Der Prinz
Als die Fahrstuhltür zur Seite glitt, traf mich die subtropische Hitze unvorbereitet. Beinahe so unvorbereitet, wie der herzförmige Pfeil, der mir entgegen geflogen kam und dessen Spitze die Größe eines kleinen Nagels hatte.
Wahrscheinlich würde ein Treffer kaum mehr als ein Pieksen verursachen … zumindest, wenn ich ein Mensch wäre. War ich aber nicht. Mich konnte so etwas zu Froschfrikasse verwandeln.
Ich hopste zur Seite und entkam dem Liebespfeil im letzten Moment, nur um beinahe in den Zwischenraum zwischen Fahrstuhl und Büro zu fallen. Wieder so eine ätzende Todesfalle, mit der sich normale Lebewesen nicht beschäftigen mussten.
Ich sah wie der Schütze, ein kleiner, fliegender Engel mit Windeln und entzückenden goldblonden Locken erneut anlegte und auf mich zielte. Zu meinem Glück achtete die verrückte Putte (das ist die Fachbezeichnung für kleine, fliegende Engel mit Windeln und entzückenden goldblonden Locken) dabei nicht auf seine Umgebung und landete an einem Fliegenfänger an dem schon drei seiner Artgenossen klebten, strampelten und zeterten. Ihre hellen, vollkommen unmusikalischen Stimmchen klangen wie ein verzerrtes Glockenspiel – oder wie Heino auf Crack. Kein Vergleich zu mir oder meinen privaten Chor.
„Entschuldigung!“
Eine freundliche, ältere Dame mit langen, weißen Haaren, strahlte mich über den Empfangstresen hinweg an. Ihr Lächeln hatten denselben Effekt auf mich wie Sonne auf Schnee. Ich schmolz geradezu und meine kurze Wut ob der Ungerechtigkeit des Schicksals verpuffte. Einfach so.
„Die lästigen, kleinen Eroten werden wir einfach nicht los.“
„Ahhhhh!“, machte ich. Die Geschöpfe des Eros. Schlecht erzogen und halfen nur ihm. Behauptete er zumindest. Der Rest der Welt nicht. „Hab von ihnen gehört.“
„Und hören tun die kein bisschen!“
Die Frau schüttelte ihre beeindruckende Mähne und das Funkeln in dem Weiß machte mir klar, dass hier eine Winterholle (Ja, genau. Wie in „Frau Holle“) kurz davor war, den Babyengeln Frostbeulen zu verpassen. Leider war ich eine Amphibie und fand Kälte mindestens genauso blöd wie Babyengel. Dachte ich zumindest, bis sich der schießwütige Erot von dem klebrigen Fliegenfänger losriss – meine Zunge verselbstständigte sich wie von selbst. Gott sei Dank erwischte sie nur die (hier noch einmal einen besonderen Dank an Gott!) leere Windel.
Einen Moment lang hing der kleine Erot in der Luft, dann fiel er zu Boden, weil er damit beschäftigt war, seine Blöße zu bedecken. Schamrot und mit um sich geschlungenen Flügeln hastete er zwischen zwei Blumentöpfe.
„Woah...“, machte die Winterfee und so etwas wie Respekt schlich sich in ihre Mine. „Eine verdammt gute Idee. Ich bin mir sicher, Lilly wird begeistert sein. Wenn Sie mir folgen!“
Die Chefin selbst? Wow, was für eine Ehre!
Ich hüpfte der Fee hinterher und in das Büro. Erst auf dem Gästestuhl angelangt stutzte ich. Und gleich noch einmal. Lilly Valentina war entzückend. Selbst der etwas entgeisterte Gesichtsausdruck, mit dem sie mich musterte, war süß. Wenn ich nicht bereits verliebt wäre, würde ich mich sofort in sie verlieben.
„Schön, dass sie die Matching-Myth für ihre Liebesvermittlung in Betracht ziehen. Verraten Sie mir Ihren Namen und Ihr Anliegen?!“ Nach einem minimalen Zögern fügte sie „Ihre Hoheit“ hinzu.
