Gewidmet Elisabeth
Martin liegt auf dem Bett im Schlafzimmer in seiner Wohnung. Nackt. In der Hand sein Mobiltelefon. Er tastet eine Mitteilung an sie: „Es ist vorbei...“ Er war nach Hause gekommen, hatte sich entkleidet, das Schlafzimmerfenster geöffnet und sich dann aufs Bett gelegt. Sein Körper braucht Befreiung, seine Haut den kühlenden Hauch der frischen Luft. In seinem jungen Körper hat sich eine heiße Wut ausgebreitet, gepaart mit Resignation, es ist eine wütende Resignation. Über sie, über den anderen Menschen, die Geliebte, um die seine Gedanken die letzten Monaten ruhelos gekreist sind. Besessen von ihr, von ihrem Verhältnis. Dieses verheißungsvolle Liebesverhältnis muss jetzt begraben werden. Martin erinnert sich: Schon nach 2 Wochen versprachen wir uns eine Zukunft, planten eine Zukunft, sprachen von Baby, umschmeichelten uns mit Wörtern, machten uns gegenseitig klar, dass das die große Liebe ist. Im Laufe der ersten Monate wiederholten wir diese Versprechungen und Beteuerungen immer wieder, sie wurden zum festen Ritual – ein mentaler Sex, gerne vor oder direkt nach dem körperlichen Sex.
Martin ist eingeschlafen, trotz seiner Wut. So müde ist er von den vergangenen Wochen und Monaten mit ihr. Martin träumt einen merkwürdigen Traum. Er sieht sich mit ihr Hand in Hand am Altar in einer festlich geschmückten Kirche stehen. Vor ihnen ein Priester. Der Priester fragt sie andauernd Fragen, wartet nur kurz auf eine Antwort, kommt keine, schüttelt er mit dem Kopf und geht zur nächsten Frage über. Dann fängt er von vorne an, wiederholt die Fragen in bestimmter Reihenfolge: „Liebt ihr euch? Was ist Liebe?“ Markus sieht zu ihr hinüber, ihr Gesicht verschleiert unter dem Brautschleier. Martin weiß die Antwort nicht, er hofft, sie wisse schon, sie könne ihm helfen. Sie schweigt. Der Priester: „Kennt und vertraut ihr euch?“ Markus will in ihre Augen sehen, doch der Schleier verdeckt sie. Er überlegt: Kennt er sie wirklich? Und was ist Vertrauen? Markus stammelt etwas, der Priester fordert ihn auf lauter zu sprechen. Markus schweigt, er ist sich nicht sicher. Hinter ihm ein verhaltenes Lachen von den Brautgästen. Der Priester: „Belügt ihr euch? Was bedeutet Wahrheit für euch?“ Martin fühlt ihre feuchte Hand in seiner kälter werden. Er wird ungeduldig, zornig. Warum können sie dem Priester nicht antworten? Einfach ja sagen. Sagen was man hören will. Instinktiv fühlt er, dass der Priester eine Lüge durchschauen würde und dass er sich mit einer Standard-Antwort nicht zufrieden geben würde. „Warum fragst du uns all das, deswegen sind wir nicht gekommen! Frage uns, ob wir uns haben wollen, darauf können wir antworten! Die Antwort ist Ja!“ Er sieht zu ihr hinüber. Tränen tropfen unter dem Brautschleier auf ihre schöne, weiße Haut, um Schultern und Hals. Er versteht, dass die eine Antwort alleine nicht reichen würde.
Martin wacht auf. Der Schweiß glänzt auf seiner nackten Haut im Tageslicht. Er schaudert, der kalte Luftstrom vom Fenster ist wie eine eiskalte Hand, die über seinen Körper streichelt. Schnell greift er zum Mobiltelefon, löscht die geschrieben Wörter: „Es ist vorbei...“. Schreibt die Meldung neu. Nur ein Wort: „Neuanfang!“ Glücklich und voller Hoffnung verschickt er diese Mitteilung an die Geliebte.
Texte: spreemann
Tag der Veröffentlichung: 11.01.2013
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