Fiktive Personen können – sofern dies im Plot nicht vorgesehen ist – weder krank noch schwanger werden und können daher auf Kondome verzichten.
Im echten Leben gilt Safer Sex (Kondome etc.).
Samantha Harris
»Das ist doch Selbstmord«, sagt meine Kollegin Tracy von der Federal State Police of North Carolina zu mir. »Willst du das wirklich durchziehen?«
Ich nicke. »Ich habe es mir lange und gut überlegt. Außerdem kommt mir zugute, dass ich meinem Vater nicht ähnlich sehe.«
»Fast nicht. Du hast aber seine Nase«, bemerkt sie.
»Das wird niemandem auffallen, zumal es schon zwölf Jahre her ist, seitdem er undercover tätig gewesen ist.« Schließlich habe ich langes, glattes, hellblondes Haar und blaue Augen, während mein Vater graue Augen und dunkelbraunes, gewelltes Haar besessen hat.
Ich schlucke. Seinen Tod werde ich wohl nie überwinden, aber so kann ich mich wenigstens an seinen Mördern rächen. Klar ist der Täter in den Knast gekommen, aber meine Mom wurde niemals gerächt. Außerdem kann so etwas jederzeit wieder passieren. Um das zu verhindern muss diese ganze Motorrad-Gang ausgehebelt werden.
Das war auch der Grund, warum ich diese Laufbahn eingeschlagen habe. Ich bin relativ jung für den Job als Corporal, gerade mal siebenundzwanzig, aber ich habe hart gearbeitet, um so weit zu kommen.
»Ich hoffe, du weißt, was du tust«, spricht Tracy weiter. »Diese Rocker sind knallharte Burschen. Sie benutzen Frauen, betreiben Bordelle, handeln mit Drogen und Waffen und sind täglich in Schlägereien verwickelt. Wenn sie herausfinden, dass du …« Sie schüttelt sich vor Grauen.
Ich vollführe eine wegwerfende Geste, um ihren Redefluss zu unterbrechen, da ich ihn ermüdend finde. »Danke für deine aufmunternden Worte, aber ich werde es schaffen.
Klar haben diese Rocker damals meinen Vater erschossen, als sie Heroin verschieben wollten. Mich jedoch würden sie nicht kleinkriegen, ich dafür aber sie. Das habe ich mir geschworen, als ich Dad während meines fünfzehnten Lebensjahres verloren hatte. Diese Rockergang hat das zu büßen. Ich werde sie alle in den Knast bringen, wohin sie schon lange gehören.
Meine Mutter hat sich ein halbes Jahr nach dem Mord an meinem Vater selbst getötet, da sie seinen Tod nie verkraftet hat. Geschwister habe ich nicht, Kinder auch keine und ich bin Single. Ich habe also nichts zu verlieren und würde niemanden zurücklassen, sollte ich wider Erwarten das Zeitliche segnen.
Nein, ich werde nicht sterben! Diesen Gefallen werde ich dieser Bande von Kriminellen nicht tun. Die Zeit der Abrechnung ist gekommen!
»Ich glaube, sie weiß, was sie tut«, sagt mein Kollege John unerwartet, der bisher unbeteiligt am Schreibtisch gesessen hat.
»Aber für eine Frau ist das doch viel zu gefä…«, beginnt Tracy, wird von John aber unterbrochen.
»Das mag sein, aber gerade als Frau ist sie weniger auffällig. Bisher wurden nur männliche Ermittler undercover eingeschleust. Klar wird es schwieriger sein, weil man als Mann mehr Möglichkeiten hat, etwa, indem man dem Club beitritt und dadurch an den Sitzungen teilnehmen kann. Aber sie wird es schon schaffen.«
»Gegen Männer kommst du körperlich nicht an. Sollten die herausfinden, wer du bist, werden sie dir den Garaus machen«, gibt Tracy zu bedenken.
