Schlimmer konnte es nicht mehr kommen. Da war dieses Horrorzeugnis mit glatten drei Mal Full House, das ihn nach den Ferien in diese Babyklasse verfrachten würde (und alles nur wegen der Lehrer, die ihn eh alle nicht abhaben konnten). Doch als wäre das alles nicht schon schlimm genug gewesen, kam DAS noch hinzu und DAS war echt noch eine Version härter. Ein einziges, bedeutungsloses Mal hatte Jasper DAS versucht, und gleich war alles schief gegangen. Im Gegensatz zu anderen musste Jasper beim Griff in Papas Geldbeutel natürlich sofort erwischt werden. Dabei hatte er sich doch nur 10 mickrige Euro für Max’ Party nachher borgen wollen. Mit dem nächsten Taschengeld hätte er es doch auf jeden Fall wieder zurückgezahlt. Aber das interessierte seinen Vater nicht, als dieser im Türrahmen stand, während Jasper dessen kleine, schwarze Geldbörse in der Hand hatte und vor Scham leicht errötete. „Das wird Konsequenzen haben!“, schrie der Vater wütend und die erste wurde postwendend vollzogen: Mit einem rasanten Tempo war er in Jaspers Zimmer gerannt, hatte alle Kabel des PCs abmontiert und den kompletten Rechner mitgenommen. Wohin, wusste Jasper nicht. Sofort darauf hatte er sich nachdenkend in der Küche verschanzt. Das verhieß Grausames, Schreckliches, geradezu Terroristisches. Sein Heiligtum, seine Welt - der Rechner - war verschwunden und auch Max’ Party konnte er jetzt natürlich abschreiben. Doch das Schlimmste war dieses seltsame Gefühl, das in Jaspers Magen herumkroch und einfach nicht verschwand: Erwischt worden zu sein und zu wissen: „Die Aktion war nicht so der Burner!“ Und dann noch diese Ungewissheit, welche Bösartigkeiten sich sein Daddy als Strafe ausgedacht haben würde. Wie gut, dass kurz zuvor Oma gekommen und ebenfalls in die Küche gegangen war. Oma hatte scheinbar ein gutes Gespür aufzutauchen, wenn Krisen angesagt waren. Sie hatte die phänomenale Fähigkeit, die Stimmung immer etwas aufzuheitern. So auch heute: „Ich habe schon gehört, was passiert ist“, sagte sie ernst, nachdem sie ihren Enkel in die Küche gebeten hatte. „Was soll das denn? So was gehört sich nicht für meinen Jasper.“ „Jetzt verharmlos’ das Ganze bitte nicht, Mutter“, mahnte der Papa. „Mein Sohnemann hat für alles und jeden Zeit, nur für die Schule nicht, ist rotzfrech und jetzt wird er auch noch zum Kriminellen!“ Mit jedem Wort japste Papa nach Luft und seine Gesichtfarbe glich nun der Tomatensauce auf den Nudeln, die sie gerade aßen. „Jetzt reg’ dich mal ab“, maulte Jasper genervt. „Ich hab’ nicht geklaut und ich hatte es auch nicht vor. Nächste Woche wollt’ ich dir das Geld zurückgeben.“ In jenem Augenblick begann der Papa vor Wut heftig an zu schwitzen. Aus allen Poren krochen kleine Tropfen aus ihm heraus. „Und jetzt lügt er mir auch noch frech ins Gesicht“, schrie er nach Luft schnappend. Jasper glaubte selbst nicht, was er gesagt hatte, doch was sollte er tun? Er fühlte so etwas Fremdes, Hilflosigkeit, in sich aufkeimen und das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben. Bei fetten Strafen war sein Vater immer sehr kreativ und äußerst grausam. Jasper dachte dann und wann, dass Strafenausdenken ein heimliches Hobby von ihm war. Was es wohl diesmal sein würde? „Oma, tu doch was!