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Mülheim Kickers

Eine kleine Geschichte über Macht im Viertel - was immer Macht auch sein mag ...


1. Ein Schuss mit Folgen
„Hierher, zu mir“, schrie Yasemin ihrem Bruder Turgut zu, als der gerade von Mark bedrängt wurde. Gesagt, getan. Hinter den Fersen eines jungen Mannes passte er den Fußball mit einem gezielten Schnitt zu Yasemin, die ihn gekonnt annahm und weiter dribbelte. Es war wie immer: Die fünf Freunde liebten es, auf dem großen Wiener Platz zu kicken. Überall liefen Leute herum und es war eine echte Herausforderung, die Bälle um, hinter und über sie hinweg oder durch ihre Beine hindurch zu schießen.
Schon lauerte hinter Yasemin ihre beste Freundin Melanie, die von allen nur Mel genannt werden wollte. Sie mochte ihren „tussigen Mädchennamen“ nicht besonders und fand Mel einfach cooler. Yasemin spürte ihren Atem in ihrem Nacken und schoss einfach drauf los in Richtung „Tor“: Das waren die Apfelkartons vom Supermarkt in der U-Bahnstation.
„Der sieht gut aus....“, schrie Mark aus Yasemins Mannschaft. „Der ist drin!“
Es sah alles danach aus. Die Flugkurve des Balles hatte das Tor fest anvisiert. Dort stand heute Ermal: Er hatte die Arme schon ausgestreckt, als urplötzlich vor ihm eine alte Frau mit einem Einkaufswägelchen auftauchte und in einem Schneckentempo an ihm vorbeiging.
Das Ding würde sie treffen, das war jetzt nicht mehr zu verhindern.
„Ach du … “, dachte Yasemin.
„Allah“, sagte Mel zu sich.
Turgut warnte kreischend: „Vorsicht!“
Aber es war zu spät. Der Ball parallte wuchtig auf den grauen Hut der alten Dame, die sofort zu Boden fiel. Vor Schrecken schrie sie laut um sich.
Der Kioskverkäufer Suska kam schnell angerannt und schrie aufgeregt: „Seid ihr denn des Wahnsinns fette Beute?“ Dann beugte er sich zu der wild fluchenden Omi und half ihr hoch. Auch die fünf Kids wollten ihr behilflich sein, doch Herr Suska scheuchte sie weg. „Zischt ab! Nachher stellt ihr noch was Schlimmeres an.“
In diesem Augenblick entdeckte er die Streifenpolizisten Krause und Johnen an Fritzens Tabakladen vorbeigehen und rief sie zu sich. Währenddessen fluchte die alte Frau weiter. Sie zischte böse Schimpfwörter vor sich hin. Schmipfwörter, die Kinder eigentlich nicht hören sollten... „Lausbuben“, „Asis“ oder „Sauhaufen“ durften sie sich anhören, bevor Kommissar Krause fragte: „Was ist denn hier passiert?“
Die Kinder kamen gar nicht dazu, die Sache selbst zu erklären, denn Herr Suska übernahm sofort das Wort. Dabei redete er viel deutlicher und geschwollener als sonst. Und als ob er eine Rede halten wollte, räusperte er sich zuerst: „Ähem, ähem. Meine Herren, ich habe alles beobachtet. Aber so musste das ja mal kommen. Immer wieder spielen diese Kinder hier auf dem Platz Fußball. Dabei stören sie die Fußgänger und gefährden sie. Ich wusste, dass dabei mal jemand ernst verletzt werden würde...“
„Na ja, so ernst sieht das ja auch nicht aus“, mischte sich Turgut ein. „Und Motzen kann sie doch noch ganz gut und vor allem laut“, sagte seine Schwester.
„Unverschämtheit“, fand diese. „Ich hätte ja sterben können vor Schreck oder mir beim Fall das Genick brechen können.“
„Aber das ist ja Gott sei Dank nicht geschehen“, beruhigte Kommissar Johnen. „Ich mache eine Notiz und gebe es weiter. Die Kinder werden natürlich nicht mehr hier spielen.“
„Stecken Sie die am besten alle ins Heim“, schlug die Frau vor. „Das wären fünf weniger Nichtsnutze, die in dieser Gegend herumrennen.“ Dann verabschiedete sie sich mit den Worten: „Was man mit denen in meiner Jugend gemacht hätte...“.
Auch Herr Suska musste wieder in den Kiosk. Seine Frau hatte schon seit Minuten geschimpft, er solle sofort zurückkehren, sonst sei sie ein für allemal weg.
„Meine Herrschaften“, wandte sich Komissar Krause zu den Kindern. Dabei sah er komischerweise gleichzeitig ernst und grinsend aus. Die Fünf kannten ihn sehr gut und mochten ihn. Genauso wie seinen Kollegen. Aber sie wussten, was sie jetzt erwartete.
„Wie oft habe ich euch gesagt, ihr sollt hier nicht spielen? Oder wenigstens nicht dann, wenn hier so viel los ist..“
Die Kinder schämten sich und schauten auf den Boden.
„Ich hab so lange alle Hühneraugen zugedrückt, bis nichts passiert war, aber jetzt...“
„Jetzt geht es nicht mehr“, fuhr Komissar Johnen fort. „Das können wir nicht mehr dulden, auch wegen Suska. Versteht ihr das?“
Die Kinder nickten.
„Aber wo sollen wir denn hin? Hier hat man so viel Platz zum Kicken wie nirgends sonst“, trauerte Mark.
„Auf den Straßen ist es so eng und da werden wir auch immer weggejagt.“
„Dann geht doch auf den Bolzplatz an den grünen Plattenbauten.“
Natürlich waren die Freunde auf diese Idee auch schon längst gekommen, aber da gab es ein Riesenproblem.
„Da sind doch immer die vom SC Mühlheim 09, Cem und seine Freunde“, erklärte Turgut traurig. „Die Vereinsspieler wollen mit Hobbykickern nichts zu tun haben... Die sind auch viel älter als wir und stärker...“
„Die können euch da nicht einfach wegjagen“, sagte Krause erbost. „Das ist ein öffentlicher Platz. Am besten, wir gehen mal mit euch hin. So geht das ja nicht. Komm, Franz.“
„Echt?“, hakte Yasemin nach. Sie freute sich innerlich. Vielleicht könnten sie mit der Hilfe der Kommissare ja mit den Großen kicken. Das wäre genial. Denn sie wünschte sich schon seit langem, gegen andere und auch gegen ältere Jungs zu spielen. Oder sogar gegen Mädchen. Das wär’ was.

2. Bagcics Angebot
Zuerst mussten Turgut und Yasemin aber noch ihren Eltern Bescheid geben, dass sie weggingen. Die bestanden auf ein regelmäßiges An- und Abmelden. Mutter und Vater Bagcic staunten nicht schlecht, als die Meute um ihre beiden Kinder plötzlich mit zwei Staatsbeamten in ihrem Obst- und Gemüseladen auftauchten. Natürlich kannte man Krause und Johnen auch hier. Die waren schließlich die beiden Polizisten am Wiener Platz, die hier täglich patroullierten und ihre Kollegen benachrichtigten, wenn etwas geschah.
„Was habt ihr ausgefressen?“, wollte die Mama wissen und fragte gleichzeitig: „Auberginen, meine Herren oder Melonen? Heute zwei Kilos zum Preis von vier Pfund...“
Bevor Johnen nachrechnen konnte, hatte er auch schon ein Stück Melone von Turguts Papa in die Hand bekommen, gekostet und es für „Super“ empfunden. Er bestellte: „Ja, zwei Kilo bitte.“
„Die haben wieder Fußball gespielt“, ahnte der Papa und die Polizisten nickten. „Ich sag’ euch immer: Geht hier nicht! Hier viel zu viel los! Aber ihr,..., ihr müsst ja immer nicht hören auf mich. Bin ja nur euer Baba...“
„Ach, Herr Bagcic, so sind Kinder nun mal. Wer nicht hören will, muss halt fühlen. Und jetzt fühlen sie uns, die rechte Hand des Staates...“.
Die Kinder kicherten. Ermal konnte sich nicht verkneifen, zu fragen: „Die rechte? Nur die rechte? Ohne die Linke kommt man aber nicht sehr weit.“
Krause war verunsichert, Johnen lachte mit.
Yasemin klärte die Sache auf. „Die beiden möchten mit uns auf den Bolzplatz gehen und dort den Großen sagen, dass wir mitspielen dürfen...“
„Ja, wenn der Deutsche Staat dabei ist, dann muss das jetzt ja endlich klappen“, hoffte auch die Mutter. „Sie wissen gar nicht, wie oft meine Kinder und ihre Freunde dort verjagt wurden. Als ob das denen nur gehört. Aber machen kann man da auch nichts... Wollen Sie noch ein paar Granatäpfel?“
Johnen floss das Wasser im Mund zusammen antwortete: „Hmmm. Granatäpfel?... Gerne. Packen Sie mir drei ein!“
Sie steckte fünf in die Tüte. „Drei wollte ich.“ – „Ich weiß.. hab’ ich doch gemacht. Bin Türkin, kann nix Deutsch“, grinste sie. „Ich nix verstehen.“
Alle lachten. „Dann geht ab“, sagte der Vater. „Aber zum Ladenschluss um acht seid ihr hier! Ihr müsst anpacken mit und früh ins Bett. Morgen ist Schule!“
„Ja, ja, ja“, stöhnten sie alle. Aber sie freuten sich auf die Abreibung, die Cem und Co. abkriegen würden.
Cem wurde von den Fünf immer nur „Der Kopf“ genannt. Er war der Anführer der Spieler, die den ganzen Tag den Bolzplatz an den grünen Plattenbauten besetzten. Montags stand er immer im Lokalteil der Zeitung, weil er am Wochenende immer so viele Tore in seiner Liga geschossen hatte. Dort war er ungeschlagener Torschützenkönig.


