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Es ist der 1. August 1966, ein sonnengeküsster Sommermorgen. Im Haus duftet es verführerisch nach Frühstück und frischem Kaffee. Meine Tochter ist schon früh auf den Beinen und überrascht mich mit Rührei und Speck.  Auf die Frage, wie ich zu dieser Ehre komme, berichtet sie mir ganz aufgeregt von diesem einen Jungen an der Universität. Ein ruhiger, gut aussehender Student, einige Semester über ihr. Hatte bei der Marineinfantrie gedient und studiert jetzt Architektur. Immer korrekt gekleidet, höflich, wortkarg. Nicht wie die anderen Idioten, die ihr ständig hinterher pfeiffen. Irgendwie fand sie ihn immer sehr interessant und es blieb auch kein Lächeln unbeantwortet. Nur den ersten Schritt, den hatte er zu machen. Und letzte Woche hat er sie dann tatsächlich angesprochen und sich für heute mit ihr verabredet. Ein besonderer Tag, wie Charly wohl zu ihr meinte.

Meine Tochter tänzelt durch das Haus, wie ein Schmetterling auf der Balz. Charly. Hat der Kerl tatsächlich ein solches Maß an Euphorie verdient? Die unbändige Hingabe der Jugend ist mir längst abhanden gekommen. Das lindert den Schmerz.  Stolz präsentiert mir mein Pfauenauge ihre neueste Errungenschaft für dieses erste Date. Einen roten Seidenschal. Sie windet sich ihn spielerisch lasziv um ihren zarten Hals, lässt ihre Locken tanzen und dreht Pirouetten, wobei der Schal ihren schlanken Körper wie einen Kokon umschließt. Wie wunderschön sie ist. Ganz wie ihre Mutter. Gott hab sie selig.

Ich bestehe darauf, sie heute zur Universität begleiten zu dürfen. Einfach nur, um ein wenig mehr Zeit mit ihr verbringen und natürlich einen Blick auf denjenigen werfen zu können, der das Leben meiner Tochter grundlegend ändern könnte. Und damit auch meines. Ein Gedanke, der mich mit Angst erfüllt. Schon einmal konnte ich einen geliebten Menschen nicht in meinem Leben halten. Aber ich werde nicht ewig meine Hände schützend über sie halten können. Schon bald wird mein kleiner Schmetterling davonflattern.

Wir laufen durch den Park des Campus und ich genieße es, an ihrer Seite zu sein. Noch bin ich der eine Mann in ihrem Leben und würde meines sofort geben, um ihres zu wahren. Unter einem altem Ahornbaum bleibt sie unvermittelt stehen und fragt, ob es okay für mich ist. Meine Sorgen habe ich, so gut es geht, zu verstecken versucht, aber sie liest in mir, gleich ihrer Mutter, wie in einem offenen Buch.

Mir fällt keine passende Antwort ein. Ich nehme vorsichtig ihr zartes Porzellangesicht, dass mich erwartungsvoll anstrahlt, in meine schwieligen Arbeiterpranken, hauche einen Kuss auf ihre Stirn und nicke nur. Sie flüstert mir zu, dass sie mich liebt. Ich lächle und nicke erneut. Dann fragt sie mich, ob ich ihr einen Hund kaufe, damit ich nicht so alleine wäre. Ich lache schallend und gestehe, dass ich ihr im Moment sogar einen ganzen Zoo kaufen würde. Sie gibt mir einen Kuss auf fünf Tage alte Stoppeln und wir ziehen weiter.

Glücklich sehe ich ihr zu, wie sie mir leidenschaftlich gestikulierend von großen Plänen, Reisen, Hochzeit und Kindern erzählt, während wir aus dem Park treten. Mitten im Satz verstummt sie plötzlich und ein rotes Schemen weht von ihr weg. Ihr Schal, denke ich, der neue, rote Seidenschal.  Ich laufe, um ihn zu fangen, aber sehe ihn nicht mehr. Eigentlich war ich der Meinung, dass einer der Bäume ihn aufgehalten hat, doch alles, was die Bäume halten, ist eine zähe, dunkle Masse, die langsam auf der Rinde herunter perlt.

Irritiert eile ich zurück und trete dabei in etwas Rotes. Es ist der Schal, der neben ihrem zerbrochenem Porzellangesicht liegt, dessen Augen langsam den Glanz verlieren, während das Gras die Farbe des Schales annimmt.

Es ist der 1. August 1966 und der Architekturstudent Charles Whitman beginnt mit einem Scharfschützengewehr vom Turm der Universität in Austin/Texas aus, Menschen zu erschießen.

In Gedenken an einen Tag, an dem über 80 Menschen schwer verletzt wurden oder starben.

Ein Tag, der ganz normal begann.

Ein Tag im Sommer.

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Tag der Veröffentlichung: 02.02.2013

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