“, bat er innerlich und als ob sie seine Gedanken gelesen hätte, mischte sich die alte Dame beruhigend und leise in das Geschehen ein: „So mein lieber Sohn: jetzt beruhigst du einmal dein erhitztes Gemüt!“ Urplötzlich brachte der Vater kein Wort mehr heraus. Jasper liebte es jedes Mal aufs Neue: Befahl die Oma etwas, gehorchte sein Papa aufs Wort. Um aber darüber zu lachen, dafür war Jasper jetzt zu mies drauf und die Ernsthaftigkeit seiner Großmutter machte ihn zudem nachdenklich. „Du weißt, dass du einen großen Fehler gemacht hast?“ Jasper nickte verschämt. „Du wolltest stehlen, klauen, deinen Vater hintergehen. Das ist der schlimmste Vertrauensbruch zwischen Menschen und hat deinem Vater sehr weh getan.“ Das wusste Jasper und sah, um Verzeihung, bittend zu seinem Vater auf. „Wie dem auch sei“, fuhr die Oma fort, „es ist vorbei, geschehen und wird hoffentlich nicht noch mal passieren! Trotzdem finde auch ich, du musst aus der Sache lernen! Strafen bringen nicht viel. Nennen wir es eine Lehre, etwas, an das du dich erinnerst, wenn du vielleicht noch mal etwas Unrechtes tun willst.“ Jasper ahnte Böses: Spülen bis er 18 war? Computerverbot für immer? Nie mehr Lan-Partys? Skateboard futsch? Oder gar das Schlimmste von allem: In Papas Anwaltskanzlei wieder einmal Akten ordnen, kopieren, den Mandanten Kaffee kochen und das alles im Anzug und ekelhaften, schwarzen Lackschuhen? Bitte, nur das nicht! „Dein Vater hätte dich ja allzu gerne wieder in seinem Betrieb arbeiten sehen“, begann die Oma grinsend, wusste sie doch, wie begeistert ihr Enkel von jener Arbeit gewesen wäre. Da meldete sich der Anwalt höchstpersönlich zu Wort: „Ich hätte dich gerne 24 Stunden unter meiner Aufsicht gehabt, damit du mit deinen seltsamen Skaterfreunden nicht wieder nur irgendwelchen Unfug anstellst oder an deinem PC hängst oder so.“ „Papa hat ja ’ne hohe Meinung von mir“, dachte Jasper. Offenbar war er ein echt dummer Kerl, der nur rum hing, Scheiße baute und für den man sich schämen musste. „Ja, und was muss ich tun, um zu büßen?“, fragte er rotznasig vorlaut. „Jetzt mal ganz ruhig“, meinte die Oma etwas mahnend. „Ich brauche dringend und sofort Hilfe in meinem Garten. Leider bin ich uralt und kam wegen meiner Wehwehchen in den letzten Monaten überhaupt nicht mehr dazu, etwas darin zu tun. Jetzt wachsen mir meine Früchte geradezu über den Kopf, das Unkraut wütet überall, der Rasen ist meterhoch, und Opas Rosen müssen dringend beschnitten werden.“ „Und dafür hast du mich ausgeguckt?“, erkannte Jasper und die Oma nickte. „Okay, gebongt. Werd’ ich mich dann mal in den nächsten Tagen ran begeben“, meinte er locker, sah aber sofort das hektische Kopfschütteln seines Vaters, der ihm streng eröffnete: „Nein, mein Bester! Du wirst morgen früh um spätestens sieben Uhr bei Oma auf der Matte stehen, genauso wie die Tage darauf. Denn das Ganze ist am Sonntag im Reinen, verstanden?“
Wie bitte? Wie sollte Jasper das schaffen? Er kannte den Zustand des Gartens nur zu gut. Oma wohnte direkt neben dem Park, in dem Jasper stets skaten ging. Dort wucherte es, wo man nur hinschaute. „Selbst Superman könnte das in drei Arbeitstagen nicht schaffen!“ Zudem konnte er nicht in den Ferien um sieben Uhr irgendwo auftauchen. Das ging einfach nicht, wenn man erst um vier ins Bett ging. „Wollt ihr mich verarschen?“, fragte er wütend. „Das kann ich doch gar nicht hinkriegen. Wisst ihr zufällig, wie es da aussieht?“ Die beiden nickten grinsend. „Da du ja erstmal keinen PC mehr hast“, meinte der Vater, „wirst du nachts auch nicht mehr stundenlang spielen, so dass du keinerlei Probleme haben wirst, früh aufzustehen und bis abends spät zu ackern.“ Oma lächelte, nahm Jaspers Hand und sagte gewohnt wohlwollend: „Ich freue mich auf dich. Bis morgen.“
Morgen kam schneller als gedacht. Jasper hatte die Nacht über sowieso nicht schlafen können, da ihm seine Freunde, von Max’ LAN-Party aus, unzählige schadenfrohe SMS geschickt hatten, wie „Na alter Gärtner. Haste schon alle Rosen gegossen?“ Daher hatte er auch keine Probleme, um sieben Uhr bei Oma aufzukreuzen, traute jedoch seinen Augen nicht, als ihm diese ein komplettes, frisches Frühstück auf der Veranda präsentierte. „Nimm dir, was du brauchst“, meinte sie. Jasper bekam den Mund nicht zu, als er das reichliche Angebot an belegten Brötchen, Müsli und Aufschnitt sah sowie Kakao, Tee und diverse Säfte. Das war Oma! Und plötzlich drifteten die Gedanken in eine ferne Welt: Träumend blickte Jasper auf das wunderschöne Areal, in dem er so viele glückliche Stunden verbracht hatte. Plötzlich sah er seinen verstorbenen Großvater mit dem Strohhut vor sich, wie er die Rosen penibel hegte. Entschlossen und aus dem Tagtraum erwachend, meinte Jasper: „So, jetzt aber ab an die Arbeit“ und biss herzhaft in ein Leberwurstbrötchen, dessen Geschmack er fast schon vergessen hatte. Die Bilder von früher hatten ihm eine Energie geschenkt, die ihn überraschte. Hinaus und loslegen! Erst einmal begab er sich hin zu den Erdbeeren, die ihn dunkelrot anlachten, zum Naschen einluden und ihm zuriefen: „Hey Jasper, es wird Zeit: Ernte uns!“ Und auch die Himbeerbeeren, die Kirschen und viele andere Früchte meldeten sich, so dass er sich eine der bunten Schüsseln schnappte und sich zunächst dem Obstpflücken widmete. Seine Oma, die heute extrem blass aussah, saß mit einer großen Tasse Kamillentee auf der Veranda, las ein wenig, schaute aber hauptsächlich lächelnd und stolz auf ihren Enkel. Ein wenig vergessen waren die Sorgen: Die Schmerzen, das Alter, ihr Vermieter und seine Drohung… „Ich würde dir so gerne helfen“, rief sie ihm zu, „aber ich bin eben eine alte Frau. Mit einem Bein im Grab!“ Das liebe und dankbare Grinsen seiner Oma ließ Jaspers Schreck über das „Bein im Grab“ etwas vergessen. So etwas wollte er gar nicht hören. Seine Oma war doch noch fast so fit wie ein Turnschuh.
Im Fluge vergingen die Stunden und die Arbeit machte ihm (er glaubte es selbst kaum) sogar ziemlichen Spaß. Sogar das Radio-Programm im Hintergrund, diese „lustige Musi“, jene „Töne aus den schönen Bergen“, machten gute Laune. Zur Not hatte Jasper ja auch noch seinen MP3-Player im Rucksack, den er aber bisher noch nicht vermisst hatte. Das teilte er auch Max mit, der anrief, als Jasper beim Mittagessen, Reibekuchen mit selbst gemachtem Apfelmus, saß: „Du glaubst gar nicht, wie cool das sein kann. Kann man nicht erklären, sag ich dir. Wenn da dieses Unkraut fett vor dir steht, du schnappst es dir und hast es plötzlich samt Wurzel in der Hand… das ist so der Hammer! Dann pflückste leckere Beeren, kannst naschen wie de willst …und dann die geilen Sachen, die meine Oma zubereitet. So ’ne Megastrafe ist das gar nicht: kannst Massen essen und kriegst auch noch fette Muskeln von der Arbeit. Nach dem Wochenende bin ich ’ne Kante!“ All dies hatte Max so überzeugt, dass ihn der Drang packte, seinem Freund beizustehen. „Ist ja eigentlich seine Strafe“ und er wollte ihn damit aufziehen, doch genau das wollte einfach nicht klappen. „Wirst es nicht glauben, aber es ist ’n cooles Gefühl, Bauer zu sein“, lachte Jasper. Zwar war Max noch hundemüde, hatte noch was Restalk inne und auch die Wohnung sah nach der Party verheerend aus, doch seine Eltern kamen ja sowieso erst nächste Woche zurück, und „lange werd ich’s in diesem Garten eh nicht aushalten.“ Also nahm er sich kurzerhand sein Board und fuhr zu seinem Kumpel. Wieso, wusste er nicht. Er wollte einfach hin, und nur schauen, nicht helfen! Doch als hätte ihn ein Voodoozauber gepackt, stand er nur eine Stunde später mit einem Rasenmäher mitten auf der Wiese, ließ sich die Sonne auf den nackten Oberkörper scheinen und wollte diesem Gras den Garaus machen. Na ja, Voodoo war es wohl nicht, eher die Marmeladenbrötchen der alten Dame, die alles andere als eine Hexe darstellte. Außerdem hatte ihn einfach eine unbeschreibliche Mäh-Wut gepackt, als er das hohe Gras vor sich gesehen hatte. „Eigentlich ist das ja deine Strafe“, schaute er Jasper an, „aber ich bin ja ein toller Freund, der immer hilft!“ „Das stimmt“, rief die Oma von der Veranda, während sie drei blaue und zwei gelbe Pillen hinunterschluckte. Das war Jasper unheimlich, doch er traute sich nicht, zu fragen, wogegen das Zeugs wirken sollte. Er mochte es nicht, an die Krankheiten der Oma zu denken. „Glaubt das einer Greisin wie mir: Ein wahrer Freund zeigt sich erst dann, wenn er auch dann zu seinem Kumpanen steht, wenn dieser Mist gebaut hat und dafür gerade stehen muss.“ Die Jungs taten zwar so, als sei die Arbeit im Garten eine wahre Qual, doch sie konnten es einfach nicht verbergen, dass diese Last in Wahrheit anders hieß, und zwar Spaß! Daher ging der Tag auch fixer herum als Jasper das je gedacht hätte. Max und er schufteten bis Sonnenuntergang und wollten beinahe gar nicht aufhören, als sie sahen, was noch zu tun war. „Morgen, sieben Uhr?“, fragte Max, kurz bevor sich beide Jungs absolut platt in ihre Kissen fallen ließen und von Beeren, Gras und Unkraut träumten.
Es war ein verregneter Morgen, an dem sich beide wieder trafen. Der pudelnasse Jasper traf in der Küche auf den bereits frühstückenden Max, der ihm freundlich einen „heißen Oma-Kakao“ anbot, bevor sich beide in die wütenden Schauer begaben und sich dem Unkrautjäten widmeten. „Das ist echt Männerarbeit“, sagte die Oma, was beide seltsamerweise noch mehr anspornte. Zwei Mädels, die am Vormittag am Zaun vorbeizogen, hatten wohl die gleiche Meinung. „Weiter so, Bio ist in!“, riefen sie und der sonst so stille Jasper antwortete kess: „Aber immer doch! Natürlich schöne Mädels auch.“ „Schleimer“, meinte Max, bemerkte aber dann: „Was is’n das für’n Freak?“ Jasper schaute sich um und erkannte den schmuddelig aussehenden Typen sofort, der auf der anderen Straßenseite stand und dessen Bierbauch unter dem viel zu engen T-Shirt zur Hälfte hervorquoll. „Der Freak ist Herr Wenzel, Omas dummer Vermieter“, flüsterte er, „ein Arsch sage ich dir.“ Schon stand dieser bereits am Gartenzaun und grinste die beiden unheimlich an: „Ach, hat sich die alte Frau Pieper jetzt junge Sklaven geholt, die ihre Gartenarbeit verrichten, damit sie nicht endgültig aus der Wohnung geschmissen wird?“ Jasper blieb der Atem stehen. Er ahnte Böses. „Aber ob ihr es bis Sonntag schafft, das Chaos hier ins Reine zu bringen? Ich würde meine Ferien ja anders nutzen. Bestellt der werten alten Dame aber Grüße von Herrn Wenzel und erinnert sie doch bitte meinen Besuch am Sonntag um 10 Uhr.“ Dann drehte er sich um und zog gemein grinsend fort. Sprachlos sahen die beiden Jungs ihm nach. Sie hatten kapiert, was los war. „Der will Oma hier seit Opas Tod raus haben“, erklärte Jasper traurig, „und jetzt hat er es endlich geschafft.“ „Ach blabla, das kriegen wir schon hin“, klopfte Max ihm herzlich auf die Schulter. „Der Garten ist zwar ne Mission Impossible, aber mit den Ideen vom Tom Cruise kann ich’s zehnfach aufnehmen. Ich sag nur Flashmob bei Oma Pieper!“ Sofort verstand der Enkel die Sachlage und meinte: „Du hast zwar ’nen Knall, aber das könnte klappen!“ Fix schnappten sie sich ihre Boards, zwei Riesenstücke des frisch gebackenen Kirchstreusels auf die Hand und verabschiedeten sich. „Ach so“, meinte Jasper noch „und viele Grüße von Herrn Wenzel. Er freut sich, den fertigen Garten am Sonntag betrachten zu dürfen. Stell’ ihm ein Glas deines Likörs hin, er wird ihn brauchen!“ Grinsend zogen sie ab. Rein gar nichts verstand die Oma. Was hatten die beiden mit dem Wenzel zu schaffen? In jenem Augenblick waren sie wieder da: die Sorgen, die Schmerzen. Fast schon abgefunden hatte sie sich mit dem Gedanken, bald ihre Sachen zu packen und in ein Heim gehen zu müssen. Wenzel hatte ihr dieses allerletzte Ultimatum gesetzt, das einfach nicht realisiert werden konnte: „Sonntag, 10 Uhr, ist der Garten in einem tiptop Zustand! Wenn Sie nicht fähig sind, alleine zu leben, wird mein Sohnemann eben ihre Wohnung beziehen!“ War sie zum Leben noch fähig? Rheuma plagte sie seit Jahren und diese Herzschmerzen trieben ihr manchmal die Tränen in die Augen. Tränen überkamen sie auch jetzt, jedoch vor allem wegen dieser Furcht, ihr geliebtes Heim verlassen und ihrem Garten den Rücken kehren zu müssen. Doch diese Tränen hatten keine Chance zu bestehen, denn plötzlich wurde die alte Dame aus ihrer Lethargie gerissen, und zwar von acht Jungen und einem Mädchen, das jedoch ebenfalls aussah wie ein Bub. Alle hatten sie viel zu große Hosen an, standen mit ihren Rollbrettern vor der Türe und begrüßten die Oma stürmisch. „Hier geht ein Flashmob?“, fragte ein Zottel mit strahlend blauen Augen. „Wir sind dabei!“ „Jo, Oma, wir machen dir ’nen Garten Eden bis Sonntag“, schrie ein anderer und haute der Oma auf die Schulter. Die verstand zwar gar nichts mehr - ein Flash-Was?, freute sich aber dennoch über den zahlreichen Besuch und den Teeny-Elan, den sie nun live in ihrem Garten miterlebte. Ackernd, Omas’ Köstlichkeiten essend, leckere, selbst gepresste Sommersäfte trinkend, arbeiteten sie und lachten an einem Band. „Boah, ist das styler hier“, meinte das Mädchen und pflückte einen bunten Blumenstrauß. Hier treffen wir uns öfters nach der Pipe, jo?“ Alle nickten. Die Oma war zwar immer noch überfordert und diese seltsame Musik aus diesen kleinen Geräten war ihr auch etwas fremd, aber sie spürte ein Leben, das sie lange nicht mehr gekannt hatte und welches auch ihr ein Gefühl der Sicherheit gab. Während sie auf der Veranda saß, die Meute beobachtete und ihnen immer wieder etwas zu essen bereitete, dachte auch sie plötzlich: „Es könnte klappen!“ Am Abend, als seine erschöpften Freunde bereits verschwunden waren, gab Jasper seiner Oma einen Kuss auf die Wange und meinte grinsend: „Da siehste mal, was Mistbauen so bringen kann. Hätt’ ich den Kack nicht verzapft, würde der Wenzel gewinnen. Jetzt siegen aber wir!“ Kesse lächelnd antwortete sie: „Na ja, das hätten wir aber auch ohne das böse Wort geschafft. Mit vereinten Familienkräften packen wir das. Unsere Familie ist ja jetzt etwas größer geworden.“
Als hätte die Natur den Tag nur für die Rettung von Omas Heim gestaltet, schien die Sonne aus voller Kraft. Es war angenehm warm, so dass das Arbeiten nicht mühsam, sondern spaßig, locker und leicht von den vielen helfenden Händen ging. In der einen Ecke wurden Zwiebeln geerntet, daneben Kopfsalat und Tomaten. All jene Zutaten wollte Max gerne auf einem Omaburger sehen, nahm sich ein paar Brötchen, die frisch gemachten Frikadellen und legte mit dem Belegen los. Es war kaum zu glauben: Es war Samstagmittag und die Meute hatte es mit vereinten Kräften geschafft, ein Wunder zu vollbringen. Zufrieden schauten alle, Omaburger essend, von der Veranda auf den von der Sonne erhellten Garten, der nicht mehr wieder zu erkennen war: Das Gras wirkte grüner, die Rosen standen in ihren prachtvollen Farben fast schon majestätisch in Reih und Glied am Gartenzaun. Die Blumenbeete waren voller farbenfroher Gewächse, die Gemüsebeete abgeerntet und fast schon übertrieben umgegraben. Es war mucksmäuschenstill, als die große Familie das gelungene Prachtwerk bewunderte. Ein Strahlen war auf allen Lippen zu beobachten. Ein Staunen, es bereits jetzt vollendet zu haben. Was würde bloß dieser Freak sagen, den die Freunde ja bisher nur vom Hörensagen kannten, aber bereits jetzt verachteten. „So was kann man mit so ’ner coolen Oma doch nicht machen“, meinte das Mädchen. „Der Typ hat bestimmt null Freunde!“ „Wir schon“, antwortete die Oma grinsend und entdeckte gleichzeitig in der Ferne eine Person am Gartentor. „Da ist der Freak“, schrie Jasper urplötzlich, rannte los und grüßte Herrn Wenzel höflich: „Möchten Sie hereinkommen?“ Der dicke Herr wirkte verwirrt, fast schon verstört, während er an Max vorbei in den Garten schaute. Nicht einmal flüssige Sätze brachte er hinaus, nur „Äh… öhm…“ hörte Max als Antwort. „Ich weiß“, fuhr Jasper fort, „es ist noch nicht morgen, 10 Uhr, aber wenn Sie doch schon einmal hier sind, wird es Ihnen doch mit Sicherheit gelegen sein, sich diesen tollen Garten bereits jetzt anzuschauen.“ Wie in Trance starrte Herr Wenzel weiterhin vor sich, schüttelte den Kopf, während die anderen Jugendlichen, die Oma stützend, zum Zaun eilten und auf eine Reaktion warteten. „Guten Tag Herr Wenzel“, grüßte die Oma und fühlte sowohl eine Genugtuung, als auch Angst in sich aufkeimen. „Unser Garten ist dank der Hilfe dieser jungen Herrschaften doch ein wahres Glanzstück geworden, oder?“ Die Meute nickte und Herr Wenzel machte in seinem psychotischen Zustand einfach mit. „Ja, ja …“, stammelte er, „das haben Sie alle ganz toll gemacht, nicht mehr wieder zu erkennen ist das alles hier.“ „Warum schauen Sie denn dann so traurig“, fragte das Mädchen keck. „Sie müssen sich doch mit uns freuen. Schließlich ist es Ihr Garten, der ab jetzt von den Fußgängern bewundert wird, wenn sie hier vorbeigehen.“ „Ja, genau“, schrie Jasper. „Alle werden sagen: Der Herr Wenzel hat wirklich ein super Gespür für gute Mieter.“. Dabei kniepte er dieser zu und sah, dass sie die Tränen unterdrückte. Ging es ihr nicht gut? Hatte sie solche furchtbare Angst vor diesem Kerl? „Wieso kommen Sie nicht einfach herein und trinken einen frisch gepressten Apfelsaft mit uns? Einen Apfelsaft aus Ihrem Garten?“ Herr Wenzel wirkte, als sei er soeben aus einer Narkose erwacht. Er schüttelte sich kräftig und antwortete: „Nein danke. Leider habe ich jetzt gar keine Zeit. Ein Vermieter hat viel zu tun, müssen Sie wissen.“ Fix wollte er fliehen und der peinlichen Situation entgehen, doch erinnerte Jasper den Herrn an etwas Grundlegendes: „Herr Wenzel, Sie haben etwas vergessen: Morgen um 10 Uhr wird der Garten nicht anders aussehen als jetzt und Sie möchten doch auch bestimmt am Sonntag was länger schlafen. Darf meine Oma nun hier bleiben oder nicht? Für einen total herunter gekommenen Garten können Sie ja nun nicht mehr kündigen und war nicht genau das der Auslöser?“ Herrn Wenzel überkam ein Schwindelgefühl, das er mit Jaspers Oma teilte. Auch sie hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden. Was sollte er nur antworten? Diese verflixten Jugendlichen hatten ja Recht. Wieso hatten sie der Alten eigentlich geholfen? Sonst waren solche Rotzlöffel doch auch nicht an Omas interessiert. Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, er kam nicht drum herum: „Ja, ein herunter gekommener Garten wäre der Kündigungsgrund gewesen. Den kann ich hier aber nicht erkennen. Somit hat sich das Ganze also erübrigt. So, und nun lasst mich in Ruh’, ich muss arbeiten. Einen angenehmen Tag wünsche ich noch.“ Mit einem grummelnden Geräusch verschwand er und hielt sich die Ohren zu, als er die Jubelschreie vom Gartenzaun in der Ferne hörte. Sie taten ihm weh. Der Meute und der Oma tat an diesem Tage hingegen gar nichts mehr weh. Sie lachten und aßen, tranken sogar ein Likörchen und waren einfach gut drauf. Besser hätte der Tag nicht enden können. Oder doch?
Als Jasper am gleichen Abend in sein Zimmer trat, entdeckte er seinen PC am alten Platz. An ihm hängte ein Zettelchen, auf dem stand: „Bin stolz auf dich!“ Es war Papas Handschrift. Eigentlich hätte er ja etwas zocken können, doch Jasper hatte gar keine Lust drauf. Auch ohne PC war sein Leben gerade im absolut grünen Bereich.
Tag der Veröffentlichung: 23.06.2009
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