„Genau das ist das größte Problem“, seufzte ich und ignorierte das faszinierende Wechseln der Fotos in dem Bilderrahmen auf Lilly Valentinas Schreibtisch. Der Rahmen war wirklich hübsch. „Eben bin ich ein glücklicher Prinz. Ein Mann, dann plötzlich nur noch ein Frosch mit einer Krone.“
„Und welcher Prinz waren Sie vorher?“
Sie fragte, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dass ein Froschprinz in ihre Vermittlungsagentur gehüpft kam. War es vielleicht auch. Liebesvermitteln musste ein ziemlich aufregender und cooler Job sein. Mein Blick wanderte zu dem Bilderrahmen, wurde aber von dem silber-glänzenden Rahmen abgelenkt und sofort verzauberte mich mein Anblick. Erneut.
Ich war wirklich ein Hübscher. Selbst als Frosch. Ich plusterte meine Brust auf und reckte mein Kopf noch ein wenig höher, damit die Krone gut zur Geltung kam. Ja, wirklich gut aussehend.
Lilly räusperte sich.
Ich quakte empört. Manche Leute hatten wirklich kein Auge für Schönheit – oder Zeit. Wieder wechselte das Foto in dem Rahmen. Irritierend.
„Ich erinnere mich nicht mehr“, antwortete ich trotzdem
„Und alle anderen?“
„Welche anderen?“
„Familie, Freunde, Hofstaat, Medien … alle anderen Wesen eben.“
„Nein, niemand erinnert sich. Ich mich auch nicht.“
„Und die Welt im Großen und Ganzen?“
„Ich bin komplett aus allem getilgt worden.“
„Google? Facebook? Das Internet vergisst nicht.“
„Mich schon.“
Trotz meine Worte griff die Chefin der Matching-Myth zu ihrer Tastatur und machte den Bildschirm des Computers an. „Alter? Aussehen? Geografische Ansiedlung? Irgendwelche Erinnerungsfetzen?“
Ich dachte noch über die vier Fragen nach, als ein leises, wohlklingendes „Ping“ ertönte und sich ein rosa Funkeln aus dem Monitor auf Lilly ergoss.
„Ein Zauber“, quakte ich entsetzt.
„Scheiße“, kommentierte sie, allerdings wütend und kein bisschen entsetzt. Dann erst bemerkte sie meine Panik und schüttelte den Kopf als Antwort auf meine Behauptung. Es beruhigte mich kein bisschen, ich sprang ging hinter dem Bilderrahmen in Deckung.
„Dies ist ihre ...“, ein infernales „Piep“ unterbrach die freundliche Frauenstimme, „... 104 ...“, wieder ein „Piep“, „... Erinnerung an ihren Wunsch. Bitte setzten Sie sich mit Ihrer ... PIEP … guten Fee … PIEP … Sabine in Verbindung.“
„Ist nur Spam“, murmelte Lilly und der Unterton in ihren Worten machte mir beinahe mehr Angst, als Zauber und Gute-Fee geschafft hatten.
„Also, zurück zu Ihrem Anliegen … so wie ich es sehe, kann nur das helfen, was in jedem guten Märchen hilft.“
„Ich bin nichts Besonderes?“ Ich brauche eine andere Vermittlungsagentur. Jetzt.
„Doch, selbstverständlich!“ Lilly lächelte und ich vergaß meinen Gedanken. Natürlich war ich etwas Besonders. Ich war hübsch. Schon immer gewesen und ein Traumprinz. Ein Traum-Froschprinz.
„Sie sind so besonders, dass nur eines Sie erlösen kann: „der wahren Liebe erster Kuss“ .“
„Hatte ich schon.“
„Dann war es nicht die wahre Liebe.“
„Doch, schauen Sie!“ Ich deutete auf den Bilderrahmen. „Ist der eigentlich magisch?“
„Magischer Bilderrahmen? Quatsch – digital!“
„Dicke da?“ Diese Welt mit all ihren merkwürdigen und doch faszinierenden Apparaturen verwirrte mich zuneh- mend. Mein Blick klebte an jedem Bild. Plötzlich erstarrte ich. „Da! Da!“ hörte ich mich aufgeregt quaken und schlug meine Zunge immer wieder auf den Bilderrahmen „Das Bild ebend! Zurück! Stop! Nochmal!“ Lilly nestelte aufgeregt an allen Knöpfchen und Schaltern rum, bis das Bild komplett schwarz wurde. Ich war mir sicher, daß sie von dem Ding genauso wenig verstand, wie auch ich. Sicher ein Kunden- geschenk.
„Verd …“ fluchte Lilly recht barsch, was so gar nicht zu ihrem zarten Wesen passen wollte „Verzeihung wollte ich sagen. Ich hab’s gleich.“ Ihre nervöse Mine und das recht unbeholfene Schütteln und Klopfen des Rahmens ließ mich ahnen, daß das „gleich“ durchaus meine Lebensspanne übersteigen könnte.
„Lassen sie uns einfach weitermachen, als wären die letzten fünf Minuten nie passiert.“ erlöste ich sie.
„Das …“ Lilly warf den Rahmen schnell in eine Schublade, die sie geräuschvoll zuschob „… ist eine sehr gute Idee.“
„Dann wäre es hilfreich, wenn s i e jetzt zur Abwechslung mal eine gute Idee hätten.“ meinte ich trocken. Ich begann zu bezweifeln, daß diese Agentur einem Prinzen, wie mir, gerecht werden könnte.
„Kein Problem.“ Lilly bemühte sich redlich selbstbewusst zu klingen „Vielleicht können Eure Hoheit sich entsinnen, was sie auf dem magischen Schirm erblicket hat.“ Na bitte, man besann sich auf die Anwesenheit blauen Blutes.
„Ich weiß nicht. Es war …“ grübelte ich.
„Ja?“ Lillys Augen strahlten heller.
„Es waaar …“
„Jaaa?!“ Sie beugte sich leicht über den Schreibtisch und ihre Augen wurden noch größer.
„…ein …ein …“ Ich bemühte mich wirklich.
„Ja?! Ja?!“ sie schien nur noch aus Augen zu bestehen.
„ …ich weiß es nicht mehr.“ Wie ein Soufflé an kalter Luft sackte Lilly in ihrem Sessel zusammen, doch sie bewahrte die Fassung. „Gut, gut.“ nuschelte sie, scheinbar sicher, daß ich sie nicht hören kann „Eine exzentrische Amphibie unbekannter Herkunft. Ich habe schon hoffnungslosere Fälle vermittelt.“ Ich tat weiterhin so, als könnte ich sie nicht verstehen und leckte mir die Augäpfel. Ich leckte mir die Augäpfel?! Faszinierend. Ekelhaft, aber faszinierend. Apropos faszinierend. Lilly war schon ein beeindruckendes Persönchen. Zart wie eine Sommerbrise und doch stark wie ein Orkan. Sie würde sich an der Seite eines zukünftigen Königs wirklich gut machen.
„Lilly, ich denke, sie haben vorerst alle nötigen Infor- mationen. Ich melde mich. Es ist Zeit für einen kleinen Fliegensnack.“ Fliegen?! Ekelhaft. Kein bißchen faszi- nierend, aber ekelhaft.
Lilly verabschiedete mich flüchtig, aber höflich und hing mit ihrem Blick schon am Computermonitor. So bemerke sie nicht, daß ich den Raum nicht verließ, sondern es mir direkt in ihrer Handtasche bequem machte. Vielleicht kann ich sie ja nach Feierabend bei ihr zu Hause von meinen Qualitäten überzeugen. Ein offizielles Date hätte sie ob meiner momentanen Daseinsform sicher abgelehnt. Oh Mann, ich muss unbedingt an meinem Selbstbewusstsein arbeiten.
Lilly
Ein Schrei riss mich aus einem süßem Traum. Ich starrte in zwei riesige Augen, die ich heute schonmal gesehen hatte. „Was machst Du in meiner Tasche?!“ schrie Lilly empört. „Was fällt Dir ein mich zu duzen?!!“ schrie ich empört.
„Na hör mal, um ein Haar hätte ich Dich im Klo runter- gespült, wenn ich nicht im letzten Moment die Krone gesehen hätte.“ Okay, ich verstand ja Lillys Aufregung. Auch wenn Frauenhandtaschen ein Universum an Schnickschnack, Klimbim und Firlefanz boten, einen Frosch hatte sicher noch niemand darin gefunden. Ich machte einen eleganten Satz auf das Waschbecken und sah mich kurz um. Nur um sicher zu gehen, daß wir bei Lilly zu Hause waren und aus ein wenig Neugier. Reiner Neugier.
