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Wer kennt nicht diese Tage, an denen man ungefrühstückt zur Arbeit stürzt ? Diese Tage an denen man den Wecker ignoriert hat, sich seinen Träumen hingegeben hat und in äußerster Anspannung von Pflichtbewusstsein und Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber unter die Dusche springt und dann sofort ins Büro stürzt ? Natürlich bleibt an solchen Tagen eine Handlung aus, das Frühstück. Selbstverständlich schmiert man sich auch keine Butterbrote, obwohl man es sich schon tausendmal vorgenommen hat, sich eigene Stullen zuzubereiten. Aber egal, morgen ist auch noch ein Tag, heute geht es wieder zur Bahnhofsbäckerei !

Mit knurrendem Magen steige ich in die U-Bahn in Richtung der City. Eingedrängt in die Massen der Werktätigen auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz erlebe ich wie jeden Morgen warum der Transport in der U-Bahn offiziell „Personennahverkehr“ heißt. Ohne besondere Vorkommnisse erreicht mein Zug die Umsteigestation. Routinert warte ich ab, bis der größte Teil der aus dem Zug gequollenen Menschenmasse von der Rolltreppe abgeleitet worden ist, sodann betrete ich auch die Rolltreppe und steuere meine Lieblingsbahnhofsbäckerei an.

Ohne großes Nachdenken reihe ich mich in die Schlange der Wartenden ein. Im Gegensatz zu mir ist das Personal dort hellwach. Vor mir heute zum Glück nur drei Leute. Gerade verlässt ein junger Student mit seinem Kaffee die Reihe. Ein Rentner kommt dran. „Prima...“ denke ich, „...nur noch der große Typ hinter dem Rentner, dann der Anzugträger, dann noch die kleine Rentnerin vor mir und dann bin ich dran, sollte zu schaffen sein in den vier Minuten, bis meine Bahn in Richtung Arbeitsstelle kommt“.

Routinemäßig, freundlich und schnell werden die Kunden abgearbeitet: „Guten Morgen, was kann ich für Sie tun ?“, „Ein Kaffee bitte und ein Salamibrötchen !“ und neuerdings auch „Soll ich Platz für Milch lassen ?“. Dann Becher unter die Kaffeemaschine, Brötchen in die Tüte, Geld über den Tresen, aus der Kasse das Wechselgeld. Erfahrungsgemäß wird diese Routine in der Regel nur durch irgendwelche Kreditkartenfetischisten gestört, die ihr Frühstück mittels Kreditkarte bezahlen wollen. Aber auch dieses Problem hat sich in letzter Zeit erledigt, da nun ein großes Schild aufgestellt worden ist: „Bitte haben sie Verständnis, dass wir Kreditkartenzahlungen erst ab einem Betrag von 10 Euro akzeptieren“.

Ich lasse meine Gedanken schweifen: „Soll ich Platz für Milch lassen ?“. Ich grinse bei dem Gedanken. Irgendwie ist diese Frage niedlich. Man hört sie seit ungefähr zwei Jahren an fast jeder Bäckerei. Einerseits hält sie den Betriebsablauf auf, andererseits ermöglicht sie eine gerechte Behandlung der Schwarzkaffeetrinker, wie ich selber einer bin. Wenn man bedenkt, dass ich Jahre meines Lebens naiverweise den gleichen Preis für meinen Kaffee ohne Milch bezahlt habe und damit indirekt die Milch für die Milchkaffeetrinker quersubventioniert habe, so ist es nun sehr befriedigend zu wissen, dass ich seit nunmehr zwei Jahren etwas mehr Kaffee bekomme. Bevor ich nun diesen Gedankengang dahingehend weiter spinnen kann, dass irgendein Verein der Schwarzkaffeetrinker eine Klage wegen Ungleichbehandlung angedroht hat und deswegen neuerdings nach dem Platz für Milch gefragt wird, wird die morgendliche Routine jäh unterbrochen: „Sie müssen mir anstatt des Käsebrötchens ein gleichwertiges Brötchen anbieten !“.

Mein Blick fällt auf den Rentner der eben an die Reihe gekommen ist. Bei dem Käsebrötchen handelt es sich um ein absolutes Schnäppchen, es wird zum Kampfpreis von nur einem Euro angeboten. Nur im Moment scheinen Käsebrötchen ausverkauft zu sein. Die anderen belegten Brötchen kosten so um die ein Euro und fünfzig Cent. Stand der Rentner eben noch leicht gebückt und unscheinbar in der Schlange, so steht er nun aufrecht, sein Gesichtsausdruck ist festentschlossen. Ihm gegenüber die junge Verkäuferin in ihrem bunten Firmendress. Nach einem kurzen Schreckmoment eröffnet sie im höflich, dass sie ihm „leider“ nur ein Salamibrötchen zum Preis von einem Euro fünfzig anbieten kann. Barsch entgegnet ihr der Rentner, dass sie ein Salamibrötchen zum Preis von einem Euro geben soll, woraufhin sie ihm entgegnet, dass dies nicht möglich sei, sie dürfe es „leider“ nicht. Dies beeindruckt den Rentner wenig. Er beharrt auf seinen Standpunkt: „Das mit den Käsebrötchen ist ein Lockvogelangebot, diese sind verboten, sie müssen immer genug Käsebrötchen da haben, also entweder machen Sie mir ein Käsebrötchen oder geben mir ein anderes zum Preis von einem Euro“. Seine Pose wird dramatisch. Wie ein Staatsanwalt in einem amerikanischen Gerichtsfilm baut er sich auf und zeigt mit der Spitze seines Regenschirmes auf das Preisschild vor dem leergeräumten Käsebrötchenblech und liest laut und äußerst betont vor: „Käsebrötchen ein Euro“. „Hören Sie, ich darf ihnen kein Salamibrötchen für einen Euro verkaufen, ich habe strickte Anweisung keine Rabatte zu gewähren“. „Ich will keine Rabatte, ich habe Anspruch wegen eines Lockvogelangebotes, außerdem können sie mir ja ein Käsebrötchen schmieren“, sagt der Rentner. „Nein, ich kann kein Brötchen schmieren, weil wir unsere Produkte fertig bekommen, die nächste Lieferung kommt in zehn Minuten“. „Meinen Sie, dass ich zehn Minuten warte?“.

Inzwischen fängt die Kollegin der Verkäuferin an hektisch zu telefonieren. Nach kurzer Zeit wendet sie sich an den Rentner: „Hören Sie ! In unserer Filiale auf Gleis 12 sind noch Käsebrötchen da, ich kann Ihnen eines reservieren lassen“. „Das ist ja wohl die Höhe !“ fährt der Rentner sie barsch an: „Meinen Sie etwa, dass ich von Pontius zu Pilatus laufe oder zehn Minuten warte ?“.

Die anderen Leute in der Reihe werden langsam ungeduldig. Der Mann im Anzug guckt auf die Uhr, ich gucke auf die Anzeigetafel, die mir gnadenlos mitteilt, dass meine Bahn in nunmehr zwei Minuten kommen soll. Der Mann im Monteursanzug mischt sich ein: „He Mädel nun lass mal den alten Mann da, ein Brötchen bitte !“. Sofort wendet sich der Rentner an ihn und holt zu einem langen Referat aus: „Wissen Sie, die Käsebrötchen werden künstlich knapp gehalten, damit die Leute dann ein teures Brötchen kaufen, wenn Sie wüßten...“, jäh unterbricht ihn der Mann im Monteursanzug: “Von mir aus verklagen sie die Bäckerei, aber ich will jetzt mein Brötchen, ich muss zur Arbeit und nun lassen sie die Verkäuferin arbeiten !“.

Ich merke auch wie ich langsam ungeduldig werde. Der Mann im Anzug mischt sich nun auch ein: „Entschuldigen Sie aber ich habe einen dringenden Termin und möchte vorher gerne noch ein Brötchen kaufen. Bitte klären Sie die Angelegenheit doch später“. „Hören Sie hier sind Leute, die es eilig haben“ fährt der Mann im Monteursanzug den Rentner an und macht einen Schritt auf den Rentner zu, wieder beginnt er sein Referat: „Nun verstehen Sie doch mal meinen Standpunkt...“, diesmal wird sein Referat durch eine Ansage unterbrochen: „Die Züge der S2 verspäten sich aufgrund einer Signalstörung um mindestens zehn Minuten“. Die Lage entspannt sich, da ja jetzt nur warten hilft. Die Rentnerin vor mir fragt vorsichtig: „Darf ich Ihnen ein Brötchen kaufen ?“. „Selbstverständlich NEIN !“ antwortet ihr der Rentner barsch und dann etwas freundlicher: „Trotzdem Danke, aber ich will nur mein Recht“. Innerlich grinse ich mir einen, ich denke an Brecht: „Erst kommt das Fressen und dann die Moral“, zumindest auch bei mir in diesem Moment. Mein Magen knurrt und begehrt das Salamibrötchen. „Nun hören Sie doch mit dieser Prinzipienreiterei auf“ mischt sich der Mann im Buisnessanzug ein, wir alle wollen nur in Ruhe ein Brötchen kaufen“. „Ja, weil alle immer nur an ihr Brötchen denken macht der Laden hier mit seinen Methoden ein riesen Geschäft“. „Ach Mensch, hör mal, das ist Marktwirtschaft, wenn was billig ist, ist es schnell weg,....ist halt so“ mischt sich der Mann im Monteursanzug erneut ein: „...und nun geh endlich zur Seite“.

Nun ist es offenbar auch der recht geduldigen Verkäuferin zu viel geworden und reicht dem Mann im Monteursanzug sein Brötchen, er bezahlt und geht zur Seite. Wieder setzt der Rentner zu einem Referat an, endlich kann er seinen Rechtsstandpunkt weiter vertiefen, belegen und ausführen, ihn unterbricht keiner mehr, aber ihm hört auch niemand mehr zu.

Also eigentlich fast niemand mehr, bis auf einen Herrn in einer Uniform. Es handelt sich um einen Mitarbeiter der Sicherheitswache mit einem etwas behäbig wirkenden Schäferhund. Langsam nähert er sich dem Rentner und hört ihm einige Zeit zu. Dann spricht er den Rentner an: „Guten Tag, darf ich bitte ihren Fahrausweis sehen?“. Entgeistert sieht ihn der Rentner an: „Ich fahre doch im Moment nicht mit der Bahn“, „Dann bitte Ihre Bahnsteigkarte“ entgegnet ihm der Sicherheitsbeamte. „Wieso bitte eine Bahnsteigkarte ?“, „Weil sie sich im fahrtenkartenpflichten Bereich aufhalten, also haben sie eine Fahrkarte oder eine Bahnsteigkarte ?“. Die Miene des Schäfershundes wird irgendwie dienstlich, offenbar ist der Hund daran gewöhnt, dass wenn Herrchen das Wort „Fahrkarte“ sagt, irgendwie ein Zettel vorgezeigt wird und Herrchen zufrieden ist oder aber, wenn kein Zettel gezeigt wird, Herrchen böse wird, schimpft und murrend lange selber einen Zettel beschreibt und Geld kassiert oder jemanden wegjagt, b.z.w. er bellen soll. Offenbar im vorauseilenden Gehorsam knurrt der Hund so böse wie er kann. Dies bringt den Rentner in Rage: „Bevor sie mir mit irgendwelchen Spitzfindigkeiten – von wegen Fahrkarte und so - kommen, sollten Sie lieber mal ein ernstes Wort mit dem Bäcker dort sprechen, der macht einen riesen Gewinn durch illegale Wettbewerbshandlungen“. Kühl antwortet der Sicherheitsmann: „Ihre Fahrkarte bitte oder ihre Bahnsteigkarte?“. Der Rentner fuchtelt wieder mit seinem Regenschirm, damit ist das Entschließungermessen des Schäferhundes auf Null reduziert, er bellt und zieht an der Leine. „Aus Ottokar !“ befiehlt der Sicherheitsmann. Ottokar ist leise, nur noch ein leises Knurren ist zu hören“. „Also dann bitte ihren Ausweis !“. Widerwillig zückt der Rentner seinen Ausweis: „Hier ! Ich beuge mich der Gewalt, aber das wird ein Nachspiel haben“. Der Sicherheitsbeamte studiert den Ausweis. Nimmt ein Formular und füllt dieses mit einer Engelsgeduld aus. Ottokar knurrt lauter, denn er weiß, dass wenn Herrchen lange schreibt, es hinterher immer Streit gibt.

Von hinten nähert sich ein Mann in der bunten Dienstkleidung der Bahnhofsbäckerei mit einem Tablett frischer Käsebrötchen. Zwischenzeitlich hat der Sicherheitsbeamte auch nun das Formular ausgefüllt, die Durchschrift sorgfältig gefaltet und in seiner Hemdtasche sicher verstaut. Das Original übergibt er dem Rentner. Der Rentner liest schweigend das Formular durch, dann steigt ihm die Zornesröte ins Gesicht: „Wie bitte ? Sie wollen vierzig Euro erhöhtes Beförderungsentgelt ?, ich bin hier nur um Brötchen zu kaufen“. Wütend fuchtelt er mit seinem Regenschirm: „Das ist ja wohl eine Unverschämtheit...“, er fuchelt weiter und bemerkt in seiner Wut den Mann mit den Käsebrötchen nicht, der sich ihm nunmehr auf einen Schritt genähert hat. Wie das Unglück es nun will, stolpert der Mann über den Regenschirm und fällt zu Boden. Der Rentner und die Umstehenden halten einen Moment inne. Der Rentner ist plötzlich still. Die Brötchen rollen über den Bahnsteig. Einige davon in Reichweite von Ottokar. Dieser reagiert am schnellsten und schnappt sich alle Brötchen in Reichweite und verschlingt diese in Rekordgeschwindigkeit. „Pfui Ottokar !!!“ herrscht der Sicherheitsmann den Hund an. „Mach Sitz“!!!, gehorsam macht Ottokar „Sitz“. Inzwischen hat sich der Mann mit den Brötchen aufgerappelt und macht einen Schritt auf den Rentner zu, der immer noch leicht erschrocken herumsteht: „Die Brötchen werden sie bezahlen müssen. Sie haben Glück, dass es nur die Käsebrötchen waren, die kosten nur einen Euro, seien Sie froh, dass ich heute mit den Käsebrötchen angefangen habe, weil so ein komischer Vogel hier so einen Aufstand gemacht hat, sonst bringe ich um diese Zeit immer unsere Salamibrötchen, die kosten einen Euro und fünfzig das Stück“.

In diesem Moment kommt meine Bahn endlich an, ich steige ein. Im Vorbeifahren sehe ich, wie der wild gestikulierende Rentner von drei Sicherheitsleuten abgeführt wird. Ottokar trottet mit Herrchen satt und zufrieden hinterher. „Zumindest für Ottokar fing der Tag gut an“ denke ich.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für Sylvia

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