Cover

Saphirrose


1. Kapitel

Unser Chaffeur Brad fuhr den Wagen an den Rand der Straße und schaltete den Motor aus. Ich hatte es nicht besonders eilig auszusteigen. Meine Mom Lilith drehte sich zu mir um. Der Name passte zu ihr, sie war ziemlich zierlich. Sie schob sich ihre Designersonnenbrille in ihr blonde Haar das aufwendig wie immer zu einer Hochsteckfrisur frisiert war und sah mich bedauernd an.
,,Bist du immer noch sauer wegen Sharon?''
Ich nickte und lehnte mich an die Autotür, bereit auf eine längere Diskussion.
,,Ja, nach wie vor.''
Mam seufzte. ,, Weißt du, ich verstehe einfach nicht, was daran so schlimm ist.''
Innerlich war ich jetzt schon wieder total genervt. Bei diesem Punkt waren wir vor knapp einer Stunde auch schon gewesen.
So ruhig es ging sagte ich:
,, Findest du es okay, immer zu lügen? Ich gebe zu, die Lüge hatte jetzt keine Auswirkungen auf mich, aber es geht um das Prinzip! Jedes Mal, wenn du nicht die Wahrheit sagst, schrumpft mein Vertrauen zu dir! Wir sehen uns so wie so schon selten, wegen deinen Dreharbeiten, aber wenn, dann weiß man nie, ob das jetzt eine Lüge ist oder nicht! Vorallem, warum lügst du wegen so einer Kleinigkeit, die gar nichts mit mir zu tun hatte?''
Vor ein paar Wochen hatte Mom einen Streit mit ihrer Freundin Sharon vorgeschoben, weswegen sie erst spätabends zu ihrer Filmpremiere erschienen ist. Auch uns, Dad und mir, hatte sie das erzählt. Dann hatte Dad ihr eine sechs- Wochen- Reise geschenkt, und Mom hatte mir gutgelaunt erzählt, das ich während dessen bei Sharon bleiben würde. Ein Streit? Davon wusste sie wie so oft nichts. Jetzt schien auch Mom genervt zu sein. Es war ein ewiges Auf und Ab.
,,Will! Es war eine Notlüge!''
Es kam selten vor, dass sie mich mit Namen nannte. Ich schaffte es tatsächlich empört zu klingen:
,,1. Es war nicht eine Lüge, du erzählst ständig alles so umgeändert, das es dir passt, und 2: Warum brauchst du eine Notlüge? Kannst du uns nicht einfach sagen, was die Wahrheit ist?''
Ich sprach damit für Dad, der schon ausgestiegen war und draußen wartete, und für mich. Einen Moment herrschte Stille. Wow! Sie hatte nichts zu erwidern! Schließlich räusperte sie sich und begann mit einem freundlicherem Ton:
,, Okay, es tut mir leid!'' Insgeheim wusste ich jedoch, dass die Worte nicht von Herzen kamen. Sie wollte nur mit keinem Streit wegfahren. Eigentlich wollte ich noch etwas erwidern, aber wir sollten wirklich langsam aussteigen. Brad hatte bereits meine Koffer aus dem Kofferraum geholt und Dad ging auf und ab. Ich spürte, dass Mom wartete, dass ich noch etwas sagte, also versuchte ich, wie eine nette Tochter zuklingen. ,,Okay.'' ich stieß die Autotür auf. ,,Komm!''

Draußen war es ziemlich heiß. Ich war froh darüber, meine knappesten Klamotten angezogen zu haben: Ein trägerloses dunkelgrünes Minikleid auf schwarze Hotpans. Mein Dad begrüßte mich mit einem Lächeln, ich machte eine Andeutung, dass Lilith es immer noch nicht eingesehen hatte. Inzwischen hatten sich zwischen uns Sie –hat –Sie –hat –nicht -Gesten entwickelt. Dad nahm eine meiner türkisen Reisetaschen, ich trug nur meine Lederhandtasche. Dad war es gewohnt, dass ich selten lächelte. Nicht, dass ich unglücklich war, aber ich sah einfach keinen Sinn darin zu lächeln. Nur wenn ich extrem glücklich war, oder etwas wirklich zum brüllen war, lächelte ich auch mal. Wer mich näher kannte, wusste, das ich durchaus zufrieden war. Obwohl es manchmal nicht einfach war, die Tochter einer berühmten Schauspielerin zu sein. Tatsächlich wurde auch ich mit Filmangeboten überschwemmt. Vor zwei Jahren hatte ich einmal eine Nebenrolle in einem Kinofilm übernommen. Seit dem hörte ich immer die gleiche Frage:,, Wirst du jemals wieder ein Angebot annehmen?''