„Also gut.“ unterbrach ich das unangenehme Schweigen. „Bleiben wir beim Du. Das wäre dem Anliegen, daß ich habe, auch nur förderlich.“ Lilly sah mich wieder mit diesen großen, zugegebenermaßen wunderschönen, Augen an. „Vielleicht zeigst Du mir das Wohnzimmer?“ fragte ich sie so charmant ich konnte und legte den Schlafzimmerblick auf, den ich als Mensch fabelhaft beherrscht hatte. „Schatz.“
„Bitte?!!“ Lillys entsetzter Blick war beleidigend.
„In einem Satz. Ins Wohnzimmer.“ Scheinbar war sie noch nicht bereit für Sodomie.
„Vielleicht könnten wir gemeinsam dinieren.“ versuchte ich die Situation etwas zu entspannen. Lilly verzog ihr hübsches Gesicht „Bäh. Ich hasse Nieren. Bei mir gibt’s nur vegetarisch.“ Langsam kamen mir Zweifel, ob Lilly die richtige Partie für mich ist, sofern sie überhaupt interes- siert war.
Im Wohnzimmer angekommen, fiel mein Blick sofort auf eine Wand voller Papierbilder. „Was ist das?“ fragte ich die Hausherrin. „Fotos.“ antwortete Lilly. „Die Dinger aus dem Zauberrahmen in meinem Büro, nur halt …ähm, analog, nicht digital.“ Bevor ich weiterfragen konnte, pflückte meine Zunge selbständig eines der Fotos von der Wand.
„Würmest mu mir helwen.“ bat ich Lilly und sie zog mir das Foto vom Maul. „Langsam habe ich Angst vor meiner Zunge. Windeln, Fotos. Was kommt als Nächstes? Fliegen?“ Nach dem vergeblichen Bemühen, eine Gänsehaut zu bekommen, sah ich auf das Foto in Lillys Hand.
„Das ist es!“ rief ich. „Was ist was?“ fragte Lilly verwirrt. „Das Bild! Das Bild aus dem Digiding in Deinem Büro!“ Lilly sah auf das Bild.
„Wer ist das?“ fragte ich aufgeregt. „Vor allem, wer ist sie?“
„Also gut, der Reihe nach. Der Typ rechts ist Jens, ein Faun, der für mich arbeitet. Guter Junge, heißt natürlich nicht wirklich Jens, aber sein richtiger Name war mir einfach zu kompliziert. Die in der Mitte ist … war seine Freundin. Eleonore. Sie ist im Moment mit dem Fräulein ganz links zusammen. Nereide, eine Undine. Das Foto entstand, als Jens noch glaubte, daß Eleonore sich einfach mal am anderen Ufer austoben wollte, aus Neugier halt. Er versteht sich aber immer noch sehr gut mit ihr und die zwei würden es schon gerne wieder miteinander versuchen. Das Dumme ist nur, daß Wassergeister wie Nereide, Untreue mit dem Tod bestrafen. Und das wäre nun wirklich schlecht für’s Geschäft, wenn Du weißt, was ich meine.“ Lilly schnippte mir in die Seite, als sie bemerkte, daß sie wohl nicht meine volle Aufmersamkeit genoß. Wie auch, hing mein Blick doch an dem wundervollem Geschöpf neben Eli und dem Ziegentypen. Zauberhafte, unendlich tiefblaue Augen, das Näschen nur angedeutet über einem unglaublichem Mund mit vollen Lippen, die danach schrien geküsst zu werden. Ihre blaßblaue Haut schimmerte wie ein klarer Winterhimmel in der Sonne. Das grasgrüne, seidene Haar schlang sich anmutig um ihren kurvigen Körper und bedeckte ein wenig ihre zarten Schwimm- häutchenfüße. Sie war fast nackt, nur die pikantesten Regionen wurden von einigen feinen, silbernen Schüp- pchen bedeckt. „Ich. Muss. Sie. Haben.“ befahl ich paralysiert Lilly, die sich gerade bemühte, meinen Sabber von ihrem Sofa zu schrubben.
