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Spent


Leicht brennend läuft die warme Flüssigkeit meinen Rachen hinunter. Das dumpfe Geräusch, als ich das Glas kraftvoll auf den Tisch abstelle, drang nur schwach in mein Bewusstsein, vielmehr konzentriere ich mich auf dieses Gefühl, das sich von meiner Speiseröhre über meinem Brustkorb und nicht viel später in meinen Bauch ausbreitet. Raste mein Herz bis eben noch aufgeregt vor sich hin, als würde es versuchen mir etwas zu sagen, so merke ich, wie es nun langsam wieder zur Normalität zurückkehrt, die Schläge zwar noch kraftvoll aber doch weniger häufig gegen mein Rippen drücken. Wie automatisch muss ich lächeln, als ich das Foto, das vor mir auf dem flachen Tisch steht, wieder wahrnehme.
Meine Augen hatten es zwar keine Sekunde verloren, doch nicht weiter an mein Gewissen geschickt.
Hätte ich dann gekniffen?
Nein, denn es ist besser so, wie es jetzt sein wird.
Zu viele Fehler wurden begangen und zu viele Gefühle verletzt … Nichts wird je wieder so sein, wie es eigentlich sein sollte.
Wer hätte auch gedacht, dass man mit einer kleinen Unachtsamkeit einem wildfremden Menschen das eigene Leben in die Hand legt. Das eigene Glück.
Aber der Fehler lag doch bei mir … wäre ich zu Haus geblieben oder gar an diesem Tag einfach mal nicht aufgestanden und im Bett geblieben, hätte ich das Telefon einfach klingeln und die Zeit verstreichen lassen, bis sie von der Arbeit gekommen wäre, hätte ich den Abend einfach ruhig mit ihr auf dem Sofa genossen und akzeptiert, dass sie nach 12 Stunden im Laden stehen, einfach nur geschafft war und keine Lust mehr auf Party hatte, dann hätte ich niemandem überhaupt erst die Gelegenheit dazu gegeben.
Die Gefahr lauert wohl doch überall und man kann noch so wachsam durchs Leben schreiten … was nicht sein soll, soll eben nicht sein.
Scheinbar ist es doch für jeden vorbestimmt, wo und mit wem man seinen persönlichen Frieden, seine Glückseligkeit, die Liebe findet und wenn man sie gefunden hat, man sie auch behalten darf.
Niemand ist perfekt, wie oft sie mir das gesagt hat, schon als ich klein war. Aber gibt es einem das Recht, auch wenn man nicht perfekt sein kann, die, die man liebt, immer wieder aufs Neue zu enttäuschen, ihnen diesen schmerzvollen Ausdruck in die Augen zu bringen. Ich kann ihn einfach nicht mehr sehen, auch wenn immer wieder alle sagen, ich soll weiter kämpfen, es geht einfach nicht mehr.

Egal was ich mache, wie viele Hürden ich überwinde, wie viele Steine ich beiseiteschiebe, es scheinen immer wieder Neue, Größere und noch Schwerere zu kommen. Als wären die letzten Jahre nicht schon anstrengend genug gewesen.
Warum dürfen die Einen scheinbar unbeirrt glücklich sein und den Anderen wird es immer wieder genommen. Immer wieder wird einem vorgegaukelt, dass es jetzt besser wird, es geschafft ist und Ruhe einkehren wird und dann mit einem Schlag ist nichts mehr, wie es war. Alle sehen einen an, als wenn man ihr Herz mit bloßer Hand auf wenige Zentimeter zusammendrückt und behauten noch, dass man nicht schuld ist. Sie sich einfach nur Sorgen machen und beten, dass das alles ein schnelles Ende findet und dann alles gut werden wird. Aber das wird es nicht, selbst wenn alles aufgeklärt wird, wartet hinter der nächsten Biegung doch schon die nächste Prüfung. Nichts bleibt ohne Konsequenzen und irgendwie scheinen die immer noch einen Tick härter.
Ich will keine Tränen mehr sehen! Tränen, die sie versuchen für sich allein zu vergießen. Ich will keine Wut mehr sehen! Wut, die sie verleugnen, obwohl sie doch so natürlich ist, wie das Atmen der Luft. Ich will diese Luft nicht mehr!
Bis auf einen kleinen Menschen habe ich bis jetzt jeden, der mir wichtig ist, dazu gebracht, den Schmerz, die Tränen und die Wut, die doch eigentlich mir gelten, vor mir zu verbergen.
Glauben wirklich alle ich, sehe es nicht!? Halten sie mich wirklich für SO blind, dass ich nicht merke, wenn sie innerlich resignieren und sich eigentlich nur noch fragen, was wohl als Nächstes kommen wird!? Wann und womit sie als Nächstes enttäuschen werden!?
Und noch viel weniger will ich, dass mich mein eigen Fleisch und Blut, mein Sonnenschein, mein kleiner Engel irgendwann so ansieht! Ich will nicht, dass der Glanz, die Unbeschwertheit, das Lachen ihre Augen verlässt und das wegen mir!

Meiner Familie habe ich es bereits genommen, ihre Mutter ebenso.
Aber ihr werde ich es nicht nehmen, nein!
Sie wird mich vermutlich nicht einmal vermissen, so klein wie sie noch ist. Wenn ich jetzt stark bin, wird sie sich niemals an mich erinnern können. Sie wird die besten Großeltern haben, die ein Kind sich wünschen kann. Ihre Onkel und Tanten werden sich ganz sicher immer liebevoll um sie kümmern und ihr zeigen, wie schön das Leben sein kann. Sie werden sie beschützen, so wie ich es versucht hätte und dabei wohl wieder einmal gescheitert wäre.
Und ihre Mutter wird sie lieben, so wie ich sie lieben würde: Aus tiefsten Herzen!
Und sie wird irgendwann einen Mann finden, der nicht nur sie, sondern auch unseren Sonnenschein auf Händen trägt … so, wie ich es getan hätte, wenn nicht alles anders gekommen wäre.
Irgendwann ist es doch jeder leid für etwas zu kämpfen, oder!? Wenn einem keiner von denen, die wirklich dazu in der Lage wären, helfen will, dann sollte man es wohl lassen, weil es dann scheinbar tatsächlich aussichtslos ist. Keine Heilung, kein Licht am Ende des Tunnels in Sicht ist.
Warum hört dieses blöde Handy nicht endlich auf zu klingeln!?
Ich will jetzt mit niemandem reden… nicht jetzt!
Es kommen doch sowieso wieder dieselben Vorwürfe, dieselben Floskeln, die nichts daran ändern können, wie es nun mal ist … hoffnungslos.
Das ist ermüdend, mein kleiner Engel … mit der kleinen Stupsnase …
Wie gern würde ich dir ein letztes Mal darüber streichen und nicht nur über dieses kühle Glas und den Holzrahmen in meiner Hand.
Aber dann würdest du vielleicht doch noch meine Tränen sehen und mich nicht einfach anlächeln, wie du es bisher immer getan hast, hab ich recht? Du würdest merken, wie es in deinem Vater wirklich aussieht und das wäre das Letzte, was ich will!
Ich liebe Dich!

Ich will, dass du glücklich aufwächst und dir nicht auch noch um mich Sorgen machen musst.
Hält das Leben in dieser Welt doch schon genug Sorgen für einen jungen Mensch bereit. Sorgen, die du aber mit der Hilfe deiner Familie bewältigen wirst … da bin ich mir sicher! Und du wirst deiner Mutter zeigen wie schön es sein kann geliebt zu werden, versprich mir das! Zeig ihr, was ich nie geschafft habe, obwohl es doch eigentlich das Einzige war, was ich je wollte!
Ich wollte ihr die Welt zu Füssen legen und hab sie ein weiteres Mal durch die Hölle gehen lassen.
Aber sie ist stark … viel stärker als ich und sie wird einen Weg finden … ihren Weg, das weiß ich!
Das weiß ich, weil genau das der Grund war, warum sie mich vom ersten Augenblick an so fasziniert hat, auch wenn es überhaupt nicht danach aussah. Der erste Blick in ihre Augen hat es mir gezeigt … hat mir gezeigt, dass es lohnt, auch für sie zu kämpfen!
Aber man sollte aufhören, wenn man merkt, dass man zu erschöpft ist und das Ende nicht das sein wird, was man sich erträumt hat
Ich bin zu erschöpft…
Warum haben sie mir nicht helfen wollen? Warum haben sie mich einfach wieder gehen lassen und gemeint, ich sei gesund?
Weil ich es vielleicht auch bin und nur nicht fähig zu etwas allein zu schaffen?
Das wird es sein … das … wird der Grund sein … auch der Grund, warum ich so erschöpft bin …
Nein, ich will nicht … nicht das Glas sehen … auch nicht diese Schachtel … es soll nicht das Letzte sein, bevor ich …
Ich will meinen Sonnenschein … sehen … und lächeln … wenn … bevor es … dunkel … wird … ich will diese strahlenden … Augen … sehen …
… es wird … dunkel … kalt … ich bin … so … müde … … …

Impressum

Texte: Doreen P.
Bildmaterialien: unbekannt
Tag der Veröffentlichung: 01.04.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Doreen damit deine Kurzgeschichte nicht verloren geht

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