aus fernöstlichem Radioweckerschrott ins Ohr. Ich mag Blues. Ehrlich. Aber alles zu seiner Zeit. Ich reiß den Stecker einfach aus der Wand, da die Dinger, egal welchen Knopf man auch drückt, sowieso nach einer Minute wieder losquäken. Wieder und wieder und wieder.

Vorsichtig stelle ich einen Fuß auf unser kuschlig feuchtes Bärenfellimitat. Moment? Feucht? Ah, eine ehemals aufrecht stehende Mineralwasserflasche meiner Liebsten. Natürlich nicht zugeschraubt und direkt auf dem Vorleger plaziert. Viel sicherer, als zum Beispiel auf dem Nachtschrank. Aber gut, die Fußsohlen sind erfrischt und ich bin munter. Fein.

Vorbei am Kinderzimmer, in dem absolute Stille herrscht, biege ich in die Küche. Moment? Stille? Im Kinderzimmer? Bevor ich mich sorgen kann, sehe ich verdutzt auf meine zufrieden lächelnde Frau nebst pappsatt schnaufendem Hund. Moment? Zufrieden? Meine Frau? Und der Hund? Satt? Um die Zeit?

Gnädigerweise zieht mich eine Verpackungskrampe, die sich schmerzhaft in meinen Fuß bohrt, aus dem Fragengeflecht. Nun sehe ich auch den zur Krampe gehörenden, großräumigen Karton eines bekannten Internetschuhversandes. Aus dem kunterbuntem Wirrwarr weiblicher Statussymbole ragt ganz unscheinbar ein kleines Zettelchen. Völlig unbeachtet, halb eingerissen. Ein Zettel mit so Männerkram. Zahlen. Positionen. Nummern. Hui, eine derart große Zahl habe ich hier in unserem Haushalt noch nicht vor einem Eurozeichen gesehen. Die Zahl darunter kenne ich gut. Meine Kreditkartennummer.

Ebenso unbeachtet steht neben dem Karton eine zerfledderte, noch zur Hälfte gefüllte Einkaufstüte. Ich nehme an, dass Hades, unser Anderthalbzentner-Schnuckiputzirotti, die Unzurechnungsfähigkeit meiner Frau nach Eintreffen des Paketes genutzt hat, um mein Porterhousesteak aus der Tüte zu atmen. Angewidert wühle ich in den kläglichen Überresten. Hades mag scheinbar weder französischen Weichkäse noch Antipasti oder Eier von glücklichen Hühnern, aber zumindest hat er alles mal probiert, feines Hundchen. Meine Mentholzigaretten finde ich aber nicht. Meine Frau, mittlerweile wieder ansprechbar, frage ich, ob unser rüder Rüde neuerdings nach dem Essen eine zu rauchen pflegt. Sie ist jedoch der Meinung, die Zigaretten auf den Tisch gelegt zu haben. Glaubt sie sich zu erinnern. Relativ ganz sicher. Eventuell. DAS KINDERZIMMER!

Gerade sehe ich noch, wie Jan-Friedrich die letzte Zigarette zerbröselt, dabei murmelt, dass die Kaugummizigaretten scheiße sind und er das nächste Mal wieder Kinderüberraschung will. Mit Hinblick auf meinen momentanen Ruhepuls von hundertsechzig zu hundert spare ich mir rhetorische Belehrungen, da währendessen Begrifflichkeiten fallen könnten die a.) meine Frau maßlos aufregen b.) der Junge eh nicht versteht und c.) falsches Zeugnis über mich bei der Nachbarschaft ablegen könnten. Also gut. Hör ich eben auf zu rauchen. Danke, Jan!

Lektion Nummer Eins an einem Tag ohne Glimmstengel: Frische Luft! Ganz schnell! Gut, dass ich bereits im Flur stehe. Elegant schwinge ich mich in meinen neuen Trenchcoat. Ein wohliges Gefühl umgibt mich, wobei der Mantel am linken Ärmel etwas viel Luft einlässt. Kein Wunder, er ist ja auch ab. Der Sabber an den verbliebenen Fäden verrät mir, dass Hades wohl nach dem Steak Zahnseide benötigte. Was für ein reinlicher Hund.

Krempel ich den rechten, noch verbliebenen Ärmel halt hoch, sieht viel lässiger aus. Im Treppenhaus überkommt mich kurz die Befürchtung, dass ich für das, was jetzt noch auf mich zukommen könnte, vielleicht nicht stark genug bin. Vorsichtig, an der Wand entlang, schleich ich mich in den Hinterhof und sehe angespannt um die Ecke.

Da steht sie. Unversehrt. Kurvenreich. In schwarzem Lack. Meine Festung. Mein Resort. Mein Elba. Meine S-Klasse. Vorsichtig, wie ein Rotkehlchen auf der Balz, nähere ich mich ihr, streich ihr sanft ich über die Haube, den Grill, den Stern. Am Kotflügel entlang arbeite ich mich zum Türgriff vor, lass vorsichtig zwei Finger hineingleiten, ein sanfter Druck, sie ziert sich ein wenig und … oh, nicht abgeschlossen.

Ich erinnere mich, dass meine Frau als Letzte den Wagen gestern verließ, war aber wohl doch zu sehr mit irgendeiner weiteren Internetbestellung beschäftigt, um sich mit solch überflüssigen Vorsichtsmaßnahmen abzumühen, wie etwa ein Achtzigtausend-Euro-Fuhrwerk zu verriegeln oder auch ihr MacBook nicht als Leuchtköder im Innenraum zu hinterlassen.

