Cover

Kurzbeschreibung

 

 

 

Als Annabel den geheimnisvollen Biker und Oglala-Sioux Hawk kennenlernt, fühlt sie sich sofort zu ihm hingezogen, doch Geheimnisse aus seiner und ihrer Vergangenheit drohen, ihr Glück zu zerstören. Sie gerät in Gefahr, alles zu verlieren, was für sie von Bedeutung ist, inklusive ihrer Freiheit.

 

 

Vorwort

 

 

 

Fiktive Personen können – sofern dies im Plot nicht vorgesehen ist – weder krank noch schwanger werden.

Im echten Leben gilt Safer Sex/Kondome.

 

 

 

Kapitel 1

 

 

 

Annabel Carter

In der Pandora’s Box ist die Hölle los. Klar ist das eine berüchtigte Bikerkneipe, doch ich hätte nicht gedacht, dass ich ausgerechnet gleich bei meinem ersten Besuch dort in solch einen Hexenkessel geraten würde. Gerade noch rechtzeitig gelingt es mir, einem fliegenden Barhocker auszuweichen und einem in meine Richtung fallenden Biker, der von einem anderen eine rechte Gerade eingefangen hat und dadurch beinahe auf mich gestürzt wäre.

Dabei macht diese Gaststätte durch einen seriösen und gepflegten Eindruck. Sie wird von zwei jungen Frauen betrieben. Eine davon, Jeannie Myers, habe ich heute Abend kennengelernt und für sehr sympathisch befunden. Die Ärmste tut mir echt leid, da heute ein paar Arschlöcher offenbar ihren Laden auseinandernehmen wollen. Hoffentlich wird ihr der Schaden ersetzt, denn so etwas kann das finanzielle Aus bedeuten.

Mir reicht es so langsam. Der Trubel ist mir einfach zu viel. Ich werfe das Geld für mein Getränk nebst dem Trinkgeld auf die Theke. Zielstrebig wende ich mich dem Ausgang zu, was gar nicht so einfach ist in dem Chaos, zumindest, wenn man nicht zu Boden gehen oder sich einen Schlag einfangen will.

Es gelingt mir, die Gaststätte unbehelligt zu verlassen. Erleichtert atme ich auf, doch weit komme ich leider nicht. Zwei schmierige Typen, die es bereits in der Gaststätte auf mich abgesehen hatten, stehen mir plötzlich im Weg. Offenbar hatten die sich in der Seitengasse versteckt, die ich gerade hatte passieren wollen. Ich dachte, die hätten das Interesse an mir verloren und längst das Weite gesucht. Waren die nicht schon vor einer viertel oder halben Stunde gegangen? Konnten diese Idioten nicht drin bleiben, um sich die Fresse polieren zu lassen?

Nun stehen die schlechtrasierten Typen mit ihrem fettigen Haar vor mir und grinsen mich schmierig an.

»Na, Kleine, hast du schon was vor?«, spricht mich der Größere von beiden an, der einen zotteligen Bart besitzt. Während er spricht, zeigen sich bräunlich verfärbte Zähne.

»Natürlich«, antworte ich und will an ihnen vorbeigehen, doch die Typen stellen sich mir in den Weg. Sie drängen mich trotz meiner Versuche, zu entkommen, in die Seitengasse. Vor mir hatten doch auch ein paar Leute die Kneipe verlassen. Wo sind die nur alle hin?

»Du bist doch eine von diesen Barschlampen«, spricht er weiter.

Heiße Wut steigt in mir auf. Ich trage zwar ein enges, rotes Shirt mit einem etwas größeren Ausschnitt, aber das allein macht mich sicherlich nicht zu einer Schlampe oder zu Freiwild. Was bilden diese Idioten sich eigentlich ein?

»Lasst mich in Ruhe!« Als ich mich an ihnen vorbeischlängeln will, hält mich der eine Typ am Arm fest und sein kleinerer Freund greift mir an den Hintern.

Ich knalle ihm daraufhin eine.

Überrascht starrt er mich an. »He, was soll das, du Hure?«

»Ich bin keine Hure. Lassen Sie mich sofort los!«, schreie ich wütend.

»Habe ich nicht vor. Du wirst uns heute den Abend versüßen, Schlampe«, sagt der Kleinere, der eine speckige, braune Lederjacke trägt und einen rausgewachsenen, dunkelblonden Kurzhaarschnitt besitzt. Als er sich an mich drängt, rieche ich abgestandenes Bier.