Inzwischen äußerte ich mich dazu nicht mehr. Deshalb wusste auch niemand, dass ich ganz oben in meinem Koffer einen noch nicht unterschriebenen Vertrag eingepackt hatte. Es war eine größere Rolle in einem Musical, aber wer hatte gesagt, das ich singen konnte?
Soweit ich mich erinnerte, hatte ich nie jemandem erzählt, das ich mich selber hin und wieder vor mich hin sang, ob ich es konnte, war etwas anderes. Naja, zumindest klang es nicht ganz falsch.
Unser Chaffeur nahm wie selbstverständlich meine restlichen Sachen. Mom drückte auf die Klingel, die neben dem Tor angebracht war.
Einen Moment später knackte der Lautsprecher leise und eine nicht gerade einladende Stimme erklang:
,,Ja?'', fragte die Frau mürrisch. Ich stellte mir sie anhand der Stimme, die wie ein Reibeisen klang, kräftiger gebaut vor. So war es auch. Sie stellte sich als Leonore vor. Sie war eine Putzfrau und verwaltete gleichzeitig Sharons Termine. Leonore trug eine weiße Schürze, an der sie sich gerade die Hände abwischte. Sie schaute mich prüfend an. ,, Ich nehme an, du bist Will.'' Ich nickte zur Antwort. Ich sah keinen Grund darin mit ihr zureden. Leonore führte uns durch einen Vorraum, in dem ein kleiner Tisch und ein Sofa standen. Ich hatte eigentlich angenommen, das sie uns hier warten ließ, aber sie ging weiter, durch einen langen Flur.
Diese Sharon zeigte ihren Luxus, wo es nur ging. An den Wänden hingen Bilder von berühmten Künstlern, deren Gemälde man unter 100.000 Euro nicht kaufen konnte. Sie führte uns in ein über dimensonales Wohnzimmer. An der weißgestrichenen Wand hing ein gigantischer Fernseher. Davor stand ein weißes Ledersofa, was verdammt gut zu den schwarzen Fliesen passte. ,, Leonore? Sind sie schon da?'' Kaum hatte diejenige das gerufen stand sie auch schon vor uns.
,,Sharon!'', das war meine Mutter. Sie stürmte der rothaarigen Frau entgegen, sie umarmten sich und gaben seltsame Laute wie:,, Ich hab' dich so vermisst, Süße'' oder ,,hast
du abgenommen, du siehst wirklich gut aus!''
Ich persönlich würde mich mit dieser Bemerkung beleidigt fühlen, und sie anschnauzen, das sie mich dick gefunden hatte, aber Mom nahm es als Kompliment. Sie ist so wie so total unsensibel, dachte ich.
Im Moment stritten Mom und ich täglich.
Sie fand, das ich zu einer Zicke montierte, und das sagte sie mir auch direkt, ein Zeichen das sie keine sozialen Gefühle entwickelt hatte, und ich fand, das Mam immer mehr zu so einer unerträglichen Diva wurde. Im Grunde behauptete ich das gleiche, was sie von mir dachte.
Ich warf Dad einen Blick einen kurzen Blick zu. Sein Gesichtsausdruck war genauso amüsiert wie meiner. Nach einer ewigen Begrüßung wandte sich Sharon schließlich an mich. ,, Du bist ja so groß geworden, Will!''
Es stand fest: Sharon gehörte eindeutig zu den Leuten, die ich auf den ersten Blick nicht ausstehen konnte. Im Moment konnte ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, hier ganze sechs Wochen zu bleiben. Sharon redete unbeirrt weiter. ,, Ann ist oben. Ihr werdet euch bestimmt bestens verstehen. Sie ist jetzt in deinem Alter. '' Sie unterbrach kurz.
,, Wie alt bis du jetzt?'' ,,16'' antwortete ich kurz angebunden. Ich hatte keine Lust auf einen längeren Smalltalk. ,, Also Lilith, Kaffee?'' fragte Sharon meine Mom. Ich fing mich schon bei dem Gedanken, mit Mom und ihrer Freundin etwas zu trinken, an zu langweilen. ,, Ähm, wo ist Ann?'', fragte ich, bevor sie auf irgendwelche verrückten Ideen kommen konnte.
,, Treppe hoch, 2. Tür links!'' erwiderte sie und zupfte an Moms blondem Haar. Ich flüchtete die Treppe hoch und hörte Sharon flöten: ,, Wow! Hast du einen neuen Friseur?''
Die 2. Tür links war weißgestrichen, wie die anderen Türen auch. Ich überlegte zu klopfen, trat dann aber einfach so ein. Das Zimmer war ziemlich groß. Es hatte riesige Fenster; weswegen es licht durchflutet war. An der linken Wand war ein Kleiderschrank, der die ganze Seite ausfüllte. Die Türen waren Spiegel, wodurch das Zimmer doppelt so groß wirkte. Rechts stand ein Schreibtisch mit Computer und darüber hing eine vollgepinnte Pinnwand mit Fotos und Notizen. Die meisten Bilder waren Fotos von Jungendlichen in meinem, und somit auch Anns Alter. Aber hin und wieder hing da auch ein Foto mit einem Schimmel. Er hatte freundliche braune Augen. schließlich, hinter dem Schreibtisch stand das Bett auf dem ein Mädchen lag. Sie schaute auf und musterte mich neugierig. Sie hatte lange, blonde Haare und dieselben braunen Augen wie der Schimmel.
,, Hi!'' begrüßte ich sie. ,, Hi!'' sie lächelte mich an. Zögernd erwiderte ich ihr Lächeln, ganz gegen meine Natur.
,, Du reitest?'' Das hatte ich aus den Fotos geschlossen. ,, Ja. Der auf den Fotos ist Icebreaker, mein Pferd. Ach, und ich bin Ann''
,, Will'', stellte auch ich mich vor.
,,Ich weiß.'' Ann hob ein Klatschmagazin hoch, aufgeschlagen auf der ,,Starstyle- Seite''. ,,Ich glaub’ s nicht...'', murmelte ich und setzte mich neben Ann. Auf einem der Fotos war ich.


2. Kapitel

Auf dem Bild trug ich eine schwarze Röhre und ein Pailletten besetztes Top, das in dunkelgrünen Farben schimmerte. Make- up- mäßig hatte ich roten Gloss, wie fast immer aufgetragen, sonst war ich sehr schlicht geschminkt. Ich setzte meistens den Akzent auf die Lippen, manchmal auch mit auffällig geschminkten Augen. Meine schwarzen Haare waren von Natur aus gelockt, auf dem Foto trug ich noch ein Haarband, das genau den selben Grünton wie mein Top hatte. Als Kommentar des Journalisten stand unter dem Bild:

,, Will van Denys macht’s richtig! Sie zögert nicht, auch mal in den Farbtopf zugreifen:
Das grün bringt ihre Augen zur Geltung. Will hat nicht nur eine Wahnsinns Ausstrahlung, auch ihr Top hebt sie von der Menge ab. Kompliment, Will!’’

Obwohl ich so was in der Art oft hörte, war ich immer wieder geschmeichelt. Ann sah mich an. ,, Kennst du schon deine Zimmer?’’ Ich schüttelte den Kopf. ,,Nein’’ ,, Wenn du nichts dagegen hast, zeig’ ich sie dir. Sie sind gleich nebenan.’’ Eigentlich verstand ich unter nebenan , das Zimmer nebenan, doch da hatte ich mich geirrt. Ann verstand verstand sie etwas anderes als ich. Sie lief vorbei an den anderen Zimmern, eine Treppe runter, über die Terrasse auf den perfekt gemähten Rasen. Sie blieb vor einer Art Anbau stehen an der linken Seite der Villa stehen. Das hieß bei ihr also nebenan. Ich betrat hinter Ann mein ,,Haus’’, das klang zwar etwas übertrieben, aber es war ungefähr so groß wie ein durchschnittliches Einfamilien Haus. Ich schweifte mit meinen Gedanken ab. Ich hatte mir schon oft Gedanken darüber gemacht, wie es wohl wäre, nicht im vollen Luxus zu leben. Wahrscheinlich wäre ich dann jemand anderes. Klar, ich wäre immer noch ich, aber von der Persönlichkeit her. Ich würde es nicht für selbstverständlich halten, die teuersten Sachen einfach kaufen zubekommen, selbst entscheiden zu können, ob ich in ein paar Jahren Hauptberuflich, wie meine Mutter, Schauspielerin werden wollte , oder zu den After- Show- Partys eingeladen zu werden. Ja, momentan war das alles für mich selbstverständlich, obwohl ich wusste, dass es das nicht war. Ehrlich gesagt, ich wollte daran auch nichts ändern, ich mochte es so zu leben.
Es gab sicher Leute, die solche Menschen wie mich verabscheuten, weil sie anscheinend schon immer einfach hatten. Gut, von außen betrachtet hatte ich es wirklich einfacher als andere. Aber es war nicht einfach, nicht mit den ganzen Divas über einen Kamm geschoren zu werden. Bis jetzt war mir das auch ganz gut gelungen. Ich las nur Artikel über mich, in denen positives stand. Und ich hoffte, das der Zicken- Krieg zwischen mir und meiner Mam auch so lange wie möglich nicht an die Öffentlichkeit kam. Die Journalisten würden sich vermutlich wie Aasfressende Geier auf die Schlagzeile stürmen und Mam und ich würden erstmal wieder ewig brauchen, bis unser Ruf wieder ohne Negatives war.
Ich riss mich von dem Gedanken los und betrachtete die Einrichtung. Das Wohnzimmer, in dem wir uns befanden, hatte zwei schwarze Sessel, ein größeres Sofa vor dem Flachbildfernseher, ein Bücherregal mit ein paar bekannten oder auch nicht bekannten Büchern, jede Menge DVDs, einen ovalen Tisch auf dem eine Schale Obst stand und diesen prachtvollen Kronleuchter, nicht mit weißen, sondern mit schwarzen Kristallen, was ihn umso interessanter machte. Ann bemerkte meinen anerkennenden Blick und meinte: ,, Vor kurzen hing er noch im Esszimmer, aber Mam meinte, hier würde er besser hinpassen.’’ Eins musste man Sharon lassen; sie hatte wirklich Geschmack. Auch das Restliche war sorgfältig eingerichtet worden. Neben dem Wohnzimmer war noch eine kleinere Küche. Ann erklärte mir, das die nur zum ,,snacken’’ da war, Essen würden wir zusammen in der Villa. Im ersten, und im letzten Stock war das Bad, das zu meiner Beruhigung nicht viel kleiner als das Wohnzimmer war. Und zu guter letzt mein Schlafzimmer. Es sah ungefähr so aus wie bei Ann, nur das diese Wände zartgelb gestrichen waren, in der Ecke ein Sessel stand und der Schrank nur einen Spiegel hatte. ,, Lässt sich aushalten was?’’ , fragte Ann und setzte sich auf den Sessel. Ich nickte. ,, Ja. Wirklich schön. ’’ Ich bemerkte, das meine Taschen schon auf dem Bett lagen , wahrscheinlich hatte sie Brad oder Leonore hochgebracht. Ich machte mir keine weiteren Gedanken darüber, Hauptsache sie waren da. ,, Irgendeine Idee, was wir morgen machen könnten?’’ Ann sah mich erwartungsvoll an. Ich überlegte kurz, bis mir ihr Schimmel Icebreaker wieder einfiel. ,, Wir könnten ausreiten.’’, schlug ich vor, ,, Ich kann Brad bitten, meinen Rubin bis morgen in den Stall zu bringen. Ich wollte ihn so wie so in der Nähe haben. ’’ Ann schien nicht überrascht zu sein, dass ich ebenfalls ritt. Bei dem Gedanken, wieder auf Rubin zu sitzen, freute ich mich , wie jedes Mal, wenn ich ihn sah. Ich hatte Rubin vor drei Jahren zu meinem 13, Geburtstag geschenkt bekommen, seitdem besetzte er Größtteils meine Freizeit. Ich gehörte zu den Leuten, die nur weniges schönes fanden, als auszureiten, seinen Liebling zu putzen oder auch auszumisten. ,, Klingt gut. Hast du was dagegen, wenn James und Luca mitkommen?’’ Ich war ziemlich irritiert und hoffte, dass man mir das nicht ansah. ,, ähm, wer sind James und Luca?’’, fragte ich und kam mir dabei ziemlich bescheuert vor. Ann lachte, was es umso peinlicher machte. ,, James ist mein Zwilling und Luca mein Bruder. Er kann reiten, sein Pferd heißt Redfire, es ist tatsächlich ziemlich temperamentvoll. Und James versuchen wir gerade das Reiten beizubringen. Er hat momentan ein Pflegepferd, Aurora. ’’ Ich stellte mir diesen James interessant vor. Wenn er Anns Zwilling war, hieß das, dass er höchstwahrscheinlich genauso gut aussah wie sie. Jetzt hatte sie mich neugierig gemacht. ,, Nein, macht mir nichts aus. ’’, sagte ich schnell, bevor Ann einfiel, dass es zu zweit fiel netter wäre. Ann nickte und sah kurz auf ihr Handydisplay.
,, Oh, Sorry, ich muss los- hab’ Mam versprochen ihr neustes Drehbuch probe zu lesen.
Wahrscheinlich willst du jetzt auch auspacken. ’’ Damit hatte sie Recht. ,, Komm einfach um sechs Uhr zu mir, dann gibt es Essen.’’ Sie stand auf und fügte noch schnell hinzu, bevor ich auf falsche Gedanken kam, dass sie mich loshaben wollte:,, du kannst natürlich auch schon früher kommen’’ Wir verabschiedeten uns und ich fing an meine Koffer auszupacken.
Ganz oben lag der Vertrag, den ich erstmal in meinen Nachtisch legte. Nach dem ich alle Klamotten verstaut hatte, und das waren nicht wenige, räumte ich auch noch persönliche Sachen wie Bücher und Make- up auf. Irgendwann kamen noch mal meine Eltern um sich zu verabschieden und ehe ich mich versah war es kurz vor sechs. Ich ging in das Bad und kämmte mir noch schnell meine schwarzen Haare, bevor ich zu Ann ging.


3. Kapitel

Ich schlug die Augen auf und blinzelte in das helle Sonnenlicht, das durch die Fenster in mein Zimmer schien. Nachdem ich ein paar Minuten verschlafen die Decke angestarrt hatte, stand ich auf und tapste müde ins Bad. Es war neun Uhr, was ziemlich normal für meine Verhältnisse war. Ich stellte mich erst mal unter die kalte Dusche, wie jeden Morgen, um klar denken zu können. Insgeheim hoffte ich, dass wir direkt nach dem Frühstück in den Stall gingen, ich konnte es kaum erwarten meinen Rappen Rubin wieder zusehen. So beeilte ich mich mit dem Duschen und trocknete mich nach ein paar Minuten auch schon wieder ab. Wenn ich Zeit hatte, konnte ich stundenlang Duschen, am meisten singend. Ich föhnte mir meine lockigen Haare, kämmte sie und bändigte sie mit Haarspray. Ich kuschelte mich in meinen Bademantel und circa eine Viertel Stunde war ich geschminkt und ging wieder in mein Schlafzimmer um mich anzuziehen. Ich konnte mich wie immer nicht entscheiden, zur Auswahl standen ein Printshirt und Leggins oder eine kurze Hose und ein knallrotes Top. Ich entschied mich kurzer Hand für das Shirt und die Leggins, suchte ein passendes Armband und eine silberne Kette aus und zog noch Schuhe an. Als ich behaupten konnte, einigermaßen gut auszusehen verließ ich das Haus und lief über den Garten direkt in Richtung Esszimmer.
Auf einmal spürte ich Nervosität, ich brauchte nicht lange, um heraus zu finden, warum. Anns Geschwister sind mir auch gestern Abend nicht aus dem Kopf gegangen. Zum Abendessen sind sie nicht erschienen. Ann hatte mir erzählt, dass sie bei einer Party eines gemeinsames Freunds gewesen waren. Diesmal waren sie da. Die Tür zum Esszimmer stand weit offen. Ich betrat es und wurde sofort von allen, Ann, Sharon, James und Luca angeschaut. ,,Hi!’’, begrüßte ich sie und versuchte meine Nervosität zu verstecken. James sah wirklich so gut aus wie Ann; blonde Haare und braune Augen. Auch er brauchte einen Moment um aufzutauen. Schließlich lächelte er mich an, aber anscheinend erwartete er nicht, dass ich zurück lächelte. Das ich das selten tat wusste inzwischen ja so ziemlich jeder. Ich setzte mich neben Ann nachdem mich auch die anderen begrüßt hatten und als Luca sich wegen irgendetwas unwichtigen unterhielt, nutzte ich die Chance um auch ihn näher zu betrachten. Luca war so ziemlich das Gegenteil von James. Er hatte dunkelbraune Haare und grüne Augen, die aussahen wie Smaragde, faszinierend. Sharon hatte sich genauso wie gestern total überstylt.
Dass so eine Person erfolgreiche Drehbücher schrieb, konnte ich mir immer noch nicht erklären. Sie trug ein ¾ Oberteil in gelb, jede Menge Goldschmuck und schwarze Lack High- Heels. ,, Gut geschlafen?’’ fragte mich Ann. ,, So mittelprächtig, bin ein paar mal aufgewacht.’’ ,, Ach ja, ‚’’, Sharon nahm einen Schluck Kaffee und wandte sich an mich. ,,Brad hat vor ein paar Minuten angerufen. Ich soll dir ausrichten, das er bevor sein Flieger nach Lanzarote ging, Destiny in den Stall abgeliefert hatte.’’ Ehe ich antworten konnte fragte James: ,, Dein Pferd?’’ ,, Ja…’’ ,, Dein Pflegepferd heißt Aurora, nicht?’’
Er nickte. ,, Wenn ich irgendwann besser reiten kann, werden wir es wahrscheinlich kaufen.
Es ist das liebste Pferd, auf dem ich je geritten bin’’ ,, Das ist auch das Einzigste Pferd, auf dem du je geritten bist… ’’, warf Luca ein. Seine grünen Augen funkelten belustigt. Ich trank einen Schluck Orangensaft und biss in mein Brötchen. James lachte. ,, Stimmt.’’ Auch wenn er über sich selbst lachen konnte, kam mir James irgendwie… seltsam vor. Auf den Punkt gebracht; ich konnte nicht glauben, das er 16 war. Naja, vielleicht stellte er sich ja noch als ganz nett heraus. Nach einer Weile schweigendem Frühstücken fasste Ann das Gespräch wieder auf. ,, Wann gehen wir?’’ Luca zuckte nur die Schultern und äußerte sich nicht weiter dazu. James meinte: ,, Mir ist es relativ egal. Mir macht’s nichts aus, meinen Hintern noch ein wenig zuschonen.’’ Bei dieser Bemerkung fing ich wirklich an, an seinem Alter zu zweifeln.