Gespenstisch illuminierend verhöhnt es mich vom Rücksitz mit einem, noch immer geöffnetem Warenkorb mit sagenhaften siebenundsechzig Kosmetikartikeln für unglaubliche … oh mein Gott. Oh mein Gott! Sie hat vergessen die Bestellung abzuschicken! Sie hat vergessen …das Herunterfahren beim Schließen des Apfelflachmanns und damit verbundene Terminieren der Finanzeskapaden meiner Frau, verschafft mir kurzzeitig einen wahrhaft orgastischen Moment der Überlegenheit. Dann fällt mein Blick auf das Netzkabel, das wie eine Nabelschnur im Zigarettenanzünder meiner Mercedes endet. Kein Wunder, dass der schlanke Kalifornier so standhaft war, wurde er doch die ganze Nacht über von meiner prallen Stuttgarterin befruchtet (das nymphomanische Triebdenken in der Nähe meiner Süß … meines Autos sollte mir langsam zu denken geben). Aber nicht heute. Ich schwinge mich auf den Vordersitz und drehe den Zündschlüssel.

Wissen sie, ich mag Stille. Ich liebe, ja vergöttere Stille geradezu, bin vernarrt in sie. Könnte Tage, Wochen mit ihr, in ihr verbringen. Jedoch an zwei Orten möchte ich sie nicht empfangen. Dem Kinderzimmer und dem Anlasser meiner S-Klasse.

Gut. Schön. Fein. Gehe ich eben die zwölf Kilometer zu Fuß. Die Sonne strahlt, das nervöse Zucken meines linken Augenlides sollte mich nicht sonderlich behindern und mit einigen kühnen Abkürzungen über Zäune, Gärten und Hinterhöfe bin ich vielleicht sogar rechtzeitig auf Arbeit.

Als ich aus dem Hausflur trete, staune ich, wie schnell sich doch ein Platzregen zusammenbrauen kann. Selbstverständlich schneidet mir die Haustür krachend den Fluchtweg ab und natürlich liegen die Schlüssel noch im Hinterhof auf dem Rücksitz meiner Geliebten. Also gut.

Die Klingel hat der Hausmeister noch nicht repariert. Macht nichts. Mein Handy ist in meiner Anzughose, die zwei Stockwerke über mir im Schrank hängt. Nicht schlimm. Ein Polizist kommt auf mich zu. Alles wird gut. Als ich zwei Minuten später den Verwarnbeleg wegen unsittlichen Auftretens entgegenehme, beschließe ich, nicht durchzudrehen, die Ruhe zu bewahren und angemessen, wie vernünftig zu reagieren. Moment? Vernünftig?

Polizeibericht Oberwachtmeister Jansen :

 „Gegen 9.30 Uhr Ortszeit bemerkte ich einen offenbar verwirrten Mittvierziger, der lediglich mit einem zerschlissenen Mantel und einer Pyjamahose bekleidet war. Ich wies ihn darauf hin, dass es in der Innenstadt außerhalb der Karnevalszeit nicht gestattet ist, sich unsittlich zu kleiden und verwarnte ihn mit einem Bußgeld in Höhe von fünfundzwanzig Euro. Danach bewegte sich die Person zunächst unbedenklich ruhig in ein Fleischereifachgeschäft, wo der Mann plötzlich lautstark die Herausgabe von Steakfleisch forderte, das er sich direkt unter die Füsse band, weil (Zitat Delinquent) „was an die Füße enorm wichtig ist. Kann man nie genug von haben.“. Bevor ich eingreifen konnte, forderte er von überraschten Passanten die Herausgabe von Zigaretten, verspeiste diese umgehend und schrie (Zitat Delinquent) „die sein viel besser als beschissene Kinderüberraschung“. Nachdem er dann die Auslage eines Apple Stores verwüstet hatte, musste ich ihn mit Dienstgewalt davon abhalten, ein Smartcoupé mit den Worten, ich zitiere wieder, „Grüße von deiner Mutter, du Flittchen“, zu missbrauchen. Dann brach er weinend zusammen und ließ sich widerstandslos abführen. Befragungen der Nachbarn ergaben, dass der Familienvater nie auffällig war und ihm solche Handlungen niemand zugetraut hätte.“

 Dort endet der Bericht.

 Unser bedauernswerter Hauptprotagonist trat nach einhundert geleisteten Sozialstunden dem Orden des Fleisches bei, einer finsteren Sekte maßloser Carnivoren und verfasste dort ein dreitausendseitiges Kompendium über Ochimaphilie, dem Kfz Fetisch, dass aber durch den etwas farblosen Titel „Straßenverkehr“ keinen Verleger fand.

Seine Frau bekam doch noch ihre Kosmetikartikel, fand sich jedoch umgehend in der Schuldenfalle wieder und heiratete letztendlich den Gerichtsvollzieher.

Jan-Friedrich konnte einen erfolgreichen Werbefeldzug für Mentholzigaretten ersinnen, machte Millionen, verlor aber alles, als ein italienischer Kindermastbetrieb ihn, wegen des leichtfertigen Entwertens seiner Eier in der Kampagne, verklagte.

Ende? Scheint so.

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Tag der Veröffentlichung: 11.09.2013

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