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Die Nacht senkt sich auf die Stadt. Ich liege wach in meinem kleinen Appartment. Hände und Gelenke schmerzen. Der Bonus für die Arbeit als Tagelöhner. Aber nur so komme ich meinem Ziel näher. Ich greife unter das Bett und hole die kleine Schachtel hervor. Ich setze mich auf, öffne den Deckel und entnehme vorsichtig den Inhalt. Nicht, dass er zerbrechlich oder gefährlich ist. Es hat nur soviel Schweiß und Entbehrungen gekostet, meinem Traum so nahe zu kommen. Dem Traum vom Aussteigen, alles hinter sich zu lassen. Weg von hier. Weg von miesen Jobs. Weg von heruntergekommenen Absteigen. Ich halte ein Bündel dreckiger, knittriger Scheine in meiner Hand. Fünfer, Zehner, Zwanziger. Relativ viel, aber immer noch nicht genug. Ich verstaue das Bündel wieder in der Schachtel und schiebe sie unter die Pritsche. Eine Fliege ist mein einziger Begleiter durch eine weitere, traumlose Nacht.

Am nächsten Morgen bin ich zwar pünktlich in der Jobbörse, aber die guten Jobs sind mal wieder schon vergeben. Vetternwirtschaft. Reinigungsarbeiten am Bahnhof. Super. Spritzen, Kotze, Hundescheiße. Am Abend kann ich das Fertiggericht einfach nicht bei mir behalten. Aber es gab wenigstens Gefahrenzuschlag, der Spritzen wegen. Das Bündel wächst.

Brücken anstreichen. Schweinehälften stapeln. Toiletten schrubben. Die miesen Jobs ziehen sich wie ein roter Faden durch mein Dasein. Bis zu diesem Abend. Ich ziehe mal wieder die Schachtel hervor, zähle den Inhalt, zähle nochmals, breite die Scheine sorgfältig sortiert auf dem Tisch vor mir aus. Ich muss ganz sicher sein. Und nach mehreren Durchläufen ist es sicher. Ich bin am Ziel, das Geld würde reichen. Nicht noch für ein Festmahl nebst erlesenem Wein, dass ich mir heute gerne gegönnt hätte, aber es reicht für meinen Ausstieg. Zutiefst glücklich falle ich, die Schachtel fest umschlossen, in einen tiefen, von süssen Träumen umrahmten Schlaf.

Den nächsten Morgen gehe ich ruhig an. Mit den Resten aus meinem provisorischem Kühlschrank bereite ich mir ein ausgiebiges Frühstück und mache mich mit der Schachtel unter dem Arm auf den Weg. Fröhlich grüße ich alle Passanten, von denen einige erfreut erwidern, andere nur den Kopf schütteln. Schon bald habe ich den Inhalt meiner kleinen Schachtel gegen das Aussteigerpaket mit allen Drum und Dran getauscht und bin auf dem Weg nach Hause. Ein letztes Mal die knarrende Treppe nach oben, vorbei an neugierigen Nachbarn. Ein letztes Mal die wurmstichige Tür zu meinem kleinen Kämmerchen aufsperren.

Ich setze mich auf die Pritsche und betrachte nun ausgiebig den Inhalt der Schachtel auf meinem Schoß, meinem Ticket weg von hier. Schluss mit Aushilfsjobs und Mikrowellenfrass. Ja, ich habe es geschafft. Ich erinnere mich an das kupferne Kribbeln auf der Zunge, wenn ich als Kind an einer Batterie geleckt habe. Der Stahl schmeckt genauso. Den Schuss höre ich nicht mehr.

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Tag der Veröffentlichung: 16.01.2012

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