Hm. Hieß es nicht, das Jungs bei der geistlichen Entwicklung etwas zurücklagen? Wenn das so war, musste Luca jetzt etwa auf meinem Niveau sein. Meine Mam hatte mir jede Menge über die drei erzählt, ich hatte aber immer nur mit halbem Ohr zugehört. Aber, das Ann und James beide 16, und Luca siebzehn und demnächst 18 war, hatte ich mir gemerkt. ,, Will, wann willst du los?’’, fragte mich Ann. ,, Also, wenn ich ehrlich bin, kann ich es nicht erwarten.’’ Sie schien das genauso zu sehen. ,, Okay. Das heißt, nach dem Frühstück.’’ ,, Und das heißt jetzt.’’ Fügte Luca hinzu und stand auf. ,, Treffen wir uns am Eingang.’’ Ich stimmte zu und stand ebenfalls auf, gefolgt von Ann und James. Sharon widmete sich weiter ihrem Obstsalat. Ich schmunzelte, mich würde es nicht wundern, wenn sie in Gedanken bei den Kalorien des Obsts war.

Jeder von uns ging noch, um sich umzuziehen. Ann und ich hatten am Anfang ja denselben Weg. Vor ihrem Zimmer drehte sie dich noch um. ,, Denkst du, beim Ausreiten erkennt uns jemand?’’ Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. ,, Kann sein. Aber selbst wenn… Wir können jederzeit weg galoppieren.’’ Ich zwinkerte Ann zu. Sie lachte und verschwand in ihrem Zimmer. Ich machte mich auch auf den Weg, mich umzuziehen. Inzwischen kam mir die Villa schon fast vertraut vor, die gefliesten Böden, der luxuriöse Garten…

Als ich endlich vor meinem Kleiderschrank stand, fiel mir das erste Mal der fantastische Ausblick aus dem Fenster auf. Von oben war der Garten noch größer, als er mir vorher vorkam. Ich entdeckte einen Pool rechts des Anbaus. Ich würde Ann fragen, ob ich ihn benutzen konnte. Ich ging eigentlich davon aus, aber ich wollte nicht schon am zweiten Tag unangenehm auffallen. Immerhin musste ich hier 6 Wochen bleiben. Obwohl… Eigentlich sprach nichts dagegen, den Pool zu benutzen. Ich riss mich von dem Gedanken los und zog mir meine Reithose und ein blaues Shirt aus dem Schrank und zog mich um. Nachdem ich auch meine Stiefelletten anhatte , holte ich mein restliches Zeug und ein paar Leckerlis. Bevor ich zu dem Treffpunkt ging, warf ich noch einen prüfenden Blick in den Spiegel. Meine Reithose war schwarz, die Stiefelletten dunkelbraun und nicht weiter besonders.

Die anderen warteten schon vor dem Eingang auf mich. Ann sah mit dieser weiten Bluse wirklich gut aus. ,, Peet ist schon da.’’ Meinte Luca. Während wie in Richtung Tor liefen, erklärte mir Ann:,, Peet ist unser Chaffeur. Er fährt uns zum Stall.’’ Ich hasste es, von etwas keine Ahnung zuhaben. Aber daran musste ich mich wohl noch gewöhnen. Im Grunde hatten Ann, Luca und James auch keine Ahnung von mir. Manchmal konnte ich echt zickig werden, das wusste ich, und ich hasste es, wenn andere dachten, dass ich das nicht wusste.
Peet fuhr uns in einem ganz normalen Wagen zum Stall. Wahrscheinlich hatte James meinen irritierten Blick wegen des Autos bemerkt. Ich fuhr immer in Limosinen, von Sharons Familie hatte ich das auch angenommen. ,, Es fällt zu sehr auf, in einer Limosine zum Stall gefahren zu werden.’’ James Mundwinkel zuckten verräterisch. Ach, jetzt machte er sich auch noch über meine Unwissenheit lustig! Ein weiterer Grund in nicht ausstehen zu können. Ich versuchte James zu ignorieren, stieg zu den anderen in das Auto und sah während der ganzen Fahrt aus dem Fenster. Wir fuhren hauptsächlich über Landstraßen. Obwohl man mich eher als den Stadtmensch einstufte, mochte ich die Natur durchaus, besonders im Sommer. Die blühenden Wiesen sahen wunderschön aus, die ganzen Blumen gaben dem saftigen Grün noch den richtigen Farbsprenkel. Es musste toll sein, hier auszureiten.
Die Fahrt dauerte etwa 10 Minuten.
Der Hof grenzte am Wald. Hier war also mein Rappe Destiny untergebracht. Ich betrachtete das Gebäude kritisch, wenn es irgendwelche Macken, und somit Nachteile für Destiny hatte,
würde ich ihn in einen besseren Stall bringen. Auf den ersten Blick konnte ich jedoch nichts Negatives feststellen. Der Vorderhof sah schon mal ziemlich gepflegt aus. Ein paar jüngere Mädchen und zwei ältere sattelten gerade ihre Pferde. Als wir ausstiegen, sahen sie nicht auf. Haben sie uns nicht bemerkt, oder wollen sie uns nicht bemerken?, fragte ich mich. Eine Stimme in meinem Kopf versuchte mir einzureden, dass sie uns schlichtweg noch nicht gesehen hatten. Aber ich konnte mir nichts vormachen. Der Gedanke, dass man uns nicht bemerken wollte, versetzte mir einen Stich. Ich war es gewohnt, immer und überall Aufmerksamkeit zu bekommen, natürlich würde ich das so nie zugeben. Wahrscheinlich war es das auch, warum ich öfters unerträglich wurde. Mir fiel das Pferd eines Mädchens auf. Es war ein Schimmel, der auch obwohl er nicht lief richtig elegant aussah. Die, die ihn sattelte hatte blonde gelockte Haare und, das musste ich wirklich zugeben, ein schönes Gesicht. Mir fiel Lucas Blick, auf dem blondem Mädchen haftend auf. Ich versuchte es zu ignorieren und lief hinter den anderen in den Stall. Die Wände waren weiß gestrichen, und auch die Boxen schienen neu zu sein. Ich hatte nicht bemerkt, wie sich James neben mich gestellt hatte. ,, So weit ich weiß steht Destiny neben Aurora.’’ Der Gedanke verschlechterte meine Stimmung.
Toll, ich will eigentlich ein paar Momente mit Destiny alleine sein. Wenn mich jemand erwischt, wie ich mit ihm rede, wäre das total peinlich… dachte ich. Leider war es auch so. Ich lief mies gelaunt hinter James her. Ein paar Pferde streckten ihre Köpfe zu uns rüber, wahrscheinlich waren sie auf Leckerlis scharf. Als wie in einen anderen Stall kamen, erkannte ich meinen Süßen sofort. Er wieherte mir entgegen, was meine Stimmung schlagartig verbesserte.
Ich joggte schon fast zu ihm rüber und schlang meine Arme um den hübschen Rappen. ,, Ich hab’ dich so vermisst!’’, flüsterte ich. Destiny stupste mir an meine Schulter. Ich lachte, ja, ich lachte, bei Destiny war ich immer noch am glücklichsten. Ich holte ein Leckerli aus meiner Tasche und bot es ihm an. Er nahm es sanft und zerkaute es genüsslich.
Ich kraulte ihn leicht an seiner Blesse. Destiny schnaubte zufrieden.
Mir wurde bewusst, dass James der Einzige in diesem Teil des Stalles war, und dass ich ihn wohl oder übel fragen musste, wo die Sattelkammer war. Ich strich Destiny seine Mähne zur Seite und wandte mich dann an James. Ich räusperte mich. James sah auf. Er war gerade dabei, besser gesagt, er versuchte Aurora das Halfter anzulegen. Er hatte es schon halb über ihrem Kopf, doch sie schüttelte es ab, als James zu mir sah. Ich verkniff mir ein Grinsen. ,, Eigentlich wollte ich dich fragen, wo die Sattelkammer ist, aber wenn du nichts dagegen hast, helfe ich dir erstmal.’’ Ich war von mir selbst erstaunt, warum war ich auf einmal so freundlich, für meine Verhältnisse ?!? ,, Ich wäre dir ehrlich gesagt ziemlich dankbar, danach zeig’ ich dir auch, wo die Kammer ist…’’ Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Ich schlüpfte zu James in Auroras Box und hob das rote Halfter vom Boden auf. Es fiel mir nicht besonders schwer, Aurora das Halfter anzulegen, und konnte einfach nicht anders, als mich über James’ beeindruckten Gesichtsausdruck zu freuen. ,, Danke!’’

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.01.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /