Cover

1.

Warum ist es so schwer anders zu sein?

 

Mädchen mögen Jungs und Jungs mögen Mädchen – richtig? Doch was, wenn das nicht der Fall ist? Dann bist du seltsam, komisch und nicht normal – zumindest ist es dass, was alle anderen sagen. Und wenn es alle sagen, dann ist es doch richtig, nicht wahr? Völliger Unsinn – doch bis ich das erkannt habe und gelernt habe dazu zu stehen, war es ein langer Weg.

 

Ich war schon immer etwas anders. Nicht im Sinne von besonders talentiert oder unterbelichtet, sondern einfach anders. Ich habe mich nie richtig zugehörig gefühlt, so als ob ich schon immer wusste das etwas mit mir nicht stimmt. Vielleicht habe ich mich dadurch auch einfach nur selbst abgeschottet, so richtig kann ich das heute auch nicht mehr sagen. Doch ich erinnere mich noch daran, dass es mir immer schwer fiel Freunde zu finden.

 

Nicht das ich ständig allein war – es gab einige mit denen ich mich verstanden habe und was mit denen unternahm – doch ich hatte nie das Gefühl jemanden gefunden zu haben, mit dem ich über wirklich wichtiges reden kann. Also tat ich das auch nicht. Vielleicht hätte ich über meinen Schatten springen sollen und anderen mehr vertrauen entgegen bringen, doch das tat ich nun mal nicht – und ich bereue es auch nicht wirklich. Hätte ich mich damals anders verhalten, wäre ich vielleicht nie der geworden, der ich heute bin – und ich bin ziemlich zufrieden mit meinem jetzigen Ich.

 

Wie auch immer. In welchem Sinne ich wirklich anders bin – also außer meiner Introvertiertheit – habe ich in etwa der fünften oder sechsten Klasse herausgefunden, wenn gleich ich den Sinn dessen noch nicht richtig verstand. Das war die Zeit in der die anderen Jungs anfingen über Mädchen zu reden. Nicht nur darüber wie nett einige von ihnen sind, sondern auch über ihr Aussehen und dass sie sie mögen. Ich bin nicht blind, natürlich erkenne ich wenn jemand hübsch ist und da ich mich mit einigen der Mädchen gut verstand, konnte ich auch bestätigen dass sie nett sind, demzufolge mochte ich sie auch. Soweit war das ganze für mich gut verständlich – naja, dachte ich jedenfalls. In dieser Zeit der ahnungslosen Ahnung wurde ich sogar einige male von den anderen Jungs angesprochen, wie ich es nur schaffe so gut mit den Mädchen umzugehen. Verwirrt über eine so sinnlose Frage, war ich natürlich keine große Hilfe.

 

Meine Probleme begangen in der siebten. Die Anderen fingen ebenfalls an zu merken, dass etwas mit mir nicht stimmt und so wurde ich von den Jungs mehr oder weniger beiseite geschoben. Mit den Mädchen verstand ich mich nach wie vor gut, doch auch die wollten mich nicht lange um sich haben. Mädchen-Privatgespräche sind für Jungs nämlich verboten und so nahm ich mich immer mehr zurück. Um ehrlich zu sein hat mich diese – mehr oder minder – Ausgrenzung nicht wirklich gestört. Ich war eben schon immer eine Person, die auch gut für sich allein sein kann – außerdem begann ich in dieser Zeit eigene Probleme zu bekommen. Während ich Mädchen nach wie vor als hübsch und nett empfand und sie auch mochte, stellte ich wiederum fest das Jungs hübscher sind und ich sie mochte, wenn gleich sie auch nicht nett waren.

 

Nach dieser Erkenntnis brauchte ich wirklich lange, um mir einzugestehen das ich schwul bin. Zwar wusste ich jetzt in welchem Sinne ich anders bin, doch das war nicht unbedingt eine Erleichterung. Zu wissen das man schwul ist, ist ganz anders als einfach nur anders zu sein. Jeder weiß, dass schwule schlechte, böse Menschen sind und sich damit auseinanderzusetzen, dass man nun selbst dazu gehört, ist hart. Man stellt sich viele Fragen, doch nicht auf jede findet man Antworten. Es ist als würde man plötzlich in jemand fremden stecken, mit dem wissen das man das nicht rückgängig machen kann und die einzige Option ist damit zu Leben. Es ist verdammt schwer, doch nach dem man sich mit den Fragen, den Vorurteilen und dem Selbsthass auseinandergesetzt hat, kann man erkennen, dass man immer noch die Person ist, die man auch vorher war – nicht besser und nicht schlechter, nur anders.

 

Während dieser Zeit habe ich – welch ein Wunder – nicht wirklich etwas von meiner Umwelt mitbekommen. Meine Noten waren abgefallen und ich war eigentlich nur mit mir selbst beschäftigt. Meine Freizeit habe ich in Foren verbracht, nachdem ich mich dazu überwinden konnte endlich 'Schwul und Forum' bei Google einzutippen. Das war gar nicht so leicht, denn schwarz auf weiß ist es doch nochmal anders, als es nur von sich zu denken. Wie auf den meisten Plattformen wurde man auch bei denen, in den ich war, ständig angemacht. Manche waren originell und wieder andere ziemlich dämlich, aber man hat auch ein paar Menschen kennengelernt mit denen man sich wirklich austauschen konnte – mit denen man über sich selbst und seine Gefühle ehrlich reden konnte. Was für eine unglaubliche Erleichterung das für mich war, können viele bestimmt nicht nachvollziehen.

 

Einem User – xXMichaelXx – habe ich viel zu verdanken. Er hat sich mein Gejammer, meine Sorgen, meine Ängste – alles was ich so auf dem Herzen hatte – angehört und hat immer versucht mir zu helfen, mich zu ermutigen, mich aufzumuntern und mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Nur durch ihn hatte ich den Mut zu mir selbst zu stehen – und zwar so wie ich bin, nämlich schwul, denn er hat mir gezeigt, dass es wirklich okay ist. Ja, ich habe mich vorher mit mir auseinandergesetzt, nur dadurch konnte ich ja erst den Schritt in die anonyme Öffentlichkeit wagen, doch in den ganzen Nächten, die wir uns geschrieben haben, habe ich erkannt, dass ich es zwar für mich verdaut habe, aber das ich mit mir wie ich bin, nicht umgehen konnte. Ich weiß nicht ob jemand versteht, was ich damit meine, doch eigentlich ist das auch egal – es ist eben einfach so.

 

Ich bin einfach so und er hat mir beigebracht dazu, auch vor anderen, zu stehen. Ich dachte, ich hätte mich genügend mit mir auseinandergesetzt, doch in all der Zeit die wir geschrieben hatten, merkte ich immer deutlicher dass das nicht der Fall war. Zwischen Akzeptanz und Toleranz gibt es Unterschiede – große Unterschiede. In meinem Fall war es so, dass ich dachte, ich müsste damit Leben und – auch wenn ich es besser wusste – fühlte ich mich krank. Doch durch ihn habe ich einiges verstanden. Ich lernte mich zu akzeptieren, mich so zu lieben wie ich bin und keine Angst davor zu haben anders zu sein, denn anders bedeutet ja nicht gleich schlecht.

 

Es war ein wirklich langer Weg zu meinem jetzigen Selbstbewusstsein zu kommen, doch es hat sich gelohnt – wie ich finde.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.05.2015

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /