Ich starb an einem Montagmorgen im April. Diesen gravierenden Rückschritt meiner makellosen Befindlichkeit hatte ich massivem Humorverlust, zwölf Zentimetern Solinger Stahl und meiner Lebensgefährtin zu verdanken. Da Letztgenannterer das Wort Lebensgefahr innewohnt, hätte ich eigentlich frühzeitig gewarnt sein sollen, doch dass sie ihren Humor eher verliert, als ich mein Leben, darauf war ich nicht vorbereitet. Schon in den Blütejahren unserer Beziehung habe ich immer auf die Frage, ob ich sie ihres Intellektes oder des Sexappeals wegen liebe, ehrlich geantwortet, dass es eigentlich ihr Humor ist, den ich mag.
Nur an diesem schicksalhaften Morgen traf ich am Frühstückstisch eben nicht auf diese putzige Einfalt, sondern besagten Stahl, der zu einem Brotmesser gehörte und das spontane Ende eines kleinen Dialoges markierte.
Offenbar durch die Sterbeanzeigen auf der Rückseite des Sportteiles meines Presseparavans animiert, fragte mich mein Herzblatt zwei Minuten zuvor, was ich täte, wenn sie stürbe. Wahrheitsgemäß antwortete ich ihr, dass ich sehr traurig und niedergeschlagen wäre. Auch die Frage nach einer nochmaligen Heirat, bejahte ich aufrichtig, natürlich mit dem Hinweis auf eine weitläufige Kondolenzzeit. Beischlaf in der neuen Lebensallianz schloss ich ebenso wenig aus, wie die damit einhergehende Entweihung unseres gemeinsamen Ehebettes. Jedoch war hier der Zeitpunkt erreicht, an dem ich dieser kleinen Unterhaltung fatalerweise nicht mehr den nötigen Ernst beimaß, denn auf die bangende Frage meiner Paranoiaperle, ob ich denn dieser Person dann auch ihre exorbitante Schuhkollektion zur Verfügung stellen würde, meinte ich nur trocken, dass die Neue zwei Nummern kleiner trägt.
Wie einst Moses das rote Meer, zerteilte ein flink geführtes Schmiermittel das papiergewordene Traumtor Lewandowskis, um meinen unrasierten Hals außerordentlich harsch zu streifen, was die Öffnung einer scheinbar recht lebenswichtigen Hauptader zur Folge hatte.
Mordlust konnte ich dem verschreckten Blinzeln zwischen HSV Keeper und BVB Sturmspitze nicht entnehmen, doch kaum mehr als ein „Ups“ war ihm auch nicht eigen. Dass dies nun ausgerechnet das Letzte war, was ich aus der mir bekannten, physischen Welt mit auf die Reise nahm, erwies sich nicht wirklich als erbauliche Augenweide. Als glühender Freigeist war ich natürlich nicht auf eine wahrhaftige Exkursion ins Reich der Entleibten vorbereitet, sonst hätte ich vor meinem Ableben nochmal zum Pin Up Girl auf Seite Eins geblättert. So marterte mich während meines Übertrittes in die Ewigkeit eben jener letzte Blick, als wäre Bambi versehentlich Klopfer auf die Blume gelatscht.
Doch die Impressionen meiner Ankunft im Jenseits ließen mich diese Schmach schnell vergessen. Azurblaues Meer, schneeweißer Strand, Palmen. Kurz, die real gewordene Definiton der irdischen Vorstellung des Paradieses breitete sich vor mir aus. Das überraschende Manifestieren eines hochgewachsenen, breitschultrigen Testosteronathleten im nachtschwarzen Smoking unterstrich meine keimende These eines außerweltlichen Auffanglagers für wortwörtlich gestrandete Seelen, was meine atheistischen Grundfeste zwar erschütterte, sich aber im Nachhinein als erträglicherer Irrtum herausstellte, als beispielsweise die Inquisition.
Fingerschnippend kredenzte mir der Conciergehüne meinen Favorite Drink „White Russian“, stellte sich als Geschäftsführer dieses Purgatoriums vor und bot mir eine Führung an. Auf meine heidnischen Wurzeln und seine minimal diabolische Aura verweisend, blieb die, an ihn gerichtete Vermutung, dass ich dann wohl nicht im Himmel gelandet sei, bekräftigend unbeantwortet.
Während der Besichtigung zahlreicher Wonnereservate fiel mir aber doch eine Irritation in diesem Gemälde purer Glückseeligkeit ins Auge. Völlig deplatziert überragte die Idylle bedrohlich eine rußstarrende Festung, aus der periodisch Schreie, Folterlärm und Flammen drangen. Mir wurde erklärt, dass hier unten kein Wunsch unerfüllt bleibt und die Christen hätten das wohl gerne genau so.
Noch etwas zweifelnd durfte ich dem Empfang eines lasterhaften Erzbischofes beiwohnen. Nachdem ihm der künftige Hort seiner Qualen präsentiert wurde, war dieser sichtlich erfreut, sah er dort doch eine wohlgeformte Schönheit, die gerade dabei war, Alpharivale Voltaire nach allen Regeln französischer Liebeskunst zu verwöhnen. Als dann jedoch der Liebesdienerin offeriert wurde, dass mit dem Überhirten ihre Ablösung angetreten ist, bereute er sicher augenblicklich jede, zu Lebzeiten begangene Sünde.
Da ich das Bild, das ich nun leider im Kopf hatte, nicht bestätigt wissen wollte, machte ich rasch kehrt Richtung Strand, jedoch nicht ohne mir vorher einen weiteren „White Russian“, nur diesmal im Maßkrug, heraufbeschwören zu lassen. Somit bestens gerüstet, wie auch gelaunt, ließ ich mich in eine der freien Strandliegen sinken. Freie Strandliegen. Hätte ich es nicht besser gewusst, wähnte ich mich spätestens zu diesem Zeitpunkt im Himmel. Exakt auch zum selben Zeitpunkt fiel mir ein gelockter, bärtiger Beatnik in Sandalen und Tunika auf, der direkt neben mir versonnen an einem Mineralwasser nuckelte. Aus irgendeinem Grund erinnerte er mich an feiertagsbedingte Alibikirchgänge. Mein eigenes Sinnieren blieb nicht unbemerkt, denn er wandte sich zu mir und meinte, dass ich ihn sicher eher so kenne, wobei er das Gesicht zu einer leidvollen Miene verzog. Dass er mich nun wiederum an meinen alten Religionslehrer erinnerte, behielt ich lieber für mich.
Er beichtete mir, dass sein Alter oben nicht für die zwei, drei Mitbewohner kocht, weswegen er gelegentlich hier runter kommt, um sein Abendmahl an dem erlesenen, veganen Büfett einzunehmen. Und zudem sei Luzi ein hervorragender Golfpartner. Luzi?! Wenn ich das doch nur meinem Religionslehrer noch unter die Nase hätte reiben können. Als ich den Sonderling nach seiner Meinung zur Folterburg der Christen fragte, war er völlig perplex, dass seine Clique von damals immer noch existiert. Die Familie hätte sich aus deren Angelegenheiten herausgehalten, nachdem sich abzeichnete, dass in diesen Kreisen sowieso jeder macht, was er will.
Apropos machen, was man will. Falls du das hier liest, mein Meuchelmäuschen, ich kann dir nicht genug danken, mich so frühzeitig über den Jordan geschickt zu haben. Eine derartige Komfortdichte hätte mir mein irdisches Dasein sicher nie bieten können. TV ohne Werbeunterbrechung. Lasagne auf Paarhuferbasis. Südseeklima ohne Partyplagen. Sogar Internet, das hier unten seinen Ursprung fand, da man sich Ende der Achtziger auf Grund von Entspannungspolitik, Wiedervereinigung und Abrüstung Sorgen um die Sündenpopulation machte. Jedenfalls kannst du meinem künftigen Lückenfüller gerne meine Golfausrüstung überlassen, ich habe hier würdigen Ersatz gefunden.
So leerte ich mein Maß und sah glückselig dem netten, jungen Mann hinterher, der vor einem malerischen Sonnenuntergang über das Meer lief, um seine Schläger für eine Partie Crossgolf, im doppelten Sinne, zu holen.
Tag der Veröffentlichung: 28.06.2013
Alle Rechte vorbehalten