3. Übermächtige Platzhalter
Da stand er schon. Cem mit seinen besten Freunden Kai und Jascha und seinem jüngeren Bruder Adem. Im Augenblick machten sie eine Spielpause, quatschten auf der halb zerfetzten Bank und tranken Limo. Sie schauten nicht schlecht, als ihnen die fünf Kinder samt der Kommissare entgegen kamen.
„Guten Tag beisammen“, grüßte Johnen die Meute.
Jascha zuckte zusammen und zitterte etwas. „... dass mit dem Abziehen von Nico war isch nischt... escht...“.
Die Kommissare schauten sich fragend an und hoben gleichzeitig die Schultern hoch. Sie hatten keine Ahnung, wovon der Junge da sprach. Aber offensichtlich hatte da jemand ein schlechtes Gewissen.
„Wir wissen zwar nicht, was du damit gemeint hast, aber wenn du was ausgefressen haben solltest, wäre es besser, es zu beichten...“
„Aber deswegen sind wir gar nicht hier“, fuhr Krause fort.
Cem machte sich größer und breiter als er ohnehin schon war und fragte: „Was wollen die Zwerge ... äh ... die Kinder vom Wiener Platz hier?“
Krause erklärte: „Uns ist zu Ohren gekommen, dass ihr Jungs aus den Plattenbauten euch ganz schön aufspielt. Ihr lasst die Kleinen hier nicht kicken?“
„Die spiel’n doch immer am Wiener“, mischte sich Adem ein.
„Ja, weil ihr uns hier nicht lasst“, motzte Mel.
„Ach, und da rennt ihr Polizei und petzt?“
„Quatsch“, mischte sich Johnen ein. „Wir haben den Fünfen nur verboten, weiterhin am Platz zu spielen. Das ist zu gefährlich.“
Im gleichen Augenblick bimmelte etwas. Brrrr.... brrr. Es war sein Diensthandy. Hektisch suchte er es in allen Taschen seiner Lederjacke, wobei es in eine fette Pfütze flog. Cem hob es fix auf und reichte es dem Beamten freundlich-grinsend hin.
Während Johnen also irgendetwas Wichtiges zu besprechen hatte, fuhr sein Kollege fort: „Das ist nicht euer Privatplatz! Hier darf jeder spielen, der will. Also, entweder ihr lasst die Kids mitmachen, lasst ihnen Freiraum, den Platz alleine zu nutzen oder WIR jagen euch hier mal weg.“
Das hatte Krause so ernst und finster gesagt, dass alle zusammen gezuckt waren. Alle außer Cem. Natürlich.
Plötzlich kam Johnen zu Krause gelaufen, schnappte ihn am Ärmel und sagte: „Los. Wir müssen zum Mac am Wiener Platz, aber zack zack... da haben zwei Frauen `ne Prügelei angezettelt.“
Bevor sie schnell wegjagten, sagte Krause noch: „Denkt daran, was ich gesagt habe!“ und Krause flüsterte zu den Kindern: „Wenn was ist, dann meldet euch wieder bei uns. Wir helfen euch!“
Dann zischten beide ab zu den prügelnden Frauen.
Nun standen die fünf Kleinen den fünf Großen Aug in Aug gegenüber und wussten nicht, was sie sagen sollten. Ganz mickrig fühlten sie sich. Besonders als sich Cem wieder groß machte und erklärte: „Ihr wollt hier also spielen?“
Langsam nickten die Kinder. „Ja, aber nur, wenn’s auch wirklich geht“, sagte Turgut eingeschüchtert.
„So’n Blödsinn“, mischte sich Mel ein. Wie immer. Sie war die Furie, die sich gerne mit jemandem anlegte und ihre Meinung kundtat. „Wir wollen hier, genau hier, Fußball spielen! Kapiert ihr das?“
Cem schaute böse. „Ach, das wollt ihr?“, fragte er. „Und dass ich über diesen Platz bestimme, ist euch egal? Evet?“
„Ja, schon irgendwie... Aber haben Deutschland im Rücken.“
„Die Polizei“, unterstrich Mark.
„Ach, und ihr meint, wir haben Schiss vor denen?“„So’n Scheiß!“ Die Bolzplatzjungs geierten.
Cem machte sich noch größer und die Kinder schienen dabei zu schrumpfen. Sogar Mel war jetzt still. „Wir haben keine Chance gegen die Großen“, dachten sie alle.
„Wenn ihr mir 10 Euro für eine Stunde Spielen gebt“, erklärte der Kopf, „dann können wir drüber reden...“
Das war ja Erpressung. Das war verboten.
Was sollten sie bloß machen? Sie wollten nicht immer zahlen, wenn sie Lust aufs Kicken hatten. Dazu hatten sie auch gar kein Geld. Sie waren doch noch Grundschüler.

4. Ein Pakt, der packt
Als es fast ausweglos aussah, hörten die Kinder plötzlich eine Stimme hinter sich. Sie klang tief und ruhig. Ein junger Mann hatte sich zu der Gruppe gesellt. Er hatte blonde, schulterlange Haare, einen gewissen Bauchansatz, war aber sonst sehr muskulös, was zu seiner kleinen Körpergröße nicht so ganz passen wollte.
Dieser Mann sagte: „Spiel’ dich nicht so auf, Cem! Hör’ auf, so ´nen Unsinn zu reden. Das nennt man Schutzgelderpressung und steht unter Strafe. Du solltest aufpassen, was du sagst. Nächsten Monat bist du 14... du weißt, was das heißt?“
Die fünf Kleinen wussten das zwar nicht, aber Cem anscheinend schon. Ganz plötzlich war er still geworden und wirkte wieder winziger.
Turgut und seine Freunde kannten den Typen. Es war Cems Trainer Malik Bejowski. Vor drei Jahren noch hatte der sogar mal in der Regionalliga gekickt, bevor er durch ein Foul einen schrecklichen Schaden im linken Fuß erlitten hatte, der einen Schlussstrich unter die wachsende Karriere gesetzt hatte. Seitdem hatte er sich zur Aufgabe gesetzt, besonders „Kinder von der Straße zu holen“ und sie zum „Sporttreiben zu animieren“. Das hatte Turgut damals in der Zeitung gelesen, denn Malik war bis dahin eine Art Mühlheimer Vorbild für die Jungs gewesen. Seine Karriere hatte der so am Lesen interessierte Ermal aus vielen lokalen Zeitungen mitverfolgt.
Cem war völlig still, als Malik fortfuhr. „Ich will keine Kriminellen in meinem Team. Das wisst ihr.“
Dann wandte er sich zu Turgut und den anderen. „Ihr habt vollkommen Recht. Dieser Platz gehört allen! Egal, ob groß, ob klein, ob aus Mühlheim, Hahnwald oder sonst woher.“
„Wir wollen mit den Babys aber nicht spielen“, sagte der dicke Kai. Yasemin antwortete: „Wenn ich ehrlich bin, sind die mir auch zu groß.“
„Und mit Mädchen spiel’ ich eh nicht“, schmollte Cem. „Das geht gegen meine Ehre.“
Malik verdrehte die Augen. Doch er hatte eine Idee.
„Verbieten, hierher zu kommen, darf hier keiner wem. Aber den anderen vom Platz jagen, geht auch nicht. Ich schlage euch etwas vor.“
Die Jungs und Mädchen lauschten gespannt.
„Wir werden am Mittwoch ein Spiel veranstalten. Wer das gewinnt, darf sich die Zeiten aussuchen, wann seine Kumpels und wann die andere Gruppe hier kickt. Zusammen werde ich euch wohl nicht kriegen... obwohl das mit Abstand das Beste wäre...“
„Datt is keen jute Idee“, fand Jascha. „Datt gefällt mir irgendwie net.“
Auch Mel fand: „Die sind doch viel größer und stärker als wir. Das ist voll ungerecht.“
Malik erklärte: „Wer sich taktisch gut auf das Spiel vorbereitet, wird die eigenen Stärken fördern und die Schwächen des Gegners ausnutzen. Da spielt eine körperliche Größe gar keine Rolle. Das ist alles, was ich dazu sage.“
Cem erklärte, plötzlich wieder recht selbstbewusst: „Da müsst ihr Kleenen euch aber noch zwei Spieler besorgen. Gegen Weiber spiel’ ich nicht...“.
„Wie bitte?“, hakte Yasemin nach. Was sollte der Spruch denn?
„Vor allem gegen keine Türkinnen. Ihr wisst ja gar nicht, was sich in einer Familie und für ein türkisches Mädchen gehört. Fußballspielen bestimmt nicht.“
„Wie gut, dass ich ´ne Deutsche bin“, antwortete Yasemin frech. Cem schaute erstaunt, wiederholte aber: „Das ist mein letztes Wort... Mädchen spielen kein Fußball!“
Jetzt mischte sich Malik wieder ein. „Gut, wenn du dir deine Gegner ab jetzt aussuchen willst, dann werd’ ich dich auch in der Mannschaft nicht mehr einsetzen...“
Diese Drohung ließ Cem blass werden: „Was?“
„Genau. Entweder du nimmst die Gegner und Gegnerinnen, die hier am Mittwoch auftauchen, oder ich lass’ dich beim nächsten Spiel auf der Ersatzbank.“
Das hatte gesessen. Adem versuchte noch, seinen Bruder in Schutz zu nehmen, indem er seinen Trainer erinnerte: „Aber er ist der beste Spieler der gaaanzen Mannschaft.“ Doch Malik antwortete nur: „Kann ja durchaus sein, ist mir aber piepegal, wenn der Herr plötzlich einen Größenwahn bekommt.“ Er wusste, dass diese Drohung gewirkt hatte und verabschiedete sich langsam: „Bis Mittwoch dann. Ich bringe `nen Schiri mit. Wir spielen zwei Mal 15 Minuten: 5 gegen 5. Ihr werdet also noch irgendwen brauchen, Cem.“
Dann war er auch schon wieder weg und auch die Fünf liefen schleunigst fort.
„Wir brauchen noch einen Fünften“, erinnerte Kai seinen Anführer, den Kopf.
Der grinste und sagte: „Ich weiß. Ich weiß. Und da hab’ ich auch schon wen.“
Das hatte Ermal gehört und sich neugierig umgedreht. Er sah das grinsend-böse Gesicht von Cem und bekam ein schreckliches Gefühl im Magen. Das hat nichts Gutes zu heißen, dachte er. Das würde ein schweres Spiel werden. Das würde nicht gut enden, ahnte er.
Doch, so wie er halt war, schwieg er über sein Bauchgefühl, denn er wollte seine Freunde nicht verunsichern.

