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Müde. Ich bin so unendlich müde. Kämpfe pausenlos mit dem Wegdriften, dem Ausblenden, Verblassen. Auf Arbeit, Unterwegs, zu Hause. Nur Schlafen kann ich nicht. Es ist Folter, Fluch, Sühne. Nur für was? Ich bin gut zu meiner Frau, zu meinem Kind, zu meinem Hund. Freunde habe ich nicht. Ich rede nicht viel. Auf Arbeit nicht, Unterwegs nicht, zu Hause nicht. Aber es war gut so. Ich war gut so. 

Das sonore Brummen des Motors zieht mir die Lider hinunter. Sekunden gebe ich mich dem seeligen Dunkel hin, bis mir der Verstand die Augen auf und den Wagen wieder in die Fahrbahnmitte reißt. Fest fixiere ich zwei rote Punkte, die vor mir in die Nacht tanzen. Die Augenhöhlen, in denen sie glühen, versuche ich auszublenden, auch das bleckende Grinsen darunter. Als die Fratze näher zu kommen scheint, löst der Schreck meinen Fuß vom Gas und ich lasse alle Fenster surrend nach unten. Eisiger Nordwind peitscht kleine Kristalle durch den Wagen. Das hilft mir, mich auf die Rücklichter meines Vordermannes zu konzentrieren.

Holzkreuze fliegen an mir vorbei. Kerzen. Blumen. Stofftiere. Ich erinnere mich an den furchtbaren Unfall vor einer Woche. Der Fahrer war eingeschlafen. Er und sein Sohn waren sofort tot. Für einen Moment bin ich hellwach.

Mein unbekannter Führer hält immer noch seine Laternen in die Dunkelheit. Das Ortseingangsschild schält sich aus der Finsternis. Jetzt ist es nicht mehr weit. Die alte Transitstrecke bis zu dem verwitterten Wartehäuschen, das schon dreimal gebrannt hatte. Ein Wunder, das jedesmal die alte Eiche direkt daneben verschont wurde. Die Kreuzung ist zwar unübersichtlich, aber um diese Zeit ist in dieser Gegend niemand mehr unterwegs. Ausser ich. Und er.

Die Kurve nehme ich in Schrittgeschwindigkeit. Das Schlackepflaster ist zu dieser Jahreszeit die blanke Schmierseife. Gerade möchte ich mich bei meinem nächtlichen Begleiter lichthupend bedanken, als auch er in die Allee zu unserer, zu meiner, Reihenhaussiedlung biegt. Wen er wohl besucht?

Als ich die ersten Häuser passiere, drossel ich wieder die Geschwindigkeit. Wie auch der Wagen vor mir. Aus irgendeinem Grund möchte ich nicht, dass der Fahrer mich sieht, wenn ich aussteige. Ich nehme mir vor, zum Hintereingang unseres Hauses zu fahren. Etwas eng für den 6er, aber es wird schon gehen. Was kümmert mich der Lack, ich will nur noch ins Bett.

Ich verliere meinen Vordermann erfreulicherweise aus den Augen, biege in die Schlippe und da ist er wieder. In meinem Weg zu meinem Hintereingang. Niemand sonst wohnt hier hinten.

Ich bremse und er biegt unbeirrt in unseren Hof. Ich steige aus und laufe die wenigen Meter bis zur Einfahrt. Ausser seinem Wagen niemand zu sehen. Er muss also schon im Haus sein.

Meine Frau hat mir nichts von Besuch erzählt. Vielleicht ein Vertreter? Aber sie würde keinen von denen so schnell in unserer Haus bitten. Nicht einmal unser Hund hat angeschlagen. Auf der Treppe finde ich mal wieder meine Schlüssel nicht. Als ich klingeln will, öffnet sich die Tür einen Spalt.

Langsam drücke ich sie auf und sehe meinen Sohn auf dem Flur. Ich will ihn fragen, warum er um diese Zeit noch wach ist, aber er hält einen Finger vor den Mund. Vielleicht hat der Fremde meine Frau in seiner Gewalt?! Ich zeige meinem Sohn mit dem Finger auf meinem Mund, dass ich still sein werde und schiebe langsam die Wohnzimmertür auf.

Dort sitzt meine Frau wie selbstverständlich neben dem schwarz gekleideten Fremden und blättert schweigend in einer Art Katalog. Für Särge.

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Tag der Veröffentlichung: 24.01.2013

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