»Gegen einige komme ich schon an. Schnelligkeit und Techniken können mehr bringen als reines Körpergewicht.« Ich denke an meine langen, schweißtreibenden Trainingseinheiten im Nahkampf. Gerade daher weiß ich aber auch, wo meine Grenzen liegen und überschätze mich nicht. Zwar bin ich nicht gerade klein, aber doch eher zierlich gebaut.
»Ich muss es schaffen«, sage ich. Es gibt keine andere Lösung. Das ist etwas, das ich tun muss.
Als ich in besagter Kneipe des Namens Pandora’s Box stehe, die von Jeanette Myers und Lydia Hensley betrieben wird, fühle ich mich nicht mehr ganz so sicher. Dabei ist es recht gemütlich dort. Es gibt mehrere Tische und eine lange Theke aus demselben dunklen Holz. Zahlreiche Flaschen und Gläser stehen in den Regalen hinter der Theke. Über eine mangelnde Auswahl an Getränken kann man sich hier wirklich nicht beklagen.
Auch die Bedienung erfolgt zügig, obwohl hier heute Abend recht viel los ist. Ich genehmige mir einen nichtalkoholischen Cocktail, schließlich muss ich voll einsatzfähig bleiben. Da ich von den Hochstühlen aus einen besseren Überblick habe und außerdem Kontakte knüpfen will, setze ich mich an die Bar.
Ms. Myers scheint ja ganz nett zu sein. Ich erwidere ihr Lächeln. Sie hat langes, dunkelbraunes Haar und eine freundliche Art. Sie dürfte ungefähr mein Alter haben. Ms. Hensley sehe ich nicht hinter dem Tresen, sie soll laut meinen Informationen rothaarig sein.
Ich lasse meinen Blick streifen. Ihre Kneipe ist eindeutig ein beliebter Aufenthaltsort dieser Rockergang, genau, wie mein Kollege es mir gesagt hat. Als gäbe es viele andere Orte, wo sich kriminelle Rocker rumdrücken würden. Devil’s Neighbors nennen sie sich, wie bezeichnend. Entsprechend ist auch ein Teufel mit Bierflasche auf dem mittleren Patch abgebildet. Ich unterdrücke ein abfälliges Schnauben. Auf dem sogenannten Bottom-Rocker steht der Name der Stadt Beavers, die sie wohl als ihr Revier für sich in Anspruch nehmen.
Die Kerle sehen nicht mal so ungepflegt aus. Gefährlich wirken sie, ganz eindeutig, aber einige der Typen sind höchst attraktiv. Einer fällt mir besonders ins Auge, ein großer, muskulöser Mann mit vielen Tattoos und langem, dunklen Haar. Er sieht wirklich unverschämt gut aus und besitzt zudem offenbar Humor, denn seine Kumpels lachen soeben über etwas, das er gesagt hat. Bisher habe ich keine wichtigen Gesprächsfetzen erhaschen können, zumal in der Bar laute Musik von Lynyrd Skynyrd gespielt wird.
Eigentlich ist es schade um solche verlorenen Existenzen, aber es wird schon seinen Grund haben, warum sie sich einer Bande von Kriminellen angeschlossen haben. Eine schwierige Kindheit lasse ich als Entschuldigung nicht gelten. Ich bin Polizistin geworden, um mit solchem Pack aufzuräumen und die Straßen für unbescholtene Bürger sicherer zu machen. Mein Vater hat sein Blut und sein Leben dafür gegeben.
Es kostet mich Mühe, meinen Hass nicht zu zeigen, aber ich habe lange an meiner unbeteiligten Maske gearbeitet. Selbst meine Augen verraten mich nicht mehr.
Heute trage ich ein fließendes, schwarzes Top, das meine Figur umspielt. Dazu habe ich eine schwarze Jeans und flache, schwarze Sneakers gewählt.
Grundsätzlich ziehe ich keine Kleider an, da ich jederzeit kampfbereit sein will, sollte es nötig sein. Auch auf lange Ohrhänger, Creolen oder Ketten verzichte ich aus demselben Grund, während ich im Einsatz bin. Nur meine langen, naturhellblonden Haare habe ich niemals für den Job geopfert.
Etwas unbehaglich rutsche ich auf dem Barhocker hin und her. Viel lieber wäre mir ein Platz in der Nähe des Ausgangs gewesen mit dem Rücken zur Wand, damit mich keiner überraschend von hinten angreifen kann. Natürlich würde ich meine Nahkampffähigkeiten nur im Ernstfall zeigen, da ich mich möglichst unauffällig verhalten muss.
Neugierig blicke ich mich um und nippe dabei an meinem Cocktail, der lecker nach einigen exotischen Früchten schmeckt. Eine Orangenscheibe dekoriert das matte, weiße Glas. Diese Barkeeperin hat wirklich was drauf, das muss man ihr lassen.
Ihr Laden scheint auch recht gut zu laufen, auch wenn sie laut meinen Informationen Ärger mit der Bank haben soll. Bestimmt hat sie Schulden, da es noch nicht lange her ist, seit sie das Lokal erworben hat. Aber Letzteres interessiert mich nicht, da es für meine Arbeit nicht relevant ist. Daher habe ich mich über sie auch nur sehr allgemein informiert.
Ich habe hier nur meinen Job zu erledigen und der würde schwer genug sein. Schließlich musste ich das Vertrauen dieser Männer gewinnen, um irgendwann Zugang zu deren Gang-Hauptquartier zu erlangen. Nein, das nennen sie Clubhaus, berichtige ich mich selbst. Bei meiner Wortwahl würde ich vorsichtig sein müssen. Am besten ist, ich gewöhne mich schon mal an die anderen Begriffe. Oft genug habe ich sie mir versucht einzuprägen.
Ich schenke den Männern ein ermutigendes Lächeln, wende meinen Blick dann aber wieder ab. Zu dem einem, der mir bereits früher ins Auge gefallen ist, fühle ich mich besonders hingezogen, aber das spielt eigentlich keine Rolle. Als sich unsere Blicke kurz begegnen, durchfährt mich ein Kribbeln, wie ich es schon lange nicht mehr verspürt habe.
Verdammt, warum muss mir das ausgerechnet mit einem Rocker passieren? Vermutlich habe ich in den letzten Jahren einfach zu sehr für die Arbeit gelebt. Für Beziehungen hatte ich keine Zeit und auch nicht den Kopf gehabt. Aber eine richtige Beziehung soll das hier ja ohnehin nicht werden.
Wenn es vorbei sein würde, dann kann ich mir immer noch mehr Freizeit gönnen, in der ich nicht am Boxsack trainiere oder lange Strecken laufe, während ich meine Ernährung völlig an dieses Leben angepasst habe.
Plötzlich richtet der Dunkelhaarige seinen Blick zur Tür. Dort kommen gerade ein paar gefährlich aussehende Typen rein, auch Rocker, den patchbesetzten Westen nach zu urteilen. Einige haben lange Haare, manche tragen sie kurz und nicht wenige haben sich den Kopf geschoren. Diese gehören laut ihren Patches zu einem anderen Motorradclub, doch den Namen kann ich aus dieser Entfernung nicht genau erkennen. Ihren Mienen nach zu urteilen, sind sie auf Stunk aus.
Mir entgeht auch das besorgte Stirnrunzeln der Barbesitzerin nicht. Würde sie die Polizei anrufen?
Ich überlege, ob ich ebenso wie die meisten anderen Gäste die Kneipe verlassen soll, entscheide mich dann aber dagegen, zumal sich im Ausgangsbereich jetzt die Leute sammeln. Mich an all den Typen vorbei zu drängen wäre höchst unangenehm. Außerdem könnten mir wichtige Informationen entgehen oder die Chance, baldmöglichst Kontakte zu knüpfen. Diese Überlegungen lassen mich bleiben.
Als die anderen Rocker näherkommen, erkenne ich, dass es sich um die Banshee Raiders aus dem Nachbarort Fawnty handelt. Hier in Beavers haben sie eigentlich nichts verloren. Was treibt sie hierher?
Ich habe mich nicht geirrt, die Typen suchen Ärger, und ehe ich mich versehe, befinde ich mich mitten in einer wilden Kneipenschlägerei. Beleidigungen werden auch noch hin und hergeworfen, als sie schon wild aufeinander einprügeln.
Ich entferne mich wohlweislich vom Bartresen und suche in einer Ecke Deckung, doch bald drängen sich die Typen auch in meine Richtung. Mein Glas stelle ich auf einen der freien Tische ab.
Als einer der Männer an die Wand geworfen wird, an der ich stehe, springe ich rechtzeitig zur Seite. Zum Glück besitze ich ein gutes Reaktionsvermögen. Ich versuche, Gesprächsfetzen zu erhaschen, aber sie reden nicht mehr viel miteinander.
Vielleicht sollte ich übers Handy die Polizei anrufen, aber das könnte meine Pläne zunichtemachen. Wenn, dann soll die Barbesitzerin dies tun. Soweit ich weiß, hassen diese Leute nichts mehr als die Bullen – was sich in vielen Fällen durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Es hat sie ja niemand gezwungen, sich in die Kriminalität zu begeben und eine Bedrohung für unbescholtene US-Bürger darzustellen.
Erneut will ich einem der Typen ausweichen, doch ein Stuhl erwischt mich überraschenderweise von der anderen Seite her. Zum Glück streift er mich nur, doch ich gehe trotzdem zu Boden und sehe Sterne vor Augen wegen der Wucht, mit der er geworfen worden war.
Ich setze mich auf und sehe mich um. Ein Mann mit langem, rotem Haar, die Barbesitzerin und der Dunkelhaarige, den ich so interessant finde, kommen durch das Gedränge auf mich zu und helfen mir auf. Sie selbst sehen etwas zerrupft aus. In Gesicht des Rothaarigen blüht ein Veilchen auf und das Shirt des Dunkelhaarigen ist zerrissen, was mir einen guten Blick auf sein Sixpack verschafft.
»Geht es dir gut?«, fragt der Dunkelhaarige besorgt und stützt mich, als ich mich schwankend erhebe. Die Berührung elektrisiert mich, sie geht mir durch und durch. Ein Prickeln breitet sich auf meiner Haut aus. So etwas in dieser Intensität habe ich nicht mehr erlebt, seit ich ein Teenager war.
Leicht verwirrt sehe ich ihn an. Er sieht wirklich verboten gut aus. »Ich habe wohl einen Stuhl abbekommen. Was werfen diese Typen auch mit dem Inventar um sich?« Mittlerweile bereue ich es, die Bar nicht rechtzeitig verlassen zu haben, denn meine rechte Seite schmerzt und meine Stirn fühlt sich feucht an. Als ich hinfasse, ertaste ich eine wachsende Beule und etwas Blut. Die Barbesitzerin sieht sehr besorgt aus.
»Diese Schweinehunde!«, sagt der Rothaarige daraufhin. »Es reicht so langsam. Das lassen wir uns nicht mehr gefallen. Es genügt, dass sie Jeannie schikanieren, aber sie sollten nicht noch mehr Unschuldige in die Sache reinziehen.«
»Sie schikanieren Sie? Warum tun sie das?«, frage ich die Barbesitzerin. Jeannie erscheint mir ganz nett. Wer sollte etwas gegen sie haben, um ihr so etwas anzutun? Schließlich ist das höchst geschäftsschädigend.
Ich sehe, dass ein Teil der Einrichtung zertrümmert ist. Von der Geschäftsschädigung ganz zu schweigen, denn die meisten Gäste sind geflohen. Die dürfte sie vermutlich so schnell nicht wiedersehen. Wenn das öfters geschieht und sich das herumspricht, dann kann sie ihren Laden schon bald dichtmachen, befürchte ich. Irgendwie tut sie mir leid, zumal sie mir so sympathisch erscheint.
»Ach irgend so ein Typ ist scharf auf Jeannie, aber sie will ihn nicht. Daher will er sie mit fiesen Methoden weichkochen«, sagt der Dunkelhaarige.
»Was für ein netter Typ. Aber warum geht ihr nicht einfach zur Polizei?«
»Weil wir keine Beweise haben. Außerdem sind Biker involviert und sowas klären wir lieber unter uns. Wobei die Banshee Raiders sich offenbar haben kau…«, sagt der Dunkelhaarige.
Der Rothaarige sieht ihn warnend an und unterbricht ihn. »Es genügt. Wir kennen die Lady nicht. Belasten wir sie nicht mit diesen Dingen. Sie hat schon genug erlebt heute Abend.«
Mir wird sofort klar, dass er das anders meint. Sein Kumpel soll die Schnauze aus dem Grund halten, weil es mir nichts angeht. Es ist vermutlich Club-Business.
»Bist du von hier?«, fragt mich der Dunkelhaarige. »Ich habe dich noch nie hier gesehen.«
»Ich bin vor einem halben Jahr in die Gegend gezogen. Nach Fawnty. Dort lebe und arbeite ich.« Dort befinden sich meine vorübergehende Wohnung und meine angebliche Arbeitsstelle. Wir halten es für sicherer, mich nicht als eine Bewohnerin von Beavers auszugeben, da diese die Heimatstadt der notorischen Motorradgang ist, die ich aushebeln will.
»Bist du mit dem Auto da?«, fragt mich der Dunkelhaarige. Besorgnis zeigt sich auf seinem Gesicht. Eigentlich scheint er ja ganz freundlich zu sein, auch wenn er mit dem langen Haar und den vielen Tattoos auf den muskulösen Armen wirklich wild aussieht … und irgendwie aufregend.
Verdammt, konzentrier dich auf deinen Job, ermahne ich mich selbst. Noch immer hält er meinen Unterarm fest, um mich zu stützen, was es mir nicht leichter macht. Seine Nähe und vor allem diese Berührung verursachen mir weiche Knie und ein Flattern im Bauch.
Als ich nicke, muss ich das Gesicht verziehen, denn mein Kopf schmerzt. »Ja, ich bin mit dem Wagen da«, sage ich.
»Du kannst jetzt nicht selbst fahren. Ich bringe dich zum Arzt und anschließend nach Hause«, sagt der Dunkelhaarige.
Irgendwie finde ich seine Fürsorglichkeit rührend. Aber vermutlich haben die einfach ein schlechtes Gewissen, weil ich als Kundin zu Schaden gekommen bin. Wenn sie nicht gar befürchten, ich würde zur Polizei rennen.
»Nein, ich will keinen Arzt. Es geht schon«, sage ich schnell. Ich will nicht zum Arzt. Das würde mir die Chance nehmen, mit diesen Leuten enger in Kontakt zu treten. Die Gelegenheit ist einfach zu günstig.
»Aber das wäre besser«, versichert er mir zu meiner Überraschung.
»Aber was sagen wir denen dann? Die rufen doch gleich die Bullen«, gibt der Rothaarige zu bedenken.
Genau dasselbe habe ich soeben auch gedacht.
»Ich will keinen Arzt. Die machen einen doch nur kränker als zuvor«, sage ich schnell.
»Sie scheint ohnehin eine Ärzte-Phobie zu haben, genau wie du«, sagt der Rothaarige. Irgendwie klingt er erleichtert, als wolle er gar nicht, dass ich mich in die Hände von Ärzten begebe.
Aber mit der Ärzte-Phobie hat er durchaus recht. Seit sie meiner Mutter damals den Uterus entnommen hatten, der Krebszellen gebildet hatte als Folge der künstlichen Östrogene, die man ihr als Hormonersatztherapie verschrieben hatte, traue ich Ärzten nicht weiter, als ich sie werfen kann.
Ich blicke mich nach den Angreifern um. Der letzte von ihnen verlässt gerade das Lokal. An dem anderen Rückenpatch erkenne ich ihn.
Kurz vor der Tür dreht er sich um. »Überlege es dir gut, Jeannie!«
Für mich klingt das nach einer Drohung. Aber was meint er damit?
Der Mann verschwindet und hinterlässt eine verwüstete Kneipe.
Die Leute von den Devil’s Neighbors fangen zu meiner Überraschung an, aufzuräumen.
»Also, was ist, soll ich dir ein Taxi rufen?«, fragt der Rothaarige mich mit einem leicht ungeduldigen Unterton in der Stimme.
»Ja, danke.«
»Aber in dem Zustand können wir sie nicht alleinlassen. Schließlich könnte sie eine leichte Gehirnerschütterung haben«, gibt der Dunkelhaarige zu bedenken.
Der Rothaarige hebt die Achseln. »Dann nimm sie doch mit zu dir. Ist ja nicht weit.«
»Ich kann euch fahren«, vernehme ich Jeannies Stimme. »Schließlich habe ich das hier verursacht.« Die Barbesitzerin sieht besorgt aus.
»Aber was ist mit Debbie?«, fragt der Rothaarige.
Jeannie kaut auf ihrer Unterlippe. »Ich kann es ohnehin nicht mehr lange vor ihr geheim halten. Was soll ich nur tun?« Sie wirkt verzweifelt.
Ich frage mich, wer diese Debbie ist.
Der Dunkelhaarige sieht sie an. »Es ist schon in Ordnung, Jeannie. Ich nehme die Lady mit zu mir, falls sie doch eine leichte Gehirnerschütterung haben sollte, so ist sie dann nicht allein und ich kann sie im Notfall zum Arzt bringen – ob sie das will oder nicht. Ich komme schon zurecht. Es wäre nur nett, wenn du uns jetzt fahren könntest, Jeannie.«
Die Barbesitzerin nickt. »Geht in Ordnung. Hältst du so lange die Stellung, Red?«
Der Rothaarige nickt. »Geht klar, Lady.«
Verwundert sehe ich sie alle an. Mich hat keiner gefragt, was ich will. Egal, solange sie keinen Arzt rufen. Vielleicht würde sich das Ganze sogar unerwartet als die Gelegenheit erweisen, auf die ich gehofft habe.
Andererseits bin ich jetzt wirklich nicht so fit. Zum Glück hat mich der Stuhl nur gestreift. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es mir ergangen wäre, wenn er mich voll getroffen hätte. Ich habe wirklich Glück gehabt.
Samantha »Jessica«
Ehe ich mich versehe, zieht mich der Dunkelhaarige sanft aus dem Gebäude, was ich geschehen lasse. An meiner anderen Seite läuft Jeannie, die mir besorgte Blicke zuwirft.
»Wenn du Hilfe brauchst, melde dich«, sagt sie zum Dunkelhaarigen.
»Ich werde schon zurechtkommen, aber danke.« Er wendet sich nun an mich. »Mein Name ist übrigens Drake. Ich bin achtundzwanzig und führe hier in der Stadt einen Motorradladen zusammen mit meinem Kumpel.«
»Und ich heiße Jessica Anderson und bin ebenfalls achtundzwanzig.« Dieser Tarnname steht auf meiner Fake-ID, genau wie ein ausgedachtes Geburtsdatum. Das Geburtsjahr ist ein Jahr hochgesetzt worden. Da ich früher meine Haare rot gefärbt und meistens auf dem Internat gewesen bin und als Erwachsene aus beruflichen Gründen weit weg gewohnt habe, erkennt mich in Fawnty so gut wie niemand und in Beavers keiner. Nur meine Eltern hatte ich früher – damals noch mit den rotgefärbten Haaren – gelegentlich besucht, mich aber kaum in der Stadt aufgehalten. Doch das ist jetzt schon lange her …
Der Dunkelhaarige sieht mich nachdenklich an. »Anderson. Hm, klingt schwedisch und auch deine Haarfarbe spricht dafür. Stammen deine Leute von dort?«
»Nicht, dass ich wüsste. Meine Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sind jedenfalls Amerikaner. Kann schon sein, dass mal irgendein Vorfahr aus Schweden gekommen ist. Warum fragst du?«
»Mein Kumpel, mit dem ich den Motorradshop habe, ist aus Schweden.«
Interessiert sehe ich ihn an. »Ach ja? Woher kennst du ihn?«
»Er heißt Thorsten Lindström und ist vor sechs Jahren hierher gezogen. Wir nennen ihn aber alle Ace, ursprünglich hieß er für uns Ale.«
Ich hebe eine Augenbraue, was sich als unangenehm erweist. »Ale? Könnte das mit seinen Trinkgewohnheiten zusammenhängen?«
»Eigentlich ist das eher ironisch gemeint, denn für einen Schweden trinkt er enttäuschend wenig, außer auf Partys. Da kenne ich ganz andere Typen …«
»Wie viel muss man denn trinken, um euch nicht zu enttäuschen? Trinken Biker allgemein sehr viel?« Sofort beiße ich mir auf die Zunge. Das sind keine guten Fragen, um sein Vertrauen zu gewinnen und näher mit seiner Biker-Gang in Kontakt zu kommen. Aber er scheint es mir nicht übel zu nehmen, sondern lacht nur.
»Nicht so viel, wie viele Leute annehmen. Klar gibt es immer welche, die an der Flasche hängen, aber das ist bei Nicht-Bikern genauso.«
Wir haben Jeannies Auto, einen blauen Ford, inzwischen erreicht. Sie schließt die Tür auf und ich nehme im Foyer Platz. Überraschenderweise setzt sich Drake neben mich. Kaum habe ich mich angeschnallt, fährt Jeannie los.
Drake sieht mich amüsiert an. »Bei den Feiern lassen wir es natürlich ordentlich krachen. Aber wenn wir alle ständig so viel trinken würden, wie man es uns nachsagt, dann hätte keiner von uns mehr einen Motorradführerschein.«
Ich vernehme Jeannies Kichern deutlich hörbar über das Geräusch des Motors hinweg.
»Du brauchst gar nicht so zu kichern«, sagt Drake. »Als Barbesitzerin bist du ein sehr schlechter Einfluss.«
Seine Worte führen dazu, dass die Barbesitzerin nur noch mehr kichert. »Als bräuchtet ihr einen schlechten Einfluss. Euch kann man doch gar nicht noch mehr verderben.«
»Hast du eine Ahnung. Wenn’s einer kann, dann du.«
Zu meiner Überraschung fühle ich mich in der Gegenwart der beiden pudelwohl. Verrückt und unerwartet ist das für mich. Aber wer weiß, welche dunklen Geheimnisse sie vor mir verbergen. Klar wollen sie sich vor einer Unbekannten nicht schlecht darstellen.
»Und du? Trinkst du ab und zu was als …« Er zögert kurz und lässt seinen Blick prüfend über mich gleiten. »… Nicht-Bikerin und Nicht-Schwedin?«
»Gelegentlich einen Whiskey, aber nur den irischen.«
Drake lächelt mich freundlich an. »Dann haben wir was gemeinsam. Ich bevorzuge auch den irischen. Mit Bourbon kann man mich jagen.«
»Wir sind da«, verkündet Jeannie, hält das Fahrzeug an und dreht sich zu uns um. »Alles klar?«, fragt sie
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: 2016 Scarlett Draven
Bildmaterialien: Fxquadro/Fotolia, thonie321/Fotolia
Cover: 2017 Scarlett Draven
Tag der Veröffentlichung: 23.10.2017
ISBN: 978-3-7438-3750-8
Alle Rechte vorbehalten