5. Coach dringend gesucht!
„So, und wie bereiten wir uns nun vor?“, fragte Mel, als die Fünf abends im Wohnzimmer der Bagcics saßen. Sie tranken Apfeltee und überlegten.
„Wir brauchen `nen Coach oder so was“, sagte Mark. „Aber wen?“
In diesem Augenblick kam Turguts Vater in den Raum und schlug vor: „Ich kann das machen.“
Die Kinder versuchten, ihr Lachen zu verkneifen. Papa Bagcic hatte absolut keine Ahnung von Fußball. Nachdem er im letzten Jahr erfahren hatte, dass Yasemin Fan von Lukas Podolski war, war er in ein Musikladen gerannt und hatte nach dessen neuer CD gefragt.
„Nein, danke“, versuchte Yasemin das Angebot höflich auszuschlagen. Ihre Mutter war da schon härter: „Du und Fußballtrainer. Da könnte ich ja auch Model in Paris sein.“
Vater Bagcic guckte beleidigt und ging aus dem Zimmer, ohne etwas zu sagen.
In diesem Augenblick klingelte es an der Türe. „Ach, das wird mein Bruder sein“, fiel Ermal ein. „Der wollte mich ja abholen zur Hochzeit meiner Kusine.“
„Cool, du gehst auf `ne Hochzeit“, beneidete Yasemin ihren Kumpel. Sie liebte türkische Heiratsfeste. Da gab es immer so viel zu essen, so tolle Dinge zu erleben und zu bestaunen. Toll war besonders: Die Braut wurde auf Händen getragen.
„Ja,“, antwortete Ermal. „Da kommen fast 500 Leute und wir fahren heute Abend schon nach Düsseldorf, weil wir alle Hotelzimmer spendiert kriegen.“
„Fette Sache“, sagten jetzt auch Turgut und Mel.
Schon hatte Mutter Bagcic die Tür geöffnet und Ermals Bruder Özkan trat herein. Der riesige, muskulöse junge Mann mit seinen glatten, pechschwarzen Haaren wurde von Mark und Turgut für sein Aussehen bewundert. Er war ein Mann, wie er im Buche stand. Auch Yasemin fand ihn toll, aber nicht so wie die beiden Jungs. Eher wie Mädchen Popstars gut fanden. Mel fand nichts Tolles an Özkan. Für sie war er einfach ein Typ, der ganz nett war, aber zuviel Gel in den Haaren hatte. Vor allem aber war er das glatte Gegenteil seines kleinen Bruders, von dem man immer glaubte, er würde gleich zerbrechen. 22 kg wog Ermal gerade mal mit seinen 10 Jahren. Man könnte ihn umpusten, hätte man meinen können. Ermal las gerne Bücher, Özkan gerne Fitnesszeitschriften. Der Kleine hatte eine Brille, der Große trug Kontaktlinsen und schmierte sich sogar Make-Up ins Gesicht. Aber Fußballspielen liebten sie beide.
Dann kam Turgut die Idee. „Hey Özkan, wir brauchen deine Hilfe!“ Die anderen verstanden sofort und zeigten sich begeistert. Ermals Bruder wäre perfekt.
Nachdem sie ihm die Geschichte erzählt und ihr Problem dargestellt hatten, war dieser zuerst skeptisch. „Hmmm, weiß nisch, ob isch Zeit hab´für eusch. Lasst misch ma´überlegen...“.
Er murmelte etwas in sich hinein und fragte nach kurzer Zeit: „Und es geht gegen Cem Alda und seine Freunde?“
Die Kids nickten.
„Und die jagen eusch da einfach weg?“
„Ja.“
Er grinste schelmisch und antwortete „Okay. Mit Cems Familie hab’isch eh noch ein Hühnchen zu rupfen. Sein Bruder Bilail hat mir damals doch die Sarah ausgespannt...“
„Ach ja“, grinste Ermal. „Ja, dann MUSST du uns ja einfach unterstützen.“ Auch Yasemin schleimte noch ein wenig: „So einen tollen Sportler wie dich können wir als Trainer gebrauchen. Wir sind dir ja sooo dankbar.“
Die Mädchen waren überzeugt, gesehen zu haben, dass Özkan in diesem Augenblick vor lauter Scham rot geworden war, aber die Jungs bestritten dies später. „Der ist so cool, der wird nicht einfach so rot“, erklärte Mark. „Der ist doch ein Mann!“
Mel grinste. „Dann bist du also kein Mann?“
„Wieso?“, fragte er erstaunt. „Natürlich bin ich ein Mann.“
„Du wirst doch auch rot, wenn ich sage, dass du verknallt in Yasemin bist!“
Mark guckte geschockt und stotterte nur herum, obwohl er gerne eine passende und männliche Antwort gegeben hätte. Doch es klappte nicht. Ganz im Gegenteil: Genau das, was Mel prophezeit hatte, nämlich knallrot zu werden, passierte Mark in diesem Augenblick. Leider geschah dies auch in Yasemins Gesicht. Die haute ihrer Freundin unbemerkt, aber heftig, mit dem Ellenbogen in die Seite. „Doofe Kuh“, kommentierte sie das.
Das Team mit seinem Trainer stand nun. Genauso wie der erste Trainingtag. Übermorgen, am Montag, um punkt 16 Uhr. Dann, wenn alle Halbtags- und Ganztagsschüler die Schule beendet haben würden. Sie hatten zwar nur wenig Zeit bis Mittwoch, aber die wollten sie allesamt gut nutzen.
„Zwei Stunden Konditions- und Koordinationstraining“, plante Özkan, „dann noch freies Spielen. Isch werd´eusch richtig rannehmen, denn die Wiener-Platz-Kickers werden am Mittwoch siegen!“


6. Özkan schafft alles
Der Sonntag war bei allen nur schleppend vorbei gegangen. Bei allen, außer natürlich bei den Brüdern Özkan und Ermal, die sich auf der Hochzeit vergnügten. Doch der Rest des Teams fieberte dem Montag entgegen. Auf den Wiener Platz durften sie ja nicht mehr gehen.
„Wo trainieren wir jetzt eigentlich?“, fragte Turgut seine Schwester. „Keine Ahnung. Dem Özkan wird schon was einfallen.“
Yasemin schaute sich auf DVD die Highlights der letzten Bundesligasaison an und drückte bei besonders interessanten Situationen auf die Zeitlupentaste.
Turgut kam öfters hinzu, wurde aber von seiner Mutter immer wieder in die Küche gescheucht, wo er seine Haus- und Strafarbeiten der letzten Woche machen sollte.

Mel musste auf ihre kleinen Geschwister aufpassen. Am Wochenende schob ihre Mutter im „Bistro International“ immer Sonderschichten und war sonntags von vormittags bis zum frühen Abend unterwegs. Wenn Mels Oma dann mal ausnahmsweise nicht konnte, musste Mel selbst einspringen. Wie an diesem Sonntag. Genervt lief sie hinter Jacko, ihrem zweijährigen Bruder, hinterher, der neuerdings immer Sachen stibitzte und sie dann irgendwo versteckte. Dann schrie Katja, ihre neunmonatige Schwester, immer und immer wieder, denn Babys haben mal Hunger, mal volle Hosen, mal irgendwelche Schmerzen. Sachen, denen man ihnen nicht ansieht. Mel hatte also keine Ruhe und dachte nur kurz an den Montag. Dann freute sie sich aber umso mehr, denn da würde sie den heutigen und den Schulstress von morgen hinter sich haben. Puh. Aber jetzt war erst mal Arbeiten angesagt.

Mark war’s langweilig. Den Computer hatte sein Vater nach der letzten Fünf in Sprache aus dem Zimmer geholt und bei Ebay verkauft. Ins Internetcafé durfte er auch nicht. Der Fernseher war von seinem Papa selbst besetzt, denn es lief Formel Eins samt Vorbericht, Nachbesprechung, Nach-Nach-Besprechung und der Talk über das Danach. Mark setzte sich zwar zu ihm, langweilte sich aber fast zu Tode, die Autos anzugucken, wie sie immer und immer wieder im Kreis rasten. Außerdem nervte ihn der Gestank von Papas Zigarettenrauch und Mamas Nagellackentferner, mit dem sie seit Stunden herum hantierte. Am Ende lernte er das Gedicht, das sie für morgen aufhatten, doch auswendig, obwohl er sich fest dagegen gesträubt hatte. Aber etwas Besseres gab es hier nicht zu tun.

Freudig erwartet, war der Montagnachmittag endlich gekommen. Schon in der Schule hatte man sich gegenseitig gefragt: „Wo trainieren wir eigentlich?“ Aber Ermal war wegen der Riesenhochzeit für den Schultag beurlaubt worden und er wäre der einzige gewesen, der darauf eventuell eine Antwort gewusst hätte.
Um Punkt Zwei erreichte Yasemin, Mark und Mel zeitgleich eine SMS. „UM VIER IN BAGCICS LADEN. MB ERMAL“ Turgut, der bis drei Uhr noch in der Nachmittagsbetreuung Nachhilfe bekommen hatte, erfuhr erst um zehn vor vier davon, schob sich `nen Döner von Kayös rein und zog sich schnell um. Als er die Treppe in den Laden hinunter gerannt kam, wurde er vom Rest schon sehnlichst erwartet.
Alle waren im Sportsdress, sogar Özkan. Er sah aus wie ein Olympionike, fand Turgut. Er hatte ein enges Axelshirt an, durch das man jede Muskelfaser sehen konnte.
„Seine Oberarme sind der Hammer“, dachte Yasemin.
Frau Bagcic packte derweil sechs Tüten mit Obst und Gemüse ein. „Esst bloß zwischendurch etwas und vergesst nicht, zu trinken“, mahnte sie.
„Ja, ja“, antwortete der Rest im Chor.
„Und nicht auf Wiener Platz fußballen“, drohte der Vater.
„Evet, babam“, versprach Turgut. „Und wo geht’s jetzt hin?“, wollte er wissen.
„Genau.“, stimmte Mel zu. „Auf den Platz dürfen wir nicht mehr, auf dem Bolzplatz werden die anderen sein... wohin also?“
Özkan grinste: „Keine Panik! Natürlisch hab’isch das abgescheckt...“ Ermal sprach weiter: „Wir dürfen in der Nebenhalle von Özkans Kickboxverein trainieren und auch den Innenhof des Gebäudes benutzen.“
Die anderen staunten nicht schlecht. Alle kannten den SC Mühlheimkick 2000, den Kickboxverein des Stadtteils, aus dem schon viele Champions hervor gegangen waren. Die Boxer wurden von allen hier sehr geachtet. Es war also eine echte Ehre, in ihrer Halle zu trainieren.
„Wie hast du denn das geschafft?“, fragte Mark.
Özkan antwortete: „Merk`dir: Isch’schaff’ alles. Isch’bin Özkan. Außerdem war mir der Abteilungsleiter noch dankbar für ´ne Sache aus der Vergangenheit. Der würd`alles für misch tun.“
„Cool“, dachte Yasemin. Dabei schwärmte sie Özkan an, was Mark genau erkannt und ein bisschen wütend machte. Aber er ließ es sich nicht anmerken.
Dann zogen sie los und rannten die drei Kilometer zu dem alten Fabrikgelände, das der SC vor einigen Jahren zu einem Sportzentrum ausgebaut hatte.