Ich will vor ihm zurückweichen, doch ich komme nicht weit, da sein Kumpan hinter mir steht. Dann greift der Kleinere nach dem Verschluss meiner Jeans. Trotz meiner Gegenwehr gelingt es ihm, sie zu öffnen, da ihm der andere hilft, mich festzuhalten. Er versucht, sie mir abzustreifen.

Panik steigt in mir hoch und die grauenvollen Erinnerungen an jenen Abend vor etwa einem Jahr, als mich ein Maskierter in der Tankstelle meines Halbbruders hatte vergewaltigen wollen. Nur sehr knapp bin ich diesem grausamen Schicksal damals entkommen.

Ich bedaure es, dass Sheila mich nicht hat begleiten können. Sie selbst dachte, es wäre sicher in dieser Kleinstadt. Wir sind hier ja schließlich nicht in der Bronx. So kann man sich täuschen ... So etwas kann einem wohl überall passieren.

Da sie zu zweit sind, stehen meine Chancen weitaus schlechter als damals, aber wenn sie mich schon vergewaltigen, dann will ich bei ihnen so viel Schaden wie möglich anrichten.

Ich stampfe dem Kleineren, so fest ich kann, auf den Fuß, knalle ihm mein Knie in die Eier und schreie, so laut es mir möglich ist. Dann dränge ich mich an ihm vorbei. Doch weit komme ich nicht, da schlingt der Größere seinen Arm um meinen Leib. Mit einer Hand hält er mir den Mund zu. Das hält mich nicht davon ab, den anderen nochmal zu treten und auch dem Größeren mit voller Wucht mit dem Fuß gegen das Schienbein zu dreschen. Ich versuche, ihm in die Hand zu beißen, doch er hat mich leider zu fest im Griff dafür.

»Die Schlampe ist ganz schön wild«, sagt mein Angreifer und packt mein Haar, um damit meinen Kopf schmerzhaft nach hinten zu reißen. Er lacht böse, beißt mich in den Nacken und bläst mir seinen widerlichen Alkoholatem ins Gesicht. »Mit der werden wir unsere Freude haben.«

»Das sehe ich anders«, vernehme ich die tiefe Stimme eines Fremden, der plötzlich aus dem Dunkel der Nacht aufgetaucht ist. Ich kann nicht sagen, ob er aus der Kneipe oder aus einer der Gassen gekommen ist, da ich abgelenkt gewesen bin.

Sein Gesicht liegt im Schatten, doch sehe ich, dass er groß ist und langes, sehr dunkles Haar besitzt. Es scheint sich um einen der Biker zu handeln, da ich die übliche Weste erkenne. Er tritt näher.

»Misch dich nicht ein, Freundchen, dann reichen wir sie später vielleicht an dich ...«

Weiter kommt der Kleinere nicht, da verpasst ihm der Neuankömmling eine rechte Gerade. Mein Retter drischt auf ihn ein, bis er nach kurzer Zeit zu Boden geht unter dem Ansturm der Schläge.

Dann wendet sich der Biker dem Größeren zu, der mich noch immer festhält. Ich habe mich nicht geirrt. Er ist ein amerikanischer Ureinwohner, möglicherweise einer der Cherokees, die hier in der Gegend leben. Er trägt einerseits einen traditionellen Choker am Hals, aber auch die Abzeichen eines Motorradclubs auf seiner Jeansweste. Devil’s Neighbors Beavers habe ich vorhin, als er gekämpft hat, auf seinen Rücken-Patches gelesen. Beavers ist unsere Stadt, es handelt sich wohl um deren Gebiet.

An den muskulösen Armen erkenne ich Tattoos. Seine Augen sind dunkel, beinahe schwarz, soweit ich das beim Licht der Straßenlaterne erkennen kann, und sein Haar reicht ihm über die breiten Schultern. Er besitzt hohe Wangenknochen, eine gerade Nase, ein kräftiges Kinn und sinnlich gerundete Lippen.

Ein Traummann, schießt es mir durch den Kopf. Welch absurder Gedanke in solch einer Situation. Außerdem hat mich einer dieser Mistkerle noch immer in seinen Fängen. Ich strample heftig und trete, um es meinem Angreifer so schwer wie möglich zu machen.

»Lass sie sofort los, du Schwein«, sagt mein Retter mit Abscheu in der Stimme.

»Hol sie dir doch, du dreckiger Indianerarsch«, höhnt er.

Mein Herz klopft schneller. Gleich wird die Situation eskalieren. Hoffentlich kann mein Retter es mit zwei Typen auf einmal aufnehmen, denn kräftemäßig sind mir die Männer weit überlegen. Auch beherrsche ich keine Kampfkunst, was ich niemals mehr bedauert habe als jetzt. Wenn ich damals die Zeit gehabt hätte, dann hätte ich eine erlernt, aber mein Halbbruder und mein Vater haben das nie für nötig gehalten. Scheiß auf die verdammte Tankstelle!

»Wie hast du mich genannt?«, fragt mein gutaussehender Retter gefährlich leise.

»Einen dreckigen Indianerarsch, du elender Wichser.«

Mein Retter stürmt auf uns zu, und ehe ich mich versehe, stößt mich der Angreifer zur Seite. Ich falle hin und prelle mir dabei leicht die Hüfte, rapple mich aber sofort wieder auf, um mit zitternden Knien stehenzubleiben.

Eigentlich sollte ich weglaufen. Wenn die Möchtegern-Vergewaltiger gewinnen, dann sieht es verdammt schlecht für mich aus. Aber was würden sie dann mit meinem Retter machen? Ihn stiefeln, bis seine Rippen brechen, seine Organe verletzt werden und er womöglich innerlich verblutet? Es gibt solche Schweine, und ich wette, dass diese beiden dazugehören. Nein, ich kann ihn nicht im Stich lassen, wenn er so mutig für mich gegen zwei eintritt.

Mit zitternden Händen schließe ich mir die Hose. Leicht beschämt frage ich mich, ob mein Retter wohl meinen dunkelroten Spitzenslip erblickt hat. Nein, der hat bestimmt auf ganz andere Sachen geachtet, das musste er ja auch.

Dann greife ich nach meinem Handy und gebe mit zitternden Händen die Rufnummer der Polizei ein. Hastig teile ich den Vorfall, meinen Namen und Aufenthaltsort mit. Der Herr am Telefon versichert mir, dass sich mindestens eine Streife in der Nähe befindet und bald bei mir vorbeischauen würde. Hoffentlich kommt die noch rechtzeitig.

Vielleicht kann ich meinem Retter in der Zwischenzeit irgendwie helfen. Ich sehe mich nach irgendwas um, das ich als Waffe verwenden könnte, finde aber nichts.

Der große Bärtige verpasst meinem Retter einen Tritt in den Magen. Der klappt daraufhin zusammen, fasst sich aber erstaunlich schnell wieder. Mein Retter springt vor und will dem Angreifer einen Schlag ins Gesicht verpassen, doch der ist schneller und springt zur Seite.

Da erkenne ich, dass es sich um eine Finte gehandelt hat, denn der Angreifer läuft geradewegs in die Faust der anderen Hand und taumelt zurück. Dabei stürzt er über das ausgestreckte Bein meines Retters, geht zu Boden und knallt mit dem Kopf auf den Asphalt.

Erleichtert atme ich auf. Manchmal gewinnen also doch die Guten.

Mein Retter kommt auf mich zu. »Alles in Ordnung?« Besorgt lässt er seinen Blick über mich gleiten, unter dem mir ganz heiß wird. Dieser Typ strahlt Sex pur aus. Was bin ich nur für ein verrücktes Weib, an so etwas zu denken, wenn ich gerade eben erst einer Vergewaltigung entkommen bin?

Am liebsten würde ich nach Hause rennen und mich drei Stunden lang duschen, um die Berührungen dieser schmierigen Typen von mir herunter zu waschen.

Meine Knie zittern immer noch und ich fühle mich schwach. Körperlich bin ich wohl unversehrt, von ein paar Prellungen und Kratzern abgesehen. Mal abwarten, wie ich mich morgen fühlen werde ...

»Es geht so. Und wie geht es Ihnen?«, frage ich mit bebender Stimme, »danke, vielen, vielen Dank für die Rettung. Wer weiß, was diese Kerle sonst mit mir gemacht hätten.« Wenn ich nur daran denke, läuft mir ein eisiger Schauer über den Rücken.

»Mir geht es gut. Ich vertrage einiges. Keine Ursache. Das ist eine Selbstverständlichkeit.«

»Ist es nicht. Viele schauen bei so was weg.«

»Ich aber nicht.« Er sieht mich nachdenklich an. »Du wirkst so blass.« Als er nach meinem Arm greift, trifft es mich wie ein Stromstoß. Ist schon allein seine Nähe auf erotische Weise beunruhigend, so erzeugt die eigentlich harmlose Berührung an meinem Handgelenk ein Prickeln, das sich durch meinen gesamten Körper zieht. Dieser Mann hat eine unglaubliche Wirkung auf mich.

Da ich mit derart starken Empfindungen nicht gerechnet habe, zucke ich leicht zusammen, was er offenbar fehlinterpretiert, da er sogleich seine Hand zurückzieht. Ich bedaure das. Vielleicht sollte ich lieber froh darüber sein, denn mein Leben ist auch so schon kompliziert genug. Schließlich kenne ich diesen Mann gar nicht und sollte froh darüber sein, dass er auf Abstand geht.

»Es tut mir leid«, sagt er.

»Schon gut. Ich habe die Polizei angerufen«, sage ich. Meine Stimme bebt nach wie vor, doch diesmal aus einem anderen Grund ... Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Nach dem Erlebnis sollte es eigentlich anders sein ... Aber er geht mir einfach unter die Haut.

»Das ist gut«, meint er. Seine Stimme klingt so samtig und tief. Ich könnte dahinschmelzen.

Reiß dich zusammen, ermahne ich mich. Ich wende meinen Blick von meinem Retter ab.

Besorgt sehe ich die beiden Angreifer an. Der Kleinere von beiden hat den Arm bewegt. Sicherlich wird er bald aufwachen.

»Und was ist, wenn die Typen aufwachen, bevor die Polizei kommt?«, frage ich.

»Wenn es nicht anders geht, muss ich sie eben nochmal zusammenschlagen. Ich heiße übrigens Hawk.«

»Aha, einer der clubüblichen Spitznamen oder ist das dein Ureinwohner-Name?« Soweit ich weiß, mögen sie es nicht, als Indianer bezeichnet zu werden.

»Beides. Und wie heißt du?«

»Annabel.«

Er schenkt mir ein warmes Lächeln, das seine dunklen Augen erreicht. »Das ist ein schöner Name.«

Meine Knie werden weich, und in meinem Magen tanzen Schmetterlinge.

Glücklicherweise fährt kurz darauf ein Streifenwagen vorbei und hält vor uns an. Wer weiß, was ich sonst getan hätte. Hinter ihm folgt ein zweiter.

Ich sehe vier Polizisten aus den beiden Wagen steigen und auf uns zulaufen. Sie werfen Hawk misstrauische Blicke zu, was mich verärgert, da diese überhaupt nicht gerechtfertigt sind, und kommen dann auf mich zu. Hinter ihnen trifft ein Krankenwagen ein.

»Sind sie Ms. Carter?«, fragt mich ein großer Blonder mit Brille namens Smith, wie ich auf seinem Namensschild lesen kann.

Ich nicke. »Ja, ich habe bei Ihnen angerufen.«

»Wollten diese beiden Bewusstlosen Sie vergewaltigen?«

Was für eine Frage. Das hatte ich denen doch schon am Telefon mitgeteilt.

Ich nicke. »Ja, das war ihre Absicht. Sie haben es mir gesagt und einen entsprechenden Versuch gestartet.« Wenn ich daran denke, wie knapp das war, wird mir schlecht.

Hawk. »Das war eindeutig ihre Absicht. Ich habe auch alles mitgekriegt. Ich bin der Lady zur Hilfe geeilt, bevor es zu Schlimmeren kommen konnte.«

Der dunkelhaarige Polizist legt den beiden Bewusstlosen inzwischen Handschellen an, nachdem der Notarzt beschlossen hat, dass ein Klinikaufenthalt nicht nötig ist. Mich will er allerdings mitnehmen mit dem Hinweis auf den erlittenen Schock, was ich sogleich ablehne, denn ich will jetzt nicht in einer fremden Umgebung sein.

Der grauhaarige Polizist aus dem zweiten Auto legt Hawk zu meiner Überraschung und meinem Entsetzen auch Handschellen an.

»Warum wird er auch verhaftet?«, frage ich stirnrunzelnd.

»Weil wir die Sache untersuchen müssen«, antwortet der dunkelhaarige Polizist.

»Er hat aber nichts getan. Die Sache ist eindeutig.« Schließlich bin ich die Zeugin. Verdammt nochmal. Ich fühle mich wie im falschen Film.

