Schluckauf. Ich hasse Schluckauf. Schon seit über einer Stunde sitze ich hier und leide. Nichts hilft. Kein Wasser trinken oder Brot essen, auch nicht sich auf den Kopf stellen oder Luft anhalten – einfach gar nichts. Und meinen sogenannten Freunden fällt nichts weiter dazu ein, als mich immer wieder auszulachen, wenn ich mal wieder unfreiwillig auf meinem Stuhl auf und ab springe. Ganz toll!
Ich strafe einen nach dem anderen mit meinem finstersten Blick – doch sie lachen nur noch mehr. Wirkt sicherlich auch sehr bedrohlich, wie ich hier böse gucke mit meinem Schluckauf. Ich verschränke die Arme vor der Brust – wieder ein Anfall, wieder Gelächter. Verflucht! Wie kann man denn so lange über eine einzige Person lachen? Das muss doch langweilig werden, oder nicht?!
Ganz offensichtlich nicht.
„Schweine! Ihr seit alles Schweine!“, fauche ich in die Runde und meine Laune ist an ihrem Tiefpunkt angekommen.
Dafür werde ich allerdings wieder nur aufgelacht. Ich verdrehe die Augen und glaube ich bin hier einfach im falschen Film. Warum bin ich mit dieser Idiotentruppe überhaupt befreundet?
„Ist er nicht süß? Unser kleiner Giftzwerg.“, sagt Thomas und verwüstet mit seiner riesigen Hand meine Haare.
Ach ja, da ist er ja. Der Grund mit dieser Idiotentruppe befreundet zu sein. Thomas.
„Ich bin weder süß, noch ein Giftzwerg! Mistkerl!“
Wieder werde ich ausgelacht.
Ich kann einfach nicht mehr. Ich werfe die Arme kurz in die Luft, stehe dann auf und stampfe schlechtgelaunt mit meinem Schluckauf zum Tresen.
„Noch ein Wasser, bitte.“, sage ich und versuche dabei nicht zu klingen als würde ich ihn gleich umbringen wollen.
Klappt ganz offensichtlich nicht. Der Kellner – oder was auch immer – der sich gerade noch vergnügt mit einigen anderen Gästen unterhalten hat, sieht mich kurz an, stellt mir wortlos das Wasser hin und wendet sich dann wieder den anderen zu.
„Dank-e.“, murmle ich eher zu mir selbst als zum Kellner, da dieser mich eh nicht mehr beachtet.
Ich gehe zurück zu unserem Tisch und muss dabei tierisch aufpassen bei dem ganzen Hicksen das Wasser nicht zu verschütten. Das kollektive, dämliche Grinsen als ich mein Glas abstellen will und im letzten Moment doch noch die Hälfte daneben geht, ist wirklich zum kotzen. Ich knalle mich in meinen Stuhl und wische mir die nasse Hand an meiner Hose ab. Warum zur Hölle halten alle das für so verdammt lustig?!
Ich seufze und genau da setzt der Schluck auf wieder ein – natürlich mindestens doppelt so Laut, durch den offenen Mund. Wie nicht anders zu erwarten, werde ich auch dieses Mal wieder ausgelacht – warum auch immer mein scheiß Schluckauf so witzig ist.
„Jetzt reicht es aber mal!“, sage ich energisch und knalle die Hand auf den Tisch.
Mein Glück mal wieder, denn dabei stoße ich mein – sowieso schon halb leeres Glas endgültig um und es landet alles auf meiner Hose. Kann es eigentlich noch schlimmer kommen? Aber sicher, denn jetzt gucken mich auch noch Menschen vom Nebentisch an und lachen verhalten, während meine sogenannten Freunde vermutlich den lustigsten Tag ihres Lebens haben, denn sie Lachen noch lauter als zuvor.
„Siehst du, Alex, dass kommt davon, wenn man sich zu sehr aufregt.“
Ich werfe Mark einen Todesblick zu.
„Ich rege mich überhaupt nicht zu sehr auf! Ihr seid einfach nur alle total bescheuert!“, motze ich die ganze Runde an.
Ich sehe an mir runter. Ganz toll, sieht aus als hätte ich eingepisst. Das werde ich sicher noch ewig nachgetragen bekommen. Warum muss ich auch so bescheuerte Freunde haben?! Ich sollte mir ruhigere suchen – vielleicht trete ich ja einem Schach-Club bei? Okay, dass wäre mir dann doch zu Langweilig – und so schlimm sind sie eigentlich auch nicht. Nur heute eben. Deshalb versuche ich mich jetzt auch wirklich zu beruhigen. Ich atme tief- Verdammt! Ich hasse Schluckauf!
Die schrägen Gestalten, die sich meine Freunde nennen grinsen mich nur weiter an, jedes Mal wenn wieder ungewollt ein Laut von mir kommt. Ich will nach Hause, doch meine Hose ist nass und auch schon ohne das, habe ich das Gefühl vom ganzen Café belächelt zu werden.
„Hört wenigst-ens auf so- dämlich zu- grinsen!“, gebe ich so feindselig wie möglich von mir, doch natürlich grinsen alle fröhlich weiter, was nur bedingt daran liegt dass das Ganze ziemlich abgehakt raus kam.
„Holt- mir lie-ber noch ein- Wasser.“, setze ich hinterher und die ersten sind schon wieder am lachen. Ja, mein Leben scheint eine einzige Komödie zu sein – könnten wir uns dann bitte wieder dem ernst der Sache zuwenden?! Klar …
„Nur, wenn du nicht wieder einmachst.“, kichert Elli.
„Keine Sorge, ich bringe ihm ein Lätzchen mit.“, geht Thomas darauf ein und steht auf um zum Tresen zu gehen.
Etwas rot im Gesicht, werfe ich wieder mit Todesblicken um mich.
„Ich -hasse eu-ch!“, schmettere ich ihnen entgegen, doch wie üblich werde ich einfach nicht ernst genommen, also verschränke ich die Arme vor der Brust und rutsche auf meinem Stuhl weiter vor. Das ich dabei demonstrativ in die andere Richtung sehe und man das durchaus als 'bockig' bezeichnen könnte stört mich nun auch nicht mehr.
Ich sitze schlagartig kerzengerade auf meinem Suhl als ich plötzlich etwas kaltes und nasses in meinem Nacken spüre und sehe mich um. Thomas! Und wie er grinst ist zum dahinschm- ähm, egal.
„Was sollt-e das?“, frage ich aufgeschreckt, doch Thomas schüttelt einfach nur den Kopf und murmelt etwas von 'nicht genug'.
Verwirrt sehe ich ihm zu wie er sich wieder neben mich setzt, mein Glas vor mir abstellt und mit tatsächlich ein Handtuch auf den Schoß legt – und ja, ich werde wieder rot. Ich sehe ihn immer noch an als er sich zurücklehnt und bin innerlich noch damit beschäftigt dem 'nicht genug' auf die Spur zu gehen, als er sich, zu schnell für mich um zu reagieren, vor lehnt und einfach so seine Lippen auf meine legt.
Mit aufgerissenen Augen sehe ich auf seine geschlossenen und halte die Luft an. Was zur Hölle, passiert hier gerade? Nach ein paar Schreck-Sekunden drücke ich ihn weg, ehe mein Kopf explodieren kann und schnappe einfach nur überfordert nach Luft, da mir keine Worte über die Lippen kommen. Thomas grinst wieder.
„Viel besser.“, sagt er, diesmal deutlicher.
„Was?!“, rutscht es mir nun doch raus und Thomas lehnt sich wieder etwas weiter vor, während ich mich gegen meine Lehne drücke und keine Ahnung habe, was ich von dieser Situation halten soll.
„Dein Schluckauf ist weg.“, erklärt er mir und sein grinsen wird noch breiter. „Schreck hilft.“
Ich sehe ihn noch ein paar Minuten sprachlos an, was ihn nicht weiter zu stören scheint, da er mich auch weiterhin ansieht, und bin einfach immer noch baff. Was soll ich denn davon halten? Doch mein Schluckauf ist tatsächlich weg. War das der einzige Grund? Hat er etwas gemerkt? Oh. Mein. Gott. Hat er etwas gemerkt?!
Als ich ihn nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch einfach nur anstarre, scheint er genug zu haben. Wieder beugt er sich zu mir rüber und ich gebe mein bestes um nicht wieder zurückzuweichen, doch mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
„Zerdenk es nicht. Ich mag dich einfach.“, sagt er diesmal ganz leise – nur für mich – und drückt mir wieder seine Lippen auf, diesmal viel kürzer, doch ich schaffe es gerade rechtzeitig zu reagieren als er sich lösen will. Schnell greife ich ihm in den Nacken und ziehe ihn wieder näher zu mir, vertiefe den Kuss – bis ich irgendwann ein räuspern unweit von mir höre.
Einen kurzen Moment brauche ich um zu begreifen, dass wir hier nicht allein sind – die anderen hatte ich bis eben ja schon vollkommen vergessen gehabt – und löse meine Hand aus seinem Nacken, sodass wir unseren Kuss nun lösen. Mit hochrotem Kopf schaue ich mich um und sehe in die immer noch grinsenden Gesichter meiner Freunde.
„Grinst nicht so dämlich!“, bringe ich diesmal ganz ohne Schluckauf heraus, doch auch so werde ich nicht ernst genommen und alle – einschließlich Thomas – lachen mal wieder über mich, doch irgendwie finde ich das nun gar nicht mehr so schlimm.
Tag der Veröffentlichung: 31.08.2015
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