7. Eine neue Erfahrung
Die Kickers wurden herzlich begrüßt. Alle Sportler wussten, warum sie hier waren. Es ging für viele um die Ehre des Stadtteils. Die Ehre gegen Cems Familie, die in dieser Gegend viel Macht hatte. Das stank einigen schon seit Längerem.
Besonders Ermal, Mark und Turgut waren stolz, von den durchtrainierten jungen Männern gegrüßt und von ein paar sogar auf die Schulter geklopft zu werden. „Ihr packt das“, sagte ein einer, „Ihr haut die um“ ein anderer.
„Geht nach hinten durch“, erklärte Cheftrainer Jörg Faser-Riss. „Da hinten ist die Halle.“

Das Training begann:
Es war mehr als anstrengend, was Özkan mit den Fünf machte. Ließ sie zuerst joggen, dann sprinten und springen. Erst nach einer dreiviertel Stunde durften sie an den Ball. Eher an die Bälle. Özkan zauberte nämlich urplötzlich ein riesiges Netz hervor, in dem mehr als ein Dutzend niegelnagelneue Fußbälle lagen. Jeder bekam ein eigenes Leder, mit dem sie viele Minuten lang dribbeln, laufen und diverse Tricks machen mussten. Alleine. Dann zu zweit. Immer in der Halle. Das war schwierig. Das kannten sie bisher nicht. Das war wohl Fußballtraining.
„Strengt’eusch mehr an!“ forderte Özkan immer wieder. Es war zwar ein strenger Ton, der die Kids aber komischerweise antrieb, weiter zu machen. Nur Mel dachte immer wieder: „Spiel` dich nicht so auf, du Macho!“ Sie war aber nach Özkans Ansicht diejenige, die sich am besten anstellte. Doch das sagte er natürlich nicht laut.
Erst nach mehr als zwei Stunden durften die Fünf ins Freie und dort ein Spielchen machen.
Vorher hieß es aber noch: „Lagebesprechung.“
Özkan bat die Kinder, sich hinzusetzen, etwas zu relaxen, zu trinken und einen Happen zu sich zu nehmen, aber gut zuzuhören.
Dann zückte er einen Stift und wandte sich einem großen Malblock zu, auf den er etwas aufmalte.
„Nun zu euren Schwächen:...“
Es schien, als nähme die Liste mit den Dingen, die er zu beanstanden hatte, gar kein Ende. „Mann, sind wir übel“, dachte Mark. „Wir können ja gaaar nichts“, meinte Yasemin innerlich.
Als Özkan jedoch mit den guten Sachen der Fünfen begann, klang das schon ganz anders.
Geradezu begeistert zeigte er sich von „dem Koordination, dem Ballgefühl, dem Teschnik und dem Spaß“, den die Freunde beim Training gezeigt hätten. „Ihr seid alle super talentiert“, lobte er. „Aber eure Kondition muss bis übermorgen besser werden. Ihr müsst länger durschhalten!“
Daher gab er den Fünf sozusagen Hausaufgaben auf.
„Ihr steht morgen eine Stunde früher auf, geht zwanzig Minuten laufen und dann eiskalt unter die Dusche! Dann geht’s topfit zur Schule. So, und jetzt dürft ihr endlisch spielen...“
Waren sie eben noch so k.o. gewesen, hatten sie plötzlich wieder Kraft. Eine Stunde kickten sie auf dem Hof des Fabrikgeländes noch Drei gegen Drei. Denn Özkan machte eigens mit. Ja, wirklich!
„Du kannst so genial mit dem Ball umgehen“, lobte Turgut den jungen Mann auf dem Rückweg.
„Isch weiß.“
Mark sagte: „Du bist so fit!“
„Isch weiß!“
Yasemin umschwärmte ihn ebenfalls. „Aus dir kann noch was werden. Ein ganz Großer.“
„Isch weiß.“
Mel und Ermal schwiegen lieber.
Özkan erklärte aber: „Das klappt aber nur, weil’isch an misch glaube. Auch ihr dürft keinen Schiss vor den Großen haben. Ihr müsst immer denken: Wir gewinnen!“
„Das sage ich mir schon die ganze Zeit“, mischte sich Mel nun doch ein. „Ich will es diesen Großkotzen zeigen. Mädchen dürfen kein Fußball spielen... pah... da pfeif’ ich drauf.“
„Gute Einstellung“, sagte Özkan. „Aber man muss auch viel für die Fitness tun und für die Abwehrkräfte...“
Und so kam es, dass am nächsten Morgen bei allen Fünfen der Wecker eine Stunde früher läutete. Na gut, nicht ganz: Bei Ermal stand um 5 Uhr 30 Özkan am Bett, pfiff mit einer Trillerpfeife in dessen linkes Ohr und schrie: „Aufgestanden, aber sofort!“


8. Ein Koloss zum Siegen
Während Özkan und seine Mühlheim Kickers in der Fabrik eifrig schwitzten und dazu lernten, hatten sich gleichzeitig auch Cem und seine Freunde getroffen. Natürlich auf ihrem Bolzplatz. Wie immer. Wo sonst? Es war ja der Platz, der zwar der Öffentlichkeit, aber doch eigentlich nur Cem gehörte.
Heute wartete auf die Vier noch ihre Nummer Fünf für den Mittwoch.
„Raus mit der Sprache“, verlangte Kai. „Wer wird bei uns mit spielen?“
„Keine Chance“, erklärte ihm Adem. „Ich versuche auch dauernd, was aus ihm heraus zu kriegen, aber umsonst... Der hält seine Klappe.“
Cem grinste. Er war stolz, so im Mittelpunkt zu stehen. „Nur die Ruhe“, sagte er, „in wenigen Minuten werdet ihr’s ja wissen.“
Genau in diesem Moment grüßte eine tiefe Jungenstimme die Vier. „Bonjiorno.“
Den drei bisher Unwissenden fiel mit einem Mal die Kinnlade herunter. Was sie da sahen, war der Wahnsinn. Kaum zu glauben.
Ein Traum?
Nein, der Traum stand in vollster Montur dar. Es war Nico. Der Nico. Nico Bullitoni, der Libero des FC Köln-Ost. Der Nico, der auch “der Bolzer” genannt wurde, denn er kannte kein Erbarmen mit seinen Gegnern. „Lieber `ne Rote Karte hinnehmen, als `nen Stürmer zum Tor rennen lassen“, lautete sein Motto. Nico war schon 16, 1,85m groß und ein Koloss von 95kg. Von morgens bis abends aß er, zwischendurch war Training angesagt. Sogar in einer Auswahlmannschaft war er aufgestellt und mehrere Probetrainings beim echten 1. FC Köln hatte er auch schon gehabt.
Und genau dieser Nico wollte den Jungs am Mittwoch helfen?
„Genau, meine Guten“, erklärte er. „Wenn mein Amigo Cem mische um etwas bittet, sag’ ische doch nicht Nein.“ Dabei umarmten sich die beiden innig. „Wollte jetzt etwas mit eusche spielen, damit ische mal sehe, was ihr so drauf habt. Dass Cem ein Guterr ist, weiß’ ich ja.“
Schon holte er einen echten WM-Ball hervor, rannte mit ihm auf den Platz und schrie: „Alle gegen mische! Versucht, mirr den Ball abzunehmen!“ Die anderen Jungs liefen hinterher, doch außer Cem wollte es niemandem gelingen, dem großen Nico den Ball abzuknüpfen. Er war einfach zu gekonnt und zu fix in seinen Bewegungen. Und dass, obwohl er so ein gewichtiger Bursche war.
Schiss spielte bei Kai, Jascha und besonders beim kleinen Adem wohl auch eine große Rolle. Nico war ein so großer Typ mit so viel Kraft. An den traute sich niemand wirklich ran. Außer Cem. Der hatte keine Angst. Es sah toll aus, wenn die beiden sich duellierten und um den Ball kämpften.
Am Platz hatten sich mittlerweile ein paar kleine Jungs aus der Nachbarschaft eingefunden, die bewundernd zuschauten. Auch einige Mädels waren da, die den kickenden Jungs zujubelten und von ihnen schwärmten. Als Nico und Cem das sahen, wollten sie noch ein Stück besser spielen und gaben noch mal Hundertprozent dazu. Die anderen Drei auch, aber für sie hatte man kein Auge. Sie waren zu unscheinbar neben den Glanzgestalten und hörten irgendwann ganz auf, sich um den Ball zu bemühen. Denn der landete ja sowieso bei einem der Großen.
Nachher gab Kai zu: „Na ja, an dich kommen wir nicht ran, Nico. Da müssen wir noch viel lernen.“
„Willst du denn trotzdem am Mittwoch mitspielen? Auch mit solchen kleinen Losern wie uns?“, wollte Adem niedergeschlagen wissen.
„Aberr natürrlich“, grinste Nico. „Ische werrde eusche die kleinen Nerrver vom Wienerr Platz schon vom Halse schaffen.“


9. Fit für den Kampf?
Von ihrem zusätzlichen Gegner hatten die Kids vom Wiener Platz natürlich noch keine Ahnung. Dass die Nummer Fünf der Bolzplätzler wahrscheinlich ein geübter Vereinsspieler sein würde, war ihnen schon klar. Cem kannt ja so viele aktive Kicker. Doch mit einem Nico Bullitoni rechneten sie an diesem Dienstag auf keinen Fall. Alle kannten sie ihn, alle wussten über seine Erfolge, aber auch über seine Erbarmungslosigkeit. Er war ein richtig kleiner Star in der Gegend. Warum sollte er dann gegen diese Kleinen antreten?
„Und, wen meint ihr, schleppt Cem an?“, fragte Mel am nächsten Tag in die Runde, auf dem Weg zur Fabrik.
„Das hab’ ich mich auch schon gefragt“, antwortete Yasemin. „Mir ist aber keiner eingefallen.“
„Ich rechne mit einem seiner Cousins“, sagte Ermal. „Terek oder Ürmal, denke ich.“
„Kann schon sein. Die sind auch schon 14 und richtig gut“, war sich Mark sicher. „Die haben schon den Köln Cup mit ihrer C-Jugend gewonnen. Das wären Gegner, die wir nicht bezwingen könnten.“

Wenn sie sich da mal irrten. Nico war noch eine Nummer größer.
„Macht eusch nischt so viele Gedanken über den Kram“, mahnte Özkan. „Es geht nicht um eure Gegner von morgen, sondern um euren Willen!“
„Stimmt“, schrie Turgut. „Lasst uns beginnen.“
Von selbst rannten alle Fünf los, machten sich warm und zeigten alles, was in ihnen steckte.
Langsam kam die Aufregung. Sie kam zwar auf lauten Sohlen, aber trotzdem deutlich, so dass sie sogar von Özkan gespürt wurde. Er fühlte sie. Aber er merkte auch, wie sich die Fünf anstrengten und immer wieder ihre inneren Schweinehunde überwanden. Daher sagte er nach ungefähr einer Stunde harten Konditions- und Techniktrainings: „Okay, okay. Das reischt. Ab jetzt machen wir nur noch Spiele.“
„Aber wir müssen doch noch was an unserer Technik tun“, bemerkte Turgut.
„Das reicht niemals für die Vereinsjungs“, meinte Mel.
„Quatsch“, überstimmte Özkan die Meute. „Ihr seid super, fit und klasse!“
„Echt?“, fragte Yasemin staunend. „Das meinst du doch nicht ernst.“
„Ja, wenn isch’s eusch doch sage.“
Alle atmeten beruhigt auf. Wenn Özkan das so bestimmend und beherzt meinte, musste es ja stimmen.
Also kickten sie fast bis zum Umfallen. Dabei vergaßen sie, dass das Spiel morgen, ja wirklich schon morgen (!!!) sein würde. Das war Nebensache. Nur der Fußball stand jetzt im Vordergrund. Kicken war jetzt angesagt. Nicht mehr und nicht weniger.