»Nichts getan? Er hat Körperverletzung begangen. Ob diese verhältnismäßig ist, müssen wir erst noch feststellen.«

Ich starre die beiden ungläubig an. Das kann doch nicht deren Ernst sein. »Nicht verhältnismäßig? Diese Arschlöcher wollten mich vergewaltigen und hätten mich danach vielleicht noch getötet oder zumindest schwer verletzt, und sie hätten es auch geschafft, wenn er nicht gekommen wäre, um mir zu helfen. Ihn jetzt zu verhaften, das ist mit Sicherheit unverhältnismäßig! Man kann doch nicht Leute dafür bestrafen, dass sie anderen zur Hilfe eilen. In was für einem Land leben wir eigentlich?«, schreie ich wütend und fassungslos.

»Eben das werden wir feststellen, und Sie kommen auch mit. Wir müssen Sie ebenfalls eingehender befragen.«

Sie wollen also eine Zeugenaussage, gut, das werde ich durchstehen, wenn diese beiden Arschlöcher dafür in den Knast einwandern.

Mich wundert es nur, dass die nicht mitgekriegt haben, dass in der Pandora’s Box eine Schlägerei stattfindet. Allerdings vernehme ich von dort aus nichts mehr. Offenbar ist die vorüber. Oder sie haben mitgekriegt, dass die Streifenwagen vorgefahren sind, und verhalten sich jetzt ruhig. Andererseits sind schon einige Typen vor mir rausgestürmt. Da wir uns in einer der Seitengassen befinden und wirklich sehr beschäftigt waren, kann es allerdings sein, dass wir gar nicht mitgekriegt haben, wie der Rest von denen abgehauen ist.

Wenn ich die Polizei dort reinschicke, verhaften sie alle, und ich will den Barbetreiberinnen und auch Hawks Club keinen Ärger bereiten. Außerdem wäre mein Fall für die Polizei verglichen mit einer Schlägerei unter Bikern wohl uninteressant und sie würden ihn schnell abhaken. Traurig aber wahr, dass selbst eine Steuerhinterziehung für die wohl wichtiger ist als eine Vergewaltigung. Das Strafmaß dafür ist deutlich höher, wie ich aus den Nachrichten weiß.

Also setze ich mich in den Fond des einen Polizeiwagens, die beiden Gefangenen und Hawk werden in den anderen verfrachtet, und dann fahren beide Fahrzeuge los. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass mehrere Personen die Pandora’s Box verlassen, ich kann aber nicht erkennen, wer, dann biegen wir schon um die nächste Straßenecke.

Schnurstraks geht es zum Polizeipräsidium, wo man uns alle aussteigen lässt. Hawk führt man gleich in eine andere Richtung ab, sodass ich kein Wort mehr mit ihm wechseln kann. Darüber bin ich gar nicht glücklich. Was haben sie mit ihm vor?

»Was passiert mit Hawk?«, frage ich, als man mich allein in ein Gebäude bringt. Ich muss durch einen langen Flur und schließlich in einen Raum gehen, in dem ein grauer Tisch, vier mit Stoff bespannte schwarze Metallstühle und einige Aktenregale stehen.

»Hawk? Heißt so dieser Indianer? Sind Sie mit ihm also schon auf der Vornamensbasis?«, fragt mich Mr. Smith mit einem skeptischen Blick.

Ich glaube, Vorurteile herauszuhören, kann mich aber auch irren. Viele meiner Landsleute haben diese gegenüber den Ureinwohnern, also wäre das nicht aus der Luft gegriffen.

»Was wird mit ihm geschehen?«, frage ich.

»Er kommt in Untersuchungshaft.«

Erneut flammt Wut in mir auf. »Untersuchungshaft? Er ist unschuldig. Er hat nichts getan, außer mir zu helfen. Ist das neuerdings strafbar?«

»Wir haben seine Personalien aufgenommen und sehen Bedarf darin, ihn aus dem Verkehr zu ziehen, bis wir den genauen Tatablauf ermittelt haben. Schließlich ist er einer dieser Biker. Die sind doch alle kriminell.«

»Er hat mich gerettet! Verdammt nochmal! Und Motorrad zu fahren und einem Club anzugehören, macht einen nicht automatisch zu einem Kriminellen«, brause ich auf.

»Beherrschen Sie sich!«

»Das alles hier ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Er mag ein Ureinwohner und ein Biker sein, aber er hat nichts getan, außer mir zu helfen. Sie können doch keinen Unschuldigen dafür bestrafen, dass er mir zur Hilfe geeilt ist!«

»Das festzustellen müssen Sie schon uns überlassen. Setzen Sie sich bitte. Sie machen mich ganz nervös.«

Es ihnen überlassen? Denkt er, ich wäre blöd? Andererseits sehe ich, dass ich so nicht weiterkomme.

Jetzt erst bemerke ich, dass ich unruhig von einem Bein aufs andere trete. Ich lasse mich auf den Stuhl nieder, der der Tür am nächsten ist. In welchen Schlamassel bin ich hier nur reingeraten? Ich will Hawk keinen Ärger bereiten. Die Täter sollen bestraft werden, nicht der Unschuldige. Ich bin fassungslos.

Der Polizist setzt sich mir gegenüber. »Kaffee oder Mineralwasser?«

»Danke, nichts.« Von dem nehme ich mit Sicherheit nichts an.

»Wie Sie wollen.«

Als Nächstes nimmt Mr. Smith meine Personalien auf und gibt sie in seinen Computer ein.

Dann faltet er die Hände vor sich auf dem Tisch. »Nun, hat jetzt eine Vergewaltigung stattgefunden oder nicht? Wird ein Arzt benötigt? Ich kann Sie schnell zur Klinik fahren.«

Ich schlucke. »Das ist nicht nötig. Es hat keine Vergewaltigung stattgefunden, auch wenn es sehr knapp war.«

»Dann muss ich ja keine meiner Kolleginnen anrufen, und Sie können mir alle Fragen beantworten. Von denen ist im Moment keine vor Ort. Es würde länger dauern, bis eine kommt.«

Ich weiß nicht, ob das so richtig ist, aber mir ist kalt und ich fühle mich zu erschöpft, um jetzt mit ihm darüber zu diskutieren. Außerdem will ich es so schnell wie möglich hinter mich bringen und dann nach Hause fahren.

Er sieht mich an. »Also: Was genau haben die beiden getan und gesagt, um den Verdacht nahezulegen, dass sie beabsichtigten, Sie zu vergewaltigen?«

Erneut steigt Wut in mir auf. Reicht es denn nicht, dass die mir die Hose aufgemacht haben? Muss wirklich immer erst das Kind in den Brunnen gefallen sein, damit was unternommen wird?

»Sie haben sich mir in den Weg gestellt, mich als Barschlampe und Hure bezeichnet, mir an den Hintern gefasst, mir angekündigt, dass ich ihnen die heutige Nacht versüßen werde, mir die Jeans geöffnet und versucht, diese herunterzuziehen. Dann ist Hawk gekommen. Ohne ihn wäre Schlimmeres passiert.«

»Warum haben Sie den Tatort nicht einfach verlassen?«, fragt er in aller Seelenruhe.

»Die standen mir im Weg und haben mich in diese Sackgasse gedrängt.«

»Ich vermute, sie waren zuvor in der Pandora’s Box gewesen. Warum sind Sie nicht umgedreht und haben die Gasse verlassen, um das Gebäude wieder zu betreten?«

»Weil einer der beiden hinter mir gestanden und mir nicht nur den Weg versperrt, sondern mich auch von hinten festgehalten hat.«

»Kannten Sie diese beiden Männer?«

»Ich habe sie zuvor in der Kneipe zum ersten Mal gesehen. Sie schienen angetrunken gewesen zu sein. Ich vermute mal, sie haben mir draußen aufgelauert, da sie mindestens eine viertel Stunde vor mir das Gebäude verlassen haben.«

»Auch das alles werden wir noch feststellen.«

»Verdammt nochmal, die haben gestunken, als hätten sie in Bier und Whiskey gebadet!«

»Sie brauchen nicht so laut zu werden, ich verstehe Sie auch so.«

»Ich möchte Anzeige gegen die beiden Männer erstatten.«

»Das werde ich aufnehmen. Sonst noch etwas?« Er wirkt jetzt leicht ungeduldig. Es ist offensichtlich, dass er mich aus seinem Büro haben will. Ich bereue es inzwischen, nicht darauf bestanden zu haben, von einer Frau befragt zu werden. Womöglich wäre die freundlicher gewesen.

»Kann ich jetzt gehen?«

Er nickt. »Ja, ich brauche Sie nicht mehr.«

Mit wackeligen Knien verlasse ich den Raum, gehe durch den halbdunklen Flur und trete durch die Haupttür nach draußen.

 

Kapitel 2

 

 

 

Annabel

Tage später

»Du wirkst so nachdenklich. Was belastet dich?«, fragt mich Sheila, meine blonde Freundin, bei der ich nach wie vor wohne, da ich mir derzeit noch keine eigene Wohnung leisten kann.

Wir sitzen gerade zusammen bei einem Glas Rotwein an der anthrazitfarbenen Küchentheke. Dieser Raum ist Küche, Wohnzimmer und mein Schlafraum in einem. Zum Glück ist das Ausklappsofa recht bequem. Der Couchtisch ist winzig, dafür besitzt die Glasplatte den schwarz-weißen Foto-Druck einer Straße von New York. Nur die Taxis sind gelb eingefärbt, was einen interessanten Kontrast bildet.

»Es ist wegen dieser Sache damals«, antworte ich ihr.

»Die mit der Pandora’s Box oder die mit der Tankstelle?«

»Wegen Ersterer. «

»Sind die Typen nicht inzwischen verknackt worden?«, fragt sie interessiert.

Ich nippe an meinem Wein. »Ja, sie haben ein halbes Jahr Knast bekommen und noch ein halbes Jahr auf Bewährung. Schließlich sei nicht wirklich was vorgefallen. Vermutlich werden sie bei guter Führung auch noch vorzeitig entlassen werden. Das würde mich jedenfalls nicht wundern«, sage ich sarkastisch. Wenn ich nur daran denke, steigt die Wut in mir hoch. Wann werde ich mich überhaupt jemals wieder sicher fühlen?

Sheilas Augen blitzen vor Empörung. »Das ist lächerlich und ein verdammter Witz, aber ein echt schlechter. Erst letztens haben sie einen für Steuerhinterziehung für fünf Jahre verknackt. Was sie dir antun wollten, hätte für immer dein Leben ruinieren können. Geld, vor allem, wenn es dem Staat gehört, ist offenbar wichtiger als die körperliche Unversehrtheit der Bürger. Ungerecht ist das, so verdammt ungerecht.«

Ich nicke. »So ist es. Und ich weiß nicht mal, was aus Hawk geworden ist.«

Sie seufzt. »Hawk – was für ein Name. Dein Retter, ein Biker und Indianer. Wie aufregend.«

»Sie nennen sich selbst Ureinwohner. Den Begriff Indianer mögen sie nicht.«

»Ja, dieser Ureinwohner-Biker. Ich werde auch nie wieder du weißt schon was sagen. Sieht er denn gut aus?«, fragt sie mit glänzenden Augen.

»Oh ja, sehr, aber an dem Abend hatte ich wirklich was anderes im Kopf.«

»Das verstehe ich. Aber du bist schon recht lange Single. Sind es jetzt nicht schon zwei Jahre? Oder ist es unangebracht, jetzt schon danach zu fragen?«

»Nur anderthalb. Ich hatte einfach nicht die Zeit dazu, aber was soll’s. Ich gehe nicht um jeden Preis eine Beziehung ein. So etwas kann nur in die Hose gehen. Ich kann auch gut allein sein und muss keine faulen Kompromisse eingehen.« Wenn ich an die Beziehung zwischen meinem Halbbruder und Mara oder an die meines Vaters denke, bin ich wirklich lieber allein.

»Nach der Sache damals ist das verständlich«, meint Sheila.

»Ganz genau. Außerdem habe ich wirklich genug anderes zu tun. Wie etwa, mir einen Job zu suchen.« Ich kann und will nicht ewig bei Sheila leben, dafür ist ihre Wohnung zu klein. Wir treten uns jetzt schon gegenseitig auf den Füßen rum. Aber um mir eine eigene Wohnung leisten zu können, brauche ich erstmal einen Job, in dem ich genügend verdiene.

»Das Problem ist, dass ich keine Ausbildung habe, und in einer Tankstelle möchte ich wirklich niemals mehr arbeiten.«

»Dein Halbbruder war wirklich ein verdammter Ausbeuter und dein Vater zuvor auch. Normalerweise hättest du dir bei deinem sparsamen Lebensstil ein paar Rücklagen schaffen können.«

Es stimmt leider. Schon mein Vater war ein Sklaventreiber gewesen, der nicht mal vor den eigenen Familienangehörigen haltgemacht hat. Im Gegenteil sprang er mit mir viel härter um als mit anderen, und der Verdienst war ein Witz gewesen. Er dachte wohl, ich solle froh sein, bei ihm schuften zu dürfen. Und meine Kollegen hatten immer geglaubt, ich würde bevorzugt werden. Wenn die gewusst hätten, wie es wirklich aussah ...

Seit mein Halbbruder Mike vor zwei Jahren die Tankstelle übernommen hat, ist es noch viel schlimmer geworden. Ich hatte die Schnauze voll davon, zu unmöglichen Zeiten für ihn zu einem Hungerlohn schuften zu müssen. Und ich hatte es gestrichen voll, kein Privatleben zu haben und von ihm herumkommandiert zu werden, wie es ihm passt. Nur weil ich seine Schwester bin, bin ich nicht seine verdammte Sklavin.

Meine Mutter war Vaters Geliebte gewesen nach dem Tod seiner ersten Frau. Da er sie niemals geheiratet hatte, trage ich ihren Mädchennamen. Sie starb bei einem Zugunglück vor vier Jahren. Für Mike bin ich sowas wie der Abkömmling der Mätresse seines Vaters.

»Nicht nur wegen des Lohns, Annabel. An deiner Stelle würde ich nirgendwo mehr arbeiten, wo du nachts allein sein musst. Und du gehst mir auch nicht mehr allein nachts irgendwohin. Es ist besser, du bleibst Zuhause, als dass du dich nochmals solch einer Gefahr aussetzt.«

Das kommt ganz darauf an, welchen Job ich haben werde. Bei meiner mangelnden Vorbildung kann ich es mir nicht leisten, wählerisch zu sein, und werde vielleicht auch spät abends oder nachts arbeiten müssen, etwa als Kellnerin.

»Vor allem muss ich mal endlich einen Selbstverteidigungskurs machen.« Sobald ich mir einen leisten kann. So etwas wie vor der Pandora’s Box oder in der Tankstelle meines Bruders soll mir nicht wieder passieren.

In jener verhängnisvollen Nacht hatte ich mich wie so oft allein in der Tankstelle befunden. Mike war da nicht oft zu sehen gewesen, denn er vergnügte sich lieber mit seinen Nutten.

Dieser Maskierte hätte mich nicht nur beinahe vergewaltigt, sondern auch noch erwürgt. Wenn nicht ein zufällig vorbeikommender Kunde eingegriffen hätte, dann wäre ich jetzt vermutlich tot oder zerbrochen worden aufgrund einer brutalen Vergewaltigung.

Natürlich war es nicht der erste Vorfall in der Tankstelle gewesen, aber meistens handelte es sich um Raubüberfälle. Oft wurden die Täter nicht geschnappt, aber vor sechs Jahren gab es einen größeren Fall, bei dem der Dieb wirklich zwei Jahre in den Knast gewandert ist. Zwei Jahre für Diebstahl, während diese Vergewaltiger nur ein halbes Jahr bekommen haben. Geld scheint tatsächlich mehr wert zu sein als die körperliche Unversehrtheit einer Frau.

Kurz darauf hatte ich gegen den Willen meiner Familie die Stadt verlassen und den Bundesstaat gewechselt. Hier in Beavers will ich mit zweiundzwanzig endlich ein eigenes Leben anfangen.

»Es tut mir sehr leid für dich. Ich hätte mir erhofft, dass dein Start hier in der Stadt anders ausfällt und du dir bald eine eigene Wohnung leisten kannst«, sagt Sheila und gießt mein Weinglas erneut voll.

»Es wird schon noch alles gut werden«, sage ich mit mehr Zuversicht, als ich empfinde. Weil ich so zierlich bin, unterschätzen mich die Leute oft, aber ich bin zäh und gebe nicht so schnell auf.

Mit der Hand streiche ich mir mein langes, dunkelbraunes Haar aus der Stirn. »Das wird mich nicht umwerfen. Ich bin ein Stehaufmädchen. Aber ich trinke jetzt besser nicht mehr so viel, denn morgen will ich ein paar Läden mit meinem selbstgemachten Schmuck abklappern.« Ich stelle den Schmuck hauptsächlich aus Naturmaterialien, also Muscheln, Federn, Holzperlen, verlassenen Schneckenhäusern, Süßwasserzuchtperlen sowie Perlen aus Holz, Halbedelsteinsplittern und Metall und Makramee her. Nicht nur hält das die

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: 2016 Scarlett Draven
Bildmaterialien: stryjek/Fotolia, thonie321/Fotolia
Cover: 2017 Scarlett Draven
Tag der Veröffentlichung: 23.10.2017
ISBN: 978-3-7438-3756-0

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