„Hm?“ überlegte Lilly laut „Die Aussicht auf einen echten Prinzen, zudem noch einem, der durchaus mit ihrem Element harmoniert, könnte Nereide vielleicht tatsächlich davon abhalten, eine Kundin ins Jenseits zu befördern. Unser Ruf wäre gerettet, Jens wieder glücklich und ich hätte Dich tatsächlich vermittelt.“ rief sie entzückt. „Weißt Du was? Wir machen es.“ Ich traute meinen Höröffnungen nicht „Ehrlich? Gleich hier?“ Dem Charme eines Prinzen kann man halt schwerlich wiederstehen. „Du alter Lustmolch. Ich stelle Dich Nereide vor und nichts anderes. Gleich morgen. Du kannst meinetwegen über Nacht bleiben.“
„Natürlich.“ säuselte ich „Ich werde auch ganz brav sein.“ zwinkerte ich Lilly zu. Das Zungenschnalzen hätte ich mir sparen sollen, die Nacht in der Badewanne war grauenhaft und zudem eines Prinzen unwürdig.
Nereide
Am nächsten Morgen fuhr Lilly mit mir zu einem Haus am See. Wie romantisch. Dort angekommen, sprang ich mit großen Sätzen sofort Richtung Eingangstür, als Lilly mich packte und meinen Eifer etwas zu zügeln versuchte. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, daß eine Undine in so einer Hütte haust?“ Kaum ausgesprochen, öffnete sich die Tür und das Mädel vom Foto trat heraus.
„Eleonore. Wie geht es Dir?“ begrüßte Lilly das etwas betrübt drein schauende Liebchen der Undine. „Naja, es ist, wie es ist. Du weißt ja. Was hast Du denn da?“ sie deutete auf Lillys Handflächen, in denen ich hockte und ein wenig mit meinen Schallblasen rumposte. Lilly wollte sich scheinbar nicht mit langen Erklärungen abmühen „Den Froschkönig.“ Eleonore glaubte kurz, daß Lilly sie hoch- nehmen wollte, zog dann aber die Schultern nach oben und winkte ab „Ich vergaß, in welcher Branche Du tätig bist.“
„Ein gutes Stichwort.“ meinte Lilly „Weißt Du zufällig, wo Nereide im Moment ist?“
„Sie dreht ihre Morgenrunde, aber ich kann sie rufen.“
„Wenn Du so lieb wärst.“ Lilly hatte ein gutes Gefühl bei der Sache. „Und Du …“ zischte sie mich an „ …wirfst alles in die Waagschale, hörst Du. Sei charmant, sei betörend, sei ein Prinz.“ Zwischen ihren Handflächen tropfte es nach unten „Ist es das, was ich glaube?“ fragte sie bangend. „Tut mir leid.“ Ich bedauerte dies wirklich „Aber ich bin so aufgeregt.“
Lilly wollte mich gerade in den See pfeffern, als die Ruhe von einem dumpfen Ton unterbrochen wurde. Eleonore stand mit einem altertümlichen Muschelhorn am Seeufer und blies kräftig mehrmals hinein. Sie wandte sich kurz zu uns „Bei ihrer Morgenrunde hat sie immer das Handy aus.“ grinste sie. Da begann sich auch schon in Ufernähe auf der Höhe von Eleonore das Wasser leicht zu kräuseln und leuchtendes Grün schimmerte auf der Oberfläche. Aus diesem Smaragdteppich erhob sich völlig lautlos das wundervollste Lebewesen dieses Planeten. Das Foto hatte nicht ansatzweise die Schönheit wiedergespiegelt, die mir gerade den Atem lähmte. Und obwohl Lilly und Eleonore mit diesem Anblick durchaus vertraut waren, starrten auch sie bewegungsunfähig auf Nereide.
„Du hast nach mir gerufen, liebste Eleonore.“ Ihre Stimme war ein schwereloses Hauchen, was der Wind jederzeit davonzuwehen drohte.
„Wir haben Besuch.“ Eleonore deutete auf uns. „Lilly kennst Du ja bereits. Ich glaube, sie möchte Dir jemanden vorstellen.“
Nereide kam langsam auf uns zu und machte dabei so winzige, grazile Schritte, daß sie zu schweben schien. „Mach jetzt bloß nichts falsch.“ bauchredete Lilly zu mir ohne die Lippen zu bewegen. „Wenn sie Dich mag, küsst sie Dich. Wenn nicht, dann …“ Lilly stockte, da Nereide langsam in Hörweite war. „Dann? Dann? Was dann?“ dachte ich zitternd.
„Wunderschöne Nereide.“ begrüßte Lilly die Undine „Es ist wie immer eine grenzenlose Freude in Deiner Nähe weilen zu dürfen.“ Ich hingegen brachte nicht einen Ton hervor, da Nereide mich schon ab der Hälfte des Weges neugierig musterte. Sie beugte sich nach vorn, legte den Kopf etwas schräg und betrachtete mich eindringlich mit ihren unglaublichen Augen. Ich war wie hypnotisiert und verlor mich in dem tiefen Azurblau. Ohne auf Lillys Anrede zu reagieren oder selber etwas zu sagen, schob sie ihre Hände unter mich und hob mich hoch. Lilly nahm darauf die Hände nach hinten, kreuzte die Finger und dachte nur unentwegt „Bitte nicht fressen. Bitte nicht fressen.“
Ich war jetzt ganz nah an Nereides sündigen, vollen Lippen und ihr vollkommen ausgeliefert. Sie kam noch näher, berührte mich fast mit ihrem Mund, als sie ihn leicht öffnete. Ich schloß die Augen. Ein glockenheller Ton streifte kaum hörbar meine feuchte Haut „Willkommen, mein Prinz.“ Ich war einer Ohnmacht nahe. Wußte sie wer ich war? Hatte sie mich etwa erwartet? Sie legte eine Hand über mich und ich ließ es einfach geschehen. So ging sie ohne ein Wort zu verlieren oder sich noch einmal umzuschauen mit mir in den See. Die Zeit verlor sich in einem Strudel aus Glückseeligkeit und schien still zu stehen. Zu Hause, dachte ich nur, ich bin zu Hause. Nereide, liebste Nereide.
Im Büro
Ein Klopfen unterbrach Lilly bei dem hilflosen Versuch, den digitalen Bilderrahmen wieder flott zu bekommen. „Bitte.“ Die Tür öffnete sich langsam, fast feierlich und Jens betrat das Büro. „Ähm… „ begann er zögerlich „ich soll Dir das hier von Eleonore geben.“ Er hielt Lilly ein liebevoll verpacktes Geschenk hin.
„Sag ihr vielen Dank und leg es doch bitte hier auf meinen Tisch.“ meinte Lilly fast beiläufig und sah wieder auf den Digitalschrott vor sich. Vorsichtig legte Jens das Paket vor Lilly ab und begann nervös von einem Huf auf den anderen zu treten. Lilly kannte das schon „Bitte, du ruinierst mir das Parkett. Was hast Du denn noch auf dem Herzen?“
„Ich wollte Dir einfach nur danken. Es läuft prima mit Eleonore. Sie hat mir alles erzählt.“ Etwas hilflos versuchte er Lilly über den Tisch hinweg zu umarmen „Du bist einfach die Größte.“
„Ja, ja, schon okay. Eigentlich habe ich ja nur meinen Job gemacht.“
„Und?“ strahlte Jens.
„Was und?“
„Willst Du es nicht öffnen?“ wollte er aufgeregt wissen. Oh, natürlich wollte sie das. Schon seit er damit unter dem Arm hereinspaziert ist. Wenn Lilly etwas liebt, dann Geschenke. Gleich nach ihrem Job natürlich.
„Och naja, pfff.“ versuchte sie ihre Aufregung zu über- spielen. „Wenn ich die Zeit finde, okay? Danke nochmal.“ lächelte sie zuckersüß.
„Verstehe, als Chefin hast Du natürlich alle Hände voll zu tun.“ Jens ahnte schon, woher der Wind weht. Keine Schwäche zeigen. Lilly, die Powerfrau. „Alles klar, Boss. Hab auch noch eine Menge Vermittlungskram zu erledigen.“
Kaum hatte Jens die Tür hinter sich geschlossen, flog Geschenkpapier in Fetzen durch das Büro. Sekunden später hielt Lilly einen Bilderrahmen in der Hand. Einen echten. Mit einem echten Foto. Darauf war Nereide zu sehen. In den Armen eines wunderschönen, blond gelockten Mannes, an dessen Halskette ein goldener Anhänger in der Sonne glänzte. Eine kleine Krone.
„Der wahren Liebe erster Kuss.“ lächelte Lilly zufrieden.
„Es gibt ihn also tatsächlich.“
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 14.09.2012
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