Doch das blieb nicht den ganzen Dienstag so.
Spätestens am Abend, als der Tag langsam „Hallo“, „Merhaba“ oder „Salut“ sagte, kam sie wieder: Die Nervosität.
Mel versuchte, sich mit ihrer Spielkonsole abzulenken, doch es klappte nicht. Da sie sowieso nur Fußballspiele hatte, erinnerte sie alles an den morgigen Tag. Sie wurde unruhig, wackelte mit ihrem Stuhl, ging in der Wohnung auf und ab und ließ beim gemeinsamen Abendessen sogar fast den Teller mit der Spaghettisoße über den Nudeln fallen, konnte ihn aber gerade noch auffangen.
„Du bist aber nervös“, merkte ihre Mutter. „Wegen morgen?“
Wegen morgen? Klar wegen morgen, aber was meinte die Mama? Sie wusste doch nichts von dem Spiel.
„Was soll denn morgen sein?“, fragte Mel neugierig zurück.
Ihre Mutter kramte in ihrer Jackentasche herum und holte einen etwas zerknüddelten, gelben Flugzettel heraus, den sie ihrer Tochter vor die Nase hielt. Die bekam den Mund vor Staunen nicht mehr zu, als die Mama auf dieses Blättchen zeigt und erklärte: „Das ist morgen und das macht dich so zittrig.“

Mark versuchte seine Aufregung mit Kolja, seinem Schäferhund, zu verjagen. Am Abend ging er lange mit ihm um den Platz spazieren, warf ihm auch mal ein Stock weg, so dass er ihn holen sollte. Aber seine Gedanken drehten sich ebenso nur um morgen. Vor allem hatte er Angst vor Cem. Er war ihm einfach unheimlich. Als er um die Ecke bog und fast schon wieder zu Hause war, entdeckte er, dass die Türen und Fenster von Bagcics Laden mit großen gelben Plakaten zugeklebt waren. Was hatten Yasemins und Turguts Eltern denn nun wieder für tolle Angebote? Seine Mutter war gerne auf dem Laufenden, was Schnäppchen anging. Also ging er näher, um für sie zu spähen.
Er traute seinen Augen nicht als er die in dicken Lettern gedruckte Überschrift las: „STADTTEILDUELL zwischen den WIENER-PLATZ KICKERS und CEMS PLATTENBAUJUNGS“. Mark blieb der Atem stehen. Er begann zu zittern. Überall hingen hier Plakate mit dieser Aufschrift, samt Ort und Zeitpunkt des Geschehens sowie den für die Bagcics üblichen Zusatz: „Präsentiert vom Obst- und Gemüsehändlern Ihres Vertrauens: Ayse und Methin Bagcic. Denn mit Bagcic’s Obst und Gemüse hast du Power in der Düse.“


10. Echt verrückte Eltern
„Ihr habt ja echt `nen Knall“, schrie Yasemin stinksauer, als sie die Plakate und Flyer in der ganzen Wohnung herumfliegen sah. Auch Turgut war mies drauf, zeigte es aber nicht so impulsiv wie seine Schwester. „Wir wollten nicht, dass davon irgendwer etwas erfährt“, sagte er. „Denn wir werden gegen die untergehen. Das muss niemand beobachten...“
„Zu spät“, unterbrach Yasemin. „Jetzt haben wir den Salat.“
„Wir wollen euch doch nur unterstützen“, erklärte die Mutter stotternd. „Haben das nur gut gemeint.“
„Ich bin extra für euch zu Druckerei gerannt und habe Blätter in zwei Stunden drucken lassen“, sagte der Papa. „Der kleine Lars Dutschke und seine Freundin, diese Sonja von nebenan, haben sich sogar bereit erklärt, die Plakate für drei Äpfel und vier Orangen hier überall aufzuhängen und Fußgängern Flyer in Hand zu drücken. Sogar Kommissare gaben ihr Okay.“
„Wir wollen, dass ihr gewinnt“, wiederholte die Mama. „Unsere Kinder gegen diese Angeber, die Mädchen dann auch noch verbieten wollen, Fußball zu spielen.“
Woher wusste sie denn nun das schon wieder, fragten sich die Geschwister. Aber im Laden, das wussten sie ja auch, sprach sich ja alles, jede Kleinigkeit, jeder gelassene Pups, herum. „Alle stehen auf eurer Seite“, versprach der Papa. „Viele von hier kennen Cem, seine Freunde und Familie. Gerne würden wir es alle sehen, wie die eine gewischt kriegen.“
Das war ja eigentlich alles sehr lieb gemeint, fanden Turgut und Yasemin, aber eine Sache hatten ihre Eltern übersehen oder einfach nicht erkennen wollen. „Das sind VEREINSSPIELER“, betonte Yasemin klar und deutlich. „Wir haben null Chance, denen eine zu wischen.“
Kurz war es absolut still im Raum. In der ganzen Wohnung. Überall. Aber dann fand Papa Bagcic: „Ach Quatsch. Selbst wenn ihr als Verlierer vom Platz geht. Ihr seid wahre Sieger, denn ihr habt Großkotze heraus gefordert und stellt euch diesen Angebern...“
„Und nur“, so die Mama, „weil ihr Fußballspielen wollt!“
„Weiß hier jeder am Wiener und es findet jeder toll. Also, seid uns nicht mehr böse und haut jetzt richtig mit dem Baklabar rein!“
Die beiden Kinder hatten die nett gemeinten Worte ihrer Eltern gehört und plötzlich allen Ärger vergessen. Wenn das wirklich so war, dann brauchten sie keinen Schiss vor einer Blamage zu haben. Und außerdem wartete hier vor ihnen ein lecker aussehender Kuchen. Sein Aussehen und sein Duft ließ die Wut vergehen
Sie gaben ihren Eltern einen dicken Kuss und sagten „Danke babam, danke annem. Tessekür ederim.“
Als dann auch noch Ermal anrief und ins Telefon schrie: „Eure Eltern sind die Besten! Die haben einfach geile Ideen“, war jeglicher Ärger und komischerweise auch die schreckliche Aufregung von eben vergessen. So war das bei allen Mühlheim-Kickers. Eben noch vor Aufregung fast umgekippt, schliefen sie in dieser Nacht wie die Murmeltiere.


11. Özkan möchte stolz sein
Der Schulmorgen war schrecklich gewesen. Nicht einen kurzen Augenblick konnten sich Mark, Turgut, Mel und Yasemin auf den Unterricht konzentrieren. Nur Ermal, der Musterschüler, war aktiv und fit wie immer. Er meldete sich und meldete sich und gab eine richtige Antwort nach der anderen.
Turgut wollte wissen: „Bist du denn gar nicht wibbelig?“
„Wegen nachher?“
„Genau!“
„Jetzt noch nicht. Jetzt bin ich doch hier in der Schule. Nachher wird das schon noch kommen.“
Yasemin und Mel machten sich gegenseitig verrückt. Die eine wackelte während des Unterrichts immer mit den Beinen, die andere mit dem Stuhl. Eine drehte sich an den Haaren, die andere knabberte ihre Fingernägel Stück für Stück weg. Es war einfach schlimm. Die Uhr wollte sich nicht vorwärts bewegen.
Mark malte in sein Heft dauernd Herzchen und merkte das erst, als ihn Mel auszulachen begann und in eines der Herzchen fett YASEMIN hineinschrieb.
Alle waren sich einig, nach der Schule gemeinsam bei Mäcces essen zu gehen, dort auf ihren Trainer zu warten und gemeinsam zum Bolzplatz zu marschieren. Sie mussten als Team, als geschlossenes Etwas auftreten, um danach zusammen zu halten und alles zu geben.
„Versprescht ihr mir“, fragte Özkan, „dass’isch nachher stolz auf’eusch sein werde?“
Die Kinder schauten etwas skeptisch. Mel und Yasemin bissen schnell in ihren Burger, Turgut antwortete nur: „Ja, aber...“. Doch da sprach Özkan schon weiter: „Damit mein’isch nischt, dass ihr unbedingt gewinnen müsst. Isch bin stolz auf’eusch, wenn ihr kämpft, alles gebt und vor allem zusammenhaltet. Kann’isch damit reschnen?“
Alle grinsten und schrieen laut: „Klar!“
Dann klatschten sie sich alle gegenseitig ab und Mark schrie: „Auf die Wiener-Platz Kickers!“
„Gut, wenn ihr Özkan das versprecht“, meinte plötzlich Ermal, „denn er hat noch eine Überraschung parat.“ Dabei stupste er seinem großen Bruder in die Seite und der erschrak, als hätte er etwas vergessen. „Ach ja“, fiel ihm ein. Er kramte in einer riesigen Plastiktüte, die er mitgeschleppt hatte und holte etwas hervor, das er hoch in die Luft, über alle Köpfe hielt.
Es folgte ein Bewundern und Staunen, ein Oh und Ah. Yasemin kreischte: „Das gibt es ja gar nicht: Eigene Trikots!“
Wahrhaftig hatte Özkan ein rot-schwarz gestreiftes Trikot in der Hand, auf dem hinten dick und fett Wiener Platz Kickers geschrieben stand. Sogar einen eigenen Sponsor hatten sie. Na, wen wohl? Natürlich Bagcic Obst und Gemüse.
Jeder der Kickers schnappte sich sein Hemd, bestaunte es abermals und packte seinen Schulkram zusammen. Daraufhin schwärmten sie alle aus, um daheim ihre Sportsachen zu holen und sich in genau zwanzig Minuten am Suska-Kiosk zu treffen.

Yasemin und Turgut wollten gerade die Türe zum Laden öffnen, als ihnen neben den Plakaten ein kleinerer Zettel auf der Ladenpforte auffiel: Liebe Kundinnen und Kunden. Wegen des wichtigen Fußballspiels (nähere Informationen entnehmen Sie bitte den Plakaten), ist unser Laden heute Nachmittag geschlossen. Sie finden uns am Bolzplatz an den grünen Plattenbauten. Dort steht Ihnen unser Service zu Verfügung.
Die Geschwister grinsten sich an und sagten gleichzeitig: „Typisch!“


12. Ein Alptraum wird wahr
Stolz und erhobenen Hauptes kamen die Fünf mit ihrem trainierten Coach am Platz an, wo sich wirklich einige Leutchen zusammen gefunden hatten, um das Spiel zu sehen. Dabei war es doch Nachmittag und die meisten Erwachsenen noch auf der Arbeit. Doch leider gab es ja auch viele Menschen hier, die gar keine Arbeit hatten. Arbeitslose nannte man diese. Für sie war das Spiel eine gelungene Abwechslung.
Von vielen wurden die Kids nett begrüßt und wieder auf die Schulter geklopft. Sogar einige vom Boxclub waren da. Vor allem aber Kinder und Jugendliche aus der Gegend, die sich diesen Kampf nicht entgehen lassen wollten. Der kleine Lars flüsterte seiner Freundin Sonja zu: „Heute wird entschieden, wer hier in den nächsten Jahren die Macht haben wird, ob Cem endgültig der Chef von allem ist.“ Sonja nickte zustimmend.
Am Stand von Turguts und Yasemins Eltern war jedoch wirklich etwas los. Papa Bagcic winkte den Kids zwar freundlich zu, hatte aber viel zu viel zu tun, um sie gebührend zu begrüßen. Die Mama schrie derweil: „Werden Sie fit mit Obst. Obst gibt Power! Holen Sie sich ihren kostenlosen Melonengutschein!“
Ah, dachten die Kids, ein Superangebot lockte die Leute also zu den Bagcics. Klar, dass sich die Geschäftsleute für heute etwas einfallen lassen hatten. Mark entdeckte Kommissar Johnen, der sich scheinbar wieder bequatschen lassen hatte, etwas zu kaufen. Drei vollgepackte Tüten mit dem Werbespruch der Bagcis schleppte er mit sich herum. Kommissar Krause verwehrte ihm die Hilfe. „Trag’ deinen Krempel gefälligst selbst, du Trottel!“
„Guck mal“, bemerkte Mel plötzlich. „Da ist die Oma, wegen der wir überhaupt hier sind.“
Alle reckten ihre Hälse. Mel hatte Recht. Sie entdeckten aber gleichzeitig alle, dass sie in der Ecke stand, in der sich Cems Freundeskreis und Familienbande sowie viele Spieler des SC Mühlheim eingefunden hatten.
„Die hält wohl nicht zu uns“, erkannte Mark und wirkte dabei fast traurig.
„Ist doch egal“, antwortete Yasemin. „Hauptsache, wir halten zu uns.“ Dabei lächelte sie Mark an, nahm seine Hand und drückte sie fest.“
„Das ist die rischtige Einstellung“, meinte Özkan. „Das will’isch von eusch hören!“
In dem Augenblick aber änderte sich die Haltung der Kickers mit einem Mal vom Guten ins Schlechte. Was sie jetzt sahen, war mehr als angsteinflößend. Es war ein gelebter Horrorstreifen.
Denn mit Cem, seinen Freunden Kai und Jascha sowie Adem, tauchte auch Nico Bullitoni auf dem Platz auf. „Ich ahne etwas Schreckliches“, sagte Mark geschockt und griff vor Gräuel erneut nach Yasemins Hand. Die bat: „Lieber Allah, mach`, dass es nicht das ist, was ich denke...“
„... das Nico der fünfte Mann ist“, sprach Mel weiter.
Özkan wusste nicht, worum es ging. Was hatten die Fünf bloß plötzlich? „Was redet ihr da?“
Ermal erklärte: „Den Jungs fehlte noch ihre Nummer Fünf und nun scheint es NICO BULLITONI zu sein.“
Das schockte Özkan nicht. Er zuckte die Schultern und fragte: „Und wer bitteschön ist dieser Nico Bullitoni?“
Turgut antwortete ängstlich und stotternd: „DER BOLZER!“
Die Kids sahen, wie auch Özkan ein Kloß im Hals steckte, den er fix hinunter schluckte. „Der Bolzer wird der genannt?“
Alle nickten und Özkan fühlte sich, als müsste er sich setzen. Doch dann besann er sich, dass er den Kindern Mut und Motivation geben musste. Also sagte er: „Egal. Uns kann auch kein Bolzer von unserem Teamspirit und Kampfgeist abbringen. Habt ihr das verstanden?“
Jo... Hmmm.... Ja.... war die Antwort. Es klang plötzlich alles andere als überzeugend.
In diesem Moment sagte jedoch jemand: „Das ist doch mal eine Einstellung. So gehört sich das für echt Sportler!“
Es war Malik, der Trainer Malik. Er war piekfein angezogen und hatte einen Schiedsrichter neben sich stehen, der wirklich wie im Fernsehen aussah. Eine schwarze Kluft, eine Trillepfeife um sich hängen und in der Brusttasche eine gelbe und eine rote Karte. Malik grüßte Özkan. Sie kannten sich schon lange. Jeder kannte sich hier in der Gegend. Dann sagte der Organisator dieses Spiels: „Das ist Peter Fehrspiel. Er wird die Begegnung heute als Unparteiischer begleiten und flöten. Seid nett zu ihm und spielt vor allem fair!“ Malik begann zu grinsen. „Aber das bezweifel’ ich auch gar nicht“, sagte er mit einem Kniepen im Auge.
Plötzlich, ganz fix, war die Stimmung unter den Fünfen wieder besser, viel besser. Sie vertrauten sich, glaubten an ihr Können und an ein faires Spiel. Wer gerecht spiele, werde auch gewinnen, sagte Ermal und alle stimmten zu.


13. Anpfiff, Anspiel und andere Überraschungen
Das Herzklopfen stieg ins Unermessliche, als Herr Fehrspiel die Spieler auf den Platz bat und er langsam zum Anpfiff kam. Yasemin fühlte, dass sie lieber fort, statt auf den Platz rennen wollte. Nach Hause, am besten unter die Decke und sich verkriechen. Den anderen ging es nicht anders. Alle schauten sie in die stolzen und grinsenden Gesichter der Gegner. Plötzlich spürten sie, dass sie wirklich viel jünger, kleiner und zarter waren als die Bolzplatzjungs.
Ein besonders kalter Schauer ging ihnen den Rücken herunter als sie zuerst Cem, der stolzierte wie eh und je, und dann Nico ansahen. Sein Gesichtsausdruck war konzentriert und gespannt. Es war der Ausdrucks eines Profis. Trotzdem grinste er jeden der Mühlheimer scharf und fast schon gruselig an. Es war schaurig. Unheimlich. Böse.
Doch bevor sie sich weiter in die Hose machten, ertönte der auch schon der Anpfiff von Herrn Fehrspiel. Laut und schrill.
Plötzlich war die Angst und die Panik vergessen. Mit einem Mal ausgeschaltet. Sie rannten los und hatten die Hirne fast ausgeschaltet. Fast. Nur noch das, was zum Fußballspielen nötig war, wurde jetzt abgerufen. Dieser Abruf klappt aber dafür umso besser.
Die Menge tobte. Auf beiden Seiten. Jede Aktion wurde einerseits mit Jubel, von den gegnerischen Fans mit Buhen kommentiert.
„Das ist ja wie im Stadion hier“, sagte Herr Bagcic, obwohl er bislang selbst noch nie im Stadion gewesen war.
„Wenn du meinst“, antwortete seine Frau grinsend und verkaufte nebenbei weiterhin fleißig Obst und Gemüse.

Die Spieler kickten und kickten, ließen sich gegenseitig kaum Chancen, in die Nähe des gegnerischen Tors zu kommen. Dafür sorgte besonders Nico, an den sich die Mühlheimer nur zaghaft herantrauten. Bei den Fünfen selbst war Ermal richtig fit und nahm in der Abwehr den Gegnern den Ball durch schnelle Aktionen und fixe Dribblings immer wieder gekonnt ab.
„Wow, mein Bruder ist aber `ne eschte Nummer“, gab Özkan zu, der sonst immer so kritisch zu Ermal gestanden hatte.
Kurz vor der Pause schaffte es Cem, Mel den Ball abzunehmen und schnurstracks zum Tor zu rennen. Keiner war um ihn herum. Er stand super und schoss drauf los.
In einer geraden Kurve flog das Leder genau auf Mark zu, der im Tor stand. Nein, es sah so aus, als flöge er über seinen Kopf hinweg.
„Oh nein“, schrie Komissar Krause mit einer solch piepsigen Stimme, dass sein Kollege vor Schreck zusammenzuckte und ihn fragend anguckte. Was war das denn für ein Ton gewesen?
Doch Mark sprang aus voller Kraft nach oben, machte sich groß, streckte seine Arme aus und schnappte nach dem Ball. Kaum zu glauben: Er hatte den Megaschuss von Cem gehalten! Unglaublich fand er es, den Ball wirklich in den Händen zu halten und schaute noch drei Mal prüfend darauf, um sicher zu gehen, dass es wirklich passiert war. „Ich hab ihn“, flüsterte er zu sich und schrie dann über den ganzen Platz: „Ich hab ihn!“
Hätte Herr Fehrspiel nicht zur Halbzeit abgepfiffen, hätte Mark den Ball wohl nie mehr her gegeben, so begeistert war er über sich selbst. Yasemin rannte zu ihm und gab ihm ein Küsschen auf die Wange. „Supi gemacht“ sagte sie. Mark wurde rot. Die anderen kamen auch herbei. „Ich bin nicht für’s Knutschen“, grinste Mel. „Aber wenn ich’s gut fände, würde ich dir jetzt auch nen Kuss geben. Das war cool!“
„Aber das Spiel geht weiter“, erklärte Özkan, der sich von hinten angeschlichen hatte. „Es wird eine harte zweite Halbzeit. Isch bin mir sischer: die werden jetzt mit anderen Bandagen kämpfen. Denn eine Niederlage gegen’eusch werden die nicht auf sisch sitzen lassen.“

Und da kam sie urplötzlich wieder. Die Angst.
Die Fünf wurden kreidebleich.
Malik, der zuvor schon bei Cem und seinen Freunden gewesen war, stand plötzlich da und lobte die Kids: „Ein echt gutes Spiel habt ihr bisher abgeliefert. Ihr seid sehr talentiert. Weiter so!“
Und, als ob der Malik zaubern könnte, war der Mut mit einem Mal wieder da.

14. Zweite Halbzeit – Letzte Halbzeit
Es ging also wieder zurück auf den Platz. Beide Seiten mit dem Ziel, nun zu siegen. Dafür musste aber unbedingt die Kiste, das Eckige am Spielfeldrand, getroffen werden.
„Wir werden die klein machen“, hatte Cem kurz vor Halbzeitende gesagt. „Mit allen Mitteln werden wir die schlagen.“ Dabei grinste er Nico an, der ebenso grinsend antwortete: „Ja, mit allen Mitteln.“
„Das packen wir“, schrieen die Kickers auf der anderen Seite, schlugen ein und fühlten sich stark.
„Was meint ihr, was die sich schämen, wenn wir Zwerge diese Riesen besiegen“, meinte Mel. „Die würden sich nicht mehr auf die Straße trauen“, sagte Yasemin.
Voller Tatendrang und Schnelligkeit begann die zweite Hälfte dann auch. Alle rannten auf dem Platz herum, niemand stand still. Jeder wollte hinter ihm her – hinter diesem runden Leder.
Das Publikum spürte die noch größere Spannung, die jetzt anherrschte. Der Nervenkitzel lag in der Luft und färbte auf sie ab. Sie schrieen, schimpften bei Missgeschicken und jubelten bei guten Pässen.
Nico stand besser denn je, wenn man an ihm vorbei wollte und war stets da, wenn jemand der Kickers den Ball besaß. Es geschah aber, dass der kleine Ermal wieder einen Schuss von Turgut geschickt mit seiner Brust stoppte und mit ihm an seinen Füßen in Richtung Tor rannte, in dem Jascha gespannt stand.
Doch jetzt lauerte von rechts Cem, von links Kai und von vorne der Bolzer höchstpersönlich.
„Oh, oh“, dachte Ermal ratlos „Was soll ich jetzt tun?“
„Angreifen!“ war die einzige Antwort, die er fand. „Okay, dann renn’ weiter“, sagte er zu sich selbst
Also legte er noch einen Zahn zu, wehrte jeden Angriff ab und spielte Nico erneut aus. Als wäre der Bolzer gar nicht da, schoss er links an ihm vorbei und rannte urplötzlich ganz allein auf das Tor zu, wo Yasemin schon stand und einen Pass erwartete. „Schieß!“, schrie sie.
„Spiel’ Yasemin an!“, kreischte Özkan vom Spielfeldrand.
Genau das befolgte der kleine Ballkünstler. Yasemin sah den Ball auf sich zukommen. Nur wenige Meter trennten sie vom Tor. Die Chance zum Torschuss würde jetzt da sein! Die Chance zum Sieg.
„Ich mach’ ihn rein!“, rief sie selbstbewusst über den Platz. „Ich pack’ das!“ Doch da hatte sie nicht mit dem Bolzer gerechnet, der plötzlich einen Gang zulegte, lossprintete und schnurstracks auf das Mädchen zugerannt kam.
„Da hast du die Rechnung aber ohne mich gemacht“, versprach er und schaute dabei so böse und so finster, wie es nur ein Bolzer tun konnte.
Yasemin erstarrte vor Schreck.
Auf den auf sie zufliegenden Ball achtete sie kaum mehr. Gerade war sie noch bereit gewesen, ihn mit dem Kopf in das Netz zu verfrachten, aber jetzt sah sie dieses Muskel-Fett-Monster auf sie zukommen.
Die Zeit stand still.
Die Zuschauer hielten den Atem an.
Der Ball fiel, fiel und fiel und Yasemin hätte ihn geradewegs hineingeköpft, hätte der Boltzer seinem Namen in diesem Moment nicht alle Ehre gemacht. Mit aller Kraft, mit voller Wucht sprang er das zerbrechliche Mädchen an und pumpte sie mit vollem Körpereinsatz einfach weg.

Die Zuschauer atmeten immer noch nicht.
Yasemin flog durch die Luft, wie gerade noch das Leder. Sie schwebte fast und stürzte mit einer immensen Wucht auf ihre rechte Seite. Dabei landete sie auf ihrem Unterarm, ihr Kopf kam ebenso auf dem Boden auf.
Krrrrr..... hatte etwas unschön geknackt in dem Moment des Aufpralls. Was war das bloß gewesen? Gut hatte es sich auf jeden Fall nicht angehört.

Die Kickers schrieen.
Die Zuschauer waren schon ganz blau vor Atemanhalten.
Der Schiri kam angerannt.
Die Bagcics auch.
Kommissar Krause schrie: „Foul! Foul! Foul!“ und stupste seinen Kollegen an. „Dafür müssten wir den Jung’ eigentlich verhaften. Das war ja fast ein tätlicher Angriff.“

Keiner sah es, doch Cem grinste hämisch zu Nico und zeigte ihm mit erhobenem Daumen an: „Gut gemacht, Kollege!“


15. Wie geht es weiter?
„Was ist mit meinem Kind?“, schrie Mutter Bagci.
„Lassen Sie mich vorbei!“, bat Malik, der mit einem Erste-Hilfe-Kasten angerannt kam und sich Yasemin widmete. Alles okay?“, fragte er. Dabei war er aber recht ruhig und nicht so panisch.
Komischerweise hatte Yasemin keine Schmerzen. „Mir tut nichts weh. Da war nur dieses Knacken und Knirschen...“
Doch als sie sich mit der rechten Hand aufstützen wollte, war er urplötzlich da: Der schreckliche Schmerz, der ihr, ohne dass sie es wollte, mit einem Mal die Tränen in die Augen schießen ließ.“
„Leg’ dich hin“, forderte Malik und verarztete sie weiter.
Eine riesiger Kreis von Menschen hatte sich um Yasemin gebildet. Schaulustige Leute, die Blut sehen und erfahren wollten, was geschehen war. Schiri Fehrspiel diskutierte derweil mit Cems Team und hielt letztendlich eine Rote Karte für Nico hoch.
Platzverweis. Tschüss, Boltzer!
Gleichzeitiges Buhen und Jubeln war zu hören.
„Das wirst du noch büßen“, versprach Mark, als Nico an ihm vorbeiging. „Keiner foult einen Mühlheim-Kicker!“
„Halt’ die Klappe, kleinerr Schisserrr. Isch bin derrr Bolzerrr und du bist ein Zwerrrg!“
Mark spürte plötzlich das Verlangen in seiner Hand, dem Bolzer kräftig eine zu verpassen. Aber als er es tun wollte, war der italienische Superkicker schon fort.

„Wir rufen den Krankenwagen“, verkündete Malik, stand auf und rief den Zuschauern zu: „Das Spiel ist gelaufen. Es gibt keinen Sieger. Nur einen Verlierer!“
Langsam aber sicher schwirrten die Massen ab. Es gab nichts mehr Aufregendes zu sehen. Auch Cems Team wollte gehen, doch Malik stoppte ihm am Ärmel und sagte bitterböse: „Ihr bleibt! Wir alle haben noch zu reden.“
Als Yasemin und ihre Familie mit dem Krankenwagen auf dem Weg in die Klinik waren, standen die beiden Teams, oder was davon übrig geblieben war, um Malik und lauschten, was er zu sagen hatte.
„Eine Lösung des Problems haben wir jetzt aber auch nicht“, erkannte Ermal. Sein Bruder Özkan stand neben ihm und war noch immer feuerrot vor Wut, machte aber keinen Mucks vor Malik, den er sehr achtete. Von dem wusste Özkan nämlich genau, dass er Aggressivität hasste. Und aggressiv würde er sein, wenn er jetzt nun nur ein Wörtchen sagte.
„Rischtisch“, grinste Jascha. „Also blieve mir! Die Kleenen haben ja net jewonne.“
„Und ihr habt nicht gewonnen“, unterbrach Malik. „Ganz im Gegenteil: Durch dieses unnötige und brutale Foul eures Freundes Nico Bullitoni seid ihr die moralischen Verlierer.“
„Die moralischen Was?“, fragte Cem mürrisch. „Was laberst du? Wenn die Tussi so doof ist und hinfällt.“
Mark und Turgut kochten vor Wut. „Wie hast du meine Schwester genannt?“, fühlte sich Turgut in seiner Ehre verletzt. „Yasemin ist keine Tussi“, meinte Mark, „lass’ dir das gesagt sein!“ Aber Mel beruhigte die zwei. „Bleib´ ruhig und hör’ zu, was Malik zu sagen hat.“
„Trotzdem war abgemacht, dass die Mühlheimer nur hier spielen dürfen, wenn sie siegen“, meinte der Kai. Cems Team grinste. Genau“, unterstrich er.
„Entweder wir wiederholen das Spiel oder es bleibt beim alten“, sagte Malik. Doch den Mühlheimern war gar nicht nach Wiederholen zumute. Sie hatten Angst bekommen. Denn Cem und seine Meute spielten mit unfairen Mitteln, das wussten sie nun. Unfaire Mittel, die gefährlich waren und nun eine von ihnen verletzt hatte. Nein, das musste nicht wiederholt werden, auch wenn Fußball dann für immer gelaufen sein würde.
„Yasemin würde nicht mehr mitmachen“, erklärte Mel. „Und wir spielen wenn überhaupt nur zusammen.“
„Also“, sagte Ermal, „müssen wir euch den Platz überlassen. Glückwunsch!“
Doch in genau diesem Augenblick, als die Vier, die eben noch Fünf gewesen waren, gerade gehen wollten, erklärte Malik: „Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit...“
Die Kids blieben stehen und spitzten die Ohren. Auch Cem, Jascha, Adem und Kai lauschten. Cem bekam ein flaues Gefühl im Bauch. Malik hatte etwas vor, das war klar.
Es hatte mit ihm zu tun. Auch das fühlte er. Doch was war es bloß?


16. „Das hier sind Fußballer“
Spannung herrschte auf dem Platz. Fast so, wie noch wenige Minuten vorher beim Spiel selbst. Alle waren gespannt auf Maliks Vorschlag. Besonders Özkan, der wie ein kleines Kind nervös im Kreis herumlief und wartete. Dabei war er doch eigentlich ein Erwachsener.
„Da ich unfaires Spiel bekanntermaßen nicht leiden kann und grundsätzlich ablehne, kann ich das Verhalten von euch (dabei schaute er den Bolzplatzjungen tief in die Augen) nicht für gut heißen. Solche Spieler möchte ich nicht in meinem Team haben...“
Cem hielt den Atem an. Was hieß das konkret?
„...wenigstens vorerst nicht. Ich beurlaube euch hiermit für die nächsten Wochen und möchte euch bei keinem Training und bei keinem Spiel sehen. Ihr sollt erst einmal nachdenken, was es heißt, einen Mannschaftssport auszuüben...“
„... das haben wir bei Özkan gelernt“, mischte Turgut dazwischen. „Das heißt, an sich, an seine Mannschaft und an den Sieg glauben...“
„... und die Gegner zu respektieren“, erklärte Özkan.
Malik grinste. „Na, habt ihr das gehört?“, fragte er seine Jungs. „Das hier sind Fußballer.“
Cem wurde immer wütender. Es sprang aus ihm heraus: „Das kannst du nicht machen!“
Jascha versuchte, Malik an etwas zu erinnern: „Aber, aber, aber... nächste Woche is’ doch datt große Turnier der Stadtteilauswahlmannschaften. Da spiele mir doch jejen Nippes und Deutz... da brauchst du us doch!“
„Nein danke. Euch brauche ich dafür nicht“, lachte Malik hämisch. „Denn ich habe bereits Ersatz gefunden.“ Dabei schaute er in Richtung der Mühlheim Kickers.
Die fragten im Chor: „Uns?“
Malik nickte zustimmend. „Vorausgesetzt ihr wollt auch in mein Team.“
„Was für eine Frage“, antwortete Ermal. „Klar wollen wir das!“
„Und Ermal wird Cems Rolle als Mannschaftskapitän übernehmen.“
Cem, Kai und Jascha kochten vor Wut, aber nur Adem sagte etwas: „Das geht aber nicht. Die, die, die da kannst du doch nicht einfach so als Ersatz nehmen für uns!“
„Natürlich kann ich das. Spielt ihr hier weiter auf eurem Bolzplatz bis ihr bereit seid, fair zu spielen. Die Mühlheim Kickers dürfen auf jeden Fall nun auf unserem schönen Rasenplatz ran.“
Die Augen von Ermal, Turgut und Mark strahlten. Özkans noch mehr. Doch Mel schaute traurig auf den Boden. „Na toll, für Mädels habt ihr da aber keinen Platz in eurem Team. Da steh’ ich nun allein da.“
„Es stimmt, dass in mein Team nur Jungs hinein können“, streichelte ihr Malik über den Arm. „Aber, glaube mir, für dich und Yasemin habe ich da etwas, was mindestens genau so gut ist.“
„Und was?“
„Um das zu erfahren, musst du dich noch etwas gedulden, bis wir Yasemin besuchen. Vorher muss ich noch einen Anruf tätigen.“
„Dann fahren wir jetzt ins Krankenhaus?“
„Alle zusammen“, schlug Özkan vor. „So, wie wir das kennen.“
„Genau: So, wie die Mühlheimer das kennen“, wiederholte Malik und schaute dabei nur auf Cem, Jascha, Kai und Adem.


17. Die geheimnisvolle Telefonnummer
„Du siehst aus wie eine Mumie“, sagte Mel als sie ihre Freundin mit einem Verband um den Kopf, einem Gips um den rechten Arm und mit einem weiteren Verband um das linke Knie sah. Das war zwar nicht wirklich nett von ihr gewesen, aber Mel hatte ja nur für Aufmunterung sorgen wollen. Und Gott oder Allah sei Dank konnte Yasemin schon wieder lachen. Um ihr Krankenhausbett standen Haufen von vollbepackten Bagcic-Tüten, die vor Früchten fast überquollen. „Da musst du ja schnell gesund werden bei so viel Vitaminen“, erkannte Malik. Yasemin nickte. Das Reden fiel ihr noch sichtlich schwer. Nico hatte sie mächtig erwischt. Ihre vier Freunde waren etwas geschockt über ihren Zustand. Schwach flüsterte sie: „Dabei fühle ich mich gar nicht so schlecht.“
„Das hört sich aber gar nicht so an“, meinte Özkan.
„Am liebsten würde ich raus!“
Turgut erklärte den anderen: „Sie hat eine Gehirnerschütterung, ein gebrochenes Handgelenk und irgend so ´nen Riss im Knie. Das hat der Oberarzt meinen Eltern erklärt.“
„Oh, so wie sich das anhört“, meinte Malik besorgt, „wirst du aber noch etwas hier bleiben müssen. Mit den Dingen ist nicht zu spaßen.“
Yasemin nickte: „Ja, noch wenigstens vier Tage.“
„Sei doch froh“, sagte Mark. „Da musst du wenigstens nicht in die Schule.“ Dann erzählte er: „Ich war auch schon mal hier. Das ist cooler als du denkst. Hier wirst du voll verwöhnt“ Er nahm die Notfallklingel in die Hand. „Und wenn du was brauchst, dann drückst du einfach hier drauf. Dann kommt `ne Schwester und kümmert sich um dich.“
Mel grinste: „Und wenn die Schwester das nicht tut, macht das halt der Mark selbst.“
In diesem für Mark und Yasemin so peinlichen Moment rettete Ermal die Situation. Ihm fiel plötzlich ein: „Wir müssen dir noch was erzählen. Willst du nicht wissen, wie das Spiel jetzt gewertet wird?“
„Klar will ich das.“
Ermal erklärte das tolle Angebot von Malik von A bis Z und schloss mit dem Satz: „ ...und ich bin der Mannschaftskapitän.“ Dabei lächelte er so stolz wie noch nie. Doch auch Özkan stand da neben ihm wie ein echter großer Bruder.
Trotz der Freude für ihre männlichen Freunde, fiel auch Yasemin ein, dass sie, als Mädchen, wohl nicht am Turnier teilnehmen könnte. Mal abgesehen davon, dass sie wegen ihrer Wehwehchen zu dem Zeitpunkt keinesfalls schon Sport treiben dürfte. „Aber Mel und ich haben trotzdem keine Chance, weiter zu kicken“, erkannte sie traurig und eine kleine Träne lief an ihrer Wange herunter.
„Doch, das habt ihr“, versprach Malik.
„Jetzt mal endlich raus mit der Sprache“, forderte Mel. „Weißt du Yasemin, der spannt mich schon die ganze Zeit auf die Folter.“
„Gut, gut“, nickte Malik, zückte einen fetten Filzschreiber aus seiner Jackentasche und schrieb etwas auf Yasemins dicken Gips. 0221-3663558. In schönster Sonntagsschrift.
Yasemin schaute verdutzt und guckte fragend zu Mel, zu Mark, zu ihrem Bruder und zu Ermal. Auch Mel wusste nichts damit anzufangen, was Malik da tat. „Sieht aus wie `ne Telefonnummer“, sagte sie. „Und weiter?“
„Von wem ist die Nummer?“, fragte Yasemin flüsternd.
Malik grinste. „Das wüsstet ihr jetzt gerne?“
Alle nickten. Özkan stupste Malik an. „Jetzt quäl’die nisch so!“
„Okay, okay. Also, unter dieser Nummer erreicht ihr Herrn Jo Geschnatter!“
„Jo Geschnatter?“, wiederholte Özkan und lächelte. „Aha, verstehe“ und kniepte Malik freundlich zu.
„Was ihr Großen nicht alle wisst“, wurde Mel langsam zickiger. „Ich kenn’ den nicht!“
Doch auch Ermal ging ein Licht auf. „Jo Geschnatter. Klar doch. Der Name steht doch dauernd in der Zeitung. Hat der nicht diese super erfolgreiche Mädchenmannschaft, die sogar bis Bayern, Berlin oder Brandenburg reist, um gegen andere Teams anzutreten?“
Mels und Yasemins Augen wurden größer und größer. Mädchenmannschaft? Reisen durch Deutschland?
Das hörte sich ja interessant, ja fast schon genial an.
„Genau“, stimmte Malik zu. „Er kommt aus Deutz und hat auf meine Einladung das Spiel eben beobachtet.“
„Und?“, wollte Mel aufgeregt wissen.
„Hmmm... Na ja...“, versuchte Malik ernst zu sein, schaffte es aber nicht so recht, begann zu grinsen und sagte letztendlich: „Er war hin und weg von euch. Hab noch nie zwei Mädels gesehen, die so sicher mit dem Leder umgehen, ohne im Verein zu spielen, sagte er.... Ihr sollt euch mal bei ihm melden, denn sehr gerne hätte er euch beide in seinem Team....“
Mel und Yasemin strahlten vor Glück. Während Mel laut schrie, verzog Yasemin das Gesicht, da ihr der Jubelschrei, den sie gerade losgelassen hatte, noch sehr weh getan tat. „Er teilte mir allerdings mit, dass du nur unter einer Bedingung zum Training kommen darfst: Dass du dich erst mal richtig ausruhst. Ist das klar?“
Yasemin nickte. Unter den Umständen würde sie jeden klitzekleinen Rat von Ärzten, Eltern, Freunden, Özkans oder Maliks befolgen.
„Unvernünftige Spielerinnen kann er nämlich gar nicht ab“, erklärte Malik zusätzlich. „Genauso wie ich.“
„Ich gehe aber auch nur unter einer Bedingung zu dieser Mädchenmannschaft“, erklärte Yasemin plötzlich und völlig ernst.
Ihre Freunde, Malik und Özkan lauschten gespannt. Was hatte sie zu verkünden?
„Unter der Bedingung, dass ich weiterhin mit Ermal, Turgut und Mark kicken darf und die Mühlheim Kickers zusammen bleiben!“ Dabei lächelte sie schelmisch.
Alle jubelte und schrien „Gute Idee“.
Sie klatschten sich ab, so wie sie es in den letzten Tagen immer getan hatten. Und sogar Malik machte mit.
„Ja ja, die Mühlheim Kickers sind schon was Besonderes. Die gehören einfach zusammen“, sagte er und verabschiedete sich vorerst einmal.
er ein.

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Tag der Veröffentlichung: 15.06.2010

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