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Lautlos, dunkel, kalt schob sich die „Elysium“ durch das schwarze Nichts. Seit 312 Jahren und 53 Tagen war sie nun schon zum Rand des Universums unterwegs. Als im Jahr 2665 skandinavische Wissenschaftler einen theoretischen Impulsantrieb entwickelten, mit dem man auf Lichtwellen entfernter Sonnen nahezu ohne Energieverlust und mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit reisen konnte, fragte man sich schnell, was genau man auf solch einer Reise zu finden hoffte und ob dies den Aufwand lohnte. Der Bau des gigantischen Schiffes, dass ein technisch notwendiges Ausmass von fast 700 Kilometer Länge erreichen würde, hätte Kosten in Höhe der gesamten Staatshaushalte der führenden Industrienationen verschlungen. Zudem war das Problem, dass der Antrieb nur ein einziges Mal mit hohem Energieaufwand gestartet werden konnte. Ein Zwischenhalt bei einer der anvisierten Sonnen, um nach bewohnten Planten zu forschen, war also nicht möglich. Eine Mission ohne Wiederkehr, ohne Ziel, ohne Zuversicht. Nur Glaube und Hoffnung könnte solch einem Himmels- fahrtkommando einen tieferen Sinn verleihen. Das rief eine Institution auf den Plan, die in dieser Mission eine Antwort auf Fragen sah, die sie schon seit knapp drei- tausend Jahren zu beantworten suchte. Und die zudem über die notwendigen finanziellen Mittel verfügte. So entstand in über zwanzig Jahren Bauzeit das Hightech- mekka der gesamten gläubigen Weltbevölkerung, die „Elysium“. Um dem monströsem Projekt, dass nicht nur Anhänger fand, wegweisende Tiefe zu verleihen, vereinte man im Losverfahren angehörige Wissenschaftler, Ärzte, Mechaniker und Familien aller Religionen der Welt als Besatzung. Da über neun Zehntel der „Elysium“ für Antrieb und Technik genutzt wurden, blieb für die über 2700 Christen, Juden, Muslime, Hindus, Buddhisten, Sikhs, Shiiten, Gnostiker, Shamanen, Heiden und anderen Gläubigen ein relativ begrenztes Refugium, was ein rücksichtsvolles Miteinander vorraussetzte. Da die „Elysium“ eine theoretische Reisedauer von über ein- tausend Jahren erreichen konnte, musste die Besatzung über viele Generationen miteinander leben und überleben. Man verzichtete vollends auf Cryosphären, mit denen menschliche Organismen Zeiträume von fast 500 Jahren unbeschadet schlafend überdauern konnten. Es sollte Leben an den Rand des Universums gesendet werden, keine Tiefkühlware.
Der Start verlief problemlos, versetzte aber die Erde in eine zweijährige Energiekrise, da sämtliche Ressourcen gebündelt den, in der Stratosphäre installierten Start- generator für drei Stunden mit konstanten 2,4 Petawatt versorgen mussten. Davon bekam allerdings die Besatzung der „Elysium“ nichts mehr mit, da sie sich schon im ersten Startfenster der Sonne Proxima Centauri mit fast dreifacher Lichtgeschwindigkeit von der Erde entfernte und der Funkkontakt schon nach wenigen Minuten abbrach. Die an Bord befindlichen Wissenschaftler waren begeistert ob dieses grandiosen Erfolges. Euphorisch stellten sie wenig später fest, dass sich die Geschwindigkeit zudem noch konstant erhöhte.
Nach einem Jahr Flugzeit konnten man berechnen, dass sie sich bereits über zweitausend Lichtjahre von der Erde entfernt hatten. Die enormen Kräfte wirkten sich keines- wegs negativ auf Mensch und Material aus, sondern die „Elysium“ konnte durch ihre Masse und die enorme Beschleunigung in einer Art Strömungsfeld sogar Kollisionen mit feststofflichen Himmelskörpern schadlos überstehen. Nach drei Jahren schaute man nur noch sporadisch auf Instrumente, die längst nicht mehr in der Lage waren, korrekte Messdaten abzuliefern. Der Bord- computer setzte die Zielmarken zu immer entfernteren Sonnen automatisch und es gab eigentlich nichts zu tun ausser zu leben, zu glauben, zu hoffen. Als die "Elysium" nach sechs Jahren den Rand unserer Galaxie passierte, verschlief dies ein Großteil der Besatzung und ein einsames „Austritt Milchstrasse in T-5..4..“ hallte durch den verwaisten Kontrollraum.
Nachdem das letzte Mitglied der Urbesatzung nach 68 Jahren verstorben und von der an Bord geborenen Generation im Energiebeschleuniger verdampft wurde, hatte die „Elysium“ bereits alle bekannten Galaxien und Sternennebel hinter sich gelassen und fand kaum noch Sonnen, an die sich der Energiestrahl heften konnte. Die Besatzung war auf cirka 530 mehr oder minder gut ausgebildete Mitglieder geschrumpft und man sah wenig Sinn darin, die nachfolgenden Generationen auch nur in den elementarsten Dingen zu unterrichten. Energie und Verpflegung war nahezu unbegrenzt verfügbar und so erzählte man sich zwischen Gelagen und Spielen von einem fast vergessenem Planeten und seinen Einwohnern, der Erde. Ungelesen verstaubten Bibel, Koran, Kabbala, Edda und andere Leitfäden vergessener Religionen unter einer Staubschicht in trostlosen, verlassenen Bibliotheken. Auch die elektronischen Abbilder des menschlichen Wissens blieben ungelesen, da die meisten es unnütz fanden, sich zu bilden oder schlicht und ergreifend nicht einmal mehr lesen konnten. Sie hielten mit überlieferten Gebeten, deren Inhalt nur noch wenige verstanden, die Hoffnung am Leben und richteten ihre Blicke in die unendliche Schwärze vor ihnen. Sie sahen Abbilder toter Götter im leeren Raum, halluzinierten, resignierten. Im Jahr 303 nach Abflug kam einem Mann unter ihnen die Idee, doch zur Sonne ihres Heimatplaneten zurück zu navigieren. Gemeinsam suchten sie das Schiff nach einem Kontroll- raum ab, denn kaum einer war in den letzten Jahren über die Schwellen der Schlaf- und Versorgungsräume gekommen. Bis jetzt hatte auch niemand hinterfragt, wer das Schiff eigentlich steuert. Nach einer eifrigen Suche, an der sich alle Besatzungsmitglieder enthusiastisch be- teiligten, standen sie vor der letzten elektronisch ver- riegelten Tür. Nach einigen groben Schlägen auf das Kontrollpanel öffnete sie sich einen Spalt und konnte aufgehebelt werden. Verzweifelt sah der Mann mit seinen Jüngern auf all die Anzeigen, Skalen, Monitore, Hebel und Schalter und ihm wurde schmerzlich bewusst, was sie in den letzten Jahrzehnten versäumt hatten. Durch die riesige Mineralscheibe der Brücke schien sie die unendliche Schwärze vor ihnen, in der weit entfernt ein weißer Zwerg glimmte, zu verschlingen. In der kurzen Zeit, in der der Gruppe klar wurde, dass es, selbst wenn sie die Steuer- konsole bedienen könnten, unmöglich war zurück zu kehren, hatten sie den sterbenden Stern erreicht und in Millisekunden passiert. Der Raum war plötzlich in war- nendes Rotlicht gehüllt.
„Koordinaten unvollständig Zielerfassung negativ“ hallte es monoton. Ehe jemand realisieren konnte, was gemeint sein könnte, begannen die Systeme selbständig herunter- zufahren und abzuschalten. Nach nur wenigen Minuten war die Brücke lediglich durch einige blinkende Dioden, sowie die Notbeleuchtung erhellt. Sie waren am Ziel. Der Rand des Universums. Durch die Trägheit des 8 Giga- tonnen schweren Schiffes würde sich die „Elysium“ noch einige Lichtjahre durch den luftleeren Raum bewegen und irgendwann nur noch in die Unendlichkeit treiben.
Jahr 312 Tag 52 nach Abflug. Die Besatzung hatte sich durch tragische Ereignisse, von denen Krankheit und Suizid noch die harmlosesten waren, auf 37 Personen reduziert. Alle Systeme waren außer Kraft, die Bord- temperatur betrug im Kern nur noch 3 Grad, die Außen- bereiche waren bereits tiefgefroren. Der Sauerstoff ging langsam zur Neige. Männer, Frauen und Kinder hatten sich um ein Feuer, dass sie in einer ausgedienten Speise- therme entfachen konnten, versammelt und kauten schweigend auf Analogriegeln, Synthetikbrot und Trockenfleisch.
„Was sollen wir tun ?“ fragte ein kleines Mädchen.
„Wir könnten auf Hilfe warten.“ meinte ein graugesichtiger Mann trocken.
„Wer soll uns denn helfen ?“ wunderte sich die Kleine.
„Wir sollten beten.“ erwiderte einer der Alten.
„Beten ?“ fragte das Mädchen wieder.
„Wenn wir in den ewigen Schlaf fallen, gehen wir über in eine bessere, schönere Welt, in der wir der Sonne nicht hinterher jagen, sondern sie uns wärmt und Leben spendet.“ sagte der Alte.
„Und wer hat diese Welt erschaffen ?“ wollte das Mädchen wissen.
„Unsere Ahnen auf der Erde waren sich darüber nie einig. Aber es ist der Glaube an diese Welt, nicht das Wissen darüber, der uns über alle Grenzen hinweg begleitet.“
„Sogar bis hierher ?“
„Aber ja. Das hier ist nicht das Ende.“ lächelte der alte Mann und strich dem Mädchen über den Kopf.
„Glauben macht das Leben endlos wie das Universum ?“ fragte das Mädchen und schloß die Augen.
„Ja.“ antwortete der Alte immer flacher atmend. „Endlos wie das Universum…“

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Tag der Veröffentlichung: 20.08.2012

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