Cover

Prolog

 

Falle!

Das alles war eine gemeine Falle!

Wie konnte er mir so was nur antun? Erniedrigend und demütigend! Verbrecher! Schwein! Ganove! Treuloser Schuft!

 

Ich hasse ihn!

Alles an ihm! Sein verdammtes selbstsicheres Auftreten, seinen miesen Charakter, seinen schönen Körper, sein hübsches Gesicht und diese verdammten, atemberaubenden Augen.

Ich liebe ihn!

 

Ich hasse ihn!

 

1.

 

Um meinen kleinen Anfall besser verstehen zu können sollte ich meine Geschichte besser von vorne beginnen, auch auf die Gefahr hin das ihr mich deshalb für den größten Idioten auf Gottes schöner Erde halten werdet.

 

Mein Name ist Matthis Schmidt – nicht gerade der Name eines Helden und der bin ich auch nicht. Ich besiege keine Drachen und rette keine Jungfrauen – obwohl ich das zweifelsohne gerne würde. Ich bin nämlich Hetero.

 

Absolut und ohne Zweifel.

Wer gerade oben nochmal nachgelesen hat wird allerdings feststellen das da tatsächlich 'Ich liebe ihn' steht. Leider kein Irrtum.

 

Wie kann ich dennoch felsenfest davon überzeugt sein, Hetero zu sein?

Nun das ist eine lange Geschichte. Eigentlich – denn man kann alles wissenswerte in einen Satz packen.

 

Ich bin ein Vollidiot und er ein Arschloch.

 

Wer dennoch die lange Fassung hören will sollte einfach am Ball bleiben.

2.

 

Das Arschloch – auch Sebastian genannt – kam am 18. November des Jahres 2013 zu uns. Mitten im Schuljahr also. Ungewöhnlich.

Doch wenn man den Gerüchten glauben schenkt war es abzusehen. Was das für Gerüchte sind?

Bescheuerte. Einfach nur unglaublich Bescheuerte.

Dennoch haben diese sich irgendwie in mir festgesetzt. Besonders als ich ihm dann gegenüberstand.

Naja, ich schweife schon wieder ab.

 

Also wie schon erwähnt kam Sebastian am 18. November 2013 an unsere Schule, doch da hatte ich noch nichts davon mitbekommen.

Ich gehöre nicht zu den Schönen und Reichen, nicht zu den Beliebten und auch allgemein bekomme ich selten etwas mit was nicht mich direkt betrifft. Mann kann also wirklich sagen, wenn sogar ich es weiß, wissen es wirklich alle.

So habe ich auch von Sebastian erst nichts mitbekommen, bis zu jenem verhängnisvollem Dienstag. Dem 26. November 2013.

An diesem Tag hatten wir Sport. Jeden Dienstag hatten wir Sport. Die letzten beiden Stunden. 7. und 8.. Juhu!

3.

 

Ja, ich weiß. Als normaler Hetero-Junge sollte ich Sport lieben, aber das ist doch nur ein blödes Vorurteil. Ich bin eben keine Sportskanone. Deshalb nutze ich auch jede Möglichkeit aus um diesem Grauen zu entkommen.

Sowie letzte Woche. Da war ich mit dem Fuß umgeknickt und hatte deshalb gleich eine Entschuldigung und konnte nach Hause gehen.

Nur leider kann ich nicht jede Woche krank machen, also bin ich leider gezwungen mich an diesen 26. November meinem Schicksal zu ergeben.

 

Wie immer also, wenn wir Sport haben, trotte ich als letzter aus der Klasse um mich meinem Schicksal – langsam – zu ergeben. Doch irgendwann komme selbst ich in der Sporthalle an. Als letzter. Natürlich.

Selbst die Parallelklasse – mit der wir immer zusammen Sport haben – ist schon versammelt.

Klasse.

 

So muss ich mich dem Wunsch der mächtigeren beugen und mich Umziehen – langsam natürlich. Als ich grade mein Oberteil ausgezogen habe passiert es. Ich höre zum ersten mal von ihm.

Erst ist es nur ein Tuscheln, dann kommt ein Ausruf.

„Waaaas?“

 

Ich drehe mich um. Diese Stimme kenne ich doch. Lukas.

Er ist ein Freund von mir. Vielleicht sogar mein Bester, doch das muss ich ihm wirklich nicht auf die Nase binden, denn er ist außerdem die größte Tratsch-Tante des gesamten Schulhofes.

„Psst! Nicht so laut! Willst du etwa das er das hört, du Idiot!“

Und mit diesen Worten hatte er schon die Hand des anderen auf seinem Mund. Der andere – übrigens Tom – schaut sich nochmal um. Seltsame Vorstellung die die beiden da abliefern.

Naja, ich drehe mich wieder um und will mich schon wieder weiter Umziehen, als meine Anwesenheit bemerkt wird. Scheiße.

 

„Matthis! Los, komm her! Das musst du hören!“

Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht so sicher, ob ich das wirklich muss. Doch, wie sich herausstellt muss ich wirklich – also nicht das mir eine Wahl bleibt. Ich werde einfach gnadenlos geschnappt und hinter ihm her zu der kleinen Gruppe gezogen.

„Los Tom, sag noch mal!“

 

Dieser schaut sich erst noch mal Prüfend um ehe er wirklich anfängt zu erzählen, was ich denn unbedingt wissen muss.

„Also, ich hab da solche Gerüchte gehört, weißt du? Du weiß schon, weshalb er mitten im Schuljahr die Schule wechselt. Das ist doch ungewöhnlich, denkst du nicht auch? Es heißt ja, das der aus dem Jugendknast kommt, weißt du? Also einer von den richtig schweren Jungs.“

 

„Wo hast du das denn her?“ schaltet sich Lukas in das Gespräch ein.

„Na, du weißt schon. Ich hab da doch so einen Bekannten, der hat das von einem gehört, der mal was mit dem Knast zu tun hatte.“

Aha, sehr aufschlussreich. Denkt sich Lukas bestimmt auch, doch er geht nicht weiter darauf ein.

„Was hat der überhaupt gemacht um in den Knast zu kommen? Muss ja was schlimmen gewesen sein.“

„Das kannst du laut sagen.“

Doch im gleichen Atemzug wird Lukas der Mund schon wieder zugehalten – nicht das er dass noch wörtlich nimmt.

 

„Weißt du, ich hab gehört der soll einen abgeknallt haben. Dem Gericht konnte der wohl aber glauben machen das es nur ein Versehen war. Versehen, glaubst du das? Wie soll man denn aus versehen jemanden erschießen?“

 

Ich verdrehe die Augen und seufze. So ein Scheiß. Und schon werde ich von beiden Seiten angesehen.

„Sag bloß das dich das nicht interessiert, immerhin ist er jeden Tag mit uns zusammen. Wenn der wirklich so schwer ist sollten die den am besten im Knast lassen, oder was meinst du?“

Ehrlich gesagt meine ich gar nichts dazu, also zucke ich mit den Schultern.

„Ich weiß ja noch nicht mal über wen ihr überhaupt redet.“

 

Die eben erwähnten beiden Seiten sehen mich nur noch erstaunter an, bis Lukas seine Stimme wiederfindet und mir dazu einen 'liebevollen' Klaps auf den Hinterkopf gibt.

„Alter, du kriegst ja echt so was von überhaupt nichts mit, das tut ja schon fast weh.“

Er fasst sich theatralisch an die Stirn – als müsste ich alles wissen was an dieser bescheuerten Schule vor sich geht – dann aber beugt er sich verschwörerisch zu mir rüber und beginnt mir ins Ohr zu flüstern, was ich ja so unbedingt wissen muss.

 

„Dummkopf! Über den Neuen natürlich! Der, der vor zwei Wochen an unsere Schule kam. Der über den sich alle das Maul zerreißen.“

Er seufzt schwer, tut grade so als wäre es lebensnotwendig das zu wissen. Ich verkneife es mir noch mal verwirrt zu wiederholen 'Wir haben einen Neuen?', sondern gebe einfach nur ein „Aha.“ von mir. Vielleicht hat Gott ja etwas Mitleid mit mir. Doch das hat er natürlich nicht.

 

„Was? Sag bloß, du hast nicht mitbekommen das wir einen Neuen in der Parallelklasse haben! Alter, davon spricht die ganze Schule!“

Na, doch nicht die ganze, wie es aussieht. Aber mir ist das – offen gesagt – so egal, das es selbst ein Schulterzucken nicht verdient hätte. Irgendeine Reaktion muss ich dennoch zeigen.

 

„Jetzt weiß ich es ja.“, sage ich nur und gehe dann so schnell wie möglich zu meinen Sachen. Ich bin immer noch nicht fertig umgezogen und die Kabine ist mittlerweile fast leer. Tom und Lukas sehen mir noch kurz nach, dann höre ich Tom sagen: „Wie kann man nur so desinteressiert sein? Das geht uns doch alle was an.“

Ich ignoriere den Impuls mich umzudrehen, und ihm zu sagen, das ich auf seine bescheuerten Gerüchte so wieso nichts gebe.

„Mann, lass ihn. So ist er eben.“

 

Und das ist er wieder, der Grund, weshalb ich Lukas mag. Zwar ist er – wie erwähnt – die größte Tratsch-Tante der ganzen Schule, aber er akzeptiert, das ich davon nichts wissen will. Er sagt mir nicht, das ich langweilig bin, oder hinterm Mond lebe. Auch nicht das man nicht mit mir reden bräuchte – wie viele andere – weil ich ja angeblich eh nicht zuhören würde.

 

Er weiß das dass nicht stimmt. Ich höre sehr wohl zu, wenn man mir etwas sagt – ich merke mir nur nichts davon, was aber nur daran liegt das mich die einschlägigen Gerüchte nicht interessieren. Wozu muss ich denn bitte wissen welcher Star schon wieder verhaftet wurde und ob Lisa und Carl noch zusammen sind? Es betrifft mich nicht und geht mich auch nichts an. Punkt.

 

„Schmidt! Sind sie endlich fertig? Jedes mal das gleiche mit ihnen. Ist es so schwer sich ein wenig beim Umziehen zu beeilen?“

Diese liebevollen Worte stammen von unserem geschätzten Sportlehrer – Herr Franz – der mich ansieht als würde er bereits jetzt schon wieder genug von mir haben. Herrlich, all diese liebe um mich herum.

 

„Bin ja schon da.“, murre ich und drängele mich an ihm vorbei aus der Umkleide heraus.

Ich meine zu hören wie er spöttisch 'schon' vor sich her murmelt, doch das hat mich nicht zu interessieren. Ich will es mir ja nicht noch mehr als so schon mit ihm verscherzen. Wie lustig, wenn man bedenkt das dieser Mann mich hasst.

 

Ich betrete die Sporthalle und komme genau drei Schritte weit. Warum? Weil ich aufgehalten werde. Wovon? Nun, da mir nicht bekannt ist das eine neue Wand gebaut wurde – die dort außerdem ziemlich ungünstig stehen würde – lasse ich meinen Blick von unten nach oben wandern.

