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Die Brücke über den Scharzen Fluss

Wenn man den dichten Wald hinter sich gebracht hat, tut sich der Blick auf den Fluß auf, der träge dahin fließt und besonders nachts immer unheimlich wirkt. Auch bei Tage ist er dunkelgrün, fast schwarz, weil sich an einer Seite hohe Tannen bis an das Ufer drängen und an der anderen Seite eine Felswand aus dem Wasser aufsteigt, die das Tageslicht weitgehend abhält. Alle nannten ihn den „schwarzen Fluß“
Rechts, wo die Felswand ein wenig zurücktritt, steht ein altes unbewohntes Fachwerk-Gebäude aus dem 19.Jhdt.

Zu diesem Haus führt eine alte Brücke, teilweise überdacht. Teilweise deshalb, weil diese Überdachung große Löcher aufweist und bisher von niemandem repariert wurde.
Eltern warnten ihre Kinder die Brücke zu betreten, sie sei baufällig und außerdem spuke es im alten Fachwerkhaus. In mondlosen Nächten seien Lichter im Haus zu sehen und die Fensterläden seien einmal offen und ein andermal wieder zu.
Das war natürlich eine der Gründe, warum es als Mutprobe galt, über die Brücke auf die andere Seit zu laufen und von drüben herüber zu winken und ebenso schnell wieder zurückzulaufen. Die Brücke ächzte und stöhnte unter jedem Schritt und das entlockte den Kindern immer wieder kleine Schreckensschreie. Doch mit der Zeit verloren die Menschen das Interesse an der Brücke und dem alten Haus. Die wenigen Kinder, die noch im Ort wohnten hatten ganz andere Interessen.

Doch nun seit einigen Tagen hallen laute Hammergeräusche durch den Wald und neue Bretter wurden geliefert, die Brücke wird repariert. Schlagartig traten die Brücke und das alte Haus wieder im Mittelpunkt des Interesses.
Man hörte, daß sich ein neuer Eigentümer gefunden hätte. Ein Mann aus England, der das alte Gemäuer am anderen Flußufer und die Brücke gekauft hätte.
Niemand kannte diesen Mann, doch erschien er manchmal abends, bevor die Arbeiter nach Hause gingen, mit einer schwarzen Kutsche und einem Pferd davor gespannt und blickte gebannt auf die Brücke. Ohne etwas zu sagen fuhr er wieder davon. Er hatte im Zentrum des kleinen Ortes im einzigen Gasthof Quartier bezogen. Er war ein sehr ruhiger Gast, der tagsüber das Zimmer nicht verließ und nur eben abends mit dem Pferdegespann des Wirtes zur Brücke fuhr, um den Fortgang der Arbeiten zu überwachen. Anschließend verschwand er wieder im ersten Stock des Gasthofes.

Natürlich erweckte er die Neugier der Menschen. Gleichzeitig jedoch wahrten sie Distanz zu ihm. Seine hohe dunkle, elegant wirkende Gestalt mit dem schwarzen Hut und dem weiten Mantel flößte ihnen so etwas wie ängstlichen Respekt ein.
Nach ungefähr zwei Wochen waren die Arbeiten abgeschlossen und er bezog das alte Haus am anderen Ufer des Flusses. Er trug seine beiden Koffer und eine große schwarze Truhe selbst aus dem Haus und lud alles hinten auf, setzte sich auf den Kutschbock, fuhr durch den Wald und über die Brücke zum Haus. Die Pferdehufe hallten durch Wald
In dieser Nacht gab es ein schreckliches Unwetter, es donnerte und blitzte gewaltig und der Regen ergoß sich über den kleinen Ort, niemand traute sich aus dem Haus. Alle Fensterläden waren geschlossen und die Dorfstraße wurde zu einem reißenden Bach.
Und doch glaubten die Dorfbewohner einige Pferdekutschen draußen vorbei fahren zu hören, in das Donnergrollen mischten sich die Geräusche von Pferdehufen auf der Holzbrücke. Es war wie eine wilde Jagd, die Pferde wieherten und es war auch Hundegebell dazwischen zu hören.

Am nächsten Morgen, es war ein Sonntag, stellten man fest, das Unwetter hatte besonders am Friedhof einigen Schaden angerichtet. Neben der Friedhofsmauer waren einige frische Grabhügel weggeschwemmt, die Särge wurden scheinbar von den Fluten davon getragen und weiter unten wiedergefunden. Doch die Leichname waren verschwunden und konnten trotz Suchens nicht wiedergefunden werden.
Nach der Sonntagsmesse sah man die Leute tuschelnd am Kirchplatz nebeneinander stehen und als der Pfarrer zu nahe herankam, verstummten sie oder wechselten das Thema. Die Stimmung war allgemein gedrückt.

Als die Nacht hereinbrach waren wieder Pferdehufe von der Brücke hörbar und einige beherzte Männer aus dem Dorf machten sich auf den Weg durch den Wald um sich Klarheit darüber zu beschaffen, was dies alles zu bedeuten hatte.
Vor der Brücke blieben sie stehen und blickten auf die andere Seite hinüber. Das Haus war beleuchtet, es standen auch drei Pferdekutschen davor, doch es war niemand zu sehen.
Aus der Ferne hörte man die Geräusche des Waldes, ein Käuzchen ließ seinen Ruf erschallen und irgendwo heulte ein Wolf. Um die Höhlen des aufsteigenden Felsens flogen Fledermäuse unruhig hin und her und es kam wieder Wind auf.
Das sie nun aber einmal da waren, entschlossen sie sich, zu dem Haus hinüber zu gehen. Sie gingen über die Brücke, an den Pferdefuhrwerken vorbei und standen vor der Eingangstüre, die nur angelehnt war.
Es schien als wären sie erwartet worden, denn die Türe wurde plötzlich weit geöffnet und sie konnten eintreten.
Der Tisch in der Mitte des Raumes war mit einem dunkelroten Tischtuch bedeckt, es standen Gläser mit Rotwein auf dem Tisch und die Gesellschaft unterhielt sich angeregt. Es handelte sich um drei Männern und zwei Frauen. Sie waren alle mit dunklen Anzügen und blütenweißen Hemden bekleidet, nur die beiden Damen hatten unter ihrem schwarzen Umhang weiße lange Kleider mit üppigen Rüschen am Oberteil.
Die Beleuchtung bestand aus sehr vielen brennenden Kerzen, die in Leuchtern am Tisch standen, jedoch auch am Boden, willkürlich angeordnet. Das flackernde Licht warf bewegliche Schatten an die Wände.
Die kleine Gruppe der Dorfbewohner wurde herbei gewinkt und sie mußten auf den leer stehenden Sesseln Platz nehmen. Es wurde ihnen ebenfalls Rotwein eingeschenkt

Der Abend entwickelte sich sehr angenehm und unter kultivierter Unterhaltung, dauernd wechselten die Sitzpartner und langsam verschwamm Wirklichkeit und Halbtraum. Sie wurden von den, scheinbar schwebenden Körpern der weiblichen Teilnehmer abwechselnd gestreift, diese flüsterten und raunten ihnen Dinge ins Ohr, die sie teilweise nicht verstanden oder glaubten nicht richtig zu verstanden zu haben. Ihre Fantasien spielten ihnen süße schmerzhafte Vereinigungen mit körperlosen Wesen vor, sie spürten den heißen Atem und dann wieder den Todeshauch auf ihrer Haut. Sie fühlten sich in einem Moment körperlos und energielos im anderen Moment voll Energie und Bewegung. Die Luft war geladen mit Düften und Aromen, sie glaubten leise, tragende Musik zu hören, dann wieder hereinbrechende Melodien, wie die Urgewalten des Universums. Ihr Gehör war geschärft und imstande die leisesten Schwingungen und Wellen im Raum wahrzunehmen.
Der Raum war erfüllt von Farben und silbernen Schleiern und sie glaubten sich manchmal emporgehoben und gewichtslos, aller Kraft und Energie beraubt.

Als sie am Morgen erwachten, lagerten sie am anderen Ende der Brücke, sehr verschlafen und ein wenig benommen. Sie richteten sich auf und versuchten, sich zu orientieren, sich zurecht zu finden in der Realität, denn die vergangene Nacht erschien ihnen wie ein Traum.
Das Haus gegenüber sah aus wie immer, dunkel geheimnisvoll. Die Fuhrwerke vor dem Hause waren verschwunden, alle Fensterläden geschlossen.

Sie gingen in das Dorf zurück doch an diesem Tag erzählten sie niemand von der vergangenen Nacht, ja sie wußten selbst nicht, was sie eigentlich erzählen sollten.
Doch in den darauffolgenden Nächten kamen sie immer wieder zu der Brücke und überquerten sie und tauchten ein in die Welt der Finsternis, die gar nicht so finster war. Sie erlebten die körperlose Existenz in ihrem Halbbewußtsein und wurden immer mehr gefangen von dem sie erfassenden Gefühl von Unsterblichkeit und Macht. In ihrem Halbwachen sahen sie sogar die vertrauten Gesichter und Gestalten der erst kürzlich Verstorbenen und wunderten sich seltsamer Weise nicht darüber.

Allmählich wurden alle Bewohner des Dorfes in diesen Bann gezogen, es wurden nur die lebenswichtigsten Dinge erledigt und alles Leben verlegte sich in die Nachmittags- und Abendstunden.
Reisende blieben fast keine mehr stehen, alle Menschen fuhren durch den Ort ohne anzuhalten. Wenn doch einmal jemand anhielt, dann wurde er in den Bann der nächtlichen Ereignisse gezogen und manche blieben sogar für immer.
Der Pfarrer der kleinen Gemeinde verschwand eines Tages ebenfalls und keiner konnte sagen, ob er ging oder ob er nur von niemand mehr wahrgenommen wird.

Langsam sprach es sich in der Umgebung herum, daß der Ort ein Geheimnis hätte und man mied ihn, ja man vergaß sogar, wo genau dieser Ort eigentlich ist.

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Tag der Veröffentlichung: 21.03.2012

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