 

Ganz objektiv betrachtet kann ich sagen das es wahrlich keine Mauer ist, die mich nach meinem dritten Schritt gestoppt hat. Es war ein Junge – einer den ich nicht kenne. Gut, man könnte jetzt gemein sein und sagen, das ich ihn nicht kenne muss nichts bedeuten, doch auch wenn ich – zugegebenermaßen – die wenigsten mit Namen kenne, kenne ich doch wenigstens die Gesichter. Das vor mir kenne ich aber definitiv nicht.

 

Dann muss das wohl der neue sein, schlussfolgere ich. Wow, welch eine Erkenntnis, Sherlock. Da kann ich mich ja nur beglückwünschen.

„Verpiss dich!“, wird mir von der nicht-Wand zu gezischt.

Klasse, noch so eine nette Person in meinem Umfeld hat mir gerade noch gefehlt. Ein Glück das ich ihn nur einmal in der Woche wahrnehmen muss.

 

Der Kerl vor mir – immerhin kenne ich seinen Namen nicht – sieht mich mit jeder Sekunde begeisterter aus, weil ich mich natürlich nicht 'Verpisst' habe. Von unten herab – mit meinen 1. 65m bleibt mit auch nichts anderes übrig – sehe ich ihm seelenruhig in die Augen. Auch wenn er größer und stärker ist gibt ihm das noch lange nicht das Recht so mit mir zu reden – und ich bin bei so was schon aus Prinzip stur.

 

Keiner soll sich einbilden mit mir machen zu können was er will!

„Verdammt! Wollt ihr hier erst noch ein wenig rumknutschen oder bewegt ihr euch endlich mal von der Tür weg?“

Ach ja, da war ja was. Den Franz hatte ich ehrlich gesagt schon vollkommen vergessen – oder auch verdrängt, wie man will. Und seine gute Laune scheint von Minute zu Minute zu wachsen. Herrlich.

 

Noch einen Augenblick länger sehen der Typ und ich uns an, dann setzen wir uns in Bewegung, er zu seiner Klasse und ich zu meiner. Dort bekomme ich auch gleich – wenig sanft – Lukas' Ellenbogen in die Rippen.

„Krass, das war der Typ!“, teilt er mir mit.

 

Sehr aufschlussreich wie ich finde. Das war also der Typ. Welcher Typ? Ich werfe Lukas einen Seitenblick zu und stelle fest das er mich ansieht. Und er hat eine Augenbraue hochgezogen, so als würde er mir sagen wollen 'Sag nicht das du schon jetzt alles vergessen hast?'. Nein, naja, doch, aber als ich Lukas' Blick eben sah, ist mir sofort unser Gespräch wieder eingefallen, ehrlich. Ich weiß sogar welchen Typen er meint. Den Neuen, ja den Neuen. Man, bin ich jetzt stolz auf mich.

 

Ich sehe wie Lukas etwas sagen will doch zu meinem – sehr seltenen – Glück beabsichtigt der Franz nicht uns noch länger rumstehen zu lassen, womit mein Glück genaugenommen auch schon wieder sein Ende genommen hat, denn was nun kommt ist wesentlich schlimmer als ein Lukas der mir wieder gegen den Hinterkopf schlägt.

 

Rennen. Der Franz lässt uns geschlagene fünf Minuten durch die Halle rennen. Natürlich nur um warm zu werden – sagt er. Ich bin eher fest davon überzeugt das er seine sadistische Ader an uns armen Schülern auslebt. Als könnte man sich nach grausamen fünf Minuten wirklich noch vernünftig rühren. Pha! Gut, vielleicht übertreibe ich dabei ein klitzekleines bisschen, denn es geht wohl nicht allen so mies wie mir, doch mir geht es dafür verdammt mies.

 

Ja, verdammt. Nicht das einer denkt mit diesen fünf Minuten wäre die Sache beendet. Nein, natürlich nicht. Das wäre zu einfach und einfach wird mir in der Regel nichts gemacht. Wieso auch? Bin ja nur ich. So kommt als nächstes also erst Krafttraining, während er immer jemanden zu Liegestütz-Leistungskontrolle rausholt und den Rest der Zeit freies Spiel.

 

Großartig. Besonders da ich nicht wirklich zu denen gehöre, die sich um einen Platzt in Fitnessstudio reißen würden. Dementsprechend fallen auch meine Liegestütze aus – oder besser die eine, die ich mit wackligen Armen grade so zustande bekommen habe. Ja, lächerliche Leistung, ich weiß.

 

„Schmidt, 6!“, wird mir an den Kopf geworfen nachdem ich dem Franz versichert habe das ich wirklich nicht mehr kann. Gut, das kommt jetzt nicht wirklich überraschend angesichts meiner Glanzleistung, doch ein wenig mitfühlender könnte er schon sein, oder? Ach, was erwarte ich da eigentlich? Immerhin rede ich hier von unserem sadistischen Sportlehrer.

 

„Ruf den nächsten rein.“, befielt er mir förmlich, nur wer soll der nächste sein?

Als würde ich die Klassenliste auswendig kennen. Ich frage ihn, doch er verdreht die Augen, tritt aus dem Raum zu den anderen in die Halle und schreit laut einen Namen. Den des Nächsten.

 

„Sebastian Schön, sofort hier rein.“

Unser Lehrer sollte wirklich an seinem Umgang mit den Schülern arbeiten, doch jegliche weitere Gedanken an den Franz waren vergessen, als ich sah wer sich da in Bewegung gesetzt hat. Die nicht-Wand, der Neue, Sebastian.

 

Ich konnte ja vorhin schon feststellen, das er nicht unbedingt zu den freundlichsten Zeitgenossen an unserer Schule zählt, doch wie ein Mörder sieht er nun wirklich nicht aus. Wie genau sieht ein Mörder eigentlich aus? Doch bestimmt nicht so durchschnittlich – wobei durchschnittlich nicht wirklich das richtige Wort zu sein scheint. Er hat irgendwas, irgendwas das Menschen dazu bringt ihn anzusehen. Ich kann – selbst als Hetero – nicht bestreiten das er gut aussieht, doch ich glaube nicht das es daran liegt. Er hat so eine Ausstrahlung, eine Präsens, die ich nicht beschreiben kann. Ist so jemand wirklich in der Lage jemanden umzubringen?

 

„Starr mich nicht so dämlich an!“, zischt er mir zu, als er an mir vorbei geht.

Nein, freundlich ist was anderes. Habe ich ihn wirklich angestarrt? Egal, mehr Zeit darüber nachzudenken habe ich auch nicht, denn sobald ich in seiner Reichweite bin, werde ich von Lukas geschnappt und mit einem Federball-Schläger ausgerüstet. Nichtmal gefragt, ob ich überhaupt spielen will, hat er.

 

Nicht das ich nicht will – gut, ich will nicht wirklich – aber er hätte doch fragen können. Kommt mir das nur so vor, oder bin ich wirklich der Spielball sämtlicher Leute? Eine Marionette, ohne Willen?

„Au!“, entfährt es mir, während Lukas mich auslacht.

Da habe ich doch tatsächlich den Federball direkt ins Gesicht bekommen.

„Alles klar?“, fragt Lukas zwischen zwei Lachern, während ich mir die Stirn reibe.

Ob man es glaubt oder nicht, Federbälle könnten wirklich weh tun, wenn man sie so direkt abbekommt.

 

„Lach nicht auch noch so dämlich!“, meine ich ein wenig ärgerlich.

Lukas sieht mich einen Moment an, dann fängt er wieder an zu lachen. Toll. Idiot! Ich habe keine Lust mehr auf dieses blöde Spiel – nicht das ich die je gehabt habe, aber der Franz knallt mir eiskalt eine weitere sechs rein wenn er sieht das ich unproduktiv bin. Man, bin ich heute Witzig. Unproduktiv, ich glaube während meiner gesamten Schulzeit war ich – was den Sportunterricht angeht – überhaupt noch nie Produktiv. Da spielt es auch keine Rolle ob ich mich wirklich bemühe oder eben nicht. Sport liegt mir nicht, Sport hasst mich. Und zugegebenermaßen hasse ich Sport auch. Herr Anwalt, ich möchte die Scheidung, bitte. Ha, wäre doch zu schön, wenn es wirklich so leicht gehen würde.

 

Ich wende mich von Lukas ab und gehe auf die – echte – Wand der Turnhalle zu, an der die Bänke stehen. Nein, ich habe sicher nicht vergessen, worüber ich mich soeben noch ausgelassen habe, doch bei meinem Glück werde ich heute noch ein Auge verlieren, wenn ich weiter Spiele. Die Entscheidung Auge oder sechs fällt mir da nicht wirklich schwer. Eine sechs ist ärgerlich, doch auszubügeln – irgendwie – während ein Auge zu verlieren wesentlich folgenschwerer ist.

 

Lukas kommt natürlich hinter mir her, weiß er doch um mein inniges Verhältnis zum Sportlehrer und wie gerne dieser uns – insbesondere mich – sitzen und nichts tun sieht.

„Alter, wenn du schon keinen Bock hast, dann tu wenigstens so als würdest du was machen.“

Danke, Lukas. Ein wirklich hilfreicher Rat, wie ihm mein Blick wohl gerade mitteilt, doch ich komme nicht dazu ihm das auch mündlich kund zu tun, denn ich werde gründlich davon abgehalten.

 

Schneller als ich irgendwie reagieren kann – denn sowohl Lukas, als auch ich bemerken ihn reichlich spät – stolpert er rückwärts auf mich zu und gleich darauf habe ich ihn auch schon auf meinem Schoß und seinen Ball auf dem Kopf. Verdammt! Wenn es nur das wäre. Dieser verdammte Riesenarsch ist natürlich genau so auf mich gefallen das er mich mit seinem Rücken an die Wand schlägt. Arsch – denn ich spüre wie mir etwas warmes aus der Nase läuft.

 

Wer dieser Riesenarsch ist? Oh, hab ich das nicht erwähnt? Sebastian natürlich! Das kann man sich doch denken, oder?

„Entschuldigung“, meint er während er aufsteht – bevor er weiß auf wem er gelandet ist, denn als er sich dann zu mir herumdreht wirft er mir nur ein „Ach, bloß du“ zu.

Arsch. Arsch. Arsch! Was läuft bei dem nur falsch? Habe ich ihm etwas getan? Arsch, verdammter! Sein Blick fällt auf meine Nase.

„Sag nicht, dass du mir mein Shirt voll geblutet hast!“, faucht er mich regelrecht an.

Ich weiß ja nicht weshalb er sich da so aufregt. Ist ja erstens nur ein Shirt – das nicht mal besonders gut aussieht – und zum anderen war er es ja, der mir auf den Schoß gesprungen ist. Das ich Schmerzen wegen ihm haben könnte, kommt – seiner Reaktion nach – anscheinend gar nicht in Frage.

 

Arsch. Und das teile ich ihm auch gleich, genau so übellaunig, mit wie er zuvor mir. Arsch. Gott, er regt mich so auf. Am Rande bekomme ich noch mit wie einer der anderen Schüler – aus der Menge die sich um uns gebildet hat – versucht irgendetwas in meine Richtung einzuwerfen, doch das wird von mir ruhigen Gewissens ignoriert. Mörder, klar. Als würde ich an die dämlichen Ammenmärchen dieser bescheuerten Schule glauben.

 

Wäre er Mafia-Boss würde das für mich keinen Unterschied machen. Was nimmt dieses Arschloch sich eigentlich raus?! Ich hasse ihn! Selbstverliebtes, ignorantes Arschloch! Nur noch Zentimeter liegen zwischen uns, weil wir uns beim Streiten immer näher gekommen sind. Meine Hände haben sich in seinen Kragen gekrallt, ziehen ihn weiter zu mir runter und sein selbstgefälliges Grinsen wird mit jedem Satz größer.

 

„Pass auf, dass du Giftzwerg dir nicht gleich in die Hose machst. Ich weiß doch was hier über mich erzählt wird und ich kann dir sagen: Es ist alles wahr.“

Arsch! Verdammter Arsch! Sein Grinsen wird immer größer und mit jeder Sekunde möchte ich es ihm mehr aus dem Gesicht wischen. Sehe ich so aus, als würde ich so einen Scheiß glauben? Idiot! Ich atme tief durch, dann lasse ich ihn langsam los. Von so einem Arsch muss ich mich doch provozieren lassen!

 

„Genau, verpiss dich!“, wirft er mir noch zu, gerade als ich mich von ihm weggedreht habe.

Was soll ich dazu noch sagen? Kaum hat er das ausgesprochen, hat er auch schon meine Faust in seiner Visage. Einige der Mädchen lassen einen Schrei los, dann steht plötzlich der Franz zwischen uns. Der hat bestimmt die ganze Zeit zugesehen und gewartet bis er mir was anhängen kann.

 

„Schmidt! Was soll das? Immer gibt es nur Ärger mit ihnen!“

Was?! Immer Ärger mit mir? Idiot! Wie kann der so was behaupten? Das ist das erste mal in meinem gesamten Schulleben das ich überhaupt mal laut geworden bin – geschweige denn, jemanden geschlagen habe! Arg! Es haben sich hier doch alle Idioten gegen mich verschworen!

 

Doch wenigstens einer dieser Idioten grinst jetzt nicht mehr. Gut das es Laser-Blicke nur in Superhelden-Comics gibt, sonst hätte mich soeben das Zeitliche gesegnet – so aber strahle ich den Arsch einfach nur an. Wer sagt das Rache nicht süß sein kann, der hat doch keine Ahnung. Ich fühle mich jetzt großartig – was auch dem Ausblick auf Arschloch's blutende Nase zu verdanken ist.

 

Das ich mir mit Grinsen in dieser Situation allerdings keine Freunde mache, merke ich spätestens als mich der Franz – wenig sanft – am Arm packt und aus der Sporthalle schleift. Große Klasse.

„Schmidt, Umziehen. Wir gehen zum Direktor.“

Gut, jetzt fällt mir erst mal alles aus dem Gesicht. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie beim Direktor, ja, ich weiß noch nicht mal wie der überhaupt aussieht. Was soll ich denn da? Der Arsch hat doch angefangen! Warum muss der sich nicht verantworten? Es ist doch alles nur seine Schuld! Verdammt!

 

„Warum denn nur ich?“, kommt mir dann auch endlich mal über die Lippen.

„Sie haben doch wohl auch angefangen!“, kommt keine Sekunde später zu mir zurück.

Frechheit! Er hat doch ganz genau gesehen was passiert ist. Das ich zuerst eine blutende Nase hatte und wie der Arsch mich immer weiter provozierte.

„Das ist nicht wahr!“, versuche ich mich gegen meinen Lehrer zu verteidigen – doch wie man's macht, man macht's falsch, so das ich wohl wieder ein Stück der Hölle entgegengehe.

„Keine Ausreden!“

Und das heiß auch gleich das Wiederworte bei ihm auf taube Ohren stoßen. Er sieht nur was er sehen will und weil er mich sowieso nicht leiden kann, stehe ich bei ihm gleich ganz oben auf der schwarzen Liste.

 

Also muss ich mich – einmal mehr – der Obrigkeit fügen und mich Umziehen. Kaum ist das vollbracht, werde ich wieder vom Franz gepackt – ob nun damit ich ihm nicht wegrenne oder damit es schneller vorangeht, vermag ich jetzt nicht zu ergründen – und werde den ganzen Weg zum Direktor quasi mehr geschliffen, als das ich laufe.

 

Mit jedem weiteren Schritt, dem wir dem Büro entgegen gehen, werde ich nervöser. Was soll ich da? Ich bin doch nicht Schuld – zumindest nicht alleine! Doch wer wird mir schon glauben? Was wenn der Direktor genau so ein Mensch ist wie der Franz? Wenn er nur sieht was er sehen will und mich ebenfalls nicht leiden kann? Dann kann ich doch einpacken! Verdammt! Meine Hände zittern schon.

4.

 

„Herein.“, ertönt eine tiefe Stimme nachdem der Franz geklopft hat.

Er öffnet die Tür und ich sehe zum ersten mal – ganz bewusst unseren Schulleiter. Es ist ein großer – soweit ich das in seiner sitzenden Position hinterm Schreibtisch beurteilen kann – Mann, ende fünfzig, der uns mit einer Handbewegung deutet uns zu setzten, dann sieht er den Franz auffordernd an.

„Was ist los?“

Der Franz lässt sich nicht lange bitten und erzählt die Geschichte – allerdings aus seiner Sicht, was bedeutet das es für mich darin schlecht aussieht. Super.

„Schm- Entschuldigung, ich meine Matthis hat mit einem anderen Schüler einen Streit vom Zaun gebrochen, ohne einen ersichtlichen Grund und zur Krönung hat er sogar zugeschlagen. Das Verhalten konnte ich ihm nicht durchgehen lassen, zumal es der neue Schüler war mit dem er sich anlegte. Was sollen denn die Eltern des Jungen nun von unserer Schule halten?“

 

Scheißkerl! Da soll nochmal einer sagen das Lehrer objektiv wären. Ha! Unfug! Scheiße! Alles Scheiße! Was soll ich denn jetzt machen? Der haut mir doch sicher gleich einen Tadel rein oder suspendiert mich oder was weiß ich. Ich bin verloren. Meine Eltern werden mich umbringen. Einfach zerqu-

 

„Und was haben sie dazu zu sagen?“, fragt er nun mich.

Wahnsinn. Er fragt mich. Ich meine: Er fragt mich! Steht für ihn der Verlauf dieses Vorfalls noch nicht Felsenfest? Also, ich könnte mit Sicherheit sagen: Der Franz würde mich sofort einbuchten lassen, sobald auch nur einer mit dem Finger auf mich zeigt, aber dieser Mann, der Direktor, fragt nach. Wahnsinn, einfach Wahnsinn.

 

„Äh, ja.“, nicke ich, doch dann schüttle ich ganz schnell den Kopf – es könnte ja als eine Zustimmung verstanden werden, wo keine ist.

„Entschuldigen sie bitte, aber ich bin keineswegs der Meinung, das der Streit grundlos war.“

Ich zeige auf meine Nase – auch wenn ihm vermutlich nicht entgangen war das diese vor kurzem noch geblutet hat. Immerhin hatte ich keine Zeit mich darum zu kümmern, sondern musste mir in vorbeigehen ein Taschentuch schnappen.

„Sebastian – der Junge mit dem ich mich gestritten habe – ist mir quasi auf den Schoß gesprungen, so das ich mir den Kopf und die Nase gleichzeitig gestoßen habe, zudem landete sein Ball auch noch auf meinem Kopf. Ich gebe zu das das alles eher ein Zufall war, als alles andere, doch er hat mir weh getan. Als ich ihm das sagte, kam ihm alles andere als einen Entschuldigung über die Lippen. Er wurde Aggressiv und auch ich war Aufgeladen. Ich wollte gehen, den Streit beenden – wirklich! Doch er hat mich so lange Provoziert bis ich rot gesehen habe. Dann schlug ich zu. Einmal. Ich weiß das es nicht richtig war und möchte mich für dieses Verhalten Entschul-“

 

„Schmidt! Was fällt ihnen eigentlich ein hier so eine Nummer abzuziehen, vor dem Direktor und auch noch den Neuen zu beschuldigen!“, fällt der Franz mir ins Wort.

Verdammt, kann der sich nicht mal vor seinem Chef zurückhalten? Geht sein Hass auf mich wirklich soweit? Was ist wenn er mir jetzt nicht glaubt? Ich bin erledigt. Doch Herr Scholz – übrigens der Name unseres Direktors – nickt mir nur zu und wendet sich dann wieder dem Franz zu.

 

„Herr Franz, ich würde mir etwas mehr Zurückhaltung von ihnen wünschen und dürfte ich erfahren warum sie nur einen der Schüler zu mir gebracht haben?“

Der Franz sieht sich um – weiß vermutlich nicht sofort was er darauf sagen soll. Klar, 'Ich kann den Schmidt nicht leiden.' wäre sicherlich nicht sehr schlau – auch wenn es durchaus der Wahrheit entspräche.

„Ich dachte der Neue sollte sich erst mal von dem Schock erholen.“, sagte er schließlich.

Pha! 'Von dem Schock erholen.' Der tut ja so, als hätte ich ihm sonst was angetan. Verdammt! Er hat mich provoziert und ich war so blöd ihn zu Schlagen, mehr nicht. Welchen Schock sollte der Arsch bitte haben? Vielleicht ist er ja über meine Dummheit geschockt, tatsächlich auf so was bescheuertes einzugehen. Der Schlag dürfte ihn also eher aus seinem 'Schock' geholt, als ihn da reingebracht haben.

 

Dennoch besorgt sehe ich Herr Scholz an. Der Franz stellt mich hier immerhin als unberechenbares Monster hin und er hat zu der ganzen Sache noch keinerlei Stellung bezogen.

„Holen sie den Jungen bitte her. Ich muss mir die Sache aus allen Perspektiven anhören, damit ich es beurteilen kann.“

Ob das jetzt nun gut oder schlecht für mich ist, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht so genau. Nur mit dem Franz stand es Aussage gegen Aussage, doch wenn der Arsch auch noch da ist … bin ich Tot. Der wird doch den Teufel tun, die Wahrheit zu sagen, sondern sich schön als Opfer darstellen. Dann heißt es zwei gegen einen. Nicht nur das das ziemlich Unfair ist – ist der Franz, ein Lehrer auch noch auf seiner Seite. Verdammt! Da brauche ich mich gar nicht erst Fragen, wer für schuldig gehalten wird – der Tatbestand ist doch so offensichtlich. Ich bin der böse.

 

Die Tür geht auf und herein kommt wieder der Franz – mit guter Gesellschaft. Verdammt! Hätte der Arsch nicht vom Erdboden verschluckt werden können? Nein, natürlich nicht. Das hätte wieder was mit meinem Glück zu tun – und das ich keines habe wird doch wohl jetzt auch der letzte begriffen haben.

 

Wieder mit einer knappen Handbewegung deutet der Direktor diesmal auf einen Stuhl in der Ecke des Raumes. Der Franz versteht. Arsch setzt sich neben mich und er zieht sich den Stuhl heran. Einmal werden wir der Reihe nach, durchgehend gemustert – ein Blick, der einem kalte Schauer über den Rücken jagt. Dann schweift sein Blick vom Franz zurück auf – ich hasse es jetzt schon seinen Namen nur zu denken – Sebastian, dem er mit einem Satz zu verstehen gibt, seine Version der Geschichte zu offenbaren. Arsch. Ich habe ja mit vielem gerechnet, doch das schlägt alles. Ich will ihn erwürgen.

 

„Zunächst mal möchte ich zum Ausdruck bringen das das ganze ein dummer Unfall war und-“

Da gerät er ins Stocken. Der Arsch kennt nicht mal meinen Namen! Gedanklich lege ich meine Hände an seinen Hals.

„-er“, setzt er mit einem Blick auf mich ein, „keine Schuld von mir zugewiesen bekommt. Es war meine Schuld. Ich habe ihn weh getan – unabsichtlich zwar, aber dennoch – und er hat es mir zurückgezahlt. Ich wünschte er hätte mir wenigstens Zeit für eine Erklärung gelassen, doch es ist verständlich das er Blind vor Wut war. Schmerzen machen uns doch alle irgendwie rasend. Es ging alles so schnell, das ich nicht mal die Hände heben konnte und im nächsten Moment tat mir die Nase weh und Herr Franz stand schützend vor mir. Danke, nochmal.“

 

Meine Hände schließen sich enger um seinen Hals – weiterhin nur gedanklich. Leider. Er spielt hier das großherzige Opfer. Pff, Arsch! Der Direktor hat während der gesamten Schilderung den Arsch – und nur so, werde ich ihn auch weiterhin nennen – nicht einmal aus den Augen gelassen. Er ist ruhig, ruhig und berechnend, so als würde er uns alle schon längst durchschaut haben. Doch das wäre zu schön um wahr zu sein – und wohl auch ein wenig unheimlich.

 

Dann sieht er uns alle der Reihe nach an, bis sein Blick schließlich am Franz hängen bleibt und Arsch und ich aus dem Raum verbannt werden, allerdings mit dem ausdrücklichen Befehl vor der Tür zu bleiben und nichts dummes zu tun. Ich weiß nicht was die beiden darin zu bereden haben und ob das immer so läuft, denn immerhin stehe ich das erste mal in den heiligen Hallen der Gerechtigkeit. Womöglich unterschreiben sie gerade mein Todesurteil mit ihrem Blut...

 

Okay, das dann wohl doch eher weniger. Ganz nüchtern betrachtet, was könnten die Beiden darin sonst tun? Ich seufze. Was gescheites wird mir momentan eh nicht einfallen, also heißt es abwarten. Abwarten und den Arsch neben mir ignorieren, der mich schon blöd von der Seite anstarrt seit wir hier draußen gelandet sind. Ja, einfach ignorieren. Wie schwer kann das schon sein?

 

Eindeutig schwerer als gedacht, denn als Arsch mich noch nach verdammten fünf Minuten anstarrt kann ich nicht mehr anders als ihn an zu knurren.

„Was ist?!“ fahre ich ihn also an.

Wie nicht anders zu erwarten schenkt er mir sein hämischstes und arrogantestes Lächeln, während er mich von oben herab mustert. Arschloch! Ich atme tief ein und aus, immerhin will ich mich nicht schon wieder von ihm zu so einer dummen Aktion provozieren lassen – auch wenn er das wirklich verdammt gut kann, mich provozieren meine ich.

 

„Steck dir dein beschissenes Grinsen doch sonst wo hin!“, sage ich und drehe mich dann von ihm weg. Ich weiß nicht womit ich das verdient habe, ich weiß es wirklich nicht. Liegt es daran das ich mit vier die Lieblingsblume meiner Mutter um geschmissen – ermordet – habe und behauptete es war die Katze oder vielleicht weil ich mit 12 mal unter Lisa Gerbers Rock geguckt habe? Das waren ganz sicher keine Glanzleistungen und ich muss gestehen das ich auch noch einiges mehr auf dem Kerbholz habe, als das, aber muss die Strafe dafür wirklich so ausfallen? Das ist Grausam, einfach Grausam – Arsch kichert! Für mich gibt es kein schlimmeres Geräusch auf der Welt!

 

„Idiot.“, meint er und klingt herablassend wie eh und je.

Dann ist es still zwischen uns, zu still – unheimlich still und eigentlich vertraue ich ihm nicht genug um ihm den Rücken zuzudrehen, aber mich umzudrehen nur um wieder in dieses Grinsen zu blicken passt mir auch nicht. Ich seufze.

 

Die Tür geht auf und der Franz kommt raus. Mich beachtet er gar nicht, dafür aber Arsch – klar, dem hat er doch von der ersten Sekunde an aus der Hand gefressen.

„Sebastian, sie sollen wieder rein gehen.“

Arsch nickt dem Franz zu und grinst mich einmal mehr überheblich an, dann fällt die Tür hinter ihm zu. Endlich ist er weg.

 

Doch zu früh gefreut, denn allein bin ich noch lange nicht. Der Franz lehnt an der Wand mir gegenüber und wie zuvor werde ich auch jetzt wieder angestarrt – zwar nicht so überheblich, dafür aber weit grimmiger. Ich kann mir nur all zu lebhaft vorstellen was momentan in seinem Kopf vorgeht, weshalb ich mir auch jegliche Kommentare verkneife, die mir im Kopf herum geistern. So verweilen wir dann bis sich die Tür – Ewigkeiten später – ein weiteres mal öffnet.

 

Arsch kommt heraus und sieht zum ersten mal weder arrogant noch überheblich aus, ja er grinst nicht mal. Ich bin mir nicht sicher ob das ein gutes Zeichen ist und muss ehrlich zugeben das mir vor Aufregung schlecht wird als Arsch mir sagt: 'Du bist dran.'

 

Genau wie beim ersten mal werde ich mit einer Handbewegung auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch verwiesen, doch ohne das er dabei aufsieht. Ich sitze kerzengerade da und traue mich nichts zu sagen. Er unterschreibt noch irgendwas, dann sieht er auf. Ich werde immer nervöser und frage mich was er wohl von mir erwartet. Ob die anderen beiden ihn überzeugen konnten das ich an allem schuld bin? Doch das kann ich mir kaum vorstellen, wer traut sich schon so einen Mann unter vier Augen zu belügen? Ich jedenfalls nicht – wobei ich ja auch vorher schon nicht gelogen hatte.

 

Im wesentlichen soll ich bei diesem Einzelgespräch nur nochmal genaustens wiederholen was geschehen ist. Das fällt mir nicht besonders schwer, da ich mir zumindest keine Halbwahrheiten merken muss – wie gewisse andere Leute. Wenigstens hat sich meine Nervosität gelegt – etwas zumindest.

 

Nach dem ich geendet habe, werde ich wieder raus geschickt. Der nachdenkliche Blick unseres Direktors ist nicht mal mir entgangen – und dass, wo ich doch sonst wirklich nicht viel mitbekomme.

 

„Wir müssen warten.“, sage ich, ohne einen der Beiden anzusehen.

Ich weiß – wie gesagt – nicht ob dass immer so läuft, denn ich war ja noch nie bei Herr Scholz, aber ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob jedem Fall so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird.

 

Nicht, das ich mich darüber beschweren würde, nicht einfach mit einem Tadel in die Ecke gesetzt worden zu sein – und den Sportunterricht zu verlassen – aber dass scheint mir doch reichlich viel Aufwand für zwei blutende Nasen zu sein.

 

Doch das sage ich lieber nicht laut. Bei meinem Glück werde ich dafür bestimmt von einem Meteoriten getroffen – oder der Franz denkt sich was 'nettes' für mich aus.

5.

 

Als die Tür zum Direktor-Zimmer aufgeht, geht mir der Arsch – und diesmal meine ich wirklich meinen eigenen – so ziemlich auf Grundeis. Ich will nicht wissen, was die Beiden da drin über mich gesagt haben. Bestimmt bin ich jetzt das Monster der Schule und muss verbannt werden.

 

Ich bekomme Gänsehaut – nein, eigentlich traue ich Herr Scholz zu, zu erkennen, das ich nicht Lüge. Ich weiß, dass so was nicht leicht ist – besonders da er ja sicherlich nicht in die Köpfe der Menschen sehen kann – aber, gehört das nicht auch zu seinem Job? Ich hoffe schon, denn wenn nicht, bin ich so ziemlich am Arsch.

 

Wieder sieht er uns alle der Reihe nach an – immer noch mit kritischem Blick.

„Matthis“, sagt er und mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

„Das was sie sich heute geleistet haben, ist kein Verhalten welches ich an meiner Schule dulde. Wenn sie irgendwelche Probleme mit anderen Schülern haben sollten, gehen sie zu Lehrern oder lernen sie Streit auf gewaltfreie Weise zu lösen.“

 

„Sebastian. Sie sind neu an der Schule, daher sollten sie versuchen von Anfang an ihre beste Seite zu zeigen, anstatt gleich negativ aufzufallen.“

 

„Herr Franz. Ich möchte sie bitten in Zukunft mit solchen kleinen Streitereien allein zurecht zu kommen und dabei auch objektiv zu bleiben. In unserem Beruf können wir nicht nur nach Sympathie handeln, sondern sollten gerecht bleiben.“

 

Stille. Einen kurzen Moment ist es still im Raum. Ich fühle mich schlecht, mein Herz rast und ich glaube nicht zu atmen. Was wird jetzt? Muss ich die Schule verlassen?

 

„Matthis“, fängt er wieder mit mir an. „Lernen sie ihre Gefühle besser zu beherrschen. Bisher gab es noch nie Probleme mit ihnen und ich möchte nicht, dass sich das ändert. Sie werden zwei Wochen lang Nachsitzen, damit sie sich bewusst werden, das Handeln Konsequenzen nach sich zieht.“

 

Ich nicke, einfach nur erleichtert doch nicht von der Schule zu fliegen.

 

„Sebastian. Sie werden ebenfalls zwei Wochen Nachsitzen, denn auch wenn sie hier neu sind haben sie doch noch lange keinen Freifahrtschein.“

 

Sebastian sieht nicht ganz so erleichtert aus, wie ich mich fühle. Ich fürchte eher er ist überhaupt nicht erleichtert, sondern wütend. Hoffentlich ist er nicht so dumm zu protestieren. Ist er nicht – zum Glück. Ich hätte keine Lust wegen ihm noch eine Woche mehr zu bekommen.

 

„Herr Franz, ihnen merkt man nur allzu deutlich an, welche Schüler sie bevorzugen und welche nicht. Selbstverständlich hat man in unserem Beruf auch seine Lieblinge, doch sie geben sich offensichtlich keine Mühe alle gleich zu behandeln. Ich gebe ihnen eine Verwarnung, da es das erste mal war, das so ein Verhalten bei ihnen so deutlich wurde.“, schließt Herr Scholz ab und wir dürfen gehen.

 

Das erleichterte Hochgefühl des 'nicht-von-der-Schule-fliegens' ist ab dem Moment dann auch vorbei, denn als wir so durch den Flur zurückgehen fühle ich mich, als würde ich durch einen Eispalast wandern – eiskalt und Sau gefährlich, denn sowohl der Franz als auch Arschloch sehen aus, als würden sie mich am liebsten erdolchen.

 

Ich bekomme eine Gänsehaut – schreckliche Vorstellung. Dabei kann ich doch nichts dafür, dass so entschieden wurde. Es ist ja nicht so als hätte ich den Direktor hypnotisiert oder so, schließlich wurde ich genau wie die Anderen auch bestraft.

 

„Los, holt euren Kram.“, scheucht uns der Franz, als wir wieder vor der Turnhalle stehen. Und ja, uns. Selbst seinen neuen Liebling. Ein Glück ist der Sportunterricht schon vorbei – so bin ich die Beiden vorerst los.

6.

 

Vorerst ist genau das richtige Wort dafür, denn in den Pausen werde ich Arsch zwangsläufig wiedersehen müssen. Bei dem Gedanken kommt Freude auf – doch immer schön der Reihe nach.

 

Ich komme am nächsten Morgen also wieder in die Klasse und alle – einfach alle – starren mich an. Ich bin nicht ganz sicher ob es daran liegt das schon Unterricht ist und ich somit zu Spät bin oder doch eher daran das ich dem neuen, dem Verbrecher, eine reingehauen habe. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich überhaupt mal zugeschlagen habe – Wer weiß das schon? Jedenfalls fühle ich mich reichlich unwohl und gehe mit gesenktem Kopf und eine Entschuldigung nuschelnd auf meinen Platz.

 

Dort sieht Lukas mich auch gleich neugierig an.

„Hey, was war denn los?“, fragt er mich leise.

Klar, bestimmt will jeder wissen was genau passiert ist, denn – auch wenn es mir nicht so vorkam – im Nachhinein betrachtet ging das alles wirklich ziemlich schnell. Diese Erkenntnis trifft mich – trifft mich unglaublich tief. Ich lasse meinen Kopf in die verschränkten Arme auf den Tisch sinken. Wie konnte ich mich nur so schnell von diesem Arsch provozieren lassen?! So schnell! Und das schlimmste ist, ich weiß gar nicht so genau warum ich so wütend geworden bin. Ich bin doch sonst nicht so. Sicher war sein Verhalten scheiße, aber sonst hätte mich das auch wenig gekümmert.

 

Lukas rammt mir wieder seinen Ellenbogen in die Seite und ich schrecke auf.

„Also?“

Hä? Was also? Ich sehe ihn verwirrt an, aber er scheint trotzdem auf eine Antwort zu warten.

„Was?“, frage ich also ziemlich dümmlich und sehe ihn seine Augen verdrehen.

„Idiot.“, höre ich ihn noch murmeln, dann werden wir unsanft wieder zur Ordnung gerufen.

Im Unterricht wird nicht gesprochen, quatschen sollen wir in unserer Freizeit, wir lenken unsere Mitschüler ab, die ja ganz unbedingt was lernen wollen – Blah, blah, blah.

 

Mich interessiert es herzlich wenig, da ich eh nicht vorhatte mich jetzt mit Lukas ausführlich über was auch immer zu unterhalten. Dieser hält aber tatsächlich für den Rest der Stunde den Mund – ich glücklicher.

 

Bringt mir nur leider reichlich wenig, da so eine Schulstunde – wer hätte das gedacht – nicht ewig geht und Lukas mich mit Fragen bombardiert noch ehe das erste Klingelzeichen aufhört. Ich habe immer noch nicht wirklich Lust jetzt das ganze geschehen nochmal aufzurollen und durchzudiskutieren, doch er gibt einfach keine Ruhe.

 

Bestimmt das zehnte Mal stellt er jetzt schon die gleiche Frage.

„Was war passiert?“

Ich bin auch nach dem zehnten Mal nicht gewillt ihm darauf eine Antwort zu geben – zumal ich mir selbst noch nicht sicher bin, was genau passiert ist.

 

Naja, das ist nicht so ganz richtig. Es liegt auf der Hand was passiert ist. Ich weiß es – und Lukas weiß es auch, schließlich stand er genau neben mir. Die eigentliche Frage ist also 'Warum?'. Und das ist eine verdammt gute Frage. Warum? Das hat mich schon die ganze Nacht wachgehalten und doch komme ich auf keinen grünen Zweig.

 

Lukas rüttelt und schüttelt und zieht und zerrt an mir herum, bis ich die Nase voll habe und mich ihm nun doch zuwende. Das Ergebnis ist für uns beide ziemlich enttäuschend.

„Keine Ahnung.“, sage ich.

 

Lukas starrt mich einen Moment lang an.

„Wie 'keine Ahnung'? Du musst doch wissen, warum du jemanden eine rein haust.“

Ich seufze. Ja, sollte man eigentlich wissen. Warum weiß ich es nicht? Ich war einfach so unglaublich wütend. Jetzt im Nachhinein kommt mir meine eigene Reaktion ziemlich dämlich vor.

 

„Ich weiß es eben nicht.“, will ich energisch sagen, stattdessen klingt es allerdings eher kraftlos. „Aber ich habe zwei Wochen um darüber Nachzudenken.“

„Was?! Zwei Wochen? Das ist echt lange!“

 

Lukas starrt mich entgeistert an und ich starre jetzt zurück.

„Ich bin froh das ich nicht von der Schule geflogen bin!“, gebe ich entrüstet zu.

Daraufhin fängt Lukas an zu lachen – was auch immer daran so lustig sein soll.

 

„Also, manchmal lebst du echt hinterm Mond.“, meint er immer noch lachend. „Hast du überhaupt eine Ahnung, wie schwer es ist von einer Schule zu fliegen?“

Ich schüttele den Kopf. Darum musste ich mir noch nie Gedanken machen, aber wahrscheinlich weiß man so was einfach – wenn man nicht gerade ich ist zumindest. Aber ich habe auch keine Lust jetzt weiter nachzufragen. Eigentlich ist es mir sogar scheißegal.

 

Ich wende meinen Blick von Lukas ab und lasse ihn durch die Klasse schweifen. Warum zum Teufel starren mich immer noch alle an? Lag es also doch nicht am zu spät kommen. Ich hebe eine Augenbraue, aber keiner sagt irgendwas zu mir. Im Gegenteil, sobald mein Blick von jemandem bemerkt wird, hat derjenige urplötzlich irgendwas ganz anderes zu tun. Super. Werden über mich jetzt auch so dämliche Gerüchte verbreitet?

 

Bitte, bitte, nicht! Ich will nicht von jedem angestarrt werden – es ist mir sogar lieber, wenn mich niemand bemerkt.

 

Naja, tröste ich mich, sicher wird das bald wieder vergessen sein und alle widmen sich wieder ihrem eigenen Scheiß. Genau immer positiv Denken!

 

Ich lasse meinen Kopf wieder auf die Bank fallen. Für eine Fünfminuten Pause kommt mir das eindeutig zu lange vor.

7.

 

Ein Glück klingelt es wieder zum Unterricht!

 

Einen Moment lang bin ich über meine eigenen Gedanken erstaunt. Ich freue mich auf Unterricht? Niemals. Doch gerade heute, wo der Tag schon so beschissen angefangen hat, freue ich mich, dass wenigstens in dieser Zeit niemand über mich reden kann – auch wenn ich mich immer noch angestarrt fühle.

 

Das ist nicht schön, aber einigermaßen erträglich – nicht das ich dabei irgendeine Wahl hätte, außer aufzustehen und mich irgendwo zu verkriechen wo mich keiner findet. Das würde aber im Nachhinein nur noch mehr für Aufmerksamkeit sorgen – also das genaue Gegenteil von dem was ich erreichen will. Scheiß Plan, lasse ich doch lieber.

 

Der Unterricht ist – wie könnte es anders sein – langweilig. Einfach nur langweilig. Die monotone Stimme unseres Lehrers schläfert geradezu ein, dennoch ist es mucksmäuschenstill. Keiner traut sich zu quatschen oder sich abzulenken, lediglich der Versuch des nicht-einschlafens wird von allen unternommen – auch von mir. So langweilig und monoton unser Lehrer auch ist – bekommt er mit, wie jemand quatscht, wird ein Test geschrieben. Man muss wirklich kein Genie sein um sich auszumalen wie das Ergebnis ausfallen würde.

 

Doch auch diese Stunde endet und das bedeutet wir werden jetzt – wie eine Horde dummer Schafe – nach draußen getrieben. Wehe, es bleibt jemand drin – warum auch immer es diese dämliche Regel gibt. Das hat mir noch nie gefallen, doch heute wird mir richtig schlecht bei dem Gedanken auch nur einen Fuß in diese gaffenden Schülermassen zu setzen. Leider habe ich – wie so oft – keine andere Wahl.

 

Draußen angekommen ist es nicht ganz so schlimm wie angenommen – aber immer noch schlimm genug. Immerhin starren mich nicht alle Schüler an – hauptsächlich die, die auch gestern dabei waren. Andere Schülergruppen werfen einige kurze Blicke auf mich – als hätten die mich noch nie gesehen – und widmen sich wieder ihren Gesprächen.

 

Schlecht ist mir zum Glück nicht mehr, auch wenn ich mich immer noch nicht wohl fühle – und dann fällt mein Blick auf ihn, Arschloch. Er sieht mich auch und ich wünschte er hätte es nicht, denn der Blick den er mir zuwirft, lässt es mir kalt den Rücken runter laufen. Mir scheint, er ist sogar noch wütender als Gestern.

 

„Hörst du mir überhaupt zu?“, fragt Lukas.

Erschrocken drehe ich mich um, mein Herz rast. Seit wann ist er schon hinter mir?

„Also nicht.“, beantwortet es seine eigene Frage in dem er meinen Blick offensichtlich ganz richtig interpretiert.

„Sorry.“, murmele ich.

 

Er schüttelt nur den Kopf und wir gehen weiter. Als wir die Anderen aus unserer Klasse sehen, will sich Lukas wie immer zu ihnen stellen, doch mir behagt das gar nicht.

„Können wir heute allein stehen?“, frage ich ihn und hoffe inständig, das er 'Ja' sagt.

Zum Glück nickt er und wir stellen uns etwas Abseits hin.

 

„Du glaubst nicht wie viele mich Gestern noch angerufen haben. Alle wollten wissen was los war. Und ich habe versucht dich zu erreichen, aber du gehst ja wie immer nicht ran.“

Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche. Es steht immer auf lautlos, wegen der Schule – Zuhause denke ich nie daran den Ton wieder einzuschalten, deshalb ist es auch nicht das erste Mal dass ich Anrufe nicht mitbekomme.

 

Ich sehe auf das Display und tatsächlich habe ich entgangene Anrufe – viele entgangene Anrufe.

„Alter, du hast mich doch nicht im ernst 16 Mal angerufen!? Und woher haben die Anderen alle meine Nummer?“

Ich habe tatsächlich 37 entgangene Anrufe und einige SMS. Die sind doch alle nicht mehr ganz richtig im Kopf. Zum Glück war mein Ton aus. Lukas grinst mich nur an.

 

„Ich war eben neugierig. Gestern haben wir uns ja nicht mehr gesehen, da dachte ich, ich rufe dich an, aber du bist die ganze Zeit nicht ran gegangen.“

Ich verdrehe die Augen. Das ist so typisch, alle sind so sensationsgeil. Aber das schlimmste daran ist, dass ich vermutlich keine der Fragen hätte beantworten können.

 

Und ich kann es immer noch nicht – auch nicht nachdem ich mir die ganze Nacht über den Kopf zerbrochen habe. Arsch hat mich einfach wahnsinnig wütend gemacht – das ist alles was ich mit Sicherheit sagen kann. Das scheint auch Lukas langsam zu begreifen, denn er fragt weniger, erzählt mir aber stattdessen was außer meinem gestrigen Ausrutscher noch so passiert ist.

 

Ich höre ihm zu – wirklich. Na gut, mit halbem Ohr, aber immerhin. Und es ist auch eine gute Ablenkung – eigentlich, denn ich spüre nach wie vor das gestarre. Es juckt förmlich im Nacken, aber das bilde ich mir bestimmt nur ein.

 

Nein, ich bilde es mir nicht nur ein. Als ich mich umsehe, sehe ich immer noch einige Blicke auf mir – auch von Arsch. Der starrt immer noch so grimmig. Ganz toll. Will er mich zu Tode starren? Ist das seine Art mir zu zeigen dass er mich nicht leiden kann?

 

Danke, aber das dachte ich mir auch so schon. Wobei ich dennoch nicht weiß, was er gegen mich hat – ich meine, es begann ja schon bevor ich ihm eine reingehauen habe. Und ganz unter uns, das hat er verdient. Dieser ignorante, überhebliche Arsch.

 

Ich kann gerade noch an mich halten und ihm nicht die Zunge rausstrecken – auch wenn es meine ganze Willenskraft erfordert. Warum glotzt Arsch mich auch so an? Ich atme einmal tief durch und drehe mich wieder zu Lukas. Das jucken im Nacken lässt die ganze Pause über nicht nach, doch ich drehe mich nicht nochmal um.

 

Das Spektakel wiederholt sich auch in der zweiten Pause und seine Blicke gehen mir mit jeder Sekunde mehr auf die Nerven. Hab ich was im Gesicht oder was?! Ich drehe mich kurz zu ihm um, doch er verzieht keine Miene, sondern starrt mich immer noch finster an. Was ist sein Problem?

 

Diesmal bemerkt Lukas wohin mein Blick geht und verzieht das Gesicht. Es sieht beinahe so aus, als würde ich ihm leid tun. Pha! Nur weil Arsch ganz gut die Augenbrauen zusammenziehen kann?

„Man, der sieht nicht so aus, als wäre er froh dich zu sehen.“

Oh wow, welch eine Erkenntnis, Sherlock. Ich verdrehe die Augen und zucke mit den Schultern. Ich werde mich doch nicht von so einem Pseudo-Killer einschüchtern lassen! So weit kommt's noch.

8.

 

„Endlich Schluss!“, sagt Lukas neben mir und packt sein Zeug zusammen.

Enthusiastisch stimme ich zu, während ich gähne und mich strecke. Dafür bekomme ich von ihm aber nur einen mitleidigen Blick.

„Hast du da nicht was vergessen?“, fragt er mich.

 

Ich denke wirklich darüber nach, doch irgendwie klingelt da nichts bei mir. Als ich ihn verwirrt ansehe, seufzt er.

„Nachsitzen?!“, hilft er mir auf die Sprünge und ich sacke augenblicklich in meinem Stuhl zusammen.

Verdammt, das nennt man wohl erfolgreich verdrängt. Wer kann mir das auch übel nehmen? Nachsitzen ist nun wirklich nichts worum man sich reißt.

 

„Ich will nicht.“, jammere ich, auch wenn ich weiß das mich das nicht retten wird.

Ich habe es ja verdient. Was bin ich auch auf Arsch eingegangen? Ich bin so ein Idiot! Lukas zuckt mit den Schultern.

„Da musst du durch.“

 

Ja, danke. Sehr hilfreich. Als wüsste ich das nicht selbst. Ich sehe zu ihm hoch, weil er mittlerweile steht. Er sieht mich immer noch irgendwie mitleidig an, doch was kann er schon für mich tun. Nichts, in diesem Fall – und das weiß er auch. Ich will trotzdem nicht. Als hätte man nach acht Stunden Unterricht noch Kraft für so einen Mist. Alles seine Schuld!

 

„Und wenn ich nicht auftauche?“, spekuliere ich mehr für mich selbst.

„Dann werden es vermutlich drei Wochen.“, bekomme ich die Antwort dennoch von Lukas.

Okay, darauf habe ich noch weniger Lust.

 

„Gestern hast du dich noch gefreut, weil du nicht von der Schule geflogen bist.“, wirft er ein.

Wir sind mittlerweile fast die letzten im Raum, deshalb stehe ich jetzt auch auf und packe mein Zeug langsam zusammen.

„Stimmt schon“, brumme ich, „aber doch nur, weil ich tatsächlich dachte das dass eine Möglichkeit wäre.“

 

Lukas grinst – vermutlich über meine Dummheit.

„Wie auch immer, du solltest jetzt langsam los.“, meint er noch und geht selbst Nachhause – der Glückliche.

Ich dagegen schleppe mich in Raum 14 – den Raum in dem ich heute die Folter des Nachsitzens genießen werde und siehe da, wer auch schon da ist: Arschloch! Mein Glück mal wieder – und er sieht mich auch wieder so freundlich an.

 

Na, wenigstens habe ich noch meinen Sarkasmus, denn als er mich sieht verwandelt sich sein Blick in Sekundenschnelle von gelangweilt in finster. Ich gehe an ihm vorbei und setze mich hin. Der kann mich mal. Soll er doch starren bis er schwarz wird. Nochmal lasse ich mich nicht von ihm Provozieren.

 

Außer uns beiden sitzen auch noch drei andere Schüler mit im Raum, die bestimmt zwei Jahrgänge unter uns sind und sehen Arsch ab und zu verstohlen an.

„Also, da endlich alle da sind, hier die Regeln. Alle bleiben sitzen, keiner spricht, keine Zettel oder Mobil Telephone, die Aufgaben werden vollständig gelöst. Verstanden?“, erklärt der Lehrer monoton.

Der sieht auch so aus als hätte er hier große Lust drauf.

 

Warte, welche Aufgaben?

 

Die Frage erledigt sich aber gleich von selbst, als Herr Seine mir einen Bogen mit zusammengehefteten Blättern gibt – die Hausordnung. Ich habe zwar davon gehört, dass es einige Schüler schon abschreiben mussten, aber ich hätte nie gedacht das dass stimmt. Ich dachte es wäre nur ein weiteres dummes Gerücht. Davon haben wir an unserer Schule ja wirklich genug.

 

Ungläubig sehe ich den Bogen an. Scheiße, wie lange soll ich denn daran sitzen?!

„Vollidiot!“, wird mir leise von der Seite zu gezischt.

Eigentlich bräuchte ich gar nicht hinsehen um zu wissen von wem das stammt – ich tue es aber doch und allein sein Blick, diese hässliche verzogene Grimasse, macht mich schon wieder wütend.

„Arschloch!“, brumme ich zurück – und bekomme dafür prompt eine Verwarnung vom Lehrer. Ganz toll.

 

Das kann ja echt heiter werden, wenn ihm mit ihm ganze 45 Minuten hier eingesperrt bin. Ich krame in meiner Tasche nach Block und Stift und beginne mit der Sklavenarbeit. Bestimmt sparen die sich dadurch die Druckertinte. Welchen Sinn sollte es sonst haben uns ganze zwölf Seiten abschreiben zu lassen? Ich sehe keinen, dennoch mache ich mich an die Arbeit. Welche Wahl habe ich schon?

 

Die ganze Zeit spüre ich seine Blicke auf mir und jedes Mal wenn ich aufschaue sehe ich genau in seine Visage. Der Kerl sollte lieber seinen Scheiß fertig machen als mich anzuglotzen. Ich sehe wieder auf mein Blatt und schreibe weiter. Er guckt immer noch. Ignorier ihn einfach! Doch das ist gar nicht so leicht. Ich spüre seine Blicke.

 

„Was!?“, zische ich ihm zu, doch meine Antwort erhalte ich vom Lehrer – zweite Verwarnung.

Mein Blick fällt auf den Lehrer und wieder zu Arsch – der grinst. Verdammt, der grinst! Sei blödes, scheinheiliges grinsen! Am liebsten würde ich es ihm wieder aus dem Gesicht wischen. Das war sein Plan. Sein verdammter Plan. Ich fasse es nicht. Warum tut er das? Ist das seine Art mir den Schlag zurückzuzahlen, oder das Nachsitzen? Verdammt!

 

Ich bin schon wieder so wütend. Wie kann ich nur so blöd sein und zum zweiten Mal darauf reinfallen? Ich schreibe weiter. Er sieht mich immer noch an. Hat der eigentlich vor die Aufgabe heute noch zu erledigen?

 

„Ich bin sofort wieder da“, meldet sich unser Lehrer nach ungefähr einer halben Stunde und verlässt den Raum.

Kaum ist die Tür ins Schloss gefallen bricht Unruhe im Raum aus. Die drei Jungs tuscheln miteinander und ich könnte schwören es geht dabei um uns. 'Uns' mir stellen sich die Nackenhaare auf wenn ich das Wort 'uns' mit ihm im Zusammenhang verwende. Nie wieder werde ich das machen. Es gibt kein uns – wird es nie geben.

 

„Du bist so ein Vollidiot.“, spricht mich Arsch wieder an.

„Du bist so ein Arschloch.“, erwidere ich und versuche gleichzeitig mich nicht von ihm provozieren zu lassen.

Dafür ernte ich wieder dieses überhebliche grinsen. Der Kerl ist so arrogant! So was habe ich noch nicht erlebt. Wie kann man nur so dermaßen von sich selbst überzeugt sein?

 

Ich sehe wieder auf mein Blatt. Ignorieren. Ich muss ihn ignorieren.

9.

 

Die Tatsache, dass ich es schaffe mich am nächsten Morgen wieder in die Schule zu schleppen, zeigt, dass ich den gestrigen Tag überlebt habe. Das ignorieren fiel mir nicht leicht. Ich musste mich förmlich dazu zwingen ihn nicht wieder anzusehen, denn im Gegenzug spürte ich die ganze Zeit seine Blicke auf mir.

 

„Na, auch schon da?“, grinst Lukas und spielt darauf an das es gerade zum Unterricht klingelt. „Wie war das Nachsitzen?“

Ich verdrehe die Augen. Es war wundervoll, einfach super – dumme Frage. Mein Blick sagt ihm wohl genug, denn er geht erst mal nicht weiter darauf ein und blickt stattdessen nach vorne zu unserer Lehrerin die gerade den Raum betreten hat. Zu spät – nebenbei bemerkt.

 

Um es kurz zu machen – der Unterricht ist einfach nur stink langweilig und eigentlich verbringe ich meine Zeit nur damit, Zeug von der Tafel abzuschreiben dessen Sinn sich mir nicht erschließt und auf das Klingeln zu warten. Klingt echt nicht sonderlich aufregen – und ist es auch nicht. Auf die Pause kann ich mich auch nicht wirklich freuen.

 

Ich bin sonst vielleicht nicht sonderlich Aufmerksam, doch selbst ich bekomme es mit wenn mich jeder anstarrt sobald ich den Schulhof betrete. Ich verstehe nicht was die Scheiße soll und fühle mich reichlich unwohl unter den Blicken.

 

Vielleicht kommt es mir nur so vor, doch ich habe das Gefühl es ist noch schlimmer als Gestern. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, was es da zu glotzen gibt! Bin doch nur ich – Matthis Schmidt. Ich gehöre nicht zu den Schönen und Reichen, nicht zu den Beliebten oder sonst zu was. Ich bin einfach nur ich, also warum in aller Welt werde ich noch mehr angeglotzt als Gestern?

 

Ich versuche mich unauffällig nach einer ruhigeren Ecke umzusehen und dabei jeglichen Blickkontakt mit den anderen Schülern zu vermeiden. Das funktioniert natürlich nicht so, wie ich es will – wäre doch auch zu schön um wahr zu sein. Nein, stattdessen merke ich, wie getuschelt wird, sobald mein Blick jemanden streift. Ganz toll.

 

Ob ich überhaupt wissen will, welche Gerüchte bereits jetzt schon über mich kursieren? Vermutlich nicht. Der einzige, der meinen Blick wirklich erwidert, ist Arsch. Ich wünschte, er würde es nicht tun, denn sein Blick, begleitet von diesem unendlich arroganten Grinsen, treibt mich schon wieder in den Wahnsinn.

 

Lukas folgt mir auf den Fuß und redet dabei auf mich ein. Es geht nur um belangloses Zeug, von dem ich gerade mal die Hälfte verstehe, doch ich bin froh dass er mich normal behandelt und mir weiter keine Fragen stellt. Das hilf mir dabei den restlichen starrenden und gaffenden Schulhof zu ignorieren – nur Arsch nicht.

 

Wie schon gestern bohrt sich sein Blick geradezu in meinen Nacken und ich kann einfach nicht anders als immer wieder zu ihm hin zu sehen. Es ist quasi ein Reflex, außerdem fühle ich mich unwohl dabei ihm den Rücken zuzudrehen. Nicht das ich befürchten würde, er könnte mich mit einem Messer von hinten erstechen, aber ich vertraue ihm da wohl nicht genug. Wie könnte man zu so einem Arsch auch Vertrauen aufbauen?

 

Ich seufze, weil ich mich eben schon wieder nach ihm rumgedreht habe. Natürlich hat er mich angestarrt, natürlich haben sich unsere Blicke getroffen, natürlich hat er wieder dieses widerlich arrogante Grinsen aufgesetzt.

 

Er sieht keineswegs freundlich aus – trotz des Grinsens. Seine Augen strahlen feindseligkeit aus und das Grinsen wirkt, als würde er sich dabei vorstellen mich zu zerstückeln. Insgesamt ein Anblick bei dem ich Gänsehaut bekomme, aber trotzdem genauso feindselig zurückzustarren versuche.

 

Ich drehe mich wieder zu Lukas, der sich wirklich mühe gibt mich nicht mit Fragen Arsch bezüglich zu begraben, doch irgendwann hält er es einfach nicht mehr aus.

„Verdammt, ich merke doch wenn du mir nicht zuhörst. Verrätst du mir wenigstens warum ihr euch ständig anstarren müsst?“

 

Ich bin nicht wütend auf ihn, weil er fragt. Er hat sich für seine Verhältnisse wirklich tapfer geschlagen.

„Tut mir leid, was hast du gesagt?“, frage ich ihn in der Hoffnung, dass er einfach den Klatsch und Tratsch wiederholt, seine Frage an mich aber vergisst.

Tja, weit gefehlt.

„Ich habe gefragt, warum ihr zwei euch ständig anstarrt.“

 

Ich zucke mit den Schultern.

„Er starrt die ganze Zeit, nicht ich.“

„Offensichtlich merkst du gar nicht, wie oft dein Kopf nach hinten geht.“

„Ich kann es eben nicht leiden angestarrt zu werden. Ich habe das Gefühl als würden seine Blicke mir ein Loch in den Nacken bohren.“

 

Lukas sieht mich für eine Weile einfach nur an, ohne etwas zu erwidern.

„Und was war beim Nachsitzen? Irgendwas aufregendes passiert?“, fragt er schließlich.

Ich schüttle den Kopf.

„Nein, da hat er mich auch schon nur angestarrt.“

 

„Hmm, vielleicht solltest du dich lieber von dem Typen fern halten – nur für den Fall, dass einige der Gerüchte doch stimmen.“

Ich verdrehe die Augen.

„Klar, fernhalten. Du hattest auch schon bessere Witze. Wie soll das mit dem Nachsitzen laufen? Außerdem will ich nicht, dass er denkt, ich würde tatsächlich an die bescheuerten Gerüchte glauben!“

 

Lukas sieht mich an. Tatsächlich war ich sonst nicht so redselig, doch Arsch regt mich einfach zu sehr auf, als das ich dabei ruhig bleiben könnte.

„Trotzdem. Er sieht dich an wie ein Serienkiller. Ich will dich nicht eines Tages zusammensammeln müssen.“

„Keine Sorge, dazu wird es schon nicht kommen.“, versuche ich ihm die Idee meines baldigen Ablebens auszureden.

„Du solltest ihn nicht immer reizen.“

 

Ich blicke Lukas ungläubig an.

Ich reize ihn? Das soll doch wohl ein schlechter Witz sein!? Er ist doch derjenige der im-“

Ich werde von der Klingel unterbrochen.

„Versuch doch wenigstens dich zurück zu halten.“, meint Lukas noch zu mir als wir schon auf dem Weg zur Tür waren.

 

Die Gänge sind natürlich ein einziges Gedränge und ich fühle mich wie in einer Sardinenbüchse, deshalb setzt ich unser Gespräch auch nicht wirklich fort. Erst als wir oben im Raum angekommen sind werfe ich ihm schnell zu, dass ich mich doch schon bemühe.

 

„Na gut.“, setzt er hinterher und irgendwie dämmert mir, dass diese ganze Geschichte noch lange Zeit nicht vom Tisch sein wird.

10.

 

Der Unterricht ist vorbei und während Lukas sich schön gemütlich auf den Heimweg macht, schleiche ich mich wieder – höchst motiviert – in Raum 14, wo, wie auch gestern schon, Arsch bereits da ist. Das ist natürlich eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt dass ich immer als Letzter den Raum verlasse. Wie dem auch sei, ich setzt mich wieder auf den Platz von gestern, so wie auch Arsch und die anderen drei. Sieht so aus, als hätten wir schon Stammplätze. Jetzt gehöre ich also zu den bösen Jungs. Prima.

 

Ich verdrehe aufgrund meiner idiotischen Gedanken die Augen und komme ganz nüchtern gesehen zu dem Schluss dass ich hier keineswegs rein passe. Ein Pseudo-Killer, drei möchtegern Gängster und ich – das würde sich sicher toll verfilmen lassen. Gott, bin ich wieder witzig.

 

Herr Seine scheint auch heute wieder die Aufsicht zu haben – und er wirkt genauso motiviert wie ich mich fühle. Monoton betet er die Verhaltensregeln eins zu eins runter und teilt dann unsere gestern angefangenen Aufgaben wieder aus. Zwei der möchtegern Gängster mekern rum, warum sie 'diese Scheiße' schon wieder machen müssen, fangen nach einer Verwarnung aber doch brav an. Und damit das ganze auch sicher zu einem perfekten Deja-vu wird, brennen sich mir wieder Blicke in den Nacken.

 

In einem Anflug von Naivität und Hoffnung keife ich mich kurz in den Arm, doch ich muss feststellen – das ganze ist leider kein dummer, böser Traum, sondern grausame Realität. Ich drehe mich um und sehe Arsch wieder genau in die Augen – das kann doch eigentlich nur ein Alptraum sein, doch auch nach dem zweiten kneifen passiert nichts. Er ist immer noch da, ich bin immer noch hier. Er starrt mich immer noch an, ich starre immer noch zurück. Mein Leben ist ja so Abwechslungsreich.

 

Ich drehe mich wieder um und mache mit der Aufgabe weiter, doch es ist wirklich schwer sich zu konzentrieren, wenn man weiß, dass man die ganze Zeit beobachtet wird. Und es macht mich wütend. Ich weiß nicht wieso mich allein seine Anwesenheit schon in den Wahnsinn treibt, doch es ist so. Ich hätte wirklich große Lust aufzuspringen und ihm wieder eine zu verpassen – wobei ich mir sicher bin, dass er es diesmal nicht so einfach auf sich sitzen lassen würde. Aber ich habe keine Lust, dass aus den zwei Wochen vier werden, denn jede Sekunde die ich mit Arsch in einem Raum verbringen muss ist eine Sekunde zu viel.

 

Wieder drehe ich mich um und wieder starrt er mich an – welch eine Überraschung. Ich will ihn fragen, warum er das die ganze Zeit macht, ob ich etwas so tolles an mir habe, dass er seie Augen nicht von mir lassen kann und ob er denn nichts besseres zu tun – doch ich halte meinen Mund und drehe mich wieder zu meinem Blatt. Erstens möchte ich nich schon wieder eine Verwarnung – was auch immer nach der dritten passieren soll – und zweitens will ich endlich mit der Aufgabe fertig werden, denn in der viertel Stunde, die ich schon hier bin, habe ich gerade mal sechs Sätze geschrieben.

 

Ich sagte ja, dass mich die Blicke ablenken. Immer wenn ich dazu Ansätze was zu schreiben, spüre ich ihn glotzen und ärgere mich anstatt zu tun was ich eigentlich vor hatte – es ist zum verzweifeln und meine einzige Genugtuung besteht wohl darin, dass er auf diese Weise auch nie mit seiner Arbeit fertig wird.

 

Naja, wie erwähnt: Mein Glück – oder eher das nicht vorhanden sein davon – denn nach weiteren zehn Minuten gibt Arsch tatsächlich ab. Fertig. Ich dagegen erlebe innerlich einen mittelschweren Nervenzusammenbruch. Es ist für mich einfach nicht nachvollziehbar, wie er es geschafft haben soll die ganze, verdammte Schulordnung abzuschreiben, während er vor lauter starren bestimmt nichtmal einen Stift in der Hand hatte.

 

In höchstem Maße geschockt drehe ich mich wieder um und versuche mich vergeblich auf meine Arbeit zu konzentrieren – stattdessen aber ärgere ich mich wieder über Arsch. Scheint ja meine neue Lieblingsbeschäftiung zu sein. Zum Kotzen.

11.

 

Meine Arbeit habe ich in dieser Stunde natürlich nicht mehr fertig bekommen, doch immerhin bin ich etwas weiter und wenn ich mich ran halte, werde ich es nächste Stunde auch locker schaffen – solange mir das Deja-vu nicht wieder dazwischen kommt. Wenn er vor hat mich jedes mal einfach nur unentwegt anzustarren werde ich mein Zeug nie fertig bekommen – was vermutlich auch seinem Ziel entspricht. Doch mir jetzt schon darüber Gedanken zu machen bringt mich auch nicht weiter. Ich kann das verdammte Nachsitzen nicht umgehen und ihm – Arsch – kann ich somit auch nicht ausweichen. Scheiß Leben.

 

„Na du hast ja eine tolle Laune.“

„Hm?“

Ich sehe mich um und bemerke Lukas neben mir.

„Was hast du gesagt?“

„Nur, das deine Laune auch schon mal besser war.“

Ohne Mist, Sherlock. Mein Blick sagt wohl genug, denn er verdreht die Augen und grinst mich an.

„Ich frage wohl besser nicht nach gestern.“, stellt er auch gleich fest.

Ich lasse meinen Kopf auf den Tisch sinken.

„Ich werde noch verrückt und mit den abschreiben komme ich auch einfach nicht voran.“

Mitfühlend legt er mir eine Hand auf die Schulter.

„Tja, selbst schuld.“

Okay, doch nicht so mitfühlend.

 

Ich gebe nur ein 'Haha' von mir und äußere mich nicht weiter dazu. Was soll ich auch sagen? Ein 'Du hast recht' würde nur dafür sorgen, dass ich nie wieder ruhe habe – und ich schätze meine ruhe wirklich sehr. Um so mehr stört mich das gestarre – sein gestarre. Ja, seins ist das schlimmste. Die anderen versuchen wenigstens noch es nicht ganz so offensichtlich zu machen, doch Arsch, Arsch starrt einfach weiter.

 

Ich bekomme einen Ellenbogen in die Seite.

„Hey, was-“

Oh, offensichtlich hat der Unterricht schon begonnen. Die Lehrerin sieht mich streng an und auch alle anderen glotzen, sowie das in Klassen eben immer ist, wenn einer was nicht mitbekommt, dass alle anderen schon wissen – oh ja, ich liebe die Schule.

„Entschuldigung.“, sage ich und hoffe das die Sache damit beendet ist.

Ist sie zum Glück wirklich, denn sie macht einfach mit dem Unterricht weiter und auch die anderen drehen sich wieder um. So vergeht der Tag halbwegs schnell, doch meine Laune wird von Stunde zu Stunde schlechter.

 

Nun stehe ich wieder vor Raum 14 und atme noch einmal tief durch. Ich habe mir fest vorgenommen die blöde Hausordnung heute fertig zu bekommen und das ich mich auch nicht wieder von Arsch aus dem Konzept bringen lasse – mal sehen was daraus wird. Wie erwartet ist Arsch schon da als ich den Raum betrete – ist ja auch kein Wunder wenn ich mich immer als letzter aus dem Klassenraum begebe – und sieht mich sofort wieder an. Ich weiß ja nicht ob er schon vorher so war, aber ich vermute mein Schlag war wohl etwas zu viel für ihn. Bestimmt habe ich irgendwelche Hirnwindungen durcheinander gebracht und jetzt reagiert er irgendwie auf mich – oder so. Ob noch ein Schlag etwas ändern würde? Ich glaube den Versuch sollte ich doch lieber lassen.

 

Ich setze mich an den Platz, an dem ich auch schon die letzten Stunden saß, und stelle auf dem Weg dahin fest, dass Arsch und ich heute wohl allein sind. Bestimmt sind die Möchtegern-Gangster entlassen worden. Toll, womit habe ich mir so ein Vergnügen nur verdient? Okay, ja, ich habe nicht vergessen womit. Herr Seine kommt rein und schaut genauso motiviert wie auch die letzten Tage. Vermutlich hat er die ganze Woche Nachsitzschicht. Wieder leiert er die Verhaltensregeln runter und teilt – diesmal nur mir – die Aufgabe aus. Was Arsch die ganze Stunde machen wird, weiß ich jetzt schon – Klasse.

 

Ich wünschte, ich hätte mich geirrt, doch was soll ich sagen – Ich bin eben Unfehlbar. Okay, Spaß beiseite, doch Recht hatte ich wirklich, denn alles was er tut ist starren und das bedeutet für mich, dass ich wieder nicht weit komme. Keine Ahnung, warum ich ihn nicht einfach ignorieren kann, sonst bin ich doch auch so gut darin. Warum bei ihm nicht?

 

Ich schüttle den Kopf. Indem ich darüber nachdenke, komme ich beim schreiben auch nicht wirklich weiter und das heißt Arsch hat es geschafft, dass ich mich sogar selbst ablenke. Arsch. Ich sehe wieder auf mein Blatt. Ich bin gerade mal bei der fünften Seite – unglaublich – dabei schreibe ich sonst eigentlich nicht so langsam. Eigentlich. Und wenn es nach eigentlich gehen würde, wäre ich auch schon längst fertig gewesen. Naja, wenn es wirklich nach eigentlich gehen würde, würde ich jetzt gar nichts abschreiben müssen, weil ich nie jemandem eine rein gehauen hätte. Eigentlich. Doch seit ich Arsch begegnet bin, ist nichts so, wie es eigentlich sein sollte.

 

Arrg! Ich lenke mich schon wieder ab und ich wette, dass Arsch eine menge Spaß hat zuzusehen, wie ich mir hier die Haare raufe. Allein das ist schon Grund genug mich jetzt endlich zusammen zu reißen. Ich bin doch nicht seine Ein-Mann-Unterhaltungsshow. Ich sehe auf, weil ein Stuhl laut und quietschend über den Boden geschoben wird. Herr Seine verkündet beim rausgehen, dass er eben auf Toilette müsste und wir uns hier am Riemen reißen sollen, dann ist er weg.

 

„Warum glotzt du mich die ganze Zeit an?“, platzt es mit raus, sobald die Tür zu ist.

Arsch zuck mit den Schultern und grinst mich selbstgefällig an.

„Kümmer dich lieber um deine Aufgaben, anstatt die ganze Zeit an mich zu denken, auch wenn ich dir das natürlich nicht verübeln kann. Ich bin eben einfach klasse.“

Ich verdrehe die Augen.

„Und so bescheiden.“, sage ich mit übertriebenem Sarkasmus in der Stimme und füge etwas leiser 'Selbstgefälliges Arschloch' hinzu.

„Wie kommst du eigentlich auf die Schnapsidee, ich würde an dich denken?“, frage ich weiter.

Wieder zuckt er mit den Schultern und grinst. Diesmal ohne Antwort. Genervt schnaube ich.

„Bekomme ich vielleicht mal eine Antwort oder willst du weiter wie bekifft dasitzen und dämlich grinsen?!“

„Ich genieße nur die Show.“

Hä? Show?

„Welche Show?“

Jetzt verdreht er die Augen, grinst aber immer noch.

„Deine. Das Zusammenspiel deiner Idiotie mit deiner cholerischen Ader ist einfach zu gut.“

Er lacht und ich spüre meine Ohren heiß werden. Arschloch.

„Ich bin nicht cholerisch!“, blaffe ich ihn an, doch das Grinsen verschwindet einfach nicht.

„Wie man sieht.“, gibt er viel zu ruhig darauf zurück.

 

Ich hasse es wenn Leute so verdammt ruhig sind, während ich mich aufrege. Das ist einfach falsch! Ich drehe mich wieder zu meinem Blatt um.

„Was läuft eigentlich falsch mit dir?“, frage ich weiter, ohne ihn anzusehen und das er mich ansieht versteht sich wohl von selbst.

Ich verdrehe wieder die Augen.

„Mit mir?“, fragt er und klingt dabei viel zu belustigt.

„Ja klar, mit dir. Mit wem denn sonst? Ich meine, erst starrst du mich die ganze Zeit an als würdest du mich lebendig schälen wollen und jetzt grinst du nur dämlich. Was hat sich geändert?“

Ich höre ihn hinter mir wieder lachen – selbst das klingt arrogant und großkotzig.

„Du bist echt noch dümmer als du aussiehst. Das habe ich dir doch schon gesagt.“

„Arschloch! Wenn du das hättest, würde ich nicht Fragen.“

„Vollidiot. Offensichtlich tust du das doch.“

 

Kurz ist es still.

„Antwortest du mir jetzt?“

Ich drehe mich wieder nicht um, doch ich meine sein Schulterzucken trotzdem zu sehen. Ätzend – Ich habe das Gefühl ich kenne Arsch schon richtig gut. Dieser lässt sich noch länger mit der Antwort Zeit, gibt sie mir aber doch noch.

„Erst war ich sauer auf dich, doch wie gesagt, du bist zu Unterhaltsam.“

„Arschloch.“

Wieder ist es still. Eigentlich habe ich ja überhaupt keine Lust mich mit dem Arsch zu Unterhalten, doch ich hasse es einfach wenn irgendwas unausgesprochenes im Raum steht. Es nervt mich – und zwar so richtig.

„Inwiefern bin ich denn Unterhaltsam?!“

„Trottel.“, lautet die unmittelbare Antwort darauf.

Trottel? Will er jetzt etwa Abwechslung in unsere Beziehung bringen? Außer im Büro der Rektors hat er mich doch noch nie anders als Idiot oder 'liebevoll' Vollidiot genannt. Aber gut, das kann ich auch.

„Mistkerl.“

So jetzt hab ich es ihm gegeben!

 

Okay, ich bin echt Blöd, doch eine Antwort habe ich immer noch nicht.

„Also?“, frage ich nochmal nach.

„Nein.“

Jetzt drehe ich mich doch wieder um.

„Wie 'Nein.'?“, frage ich total perplex nach, doch eine weitere Antwort bekomme ich nicht – nur das verdammte Grinsen.

 

Arschloch. Ich verstehe einfach nicht was mit ihm los ist. Ich und Unterhaltsam? Ich würde wetten, diese Worte hat noch nie jemand mit mir in einen Zusammenhang gebracht. Warum auch? Ich bin nicht Unterhaltsam. Ich bin unaufmerksam, mürrisch und größtenteils ein Einzelgänger – unterhaltsame Menschen sind anders, also warum, in drei Teufelsnamen, bin ich Unterhaltsam? Ich schüttle den Kopf – nein, das verstehe ich nicht – und Arsch lacht. Lacht mich vermutlich aus – Ach was, er lacht mich ganz sicher aus. Was ist nur los mit dem? Er ist so ein richtig blödes Arschloch! Warum sagt er mir nicht einfach klipp und klar was ist, denn so schwanke ich die ganze Zeit zwischen Wut und Verzweiflung.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.06.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /