© spreemann,T 2013. Alle Rechte beim Autor.
Stephan und Moritz
Eines nachmittags faulenzten Moritz und Stephan, zwei zwölfjährige Jungen, in Moritz Raum bei ihm Zuhause und überlegten was sie anfangen sollten. Moritz lag auf seinem Bett, Stephan daneben auf dem Teppich. Die beiden Freunde hatten genug Ideen, wie sie sich den Nachmittag vertreiben konnten, dumm war nur, dass sie das alles schon einmal gemacht hatten und was man schon einmal gemacht hat, ist nun mal nicht mehr so spannend.
Die zwei grübelten ganz arg, ob es denn etwas gäbe, was sie noch nie getan hatten. Manchmal schielten sie heimlich zueinander rüber, um zu sehen, ob der andere vielleicht schon irgendetwas Spaßiges ausgegrübelt hatte. Stephan wurde es mit der Zeit immer unbequemer auf dem Boden.
«Wir könnten runter zum Fußballplatz gehen», machte Moritz den Vorschlag. Stephan, der nicht so wie Moritz einmal Fußballprofi werden wollte, war nicht so begeistert.
«Das haben wir doch schon tausend Mal gemacht.»
Eine Weile sagte niemand mehr was, dann kam es vom Boden her:
«Es wäre doch toll wenn man alles was man sich ausdenkt wirklich erleben könnte.»
«Wie meinst du das», fragte Moritz.
«Nun, wenn ich in einem spannenden Buch gelesen habe, abends bevor ich einschlafe, stelle ich mir vor, ich wäre der Held im Buch und würde ein Abenteuer erleben.»
«Ja, aber das denkst du dir ja nur aus», gab Moritz zu Bedenken, «du erlebst das ja nicht wirklich.»
« Ich weiß, aber es wäre doch toll oder?»
Plötzlich hörte man einen lauten Knall. Moritz sprang wie von einer unsichtbaren Feder hoch geschleudert vom Bett hoch. «Das ist Vater», rief er triumphierend.
«Er hat Mal wieder was in die Luft gejagt!»
Auch Stephan war schnell auf den Beinen, beide rannten sie runter zum Keller, wo das Laboratorium war.
Moritz Vater war nämlich Forscher und Erfinder. Genau was er eigentlich erforschte und erfand wusste niemand so recht, nicht mal Moritz, doch wenn er gefragt wurde antwortete er immer, geheimnistuerisch mit den Augen zwinkernd:
Mein Vater erforscht sehr viele verschiedene Dinge. Und damit hatte er sicherlich auch Recht. Denn Moritz Vater erforschte was ihm gerade so zwischen die Hände kam. Sogar eine tote Heuschrecke hatte er mal unter die Lupe gelegt, die sein Sohn ihm gebracht hatte.
Als Moritz dicht gefolgt von Stephan die Tür zum Laboratorium öffnete sahen sie erst gar nichts. Wie sollten sie auch, war doch der ganze Raum voll mit dichtem qualmendem Rauch. Es war aber nicht so ein stinknormaler schwarzer Rauch, der aufsteigt wenn man ein Feuer anmacht, nein, dieser Rauch war grün und duftete, die beiden Jungen waren sich da einig: nach Pfefferminz. «Vielleicht hat mein Vater Pfefferminzbonbons gemacht», hustete Moritz.
«Richt ganz so», hustete Stephan zurück. «Aber seit wann explodieren Pfefferminzbonbons?»
Für Moritz Vater war es eine Kleinigkeit Pfefferminzbonbons in seinem Laboratorium herzustellen. Er machte es zwar nicht gerne, da er wie er sagte besseres zu tun hatte, doch wenn sein geliebtes Söhnchen lange genug bettelte machte er ab und zu eine Tüte.
Langsam entwich der dichte Rauch durch die offene Tür. Stephan schaute sich neugierig um. Das Laboratorium war vollgefüllt mit allem was ein ordentlicher Tüftler so brauchen konnte. Auf Regalen standen Reagenzgläser und allerlei merkwürdige Apparate und Behälter mit Flüssigkeiten in verschiedenen Farben. Auf manchen von ihnen war ein Totenkopf gemalt, als Warnung, dass man den Inhalt lieber nicht trinken sollte.
Moritz Vater war gerade dabei Glasscherben zusammen zu fegen.
«Hast du Pfefferminzbonbons gemacht», fragte sein Sohn und passte auf, dass er nicht auf eine Scherbe trat.
«Pfefferminzbonbons, nee. Nur ein Versuch. Die Formel muss falsch gewesen sein. Ich bin sicher dass ich alles richtig gemacht hatte. Oi, war das ein Knall! Zum Glück hatte ich meine Schutzbrille auf.»
«Wir haben es bis oben gehört», bestätigte Moritz anerkennend.
Sein Vater begann in einem Buch zu blättern.
«Hmm, wo kann der Fehler nur liegen», murmelte er nachdenklich vor sich hin.
Er war ein kleiner drolliger Mann, mit einer dicken Brille auf der Nase und spärlichen Haar auf dem Kopf. Stephan fand, dass er aussah wie ein Professor. Er war so anders als sein Vater, der von Morgens bis Abends in einer großen Firma arbeitete, so dass Stephan ihn nur am Wochenende sah. Manchmal wünschte sich Stephan, dass sein Vater so wie Moritz Vater wäre. Wenn Stephan manchmal sagte: Oh Moritz wäre mein Vater doch wie deiner, lachte sein Freund nur und meinte sie könnten ja mal Väter tauschen. Aber das sagte er nur zum Spaß, denn eigentlich wollte keiner von den beiden seinen Vater für einen anderen eintauschen.
«Papa», sagte Moritz und schnupperte an einem auf dem Tisch aufgestellten Reagenzglas, «wenn man sich was vorstellt, ist es möglich dass es wirklich wird?»
«Ja, natürlich», antwortete sein Vater ohne vom Buch aufzusehen. «Warum nicht. Wenn man es sich nur stark genug vorstellt. Infolge eines gewissen Philosophen, Namens Gerd Lupillas, gibt es ein Land der Phantasie, er nennt es das Phantastische Land, wo Phantasie Wirklichkeit werden kann.»
«Echt?» Stephan war total begeistert. «Aber bei mir hat es noch nie funktioniert. Ich kann mir noch so fest vorstellen, dass ich ein Ritter bin und in einem Schloss wohne, doch es wird nie wirklich.»
«Nun vielleicht ist es alles nur Humbug», lächelte Moritz Vater.
«Fragt Herr Lupillas doch selber. Er wohnt hier in der Stadt. Gegenüber dem Rathaus. Ich besuche ihn manchmal um Wissenschaftliche Themen zu diskutieren.»
«Komm, dass machen wir», sagte Moritz zu Stephan, als sie die Keller Treppe wieder hochgingen. Stephan wollte zwar nicht recht, doch er wusste, dass wenn Moritz sich mal was in den Kopf gesetzt hatte, war er davon nicht so leicht abzubringen.
«Wir nehmen das Segelrad, ok?»
Das Segelrad war auch eine Erfindung von Moritz Vater.
An einem Holz Kasten mit vier Rädern, indem man sich zu zweit reinsetzen konnte, war ein Segel befestigt. Und damit man nicht von Wind abhängig war, hatte der Erfinder eine Windmaschine hinten im Kasten konstruiert, die, wenn auf volle Kraft gestellt, das Segelrad nur so davon schießen ließ. Auch waren zwei Pedale unten am Boden befestigt, die man wie bei einem richtigem Fahrrad tretend bediente. Die anderen Jungen in der Stadt beneideten Moritz um dieses Segelrad und bettelten andauernd, dass er sie doch einmal mitfahren lassen sollte.
Was Moritz auch ab und zu tat. Aber nur gegen Bezahlung.
Als Bezahlung galt eine Murmel, oder eine Fußballkarte, oder was der Junge, der mit ihm fahren wollte, gerade so in der Tasche hatte.
Wie sie so durch die Straßen segelten, blieben die Leute verwundert stehen und schauten verblüfft dem Segelrad hinterher. Es waren aber nicht viele, denn die meisten Menschen die gerade unterwegs waren, hatten Moritz Segelfahrrad schon mal gesehen. Eine alte Frau schüttelte den Kopf als Stephan und Moritz vorbei sausten. «Ja, ja», seufzte sie, «was für verrückte Sachen der Vater dieses Bengels doch alles erfindet. Nur unnützes Zeug.»
Nun, Moritz und Stephan fanden auf jeden Fall das ihr Segelrad eine sehr nützliche Sache war.
Da das Rathaus nur zwei Straßen von Moritz Zuhause entfernt lag und Moritz die Windmaschine auf volle Fahrt voraus gestellt hatte, dauerte es nicht lange bis sie an ihrem Ziel angekommen waren. Das Haus gegenüber vom Rathaus war sehr alt, es sah so aus als stamme es aus einer längst vergangenen Zeit.
Gerd Lupillas sagte immer zu allen die ihn besuchten: sein Haus sei das erste Haus das in dieser Stadt gebaut worden war! Darauf war er nämlich sehr stolz drauf. Moritz und Stephan parkten das Segelrad und klopften an die Eingangstür von dem ältesten Haus der Stadt. Eine alte Frau mit einem freundlichen Gesicht öffnete.
«Ja, was wollen die jungen Herren?»
Da Stephan eigentlich nicht so recht wusste was sie nun wollten, überließ er Moritz das Reden. Der kam sofort zur Sache:
«Gibt es das Land der Phantasie? Wo alles was man sich vorstellt zur Wirklichkeit wird? Mit Rittern, Königen und allem drum und dran?»
Stephan hatte erwartet, dass die alte Frau ihnen nun die Tür vor der Nase zuwerfen, oder im besten Fall verständnislos drein blicken würde. Aber das tat sie keineswegs, sondern erriet sogleich von was die Rede war.
«Oh, bist du nicht der Sohn von Herr Keller dem Erfinder?»
«Der bin ich», bestätigte Moritz furchtbar stolz. Auch Stephan stellte sich höflich vor, ganz wie es sich gehörte.
«Das Land der Phantasie, nun ja. Mein Mann meint das auf jeden Fall. Aber der meint soviel. Aber es ist ja auch sein Beruf etwas zu meinen, er ist ja Philosoph. Bei manchen mag er Recht haben, bei anderem wohl eher nicht. Kommt rein ihr Lieben.
Er ist in der Stube, wollt ihr ein Stück Kuchen? Und einen Becher Kakao?»
Die beiden Jungen gingen zusammen mit der alten Frau in die Wohnstube.
In einem breiten Sessel saß ein alter, weißhaariger Mann und las in einem dicken Buch. Als sie eintraten schaute er auf.
«Gerd, das ist Moritz der Sohn von Herr Keller und der andere Bub, Stephan sein Freund. Sie wollen wissen ob es das Land der Phantasie wirklich gibt.»
Der alte Philosoph lächelte sie wohlwollend an.
«Ich nenne es das Phantastische Land. Da alles was man sich vorstellt in ihm wirklich wird. Leider bin ich zu alt um meine Theorie selber auszuprobieren. Man muss die lebhafte Phantasie eines Kindes haben damit es gelingt. Ich bin wohl der einzige der an die Existenz des Phantastischen Landes glaubt.»
«Oh, mein Vater glaubt auch, dass wenn man sich etwas ganz fest vorstellt, es wirklich wird», versicherte Moritz.
«Und ihr, glaubt ihr es?», fragte Herr Lupillas indem er das Buch auf seinem Schoss, zur Seite legte.
«Ich schon», sagte Stephan bestimmt. «Aber wie kommt man in dieses Phantastische Land?»
Moritz hingegen meinte, dass das was man sich ausdachte nie Wirklichkeit werden kann.
«Warum nicht», widersprach der alte Philosoph. «Wiest ihr, die Phantasie ist eine mächtige Kraft. Dein Vater hat Recht. Wenn man sich es nur stark genug vorstellt, kann man sie zur Wirklichkeit machen. Durch viele Jahre habe ich mich mit der Frage beschäftigt: Was ist eigentlich Wirklichkeit? Vielleicht ist unsere Wirklichkeit nicht wirklich oder nicht die einzige. Es kann doch mehrere Wirklichkeiten geben. Und wenn dem so ist, können wir dann nicht auch unsere Phantasie zur Wirklichkeit machen?»
Der Alte war richtig eifrig geworden, in seinen Augen funkelte es geheimnisvoll.
Die beiden jungen Zuhörer saßen Mucksmäuschenstill still, mit gespitzten Ohren lauschend und kauten ganz langsam jeder auf einem Stück Kuchen.
«Um auf deine Frage zu antworten, Stephan. Man kommt ins Phantastische Land wie von einem Raum in einen anderen. Durch eine Tür. Schaut euch diese Küchentür dort drüben an.
Ich weiß, dass sie zur Küche führt, wenn man sich aber jetzt ganz arg vorstellt, dass hinter genau dieser Tür das Phantastische Land anfängt. Der alte Mann war aufgestanden und ging zielgerichtet auf die Küchentür zu. Stephan und Moritz verfolgten in atemloser Spannung, wie er sich anmachte sie zu öffnen. In ihrem Inneren sahen sie schon eine wunderschöne Landschaft sich dahinter auftun. Im selben Augenblick ging die Tür auf und die alte Frau kam in die Stube, mit einem Tablett in den Händen. Als sie ihren Mann an der Tür stehen sah sagte sie, indem sie den beiden Jungen verschmitzt zulächelte: «Ja, ja, ich weiß schon was hier vorgeht. Mein Mann und seine albernden Ideen. Wenn hinter der Tür nicht eine Küche wäre, dann hätte ich euch ja auch keinen Kakao machen können!»
Mit diesen Worten stellte sie eine volle Tasse vor Stephan und eine vor Moritz. «So nimmt auch noch ein Stück Kuchen.
Ich backe so gerne und freue mich immer wenn wir Besuch kriegen. Vor alledem wenn liebe Kinder kommen, denn die essen so gerne Kuchen, nicht wahr?»
Die lieben Kinder nickten nur zustimmend, denn es ist nicht so einfach zu reden, wenn man den Mund voll Kuchen hat. Dann wollte Herr Lupillas wissen, ob Moritz Vater denn zurzeit an einer neuen Erfindung arbeitet.
«Ja», bestätigte Moritz und erzählte so gut sich das zwischen großen Kuchen Bissen machen ließ, dass sein Vater gerade drauf und dran war eine ganz raffinierte Erfindung zu machen. «Aha», der alte Philosoph schielte neugierig zu Moritz rüber. «Eine raffinierte Erfindung? Ja was denn?»
«Ein...», Moritz kaute und schluckte,... «ein vollautomatischer Kokosnuss Öffner. Mein Vater hat nämlich vor kurzen in der Zeitung gelesen, dass ein Mann, der versuchte mit einem Hammer eine Kokosnuss zu öffnen, sich auf den Finger haute und eine Woche nicht zur Arbeit gehen konnte.
«Und wie funktioniert dieser automatischer...eh vollautomatischer Kokosnussöffner?»
«Also mein Vater stellt sich das so vor: Man tut die Kokosnuss rein. Und dann kommt sie am anderen Ende in zwei Teilen raus und die Kokosmilch wird gleichzeitig in einem Behälter aufgefangen.»
«Das gibst nicht», staunte die alte Frau, «dein Vater ist wirklich ein gescheiter Mann. So ein Gerät könnte ich wirklich gut in meiner Küche gebrauchen.»
Die Zeit ging schnell wie der Wind und wenn in der Wohnstube bei Herr und Frau Lupillas nicht so eine große Kuckucksuhr gehangen hätte, aus der bei jeder vollen Stunde ein kleiner Kuckuck heraus schoss, einen Höllen Lärm machend, dann wäre Stephan, der um halb sechs zum Abendessen Zuhause sein musste, bestimmt zu spät gekommen. Aber dank des pünktlichen, lauthalsigen Kuckucks, erinnerte sich Stephan glücklicher Weise als es soweit war, dass er nach Hause musste. Die Jungen verabschiedeten sich von dem altem Ehepaar, die Moritz auftrugen seinen Vater recht herzlich zu grüßen.
Als Stephan und Moritz gerade dabei waren mit ihrem Segelrad um die Hausecke zu sausen, hörten sie wie der alte Philosoph ihnen durch ein Fenster nachrief:
«Und viel Spaß im Phantastischen Land!»
Moritz rümpfte die Nase. «Bäh, ich glaub dem alten Spinner kein Wort.»
«Ach warum nicht, » sagte Stephan. «Ich finde die Tür Idee gar nicht so dumm. Würde aber gern wissen, ob es nur bei Küchen Türen oder bei allen Türen funktioniert.»
«Es funktioniert überhaupt nicht.» Moritz hielt gar nichts von der Sache.
«Na ja ich probiere es auf jeden Fall Zuhause aus», nahm sich Stephan vor.
«Viel Spaß dabei», grinste Moritz und erhöhte die Umdrehung der Windmaschine damit Stephan noch rechtzeitig zum Abendessen kam.
Als Stephan zu Hause war, stellte er sich, wann immer er durch eine Tür ging, vor, angefangen mit der Haustür, dass auf der anderen Seite das Phantastische Land lag. Leider wurde keiner seiner Versuche von Erfolg gekrönt. Auch Moritz probierte es bei sich zu Hause aus, da er meinte, dass es ja nicht schaden konnte es ein paar Mal zu versuchen. Die erste Tür bei der er es ausprobierte war die Tür zum Laboratorium. Nachdem er sie geöffnet hatte, glaubte er erst es wäre geglückt, da er plötzlich von einem dichten Nebel umgeben war, indem ein unheimlicher Schatten herumwatete.
Doch schon bald verstand er, dass seinem Vater nur mal wieder was explodiert war und der Schatten entpuppte sich, sobald sich der Nebel etwas gelichtet hatte, als niemand anders als sein Vater höchstpersönlich. «Verflixt,» hörte man ihn fluchen. «Was habe ich diesmal falsch gemacht?! Verdammte Formel!»
Stephan war gerade durch die letzte Tür im Haus, die Tür zum Zimmer seiner Schwester gegangen, auf der zwar groß geschrieben stand; Zutritt verboten, was Stephan aber, im Namen der Forschung, meinte nicht beachten zu müssen.
Als seine Schwester ihren kleinen Bruder so frank und frei in ihre privaten Gemächer spazieren sah, gebärdete sie sich wie eine Katze die man auf den Schwanz getreten ist und fauchte den Eindringling böse an, der schnell wieder das Weite suchte. Stephan entschied sich es Morgen in der Schule weiter auszuprobieren. Da gab es ja sehr viele Türen und wenn es da auch nicht ging, wollte er einfach Herr Lupillas fragen ob er durch dessen Küchen Tür spazieren durfte.
In der darauf folgenden Nacht träumte ihn ein ganz fürchterlicher und äußerst seltsamer Traum. Er war in einem riesigen Haus in dem es unzählige Räume gab und zu jedem Raum führte eine Tür. Stephan ging von einem Raum zum anderen und hoffte jedes Mal, wenn er zu einer neuen Tür kam, dass dahinter das Phantastische Land beginnen würde. Aber in jedem Raum in der er rein ging war ein Küche, in der Frau Lupillas inmitten von sich auftürmenden Bergen von Kuchen und Krügen, bis zum Rande voll mit Kakao, stand, sodass Stephan behände herumhüpfen musste, um nicht auf alle diese Köstlichkeiten zu treten.
Kinder essen doch gerne Kuchen nicht wahr, hörte er die Stimme der alten Frau, hier nimm noch ein Stück. Trink noch eine Tasse Kakao. Und Stephan öffnete Türen, aß Kuchen und trank Kakao bis ihm am Schluss so schlecht war, dass er das Gefühl hatte sich gleich übergeben zu müssen. Zum Glück wachte er auf bevor es soweit kam.
Ihm war wirklich ganz schlecht. Oje, tadelte er sich selbst, hätte ich doch nicht soviel Kuchen gegessen, bei den Lupillas und all den Kakao nicht getrunken, mit soviel Sahne!
Nachdem er sich eine Weile hin und her gewälzt hatte schlief er wieder ein.
Die Mogelschlange
Am nächsten Morgen holte Moritz seinen Freund mit dem
Segelrad von Zuhause ab. Als sie auf den Schulhof fuhren, strömten gleich eine Menge Kinder zusammen.
Das war fast jeden Tag so. Alle wollten sie nämlich in der großen Pause mit Moritz Segelfahrrad fahren. Da die Pause aber nicht so lang war und Moritz nicht Lust hatte die ganze Pause durch Rumzufahren, wurde jetzt schon ausgewählt, wer heute mitfahren durfte.
«Ich gebe dir nen Gummiball», versprach einer, «ich zwei Kaugummis», ein anderer. «Was für ein Geschmack?» wollte Moritz mit geschäftlicher Miene wissen. «Erdbeere und Apfel», kam die Antwort. «Abgemacht.»
Moritz und der Junge mit den Kaugummis gaben sich feierlich die Hände. Auf dem Weg zum Klassenzimmer wurde weiter gefeilscht und geschrien. Als dann die Glücklichen auserwählt waren, machten sie ein paar Luftsprünge und wurden ganz zappelig vor Freude.
Zappelige Kinder konnte Herr Gunderson, der Geschichtslehrer, aber gar nicht leiden. Er war der Ansicht, dass Kinder in der Schule ganz brav auf ihren Stühlen sitzen sollten und dem Lehrer Mucksmäuschenstill still zuzuhören hatten. Und als er an diesem Morgen in den Klassenraum rein kam, verdarb ihm all die wilde Zappelei ganz die Laune. Das war aber nichts besonderes, denn Herr Gunderson war eigentlich selten so richtig guter Laune.
«Ruhe»! schrie er und zeigte drohend auf die Kinder, die die große Pause gar nicht mehr erwarten konnten und auf ihrem Stuhl hin und her rutschten.
«Hört sofort mit dieser Zappelei auf!»
So begann ein neuer, langer Schultag.
Endlich kam die große Pause. Der erste der mit Moritz Segelrad fahren durfte, war der Junge mit dem Kaugummi. Moritz gab das Erdbeerkaugummi Stephan und steckte das andere, das mit Apfelgeschmack, in den Mund.
«Los geht’s», verkündete er. Und los ging’s, mit voller Stärke blies die Windmaschine Luft in die Segel und das Segelrad sauste nur so über den Schulhof. Ein paar der Jungen meinten, dass sie schneller mit ihren Fahrrädern wären als Moritz. «Wetten, wir können dich überholen», riefen sie Moritz herausfordernd zu, als er gerade mal wieder an ihnen vorbei flitzte.
«Wetten, dass ihr das nicht könnt», schrie Moritz zurück. Stephan kam auf die gute Idee, doch ein Wettrennen zu veranstalten. Gesagt getan. Mit Hilfe von Steinen, wurden ein Start und ein Ziel aufgestellt und das Wettrennen begann.
Erst sah es so aus, als würde der Renner Segelrad, mit Moritz und Stephan als Fahrer, einen riesigen Vorsprung bekommen. «Ha, ha», grölte Moritz triumphierend und drehte sich winkend zu den Jungen um, die prustend und keuchend hinter ihnen her trampelten und verzweifelt versuchten das Segelrad einzuholen. Da machte es plötzlich Puff und die Windmaschine blies kein Wind mehr, auch nicht den leisesten Windhauch.
«Was ist los?», fragte Stephan bestürzt.
«Die Windmaschine ist heiß gelaufen», gab Moritz Bescheid. «Das ist los!»
Zum großen Glück sprang sie wieder an, gerade als die ersten der Verfolger auf ihren Fahrrädern angerast kamen. Nun war man aber schon so nah am Ziel und es dauerte ja auch eine Weile bis das Segelrad so richtig wieder in Schwung kam, dass es zum Schluss noch mal richtig spannend wurde. Geschichtslehrer Gunderson, der im Lehrerzimmer saß, ein Butterbrot aß und Kaffee schlürfte, warf einen mürrischen Blick durchs Fenster auf den Schulhof. «Man könnte glauben der Schulhof wäre eine Rennstrecke», bemerkte er ärgerlich zu einem anderen Lehrer der neben ihm sitzend ebenfalls seine Stulle verspeiste. Das war zufällig der Religions- Lehrer, Herr Detlef, beliebt und gern gesehen in der ganzen Schule, da er, im Gegenteil zu Herr Gunderson, immer gut aufgelegt war.
Er erwiderte nichts, starrte nur gebannt auf den Pausenhof runter, wo Stephan und Moritz mit ihrem Segelrad gerade mit einem halben Meter Vorsprung vor ihrem ärgsten Verfolger übers Ziel preschten. «Das war knapp», murmelte er leise, ohne sich um Herr Gunderson zu kümmern, der ihn komisch anschaute, da er überhaupt nicht verstand, was bei einem solchen Wettrennen so aufregend sein sollte. Die nächste Stunde nach der großen Pause hatte Moritz und Stephans Klasse Mathematik.
Die Mathematik Lehrerin, Fräulein Martens, offenbarte zum Schrecken der Schüler, dass heute eine Mathematik Prüfung auf dem Plan stand. Stephan, der sehr gut in Mathematik war, war einer der wenigen, die nicht blass wie ein Leintuch wurde, ja, er machte sogar eine ganz vergnügte Miene. Die meisten anderen sahen drein als hätte man Weihnachten für dieses Jahr abgesagt. Moritz Freude über seinen glorreichen Sieg im Wettrennen verschmolz wie heiße Butter.
«So ein Mist», nuschelte er leise, «Mathematik Prüfung, das musste ja sein.»
Da kam ihm ein rettender Gedanke: Jetzt ist doch eine einzigartige Gelegenheit die Mogelschlange auszuprobieren!
Die Mogelschlange war eine mehrere Meter lange Gummischlange, an deren beider Enden ein Schieß- Mechanismus angebracht war, der so ähnlich funktionierte wie bei einer Pistole. Somit konnte man z.B. ein zusammengeknülltes Stück Papier wie eine Kugel von einem Ende zum anderen schießen. Das war von beiden Enden aus möglich und darum war dieses Ding sehr geeignet um geheime Botschaften auszutauschen. Die Mogelschlange war eine Erfindung von Moritz Vater, er hatte sie aber für einen ganz anderen Zweck erfunden, als das man damit in einer Mathematik Prüfung mogelte. Für welchen Zweck, ja, das ist schwer zu sagen.
Moritz hatte auf jeden Fall, als er sie zum erstem mal gesehen hatte sofort gewusst für was man diese Schlange gebrauchen konnte und sie kurz und gut "Mogelschlange" genannt. Natürlich hatte er Stephan genau in ihre Funktionsweise eingeweiht.
Als Fräulein Martens gerade was auf die Tafel schrieb, mit dem Rücken zur Klasse, nahm Moritz die Mogelschlange blitzschnell aus dem Ranzen und warf ein Ende von ihr Stephan zu, der vier Tische weiter links von ihm saß. Stephan legte das Ende auf seinen Schoss unter den Tisch. Das tat auch Moritz mit dem anderen Ende. Die Aufgaben wurden ausgeteilt und die Schüler bekamen rote Ohren. Moritz brauchte nur einen kurzen Blick auf das Blatt zu werfen, um zu verstehen, dass hier Mogeln die einzige Rettung war. Er schrieb eine besonders knifflige Aufgabe auf ein kleines Stück Papier, das er aus seinem Heft gerissen hatte, versah es mit einem Frage Zeichen, knüllte es zusammen, steckte es in die Öffnung der Mogelschlange und betätigte den Schießmechanismus. Sekunden später machte es leise ‘’klick’’ bei Stephan unterm Tisch, was bedeutete, dass Moritz Zettel bei ihm eingetroffen war. Stephan nahm den Zettel raus, fügte die richtige Lösung dazu und schoss zurück. Das ging so ganz glänzend mehrmals hin und her, ohne das Fräulein Martens die geringste Ahnung hatte, welch ausgeklügelte Mogelei im Klassenzimmer gerade vor sich ging. Moritz war sich ganz sicher, dass diese Mathematik Prüfung die beste seines Lebens werden würde!
Ja, Mathematik kam ihm plötzlich ganz einfach vor. Doch Mogelei lohnt sich wie Unehrlichkeit nie, was Moritz diesmal bitter erfahren sollte.
Aber schu schu, wer weiß, wenn diese Mogelei Sache nicht gewesen wäre, wären Stephan und Moritz dann überhaupt in das Phantastische Land...
Nun wollen wir mal den Geschehnissen nicht vorgreifen.
Wie Fräulein Martens entdeckte das Stephan und Moritz mogelte?
Ja also, das ging so zu:
Moritz hatte gerade wieder ein neues Stückchen Papier zusammengeknüllt, das er mit einer, für ihn schier unlösbaren Aufgabe versehen hatte, es in die Öffnung seines Endes der Mogelschlange gesteckt und auf den Weg geschickt. Soweit so gut. Sein Fehler war, dass er bevor er geschossen hatte, nicht erst mit einem scharfen Blick seinen Mogelgehilfen vorgewarnt hatte, dass ein Geschoss auf dem Weg war.
Stephan war gerade sehr vertieft in eine Aufgabe, die auch ihm Kopfzerbrechen bereitete und hatte die Mogelschlange glatt vergessen. Deswegen war sein Ende nicht auf Empfang gestellt, was bedeutete, dass die Öffnung sperrangelweit offen war.
Das Papier Geschoss, das Moritz abgeschickt hatte, näherte sich mit rasender Geschwindigkeit, wie eine Kanonkugel sauste es durch die Öffnung und wurde erst durch das Knie von Stephans Tisch Nachbar, dem dicken Peter, angehalten. Wenn man so eine Kanonkugel ans Bein bekommt, auch wenn sie nur aus Papier ist, tut das ganz schön weh, außer natürlich man hat ein Holzbein wie ein Seeräuber. Leider war es aber kein Seeräuber der neben Stephan seinen Tisch hatte, Seeräuber gehen ja selten zur Schule, sondern der dicke Peter. Und der dicke Peter gab einen lauten Schrei von sich, mehr aus Überraschung als aus Schmerz, der alle im Klassenraum vor Schreck zusammen zucken lies. Wie der Blitz war Fräulein Martens bei Peter der sich das Bein hielt: «Oh, mein Bein», jammerte er wehleidig, «jemand hat auf mein Bein geschossen!»
Stephan, der ja überhaupt nicht wusste was vorgefallen war, war so verblüfft, dass er sein Ende der Mogelschlange nicht schnell genug verschwinden lies. Frau Martens hatte, trotz das sie eine dicke Brille trug, oder vielleicht gerade deswegen, ein Adlerblick. Wie ein Detektiv bei der Spurensuche tastete sie die Gegend um Peters Knie ab und als sie das zusammengeknüllte Papier auf dem Boden liegen sah, beugte sie sich nieder, um es aufzuheben. Der böse Zufall wollte es, dass ihr Blick dabei unter Stephans Tisch Vorbeistrich. Was sie da sah interessierte noch mehr als das Papier auf dem Boden.
«Aha!», rief sie triumphierend.
Stephans Ende der Mogelschlange kam zum Vorschein, zusammen mit dem Papier. Die Lehrerin ging der Schlange hinter her, die sie zu Moritz Tisch führte. Bald war auch das andere Ende aus seinem Versteck, unter der Tischplatte, hervorgebracht. Fräulein Martens verstand zwar nicht genau was das da war, was sie in den Händen hielt, aber sie brauchte die Mogelschlange nicht lange zu inspizieren um nachvollziehen zu können, zu was man sie gebrauchen konnte. Um das Unglück vollends zu machen, entfaltete sie auch noch das zerknitterte Papier. Die Aufgabe mit dem Fragezeichen bestätigte ihren Verdacht.
«Kommt das von dir?», fragte sie mit einer Stimme, die sich anhörte, wie ein leises Unheil verkündendes Donnern vor einem Gewitter. Moritz wusste sehr wohl, dass es sinnlos war, es abzustreiten. Das würde alles nur noch verschlimmern.
«Ja», antwortete er leichthin, als wäre das nicht weiter dramatisch. «Aber Peters Knie zu treffen war nicht beabsichtigt. Ganz ehrlich.»
«Ganz ehrlich?!» Hat man so etwas schon gehört, du willst doch nicht etwa behaupten, dass das hier», sie hielt Moritz den Schummelzettel vor die Nase, «was mit Ehrlichkeit zu tun hat?!» Die strenge Frau Martens steigerte sich immer mehr in die Sache hinein, ihre großen Augen hinter dem Brillenglas schienen aus den Augenhöhlen herauszutreten.
Moritz fand es gescheiter lieber gar nichts mehr zu sagen.
Und das war wohl auch besser so. Denn wenn man schummelt und erwischt wird, helfen auch nicht die besten Ausreden. Das ist genauso wie mit einem Taschen Dieb, der dabei ertappt wird, wie er eine Brieftasche stiehlt. Niemand würde ihm glauben, wenn er behaupten würde, dass die Brieftasche ungewollt in seine Hand gelangt war und er sie gar nicht hatte klauen wollen. Alle Leute würde ihn nur auslachen und sagen: Ach hört bloß den Gauner an, was für eine dumme Ausrede.
Moritz entschloss sich die Straffe wie ein echter Mann zu nehmen.
Fräulein Martens schnappte sich die Mogelschlange und schielte in beide Enden rein. «Ja, so welche schlauen Sachen kannst du dir Ausdenken. Aber Mathematik ist dir zu schwer, was?»
Ihre Stimme war nicht mehr ganz so erbost und Moritz versuchte sie wieder freundlicher zu stimmen. «Die hab ich gar nicht erfunden, das war mein Vater», platzte es aus ihm heraus.
Im nächsten Augenblick bereute er auch schon was er so unbedacht gesagt hatte. Sein Vater hatte nun wirklich nicht gewollt, dass sein Söhnchen seine Erfindung zum Schummeln benutzen würde!
Fräulein Martens, die wohl der Meinung war, dass erwachsende Menschen solche Mogelvorrichtungen nicht erfinden konnten, glaubte ihm kein Wort.
«Jetzt ist aber genug du Lausbub. Ab zum Rektor mit dir und du auch Stephan!»
Stephan, der die ganze Zeit gehofft hatte, dass er nicht bestraft werden würde, erhob sich widerwillig und trottete beschämt, mit gesenktem Kopf, hinter Moritz her.
«Warum hast du denn dein Ende nicht auf Empfang gestellt», fragte Moritz vorwurfsvoll, als sie draußen auf dem Gang waren. «Wie konnte ich denn wissen, dass was von dir kam?!»
Stephan war richtig wütend.
«Du hättest mich ja vorwarnen können!»
Das Kontor des Rektors lag im obersten Stockwerk der Schule. Für Moritz war es nicht das erste Mal, dass er zum Rektor musste weil er was verbrochen hatte. Er fand das darum alles nur halb so schlimm, nahm zwei Treppenstufen auf einmal und wollte einfach die ganze Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Der sonst so brave Stephan hingegen, war noch nie beim Rektor gewesen. Nun fühlte er sich vor Angst ganz weich in den Knien und hoffte, dass die Treppenstufen nie enden würden.
So langsam wie nur irgendwie möglich, folgte er Moritz die Treppe hoch. Seine Eltern kamen ihm in den Sinn. Was die wohl sagen würden?
Moritz drehte sich zu ihm um, da Stephan mehr und mehr hinter ihm zurückblieb.
«Hey, das wird schon nicht so schlimm werden», versuchte er den verzagten aufzumuntern. «Nicht für dich, mein ich. Du hast ja eigentlich gar nicht geschummelt!»
Doch Stephan tröste das wenig.
«Wir kriegen nur so einen blauen Brief mit nach Hause, den wir unseren Eltern geben sollen», erklärte Moritz.
«Ja und, was glaubst du wohl was in dem Brief drin steht?», knurrte Stephan ärgerlich.
«Was Nettes vielleicht? Glaubst du etwa, das ist ne Weihnachtskarte oder so was?!»
«Keine Ahnung, mein Vater schmeißt die immer gleich in Mülleimer.»
Stephan wusste, dass seine Eltern den Brief ganz sicher nicht in den Mülleimer schmeißen würden. Er überlegte wie sie wohl reagieren werden. Würden sie ihn ausschimpfen?
Vater sicherlich. Und Mutter? Er sah ihr Gesicht vor sich. Wie sie ihn ganz traurig ansehen und sagen würde: Ach Stephan wie konntest du nur so etwas machen? Ja, genau so würde sie reagieren und ihre Enttäuschung würde ihm mehr ausmachen als des Vaters Schelten.
«Können wir nicht einfach sagen wir hatten nicht zum Rektor gefunden», machte Stephan den Vorschlag. «Wir hätten uns verlaufen?»
Moritz grinste breit. «Das glaubt uns niemand. So oft wie ich schon beim Rektor war. Ich bin so nen Art Stammgast bei dem. Jedes Mal wenn ich reinkomme sagte er immer nur: Ah Moritz du schon wieder. Das hatte ich ja erwartet.»
«Wie ist denn der Rektor?» «So wie man halt ist wenn man Rektor ist. Er ist so wie Herr Gunderson, nur dreimal so schlimm. Er hat ganz kleine blutunterlaufene Augen und riesige Schneidezähne und bleiche Haut, sieht irgendwie aus wie ein Vampir.»
Diese Beschreibung trug nun wirklich nicht dazu bei Stephan Mut einzuflößen.
Der arme Junge war drauf und dran die Stufen wieder hinab zu gehen. «Ich muss mal», versuchte er sich, wohl wissend, dass die Toiletten in der untersten Etage waren.
«Blödsinn», lachte Moritz. «Wir sind schon da!»
Und das waren sie. Im obersten Stockwerk angekommen.
Vor ihnen war ein langer Gang, an dessen Ende das Kontor des Rektors lag. Desto näher sie der Tür kamen, desto schneller schlug Stephans Herz. Er fand, dass die Tür dort hinten mit jedem Schritt unheimlicher und bedrohlicher wirkte. Wie hatte Moritz ihn beschrieben? Er hat ganz kleine blutunterlaufene Augen und riesige Schneidezähne.
Stephan stellte sich vor, dass hinter dieser Tür auf die sie nun zugingen, ein blutdürstiger Vampir auf sie lauerte, dem der Speichel vor Freude über die baldige Mahlzeit heruntertropfte.
Plötzlich blieb Stephan wie versteinert stehen. Es war nicht die gruselige Vorstellung die ihn vor Schreck erstarren gelassen hatte sondern...
«Man das ist nicht so gefährlich.» Moritz boxte seinen Freund freundschaftlich gegen die Brust.
«Moritz», sagte dieser ganz aufgeregt. «Hast du es Gestern ausprobiert?»
«Was ausprobiert?»
«Na was der alte Lupillas glaubt. Seine Türentheorie.»
«Du meinst, dass wenn man sich nur stark genug vorstellt, bevor man durch eine Tür geht, dass dahinter das Phantastische Land anfängt»....
«Ja, ja, genau das», unterbrach ihn Stephan, der ganz rote Backen bekommen hatte. «Wenn wir uns ganz feste vorstellen das hinter der Tür des Rektors»....
«das Phantastische Land anfängt?», vollendete Moritz den Satz und warf einen prüfenden Blick auf die Tür des Rektors, als könnte man es einer Tür ansehen, ob sie zu solchen Wundern imstande war. «Ja wir können es ja versuchen. Ich habe es gestern bei der Tür zum Laboratorium ausprobiert.»
«Und?» Stephan sah Moritz gespannt an. «Hat es geklappt?» «Wenn’s geklappt hätte wäre ich doch nicht hier, Schlaumeier!» Stephan hatte zwar gestern auch fast den Glaube an des alten Herrn Lupillas Theorie verloren, nachdem er alle Türen bei sich Zuhause erfolglos ausprobiert hatte, nun aber als er vor der Tür des Rektors stand, nur ein paar Schritte vor dem sicherem Verderben, war er plötzlich wieder felsenfest davon überzeugt, dass es doch funktionieren könnte. Wenn man beim Rektor vor der Tür steht, mit einem ganz schlechten Gewissen, kommt einem nämlich eine solche „Verschwinde Theorie“ sehr gelegen. Moritz kapierte mit einem mal auf was Stephan hinaus wollte.
»Genau!», rief er begeistert. «Wir stellen uns jetzt beide ganz fest vor, dass wir, wenn wir durch die Tür des Rektors gehen, zum phantastischen Land kommen!»
«Ja wir glauben volle Pulle dran!» - stimmte Stephan zu, auch wenn er irgendwie fand, dass das was Moritz da gerade gesagt hatte sich ganz verrückt anhörte. Die beiden Jungen rieben sich ihre Gesichter, atmeten tief ein und gingen mit geschlossenen Augen in tiefster Konzentration auf die Tür zu.
Mit jedem Schritt wuchs ihre Überzeugung, dass das Phantastische Land wirklich hinter dieser Tür anfangen würde. Dann machte es „Bum“ jemand sagte «Au», Moritz war mit seinem Kopf an die Tür angestoßen. Seine Hand suchte zur Klinke, fand sie, drückte sie runter. Mit geschlossenen Augen trat er zwei Schritte vor, ließ Stephan an sich vorbeigehen und schloss hinter sich die Tür. Die beiden waren außer sich vor zittriger Spannung. So gespannt waren sie, dass sie sich gar nicht getrauten die Augen zu öffnen.
Da erklang eine meckernde Stimme, die Moritz sehr bekannt vorkam.
«Hier kommt man nicht einfach so reinspaziert. Man klopft gefälligst an. Was soll das eigentlich? Warum steht ihr da mit geschlossenen Augen wie zwei Tölpel? Glaubt wohl, das wäre lustig, he?!»
Stephan und Moritz öffneten bei dieser Schimpfrede enttäuscht die Augen. Und richtig vor ihnen, hinter seinem Schreibtisch, saß der Rektor und schaute die beiden Schüler aus seinen blutunterlaufenen Augen boshaft an. Stephan musterte ihn ängstlich und stellte zu seinem Erschrecken fest, dass Moritz Beschreibung nur allzu gut stimmte. Der Rektor sah echt aus wie ein Vampir. Seine Schneidezähne waren außergewöhnlich lang, und sie wurden länger! Ja, sie wuchsen andauernd, bald reichten sie bis zur Tisch Kante. Stephan sperrte vor Verwunderung die Augen auf. «Siehst du seine Zähne», stammelte er.
«Was ist mit meinen Zähnen», kam es vom Schreibtisch her. «Gefallen sie dir nicht? Nun aber zur Sache warum seid ihr hier? Weder Stephan noch Moritz vermochten einen Ton hervorzubringen.
«Ah, ich weiß schon, gemogelt habt ihr, in der Mathematik Prüfung! Mit der Mogelschlange! Haha wunderbare Erfindung!» Haha…
Der vermeintliche Rektor begann ganz fürchterlich zu lachen. «Eine ganz phantastische Erfindung. Ganz phantastisch, ja!»
Er lachte so laut, dass eine Menge Sachen von den Regalen runter fielen. Lauter und lauter lachte er, Schränke und Regale kippten um, krachten zu Boden, Bücher und Papierstöße flogen durch die Luft.
«Die Wände!», schrie Moritz entsetzt. Und wahrlich die Wände des Raums schienen sich in Luft aufzulösen, ebenfalls die Decke über ihnen. Moritz und Stephan hielten sich vor Schreck die Hände vors Gesicht. Das ist ein Traum, dachte Stephan bei sich, alles nur ein Traum!
Das Phantastische Wesen
Da wurde es mit einem mal ganz still. Jetzt bin ich aufgewacht, glaubte Stephan und nahm die Hände vom Gesicht. Doch er war keinesfalls Zuhause in seinem Bett. Sie standen immer noch im Kontor des Rektors, oder besser; was davon übrig geblieben war. Und das war nicht gerade viel. Nichts eigentlich, außer dem Boden unter ihnen. Keine Wände, keine Decke, alles weg.
Das schlimmste war: Der Boden schwebte in loser Luft! Wie ein Planet im Weltall. Vielleicht waren sie ja auch im Weltall. Denn weit und breit war nichts zu sehen. Ein völlig unendliches, luftiges, Nichts umgab sie.
«Wo sind wir?», stotterte Moritz, der zuerst seine Sprache wieder erlangt hatte.
«In euer Vorstellung», hörten sie plötzlich eine Stimme.
Als Stephan und Moritz aufschauten, glaubten sie erst, der Rektor stände vor ihnen. Aber es war nicht der Rektor, es war, ja was war es eigentlich? Die Gestalt veränderte sich andauernd. Erst hatte sie die Gestalt des Rektors. Aber nur für eine Kurze Weile. Denn im nächsten Augenblick wurde sie zu einer abscheulichen Mumie, sodann zu einem unförmigen Troll, einer Hexe und sogar einem Geist, der aus einer Lampe kam! Und so ging das fortwährend, von einer Gestalt zur anderen. Stephan und Moritz kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
Das einzige was sich nicht an der Gestalt veränderte war das Gesicht. Es war ein lustiges, andauernd grinsendes Gesicht, nur die Augen waren unheimlich. Sie leuchteten von selber.
«Wo sind wir?», wiederholte Moritz seine Frage, da er glaubte sich verhört zu haben.
«Nennt es was ihr wollt, Vorstellung, Einbildung, Phantasie, so wirklich oder unwirklich wie die Wirklichkeit selbst. Haha ich hoffe, dass mein kleiner Scherz vor hin, als ich vortäuschte der Rektor zu sein, Euch nicht allzu sehr erschreckte. Ihr habt ganz recht, er sieht echt aus wie ein Vampir.»Haha!»
«In unserer Vorstellung?!», wunderte sich Stephan, der sich von seinem Schreck etwas erholt hatte.
«Genau. Hier werden eure Phantasien geboren», antworte die wunderliche Gestalt, die gerade das Aussehen eines Mönches in brauner Kutte angenommen hatte.
«Und wer bist du?», wollte Moritz wissen.
«Ja nun wer bin ich, oder was bin ich? Das ist schwer zu sagen, denn wie ihr seht, verändere ich mich von Augenblick zu Augenblick. Ich bin all das was ihr euch vorstellen könnt, ein Produkt der Menschlichen Phantasie, mein Name ist Kelum, ich bin das Phantastische Wesen aus dem Phantastischen Land.» «Es gibt das Phantastische Land also wirklich», fragte Moritz erfreut. Er fing das alles, so merkwürdig und unerklärlich es auch war, richtig spaßig und vergnüglich zu finden. Wie ein komischer Traum, in dem die wunderbarsten Dinge passieren.
«Ja», sagte Kelum. «Seht ihr den weißen Nebel dort?»
Bei diesen Worten deutete das Wesen in eine Richtung, wo eine weiße Nebelschicht zu erkennen war.
«Dort liegt das Phantastische Land.»
«Und wie kommen wir da hin?» Moritz starrte sehnsüchtig zu dem mystischen Nebel in der Ferne.
«Wie ihr wollt, gebraucht eure Phantasie», kam die Antwort von Kelum, das sich gleichzeitig in die Gestalt einer Fee verwandelte. Stephan glaubte immer noch er träume.
Das was hier geschah, überlegte er, konnte doch nicht wirklich geschehen. Konnte einfach nicht! Es musste ein Traum sein.
Als hätte Kelum seine Gedanken lesen können, wendete es sich Stephan zu und sagte es mit einem spöttischen Lächeln:
«Die, die lieber zur so genannten Wirklichkeit zurückkehren wollen, können diese Strickleiter benutzen.»
Mit dem Finger zeigte es schnippisch auf eine Strickleiter, die rechts vom Boden in die Tiefe ging. Wo sie endete war unmöglich zu erkennen. Versuchte man es war es als schaue man in einen unendlich-tiefen Brunnen.
«Die Wahl ist eure, doch wenn ihr das Phantastische Land wählt, dann wünsche ich euch gute Reise!»
Mit diesen Worten war Kelum das Phantastische Wesen plötzlich verschwunden, wie ein Spuk der vorbei war. Die beiden Jungen standen allein auf dem im luftigen Nichts schwebenden Boden. «Gib mir ne Ohrfeige damit ich aufwache», bat Stephan seinen Freund. Moritz aber dachte gar nicht daran.
«Jippi», schrie er und machte vor Freude einen hohen Luftsprung, dass der Boden unter ihnen hin und her schwankte, wie ein Schiff im Sturm.
«Jippi es hat geklappt! Der alte Lupillas hatte recht!»
Stephan gab sich selber eine Ohrfeige, doch außer das seine Backe knallrot anlief passierte nichts.
Stephan versuchte sich zu erklären was geschehen war, doch desto länger er über alles nachdachte, desto unheimlicher und unerklärlicher schien es ihm. Moritz wurde ganz ungeduldig, er konnte nicht begreifen warum sein Freund nicht genauso begeistert war wie er selbst. Mit der Hand über den Augen starrte er unternehmungslustig zum Nebel.
«Benutzt eure Phantasie hatte Kelum gesagt. Aber wie bloß?»
«Wir können uns ja vorstellen, dass wir wie im Zirkus auf einem gespannten Seil darüber spazieren», schlug Stephan vor, ohne es aber ernst zu meinen. Kaum hatte er das gesagt, wurde wie von unsichtbarer Hand ein Block in den Boden gehauen, darum ein Seil geknotet, das straff gespannt bis weit in den Nebel reichte. Auf den Boden vor ihnen lagen mit einem mal zwei lange Balancier Stäbe, wie die Seiltänzer im Zirkus sie benutzen.
«Da beißt mich nen Köter», war Moritz trockener Kommentar. Stephan war kurz davor sich noch eine Ohrfeige zu geben, ließ es aber sein, da seine Backe immer noch von der letzten brannte. Moritz nahm einen der Stäbe in die Hand.
«Hast du schon mal auf so einem Seil Balanciert?»
«Nee, » gab Stephan zu und späte ängstlich über den Rand des Bodens in die grausige Tiefe. «Und außerdem will ich gar nicht zum Nebel. Ich klettere jetzt da die Strickleiter runter.»
Moritz sah seinen Freund empört an, als hätte der gerade etwas ganz dummes gesagt.
«Bist du noch ganz bei Trost?»
Seine Stimme klang richtig besorgt.
«Hast du etwa mehr Lust auf einen Blauen Brief?»
Da hatte Moritz den Nagel auf den Kopf getroffen. Stephan graute es noch mehr bei dem Gedanke an einen blauen Brief, als bei der Vorstellung auf dem dünnen Seil in den Nebel zu tanzen. «Du hast Recht», räumte er verzagt ein. «Da falle ich lieber vom Seil und breche mir alle Knochen.» Es hörte sich aber keinesfalls so lässig an wie beabsichtigt.
Also hob auch Stephan einen Stab vom Boden auf und beide schickten sich an das dünne Seil zu betreten. Stephan stellte sich bescheiden hinter Moritz, der mit seinem rechten Fuß fühlend nach vorne tastete. Schon in der nächsten Sekunde zog er ihn blitzschnell wieder zurück.
«Oh weia, ist das tief da kann einem ja ganz schwindelig werden.»
So standen sie unschlüssig rum und wussten nicht weiter. Keiner von den beiden hatte Mut genug das riskante Unternehmen zu wagen. Desto länger sie zögerten, desto größer wurden ihre Bedenken. Auch an Moritz begann der Zweifel zu nagen. «Wer weiß ob das Seil uns überhaupt trägt», sagte er abwägend. «Wenn es nun gar nicht wirklich ist?»
Stephan, der immer häufiger zur Strickleiter rüber schielte, war's zufrieden, dass auch Moritz sich nicht aufs Seil traute.
Plötzlich ächzte und krächzte es unter ihnen. Als die beiden nach unten schauten, schrien sie vor Entsetzen laut auf.
Der ganze Boden war im Begriff auseinander zufallen!
Immer größer werdende Risse und Spalten traten hervor. Am Rand bröckelten kleine Stücke ab, wie bei einer Eisdecke die einbricht.
«Der Boden fällt auseinander»!- kreischte Stephan panisch.
Weder er noch Moritz ahnten, dass sie selber schuld daran waren, ihr immer stärker werdender Zweifel führte dazu, dass der Boden sich unter ihnen auflöste. Alles um sie herum, der Boden der sie trug, die Stäbe in ihren Händen, lösten sich in Luft auf, verloren sich wie die Bilder eines Traumes wenn man erwacht.
«Hilfe», wimmerte Stephan.
Moritz wollte schon notgedrungen aufs Seil gehen, da brach der Block an dem das Seil festgemacht war aus dem Boden heraus und verschwand mitsamt dem Seil in die tödliche Tiefe.
«Zur Strickleiter», rief Moritz geistesgegenwärtig. Doch da war keine Strickleiter mehr! Es gab kein Entrinnen.
«Das war’s», sagte Stephan und wurde aschfahl im Gesicht.
«Ja», nickte Moritz. Wenn jetzt nicht zufällig ein Flugzeug vorbei kommt und uns freundlicher Weise mitnimmt, kann man unsere Knochen da unten wie ein Puzzle zusammen suchen. Kaum waren seine Worte verklungen, da gesellte sich mit einem Mal zu dem Geräusch des aufbrechenden Bodens, ein anderes, das lauter und lauter wurde.
«Das hört sich an wie der Motor eines sich nähernden Flugzeugs», fand Moritz, und drehte sich nach allen Seiten.
«Da drüben Stephan! Ein Flugzeug, es kommt auf uns zu!»
Und wirklich; ein kleines Flugzeug an dem bunte Fahnen geheftet waren, kam angeknattert und flog so dicht heran, dass Stephan und Moritz mit einem Sprung in sein Cockpit hüpfen konnten. «Es ist ja leer», sagte Stephan erstaunt.
«Muss wohl von alleine geflogen sein», mutmaßte Moritz, der ganz vorne im Cockpit Platz genommen hatte, und nun Knöpfe und Hebel betätigte.
«Kannst du fliegen?» Stephan lugte seinem Freund interessiert über die Schulter.
«Jupp mein Vater hat einmal so eine Flugzeugkonstruktion gebaut. Da hat er mir die Hebel erklärt.»
Gekonnt steuerte der Pilot das Flugzeug dem Nebel zu.
«Idioten sind wir», schimpfte Moritz. «Kelum hatte doch gesagt wir kommen zum Phantastischen Land wie wir wollen!
Wir brauchten es uns nur vorstellen. Du hattest diese weniger gute Idee mit der Seiltänzerei», Moritz kicherte, «und schwups war das Seil da. Und mit dem Flugzeug war es genauso, wir mussten es uns in unserer Phantasie nur vorstellen. Zu blöd, dass ich da nicht früher drauf gekommen bin!»
Zügig flog das kleine Flugzeug mit den beiden Jungen dem Nebel entgegen. Immer dicker, dichter und undurchsichtiger wurde die Luft um sie herum und dann waren sie mittendrin in der weiß-grauen Suppe. Bald war es schier unmöglich seine eigene Hand vor den Augen zu sehen.
«Unheimlich», hörte Stephan Moritz Stimme vor sich, ohne aber dass er den Sprechenden sehen konnte.
«Dass ist ja noch schlimmer als nach einer Explosion in meines Vaters Laboratorium. Wird hoffentlich nicht eine allzu Gebirgige Gegend sein, » Moritz klang ein wenig bekümmert.
Stephan gefiel der Gedanke überhaupt nicht, dass sie vielleicht schnurgerade auf einen Berggipfel zuflogen.
So durch ein weises Nichts zu schweben, ohne das Geringste um sich zu sehen, konnte dem mutigsten Angst und Bange machen.
«Wenn der Nebel doch bald aufhören würde», betete Stephan leise vor sich hin. Plötzlich war es ihm als sähe er weit da vorne ein blinkendes rotes Licht. In der Annahme es wäre eine Täuschung fragte er Moritz ob er das Licht auch sehen würde. «Wenn du das rote blinkende Licht da vorne im Nebel meinst, dann ja.»
«Doch das meine ich,» bestätigte Stephan aufgeregt. «Was das wohl für ein Licht ist?»
«Vielleicht so eine Art Warnlampe, wie es auf Flughäfen benutzt wird, wenn ein Flugzeug im Nebel oder in einem Schneesturm landen muss», rätselte Moritz.
«Glaubst du?» Stephan konnte sich nicht vorstellen, dass da unten irgendwo ein Flughafen sein sollte.
Sie einigten sich darauf, dass sie einfach darauf los fliegen sollten. Moritz lenkte das Flugzeug mit sicherer Hand dem blinkenden Licht entgegen. Näher und näher flogen sie und desto näher sie kamen desto mehr lichtete sich zu ihrer Freude der Nebel um sie herum. «Hey, Moritz ich kann dich wieder sehen», verkündigte Stephan erleichtert.
Der Nebel löste sich mit jedem Meter auf. Es war zwar immer noch schwierig mehr als eine Armlänge vor sich etwas zu erkennen, aber das schlimmste hatten sie nun hinter sich.
«Sieht so aus als wäre dieses rote Licht ein Wegweiser aus dem Nebel heraus», frohlockte Moritz und flog aus Übermut ein wenig im Zickzack.
Das rote Licht war wirklich ein Wegweiser für Flugzeuge und andere fliegende Gegenstände, die im dichten Nebel wohl sonst im Kreis geflogen wären. Bald konnten Stephan und Moritz feststellen, dass das rote Licht von einer enormen Laterne herrührte.
«Man die ist ja so groß wie ein ganzes Haus», staunte Moritz. «Das ist ja ein reinstes Laternen Haus.»
Eine gute Beschreibung fand Stephan. Diese Laterne war sogar größer als das Haus indem er mit seinen Eltern und seiner Schwester wohnte. Und das war das größte Haus in der Straße. «Hast du schon mal so eine große Laterne gesehen», fragte Stephan ohne eine Antwort zu erwarten. Natürlich hatte Moritz noch nie so eine große Laterne gesehen, denn in der normalen Welt waren die Laternen ja nicht größer als das man sie in der Hand halten konnte. Moritz kurvte ein paar Mal um die Laterne rum.
Da stießen beide Jungen einen lauten Schrei aus. Vor ihnen, aus dem sich lichteten Nebel, tauchte ein riesiges Gesicht auf, mit einer Nase so groß wie eine Felsenklippe, zwei Augen breit wie ein See und einem Mund von dem Ausmaße eines Kraters. Dann kamen Arme und ein Teil eines riesigen Oberkörpers zum Vorschein. So groß war diese Erscheinung, dass das Flugzeug, indem Stephan und Moritz saßen, im Vergleich nicht größer war als eine Fliege.
«Ein Riese», flüsterte Stephan und starrte mit offenem Mund auf dieses wahrlich riesenhafte Wesen, das vor ihnen aus dem Nebel ragte. Moritz konnte vor lauter Schreck kein Finger rühren, geschweige denn das Flugzeug lenken. So flogen sie direkt auf das Gesicht des Riesen zu. Das es ein Riese war schien eindeutig. Ein Riese der regungslos dastand und mit einer Hand die Laterne hielt. Mit einem mal bewegte er seinen linken Arm und nahm das Flugzeug zwischen Daumen und Zeigefinger, ganz so als wäre es ein Modellflugzeug. Dann hörten die beiden Jungen es laut Donnern, was aber kein Donnern war, sondern der Riese der sprach.
«Habt keine Angst ihr Kleinen!»
Moritz und Stephan wurden gewahr, dass der kraterhafte Mund sich in die Länge zog. Der Riese lächelte sie freundlich an.
Mal davon abgesehen, dass alles so überaus groß war am Riesen sah er nun eigentlich ganz nett und gar nicht mehr so erschreckend aus.
«Ich bin Droll der Leuchtturmwächter. Ich zeige allen im Weltennebel den Weg heraus!»
«Im Weltennebel?»- erkundigte sich Moritz neugierig, den die freundliche Art des Riesen beruhigt hatte.
«Hast du was gesagt Kleiner!?», donnerte es von oben herab. «Die Stimmen der Menschen sind so leise, so wie das Piepsen einer Maus. Ich kann euch nur verstehen wenn ihr ganz nah an meinem Ohr seid.»
Der Riese hielt das Flugzeug an sein linkes Ohr.
«Schrei jetzt so laut du kannst in mein Ohr herein, Kleiner!»
Für Moritz sah das was nun vor ihm auftauchte nicht aus wie ein Ohr, sondern eher wie eine klüftige Bergwand, in dessen Mitte eine tiefe Schlucht ins Innere führte. Er beugte sich aus dem Flugzeug und schrie aus Leibeskräften:
«Was ist der Weltennebel?»
«Der Weltennebel,» erklang die mächtige Stimme Drolls, «ist der Nebel zwischen zwei Welten. Der Welt aus der ihr kleinen kommt und das Phantastische Land wo auch ich einstmals geboren wurde.»
Stephan der seinen Mut wieder gefunden hatte beugte sich nun seinerseits vor und schrie in des Riesen Ohr:
«Aber du bist doch ein Riese!»
«Im Phantastischen Land spielt es keine Rolle ob man groß oder klein ist. Im Phantastischen Land ist Platz für alle, ob Riesengroß oder Zwerges-klein. Seid ihr auf dem Weg dahin?» «Ja», brüllte Moritz. «Da genau wollen wir hin!»
«So fliegt immer weiter geradeaus, dann werdet ihr bald dort sein. Macht’s gut ihr Kleinen!»
Mit diesen Worten öffnete Droll Zeigefinger und Daumen und sie waren wieder frei. Moritz lenke das Flugzeug immer geradeaus, so wie Droll der Leuchtturmwächter es gesagt hatte.
Sie brauchten nicht lange durch die dunkle Nacht zu fliegen, den Nebel hatten sie weit hinter sich gelassen, da sahen sie unter sich eine große Wüste auftauchen. Soweit das Auge reichte breiteten sich weite Sanddünen unter ihnen aus.
«Soll das das Phantastische Land sein», wunderte sich Stephan, richtig enttäuscht, da er es sich ganz anders vorgestellt hatte. «Landen wir und finden es raus», sagte Moritz und ließ das Flugzeug langsam sinken. Als sie nur noch wenige Meter über der Erde schwebten, wollte er zu einer ruhigen Landung ansetzen. Es kam aber anders. Zwar hatte sein Vater ihm Knöpfe und Hebel erklärt, doch mit einem Flugzeug zu landen ist schwierig und muss geübt sein. Moritz hatte geglaubt, dass wäre genauso einfach wie zu fliegen aber da irrte er sich gewaltig. Erstens vergaß er die Räder unter dem Flugzeug raus zu-kurbeln, zweitens hatten sie zu große Geschwindigkeit, und drittens landeten sie zu allem Unglück genau auf der Spitze einer hohen Sanddüne, sodass das Flugzeug, nachdem es sich einige Male wieder in die Luft gehoben hatte, mit solchem Schwung die Sanddünen herunterpreschte, dass es erst, als es mehrere Sanddünen rauf und runter gerast war, sich in den Sand vergrub und so endlich zum Stillstand kam.
«Saubere Landung», lachte Stephan indem er sich den Sand von den Kleidern schüttelte. Sicherlich hätte Moritz etwas auf diese neckische Bemerkung entgegnet, wenn er nicht mit dem Kopf vornüber im Sand gesteckt hätte. Der unerfahrene Pilot war nämlich bei der stürmischen Landung aus seinem Sitz geschleudert worden. Stephan musste aus allen Kräften an dessen Beinen ziehen um seinem Freund aus dem Sand zu helfen. Als die beiden Jungen sich den Sand so gut wie möglich aus Augen und Ohren entfernt hatten, überließen sie dem Flugzeug, das die Bruchlandung nicht so glimpflich wie seine Passagiere überstanden hatte, seinem Schicksal und machten sich daran die Wüste auszukundschaften. Erst wirkte es so als gäbe es nicht viel auszukundschaften, in dieser öden, leblosen Sandwüste. Sie kraxelten eine Sanddüne nach der anderen rauf und runter nur um wieder eine neue Sanddüne vor sich zu sehen.
«Man ehrlich, dieses Phantastische Land gefällt mir immer weniger», murrte Moritz. «Wenn ich gewusst hätte, dass es nichts weiter als ne olle Wüste ist, hätte ich lieber einen ganzen Stapel von blauen Briefen mit nach Hause geschleppt.»
Stephan hingegen, fand es immer noch besser in dieser Einöde rumzulaufen als mit einen blauen Brief vor seine Eltern treten zu müssen.
«Wetten diese Sanddüne ist die letzte», meinte er frohgemut.
«Dahinter hört die Wüste bestimmt auf!»
Das war aber zum Leidwesen der beiden nicht der Fall und nachdem Stephan bei der nächsten und übernächsten Sanddüne, die sie sich raufkämpften ebenfalls versichert hatte, das dies ganz bestimmt die letzte sei, was aber nie zutraf, sagte auch er nichts mehr. So trotteten sie dahin und wurden immer müder und durstiger.
Sie fingen an drüber nachzudenken ob man sie denn in der Schule vermissen würde.
«Ob die sich wohl wundern wo wir abgeblieben sind», sagte Stephan, gerade als sie auf der Spitze einer Sanddüne angekommen waren und wieder eine neue vor ihnen auftauchte. «Die glauben sicher wie wären abgehauen um nur nicht zum Rektor zu müssen», vermutete Moritz.
«Da würden sie eigentlich auch gar nicht so falsch liegen», fügte er hinzu und setzte sich hin um sich den Sand aus den Schuhen zu kippen. Stephan, dem es auch ganz unangenehm in den Schuhen kitzelte, ließ sich neben ihn plumpsen. Als sie ihre Schuhe umdrehten rieselten feine, goldene Sandkörner heraus. «Wie heiß das ist», stöhnte Moritz sich den Schweiß von der Stirn wüschen. «Ich gäbe ein Vermögen für ein Glas Limonade.»
«Ja ein Glas eiskalte Limonade das wäre jetzt echt herrlich», auch Stephan begann von kalter Limonade zu träumen.
Keiner der beiden hatte auch nur die leiseste Hoffnung, dass es in dieser trockenen Wüste irgendwo etwas zu trinken gäbe.
Da sie aber im Phantastischen Land waren und dort alles was man Phantasiert und vom dem man träumt zur Wirklichkeit werden kann, sahen sie plötzlich zu ihrem Erstaunen wie ein kleines grünes Pflänzchen vor ihnen aus dem Sand spross, das bevor man noch bis drei zählen konnte, zu einem stattlichen Zitronenbaum herangewachsen war. Seine Zweige, an denen dicke, gelbe Zitronen hingen, reckten sich nach allen Seiten und spendeten wohltuenden Schatten. Noch größer wurde ihr Erstaunen als sie entdeckten, dass im massiven Stamm des Baumes ein Gesicht sichtbar wurde. Dann begann der Baum zu allem Überfluss auch noch zu sprechen!
«Was darf es sein?», hörten die Jungen eine Stimme aus dem Baum kommen. Da sie ja schon einige unglaubliche Dinge auf ihrer Reise zum Phantastischen Land gesehen hatten, dauerte es nicht lange bevor die zwei ihre Fassung wieder erlangt hatten. «Ein Glas Limonade bitte», bat Moritz.
«Für sie auch mein kleiner Herr?», das Baum Gesicht schaute Stephan lächelnd an.
«Ja gerne!»
«Nur ein Augenblick», sagte der sprechende Baum. Zwei Zweige, einer rechts und einer links kamen plötzlich aus dem Stamm heraus gewachsen, in Form langer hölzerner Arme. Der linke Arm pflückte eine Zitrone, der rechte öffnete eine Schublade im Stamm und beförderte ein hölzernes Messer zu Tage.
Mit dem Messer wurde die Zitrone zerschnitten. Dann verschwand der rechte Arm erneut in der Schublade und ein hölzerner Krug kam zum Vorschein. Der linke Arm presste den Saft der Zitrone in den Krug, pflückte eine neue und so ging das bis der Krug Randvoll war. Wieder verschwand der rechte Arm in der Schublade und entnahm ihr zwei hölzerne Becher, der andere Arm goss sie voll mit dem Limonaden Saft aus dem Krug und gab einen Stephan und einen Moritz.
«Bitte schön meine kleinen Herren. Süßen braucht man meine Limonade nicht. Meine Zitronen sind nämlich keine normalen Zitronen sondern Limonaden Zitronen. Schon abgeschmeckt.»
Und wahrlich, noch nie hatten die beschenkten leckere Limonade getrunken. Sie leerten ihre Becher mit gierigen Schlücken. Sofort füllte der Baum sie wieder nach.
Als Stephan und Moritz ihren Durst gestillt hatten, fragten sie den magischen Baum ob diese Wüste bald enden würde.
«Die nächste Sanddüne ist die letzte», antwortete der Baum, raschelte mit seinen Zweigen und verschwand als wäre er nie da gewesen.
«Wenn mein Bauch nicht voller Limonade wäre, hätte ich den sprechenden Limonaden Baum für eine Fata Morgana gehalten», sagte Stephan und klopfte sich auf seinen geblähten Bauch.
«Nun eins verspreche ich dir Stephan», verkündete Moritz grinsend. «Das war das letzte Mal das ich mich im Phantastischen Land über irgendetwas gewundert habe.»
«Ich auch», pflichte ihm Stephan bei.
Die beiden Jungen konnten nicht wissen, dass noch viele wunderliche Begegnungen und Erlebnisse im Phantastischen Land auf sie warteten.
Die flimmernden Kästen
Hinter der nächsten Sanddüne, die sie erklommen, endete die Wüste. Doch das was sie nun vor sich sahen, war nicht viel erfreulicher als die trostlose Wüsteneinöde, die sie gerade hinter sich gelassen hatten.
Vor ihnen breitete sich eine große karge Steppe aus. Zu ihrer Erleichterung war die Steppe wenigstens nicht ohne Leben.
Sie konnten von weiten Gestalten ausmachen, die sich dort unten hin und her bewegten. In zwei gegenüber verlaufenden Reihen standen eiserne Kästen, aus denen es hell flimmerte. «Sind das Menschen, die da zwischen den Kästen hin und her rennen?» Moritz beschattete sich die Augen mit der Hand um besser sehen zu können. Stephan tat es ihm nach. «Schwer zu sagen.»
Als die Jungen die Sanddüne heruntergegangen waren und auf die Steppe heraustraten, sahen sie, dass die sich bewegenden Gestalten nicht Menschlich waren.
«Nee das sind keine Menschen», stellte Moritz fest. «Das sind Affen!» Und es waren Affen. Affen in schwarzen Kleidern, die auf ihren Köpfen riesige Sonnenhüte trugen.
«So komisch die aussehen!» Stephan und Moritz fingen bei dem Anblick der Affen laut an zulachen.
Und lustig ausschauen taten sie wirklich diese bekleideten Affen. Hin und her rannten sie und machten dabei ein lautes Spektakel. Eine große Anzahl von ihnen war gerade dabei mit großem Eifer neue Kästen von einem Wagen abzuladen und nebeneinander anzureihen. Wieder andere zogen an Kabeln die von den Kästen ausgingen und vorne mit einem Stecker versehen waren.
Die Stecker steckten die Affen in Steckdosen eines eisernen Strommastes, der in der Nähe aus der Erde ragte. Überall in gleichen Abständen ragten solche Strommasten in den Himmel, bis weit zum Horizont. Die Affen schienen von den beiden Jungen, die sich langsam näherten, keine Notiz zu nehmen, so rege waren sie beschäftigt.
«Was machen die denn da», sagte Stephan Kopfschüttelnd. «Und was sind das für flimmernde Kästen?»
Moritz und Stephan, die bisher nur die Hinterseite der in zwei Reihen aufgestellten Kästen gesehen hatten, gingen um die wuchtigen Geräte herum. Was sie nun erblickten hatten sie wirklich nicht erwartet!
Vor fast jedem der Kästen stand ein Kind und starrte in den andauernd flimmernden Bildschirm hinein. Es waren Jungen und Mädchen von allem Alter.
«Man, da ist ja Karsten und Matthias», rief Stephan erfreut aus und lief von Moritz gefolgt der Reihe entlang zu zwei Jungen hin, die ebenfalls vor einem der Kästen standen und hinein guckten. «Hai Karsten! Hai Matthias!» begrüßte Stephan sie fröhlich. Doch er bekam keine Antwort. Keiner der beiden Jungen drehten sich um, ganz so als hätten sie Stephan nicht gehört. Starrten nur fortwährend in den flimmernden Kasten hinein.
«Was ist denn mit denen los?»
Stephan und Moritz schauten den beiden Klassenkameraden von der Seite prüfend ins Gesicht.
«Wie blass die sind», bemerkte Moritz.
Karsten und Matthias sahen wirklich ganz blass und krank aus.
«Die sehen ja schaurig aus, wie Gespenster», fand Stephan. «Wie die wohl hier hingekommen sind?»
«Würde ich auch ganz gerne wissen», sagte Moritz und schlug Matthias auf die Schulter. «Hey ich bin`s Moritz. Wie seid ihr hier her gekommen?» Es kam keine Antwort.
«Seltsam. Es ist fast so als wären sie von diesen Kästen verhext.»
«Versuchen wir es bei der da», schlug Stephan vor und deutete auf ein rothaariges, sommersprossiges Mädchen mit Hornbrille auf der Nase, die vor dem Kasten links von Karsten stand.
Moritz fuchtelte mit den Händen vor ihrem Gesicht rum.
«Hallo, Entschuldigung könntest du uns sagen was hier vorgeht? Warum gafft ihr alle in diese flimmernde Kästen?»
Das Mädchen rührte sich nicht, kein Ton kam über ihre blassen Lippen. Stephan ging die eine Reihe entlang, Moritz die andere, doch an wenn sie sich auch wendeten, keiner der Kinder erwachte aus seiner Erstarrung, gab Antwort auf eine gestellte Frage.
Stephan und Moritz wurde es richtig unheimlich zumute. Die Kästen mit den bewegungslosen Kindern davor begannen ihnen Angst zu machen. Am untersten Ende der Kastenreihen standen keine Kinder. Dort wurden in Windeseile neue Kästen angereiht. Sobald die Affen den Stecker von einem der Kästen in den Strommast gesteckt hatten, fing sein Bildschirm anzuflimmern. «Warum glotzen die alle nur in diese Kästen. Da ist doch nichts anderes zu sehen als blöde Flimmerei», sagte Moritz verärgert indem er vor einem der Kästen stehen blieb und verwundert hineinschaute. « Ich sehe Keine Bilder nur Flimmer.»
«Schaut nur lange genug rein meine lieben Kinder, erklang plötzlich eine fremde Stimme.
Stephan und Moritz fuhren zusammen, drehten sich nach allen Seiten konnten aber außer den leblosen, schweigenden Kindern niemand sehen.
Die Stimme sprach weiter: «Schaut lange genug hinein, dann werdet ihr Bilder sehen. Schaut hinein und werdet eins mit der unwirklichen Wirklichkeit. Schaut hinein, es erwartet euch eine Phantastische Welt, die eurer langweiligen Wirklichkeit in allem übertrifft!
«Es kommt aus dem Kasten», flüsterte Stephan mit einem viel sagenden Blick auf den Kasten vor dem sie gerade standen. Moritz war froh wieder eine menschliche Stimme zu hören. Vielleicht ist das Phantastische Land in diesen Kästen drin, dachte er und tat wie die Stimme sie aufgefordert hatte. Als er so auf den flimmernden Bildschirm schaute überkam ihn eine große Müdigkeit, die immer stärker wurde, desto länger er in das Flimmern blickte. Moritz merkte wie diese Müdigkeit sich seiner Sinne bemächtigte und bald war es ihm als könne er sich nicht mehr rühren.
Das Flimmern auf dem Bildschirm veränderte sich. Wurde zu schemenhaften, undeutlichen Bildern. Es war Moritz als sähe er hässliche Fratzen die immer deutlicher wurden. Erst waren sie ihm unangenehm dann aber fingen sie an ihm mehr und mehr zu gefallen.
Plötzlich verschwanden die vielfältigen Flimmer Fratzen, nun formten sich eigenartige Figuren in dem Flimmermeer.
Bevor Moritz genaueres erkennen konnte, fühlte er wie jemand ihn nach hinten riss und im selben Augenblick ließ die Betäubung von ihm ab. Stephan war es gewesen, der ihn vom Kasten weggerissen hatte. Nun sah ihn sein Freund besorgt an. «Du wurdest plötzlich wie versteinert. Was hast du in dem Kasten gesehen?!»
Moritz rieb sich die schmerzenden Augen. Er versuchte sich daran zu erinnern was er im Kasten gesehen hatte. Doch es gelang ihm nicht. So sehr er sich auch anstrengte, er konnte sich nicht daran erinnern.
«Ich weiß nicht. Ich wurde plötzlich schrecklich Müde.»
«Komm», sagte Stephan, «wir gehen weg von hier.»
Keine Minute mehr wollte er zwischen diesen unheimlichen Kästen verweilen. Von Moritz gefolgt ging er auf das Ende der Kastenreihe zu.
Sie waren nur ein paar Meter gekommen, da merkten sie, dass das Flimmern in dem Kasten, dem sie gerade am nächsten waren, aufhörte.
Verwundert blieben sie stehen. Auf dem Bildschirm war nun ein kantiges Gesicht zu sehen. Alles war seltsam rechteckig in diesem Gesicht. Der Mund, die Nase, die Augen. Es war ein außerordentlich hässliches und abstoßendes Gesicht, voll Tücke und Boshaftigkeit.
Die dicken Lippen begannen sich zu bewegen. Wieder war die Stimme, die Moritz dazu gebracht hatte in einen der Kästen rein zu schauen, zu vernehmen:
«Wo wollt ihr denn hin, meine lieben Kinder? Schaut in die Kästen es wird euch gefallen. Glaubt mir.»
Das Gesicht verzog sich zu einem hinterhältigen und lauernden Grinsen.
«Nein wir schauen nicht in diese dummen Kästen rein», entgegnete Stephan bestimmt.
«Sagt uns lieber was mit all den Kindern passiert ist die vor den Kästen stehen.»
«Die sind im Phantastischen Land», gellte es aus dem Kasten. «Da wollt ihr doch auch hin oder?!»
Das kantige Gesicht auf dem Bildschirm grinste noch breiter und entblößte dabei seine ebenfalls ganz kantigen Zähne.
«Alle Kinder wollen doch ins Phantastische Land und Abenteuer erleben. Darum schauen sie in die Kästen rein, die bei ihnen Zuhause stehen. Oder steht bei euch Zuhause nicht etwa auch so ein Kasten? Oder vielleicht sogar zwei?!»
Lautes hämisches Gelächter dröhnte aus dem Kasten.
«Bei mir nicht», sagte Moritz trotzig.
Und das war auch wirklich wahr. Denn Moritz Vater hielt nichts von flimmernden Kästen.
Das Gesicht nahm einen gehässigen Ausdruck an.
«Alle Kinder müssen in flimmernde Kästen schauen, auch ihr!» Die Stimme wurde lauter und fordernd. «Schaut in die Kästen! Schaut in die Kästen!»
«Bloß weg von hier, raunte Stephan Moritz zu.
Die beiden eilten dem Ende der Kastenreihen entgegen.
Das Gesicht folgte ihnen von Bildschirm zu Bildschirm und immer hörten sie die schrille, gellende Stimme aus dem Kasten dringen, an dem sie gerade vorbei liefen.
«Kinder müssen in flimmernde Kästen schauen, Kinder müssen in flimmernde Kästen schauen!»
Das Gesicht machte die schrecklichsten Grimassen, streckte die Zunge raus und heftete seine boshaften Augen auf die flüchtenden. Stephan und Moritz rannten so schnell sie konnten bis sie die Kästen weit hinter sich gelassen hatten. Erst dann hielten sie inne um zu verschnaufen.
«Puh, das war knapp», sagte Moritz nach Atem ringend.
«Wenn du mich da nicht vom Kasten weggezogen hättest, wäre ich sicherlich genauso versteinert geworden wie die anderen Kinder.»
Furchtsam schauten sie sich zu der in der Sonne blinkenden Kastenreihen um. Die Kinder die davor standen sahen von so weit weg aus wie Statuen. Der Anblick ließ die Betrachter schaudern.
Die Affen liefen immer noch hin und her. Zwei von ihnen waren auf den Strommast geklettert und balancierten auf dem Stromkabel von einem Mast zum anderen. Dabei stießen sie hohe, ulkige Laute aus, als ob ihnen diese Kletterei großen Spaß machen würde.
«Welche Richtung sollen wir jetzt einschlagen?» Stephan sah Moritz fragend an.
«Man frag doch mich nicht», entgegnete Moritz Schulter zuckend.
«Wir wissen ja nicht mal ob wir schon im Phantastischen Land sind. Zurück in die Wüste zu gehen hab ich wirklich kein Lust!»
«Ich auch nicht», pflichtete Stephan seinem Freund bei. Zum Schluss entschieden sie sich immer geradeaus zu gehen, weit weg von den flimmernden Kästen.
Ein magischer Wegweiser
Öde und unfruchtbar war die Landschaft durch die sie nun
liefen. Die Erde war vor Trockenheit voller Risse und kleiner Spalten, so dass die beiden Wanderer aufpassen mussten, dass sie nicht stolperten und sich den Fuß verstauchten. Außer ab und zu einem Baum und hier und dort, vereinzelt, ein gelbes Grasbüschel, wuchs nichts weit und breit.
Lange marschierten sie so dahin, ohne rechtes Ziel.
Da kamen sie zu einem Schild aus Blech, thronend auf einem vergilbten hölzernen Pfosten, der schief aus der Erde ragte. «Was ist denn das,» sagte Stephan, als sie ganz nah davor standen.
«Da steht was auf dem Schild.» Moritz versuchte die verbleichte Schrift auf dem Schild zu lesen.
Es war nicht einfach, doch nach einer Weile konnte er das geschriebene entziffern.
Er las laut: «Magischer Wegweiser. Sag mir dein Ziel und ich zeig dir den Weg.»
«Ein Wegweiser, genau das was wir brauchen», frohlockte Stephan. «Wir fragen den Wegweiser was es mit den flimmernden Kästen auf sich hat.»
«Ja» stimmte Moritz zu, «wir fragen ihn wie wir den Kindern helfen können.»
«Unser Ziel ist es den Kindern vor den flimmernden Kästen zu helfen!» rief Stephan laut. Es geschah nichts.
«Dachte ich mir es doch. Dieses verrostete Blechschild ist gar kein Wegweiser und genauso magisch wie dieser Stein hier.» Moritz kickte enttäuscht einen kleinen Stein vor sich her und ging verärgert weiter. Gerade wollte Stephan ihm folgen, da öffnete sich plötzlich mit einem lauten Knall eine Klappe, oben auf dem Blechschild und ein Arm mit einer Hand fuhr heraus. Der Arm drehte sich mehrmals blitzschnell um sich selbst herum bevor er mit einem Ruck stillstand. Die Hand ballte sich zu Faust, dann streckte sie ihren Zeigefinger in die Luft, als hatte sie einen Einfall gehabt und zeigte sogleich mit dem ausgestreckten Zeigefinger in eine Richtung. Stephan prägte sich die Richtung genau ein. Moritz kam aufgeregt zurück gerannt, und kam gerade noch rechtzeitig um mitzuerleben, wie die Hand ihre Finger auf und ab bewegte, als würde sie den Jungen zuwinken. Dann verschwand der Arm mitsamt der Hand zurück in dem Blechbehälter.
Auch die Klappe schloss sich wieder.
«Na also», triumphierte Stephan, «es ist wirklich ein magischer Wegweiser!»
Kurz entschlossen gingen die beiden in die Richtung, die die Hand gewiesen hatte. Weit dort hinten am Horizont erstreckte sich eine große majestätische Bergkette. Manche der Berggipfel waren von Schnee bedeckt.
Auch wenn die Entfernung unendlich erschien gingen sie tapfer drauf los.
«Lieber in hohen Bergen herumkraxeln», sagte Moritz fast heiter, «als weiter in dieser vertrockneten Steppe herumirren.»
Bald aber mussten sie einsehen, dass dies eine sehr lange Wanderung werden würde. Zügigem Schrittes gingen sie vorwärts, hatten aber das Gefühl den Bergen nicht näher zu kommen. Die Luft war staubig und glühte in der heißen Sonne, die von dem blauen Himmel herab brannte. Da war es gut, dass sie, immer wenn sie Durst bekamen, den Limonadenbaum herbeiwünschen konnten. So saßen sie oft in seinem kühlen Schatten, Limonade schlürfend und Zitronenkuchen essend. Denn der magische Baum presste nicht nur Limonade aus seinen Zitronen, sondern backte auch leckeren Zitronen Kuchen. Wenn sie aber ihren wunderbaren Gönner dieses oder jenes fragten, z.B. was das für flimmernde Kästen waren die sie gesehen hatten, schüttelte er nur mit seinen Ästen und sagte: «Weiß nicht, weiß nicht. Noch eine Limonade gefällig?»
Einmal, als die erschöpften Wanderer gerade unter dem Limonaden Baum eine Ruhe Pause machten, sah Stephan eine mächtige Staubwolke, die über der Steppe lag und sich ihnen schnell näherte.
«Moritz da kommt irgendetwas auf uns zu!»
Beide späten sie gespannt der Staubwolke entgegen, die sich nicht in gerader Linie näherte, sondern im dauernden Zickzack.
Bald konnten die Jungen unter dem Baum erkennen, dass es ein Wagen war, vor dem zwei riesige Hunde gespannt waren, die einem Hasen hinterher jagten. Der Hase war schwarz-weiß gestreift und hoppelte bald nach rechts, bald nach links, was erklärte warum der Wagen so im Zickzack dahinsauste. Auf dem Bock des Wagens saß ein dicker, schnurrbärtiger Mann gekleidet in einem feinen Anzug.
«In meine Arme Gilbert», hörten Stephan und Moritz ihn rufen, als er sie unter dem Baum liegen sah. Gilbert war wohl der Name des Hasen, denn das flinke Tierchen drehte sich zum Wagen und hopste mit einem hohen Sprung über die Hunde hinweg, direkt in die Arme seines Herren. Die Hunde blieben verdutzt stehen.
Es war den blutrünstigen Viechern anzusehen, dass sie nicht kapierten wo der Hase abgeblieben war. Sie knurrten gefährlich und schnüffelten auf der Erde rum. Der Mann auf dem Wagen lächelte übers ganze Gesicht und grüßte mit der Hand zu den beiden Jungen hin.
«Einen schönen Nachmittag wünsche ich den Herren, ich bin Feros der fahrende Händler. Etwas warm heute findet ihr nicht auch?! Ich habe alles auf meinem Wagen was der Gaumen begehren mag. Kann ich Euch Jungs irgendetwas anbieten?
Wie wäre es mit Frischgepressten, erfrischendem, labenden, leckerem, Rupseldupselfrucht Saft? Tut gut in dieser schmachtenden Hitze. Kauft man zwei Flaschen bekommt man eine dritte hinzu, ohne einen Pfennig mehr bezahlen zu müssen. Ein gutes Angebot, was meine schmucken, jungen Herren?» Stephan und Moritz warfen sich belustigte Blicke zu. Sie wollten nicht unhöflich sein aber zu Trinken hatten sie ja genug.
«Nein danke», antwortete Moritz.
Da er den freundlichen Mann nicht verstimmen wollte fügte er noch schnell hinzu:
«Aber ein gutes Angebot ist diese drei für zwei Rupselkupsel...eh...wie auch immer Saft wirklich.»
«Rupseldupselfrucht Saft heißt das», korrigierte ihn der Händler gutmütig.
«Wächst nur in besonders Fruchtbarer Erde und schmeckt viel besser als gewöhnlicher Trunk. Plötzlich hielt er im Reden inne, sein Blick war auf den Limonaden Baum gefallen.
«Aha, ich sehe schon, mein ärgster Konkurrent der Limonaden Baum pfuscht mit mal wieder ins Geschäft. Diese sauren Zitronen können sich mit dem Geschmack des Rupseldupselfruchtsaftes doch gar nicht vergleichen. Herr Limonaden Baum sie bringen einen armen Händler noch in den Bankrott!»
Das Gesicht im Limonadenbaum lächelte wie immer liebenswürdig.
«Meine Zitronen sind nicht sauer», hörte man es in seinen Zweigen flüstern.
«Wollen sie probieren», Stephan pflückte einen Zitronenkuchen und bot ihm dem Händler dar. «Schmeckt wirklich ganz gut.» «Pfui», Feros spuckte aus, «Waren vom einem Konkurrenten anzunehmen, wie könnte ich nur.»
Doch dann nahm er doch den Kuchen entgegen, den Stephan ihm hinhielt, biss hinein und sein entzückter Gesichtsausdruck machte deutlich, dass es ihm schmeckte. Moritz kam der Gedanke, den Händler über die flimmernden Kästen auszufragen. Er tat es und Feros machte mit einem Mal eine ganz ernste Miene.
«Nein ich weiß genauso wenig wie ihr, was es mit den verflixten Kästen für eine Bewandtnis hat. Es schmerzt mein Herz jedes Mal wenn ich mit meinem Wagen vorbei fahre und all die Kinder wie versteinert davor stehen sehe. Ein schreckliches Bild ist es, ja ein trauriger, ganz und gar furchtbarer Anblick.
Stephan nickte zustimmend mit dem Kopf.
«Wir fragten den magischen Wegweiser in welche Richtung wir gehen müssen, um den Kindern helfen zu können. Er zeigte zu den Bergen.»
«Ah der magische Wegweiser», lächelte der Händler.
«Ja nach dem müsst ihr euch richten, er hat mir schon oft geholfen, wenn ich nicht weiter wusste. Manchmal verirre ich mich nämlich in dieser weitläufigen Steppe. Das passiert mir, ehrlich gesagt, fast jedes Mal wenn ich sie durchquere. Nun ich nehme an es liegt an der Zickzack Rennerei meines lieben Gilberts.»
Zärtlich streichelte er den drolligen Hasen, der auf seinem Schoss saß und die beiden Jungen neugierig beäugte.
«Was kann ich dafür wenn die Hunde mir andauernd auf den Fersen folgen», sagte das Tierchen mit piepsender Stimme und wackelte lustig mit den langen Ohren. Wie alle Tiere im Phantastischen Land beherrschte auch er die Menschliche Sprache.
«Warum lassen sie den Hasen von den Hunden jagen», erkundigte sich Stephan, dem das niedliche Tier Leid tat.
«Sie könnten ihn doch einfach im Wagen lassen.»
«Nee du, das ging nicht», gab der Händler zu verstehen. «Diese faulen Hunde würden sich nicht einen Schritt rühren. Da könnte ich mich heiser schreien. Die würden den Wagen nicht ziehen, mir nur am Schluss an die Kehle springen. Deswegen kamen ich und mein lieber Gilbert auf die Idee ihn von den Hunden jagen zu lassen.
«Ja» piepste Gilbert, «ich kriege zwei Mohrrüben per Kilometer.» «Eine», widersprach der Händler. «Wenn ich mich recht entsinne einigten wir uns auf eine.»
Das Häschen kicherte schelmisch und rümpfe das kleine Näschen.
«Aber das ist doch gefährlich», meinte Moritz, «wenn die Hunde ihn nun erwischen!»
In seinem Inneren sah er es vor sich wie die wilden Hunde sich über den hilflosen Hasen hermachten. Ängstlich warf er einen unruhigen Blick auf die zähnefletschenden Hunde, denen der Speichel aus dem Mund tropfte.
«Keine Sorge», piepste Gilbert, «die sind viel zu langsam. Die kriegen mich nie. Die sind so langsam das ich manchmal auf sie warten muss.»
«Und ein Pferd, sie könnten doch einfach ein Pferd den Wagen ziehen lassen», warf Stephan ein. Feros schüttelte den Kopf. «Pferde sind mir zu vielfrässig. Ich hatte mal einen Esel aber da hätte ich den Wagen genauso gut selbst ziehen können, das träge, störrische Wesen rührte sich nämlich kaum vom Fleck.» Als der Händler den letzten Bissen Kuchen runtergeschluckt hatte, säuberte er gründlich seinen Frack von Krümeln. Dann sagte er dass er jetzt weiter müsste.
«Wenn ihr wollt könnt ihr mit mir mitfahren, ich bin sowieso gerade auf dem Weg zum Mufflons Volk, das dort in den Bergen haust. Sie sind ein alberndes Volk, aber ganz verrückt nach Rupseldupselfruchtsaft. Kommt setzt euch neben mich auf den Bock.»
Und das taten Stephan und Moritz gerne. Sie waren heilfroh nicht mehr laufen zu müssen.
«Los Gilbert, los», rief Feros der Händler und mit einem weiten Satz war der Hase wieder vor den Hunden, die sofort anfingen wütend zu bellen und dem fliehenden Gilbert hinterher jagten.
Oh wie schnell das ging!
Der Wind flatterte dem Händler und seinen zwei Beifahrern durch die Haare.
Sie mussten sich festhalten, um nicht vom Wagen runter zu fallen. Gerne hätten die Jungen sich noch mehr mit dem netten Händler unterhalten, aber ihre Worte erstickten im Lärm des holpernden Wagens und dem vielen Staub der aufwirbelte.
Bald war der Wagen wieder in eine dichte Staubwolke gehüllt. Mit großer Geschwindigkeit ging es auf die Berge zu, auch wenn alles im Zickzack verlief, was den Weg nicht gerade kürzer machte.
Hinab in die Berge
Es war Abend geworden als sie bei dem Gebirge ankamen.
Gerade begann die Sonne hinter den hohen Gipfeln der Berge zu versinken. Von so nah sahen die Berge noch viel mächtiger und erhabener aus als aus der Ferne. Kleine und große Bergspitzen schmiegten sich aneinander. Unten am Fuß der Berge stiegen bewaldete Bergkämme in die Höhe. Wilde Wasserfälle und Bergbäche fielen von felsigen Kanten und vereinten sich in einen reißenden Strom, der die Berge von der Steppe trennte. Eine schmächtige Brücke führte über das strudelige, tosende Wasser, die sich gefährlich neigte, als der schwer beladene Wagen drüber hinweg fuhr.
Vor einer Öffnung, die in den Berg hineinführte, sprang der Hase auf Befehl seines Herren auf den Wagen und die Hunde blieben schnüffelnd stehen.
«Dort, seht ihr», sagte der Händler und zeigte auf den Felsspalt. «Dort beginnt das Reich des Mufflons Volkes.»
Stephan und Moritz stiegen vom Wagen runter und gingen vorsichtig ein paar Schritte in die Öffnung hinein. Sie mussten sich bücken, da die Felsenhöhle zwar sehr breit, aber niedrig war. Weiter hinten sahen sie einen langen Schacht, der abwärts verlaufend in die Tiefe ging. Sein Ende war nicht erkennbar, da er nach mehreren Metern eine Kurve machte. Auf dem unebenen, felsigen Boden folgten zwei eiserne Schienen dem Schacht in das Innere des Berges hinein. Auf einer der Schienen standen mehrere aneinander gekettete Waggons.
«Hilft ihr mir meine Waren in die Waggons zu verstauen», hörten sie die Stimme des Händlers von draußen. Sie traten wieder hinaus ans Licht. Der Händler war gerade dabei dicke, runde Fässer und ein Haufen praller Säcke von seinem Wagen abzuladen.
Die Jungen packten mit an. Zusammen trugen sie die Waren durch die Felsöffnung und beluden damit die Waggons.
«So», sagte Feros, als sie damit fertig waren, und rückte sich die Krawatte zurecht, die bei dem schweren Tragen in Unordnung gekommen war. «Das war’s.»
Dann ging er an den Waggons entlang und zählte gewissenhaft die Säcke und Fässer, die sie abgeladen hatten.
«10 Fässer von Rupseldupselfrucht Saft und 4 Säcke von Jokorsnüssen. Das war es was sie bestellt hatten. Alles schon in puren Gold bezahlt!»
Der Händler rieb sich die Hände.
«Wo führen diese Schienen hin?», wollte Moritz wissen.
«In den goldenen Saal. Der goldene Saal ist der Stolz des Mufflons Volkes. Sie versammeln sich dort jeden Abend um zu feiern und Neuigkeiten auszutauschen. Das Mufflons Volk ist ein sehr kluges Volk. Es ist wenig was sie nicht mitkriegen.»
Der Händler bückte sich um den Hebel, der die Räder der Waggons blockierte, nach unten zu drücken.
«Nein warte!», schrie Moritz jäh.
«Ja was ist denn?»
Feros nahm erschrocken seine Hand vom Hebel, als hätte er sich verbrannt.
«Der Wegweiser», Moritz wendete sich aufgeregt Stephan zu, der ihn, wie auch der Händler, unverständlich anblickte.
«Er wies uns doch zu den Bergen, als wir sagten, dass wir den Kindern vor den Flimmer Kästen helfen wollen!»
«Ja und, und was hat das mit diesen Waggons zu tun?» Stephan erriet nicht auf was sein Freund hinaus wollte.
«Nun Herr Händler», setzte Moritz hastig fort, «sie haben doch gerade gesagt, dass das Mufflons Volk ein kluges Volk ist.»
«Das habe ich», bestätigte Feros. «Die Berge sind ihre Lehrmeister.»
«Eben», sagte Moritz. «Vielleicht wies der Wegweiser uns zu den Bergen weil das Mufflons Volk weiß wie wir den Kindern helfen können.
Da ging auch Stephan ein Licht auf.
«Natürlich! Und um zu erfahren, ob sie das wissen, müssen wir ja zu dem Mufflons Volk hin. Das geht ja nur mit diesen Waggons! «Richtig», nickte der Händler. «Nur mit diesen Waggons kann man zu ihnen kommen.»
«Also los», drängte Moritz und schwang sich in einen noch leeren Waggon. Stephan hingegen hatte es nicht so eilig. Furchtsam schielte er die Schienen hinab, die so steil hinunterführten.
Sie erinnerten ihn an eine Achterbahn. Stephan war nur einmal in seinem jungen Leben Achterbahn gefahren. Und dieses eine Mal hatte ihm gar nicht Spaß gemacht.
Darum kam er mit dem Einwand, dass das viel zu gefährlich wäre, die Waggons könnten ja umkippen.
«Oh das ist sehr unwahrscheinlich», versicherte ihm der Händler. «Wenn jemand Schächte und Schienen bauen kann, dann ist es das Mufflons Volk. Bei denen entgleisen die Waggons nicht. Jeden Tag dringen sie tiefer in die Berge vor, auf der Suche nach edlen Metallen und Edelsteinen.»
Des Händlers Worte beruhigten Stephan nur wenig.
Aber dann kamen ihm die Kinder an den flimmernden Kästen in den Sinn. Wieder sah er ihre blassen Gesichter vor sich.
Wie krank und elend sie ausgesehen hatten. Karsten und Matthias und all die anderen Kinder.
Stephan schämte sich so ein Feigling zu sein.
«Komm schon das geht gut», meinte Moritz. «Wir legen einfach überall Säcke um uns herum dann landen wir weich wenn die Waggons nun doch umkippen sollten.»
Stephan nahm all seinen Mut zusammen. Entschlossen kletterte er in den Waggon und drückte sich neben seinen Freund.
«Es kann los gehen», sagte er tapfer und hoffte, dass man das leichte Zittern in seiner Stimme nicht gehört hatte.
Der Händler betätigte den Hebel und gab die Waggons frei. «Viel Glück», rief er, ihnen nachwinkend. «Und grüßt mir das Mufflons Volk. Teilt ihnen mit das ich Gurpelrüben im Angebot habe. Nur ein Goldstück das Kilo.»
Stephan und Moritz winkten zurück, doch nicht lange da sich die Waggons rasch in Bewegung setzten und ihre Insassen es darum klüger fanden sich irgendwo festzuhalten. Was dann folgte war die aufregendste und rasanteste Achterbahnfahrt, denn eine Art Bahn waren ja diese Waggons auf den Gleisen, die die beiden Jungen je erlebt hatten. Die Waggons rollten immer schneller, rasten bald nur so über die Schienen, die Steil bergab ins Innere des Berges abfielen. Selbst der tollkühne Moritz, dem Achterbahn fahren Spaß machte, fand schon bald, dass das hier etwas zu schnell ging. Ganz zu schweigen von Stephan, der mit geschlossenen Augen kreidebleich da saß und sich mit verkrampften Fingern an beiden Seiten des Waggons fest hielt. Leise betete er vor sich hin, dass die Waggons nicht umkippen mögen. So ging es in Schwindelerregendem Tempo immer tiefer in den Berg hinab.
Keiner der beiden konnte sagen wie lange sie so dahinsausten. Auch waren sie außerstande festzustellen wohin die Schienen führten, da es stockdunkel um sie herum war, was alles noch schlimmer machte. Wer weiß, dachte Stephan panisch, vielleicht hören die Schienen plötzlich auf und die Waggons zerschellen gegen eine Felswand?!
Doch seine Sorge war unbegründet.
Denn Feros der Händler hatte nur zu wahr gesprochen.
Das Mufflons Volk verstand es meisterlich Schienen zu legen.
Sehr selten kippten ihre Waggons um. Wenn sie umkippten, dann weil das Mufflons Volk sie allzu schwer mit Schätzen aus dem Innern der Berge beladen hatten. Was sie ab und zu taten, in ihrem Eifer, die Edlen Metalle zu den Schmieden zu bringen, damit diese sie zu wunderbaren Dingen verarbeiten konnten. Außerdem waren sie, wie der Händler gesagt hatte, ganz verrückt nach Rupseldupselfrucht Saft und passten auf, dass diese Köstlichkeit unbehelligt bei ihnen unten im Berg ankam.
So wurden Schienen und Waggons, mit denen die Waren des Händlers gefrachtet wurden, regelmäßig überprüft.
Zwar standen Stephan und Moritz die Haare nach allen Seiten, als die Waggons endlich stoppten, aber sie kamen wohlbehalten am unterirdischen Bahnhof, goldener Saal an.
Bahnhof zum goldenen Saal, war nämlich mit großer Schrift über ihnen in die Felswand gemeißelt.
Hier kam eine große Anzahl von Gleisen aus vielen verschiedenen Richtungen zusammen. Am Ende des Bahnhofs führten Schächte noch tiefer in den Berg hinab. Auf manchen der Gleise standen Waggons, die randvoll mit glitzernden Edelsteinen und Metallen angefüllt waren. Neben jedem der Gleise waren schmale Bahnsteige.
Es leuchtete hier ein sonderbares bläuliches Licht, das von glasklaren, blauen Steinen her stammte. Diese Leuchtsteine waren mit gleichen Abständen an der Decke der Felsenhöhle befestigt.
Stephan und Moritz schauten sich neugierig um. Überall auf den Bahnsteigen herrschte reges Leben. Zwerge von der Größe eines kleinen Kindes standen vor den Waggons und schaufelten deren Inhalte in Schubkarren, die sie dann auf den Bahnsteigen wegkarrten.
Sie schienen es dabei richtig lustig zu haben. Riefen sich andauernd Witzigkeiten zu und brachen dann in schallendes Gelächter aus. Genauso lustig wie sie waren sahen sie auch aus. Maßlos dick waren sie, was noch ulkiger aussah da sie ja so klein waren.
Sie hatten dünne Beine und kurze aber sehr Muskulöse Arme, was wohl von der harten Arbeit herrührte, die sie Tag ein Tag aus verrichteten. Alle hatten sie lange struppige Bärte, die ihnen bis zum Boden reichten.
«Das muss das Mufflons Volk sein», flüsterte Stephan leise. Moritz nickte.
«Wie lustig die es haben. Ob die auch so lachen werden wenn sie uns hier inmitten ihres geliebten Rupselschupsel...kupsel oder wie auch immer Saft entdecken?!»
Stephan schaute seinen Freund beunruhigt an.
«Glaubst du, denen wird es nicht gefallen das wir hier sind?»
«Man könnte sie ja verstehen», raunte Moritz zurück, «Eingeladen haben die uns ja nicht gerade!»
Die beiden Jungen überlegten, ob sie aus dem Waggon herausklettern sollten, hielten es aber erstmals für klüger abzuwarten. Aus einem steinernen Häuslein kam ein besonders dicker Zwerg heraus. «Fässer mit Rupseldupselfrucht Saft von oben gekommen», rief er und deutete auf die Waggons, in denen Stephan und Moritz sich verborgen hielten.
«Ausladen, Ausladen!» Hinter ihm folgten noch zwei weitere Zwerge. Sie nahmen sich jeder eine herumstehende Schubkarre und näherten sich den Waggons um den gegebenen Befehl auszuführen.
«Da kommen welche auf uns zu.» Moritz lugte vorsichtig über die Kante des Waggons. Stephan machte sich ganz klein, drückte sich so tief wie nur irgendwie möglich hinter die Säcke. Moritz hingegen fand es dumm weiter Verstecken zu spielen.
«Komm wir steigen aus dem Waggon und sagen den guten Tag!»
Und schon war es aus dem Waggon auf den Bahnsteig gesprungen.
Er hätte das alles ein bisschen gemächlicher angehen lassen sollen, denn sein plötzliches Auftauchen erschreckte die beiden Zwerge, die gerade bei den Waggons angekommen waren, ganz fürchterlich. Sie drehten sich um und liefen Hals über Kopf davon.
«Heh», rief Moritz ihnen nach, «wir sind nicht gefährlich. Ihr braucht nicht weglaufen!»
Doch die beiden Zwerge hörten nicht auf ihn, liefen nur noch schneller, was ihnen nicht so leicht fiel, da ihre dünnen Beine ein so schweres Gewicht zu tragen hatten.
Dabei schrien sie fortwährend:
«Gespenster im Rupseldupselfrucht Saft! Gespenster im Rupseldupselfrucht Saft!» Stolpernd und sich mehrmals überschlagend verschwanden sie durch die Tür des Steinhäuschens. Moritz schaute ihnen bedauernd nach. Sie zu erschrecken war wirklich nicht seine Absicht gewesen.
«Und was machen wir jetzt», fragte Stephan kleinlaut aus dem Waggon.
«Ach, die kommen schon zurück.» Und zurück kamen sie. Diesmal aber waren es nicht nur zwei, sondern ein ganzes Dutzend und allesamt hatten sie lange, eiserne Brechstangen in den Händen.
«Oje jetzt wäre ich echt froh wenn ich wirklich ein Gespenst wäre», murmelte Moritz. In sicherem Abstand von den beiden Eindringlingen entfernt blieben die Zwerge stehen und machten grimmige Gesichter.
«Ich glaub wir sollten irgendwas sagen», hörte Moritz die ängstliche Stimme Stephans hinter sich. «Irgendwas höfliches.»
«Gute Idee. Sonst glauben die noch wir wollten ihnen ihre Waren stehlen.»
Moritz wandte sich mit seinem freundlichsten Lächeln den Zwergen zu. «Guten Tag. Ich bin Moritz und der da im Waggon, von dem man gerade nur den Kopf sieht, ist mein Freund Stephan. Wir haben gehört, dass ihr ein sehr kluges Volk seid und wollten etwas fragen. Auch sollen wir Euch von Feros dem Händler grüßen. Er lässt euch mitteilen, dass er Murkelrüben... eh ich meine Gurpelrüben, zurzeit im Angebot hat. Ein Kilo für ein Goldstück. Moritz war sehr zufrieden mit dem was er gesagt hatte. Er fand, dass er sich ungemein höflich angehört hatte. Die Zwerge blieben stumm, schauten sich nur gegenseitig verblüfft an. Dann fing die ganze Zwergen Versammlung lauthals an zu lachen. Hahaha, glucksten sie, langer Satz, viele Wörter. Hahaha sooo... langer Satz! Habt ihrs gehört, riefen sie lauthals durcheinander. Das Mufflons Volk unterhielt sich nämlich immer in sehr kurzen Sätzen. Das erklärte warum sie lange Sätze so amüsant fanden. Der Zwerg, der den Befehl zum Ausladen der Waggons gegeben hatte, trat auf Moritz zu und streckte ihm seine kleine fleischige Hand entgegen.
«Ich bin Groll. Bahnhofsvorsteher. Ihr seid Menschen Kinder, von der Erde?»
«Ja», antwortete Moritz die Hand des Zwerges schüttelnd.
«Wir sind durch des Rektors Tür gegangen und haben uns vorgestellt, dass wir ins Phantastische Land kommen, sind aber nicht sicher...
Moritz konnte seinen langen Satz nicht vollenden, da er von einer erneuten Lachsalve unterbrochen wurde. Habe ich irgendetwas Lustiges gesagt, wunderte er sich im Stillen. Groll grinste ihn freimütig an. «Wollt eine Frage stehlen?! Kommt mit!»
Stephan, der nun einsah, dass die Zwerge ihnen nicht böse gesinnt waren stieg aus dem Waggon raus und zusammen mit Moritz folgte er Groll.
Beim Mufflons Volk zu Besuch
Sie gingen durch viele Schächte und steinerne Säulengänge
entlang, Treppen hinauf und hinunter, passierten Höhlen aus denen dumpfe Hammerschläge erklangen. An großen eisernen Öfen standen da Schmiede und formten die geschmolzenen Metalle auf ihren Ambossen.
Endlich kamen sie in einen großen Saal.
Zu Recht hatte das Mufflons Volk diesen Saal den goldenen Saal genant. Die Wände, die Decke, ja auch der Boden waren aus hellem Gold, das wie die blauen Steine am Bahnhof, von selber zu leuchten schien. Der ganze Saal erstrahlte in goldenem Licht. Überall in den Wänden des Saals waren kleine Eingänge zu denen steinerne Treppen hinaufführten.
In der Mitte des Saals war eine lange Steintafel auf der goldene Schüssel und Gefässe standen, die leckere Speisen enthielten. An beiden Seiten der Tafel saßen Männer und Frauen des Mufflons Volkes und ließen sich’s schmecken. Groll führte die beiden Kinder zum Fußende der Tafel, wo ein besonders bärtiger Zwerg saß, der eine mit Edelsteinen verzierte Krone auf dem Kopf hatte. Groll flüsterte ihm ins Ohr:
« Zwei Menschen Kinder haben eine Frage.»
Der Zwergkönig musterte die Neuankömmlinge von Kopf bis Fuß.
«Erst essen dann fragen», brummte er in seinen schwarzen Vollbart.
Stephan und Moritz bekamen jeder einen Stuhl hingeschoben und sobald sie sich darauf gesetzt hatten kamen Mufflons Frauen mit vollgefüllten Steintellern, die sie vor den Gästen hinstellten. Da gab es Getreidebrei, Gurpelrüben Salat, gebratenes Bergziegenfleisch und soviel Rupseldupselfruchtsaft wie man nur trinken wollte. Beide langten sie tüchtig zu, da sie wirklich ordentlich Hunger hatten. Sobald ihre Teller leer waren, wurden neue Berge von Speisen vor ihnen aufgetürmt. Bald waren sie so satt, dass sie keinen Bissen mehr runter kriegen konnten. Der Zwergkönig schaute sie ein wenig missbilligend an.
«Dünne Menschenkinder essen zu wenig. Wir essen immer, essen wenn nicht arbeiten.»
«Ja, ja» plapperten ihm die anderen Zwerge nach. «Wer nicht isst, der arbeitet wer nicht arbeitet isst. Und jetzt essen wir.»
Und wahrlich wie sie aßen. Stephan und Moritz staunten nicht schlecht welche Mengen die Zwerge verschlingen konnten.
Sie schaufelten sich das Essen nur so in ihre großen Münder. Unaufhörlich gingen ihre Gaumen auf und ab. Ihre Essenslust hielt sie aber nicht davon ab, zu lachen und zu spaßen, auch wenn sie wohl kaum selbst verstanden was sie eigentlich sagten. Stephan dachte bei sich, dass es wirklich kein Wunder war, dass sie alle so furchtbar dick waren.
Endlich hatten die Zwerge an der Tafel genug bekommen. Der Zwergen König leerte seinen Becher mit Rupseldupselsaft, rülpste laut, wischte sich über den Mund und wendete sich seinen Gästen zu. «Nun Menschenkinder was war es was ihr fragen wolltet?»
«Wir wollten fragen», antwortete Moritz, «ob ihr wisst was mit den Kindern los ist, die in der Steppe vor den Kästen stehen.»
«Ja», fiel Stephan ein «und wie man ihnen helfen kann. Warum stehen sie so regungslos vor den Kästen und starren hinein?» Alle Zwerge die um den Tisch saßen wurden mit einem mal ernst und schweigsam. Stephan und Moritz sahen gespannt in das rote aufgedunsene Gesicht des Zwergen Königs. Er raufte sich verdrossen den Bart. Viele der anderen Zwerge hatten die Augen niedergeschlagen und stocherten missmutig im Essen rum.
Die beiden Jungen konnten sich nicht erklären was den Zwergen König und die anderen Zwerge so verstimmt hatte. Eine Weile war alles ganz still dann sagte der Zwergen König fast flüsternd: «Der Flimmerherrscher ist Schuld.»
«Wer»? fragten Stephan und Moritz wie aus einem Munde.
«Der Herrscher der flimmernden Stadt», tuschelten plötzlich alle Zwerge im Chor. «Ja, ja der Flimmerherrscher ist Schuld.»
«Wer ist der Flimmerherrscher,» erkundigte sich Stephan.
«Wir wissen es nicht», antworte der Zwergen König noch immer im Flüsterton. «Wir wissen nur, dass er es ist, der die Menschen Kinder vor den Kästen bannt.» «Ja, ja», wiederholten die anderen Zwerge, «er bannt die armen Menschen Kinder vor den Kästen. Macht ihre Phantasie böse!»
Aus dem Flüstern und Nuscheln war ein empörtes Geschrei geworden. Die Zwerge riefen wild durcheinander, manche schlugen mit der Faust auf den Tisch das Teller und Schüsseln nur so schepperten. Da hob der Zwergen König die Hand und das Getöse verstummte. «Mehr wissen wir nicht», sagte er müde als hätte das viele Reden ihn so erschöpft gemacht. «Mehr wollen wir auch nicht wissen. Wir sind sicher hier in unseren Bergen. Der Flimmerherrscher kann uns hier nichts antun.» Stephan und Moritz schauten sich betroffen an. Wer war dieser Flimmerherrscher von dem der Zwergen König erzählte?
Sie fühlten eine unerklärliche Furcht vor diesem mystischen Flimmerherrscher, ohne dass sie ja eigentlich wussten wer er wirklich war. Aber das er böse war, da waren sie sich sicher. Böse und Gemein weil er die Kinder vor den Kästen bannte.
In ihrer Erinnerung sahen sie wieder all die Kinder vor sich. Und das fratzenartige Gesicht in den Kästen das zu ihnen gesprochen hatte. War dieses Gesicht der Flimmerherrscher gewesen? grübelten sie.
Moritz wurde jäh von unkontrollierbarem Zorn gepackt.
Zornige Gedanken belebten ihn. Welches Recht hatte dieser Flimmerherrscher eigentlich die Kinder vor den Kästen zu bannen?! Kein Recht in der Welt!
«Wir wollen den Flimmerherrscher besiegen», rief er entschlossen aus.
Auch Stephan war mit einem mal ganz Feuer und Flamme.
«Ja, sagt uns wie wir die Kinder befreien können.»
«Den Flimmerherrscher besiegen?» - stutzte der Zwergen König und runzelte die Stirn. Plötzlich war all seine Ernsthaftigkeit verschwunden. Lauthals fing er an zu lachen. Die anderen Zwerge taten ihm nach. «Besiegen», lachten sie, «haha habt ihr gehört, die kleinen Menschen Kinder wollen den Flimmerherrscher besiegen!»
Moritz gefiel es überhaupt nicht so ausgelacht zu werden. Mit blitzenden Augen schaute er in die Runde.
«Was ist denn daran lustig. Heh?»
Und da die Zwerge nicht aufhören wollten zu lachen rief er erbost. «Statt euch hier feige im Berg zu verstecken, solltet ihr lieber helfen den Flimmerherrscher zu bekämpfen!
Erneut hob der Zwergen König seine Hand und völliges Stillschweigen trat ein.
«Das Mufflons Volk ist nicht feige. Aber wir können es gegen ihn nicht aufnehmen.» «Wir nicht, nein», echoten die Zwerge, «wir nicht, wir nicht. Zu mächtig ist er.»
«Aber etwas muss man doch tun können.» Moritz gab sich nicht so schnell zufrieden.
«Geht zum Phantastischen Schloss», sagte der Zwergen König. «Fragt dort um Rat.»
«Und wie kommen wir dahin?»
«Am anderen Ende des Berges, auf der andern Seite des Tals der vier Jahreszeiten liegt das Phantastische Schloss.»
«Dann machen wir uns gleich auf den Weg», sagte Moritz der am liebsten sofort aufbrechen wollte.
«Nicht mehr heute», widersprach der Zwergen König indem er sich einen neuen Becher mit Rupseldupselsaft einschenkte. «Schlaft heute Nacht bei uns im Berg. Morgen bringen wir euch aus dem Berg heraus zum Tal der vier Jahreszeiten.»
Die beiden Jungen sahen ein, dass sie klug daran taten die Nacht im Berg zu verbringen. Sie waren beide sehr müde und sehnten sich nach einem weichen Bett. Einer der Zwerge führte Stephan und Moritz eine Steintreppe hinauf, die sich an der Wand des goldenen Saales hoch schlängelte. Die Treppe endete vor einer steinernen Tür. Als sie durch die Tür getreten waren befanden sie sich in einer engen Felsenkammer. Auf einem kleinen Steintisch lag ein Stück Silber leuchtender Kristallstein.
In der einen Seite der Felswand waren zwei Betten im Felsen eingelassen. Eins unten und das andere einen halben Meter weiter oben. Eine hölzerne Leiter lehnte am oberen Bett. Die Betten waren mit weichem Moos bedeckt. Der Zwerg wünschte gute Nacht und verschwand wieder die Treppe hinab. Moritz warf sich auf das weiche Moos im unteren Felsen Bett. Stephan kletterte die Leiter hoch. Beide streckten sie genüsslich die Glieder. Wie sie so gemütlich dalagen merkten sie erst wie furchtbar müde sie waren. Alles was sie heute erlebt hatten ging ihnen nochmals durch die Köpfe. Wieder dachte sie an die Kinder vor den flimmernden Kästen und was die Zwerge gesagt hatten. «Moritz», raunte Stephan von oben herab. «Dieser Flimmerherrscher macht mir Angst.»
«Mir geht es genauso», erwiderte sein Freund. «Der Name Flimmerherrscher hört sich irgendwie schrecklich unheimlich an. Na ja, wir werden schon mehr erfahren, wenn wir morgen zum Phantastischen Schloss kommen.»
Moritz war schon richtig gespannt auf den morgigen Tag und stellte sich vor was sie alles Tolles erleben würden. Bevor er einschlief, hoffte er, dass das alles nicht doch nur ein Traum sei und er Morgen in seinem Bett bei sich Zuhause aufwachen würde. Stephan hingegen konnte lange nicht einschlafen, auch wenn er nicht weniger müde war als Moritz. Seine Gedanken ließen ihm keine Ruhe. Und immer wieder tauchte das hässliche Gesicht und all die bösartigen Fratzen, die es gemacht hatte vor ihm aus der Dunkelheit auf. Endlich aber schlief auch er ein.
Auf dem Weg zum Phantastischen Schloss
Am nächsten Morgen, nach dem sie gefrühstückt hatten,
machten sich die beiden Jungen zum Aufbruch bereit.
Sie verabschiedeten sich vom Zwergen König, der ihnen viel Glück auf den Weg wünschte. Groll, der Bahnhofvorsteher, führte sie zurück zum Bahnhof. Von dort sollten sie mit den Waggons wieder zur Erdoberfläche auf der anderen Seite des Berges hochfahren, wo das Tal der vier Jahreszeiten lag. Groll ging mit ihnen zu einem der Gleise auf dem eine Reihe von Waggons standen.
«Setzt euch darein», bestimmte er, «dieses Gleis geht aus dem Berg heraus.»
Stephan und Moritz machten es sich in den Waggons bequem. «Und jetzt?» Moritz sah skeptisch drein, «wie kommen wir jetzt nach oben?»
«Vielleicht schiebt Groll uns», vermutete Stephan. Aber das hatte Groll keineswegs vor. Er befestigte das Ende eines Seils, das aus einem der Schächte kam, am vordersten Waggon. Dann verschwand er im Inneren des Steinhäuschens am Bahnhof. Dort wurden wohl irgendwelche Hebel betätigt, denn mit einem Mal begann das Seil sich zu strammen und die Waggons nach vorne zu ziehen. Langsam glitten die Waggons auf dem Gleis dem steilen Schacht nach oben. Stephan, der die rasante Abfahrt des gestrigen Tages noch in lebhafter Erinnerung hatte, war froh drüber, dass es diesmal so langsam und gemächlich vor sich ging.
Meter für Meter kamen sie vom Fleck. Für eine lange Zeit wurden sie in diesem Schneckentempo durch vollkommene Dunkelheit gezogen.
Endlich schimmerte von weit oben Tageslicht zu ihnen herunter. Es dauerte noch eine Weile, bis ihr rollendes Gefährt an der Erdoberfläche angekommen war. Die Waggons hielten vor der Bergöffnung sodass die zwei Passagiere aussteigen konnten. Ein großes Zahnwerk hatte das Seil aufgerollt, das an der Felswand befestigt war.
«Ah, so eine Konstruktion würde meinen Vater sicherlich interessieren», meinte Moritz und betrachtete das komplizierte Zahnwerk genauer. «Gar nicht dumm diese Mufflonsvolk.» Stephan rieb sich die Beine, die vom langen Sitzen wehtaten. «Aber feige sind die. Zu feige auf jeden Fall um sich mit dem Flimmerherrscher anzulegen. Na ja, sie waren ja eigentlich ganz nett zu uns.» Er bereute sie feige genant zu haben.
Als sie durch den Felseneingang ins Freie traten stach ihnen das grelle Sonnen Licht in die Augen. Nachdem sie solange im dunklen Berge gewesen waren, mussten sich ihre Augen erst wieder an das helle Tageslicht gewöhnen. Beide waren froh wieder frische Luft zu atmen und den blauen Himmel über sich zu sehen. Unternehmungslustig schauten sie sich um. Zu ihrer Enttäuschung stellten sie fest, dass sie zwar aus dem Berg raus waren aber nicht vom Berg runter. Ein steiler Abhang, der an einer schroff in die tiefe fallenden Felswand endete, war der einzige begehbare Weg. Vorsichtig kletterten sie über die herumliegenden Steine bis sie nur noch ein paar Meter vor dem Abgrund standen. Unter ihnen erstreckte sich ein weites Tal. Auf der anderen Seite des Tales, auf einem bewaldeten Hügel konnte man Türme und Zinnen eines Schlosses erkennen.
«Das muss das Tal der vier Jahreszeiten sein», rief Moritz, «und das Schloss da hinten ist bestimmt das Phantastische Schloss.» Er deutete auf den fernen Hügel.
«Guck mal, Stephan die Jahreszeiten da unten verändern sich ja dauernd!» Stephan schaute ins Tal hinab.
«Ja, ich sehe es auch!» Die Jungen trauten ihren Augen kaum. Erst herrschte warmer Sommer im Tal, alles grünte und blühte, die Wiesen waren voll farbiger Blumen. Doch mit einem Mal wurde es Herbst. Die Blätter der Bäume verfärbten sich die Wälder wurden kahl, das Gras der Wiesen gelblich. Aus dem Herbst wurde Winter, es begann heftig zu schneien das ganze weitläufige Tal wurde mit einer weißen Schneeschicht bedeckt, wie im tiefsten Winter. Flüsse und Seen gefroren zu Eis. Aber schon bald war der Winter vergangen und die Natur erwachte wieder zu neuem Leben. So wiederholte sich der ewige Kreislauf der vier Jahreszeiten in schneller Reihenfolge.
Plötzlich sahen die beiden etwas glitzerndes was sich vom Schloss aus durch die Lüfte näherte.
«Da fliegt was auf uns zu!» Moritz, der es zuerst gesehen hatte, packte Stephan am Arm. Dieses etwas war noch zu weit entfernt als das man erkennen konnte was es war.
«Ein Vogel vielleicht», vermutete Stephan, die Augen zusammen kneifend.
«Könnte sein», nickte Moritz. «Aber warum glitzert das so in der Sonne? Muss was Metallisches sein. Vielleicht ein Flugzeug?» Desto näher dieses fliegende Objekt kam, desto deutlicher wurde es, dass es kein Flugzeug war, aber auch kein Vogel. Moritz erkannte zuerst um was es sich handelte. Ein großer metallener Schmetterling! Ihm blieb vor Erstaunen der Mund offen. Auf dem Schmetterling saß ein kleiner Junge, der abwechselnd an zwei langen Schnüren zog und auf dieser Weise die Metall Flügel auf und ab bewegte. So kam der Junge immer näher und setzte, als er bei ihnen angelangt war, zu Landung an. «Platz frei», schrie er, «ich lande!»
Mit wilden, hastigen Handbewegungen gab er Stephan und Moritz zu verstehen, dass sie im Weg waren. Die beiden drückten sich gegen die Felswand. Nachdem der Junge mit seinem fliegenden metallischen Schmetterling noch eine Weile über ihnen herumgekreist war, vollzog er eine gekonnte Landung. Dann stellte er sein merkwürdiges Fortbewegungsmittel ab und ging mit fröhlichem Lächeln auf Stephan und Moritz zu. Er sah genauso sonderbar aus wie das Ding auf dem er durch die Lüfte geflogen war. Er war nämlich bunt wie ein Papagei! Seine Haare waren gelb, seine Kleider so farbig wie die Kleider eines Clowns und seine Haut von hellem lila! Das außergewöhnlichste aber waren seine Augen. Die leuchteten nämlich andauernd in den verschiedensten Farben. «Hai», sagte der bunte Junge mit lebhafter Stimme, «ich bin Lulu der kleine farbige Prinz. Ich wohne», er drehte sich um und deutete zum Schloss, «dort drüben. Im Phantastischen Schloss.» Stephan und Moritz schauten ihn verdutzt an.
«Warum bist du so farbig», fragte Stephan etwas schüchtern.
«Ja genau», lachte Moritz, wie üblich keine Spur schüchtern.
«Du siehst ja aus wie ein Papagei! Bist du bei deiner Geburt in einen Farbtopf gefallen?!»
«Stell dir vor das ich das nicht bin», antwortete der kleine Junge und sah etwas beleidigt aus. «Besser Bunt aussehen wie ich, als so langweilig Bleich wie ihr. Oder seid ihr etwa in einen Milchtopf reingefallen als ihr geboren wurdet?!»
Stephan, der fand, dass die Begrüßung zwischen ihnen nicht so nett verlaufen war, versuchte den fremden Jungen wieder freundlich zu stimmen. «Hallo. Ich bin Stephan und das hier ist mein Freund Moritz.»
Lulu der kleine bunte Prinz schien nicht nachtragend zu sein. Vergnügt strahlte er Stephan an: «Willkommen im Phantastischen Land! Wir hörten das ihr auf dem Weg zu uns seid und da dachte ich das ich Euch begrüße.»
«Tolle Erfindung was du da hast», sagte Moritz, der zum metallischen Schmetterling gegangen war und ihn gründlich musterte. «Wie funktioniert denn der?»
«Einfach», erklärte Lulu. «Du brauchst nur an diesen zwei Schnüren ziehen und dann bewegen sich die Flügel.»
«Man könnte fast glauben mein Vater hätte das erfunden», meinte Moritz imponiert.
«Dein Vater?!», wunderte sich Lulu.
«Ja, mein Vater ist Erfinder. Darf ich das Gerät mal ausprobieren?»
Lulu wollte erst nicht so recht. «Nun gut», sagte er schließlich, «aber sei vorsichtig.» Moritz schwang sich auf den Schmetterling und betätigte abwechselnd die Schnüre. Nachdem er zwei Runden geflogen war landete er wieder wohlbehalten.
» Das hat irre Spaß gemacht!» lachte er begeistert.
«Ihr seid aus der Menschenwelt, nicht wahr», fragte Lulu.
«Ja» erwiderte Stephan. Der kleine bunte Prinz wurde mit einem mal sehr Ernst. «Es ist gut das ihr gekommen seid. Vielleicht wird mit eurer Hilfe nun alles wieder gut werden.»
Stephan und Moritz schauten Lulu fragend an.
«Was meinst du?»- wollte Stephan erschrocken wissen. Da erinnerte er sich an Matthias und Karsten und an all die anderen Kinder vor den flimmernden Kästen. Kann sein, dachte er bei sich, dass es damit was zu tun hat. Als er Lulu fragte, war es als würden dessen bunte Farbenpracht verblassen, das kraftvolle Licht erstarb in seinen Augen. «Der Flimmerherrscher hält sie gefangen», flüsterte Lulu leise. Er will alle Kinder der Menschenwelt vor seinen Flimmer Kästen bannen.»
Moritz fuhr auf: «Aber Warum? Was hat er denn davon?»
Lulu setzte sich auf einen Stein und starrte betrübt vor sich hin. «Ich weiß nicht. Niemand weiß es so recht. Aber er wird immer mächtiger.» Der kleine bunte Prinz hatte so leise gesprochen, dass man seine Antwort kaum hatte hören können. Mit ihm war eine merkwürdige Veränderung vorgegangen. Seine Haut war nun fast so bleich wie die der Jungen.
«So geht es immer mit mir», erklärte er, an sich herabschauend, «wenn ich an was Trauriges denke. «Dann erblasse ich, meine Farben erlischen. Wenn ich mich aber freue oder über etwas lache dann leuchte ich wie ein Regenbogen!»
«Bitte erzähl uns mehr von dem Flimmerherrscher», bat Stephan.
Lulu schüttelte verneinend mit dem Kopf. «Nicht jetzt. Wir treffen uns im Schloss. Wenn ihr um die Felsenecke da hinten rum geht, kommt ihr zu einer Brücke. Sie führt über das Tal der vier Jahreszeiten, direkt zu unserem Schloss. Bis bald!»
Mit diesen Worten setzte er sich auf den metallischen Schmetterling, nahm Anlauf, zog heftig an den Schnüren und schon erhob er sich in die Luft. Die zurückgebliebenen sahen ihm noch lange nach, wie er immer unerkennlicher wurde und bald nur noch ein winziger in der Sonne schillernder Punkt war.
«Was für ein komisches Kerlchen», sagte Moritz belustigt. Stephan hingegen hatte den kleinen bunten Prinz sofort in sein Herz geschlossen. Wie ängstlich er geworden war als von dem Flimmerherrscher erzählt hatte. Dieser Flimmerherrscher muss wirklich ein ganz gemeiner Bösewicht sein.
Moritz trat ungeduldig von einem Bein zum anderen. «Also los, wo ist diese Brücke. Um die Felsenecke da drüben?!» Er sprang auf sie zu, behände von Stein zu Stein hüpfend. «Stephan, kommst du, oder gefällt dir die Aussicht hier so riesig, dass du sie den Rest deines Lebens bewundern willst?»
«Ja, ja ich komm ja schon.» Stephan folgte seinem wie immer Tatendurstigen Freund, der schon bald hinter dem von Lulu angegebenem Felsenvorsprung verschwunden war.
Und richtig, dahinter, am tiefen Abgrund begann eine lange Brücke, die über das ganze Tal verlief und an dem Hügel, auf dem das Schloss stand, endete. Es war eine Schwebebrücke, ohne Brückenpfosten, nur von Seilen gehalten. Sie war gerade Mal einen halben Meter breit, aus Holz und schien in schlechter Verfassung zu sein. Das Holz war alt und an manchen Stellen sogar morsch. Nur auf der rechten Seite war ein Geländer. Vor der Brücke lag eine Steintafel auf der geschrieben stand:
Die schaukelnde Kurven Brücke. Erbaut zu des ersten Königs Zeiten.
«So sieht sie auch aus», bemerkte Moritz schnippisch. «Dieser erste König muss vor so ungefähr hundert Millionen Jahren diese olle Wackel Brücke bauen lassen. Seitdem ist wohl niemand auf die geniale Idee gekommen das ne` Holzbrücke morsch werden kann. Und guck mal die geht ja nicht mal gerade, sondern schlängelt sich nach rechts und links.»
Wahrhaftig, die Brücke ging nicht in gerader Linie von einem Ende zum anderen, sondern schlängelte sich kurvenförmig durch die Luft. Um ans andere Ende zu kommen musste man also ihren Kurven und Krümmungen folgen. Moritz kratzte sich am Kopf. «Sollen wir das wirklich wagen? Ich bin ja auch nicht Lebensmüde.» Diesmal war Stephan der mutigste der beiden. Bestimmt weil er dem kleinen bunten Prinz vertraute, der ihnen ja gesagt hatte, dass sie über diese Brücke gehen sollten.
«Ach was, das geht schon», sagte er zuversichtlich. «Wenn sie schon so lange gehalten hat, wird sie ja wohl nicht gerade heute, wenn wir drüber laufen, auseinander fallen!
Mit diesen Worten betrat Stephan beherzt die Brücke.
Moritz, der nicht feige wirken wollte, folgte seinem Freund. Beide tasteten sie sich mit kleinen, behutsamen Schritten vorwärts. Sie versuchten dabei nicht hinab ins Tal zu schauen, denn von so großer Höhe konnte ein Blick in die Tiefe einen richtig Schwindelig machen. Als sie so dahin gingen, merkten sie, dass die Brücke bei jedem ihrer Schritte, traten sie auch noch so vorsichtig auf, wackelte. Erst wackelte sie nur schwach, desto weiter sie aber auf die Brücke hinaus kamen, desto mehr begann die ganze Brückenkonstruktion hin und her zu schwanken. «Mama mia», stöhnte Moritz. «Darum der Name die Schaukelnde Brücke!»
Stephan versuchte seine Angst zu überwinden, die ihn dazu brachte statt langsamer schneller zu laufen, um schleunigst zum anderen Ende zu kommen. «Wir müssen langsamer gehen», rief er über die Schulter, wagte sich aber nicht umzudrehen.
«Machst du Witze»? hörte er Moritz hinter sich. «Dieses bunte Kerlchen saust da so bequem durch die hohen Lüfte. Uns aber schickt er über diese altmodische Brücke damit wir uns den Hals brechen!»
Stephan erwiderte daraufhin nichts, er war zu sehr damit beschäftigt kleine Schritte zu machen und nicht hinab ins Tal zu schauen. Schweigend, in tiefster Konzentration gingen sie weiter.
Sie waren ungefähr zu Mitte der Brücke gekommen als die Brücke mit einem Mal anfing ganz schrecklich zu schaukelnd und hin und her zu schwingen.
Sie schaukelte so sehr, dass Stephan und Moritz hastig am Geländer Halt suchten, um nicht etwa das Gleichgewicht zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen.
«Bist du wahnsinnig geworden», brüllte Stephan nach hinten, «hör auf so zu rennen!»
«Von wegen rennen. Ich mache keinen Schritt!»
Die beiden Jungen standen beide vor Schreck wie angewurzelt.
Da entdeckten sie was die Brücke so zum Schaukeln gebracht hatte. Es kam ihnen nämlich jemand entgegen! Oder besser gesagt ein ganzes Dutzend! Eine lange Reihe von Tausendfüßlern. Aber diese Tausendfüßler waren überaus groß, fast so groß wie kleine Hunde.
Sie hatten Menschengesichter und waren wie Bauarbeiter bekleidet, hatten kleine Schutzhelme auf ihren drolligen Köpfen und allerlei Werkzeugen in ihren ledernen Bauarbeitergürteln. So vielzählig waren sie und jeder der Tausendfüßler hatte ja so viele Füße, dass es wirklich kein Wunder war, dass die Brücke so sehr schaukelte. Als der vorderste der Tausendfüßler die beiden Jungen erblickte, hob er grüßend seinen Helm.
«Guten Tag die Herren. Wir sind Bauarbeiter geschickt vom König dem zweihundert-vierundvierzigsten um diese Brücke zu renovieren. Sie ist nämlich seit König dem Ersten nicht renoviert worden. Man muss fürchten, dass sie jeden Augenblick nachgeben wird. Und jetzt, wenn die Herren bitte die Beine breit machen würden, damit wir drunter weg kriechen können.» Stephan und Moritz sagten nichts, machten nur ganz brav die Beine breit und die lange Reihe der Tausendfüßler krabbelten unter ihnen durch. Als die sonderbare Schar vorbeigefüsselt war äffte Moritz den Tausendfüßler der zu ihnen gesprochen hatte nach: «Man muss fürchten, dass sie jeden Augenblick nachgibt... Besonders wenn sie mit ihren Millionen von Füssen über sie hinweg spazieren!»
«Komm wir haben es gleich geschafft», sagte Stephan, sehnsüchtig auf das nun nicht mehr so weit entfernte Ende der Brücke blickend. Das muss die längste Brücke sein über die ich je gegangen bin, dachte er bei sich. Nicht nur die längste sondern auch die merkwürdigste! All diese Kurven. Zuhause in der Stadt gab es solche lange Brücken nicht.
«Dieser erste König kann nicht sonderlich schlau gewesen sein», maulte Moritz erneut. «So eine komische Brücke bauen zu lassen. «Wer weiß», meinte Stephan, «vielleicht baut man Brücken auf so einer Art hier im Phantastischen Land.
«Und warum», fragte Moritz mürrisch, «damit dem der drüber geht übel wird?»
Ja, warum das konnte Stephan nun wirklich nicht sagen.
Er konnte ja nicht ahnen, dass man diese Brücke so kurvig gebaut hatte, weil die Tausendfüssler Bauarbeiter, die im Phantastischen Land seit eh und je für den Bau von Brücken zuständig waren, nun mal meinten, dass Brückenbauen eine edle Kunst sei und in jede Brücke sehr viel Arbeit und Fleiß hineinlegten. Sie wollten die schönsten, die aufregendsten und wunderlichsten Brücken bauen. Diese kurvige, schwankende Brücke über dem Tal der vier Jahreszeiten, war für sie gar nichts Besonderes. Einmal hatten sie eine Brücke gebaut wie eine große Rutsche, über die man nicht gegangen war, sondern einfach drüber weggerutscht. Ein anderes Mal hatten sie mitten im Bau eine Brücke aufgehört, weil sie gemeint hatten, dass ihnen diese Brücke misslungen war. Somit mussten alle die auf dieser Brücke daher gegangen kamen, unverrichteter Dinge wieder kehrt machen.
Mit einem Mal begann die Brücke unter den Füssen der beiden Jungen erneut hin und her zu schwanken.
«Es sieht ganz so aus als würden wir wieder Gesellschaft bekommen», rief Stephan warnend und blieb stocksteif stehen, sich mit beiden Händen am Geländer festhalten. Moritz tat es ebenso. Als sie so dastanden und warteten, dass jemand hinter der nächsten Kurve zum Vorschein kommen würde, schauten sie zufällig hinab ins Tal.
«Guck mal da!» Moritz zeigte auf etwas was sich da unten bewegte. Stephan sah es auch.
Es war ein junges Rehlein das sich mit großen Sprüngen in das Tal, dessen Jahreszeiten sich auch jetzt in schneller Reihenfolge ablösten, gewagt hatte.
Wunderlich war anzusehen, wie das junge Tier von einem Augenblick zum anderen älter wurde. Aus dem übermütig springenden Rehlein, wurde ein gemächlich dahintrottender Rehbock, dessen Schritte immer unsicherer und langsamer wurden, bis er schließlich vor Altertum geschwächt zu Boden sackte. So aufmerksam starrten die beiden Jungen hinab, dass sie gar nicht merkten wie jemand sich zu ihnen gesellt hatte.
«Ja so geht es allen Lebewesen», hörten sie plötzlich eine brummige Stimme ganz nah neben sich, «die durch das Tal der vier Jahreszeiten gehen. Sie mögen jung und kräftig sein wenn sie das Tal betreten, niemals werden sie es mehr lebend verlassen. Schnell altert man im Tal der vier Jahreszeiten. Allzu schnell vergehen die Jahre dort.»
Vor ihnen stand ein Zwerg vom Mufflons Volk.
Er hatte ein kleines Rucksäcklein auf dem Rücken, einen langen Bart, der nun rege im Winde flatterte und ein gutmütiges Gesicht. Moritz sah vom Zwerg wieder hinab ins Tal. Von dem Tier war nun keine Spur mehr zu sehen. Das herabfallende Laub des gerade eben zu Ende gegangenen Herbstes und der nun vom Winter Himmel fallende Schnee hatten es unter sich begraben. «Das bedeutet ja», sagte Moritz staunend, «dass wenn man jung auf einer Seite ins Tal hineingeht alt auf der anderen Seite wieder heraus kommt?»
«Ja wenn man nicht vorher vor Altertum stirbt», belehrte sie der Zwerg, lustig mit den Augen zwinkernd.
«Kommst du vom Phantastischen Schloss», erkundigte sich Stephan.
«Nein ich kehre von einer langen Reise zurück. Ich bin Botschafter meines Volkes und habe Neuigkeiten für den Zwergen König. Kaum gute sind’s, fast nur schlechte.»
Der Zwerg machte als er das sagte ein verdrießliches Gesicht.
«Was für Neuigkeiten», fragte Moritz neugierig.
«Last mich Euch zuerst die schlechten erzählen. Der Flimmerherrscher hat bald so viele Kinder in seiner Gewalt, dass er genug Macht hat um über das ganze Phantastische Land zu bestimmen und zu herrschen.»
«Wir haben die Kinder gesehen», sagten Stephan und Moritz wie aus einem Munde. Stephan berichtete aufgeregt:
«Zwei von unseren Freunden sind unter ihnen. Und jetzt sind wir auf dem Weg zum Phantastischen Schloss um zu erfahren wie wir sie retten können.»
«Aha», der Zwerg horchte auf. Nachdem er sie eine Weile von Kopf bis Fuß eingehend betrachtet hatte, nickte er anerkennend. «Dann seid also ihr die guten Neuigkeiten.»
«Wir?» Die beiden Jungen begriffen nicht was der Zwerg meinte. «Nun die guten Neuigkeiten sind, dass zwei Menschenkinder gekommen sind. Nur Kinder aus der Welt der Menschen können es mit dem Flimmerherrscher aufnehmen. Ihr seid nicht etwa diese zwei Menschenkinder?!»
«Eben die sind wir!» Stolz stemmte Moritz die Arme in die Hüften. «Hier um den Flimmerherrscher zu bekämpfen!»
«Na dann will ich euch nicht länger aufhalten. Denn die Zeit drängt», fügte der Zwerg im mahnenden Ton hinzu. «Wer weiß wie viele Menschen Kinder im laufe der kurzen Zeit wo wir gemütlich geplaudert haben, vom Flimmerherrscher gebannt worden sind.»
«Ist es noch weit bis zum phantastischen Schloss», fragte Stephan.
«Um die nächste Brückenkurve, dann seid ihr beim Schlosshügel auf der anderen Seite des Tals. Viel Glück wünsche ich Euch mutige Menschenkinder!» Man zwängte sich aneinander vorbei und jeder ging seines Weges. Der eine zurück zum heimatlichen Berg, die anderen in die Entgegengesetzte Richtung.
Die Königsfamilie
Ganz so wie der Zwerg es gesagt hatte, endete die Brücke als sie um die nächste Kurve gegangen waren. Sie passierten unter einem runden Torbogen hindurch und standen endlich wieder auf fester Erde. Moritz war so froh drüber, dass der Boden nicht mehr bei jedem Schritt wackelte, dass er einen Purzelbaum machte.
«Keine zehn Pferde bringen mich noch mal auf diese Wackelbrücke», verkündigte er lauthals. «Da geh ich lieber beim nächsten Mal durchs Tal der vier Jahreszeiten und werde zu einem uralten, senilen Greis!»
«Das bist du ja jetzt schon», neckte Stephan.
Eine wilde Jagd durch die Büsche begann, doch bald besannen sie sich die beiden Jungen ihrer wichtigen Aufgabe.
Ein schmaler Weg ging zwischen dichtem Gestrüpp den grasigen Hügel hoch. Der Weg führte sie durch ein kleines grünes Wäldchen.
Als sie so zwischen den schattigen Bäumen dahingingen, durch deren belaubte Zweige sanft der Wind säuselte, war es ihnen als wäre die Luft erfüllt von lautem Flüstern und Raunen, ganz so als säße dort oben in den Kronen der Bäume eine große sich beratende Versammlung.
Sie konnten keine ganzen Sätze verstehen, glaubten aber ab und zu die Worte Menschenkinder und Flimmerherrscher aus dem Geflüster heraushören zu können.
War es Einbildung? Oh nein, denn dieses Wäldchen war ein magisches Wäldchen, in dem die Bäume andauernd miteinander flüsterten und leise tuschelten. Gerade jetzt erzählten sie einander von den Menschenkindern die über ihre Wurzeln hinweg schritten.
Als Stephan und Moritz aus dem wunderlichen Wäldchen heraus kamen, standen sie auch schon vor dem Ziel ihrer Wanderung.
Dem Phantastischen Schloss.
Es hatte viele kleine Balkons, hohe Zinnen und weit in den blauen Himmel ragende Türme auf denen unzählige Fahnen flatterten.
An seiner Vorderseite waren allerlei Abbildungen von Tieren und seltsamen Figuren zu sehen. Bunte lebendige Bilder, fantastische Figuren und Tierkörper kunstvoll eingemeißelt in die breite Mauer. Das erstaunlichste war, dass diese steinernen Abbildungen sich manchmal bewegten, ineinander flossen und ihre Formen veränderten. Dann erstarrten sie, wurden grau und leblos bevor sie wieder anfingen sich zu rühren, die verschiedensten Farben und Formen annahmen. Die Gesichter der vielfältigen Gestalten wirkten so menschlich, so von Blut durchströmt, dass man glauben konnte, dass sie lebendig wären.
Manche lächelten, andere schauten traurig drein. Sie bewegten sogar ihren Mund, es kam aber kein Ton von ihren steinernen Lippen. Stephan und Moritz standen lange und bewunderten dieses sonderliche Schauspiel. Plötzlich öffnete sich ein Tor inmitten der Schloss Mauer und Lulu der kleine farbige Prinz kam heraus sie mit einem heiteren Lachen begrüßend.
«Da seid ihr ja endlich! Kommt rein das ich euch meiner Familie vorstellen kann.»
Stephan freute sich sehr den kleinen wieder zu sehen.
Sofort ging er auf ihn zu, ebenfalls lächelnd.
«Was in aller Welt ist das», fragte Moritz der immer noch ganz verdattert die Gestalten in der Mauer anstarrte.
«Das», erklärte Lulu, «sind die Phantasie Wesen. Aber nur ihre Abbildungen.»
«Nur ihre Abbildungen», wiederholte Moritz staunend, «na ja für mich sehen sie ganz schön echt aus. Und irgendwie unheimlich!» Schnell beeilte er sich hinter Stephan und Lulu in das Innere des Schlosses zu kommen.
Als sie durch das Schlosstor eingetreten waren, befanden sie sich in einem schönen Saal. In seiner Mitte stand ein gänzlich runder, bronzener Tisch. Um ihn herum standen viele leere Stühle. Auf den Wänden des Saales waren wunderliche Wandmalereien gemalt. Sie stellten eine weite Landschaft da. Auf der einen Seite, stand ein Schloss auf einem grünen Hügel an dessen Fuß eine Brücke über ein Tal zu einem großen Gebirge führte. Auf der anderen Seite der Malerei war eine Stadt zu sehen, die, so erschien es im unsteten Licht der Fackeln, schwach flimmerte. Auf einem schmalen Pfad an dem rechts und links tiefe Abgründe waren, gingen zwei junge Wanderer die wohl die Stadt als Ziel hatten. Ob wir das sind, Moritz und ich, fragte sich Stephan. Mit einem mal war es ihm als würden die Wandmalereien zum Leben erwachen. Die Wanderer schritten nun auf die Stadt zu. Wenn die beiden nur nicht vom Weg abkommen und in die Abgründe stürzen, dachte Stephan bevor er seine Aufmerksamkeit wieder dem Inneren des Saales zuwandte.
Ein roter Teppich führte auf dem Boden liegend, zu zwei prunkvollen Throns. In ihnen saßen ein Mann und eine Frau.
Sie waren ebenso bunt wie der kleine Prinz, ihre Haut war von gleicher lila Farbe. Beide hatten sie eine kostbare Krone auf ihren Häuptern.
Ein Mädchen kam ihnen entgegen gelaufen, auch sie war von bunter Gestalt, ein kleines Krönchen zierte ihr niedliches Köpfchen. Sie betrachtete die Fremden voll lebhaftem Interesse, aus strahlenden Augen.
«Darf ich vorstellen», sagte Lulu mit einer Ausladenden Handbewegung zu dem Mädchen hin, «meine Schwester. Prinzessin Abelda.»
Stephan und Moritz stammelten irgendetwas was niemand verstehen konnte, die beiden Jungen waren nämlich von Anblick des Mädchens ganz verzaubert. Und das war nicht weiter verwunderlich denn Prinzessin Abelda war von betörender Schönheit. Sie hatte lange, bis über die Schultern reichende Haare, die in den verschiedensten Farben schimmerten. Wenn man in ihre leuchtenden Augen sah wurde man fast geblendet von dem klaren Licht das in ihnen lebte. Ihre ganze Gestalt war von vollendeter Grazie.
«Ihr seid die Menschenkinder», fragte sie mit einer feinen fast singenden Stimme.
Moritz räusperte sich wichtigtuerisch: «Ja die sind wir. Wir werden dem Flimmerherrscher eins auf die Birne geben! Dann wird im das Flimmern schon vergehen!»
Im Nachhinein sah er ein, dass er sich ein wenig zu mutig und prahlerisch angehört hatte. Prinzessin Apelda lachte amüsiert und Moritz wurde, da er glaubte sie hätte ihn ausgelacht, knallrot im Gesicht.
«Jetzt ist er gar nicht mehr so bleich siehst du», sagte sie vergnügt zu ihrem Bruder. «Auch Menschenkinder können Farbe ins Gesicht bekommen.»
«Ja», fiel Stephan in ihr Lachen ein, «wenn sie Zuviel angeben!» Moritz Gesicht war nun so rot wie eine reife Tomate.
«Es ist gut das ihr gekommen seid», sagte Prinzessin Apelda ernst werdend, «kommt ich will euch mit meinen Eltern bekannt machen. Sie sind König und Königin über das Phantastische Land.»
Den beiden Jungen wurde es ein wenig mulmig zumute als sie sich zusammen mit Lulu und Prinzessin Abelda auf dem roten Teppich dem prachtvoll gekleideten Königspaar näherten, deren Kronen wunderschön funkelten und blitzten.
«Ein echter König und eine echte Königin», flüsterte Moritz Stephan leise zu. «Halt mich wenn ich umkippe!» Auch Stephan war ordentlich aufgeregt, da es zum ersten Mal in seinem Leben geschah das man ihn einem König und einer Königin vorstellen würde.
«Wir müssen uns ganz tief verbeugen», raunte Stephan zurück. «Das macht man so. Ich hab`s mal in einem Film gesehen.»
Sie gingen bis nah vor die Thron Sessel.
«Das sind die Menschenkinder aus der Menschenwelt», sagte Prinzessin Apelda. Stephan und Moritz verbeugten sich so tief wie sie nur konnten. Sicherheitshalber sogleich zweimal.
«Aber meine Kinder», hörten sie den König in freundlichem Ton sagen, «aber meine lieben Menschenkinder ihr müsst euch doch nicht vor uns verbeugen. Auch wenn ich der König bin und meine liebe Gemahlin an meiner Seite hier, die Königin des Phantastischen Landes, so seid doch ihr und alle anderen Menschenkinder die wirklichen Herrscher über unser schönes Land. Darum müssten eigentlich wir uns vor euch verbeugen!»
Die so angeredeten trauten ihren Ohren nicht. Sie sollten die Herrscher über ein so vielfältiges und wunderbares Land sein?
«Ja so ist es», bestätigte die Königin, wie bei ihre Tochter war es als würde sie die Worte nicht sprechen sondern singen. «Denn alle Menschenkinder können durch die Kraft ihrer Phantasie bestimmen was in unserem Land geschehen soll. Nun aber genug davon. Ihr mühst hungrig sein und müde, ihr habt eine lange Reise hinter euch. Last uns zur Tafel gehen, damit ihr Euch an Speise und Trank laben könnt.»
Alle folgten willig dieser Aufforderung. Das Königspaar nahm auf zwei erhöhten Stühlen Platz, Lulu der kleine Prinz rechts und Prinzessin Apelda links von ihnen. Auch die beiden Gäste bekamen jeder einen Stuhl zugewiesen. Viele Stühle standen um den großen runden Tisch, doch sie waren alle unbesetzt, sodass Moritz und Stephan sich im Stillen wunderten warum denn alle diese Stühle leer waren. Außer der Königsfamilie und ihnen selber war niemand mehr im Saal anwesend. Stephan, der viele Bücher über das Mittelalter gelesen hatte, wusste dass an einem Königshof immer ein großer Hofstaat zugegen war, viele feine Damen und Herren. Doch weder er noch Moritz wagten zu fragen, da sie fürchteten, dass solch Neugierde unhöflich sei und sie ihre Gastgeber kränken würde. Es war aber als hatte man ihre Gedanken erraten. Oder vielleicht hatte sich ihre Verwunderung zu deutlich auf ihren Gesichtern abgespiegelt? «Bestimmt findet ihr es sonderbar», hub der König an und klang mit einem mal ganz traurig, «warum alle diese Stühle unbesetzt sind.» «Eigentlich sind sie es nicht», beteuerte Lulu, der kleine bunte Prinz.
«Eigentlich sollten auf allen den Stühle unsere Untertanen sitzen. Hier», bei diesem Wort schlug Lulu mit seiner kleinen Hand auf den Stuhl neben sich, «sitzt eigentlich Feklu der erste Visier meines Vaters.»
«Und hier», sagte Prinzessin Apelda auf den Stuhl neben sich klopfend, «sitzt eigentlich Lebbel der erste Hof Diener.»
Lulu unterbrach sie eifrig. «Und der Platz auf dem du nun sitzt Stephan, ist eigentlich der Platz von Katu dem kleinem Magier, meinem bestem Freund.» Als er das sagte konnte man zwei große, tiefblaue Tränen aus seinen Augen hervorquellen sehen.
Die Königin strich ihrem Sohn tröstend durch das lockige Haar. «Ja so ist es. Eigentlich sollten alle die Stühle dieser Tafel besetzt sein, doch der Flimmerherrscher hat unseren ganzen Hofstatt und viele andere Wesen des Phantastischen Landes gefangen genommen. Stephan blickte zu Moritz rüber dessen Lippen ganz schmal geworden. Seine Augen sprühten förmlich vor Wut. Stephan wusste aus Erfahrung, dass wenn sein Freund so einen Gesichtsausdruck machte, dass er dann richtig zornig auf etwas war. Und was in diesem Fall dieses etwas war, oder besser dieser jemand, war nicht schwer zu erraten!
Moritz wollte am liebsten sofort aufbrechen und dem Flimmerherrscher, wie er das vorhin so keck gesagt hatte, eins auf die Birne geben. Oh wie wütend er auf diesen bösen Mann war, der für soviel Elend und Leid sorgte.
«Wir werden sie alle befreien», versicherte Moritz felsenfest überzeugt. Stephan lächelte Lulu aufmunternd zu, der sich verlegen die Tränen aus den Augen wischte.
«Ja, wir werden deinen Freund befreien.» Es klang ein wenig großspurig, deswegen fügte er noch schnell hinzu: «Wir werden es auf jeden Fall versuchen!» Lulus Gesicht leuchtete auf. Es war wirklich so wie er es bei ihrer ersten Begegnung, beim Zwergen Berg, gesagt hatte. Wenn Lulu traurig war erblasste er am ganzen Körper, wurde grau und fahl.
Die gut gemeinten Worte Stephans ließen ihn wieder in all seiner bunten Farbenpracht aufleuchten, ganz wie ein frischer Regenbogen am Himmel nach einem Regenschauer.
Der König, der seinen Kopf besorgt in seine Hände gestützt hatte, warf Stephan einen dankbaren Blick zu. «Aber erstmals müsst ihr euch stärken. Denn wie lautet das Sprichwort: Kein Held mit leerem Magen.» Er klatschte in die Hände und mit einem mal beugte sich die Tafel von schweren Schüsseln, vollgefüllt mit den leckersten Speisen. «Greift zu liebe Gäste», forderte der König sie auf. Stephan und Moritz, die ja seit dem Frühstück im Berg bei den Zwergen nichts mehr gegessen hatten, ließen sich nicht zweimal bitten und bedienten sich. Doch trotz ihres Heißhungers vergasen sie nie ihre Tischmanieren, denn wenn man zusammen mit einer Königsfamilie speist, muss man sich gut aufführen. Wenn die Essenden auf irgendetwas bestimmtes Lust hatten, brauchten sie sich nur vorzustellen, das diese Speise auf ihrem Teller wäre, oder ein bestimmtes Getränk in ihrem Becher und schon füllte sich ihr Teller und Becher mit dem gewünschten.
Alles was ihr Herz begehrte wurde wie von Zauberhand vor ihnen aufgetischt.
So aßen und tranken sie bis ihr Hunger gestillt war.
«Na, sind unsere lieben Gäste satt», erkundigte sich der König. «Und wie», stöhnten die beiden Jungen, die wohl noch nie so satt gewesen waren.
«Gut dann werden meine Kinder euch jetzt auf dem wachsenden Turm, das Phantastische Land durch das magische Fernrohr zeigen. Und die flimmernde Stadt, dem Wohnsitz des Flimmer Herrschers. Danach halten wir Kriegsrat.» «Kriegsrat», wiederholte Moritz begeistert. Ihm gefiel dieses Wort, bei einem Kriegsrat hatte er schon immer einmal dabei sein wollen!
Auf dem wachsenden Turm
Stephan hingegen spürte, dass ihm ein bisschen schlecht
wurde, ob das wegen diesem so gefährlich klingendem Wort; "Kriegsrat" war, oder einfach weil er zuviel gegessen hatte, wusste er selber nicht.
«Kommt,» Lulu und Apelda waren aufgestanden. Sie führten ihre Gäste durch viele kleine Säulengänge und mehrere Wendeltreppen hoch.
Alle Wände, sogar die Decke waren ganz bunt, in den verschiedensten Farben bemalt. Wunderlich war es das sich ihre Farbtönungen von Zeit zu Zeit veränderten. Als ob sie jemand andauernd mit unsichtbaren Pinselstrichen übermalte. Überall standen metallene Statuen, in allerlei Gestalten an den Wänden. Einmal, im vorbeilaufen, stieß Moritz aus Versehen an einer der Statuen. Es war eine Statue eines kleinen Musikkantenjungen, der ein niedliches Musikanten Hütchen auf dem Kopf trug und eine Trommel um den Bauch hängen hatte. In seinen Händen hielt er zwei Trommelschläger. Im gleichen Augenblick in dem Moritz ihn berührte, schien die eiserne Statue lebendig zu werden. Ihre Kleidung bekam Farbe, so auch das Gesicht und der Rest des Körpers. Die Trommel auf dem der nun so lebendig wirkende Musikkantenjunge anfing zu trommeln, gab einen lauten Klag von sich. Deutlich hörte man die Trommelschläge zwischen den Wänden hallen. Moritz machte schleunigst einen Sprung zur Seite. Stephan war vor Schreck fast hingefallen. Nur Lulu und Apelda fanden an der Sache nichts Besonderes. Sie erklärten den verdutzten Jungen, dass die Statuen für kurze Zeit Leben annehmen würden, wenn von Menschenhand berührt. Das wäre so mit allen der im Phantastischen Schloss stehenden Statuen. Da verstummte auch schon wieder die Trommelei, der kleine Musikant war wiederum starr und eisern geworden.
Sie kamen noch an vielen solchen Statuen vorbei, manche von ihnen berührte Stephan oder Moritz aus Neugierde, unter anderem die Statue eines Ritters, der für kurze Zeit zum Leben erweckt, mit seinem Schwert in die Luft hieb. Um andere Statuen, wie die eines grässlichen Drachen machten sie einen großen Bogen rum, passten auf das sie diese furchterregende Statue ja nicht nahe kamen, aus Angst sie würde lebendig und sich Feuer speiend auf sie stürzen. Nachdem sie eine lange steile Wendeltreppe hochgestiegen waren, die sich im Kreis nach oben zog, kamen sie zu einer Falltür die in der Decke über ihnen angebracht war. Prinzessin Apelda klatschte in die Hände und die Falltür hob sich von selber. Die Kinder traten die letzten Stufen empor und befanden sich nun auf einem steinernen Plateau, umrundet von massiven Zinnen.
Dies war der höchste Turm des Phantastischen Schlosses, der Wachsende Turm.
Es war im Laufe der Zeit, wo sie im Schloss gewesen waren, dunkel geworden. Über ihnen breitete sich der unendliche Nachthimmel aus, von dem die Sterne klar und deutlich funkelten. Nur vage konnten sie die Umrisse der Landschaft unter ihnen erkennen. «Warum nennt man diesen Turm den wachsenden Turm», fragte Moritz, der sich über die Brustwehr gelehnt hatte und in die Dunkelheit herabstarrte. «Darum», antwortete Prinzessin Apelda, wiederum in die Hände klatschend. Gleichzeitig rief sie mit lauter befehlender Stimme. «Wachse Turm! Wachse zum Himmel hoch!»
Was nun geschah war so verwunderlich, dass man es selbst erlebt haben musste, um dran zu glauben. Auch Stephan und Moritz konnten es erst nicht fassen, als sie gewahr wurden wie der Turm auf dem sie standen mit einem Mal anfing zu wachsen. Man hörte keinen Laut, völlig geräuschlos wurde der Turm immer höher und höher. Bald war er so weit in den Nachthimmel gewachsen, das die Sterne ganz nahe erschienen, größer, und viel heller. Moritz trat erschrocken von der Brustwehr zurück, da es ihm vom hinabschauen in die immer größer werdende Tiefe, schwindelig geworden war. «Das wird reichen», entschied Prinzessin Apelda. «Von hier aus können wir durch das magische Fernrohr bis zur flimmernden Stadt sehen.»
Sie war ein zauberhafter Anblick, wie sie da hoch aufgerichtet neben ihnen stand, ihr üppiges Haar schimmerte silbern im bleichen Licht der vielen Sterne und des Mondes.
Kaum hatte sie ihren Befehl geäußert, hielt der Turm im Wachsen inne.
Stephan und Moritz staunten mit weit aufgerissenen Augen in den Himmel. Es war ihnen als wären die Sterne um sie herum nun zum Greifen nahe. Moritz zeigte mit dem Finger auf eine Ansammlung von Sternen die die Form eines Tieres hatte.
«Das ist mein Sternzeichen», verkündigte er, Stephan erregt am Arm fassend. «Löwe!» «Und da ist meins, Steinbock», erwiderte sein Freund zu einem anderem Sternzeichen deutend. «Schau die bewegen sich!»
Es sah wirklich so aus als ob sich die Sternzeichen der beiden Jungen bewegen würden. Der Steinbock sprang flink umher als wäre der Nachthimmel sein Spielplatz. Der Löwe trottete langsam und gemächlich über die weiten Ebenen des unendlichen Universums. «Wollt ihr auf ihnen reiten», fragte Prinzessin Apelda geheimnisvoll lächelnd. «Reiten, das ist doch nicht möglich!» Moritz sah die Prinzessin unsicher an. «Doch, ihr braucht sie nur zu Euch zu rufen.» Stephan und Moritz warfen sich einen fragenden Blick zu. «Na ja, versuchen können wie es ja», meinte Moritz.
«Ja», nickte Stephan, «wäre schon toll wenn wir auf unseren Sternzeichen über den Himmel reiten könnten!» Da war es als mache der Steinbock da oben einen besonders waghalsigen Sprung abwärts und schon stand er auf den Zinnen des Turms. Viele hell funkelnde Sterne zeichneten die Umrisse seines Körpers ab. Auch der Löwe hatte sich zu ihnen auf den Turm gesellt. Seine prachtvolle Mähne bestand aus tausenden von winzigen Sternchen, die ganz wunderschön glitzerten.
«Setzt Euch getrost auf sie», forderte Prinzessin Apelda die zögernden auf. Die beiden Jungen standen eine Weile unschlüssig herum, doch sie hatten im Laufe ihre Reise durch das Phantastische Land so viele merkwürdige Dinge gesehen, dass sie mehr und mehr aufgehört hatten sich darüber zu wundern, oder sich gar davor zu fürchten. So gaben sie sich schließlich einen Ruck, Stephan setzte sich auf sein Sternzeichen den Steinbock, Moritz auf den gebieterischen Löwen. Sofort erhoben sich die Sternentiere in die Lüfte.
Dieser Ritt über den nächtlichen Himmel war das aufregendste, wunderlichste, unbeschreiblichste, was Stephan und Moritz je erlebt hatten. Sie flogen dahin, zwischen anderen leuchtenden Sternzeichen, den Fischen, dem Krebs und dem Skorpion, die sich am Himmel tummelten wie auf tiefsten Meeresgrunde. Auch dem Sternzeichen des Wassermannes begegneten sie und es war ihnen als würde der Gott der Wassergewalten ihnen aufmunternd mit seinem stolzen Kopf zunicken. Wenn die Menschenkinder auf der Erde, Zuhause in ihren Betten, in dieser Nacht zum Fenster getreten wären und zum Himmel geschaut hätten, hätten sie Stephan und Moritz da oben auf ihren Sternzeichen dahinfliegen sehen, wie es Prinzessin Apelda tat, die den Sternenreitern mit ihren leuchtenden Augen folgte und ihr Bruder der kleine Lulu.
Als die Sternenreiter wieder wohlbehalten auf dem wachsendem Turm standen, ihren Sternzeichen nachwinkend, kam ihnen eine wundersame Erkenntnis die sie vor Freude innerlich erbeben lies. Sie verstanden mit einem Mal, dass in diesem Phantastischen Land, in dem sie nun waren, alles was in ihrer Welt, in der Welt der Menschen unmöglich war, Wirklichkeit werden konnte.
Prinzessin Apeldas singende Stimme riss sie aus ihren frohen Gedanken. «Last uns nun durch das magische Fernrohr gucken», sagte sie zu einem Gerüst tretend, auf dem ein metallenes Fernrohr angebracht war.
«Ich glaube wir warten da lieber bis Morgen», meinte Stephan, der darauf gekommen war, dass sie bei dieser Finsternis wohl nicht viel sehen würden. Moritz war gleicher Meinung, er schlug vor dass sie besser Morgen, wenn es hell wäre, nach der flimmernden Stadt Ausschau halten sollten. Prinzessin Apelda schaute sie fast ein wenig mitleidig an. «Ihr dürft unser Land und alles was in ihm ist, nicht mir euer Welt vergleichen. Habt ihr das nicht begriffen? Oder kann man etwa in euer Welt auf seinen Sternzeichen reiten?!» Sie lachte vergnügt auf. Die gefragten schüttelten bedauernd mit den Köpfen.
«Dieses Fernrohr hier», setzte Apelda fort, «ist ein magisches Fernrohr. Egal ob es Tag oder Nacht ist, kann man wenn man durchguckt, sehen was immer man sehen will. Sie beugte sich ganz nah zum Fernrohr herab und murmelte eindringliche Worte: « Magisches Fernrohr richte dich zur flimmernden Stadt!»
Man hörte ein leises quietschendes Geräusch, das dicke Metall Rohr hob sich, schwenkte in eine Himmels Richtung in der es verblieb. «Nun schaut schon durch», forderte Lulu die beiden Jungen auf. Moritz war der erste der sich vor das Fernrohr stellte und hindurch späte. «Siehst du was?», fragte Stephan.
«Kann man wohl sagen», antwortete sein Freund, der gespannt durch das Fernrohr lugte. «Ich sehe Häuser, sehen aus wie Fabriken, viele Straßen gehen zwischen ihnen her und überall stehen riesige Flimmernde Kästen rum.»
«Das was du siehst ist die flimmernde Stadt», erklärte Prinzessin Apelda. «All die flimmernden Kästen lassen sie von weiten so aussehen als würde sie flimmern. Deswegen nennt man sie auch die flimmernde Stadt. Und die Häuser sind, wie du ganz richtig vermutet hast, Fabriken, in denen der Flimmerherrscher seine Kästen herstellen lässt.»
«Ja,» fiel Lulu ein. «Die Kästen vor denen er die Menschenkinder bannt!» «Der Verbrecher», schimpfte Moritz.
«Lass mich sehen», drängte Stephan ungeduldig. Moritz trat nur ungern vom Fernrohr weg, da die mystische Stadt sein Interesse gefangen hatte. Als Stephan durch das Fernrohr guckte sah er genau das gleiche was Moritz beschrieben hatte. Aber etwas war Moritz entgangen. «Da ist ein Palast inmitten der Stadt mit ganz vielen...», Stephan konnte erst nicht ausmachen was es war... « mit ganz vielen Antennen und enormen Schüsseln auf dem Dach.»
«Schüsseln», fragte Moritz ungläubig. «Du musst dich irren!» «Doch da sind echt Schüsseln auf dem Dach», bestand Stephan auf seine Behauptung, «wie die Familie von Matthias auch eine auf dem Dach hat.»
«Stephan täuscht sich nicht», sagte Prinzessin Apelda. «In dem Palast den er beschreibt wohnt der Flimmerherrscher und auf dem Dach des Palastes sind wirklich Antennen und Schüsseln. Mein Vater glaubt, dass diese Geräte dafür da sind, um die Kästen die überall im Phantastischen Land aufgestellt sind, zum Flimmern zu bringen.»
Nachdem Moritz ein zweites mal durch das Fernrohr geschaut hatte und sich wie Stephan alles was er sah eingeprägt hatte, schrumpfte der wachsende Turm zu normaler Höhe und die vier gingen wieder die Wendeltreppe hinab, durch die vielen Gänge, zurück zum Saal. Moritz war richtig hinab geeilt, da er es gar nicht mehr erwarten konnte zum Kriegsrat, wie der König es vorhin bestimmt hatte, zusammenzukommen.
Der König und die Königin saßen immer noch am runden Tisch, betrübt dreinblickend. Sie hatten so die ganze Zeit, in der die Kinder auf dem Turm gewesen waren, in dunklen Gedanken vertieft, dagesessen. Als Moritz so lebhaft herein gesprungen kam, hinterdrein Stephan, Apelda und der kleine Lulu hellten sich ihre Gesichter ein wenig auf. Stephan und Moritz erzählten, am Tisch Platz nehmend, was sie durch das Fernrohr gesehen hatten. Tiefe Sorgenfalten traten auf der Stirn des Königs hervor. Indem er sich in seinem Stuhl mühsam aufrichtete begann er zu sprechen: «Nun da ihr die flimmernde Stadt gesehen habt, will ich euch berichten was man über sie und ihren Herrscher weiß. Niemand kann sagen von wo er herkommt und was die Ursache seines Erscheinens ist. Wir und alle andere Wesen im Phantastischen Land lebten sorglos dahin bevor er es ihn und seine flimmernde Stadt gab. Viele Menschenkinder besuchten uns. Sie durchstreiften das Phantastische Land und erlebten dabei unzählige Abenteuer. Dann aber wurden es mit der Zeit immer weniger, seltener und seltener war ein Menschenkind im Phantastischen Land auf Reisen. Irgendetwas schien sie in ihrer Welt zurückzuhalten, ganz und gar in Anspruch zu nehmen»
Der König stockte, man konnte ihm ansehen wie sehr er unter der ganzen Sache litt. Ein tiefer Seufzer entrang seiner Brust.
Seine Gemahlin nickte traurig mit dem Kopf. «Ja, die Menschenkinder verloren plötzlich das Interesse an unserem schönen Land.»
Stephan und Moritz, die aufmerksam zugehört hatten, entsannen sich den Kindern vor den Flimmernden Kästen, die sie in der großen Steppe angetroffen hatten. Voll Eifer begannen sie von ihnen zu erzählen.
Das ist es ja gerade», sagte der König ratlos. «Ihr seid nicht die ersten die von all den Menschen Kindern vor den flimmernden Kästen berichten. Als wir von ihnen Kunde bekamen, freuten wir uns schon, da wir glaubten, dass sie wieder zu uns gefunden hätten. Doch es ist», der König sprach nun leiser, deutlich konnte man Verzweiflung aus seiner Stimme heraushören, «als ob sie nicht wirklich da wären. Ihr habt sie mit eigenen Augen gesehen, vielleicht versteht ihr was ich meine. Stephan und Moritz wussten genau was der König zu sagen versuchte.
«Als ob sie verhext wären», fand Stephan.
«Ja», pflichtete Moritz bei, «als ob sie von einer bösen Kraft befallen wären.»
«Vielleicht sind sie ja wirklich verhext worden», mischte sich Lulu ins Gespräch. «Vielleicht ist der Flimmerherrscher ein mächtiger Zauberer der sie verzaubert hat.»
«Das er mächtig ist», entgegnete sein Vater, «und mit jedem Tag mächtiger wird, da gibt es keinen Zweifel. Ich schickte eine ausgewählte Schar meine treusten und Ergebensten Untertanen aus, um ihn Gefangen zu nehmen, als ich verstand dass er irgendwie mit den gebannten Kindern in Zusammenhang stehen musste, aber «... der König brach ab und senkte von tiefen Schmerz überkommen den Kopf.... «sie kehrten niemals zurück. Mit der Zeit verschwanden fast alle Wesen im Phantastischen Land.»
Die Königin schien mit den Tränen zu kämpfen. Unendliche Trauer spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder. «Wir sind die letzten die noch übrig sind», sagte sie mit zitternder Stimme. Prinzessin Apelda ging zu ihrer Mutter und lehnte sich tröstend gegen sie. Stephan und Moritz bewunderten das Mädchen immer mehr. Sie war nicht nur wunderschön, dachten die Jungen bei sich, sondern auch mutig. Beide wollten, dass sie verstand, dass es auch ihnen an Mut und Wille nicht fehlte. «Wir haben keine Angst vor ihm», behauptete Moritz und lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück.
Dabei schielte er zu Prinzessin Apelda rüber um zu sehen welchen Eindruck seine Worte auf sie gemacht hatten. «Morgen früh brechen wir auf!» Moritz hatte Stephan überhaupt nicht nach dessen Meinung gefragt, was aber auch gar nicht nötig gewesen war, da Stephan genauso entschlossen war wie sein Freund den Kampf gegen den Flimmerherrscher aufzunehmen.
Da dies nun abgemacht war, wurde über anderes geredet und nach und nach begann sich die Stimmung der kleinen Versammlung aufzuheitern. Der König und die Königin sagten bald gute Nacht und zogen sich zurück. Prinzessin Apelda und ihr kleiner Bruder aber hatten eine Menge Fragen, viel wollten sie von der Welt in der Stephan und Moritz lebten, wissen.
Ihre Gäste gaben bereitwillig Auskunft, es wurden viele lustige Vergleiche zwischen den beiden Welten angestellt. Lulu der kleine bunte Prinz fand, dass die Menschenwelt sich langweilig anhörte, als er vernahm, dass es ihn ihr nicht möglich sei auf den Sternzeichen am Himmel zu reiten, ja das es dort Nichtmahls einen Zitronenkuchen Baum gab.
Stephan und Moritz unterhielten sich noch bis in die späte Nacht hinein mit ihren neu gewonnenen Freunden, doch dann merkte Stephan, dass er mitten im Reden dabei war einzuschlafen, vor lauter Müdigkeit. Auch Moritz vermochte seine Augen kaum noch aufzuhalten. Es war ein sehr langer und erlebnisreicher Tag für die beiden gewesen. Prinzessin Apelda sah wie erschöpft sie waren. Zusammen mit Lulu geleitete sie Stephan und Moritz zum Gästezimmer, wünschte ihnen gute Nacht und verließ sie.
Es war ein sehr schönes Zimmer, dicke Wachskerzen verbreiteten goldgelbes Licht. Zwei wunderlich anzusehende Betten standen an der Wand , das eine hatte die Form eines auf dem Rücken liegenden Bären, der seine mächtigen Tatzen beschützend empor hielt , das andere ähnelte einem großem Adler zwischen dessen breite Flügeln ein Schlafplatz war.
«Ich schlafe auf dem Adler, ja?», Moritz gefiel dieses Bett viel besser als das gewöhnliche Holzbett was bei ihm Zuhause in seinem Zimmer stand. Stephan war Einverstanden. «Dann schlafe ich auf dem Bären Bett.»
Ein wenig ängstlich musterte er den hölzernen Bären und murmelte leise vor sich hin: «Wenn der nur nicht mitten in der Nacht, wenn ich ganz tief schlafe zum Leben erwacht, wie irgendwie alles hier im Phantastischen Land es tut, und mich als kleinen Nachtimbiss verschlingt.» Moritz erklomm den hölzernen Adler. «Willst du etwa lieber auf dem Rücken des Adlers schlafen? Stell dir vor, dass wir so laut schnarchen das er lebendig wird und mit mir über alle Berge davonfliegt! Vergnügt lachten die beiden Jungen bei dieser komischen Vorstellung bevor sie sich schnell in ihre Decken kuschelten.
Der Raum der Phantastischen Geschichten
Am nächsten Morgen frühstückten Stephan und Moritz
zusammen mit der Königsfamilie. Moritz wollte gleich nach dem Frühstück aufbrechen, doch der König bat sie noch ein wenig zu bleiben. «Bevor ihr uns verlässt», sagte er, «sollt ihr noch den Raum der Phantastischen Geschichten sehen.» Vielsagend zwinkerte er den beiden Jungen zu, als wollte er ihnen klar machen, dass es mit diesem Raum eine besondere Bewandtnis hatte.
«Den Raum der Phantastischen Geschichten», sagte Moritz, genüsslich sein Weißbrot kauend. «Warum heißt der so?»
Die Königin antwortete ihm lächelnd. «Im Raum der Phantastischen Geschichten, der tief unten im Herz des Schlosses liegt, werden alle Abenteuer, die die Menschenkinder in unserem Phantastischen Land erleben zu Papier gebracht.»
«So eine Art Bücherei also», fragte Stephan der gerade dabei war ein Ei fein säuberlich von seinen Schalen zu befreien.
«Ja das kann man so sagen», versetzte die Königin, «aber ich will nicht zu viel verraten!»
Als die beiden Jungen ihr Frühstück beendet hatten, führten Prinzessin Apelda und Lulu, Stephan und Moritz viele Treppen hinunter tief hinab in die Kellergewölbe des Schlosses.
Endlich kamen sie zu einer eisernen Tür auf der in goldener Schrift geschrieben stand:
Raum der Phantastischen Geschichten.
Die Tür öffnete sich von selber als man sich ihr näherte. Die Kinder traten ein. An den Wänden des Raumes in dem sie sich nun befanden, reckten sich bis zur Decke hoch; Bücherregale auf denen hunderte von Büchern gestaut waren. Dicke Bücher und kleine Bücher, dicht nebeneinander, manche waren dick wie ein Lexikon, andere hatten nur den Umfang eines dünnen Heftchens. Mitten im Raum standen viele hölzerne Tische auf denen aufgeschlagene Bücher lagen, deren Seiten noch weiß und unbeschrieben waren. Auf jedem der Tische stand ein Tintenfass in dem eine Feder steckte. Als Stephan und Moritz näher zu den Tischen herantraten, bemerkten sie, dass in einem der offenen Bücher, wie von einer unsichtbaren Hand geführt, eine Feder schrieb. Da saß niemand am Tisch, die Feder schrieb von selber, Zeile für Zeile kratzte sie über das Blatt, eine deutliche Schrift hinterlassend. Ab und zu tauchte sie in das Tintenfass, um benetzt mit frischer, schwarzer Tinte sogleich mit dem Beschriften der Seiten fortzusetzen. Stephan beugte sich neugierig ganz nah über das Buch und versuchte das geschriebene zu lesen. Es gelang ihm, da die Feder in der Schrift der Menschen schrieb, auch wenn die Buchstaben schnörkelig und altmodisch aussahen.
Laut las er: «Stephan beugte sich neugierig ganz nah über das Buch und versuchten das geschriebene zu lesen.»
«Sonst geht’s dir gut?» fragte Moritz als er Stephan so sprechen hörte und sah seinen Freund verblüfft an.
«Aber das steht da!» Stephan zeigte mit dem Finger auf die Zeile im Buch, die er gerade gelesen hatte. «Guck hier.» Prinzessin Apelda und ihr kleiner Bruder begannen laut zu lachen, als sich die verwirrten Gesichter der beiden Jungen sich ihnen zuwandten. «Na klar steht das da», erklärte Prinzessin Apelda vergnügt, es ist doch eure Geschichte!»
«Unsere Geschichte?» wiederholte Stephan verständnislos.
«Ja seht», der kleine Lulu lief zu ihnen hin, nahm das Buch vom Tisch und blätterte bis zur ersten Seite. Dort stand in großer geschnörkelter Schrift:
Stephan und Moritz im Phantastischen Land.
Die beiden Jungen stießen Ausrufe der Verwunderung aus.
«Das bedeutet ja», begann Stephan...»
«Das alles was ihr in unserem Phantastischen Land erlebt und erleben werdet in diesem Buch aufgeschrieben wird», unterbrach Lulu ihn ungeduldig.
«Und die anderen Bücher warum schreiben da die Federn nicht?»
«Natürlich weil ihr die einzigen Menschenkinder seit die im Phantastischen Land gerade ein Abenteuer erleben», antworte Lulu als wäre das ganz selbstverständlich und Stephan hätte gerade eine dumme Frage gestellt. «Klaro» kommentierte Stephan und himmelte mit den Augen, da er die Vorstellung das er und Moritz die Hauptpersonen in einem Buch waren, reichlich sonderbar fand. Moritz der nie über eine Sache lange nachdachte, grinste spitzbübisch und begann auf den Händen durch den Raum zu gehen. Mit vor Anstrengung rot angelaufenen Kopf rief er Stephan zu: «Lese was jetzt geschrieben steht!» Stephan las bevor die Tinte noch trocken war, was die Feder gerade geschrieben hatte: Und Moritz grinste verschwörerisch und begann...
Ja, es war wirklich so wie der kleine Lulu es gesagt hatte.
Alles was die beiden Jungen erlebten, sagten oder taten wurde gleichzeitig in diesem Buch niedergeschrieben. So war es mit allen Abenteuern die ein Menschenkind im Phantastischen Land erlebte. Im Raum der Phantastischen Geschichten wurden sie alle aufgeschrieben, sodass wer immer sie lesen wollte, sie nur in einem Bücherladen kaufen musste, oder in einer Bücherei ausleihen. Denn die Geschichten und Abenteurer fanden aus diesem Raum in die Welt der Menschen, wo sie in Druckereien ausgedruckt und zu Büchern zusammengefasst wurden, damit andere Kinder von ihnen und dem Phantastischen Land erfahren konnten.
Als Moritz genug auf den Händen herum balanciert war, sprang er wieder auf die Füße. Interessiert lief er an den Bücherregalen entlang und zog hie und da ein Buch heraus. Stephan ging ihm nach, zusammen stöberten sie in den verstaubten Büchern. Da waren viele wundersame Titel auf den Einbänden der Bücher zu lesen.
Wie z.B.: Das Abenteuer von dem Menschenkind das sich im Weltennebel verirrte.
Ein anderer Titel lautete:
Gisela im Phantastischen Land zu Besuch bei dem Volk der Wassernymphen.
«Gisela», sagte Moritz eifrig. Vielleicht ist das Gisela aus unserer Klasse?»
«Kann sein», meinte Stephan, «wenn wir sie wieder sehen müssen wir unbedingt fragen ob sie auch schon im Phantastischen Land gewesen ist.»
Als die beiden Jungen so von Bücherregal zu Bücherregal gingen, Prinzessin Apelda und der kleine bunte Prinz folgten ihnen auf Schritt und Tritt, entdeckten sie hinter einem der Bücherregale einen viereckigen Würfel von enormen Umfang.
Er war mindestens zwei Meter hoch und nicht minder breit. Verwundert gingen sie um ihn herum. Auf einer seiner vielen Seiten war ein Eingang in Form eines Tores. Über ihm stand ein einziges Wort: Start.
Auf der gegenüberliegenden Seite war ein zweites Tor, über dem das Wort Ziel zu lesen war. Bevor einer der beiden Jungen noch fragen konnten, war Prinzessin Apelda auch schon mit einer Erklärung zur Hand. «Dieser Würfel ist das Phantastische Spiel. Die beiden Eingänge sind der Anfang und das Ende des Spiels. Will man das Spiel spielen, muss man durch den Start Eingang gehen. Wenn man fertig gespielt hat, kommt man auf der gegenüberliegenden Seite, da wo Ziel steht, wieder aus dem Würfel heraus.»
«Das müssen wir machen», sagte Moritz unternehmungslustig. «Das wird sicherlich ein lustiges Spiel sein.» Vorsichtig lugte er in das Start Tor hinein, konnte aber nichts sehen, da dahinter alles dunkel war. Auch Stephan wollte gerne in den Würfel hineingehen. «Dürfen wir?», fragte er Prinzessin Apelda und Lulu um Erlaubnis, wusste er doch, dass sie hier ja nur Gäste waren. Prinzessin Apelda blickte Stephan auf einer Weise an, als wollte sie ihn vor einer unsichtbaren Gefahr warnen.
Stephan stutzte. «Ist es gefährlich?»
Moritz der drauf und dran war durch den Eingang zu gehen drehte sich ruckartig um. «Ist das Phantastische Spiel gefährlich, oder wie?!»
«Ich und mein Bruder haben es noch nie gespielt», gab das Mädchen zögernd zu, «nur Menschenkinder können es spielen. Aber wir wissen, dass ein paar von den Menschenkindern die durch das Start Tor hineingingen niemals auf den anderen Seite wieder hinaus kamen.»
Sind sie darin gestorben?!» Stephan wurde kreidebleich und trat hastig einige Schritte von dem Würfel weg.
«Aber nein», versicherte Prinzessin Apelda, «mein Vater sagt dass sie zu ihrer Welt zurückkehren mussten.»
«Ihr könnt ja die Spielanleitung lesen», schlug Lulu vor um eine Ecke des Würfels laufend, «die steht... hier.» Die anderen folgten ihm. Er stand vor einer Seite des Würfels wo vier rote Punkte in jeder der vier Ecken hervortraten. Diese Seite stellte die Würfelzahl vier da. Zwischen den Punkten stand etwas geschrieben. Stephan und Moritz begannen zu lesen:
Spielanleitung des Phantastischen Spieles.
Teilnehmerzahl unbegrenzt. Aber nur für Menschenkinder.
Gehst du durch das Eingangs Tor wirst du was erleben.
Phantasie brauchst du, viel Witz und Geist, sei nur mal nicht verwegen.
Klein bist du und der Würfel groß.
was ist des Rätsels Lösung bloß?
Über des Meeres Tiefen da trägt dich, nun ja... was ist es wohl...ein Floss?
Weist du es nicht, klein dein Phantasien Schatz,
zurück zur deiner grauen Welt du musst gehen.
War alles für die Katz?
Oh nein, denn wenn du gewinnst wirst du ein großer Herrscher werden.
Glaubst es nicht?
Oh es ist wahr!
Ist dann alles klar?
Spiel das Phantastische Spiel und du wirst selber sehen!
«Das nenne ich eine verrückte Spielanleitung». Stephan wusste nicht ganz was er von der Sache halten sollte.
Moritz las nochmals laut den zweitletzten Satz: «Wenn du gewinnst, wirst du ein großer Herrscher werden.» Man», rief er von stürmischen Eifer gepackt. «Wir müssen dieses Spiel unbedingt spielen, unbedingt! Was Stephan?! So schwierig kann es schon nicht sein. Wir gewinnen und dann werden wir große mächtige Herrscher!» Als er das sagte zuckte Prinzessin Apelda unmerklich zusammen. Ihre bunten Körperfarben erblassten, aber nur für einen kurzen Augenblick, dann kehrte ihre Farben Pracht wieder zurück. Diese kurze Äußerliche Veränderung war so schnell vorbei, dass weder Stephan noch Moritz sie wahrgenommen hatten. Der kleine Lulu aber schien es wohl bemerkt zu haben, seine kleine Hand suchte die Hand seiner Schwester. Sie schaute ergeben zu ihm hinab, er blickte fragend zu ihr hinauf. Die Geschwister verständigten sich in der lautlosen Sprache der Augen. Ihr Blick sprach zu ihm: Wir müssen die Menschenkinder gewähren lassen.
Und das mussten Prinzessin Apelda, ihr Bruder der kleine bunte Prinz und alle anderen Wesen des Phantastischen Landes. Denn wie der König es gestern bei der Begrüßung gesagt hatte. Sie, die Menschenkinder, waren die eigentlichen Herrscher des Phantastischen Landes. Niemand konnte ihnen sagen was sie tun oder lassen sollten. Niemand ihnen Grenzen setzen.
Stephan wurde von der ungestümen Begeisterung seines Freundes angesteckt. Herrscher zu sein, wonnig durchfuhr ihn der süße Gedanke, wie oft hatte er nicht davon geträumt! Befehlen können und in einem prachtvollen Schloss wohnen. Was konnte man sich mehr wünschen! «Ja, das machen wir», stimmte er zu. «Wartet ihr hier?», fragte er noch. Prinzessin Apelda nickte, es war kein freudiges Nicken, doch ihr stiller Protest fand keine Beachtung.
«Wir sehen uns auf der anderen Seite des Würfels wieder», rief Moritz, schon mit dem Rücken zu den zurückbleibenden, indem er sich anschickte das Eingangstor zu durchschreiten. Stephan, der ihm auf den Fersen folgte drehte sich noch mal halbwegs um: «Bis gleich!»
«Viel Spaß,» hörten sie Prinzessin Apelda ohne rechte Freude hinter ihnen her rufen. Der kleine Lulu winkte ihnen wehmütig nach, als wäre es ein Abschied für immer. Vielleicht wusste er tief in seinem Inneren das Stephan sich irrte und das sie sich nicht so bald wieder sehen würden.
Ein wunderliches Spiel
Die beiden Jungen hingegen gingen unbekümmert durch den Eingang des Würfels über dem das Wort Start geschrieben stand. Kaum waren sie über die Schwelle des Tores geschritten da wurde es völlig dunkel um sie herum und sie spürten wie sie den Boden unter den Füssen verloren.
Sie fielen im Sturzflug durch schwarze Finsternis, das ging alles so schnell vor sich, dass ihnen nicht mal Zeit blieb vor Schreck laut aufzuschreien. Schon landeten sie auf etwas Weichem, konnten aber nicht sagen, was das war und wo sie sich befanden. Kaum hatten sie sich von ihrem Schock erholt, als mitten in der sie umgebenden Dunkelheit ein Streichholz aufflammte, das den Docht einer in einer Lampe sich befindenden Kerze entzündete.
«Hey was ist los da» vernahmen sie eine feine Stimme. «Ist da jemand?» Die Lampe verbreitete ein schummriges Licht, sodass Stephan und Moritz sich orientieren konnten. Sie waren in einer Art Raum, der sehr niedrig war, schwarze Wände hatte und einen mit Schaumstoff ausgepolsterten Boden. Der, der gesprochen hatte und sich nun, die Lampe vor sich hin und her schwenkend, ihnen näherte war ein... ja was war es bloß? Es war kein Mensch auch wenn es ein Menschenkopf hatte aus dem zwei runde Augen hervorsahen. Als Körper hatte es nicht anderes als einen ovalen durchsichtigen Trichter, der unter dem Hals ganz schmal war und zum Boden nach breiter wurde. «Was bist du?» -stotterte Stephan, ungläubig dieses was war es bloß Wesen anstarrend, das wie ein Gespenst auf sie zu-schwebte.
«Was ich bin?» kam die lispelnde Antwort. «Nun ich bin eine Spielfigur. Seht ihr das nicht.» «Ja eine Spielfigur ist er», hörten sie plötzlich mehrere Stimmen um sich herum tuscheln. «Wir alle sind Spielfiguren des Phantastischen Spieles». Stephan und Moritz rappelten sich auf und schauten sich verblüfft um. Erst jetzt bemerkten sie, dass der mit der Lampe nicht der einzige Anwesende war, der außer ihnen im Raum noch zugegen war. Auf dem Boden um sie herum saßen oder standen noch vier andere solche Figuren. Sie sahen alle gleich aus, hatten die gleichen Trichter-haften, Arm und Beinlosen durchsichtigen Körper, das einzige was sie unterschied war die Farbe ihrer Köpfe. Die eine Spielfigur hatte einen knallroten Kopf, die andere einen gelben, die dritte einen grünen und die vierte einen blauen. Die, die saßen, benutzten jeder einen Würfel als Hocker. Überall stapelten sich Spielkarten von der Länge des halben Raumes. Stephan und Moritz trauten ihren Augen nicht. «Wenn das Spielfiguren sind, und das da worauf die sitzen Würfel , und das da Spielkarten», überlegte Moritz langsam laut vor sich hin, als hielt er es selber nicht für möglich , «dann soll das wohl heißen», er stockte, da ihm der nächste Satz den er hatte sagen wollen einfach zu ungeheuerlich erschien.
«Das wir uns in einer Spielschachtel befinden?!», brachte Stephan fassungslos über die Lippen. Er hatte es auf einer Weise gesagt als wäre es ein Witz.
«Kann nicht sein», entfuhr es Moritz dem vor Verwunderung der Mund offen blieb.
«Oh doch ganz richtig die Herren», die Spielfigur mit der Lampe, sie hatte übrigens einen schwarzen Kopf, stand nun ganz nahe bei ihnen. «Darf ich die Herren bekannt machen. «Ich bin Spielfigur Schwarz. Und dies sind meine Kollegen Spielfigur rot, gelb, grün und blau. «Es ist uns ein Vergnügen Eure Bekanntschaft zu machen».
«Angenehm» grinste Moritz, der anfing die Sache lustig zu finden, mit einem schiefen Lächeln beäugte er die Figuren.
«Ich bin Moritz und das ist mein Freund Stephan.»
Die Spielfigur machte eine ruckartige Verbeugung das man fürchten musste ihr dicker Ball von einem Kopf würde ihr abfallen. «Darf ich die Herren zu einer Runde Schummelgut einladen. Ich versichere den Herren es ist ein äußerst spaßiges Karten Spiel. Ein lustiger Zeitvertreib. Wir spielen es schon seit Ewigkeiten.» «Ja», lies sich Spielfigur grün von seinem Würfelhocker vernehmen, «seit dem wir fabriziert worden sind.» Auch Spielfigur blau, die damit beschäftigt war, ein Stoß Karten zu mischen, wollte ein Wörtchen dazutun: «Und das ist lange her. Mit irgendwas muss man sich ja hier die Zeit totschlagen.» Moritz und Stephan hatten darauf verständlicherweise nichts zu erwidern. «Also», plapperte die Figur mit dem schwarzen Kopf munter drauflos. «Darf es eine Partie Schummelgut sein? Damit keine Langeweile aufkommt?!» Bevor aber die beiden Jungen diese Einladung annehmen konnten begann ein Erdbeben um sie herum loszubrechen. Der ganze Raum neigte sich plötzlich schief zur Seite, dass sein Boden schräg abfiel und alles zu der gegenüberliegenden Wand kullerte. Auch Stephan und Moritz wurden durch die Luft geschleudert, sie fanden sich in einer Ecke wieder, inmitten von Karten, Würfeln und neben ihnen lag Spielfigur Schwarz und Spielfigur Gelb übereinander. «Aha», sagte die Gelbköpfige. «Die Herrschaften sind in der Laune mit uns zu spielen.» «Ja», pflichtete die andere bei. «Die Herrschaften haben uns vom Schrank geholt.»
Hin und her rollten sie alle noch ein paar Mal, von einer Seite zur anderen, dann waren der Raum und dessen Boden wieder im Lot. Doch damit war die Aufregung noch nicht vorbei. Die Decke erhob sich nämlich, wurde über ihnen hinweg gelüftet, gleißendes Tageslicht brach herein. Als Stephan und Moritz hochschauten sahen sie vier riesige Gesichter, die sich über die Spielschachtel beugten.
Die Gesichter eines Mannes, einer Frau, eines Mädchens und eines Jungens. Ihr Anblick erinnerte sie an den Riesen, den sie im Weltennebel getroffen hatten. Alles an diesen Gesichtern war riesig, das Mädchen hatte eine Haarspange um den Zopf von der Größe eines Fensters! Stephan und Moritz waren gerade mal so groß wie der Mittelfinger einer der beiden Riesen Kinder.
«Oh schaut einmal», rief das Mädchen, in der Schachtel Moritz und Stephan erblickend, «zwei neue Spielfiguren. Ich will diese Spielfigur haben.» Mit den neuen Spielfiguren waren die beiden Jungen gemeint die es nun bitterlich bereuten je in den Würfel hineingegangen zu sein. Wenn sie doch nur gewusst hätten, dass sie darin zu Spielfiguren werden würden!
Aber nun war es zu spät. Die enorme Hand des Mädchens kam zum Vorschein und bevor Moritz wusste wie ihm geschah, wurde er von zwei Fingern die ihm wie dicke Baumstämme vorkamen, aus der Schachtel empor gehoben und auf das Startfeld von der auf einem Tisch ausgebreiteten Spielunterlage gestellt. Moritz und zwei der Spielfiguren, Spielfigur Gelb und Schwarz erging es ebenso. Der Junge hatte sich Stephan als Spielfigur ausgewählt.
Auf der Spielunterlage des Phantastischen Spiels reihten sich viele Spielfelder hintereinander, die im Kreis vom Start zum Ziel gingen. Manche der Spielfelder waren Weiß, auf anderen stand in für Stephan und Moritz überaus groß erscheinender Schrift das Wort Abenteuer. Dann gab es auch noch welche auf denen ein Fragezeichen abgebildet war.
«Wünsche viel Glück den Herrn», sagte Spielfigur Schwarz die zusammen mit Spielfigur Gelb und den beiden Jungen auf dem Startfeld ihren vorgesehenen Platz eingenommen hatte.
«Möge der Beste gewinnen!» Stephan und Moritz hätten nur zu gerne erfahren welche Bedeutung die verschiedenen Felder hatten, doch zum Fragen blieb keine Zeit. Soeben flog ein Würfel aus des Riesen Mädchens Hand, schepperte über die halbe Spielunterlage und blieb schließlich mit der Würfelzahl vier nach oben zeigend, liegend. «Vier!», verkündigte das Mädchen, Moritz zwischen ihre Finger nehmend, und trug ihn, indem sie abzählte, über die ersten drei Felder. «Eins, zwei, drei, vier! Vorsichtig setzte sie Moritz nieder. «Weißes Feld!», fügte sie entzückt hinzu. Moritz den die luftige Tour den Atem geraubt hatte, strich sich erleichtert einen Schweißtropfen von der Stirn, den all diese Aufregenden Ereignisse hervorgebracht hatten. Oh noch mal Glück gehabt, dachte er bei sich. Weißes Feld puh! Hoffentlich landet Stephan auch auf einem solchen harmlosen weißen Feld. Aber Stephan kam nicht so glimpflich davon. Der Riesen Junge würfelte nämlich eine 6, Stephan flog in dessen Hand über Moritz hinweg, der ihm aufmunternd zuwinkte, und bekam auf einem Fragezeichen Feld wieder Boden unter den Füssen. «Rätselfeld!» rief der Riesen Junge belustigt. Stephan spürte ein leichtes Kribbeln in der Magengegend. Zuhause hatte er oft und gerne Brettspiele gespielt, aber selbst eine Spielfigur zu sein, oh, das war was ganz anderes! Die Lippen des Riesen Mannes, begannen sich auf und ab zu bewegen. «Das bedeutet, dass du eine Rätselkarte ziehen musst», hörte man ihn sagen. Der Riesen Junge zog eine von den auf dem Tisch aufgestapelten Karten und las laut vor:
«Rätsel. Hat viele Zweige, viele Blätter, ist kein Sträuchlein, auch kein Büschlein, wachsen Früchte drauf.
Hast du Hunger brauchst nur sagen; backe backe braue braue
Schmeckt sauer und ganz süß.
«Ja, dann mal viel Spaß beim lösen», murmelte Stephan vor sich hin, und setzte sich behaglich nieder. Plötzlich wurde ihm gewahr, das sämtliche Augenpaare der Riesen Familie auf ihn gerichtet waren, als erwarteten sie dass er und nicht der Junge dieses knifflige Rätsel lösen sollte. Warum glotzen mich die denn alle so blöd an wunderte er sich. Ich bin doch schon gezogen. Da rief Spielfigur Schwarz ein wenig verächtlich zu ihm rüber: «Sie wissen des Rätsels Lösung nicht, mein werter Kollege?! Ja so geht’s. An einem Tag gewinnt man am anderen scheidet man schon in der ersten Runde aus.» Stephan kapierte gar nichts. Das war nicht aufgrund der beträchtlichen Entfernung die zwischen dem Feld auf dem er stand und dem Startfeld herrschte, aus der Sicht einer Spielfigur betrachtet war die Spielunterlage so groß wie ein ganzes Fußballfeld, sondern weil er aus dem herüber gerufenen einfach nicht schlau draus wurde. Moritz aber, der schnell von Begriff war, brauchte nicht lange nachzudenken um die Bedeutung des gesagten zu verstehen. Er hatte nämlich gesehen wie der Riesen Junge ein zur Hälfte mit Sand angefülltes Zeitglas umgedreht hatte, dessen Inhalt nun dabei war, sich von dem oberen Behälter in den unteren zu leeren. Hastig drehte Moritz sich zu Stephan um und schrie aus Leibeskräften: «Stephan du musst das Rätsel lösen sonst scheidest du aus dem Spiel aus!» Stephan sprang wie vom Blitz getroffen vom Boden auf, Moritz verwirrt anschauend, der mit den Armen hektisch fuchtelnd, auf das sich stetig leerende Zeitglas aufmerksam machte. Erst im Anblick des Zeitglases ging Stephan die fürchterliche Wahrheit auf. Im Phantastischen Spiel waren es nicht die Spieler die die Aufgaben zu lösen hatten, sondern die Spielfiguren selber! «Lese es deiner Spielfigur noch mal vor», hörte man den Riesen Mann gutmütig brummen. «Die hat so kleine Ohren, hat’s wohl nicht vernommen.» Der Junge las die Rätselkarte ein zweites Mal:
«Hat viele Zweige, viele Blätter, ist kein Sträuchlein, auch kein Büschlein...
Stephan überlegte fieberhaft. Er überlegte so sehr das er meinte der Kopf müsst ihm zerspringen. Ruhe bewahren, ermahnte er sich. Aber wie konnte man ruhig sein wenn ein enormes Zeitglas von der Größe einer Scheune, dessen Sandkörner klotzige Fels Brocken glichen die eine nach der anderen nach unten plumpsten, so nah vor einem stand?! Moritz hätte seinem Freund gerne geholfen, doch auch er vermochte das Rätsel nicht zu lösen, außerdem wäre es ja gegen die Spielregeln gewesen. Spielfigur Schwarz und Spielfigur Gelb teilten offensichtlich nicht die Aufregung der beiden Jungen. Sie hatten sich in eine rege Unterhaltung verstrickt. «Ja, ja», sagte Spielfigur Schwarz. «Gleich am Anfang des Spieles auf einem Rätselfeld zu landen es ist kein gutes Omen.» «Nein», erwiderte Spielfigur Gelb, herzhaft gähnend , «ich erinnere mich, vor zwei Jahren da erging es mir ebenso in der ersten Runde, kam aber überraschend am Schluss als erster durchs Ziel.» «Was sie nicht sagen», bemerkte Spielfigur Schwarz und späte zu Stephan rüber. «Mit unserem Kollegen da drüben scheint es auf jeden Fall gleich aus zu sein. Es hat den Anschein als wäre der junge Herr äußerst ratlos. «Ja», stimmte Spielfigur Gelb zu, mit einem kritischen Blick auf das so gut wie abgelaufene Zeitglas und einem zweiten auf den wirklich sehr ratlos aussehenden Stephan auf dem Rätselfeld. «Der junge Herr wird wohl gleich ausscheiden.»
Der junge Herr, der ja niemand anderes war als Stephan, wollte aber nicht ausscheiden. Er ahnte sehr wohl was mit ihm geschehen würde wenn er des Rätsels Lösung nicht erraten würde, bevor die Zeit abgelaufen war. So stand es doch in der Spielanleitung des Phantastischen Spiels geschrieben:
Weist es nicht, klein dein Phantasien Schatz. Zurück zu deiner grauen Wirklichkeit du musst gehen.
Nur das nicht, dachte er bei sich. Er wollte dieses Phantastische Land nicht verlassen! In rasender Eile verglich Stephan im Inneren alle möglichen Dinge von seiner Welt mit dem Rätsel. Kein Strauch ist es, kein Busch, hat aber Zweige. Ein Baum! Aber ein Baum der backt und braut. Das gibt es nicht in der Menschen Welt. Also musste es etwas im Phantastischen Land sein, was konnte es nur sein?! Gerade rieselten die letzten Sandkörner durch die schmale Öffnung des Zeitglases in den unteren Behälter, da schoss es ihm durch den Kopf. Natürlich der Limonaden Kuchen Baum! Kaum hatte diese Erkenntnis in seinem Geiste Form gefasst da wurde das Fragezeichen unter ihm zu einem lachenden Gesicht. «Meine Spielfigur hat es erraten», frohlockte der Riesen Junge stolz, als wäre es sein Verdienst gewesen.
Denn die Lösung des Rätsels war wirklich der Limonaden Kuchen Baum. Stephan war ganz benommen vor Freude und glückseligem Triumph dass es ihm gelungen war die Rätselnuss zu knacken. Dann kam die Reihe an den riesigen Mann und die nicht minder riesige Frau. Zuerst würfelte der Mann, und setzte Spielfigur Schwarz, die ein furchtbar gelangweiltes Gesicht machte, auf ein weißes Feld. Die Spielfigur Gelb die von der Frau geführt wurde, landete wie auch Stephan auf einem Rätsel Feld.
«Was fliest und singt und kommt aus größter Höhe?»
Spielfigur Gelb lächelte geringschätzig. «Einfach! Es ist immer das gleiche. Dieses Rätsel bekomme ich schon zum tausendsten Mal. «Mein Herr», rief Spielfigur Schwarz über die Felder. «Da sagen sie es. Das man die Spielkarten auch nicht erneuern kann, ein Skandal wirklich ein Skandal!» «Ja zu wahr», versetzte Spielfigur Gelb, die das auslaufen des von neuen umgedrehten Zeitglases, nicht im mindestens zu bekümmern schien, «es ist eine peinliche Affäre.» Dann hörte man eine Weile nichts von ihr, bewegungslos stand sie da als wäre sie in Schlaf gefallen. «Mein werter Herr Kollege», brach schließlich Spielfigur Schwarz die drückende Stille, «die Antwort, wenn ich bitten darf. Lassen sie uns dieses Spiel hinter uns bringen.» «O ja, natürlich, die Antwort. Danke dass sie mich daran erinnern. Ich war im Begriff vor Langeweile einzuschlafen. Nun also, die Antwort auf dieses dämliche Rätsel lautet: Die singende Wasserfälle.»
Das Fragezeichen unter ihm verwandelte sich, so wie es bei Stephan der Fall gewesen war, in ein lachendes Gesicht, was bedeutete dass die Antwort richtig gewesen war. Nun war wieder das Mädchen an der Reihe. Moritz spannte jede Fasern seines Körpers, machte Dehnungen, als stände ihm ein Hundertmeterlauf Lauf bevor. Nun, ein Hundertmeterlauf Lauf wäre im Vergleich zu dem was ihn jetzt erwartete ein wahrer Spaß gewesen. Das Mädchen würfelte nämlich eine 1. Auf dem Feld neben Moritz stand in roter Schrift das Wort: Abenteuer. «Dann mal los» murmelte Moritz, der ja nie vor einem Abenteuer zurück schreckte. Das Mädchen nahm ihre Menschliche Spielfigur zwischen die Finger und setzte sie ein Feld weiter wieder ab. «Abenteuer Feld» rief sie erschrocken. «Oh jetzt tut mir meine niedliche Spielfigur aber leid! Das wird sie nie überleben», fügte sie etwas beängstigt hinzu. Als Moritz diese mitleidigen, Unheil verkündenden Worte hörte wurde ihm ganz heiß um die Ohren. Stephan schaute mitfühlend zu ihm herüber. «Das schaffst du schon», versuchte er seinem Freund Kraft zu geben. «Das schaffst du!»
Moritz wartete darauf dass etwas geschehen würde. Er wurde nicht lange auf die Folter gespannt. Das Feld unter ihm wurde, bevor er es sich versah, wie durch Zauber zu einer Vulkanischen Gebirgslandschaft. Aus kleinen Ausgüssen in der steinigen Erde quoll heißer stickiger Dampf, schaute man ihn sie hinein konnte man dort unten Rote Lava glühen sehen. Moritz fand es am sichersten sich nicht zu rühren, um nicht etwa durch ein Versehen in eines dieser Erdlöcher hineinzufallen. Mit einem mal hörte er ein unheimliches Rauschen über sich in der Luft was stetig lauter wurde. Als er Hochschaute sah er einen Furcht erregenden Drachen zielgerichtet auf sich zufliegen. Ein ganz grässlicher Drache war es, mit zwei Feuer speienden hässlichen Köpfen. In jedem der Köpfe saß ein boshaft glotzendes Auge. Aus den Nüstern der Drachen Mäuler schossen andauernd bläulich züngelnde Flämmchen. Moritz schaute sich in seiner Bedrängnis Hilfe suchend nach Stephan um, doch die hohen Berge die ihn umschlossen verhinderten jegliche Sicht. Wie unüberwindbare Mauern türmten sie sich um ihn auf. Näher und näher schoss der Drache durch die Luft auf den nun vor Angst zitternden Jungen zu. Schon war es Moritz als könnte er den heißen Atem des schrecklichen Untiers auf der Haut spüren. Ein einziger Gedanke erfüllte ihn: Ich brauche eine Rüstung die Feuer und Flamme widersteht und ein Schwert damit ich mich verteidigen kann! Aber wo um Himmels Willen sollte er das nun so in Windeseile herkriegen?! Da erinnerte sich Moritz wie er und Stephan bevor sie zum Phantastischen Land gekommen waren auf dem abbröckelnden Boden gestanden hatten der unter ihnen auseinander gefallen war. Sie hatten sich damals ein Flugzeug gewünscht und ihr Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Warum sollten denn auch jetzt nicht meine Wünsche in Erfüllung gehen, hoffte Moritz und schloss die Augen, stellte sich ganz fest vor das er eine Rüstung anhatte, und Schwert und Schild in den Händen. Als er die Augen wieder aufschlug sah er erst gar nichts außer zwei kleinen Schlitzen durch die er den Drachen nun ganz nahe über sich erblickte. Da verstand er das er einen Helm auf dem Kopf hatte und als er an sich herab schaute sah er das in einer blanken Rüstung steckte. Auch hielt er in der rechten Hand ein Schwert in der linken ein breites Schild.
Da landete der Drache. Alle seine Köpfe spien versengende Flammen über Moritz aus, unter deren unbändige Hitze er hätte umkommen müssen, wenn er ohne Schutz gewesen wäre.
«Ha, du erbärmliches Untier!», schrie der junge Ritter zornig, «deine Streichholz Flämmchen können mir nichts antun. Und jetzt mach ich dir den Garaus!» Doch als Moritz einen Schritt auf das Untier losgehen wollte, da vermochte er sich kaum in der schweren, steifen Rüstung zu bewegen. Schlimmer noch, es gelang ihm nur ansatzweise seinen Arm zu heben. Das Gewicht des schweren eisernen Schwertes in seiner Hand war zu viel für seinen schwachen Jungenarm. Wie er sich auch anstrengte, er war außerstande mit dem Schwert einen Stoß auszuführen, geschweige denn, mit ihm zu einem Hieb auszuholen. Erneut hüllte der Drache seinen Widersacher in eine weiß-gelbe Feuerwand. In der Rüstung begann es unangenehm heiß zu werden. Ein Held müsste ich sein, kam es Moritz in den Sinn, ein Held mit Riesen Kräften! Kaum hatte er das gedacht, vermochte er ohne die geringste Anstrengung seine Waffen zu meistern. Auch diese Wunschvorstellung war zur Wirklichkeit geworden. Mit zwei raschen Schritten war er beim Drachen und schlug ihm mit einem einzigen mächtigen Hieb seines scharfen Schwertes beide Köpfe ab. Im gleichen Augenblick verschwand der besiegte Drache, auch die Gebirgslandschaft löste sich in Luft auf. Moritz stand wieder auf der Spielunterlage des Phantastischen Spieles. Das riesige Mädchen über ihm verzog ihre dicken Lippen zu einen glücklichen Lächeln. «Meine Spielfigur hat das Abenteuer bestanden! Nicht nur süß ist sie sondern auch tapfer!» «Was war los?», erkundigte sich Stephan, seine Hände wie einen Trichter vor seinen Mund haltend um sich über die weite Entfernung verständlich zu machen. «Plötzlich verschwandest du hinter einem hohen Gebirge.» Moritz, der sich immer noch wie ein Held fühlte, nachdem er den Furchteinflößenden Drachen auf so mutiger Art getötet hatte, winkte ab. «Ach», rief er lässig zurück, «nichts Besonderes. Nur ein Drache der ein paar Köpfe zu viel hatte! Nen Kinderspiel.»
Für die nächsten zwei Spielrunden kamen weder Moritz noch Stephan auf ein Rätsel oder Abenteuer Feld, auch die beiden anderen Spielfiguren blieben verschont. Sie schienen sich aber kaum darum zu kümmern auf was für Felder sie landeten. Ab und zu riefen sie sich zur Unterhaltung Witze über die Felder zu, oder unterhielten sich über vergangene Spielrunden.
Dann aber würfelte der Junge der gerade dran war eine vier und Moritz der eilig die Felder abzählte teilte Stephan aufgeregt mit das er wieder auf einem Rätsel Feld landen würde. «Keine Angst», gab Stephan sich gelassen. «Ich bin Rätselexperte.» Das Rätsel, was der Riesen Junge diesmal von dem Karten Stapel zog, lautete:
Erst scheint die Sonne
dann bläst der Wind
dann wird alles Weiß
dann blühen die Apfelbäume.
So geschiehst in schneller Folge.
Der jung ist wird alt bevor er es durchgangen. Der alt ist wird es niemals mehr verlassen.
Gerade erst hatte der Junge das Zeitglas umgedreht da verkündigte Stephan schon in felsenfester Überzeugung: «Das Tal der vier Jahreszeiten!» Das Feld auf dem er stand wurde sofort zum lachenden Gesicht.
So spielten sie das Phantastische Spiel Runde für Runde, näher und näher rückten Stephan, Moritz und die zwei anderen Spielfiguren dem Ziel Feld. Die beiden Jungen hatten noch einige Abenteuer auszustehen und manch Rätsel zu lösen doch sie wussten ja nun das sie nur ihre Phantasie gebrauchen mussten um ein Abenteuer erfolgreich zu bewältigen und sich an das Erinnern was sie im Laufe ihres Aufenthalts im Phantastischen Land gesehen hatten um ein ihnen aufgegebenes Rätsel zu erraten. Einmal, Spielfigur Schwarz war gerade auf einem Abenteuer Feld zum Stehen gekommen, was nur ein gleichgültiges Schulterzucken in ihr hervorbrachte, geschah etwas was weder Stephan noch Moritz erwartet hatten. Und das ging so vor sich: Das Abenteuer bestand darin, das sich das Feld auf dem die Spielfigur stand, in ein tosendes, vom brausenden Wind aufgewühltem Meer verwandelte. Inmitten dieses schäumenden Hexenkessels, von hohen stürmischen Wellen umgeben, konnte man Spielfigur Schwarz hilflos in den zornigen Elementen herumtreiben sehen. Es war Augenscheinlich das die arme Spielfigur sich nur mit Not über Wasser halten konnte, da sie ja weder Arme noch Beine hatte, was ein Schwimmen unmöglich machte. Spielfigur Gelb die zufällig auf dem Feld neben Moritz stand, raunte ihm vertraulich zu: «Dies ist das Abenteuer des Höllen Meeres. Ein höchst unangenehmes ist es, glauben sie mir mein Herr, ich sage es aus Erfahrung.»
« Wie kann man sich draus retten, fragte Moritz, dem Spielfigur Schwarz, die die gewaltigen Wellen zu verschlingen drohten, leid tat. Spielfigur Gelb lächelte verschmitzt. «Darf ich nicht sagen. Wäre gegen die Spielregeln. Könnte ja sein, mein badender Kollege würde es erlauschen. Und Mogeln tun wir Spielfiguren nicht. Das wäre gegen unsere Berufsehre. Mein werter Kollege wird es schon wissen, es ist nicht zum ersten Mal das ihm dieses nasse Abenteuer widerfahren ist.» Moritz entsann sich an die Spielanleitung auf dem Würfel. Hatte da nicht irgendetwas von einem Floss gestanden?! Ja so musste es sein, grübelte er. Die Spielfigur muss sich ein Floss wünschen auf dem sie sich retten kann. Und da hatte er ganz Recht. Spielfigur Schwarz, im Höllen Meer schien es aber vergessen zu haben. Von Zeit zu Zeit wenn ihr Gesicht aus den hohen Fluten auftauchte, konnte man ihre aufgeregt kreischende Stimme hören: «Was war es noch mal was ich mir vorstellen muss!? War es ein Amboss?» Ein kolossaler Amboss schwamm neben der Spielfigur her, verschwand aber aufgrund seiner Schwere sofort in der Tiefe. «Falsch ein Amboss war es nicht. Was war es nur? Ah jetzt weiß ich es. Ein Sieb!» Ein großes Sieb wurde auf den Wellen sichtbar hatte aber so viele Löcher das es gleich wieder versank. «Oje», gluckste die Spielfigur auf dessen Gesicht nun ein äußerst verwirrter Ausdruck getreten war, «ich kann die verschiedenen Abenteuer nicht auseinander halten. Zu oft habe ich das phantastische Spiel gespielt!» Die merkwürdigsten Gegenstände tauchten noch im Höllen Meer auf, nur kein Floss, ja kurzum dieses Abenteuer hatte kein gutes Ende. Spielfigur Schwarz konnte sich nicht an das rettende Floss entsinnen und versank zusammen mit dem Streichholz, das, das letzte seiner Vorstellungen gewesen war, in den blauen Fluten. Im nächsten Augenblick war vom Meer nichts mehr zu sehen, Spielfigur Schwarz blieb zurück, vor Wasser tropfend. Verlegen blinzelte sie zu Stephan rüber, der nur zwei Felder neben ihr stand.
«Nun ja kann mal passieren», nuschelte sie und schüttelte sich wie ein Hund, das die Wassertropfen nur so um sie herum spritzten. «Oh, machen sie sich keine Vorwürfe», versuchte der höfliche Junge die unglückliche Spielfigur zu trösten, «sie sind doch wirklich weit gekommen.»
«Sehr nett von ihnen mein Herr «, erwiderte die durchnässte Spielfigur. «Sie sind nicht Schadenfroh. Das ist wahrlich sehr rücksichtsvoll von ihnen.» Das war das letzte was Stephan von ihr hörte. Die Hand des Riesen Mannes ergriff sie und warf sie mit schneller Bewegung zurück in die Spielschachtel. «Meine Spielfigur ist Ausgeschieden», war sein gleichgültiger Kommentar. Spielrunde für Spielrunde näherten sich Stephan, Moritz und die verbliebene Spielfigur dem Ende des phantastischen Spiels. Schon sah es so aus als würde Spielfigur Gelb zuerst das Ziel Feld erreichen, da sie nach drei gewürfelten Sechsern erst Stephan, eine Runde später auch Moritz überholt hatte.
Bald war sie nur noch zwei Felder von Ziel entfernt. Ihre beiden Konkurrenten waren vier Felder hinter ihr, der Zufall hatte sie auf dem gleichen Spielfeld landen lassen.
«Es sieht so aus meine Herren», sagte Spielfigur Gelb, indem sie sich zu den beiden Jungen umdrehte, «mir wird das beneidenswerte Glück zuteil, zuerst durchs Ziel zu gehen. Ich hoffe sie ärgert das nicht allzu sehr.»
Zähne knirschend flüsterte Stephan Moritz zu: «Die Riesen Frau ist dran. Wenn die jetzt eine zwei oder mehr, würfelt...» «drücken wir die Daumen das sie es nicht tut», flüsterte sein Freund unter vorgehaltener Hand zurück. Laut scheppernd rollte der Würfel über den Tisch. «Jipi» freuten sich die beiden Jungen leise. «Eine eins!» Noch zuversichtlicher wurden sie als sie bemerkten das das Feld auf dem Spielfigur Gelb landen würde ein Rätsel Feld war. Gespannt mitverfolgten die beiden wie die Riesen Frau eine Rätselkarte vom Stapel nahm.
«Sag dein Ziel, den Weg wird er dir weisen.
Eine Hand schickt dich mit Fingerzeig auf weite Reisen.»
Stephan und Moritz wussten sofort was die Lösung des Rätsels war. Verstohlen warfen sie sich vielsagende Blicke zu. «Der magische Wegweiser», raunte Stephan Moritz ins Ohr. Moritz nickte. «Ja, das muss es sein, ob es Spielfigur Gelb wohl weiss?»
«Ha, welche einfachen Rätsel mir immer zugeteilt werden!» Spielfigur Gelb, verzog sein Gesicht zur geringschätzigen Fratze. «Oh so furchtbar einfach. Dieses Rätsel ist mir altbekannt. Das letzte Mal als ich am phantastischen Spiel teilnahm, ich kam ganz nebenbei bemerkt auf einen tollen zweiten Platz, wurde mir dieses Rätsel ebenfalls gestellt. Glauben sie mir ich könnte sogar im Schlaf drauf antworten. Ist ja nicht weiter verwunderlich wenn man daran denkt das...», so begann ein schier unendlicher Redestrom. Spielfigur Gelb vertiefte sich so sehr in sein Geplapper das sie die Zeituhr völlig vergaß, dessen Sand unaufhörlich ablief. Stephan und Moritz starrten gebannt von der Zeituhr zu der schwatzenden Spielfigur hin und her. «Also, nachdem ich meine Gründe so gründlich dargelegt habe meine Herren», war Spielfigur Gelb gerade mit ernster Miene dabei zu erklären, «werden sie sicherlich nachvollziehen können das ich eine Klage über die Einfachheit und Abwechslungslosigkeit diese Spiels bei der Obrigkeit einreichen werde mit dem Vorschlag...» Welch ein Vorschlag Spielfigur Gelb gedachte zu machen, erfuhren Stephan und Moritz nie. Denn bevor sie den Satz vollendet hatte war die Zeituhr abgelaufen. Und somit wurde der unaufmerksamen Spielfigur dasselbe Schicksal zu teil wie ihrer im Meer versoffenen Kollegin. Mit einem Wohlgezielten Wurf landete auch sie zurück in der Spielschachtel. Die zwei auf der Spielunterlage übrig gebliebenen Jungen aber, kamen bei der nächsten Würfelrunde wohlbehalten ins Ziel. Im selben Moment als sie von den enormen Händen der Riesen Kinder auf dem Zielfeld niedergesetzt worden waren, wurde plötzlich alles zappenduster um sie herum. Kein Laut war zu hören, alles war totenstill. Schon glaubten die zwei menschlichen Spielfiguren dass sie wieder in der Spielschachtel wären, da wurde ihnen ein grünes blinkendes Tor gewahr, das direkt vor ihnen aus der Dunkelheit aufgetaucht war. Mit Leuchtschrift stand darüber geschrieben: Ziel.
«Das ist der Ausgang aus dem Würfel», rief Moritz vergnügt, von Stephan gefolgt auf das Tor zulaufend. Kaum waren sie am Tor angelangt da erscholl eine eindringliche Stimme hinter ihnen aus der Dunkelheit.
«Halt meine jungen Freunde, man wird es doch nicht so eilig haben?!»
Stephan und Moritz machen eine furchtbare Entdeckung
Die so angeredeten drehten sich um. Diese Stimme kam ihnen wahrlich bekannt vor! Und richtig. Vor ihnen stand Kelum das Phantastische Wesen das auch jetzt, wie schon als sie ihm zum ersten Mal begegnet waren, andauernd Aussehen und Gestalt veränderte. Deutlich konnten sie es aus der Dunkelheit leuchten sehen. «Du?», sagten Stephan und Moritz erstaunt wie aus einem Munde. «Ja freut ihr euch denn nicht mich wieder zu sehen?» Kelum grinste sie schelmisch an und nahm die Erscheinung eines Clowns an allerlei unsinnige Hampeleien machend. Doch schon im nächsten Augenblick hatte es die schmucke Gestalt einer schönen Dame angenommen die sich mit einem Fächer Luft zuwedelte. «Doch, doch», stotterten die beiden Jungen, die wohl nicht erwartet hatten, das Phantastische Wesen je wieder zu sehen. «Ihr habt das Phantastische Spiel vortrefflich gemeistert», lobte sie Kelum. «Euch fehlt es nicht an Phantasie, meine lieben. Seid glücklich drüber. Denn Phantasie ist ein großer Schatz der sich niemals leert. Nach Herzens Lust kann man aus ihm schöpfen. Ihr erinnert Euch an die Spielanleitung des Phantastischen Spiels?» Die gefragten nickten eifrig. «Werden wir jetzt mächtige Herrscher werden», Moritz Augen glühten förmlich aus der Dunkelheit, wie Kinder Augen vor dem Weihnachtsbaum.
Da verwandelte sich Kelum in eine alte Wahrsagerin, deren von weißem Haar eingerahmtes Gesicht, von Altertum ganz runzlig und fleckig war. Sitzend vor einem kleinen Tisch machte sie sich daran einen Stapel Karten auszulegen. «Tretet näher», sagte die alte geheimnisvoll, mit einem beseelten Blick auf die beiden Jungen. «Tretet ganz nah heran damit ich euch eure Zukunft vorhersagen kann.» Stephan und Moritz taten wie ihnen geheißen. Atemlos sahen sie zu wie die Wahrsagerin eine Karte nach der anderen vor sich auf den Tisch legte. «Aha», krächzte die alte mit schriller Stimme, indem sie mit ihrem langen knochigen Zeigefinger auf einer der umgedrehten Karten wies. Es war auf ihr ein junger König zu sehen der auf einem steinernen Thron saß. In der einen Hand hielt er ein goldenes Zepter, sein Kopf war von einer mit Smaragden und Diamanten besetzten Krone gekrönt. Gekleidet war der hohe Herrscher in einer blanken Rüstung, um seine Schultern wallte ein roter Samtmantel. Auf der Karte stand ganz unten das Wort Herrscher. Neben dieser Karte deckte die Wahrsagerin noch zwei weitere auf. Auf der zweiten Karte war ein Jüngling abgebildet der mit verbundenen Augen auf einen Abgrund zuging. Das Wort Trug stand auf ihr geschrieben. Auf der dritten Karte sah man einen stolzen Ritter der ein Schwert hocherhoben in der Hand hielt, auf einem weißen Pferd stürmte er dahin, als ritte er in die Schlacht. Auf dieser Karte war keine Schrift. «Was bedeuten diese Karten?» erkundigte sich Stephan.
«Nun», antworte die Wahrsagerin und schaute die zwei an ihrem Tisch stehenden Jungen aus schwarzen wissenden Augen ernst an.
«Die Karte mit dem König sagt voraus das einer von Euch zu einem mächtigen Herrscher werden wird, Herrscher über ein großen Land. Die zweite Karte, mit dem Jüngling dessen Augen verbunden sind, ist eine Warnung. Last euch nicht vom Trug blenden, sonst... «, die alte verstummte. Über ihr faltiges Gesicht, aus dem soviel Weisheit sprach, huschte ein dunkler Schatten hinweg.
«Und die dritte», drängte Moritz ungeduldig, den der auf ihr so stolz in den Kampf reitende Ritter besonders gefallen hatte.
«Die dritte Karte», sagte die Wahrsagerin wie zu sich selbst, und starrte Gedankenverloren in die Dunkelheit, als könnte sie dort die Zukunft sehen, «die dritte Karte bedeutet das einem von Euch ein schwerer Kampf bevorsteht. Ob er diesen Kampf gewinnt oder nicht, davon hängt alles ab.» Das waren die letzten Worte der Alten Frau. Wie ein Spuk verschwand sie samt Tisch und Karten.
Die beiden Jungen waren wieder allein. Mit einem mal hörten sie erneut die Stimme Kelums wie von allen Seiten aus der Finsternis mahnen: «Vergesst nie, die Phantasie ist eure stärkste Waffe, doch verwendet sie nie für die eigene Verfänglichkeit!» Lange hallte dieser Satz noch in der Dunkelheit umher bevor die Stille sich wieder drückend um die beiden Jungen Schloss.
Sie blieben noch eine Weile in Gedanken vertieft stehen, den Worten Kelums nachsinnend, dann gingen die beiden Jungen schnellen Schrittes durch das leuchtende Tor, die dunkle Prophezeiung der Wahrsagerin hatte eine panische Furcht in ihnen erweckt.
Als Stephan und Moritz durch das Tor hindurch getreten waren, standen sie wieder vor dem großen Würfel zwischen den Bücherregalen im Raum der phantastischen Geschichten.
Doch umsonst schauten sie sich nach Prinzessin Apelda und ihrem Bruder den kleinen Lulu um, die ihnen ja versprochen hatten zu warten. Mehrere Male umrundeten sie den Würfel, stöberten hinter jeder der vielen Bücherregale, doch ihr Suchen war vergebens.
«Die hatten sicherlich keine Lust gehabt auf uns zu warten und sind schon nach oben gegangen», mutmaßte Moritz. Stephan wollte das nicht einleuchten. «Aber warum, wir waren doch nicht lange weg. Wenn ich an das was wir im Würfel erlebt haben zurückdenke, kommt es mir so vor, als hätte das höchstens eine halbe Stunde gedauert.» «Mir geht es genauso», sagte Moritz.
Es hatte einen guten Grund warum die beiden so empfanden. Denn im Würfel wo jeder der durch seinen Eingang geht zu einer Spielfigur wird vergisst man die Zeit. Sosehr wird man von Spieleifer gepackt, von einem unersättlichen Spielrausch überkommen, das man das Verstreichen der Zeit nicht mehr wahrnimmt. Das Phantastische Spiel konnte Tage dauern, ja sogar Wochen, den Spielenden kam die gesamte Spielzeit wie Minuten vor.
Auch hatte man kein Bedürfnis nach Nahrung oder Schlaf solange man das Phantastische Spiel spielte. Deswegen wusste keiner der beiden dass sie in Wirklichkeit viele Tage in dem magischen Würfel zugebracht hatten.
Als sie zwischen den Tischen in der Mitte des Raumes hindurchgingen, auf denen all die Bücher lagen, warfen sie einen Blick in das Buch das Lulu ihnen gezeigt hatte.
Sie mussten laut lachen, die von unsichtbarer Hand geführte Feder hatte nämlich alles aufgeschrieben was Stephan und Moritz gerade im Würfel erlebt hatten! «Irre, einfach irre», fand Moritz. Doch diese wunderliche Feder konnte sie nicht lange bei den Büchern aufhalten, zu sehr drängte es sie zu wissen wo Prinzessin Apelda und Lulu abgeblieben waren. Schon bald verließen sie den Raum der Phantastischen Geschichten und erklommen eilig die vielen Treppen. Als sie den großen Saal betraten war niemand zu sehen. Zu ihrem Schrecken entdeckten sie das einige der Stühle die um die goldene Tafel gestanden hatten, nun umgeworfen am Boden lagen, als wäre man hastig von ihnen aufgestanden. Der rote Samtteppich der zu den beiden Thronen führte war in wirrer Unordnung, umgeschlagen und zerknittert lag er da. Sogar mehrere Statuen an den Wänden waren der Länge nach hingestürzt. Der ganze Saal war ein Bild der Verwüstung. Moritz und Stephan schauten sich bestürzt an. Wussten gar nicht was das zu bedeuten hatte. Moritz meinte schon nach kurzem Nachdenken den Schuldigen für diese unliebsame Überraschung zu kennen. Ein zorniger Schrei entrang seiner Kehle. «Der Flimmerherrscher war es», brüllte er außer sich. «Er hat sie alle gefangen genommen!» Stephan überkam eine lähmende Angst. «Oder sogar getötet», flüsterte er leise. In seinem Inneren sah er die ganze Königsfamilie wie sie tot am Boden lag. All ihre bunten strahlenden Körper Farben waren erloschen, grau und blass waren nun ihre vom Tode gezeichneten Gesichter. Diese schreckliche Vorstellung, zwang ihn, von tiefster Verzweiflung ergriffen, in die Knie. Ach, dachte er bei sich, wir hätten niemals in den Würfel hineingehen sollen! Es war falsch gewesen die Königsfamilie zu verlassen. Ja, es war alles unsere Schuld!
Auch Moritz machte sich bittere Vorwürfe. Doch er wurde nicht von Verzweiflung gepackt wie sein Freund. Nur Wütend, fürchterlich Wütend. Wie ein wahnsinniger begann er durch das ganze Schloss zu rennen, durch alle Räume, alle die vielen Treppen hoch und runter, bis er vor Seitenstechen kaum noch laufen konnte. Doch er zwang sich weiter, in der Hoffnung er würde den König, die Königin, den kleinen bunten Prinz Lulu und Prinzessin Apelda doch noch irgendwo finden. Sein Suchen war erfolglos. Niedergeschlagen und erschöpft kehrte er zu Stephan zurück, der immer noch ganz fassungslos auf dem Boden sitzend vor sich hinstarrte. Stephan merkte kaum, dass Moritz sich neben ihn setzte. Lange harrten sie so ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Es waren traurige Gedanken und Erwägungen die sie beschäftigten.
Gerade eben noch, im Raum der Phantastischen Geschichten hatten sie unbekümmert gelacht über die magische Feder die alles aufschrieb was die beiden Jungen erlebten.
War ihnen bisher doch alles wie ein spaßiges Abenteuer vorgekommen, eine Art Vergnügungsreise durch eine wunderliche Welt in der alles was geschah nicht wirklich war. Wie oft hatten sie nicht keck behauptet dass sie den Flimmerherrscher bekämpfen wollten, doch hatten sie das wirklich gemeint?
Stephan und Moritz mussten sich nun eingestehen das sie den Flimmerherrscher eigentlich nie richtig ernst genommen hatten, im Glaube ihn würde es nicht geben, er wäre nur einer der Phantasie Gestalten im Phantastischen Land. Nun ging ihnen in aller Klarheit auf, wie sehr sie sich geirrt hatten.
«Was sollen wir jetzt tun?» fragte Stephan schließlich, erhielt aber keine Antwort. Moritz wusste auch nicht weiter.
Plötzlich hörten sie ein schabendes Geräusch von der ihnen gegenüberliegenden Wand her. Hastig blickten sie auf und sahen zu ihrer Verblüffung wie ein großes dort hängendes Bild knarrend zur Seite schwenkte und eine zierliche Gestalt aus der entstehenden Öffnung herabstieg. «Prinzessin Apelda!» - schrien die beiden Jungen vom Boden aufspringend, groß war ihre Freude das Mädchen wieder zu sehen.
Denn es war wirklich Prinzessin Apelda die sich aus der engen Öffnung zwängte. Sie war beinah so blass im Gesicht, wie Stephan sie sich, in der Annahme sie wäre tot, vorgestellt hatte. Ihr Haar war nun rabenschwarz, so auch ihre Kleider, als wären es Trauerkleider, verschwunden war alle ihre bunte leuchtende Farbenpracht. Ihre Äußerliche Erscheinung spiegelte auch jetzt ihren Gemütszustand wieder.
Als sie langsam, mit unsicheren Schritten näher kam, konnten Stephan und Moritz sehen dass ihr Gesicht ganz aufgelöst war von nassen Tränen.
Die drei Kinder eilten auf einander zu, in unbändiger Wiedersehensfreude
fielen sie sich in die Arme. «Berichte was vorgefallen ist», drängte Moritz dessen Wagemut beim Anblick des Verlorengeglaubten Mädchens wieder erwacht war. Auch Stephan war ungeduldig zu erfahren was in ihrer Abwesenheit im Schloss passiert war. «Ja, du musst uns alles erzählen», bat er. Die drei setzten sich auf den Boden und Prinzessin Apelda begann zu berichten. Tapfer gegen die sich ihr andauernd aufdrängenden Tränen kämpfend, erzählte sie, was sich, nachdem Moritz und Stephan in den Würfel gegangen waren, zugetragen hatte. Wie sie und ihr Bruder noch lange unten im Raum der Phantastischen Geschichten auf die Rückkehr ihrer Gäste gewartet hatten. Dann aber waren sie hoch zu ihren Eltern in den Saal gegangen um zu Abend zu essen. Mitten in der Mahlzeit hatte man plötzlich ein lautes Gezänk und Rabalder vor dem Schloss vernehmen können. Die ganze Familie war an die Fenster gestürzt und ein schrecklicher Anblick hatte sich ihnen geboten. Der Platz vor dem Schloss war von kreischenden, tummelnden Affen bevölkert gewesen, die eine große Anzahl von Flimmernden Kästen hinter sich hergezogen hatten. Manche der sich wie Tollwütige gebärdenden Affen, hatten anstatt Kästen, längliche Schläuche mit sich rum geschleppt. «Schläuche?» wunderte sich Stephan. «Was für Schläuche?» Prinzessin Apelda hielt sich die Hände vors Gesicht, die Erinnerung an all das Furchtbare was geschehen war wurde fast zu viel für sie. «Oh!» rief sie voll innigem Schmerz, wenn wir das nur gewusst hätten, dann wäre Vater und Mutter niemals raus gegangen. «Deine Eltern sind doch nicht etwa raus gegangen», fragte Moritz beunruhigt. «Doch», bejahte die Prinzessin. Sie wisperte nun mehr als das sie sprach. Kaum vermochte sie mit dem Bericht fortzusetzen. «Wir wussten ja nicht das die Affen uns was antun würden. Das Affenvolk ist doch eigentlich harmlos. «Aber sie dienen dem Flimmerherrscher», wendete Stephan ein. «Ja», nickte Prinzessin Apelda, «doch mein Vater fürchtete sich nicht vor ihnen. Seite an Seite gingen meine Eltern hinaus um die Affen nach ihrem Begehren zu fragen. Und dann... dann», das Mädchen sprach nicht weiter, von unendlicher Verzweiflung überkommen schloss sie die Augen.
Die Jungen erschraken. «Was passierte dann?» Prinzessin Apelda versuchte zu antworten, doch die Worte wollten nicht heraus.
Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Man konnte ihr ansehen wie sie mit sich ringen musste um nicht die Beherrschung zu verlieren. Im Flüsterton kam es schließlich über ihre bleichen Lippen: «Die Affen saugten Vater und Mutter durch die Schläuche.» «Durch die Schläuche?» - fragte Moritz verständnislos. «Ja», stöhnte Prinzessin Apelda gequält und begann bitterlich zu weinen. Stephan legte tröstend einen Arm um ihre Schultern.
Das Mädchen faste sich. Wischte sich mit dem Ärmel über die feuchten Augen. «Sie hielten die Schläuche ganz nah an meine Eltern. Und dann waren Vater und Mutter mit einem mal verschwunden. Lulu mein kleiner mutiger Bruder lief, bevor ich ihn aufhalten konnte hinaus und drohte mit gezücktem Schwert den gemeinen Affen. Doch sie kletterten nur ganz geschwind auf die Bäume und auf das Dach des Schlosses. Bald darauf hüpften sie alle auf einmal wieder hinunter und umringten meinen wild um sich schlagenden Bruder. Und dann war auch er plötzlich weg!»
Prinzessin Apelda saß in sich zusammengesunken da, dicke Tränen rollten ihr die Wangen hinab.
«Ich wollte auch raus laufen», setzte sie eilig fort, «aber da erinnerte ich mich an euch. Ich musste euch doch berichten was geschehen war, ihr seid die einzigen die meine Eltern und meinen Bruder retten können. Darum versteckte ich mich in dem Loch in der Wand hinter dem Bild. Es ist das Geheimversteck des Schlosses.» «Das war klug von dir», lobte Stephan. Moritz dem die Zornesröte ins Gesicht gestiegen war, sprang vom Boden auf, riss ein Schwert das an der Wand hang aus seiner Befestigung und stieß es mit voller Wucht in den hölzernen Boden. Seine Augen blitzten, sein Mund war ganz schmal vor wilder Entschlossenheit.
«Ich schwöre hiermit», verkündigte er mit feierlicher Stimme, «dass ich nicht ruhen werde bis ich deine Eltern und deinen Bruder befreit habe!»
Stephan erhob sich gleichfalls und legte seine Hände über die seines Freundes auf dem Schwertknauf. «Auch ich schwöre das», sagte er ebenso feierlich und nicht weniger entschlossen als Moritz.
Prinzessin Apelda konnte den beiden Jungen ansehen dass dies keine leeren Reden waren. Zum ersten Mal seit ihrem Wiedersehen ging ein sanftes Lächeln über ihre schönen, nun so ernsten Gesichtszüge.
«Ich danke euch», sagte sie bewegt.
Nachdem die drei sich durch eine tüchtige Mahlzeit gestärkt hatten, wurde einheitlich beschlossen, dass sie sich am nächsten Morgen gemeinsam zur flimmernden Stadt aufmachen würden.
In dieser Nacht schliefen sie alle im gleichen Raum, da Prinzessin Apelda nicht alleine sein wollte.
Eine lange Reise beginnt
Kaum war ein neuer Tag angebrochen verließen die drei
Kinder das Schloss, dessen viele leere und einsame Räume beklemmend auf sie wirkten.
Vor dem Schloss standen immer noch einige der Kästen, die die Affen, nachdem sie alles im Schloss auf den Kopf gestellt und schließlich wieder abgezogen waren, zurück gelassen hatten.
Auf den Bildschirmen flimmerte es schwarz weiß. Die drei Kinder gingen mit demonstrativ zur Seite gewendeten Köpfen an ihnen vorbei, gönnten den verhassten Kästen keinen Blick. Von den Affen war nichts zu entdecken, die einzige Spur die diese schlechte Bande hinterlassen hatten, waren die Abdrücke vieler Räder die sich den ganzen Hügel hinab zogen.
Unten bei der Brücke die über das Tal zum Zwergen Berg führte, schlug Prinzessin Apelda , die die Führung übernommen hatte, da sie sich ja am besten von den dreien im Phantastischen Land auskannte, einen schmalen Pfad ein der sich bis in weite Ferne durch eine wunderschöne, blühende Landschaft schlängelte. Grüne, üppig von bunten Blumen bedeckte Wiesen und große Wälder erstreckten sich vor ihnen, soweit das Auge reichte. Schmale Flüsschen, deren Glucksen und Quirlen man vernehmen konnte, wenn man sich ihnen näherte, kreuzte ab und zu der Kinder Weg.
Das klare blaue Wasser schimmerte hell in der Morgensonne die am Horizont aufging und den Himmel erstrahlen lies.
Der Tag war noch jung, die drei Wanderer schienen die einzigen zu sein, die zu so früher Morgenstunde unterwegs waren. Kein anderes Lebewesen war weit und breit zu sehen. Stephan und Moritz wunderten sich darüber. «Wie ausgestorben alles ist», bemerkte Moritz, dem die Stille unangenehm war. Auch Stephan war diese völlige Einsamkeit nicht ganz geheuer, ab und zu blickte er sich misstrauisch um, als fürchte er dass irgendwo eine versteckte Gefahr auf sie lauerte.
Prinzessin Apelda erzählte, das bevor der Flimmerherrscher begonnen hatte sein Unwesen zu treiben, das Phantastische Land voll gewesen war mit den vielfältigsten Tieren und Phantasie Wesen.
Einmal kamen sie an einem kleinen Dörflein vorbei, mit roten Backstein Häusern, deren Dächern von wucherndem grünem Grass bedeckt waren. Aber auch hier war alles ganz still und leblos. Aus den vielen Schornsteinen der Häusern stieg kein Rauch empor, auf den steinernen Bänken saß niemand gemütlich schwatzend, wie das wohl der Fall gewesen war als dieses Dörflein noch bewohnt gewesen war. Nur ein kleiner Vogel hüpfte herum, in der Erde nach Würmern pickend.
«Hier», sagte Prinzessin Apelda mit leiser Stimme, «wohnte früher das lustige Zigeuner Volk. Und Sybille meine beste Freundin. Sie war oft bei mir im Schloss zu Besuch. Nun habe ich sie schon seit langen nicht mehr gesehen. Ununterbrochen begann Prinzessin Apelda von all den anderen Phantasie Wesen zu erzählen die sie gekannt hatte und die im Laufe der letzten Zeit verschwunden waren, wie vom Erdboden verschluckt. Die beiden Jungen lauschten in teilnahmsvollem Schweigen dem armen Mädchen, das ihnen von Herzen Leid tat, waren sie doch nun so ganz allein in diesem großen Land. Nicht ganz allein, denn Stephan und Moritz waren ja bei ihr und wann immer sie von Schwermut überkommen wurde, versuchten die beiden Jungen ihre Gefährtin, so gut sie es vermochten, aufzuheitern.
Die zwei gaben sich den ganzen Vormittag, an dem sie fast ununterbrochen unterwegs waren, der Prinzessin wegen, zuversichtlich und frohgemut, überwanden tapfer ihre eigene Angst und Unsicherheit, wie dieses Abenteuer wohl enden würde.
Auch wenn sie es glauben wollten, so zweifelten sie immer mehr daran das sie, zwei Menschenkinder, gegen den Flimmerherrscher ankommen konnten, der ja nun wahrhaftig gezeigt hatte welch böse Zauberkraft er besaß und wie mächtig er war, das er selbst den König und die Königin des Phantastischen Landes in einem einzigem Handstreich zu seinen Gefangenen machen konnte.
Erst als die Sonne ganz hoch am blauen Himmel stand, machte die kleine Gesellschaft eine längere Mittagspause um sich gehörig, nach dem langen Kräfteraubenden Marsch auszuruhen und von ihrem mitgebrachten Vesper zu essen. Als sie so gemütlich im grünen Grass beisammen saßen, von einen nahe gelegenen Baum erklang das Klopfen eines Spechts, die Luft war erfüllt von süßem Blütenduft, warm schien die Sonne auf ihre Haut , hörten sie plötzlich in einem Gebüsch ganz nahe, ein sich wiederholendes Rascheln. Moritz war mit einem Satz auf den Füssen, sein Schwert, das er sich bei ihrem Aufbruch vom Schloss in den Gürtel gesteckt hatte, behände ziehend. Auch Stephan und Prinzessin Apelda erhoben sich und alle drei starrten sie halb ängstlich halb neugierig zu dem dichten Busch hinüber, indem es nun immer heftiger raschelte. Plötzlich tauchten ein großer Löwenkopf zwischen den Zweigen und Blättern des Busches hervor.
Prinzessin Apelda schrak bei seinem Anblick zusammen, auch Stephan wich mehrere Schritte zurück , nur Moritz blieb in leicht vornüber gebeugter Haltung stehen, wie ein Panter, bereit sich verwegen in den Kampf zu stürzen, mit der rechten Hand umklammerte er das Schwert. Der Löwe, denn ein solches Tier war es, nach dem Aussehen seines Kopfes zu urteilen, schien noch keinen der drei Kinder bemerkt zu haben, so sehr war er damit beschäftigt sich aus dem dichten struppigen Buschwerk herauszuarbeiten. Seine dichte Mähne verfing sich immer wieder in den widerspenstigen Zweigen, manchmal peitschten sie ihm auf das große Maul, was ihm dann immer ein zorniges Knurren entlockte.
Die zwei Jungen und das Mädchen standen wie gebannt, keines vernünftigen Gedankens fähig.
Sie hofften, dass wenn sie sich ganz still verhalten würden, das gefährliche Raubtier nicht auf sie Aufmerksam werden würde. Moritz, der nur ein paar Meter von dem Löwen stand, begann der Mut zu verlassen, als er die scharfen Zähne im Löwenrachen ansichtlich wurde. Schon wollte er vorsichtig den Rückzug antreten, machte auch so Geräuschlos wie nur möglich ein Schritt nach hinten, da blieb er plötzlich , nicht aus Furcht sondern aus Verwunderung wie angewurzelt stehen. Der Löwe war gar kein Löwe! Oder, auf jeden Fall kein gewöhnlicher. Das Tier hatte sich nun schon soweit aus dem Gestrüpp befreit, das man den Rest seines Körpers sehen konnte und seine zwei Vorderbeine.
Nein, dies war wahrlich nicht ein sehniger Löwen Leib, sondern der Körper eines sehr großen Vogels. Und seine Beine waren die Beine einer Gazelle! Als sich dieses wunderliche Tierwesen vollständig aus dem Busch befreit hatte, wendete es erst nach rechts dann nach links sein gewaltiges Löwenhaupt. Schüttelte seinen Vogelkörper, indessen Gefieder sich eine Menge Blätter verfangen hatten und machte, als es die drei Kinder gewahr wurde, mit seinen Gazellen Füssen vor Schreck einen hohen Satz in die Luft. Aus dem Löwenrachen kam ein lautes Löwengebrüll das einem durch Mark und Bein ging, bösartig fletschten es die scharfen Zähne, der Vogelkörper flatterte aufgeregt mit den Flügeln und die vier Gazellen Beine wollten vor Angst die Flucht ergreifen! Moritz war der erste der bei dem Anblick dieses eigenartigen Löwenvogelgazellentieres, vor dem sie sich, solange nur sein Löwenhaupt aus dem Busch hervorgeschaut hatte, sosehr gefürchtet hatten, anfing laut zu lachen. Stephan ging es genauso, erleichtert und belustigt fiel er in Moritz ausgelassenem Lachen ein, der sich auf dem Boden kullerte und sich den Bauch hielt. Nur Prinzessin Apelda lachte nicht.
Bald hörte auch Stephan auf zu lachen, als er sah wie traurig dieses außergewöhnliche Tierwesen aus seinen großen Löwenaugen zu ihnen aufschaute. «Ja», hörten sie es mit rauer Löwenstimme sagen. «So ist es immer wenn man mich sieht. Alle lachen mich aus. Im Kopf bin ich mutig doch in den Beinen Feige.» «Wer bist du», fragte Prinzessin Apelda und warf Moritz einen vorwurfsvollen Blick zu, der, so hatte es den Anschein, dabei war sich halb tot zu lachen.
«Ich bin ein Phantasie Wesen. Mein Name ist Jeki. So nannte mich auf jeden Fall das Menschenkind was mich in seiner Phantasie erschuf», antworte das Löwenvogelgazellen Tier. Als Moritz das hörte, wurde er von neuen Lachkrämpfen geschüttelt. «Ja, ja», schnaubte er, «wirklich gute Arbeit. Hätte es dir nicht auch noch Elefantenohren geben können, oder ein Schweineschwänzchen?» Ihm waren vor Heiterkeit Tränen in die Augen getreten. Vielleicht war es die Anspannung der letzten Tage die ihn alle gute Manieren vergessen gelassen hatten.
Man konnte sehen wie diese spöttische, wenn vielleicht auch nicht gerade böse gemeinte Bemerkung, Jeki verletzte. Betroffen schaute es zu Boden. Stephan schämte sich seines unhöflichen Freundes, ging zu ihm hin und raunte ihm zu das er sich gefälligst benehmen sollte. Diese ernst gemeinte Ermahnung lies Moritz zu sich kommen. Schnell erhob er sich, grinste zwar immer noch breit übers ganze Gesicht, es gelang ihm aber von nun an weitere Lachanfälle zu unterdrücken. «Das ist Stephan», sagte Prinzessin Apelda mit einer Handbewegung auf Stephan hin, «und dieser unerzogene Bube hier», fügte sie in tadelnden Tonfall hinzu, sich Moritz zuwendend, «wird Moritz genannt. Sie sind beide Menschenkinder aus der der Welt der Menschen.» « Menschenkinder», Jeki lächelte den beiden Jungen freundlich zu. Er schien nicht nachtragend zu sein und Moritz ungehobeltes Benehmen schon vergessen zu haben. «Freut mich das Menschenkinder wieder in unser Land gekommen sind. Und wer sind sie meine schöne holde Dame?»
«Ich bin Prinzessin Apelda.» Weder falscher Stolz noch Überheblichkeit war aus des Mädchens Stimme herauszuhören gewesen.
Jeki machte wiederum einen hohen Luftsprung mit seinen dünnen flinken Gazellenbeinen. Ehrfürchtig senkte er sein mächtiges Löwenhaupt, ganz tief verbeugte er sich vor der jungen Prinzessin. «Oh junge Herrscherin des Phantastischen Landes ich bin dein ergebenster Diener», hörte man das Tier unterwürfig flüstern. Prinzessin Apelda hatte diese Anrede verlegen gemacht, schnell lud sie das Phantasiewesen ein mit ihnen zu speisen. Als sie sich alle zusammen wieder zurück zu ihrer Mahlzeit gesetzt hatten, legte Prinzessin Apelda ein großes Stück Fleisch vor Jeki nieder. «Ich bitte um Verzeihung», stammelte ihr neuer Gast peinlich berührt. «Ich esse außer kleinen Würmern und ab und zu ein paar Ameisen, kein Fleisch. Auch wenn es meinen Löwengaumen sehr mundet so verträgt mein Vogelmagen es nicht. Beeren, Früchte und Samen sind meine Hauptnahrung.»
«Ein Löwe der Beeren mampft, da ist ja wirklich großartig», begann Moritz kichernd, verstummte aber gleich wieder da Stephan und Prinzessin Apelda ihn streng und ermahnend anschauten.
«Oh wir haben auch Äpfel.» Das Mädchen packte das Fleisch wieder ein und holte einen großen rotbackigen Apfel aus ihrer Reisetasche hervor den sie Jeki reichte. «Du bist das einzige Phantasiewesen was wir seitdem wir heute früh vom Schloss aufgebrochen sind gesehen haben. Ich dachte schon es gäbe keine Phantasiewesen mehr im Phantastischen Land.»
«Oh glaub mir verehrte Prinzessin», versetzte Jeki, genüsslich den Apfel zwischen seinen starken Kiefern zerkauend. «Es gibt außer mir keine anderen Phantasie Wesen mehr. Wenn ich mich nicht andauernd im diesem dichten Busch versteckt hätte aus dem ihr mich vor euren Nasen hervor krochen saht, dann gäbe es wohl auch mich schon lange nicht mehr. Nach kurzen Stillschweigen raunte Jeki verschwörerisch: «Ich habe sie gesehen» «Wenn gesehen?» mischte sich Stephan ins Gespräch.
«Nun die Affen!»
«Die Affen mit den flimmernden Kästen? «Ja», knurrte Jeki leise.
«Nicht nur Kästen. Auch lange Schläuche. Sie ziehen durchs ganze Land, überall suchen sie nach Phantasiewesen die sie durch ihre verteufelten Schläuche einsaugen können. Es heißt sie handeln nach dem Willen des Flimmerherrschers. Sie sind seine Handlanger!»
«Ich weis.» Prinzessin Apelda nickte in trauriger Erinnerung.
«Sie saugten meine Eltern und meinen kleinen Bruder ein. Wenn ich mich nicht in Geheimversteck des Schlosses versteckt hätte, wäre es mir genauso ergangen.» «Was?!» Jeki brüllte ein wütendes Löwengebrüll sodass die Erde unter ihnen erzitterte. «Diese widerlichen Viecher! Wenn ich sie zu Gesicht bekomme dann...» das Tier brach mitten im Satz ab und schaute bedauernd auf seine Gazellenbeine. «Wenn ich doch nur nicht Gazellen Beine hätte! Sie fliehen immer schon bei der mindesten Gefahr.»
«Gazellen sind nun mal feige Tiere», sagte Moritz belehrend, biss sich dann aber fest auf die Lippen, und blickte beunruhigt in die Runde, als wäre er sich nicht ganz sicher ob er was Falsches gesagt hatte.
Als Jeki hörte das die drei Kinder auf dem Weg zur flimmernden Stadt waren, bat er sogleich sich ihnen anschließen zu dürfen. «Ihr könnt auf meinem breitem Vogel Rücken sitzen», schlug er vor, ich bin stark genug, dass ich euch alle drei durch die Lüfte tragen kann. So kommt ihr schneller vorwärts!» Die müden Reisenden nahmen dieses freundliche Angebot gerne an, denn zur flimmernden Stadt war es weit. Wenn sie hätten zu Fuß gehen müssen, wäre es ein sehr anstrengender Fußmarsch geworden und sie hätten sich sicherlich die Füße wund gelaufen.
Nachdem alle satt und ausgeruht waren, setzten sich die Kinder auf den Vogelkörper Jekis. Das Phantasiewesen breitete seine weiten Flügel aus und mit ein paar heftigen, kraftvollen Flügelschlägen erhoben sie sich zum Himmel empor. Hoch über die Baumwipfel hinweg flog Jeki, den dreien die auf seinem Rücken saßen blies der Wind durch die Haare. Unter ihnen konnten sie weite Wiesen, Berge und Wälder sehen die aus so großer Höhe wie eine Spiel Landschaft aussahen. Den ganzen Nachmittag rauschten sie so durch die Lüfte, denn auch wenn Jeki nur den Kopf eines Löwen hatte, so besaß es doch Löwenkräfte, die es ihm möglich machten trotz seiner schweren Last fast pausenlos dahinzufliegen. Schließlich ging der Tag zur Neige, es wurde Abend, langsam begann die Dämmerung einzusetzen und nachdem die Sonne glutrot am fernen Horizont versunken war, fing es rasch an kalt und schummrig zu werden. Plötzlich wies Moritz, der ganz vorne saß, mit dem Arm aufgeregt runter zur Erde. «Seht, dort drüben ist ein Schloss!»
Und richtig, tief unter ihnen, am Ufer eines kleinen Sees lag ein prachtvolles Schloss. Es war noch schöner als das Phantastische Schloss. Es hatte goldene Giebel und Dächer, eine Vielzahl von kleinen Türmchen, um es herum breitete sich ein wunderbarer Garten aus, voll farbenprächtiger Blumen, und steinernen Springbrunnen aus denen sich hohe Wasserfontänen ergossen. Der ganze Garten war überall mit Lampen erhellt, deren Licht so ausgiebig war, das man meinen konnte es wäre helllichter Tag.
Das goldene Schloss glänzte und strahlte in all dem Licht vom dem es umgeben war. Moritz war außer sich vor Begeisterung. «Da müssen wir landen,» verlangte er. «Wenn wir ganz höflich fragen dürfen wir vielleicht für diese Nacht im Schloss schlafen!»
«Du meinst wenn wir, also nicht du, ganz höflich fragen», sagte Stephan halb im Ernst halb im Spaß. «Denn wenn du fragst wird man uns vor Gericht stellen und uns wegen gröbster Unhöflichkeit für den Rest unseres Lebens hinter Gitter stecken.» Über Prinzessin Apeldas Züge lief ein unmerkliches Lächeln, da auch sie nicht vergessen hatte, wie grob Moritz sich benommen hatte, als Jeki aus dem Busch hervor gekrochen war. Moritz erwiderte darauf hin nichts, er hatte in der langen Zeit in der Jeki sie so unermüdlich durch die Lüfte getragen, eingesehen das er dem vom Aussehen wunderlichen, aber von Gemüt, so lieben Tier Unrecht getan hatte. «Was meinst du Prinzessin Apelda», fragte Stephan indem er seinen Kopf ein wenig zur Seite drehte. «Sollen wir landen?»
Zwei Königskronen
Das Mädchen, das hinter ihm saß schaute verwundert auf das Schloss herab. «Sonderbar. Ich wusste nicht dass es hier ein Schloss gab. Noch nie habe ich es durch das magische Fernrohr gesehen.» «Vielleicht hat sein Herrscher es erst vor kurzer Zeit erbauen lassen,» mutmaßte Moritz. «Aber das hätten meine Eltern doch erfahren. Denn alles was im Phantastischen Land passiert, teilt man meinem Vater dem König mit.» «Na und», versetzte Moritz etwas gereizt. «Es kann ja gebaut worden sein nachdem deine Eltern... « Er brach ab. Stephan hatte ihn von hinten in die Seite gekniffen. Wenn die beiden Jungen in diesem Augenblick Prinzessin Apeldas Gesicht gesehen hätten, dann hätten sie bemerkt wie es erbleichte. Doch da sie mit dem Rücken zu ihr saßen nahmen sie nicht wahr welch trauriger Ausdruck nun in des Mädchens Gesicht getreten war. «Wir können ja wenigstens landen und uns das Schloss aus der Nähe betrachten», setzte Moritz hastig fort, um von seinen eben in Bedenkenlosigkeit geäußerten Worten abzulenken. «Wenn`s nicht geheuer ist, schwingen wir uns einfach wieder auf Jeki und machen uns sofort aus dem Staub.» «Nun gut», erklärte sich Prinzessin Apelda einverstanden. Stephan, der wie Moritz auch ganz gerne vor dem schönen Schloss landen wollte, aber zuerst die Meinung Prinzessin Apeldas hatte hören wollen, war froh drüber. «Also runter mit uns», sagte er voll Tatendrang. «Es ist sowieso an der Zeit das wir Jeki eine Weile Ruhe gönnen.»
Alsbald senkte sich Jeki zur Erde nieder und landete sanft auf dem großen freien Platz vor dem Schloss. Die drei Kinder stiegen von dem Rücken des Tieres herab und gingen die vielen Stufen der steinernen Treppe zum Eingangsportal hoch. Die beiden Seitenflügel der großen Eingangstür standen einladend offen. Vorsichtig schritten sie über die Schwelle.
Sie befanden sich in einem weiten, mit wertvollen Teppichen ausgelegten Vorraum, von dem rechts und links mehrere Gänge führten. Überall an den Wänden in bronzenen Haltungen brannten dicke Wachskerzen.
Eine prunkvolle Marmortreppe mit goldenem Geländer führte ins Obergeschoss. Moritz erklomm hastig die Treppenstufen in seiner unbändigen Neugier. Stephan und Prinzessin Apelda folgten ihm zögernd. Oben angekommen wurde ihnen deutlich dass dies ein sehr großes Schloss sein musste. Noch größer als es von der Luft aus erschienen war. Ein breiter, hoher und sehr weitläufiger Gang mit ovaler Decke ging nach beiden Seiten. In seinen gegenüberliegenden Wänden waren in gleichen Abständen Türen. Moritz sprang zu der Tür der der Treppe am Nächsten war, sie war größer als die anderen und aus dunklem fast schwarzem Holz.
Er musste alle seine Kräfte aufbringen um die schweren Türenflügel auf zu schwingen. Welche Pracht offenbarte sich dahinter!
Ein Saal größer und schöner als Stephan und Moritz je gesehen, blendete ihre Augen. Kristallende Kronleuchter verbreiteten ein funkelndes Licht, das sich in unzähligen Goldverzierungen und blanken Glas überall im Saal widerspiegelte. Breite Fenster mit zur Seite gebunden Vorhängen aus feinen Brokat gaben den Blick in den darunter liegenden Garten frei. Der spiegelglatte, schneeweiße Marmorboden lies jeden Schritt den man auf ihm tat, laut widerhallen. An den Wänden hingen wunderschöne Gemälde in goldenen Rahmen. Allerlei Möbelstücke, eines mehr kunstvoll angefertigt als das andere, erweckten die Bewunderung der Betrachter. Da standen vereinzelt Stühle mit roten, gepolsterten Damastbezügen, kleine Elfenbein Tische und schmucke Schränke aus blankem, leicht schimmerndem Edelholz. Stephan und Prinzessin Apelda gesellten sich zu Moritz der regungslos am Eingang des Saales stand, wie verzaubert bestaunten sie die sich ihnen bietende Schönheit, mit vor Entzückung weit aufgerissenen Augen.
Da erwachte Moritz aus seiner Erstarrung und begann in das innere des Saales zu laufen. Was seine Aufmerksamkeit erregt hatte, war ein kleines Tischlein das in der Mitte des Saales stand. Auf zwei blauen, Seidenen Kissen lagen zwei, reich mit Edelsteinen verzierten, Kronen. Moritz der sie eingehend betrachtete, stieß plötzlich einen lauten, verwunderten Schrei aus. «Auf einer der Kronen ist mein Name eingraviert! Und auf der anderen deiner Stephan!» Abwechselnd nahm er die beiden Kronen in seine Hände und hielt sie sich ganz nah vor Augen, las immer wieder die dort eingeritzten Namen. Stephan der sich mit eiligen Schritten näherte, wollte es erst nicht glauben. «Kann nicht sein», meinte er, und versuchte gelassen zu wirken, beschleunigte aber seine Schritte noch mehr, sodass Prinzessin Apelda hinter ihm zurückblieb. Als Stephan beim Tischlein angekommen war, reichte Moritz ihm einer der Kronen mit den hastig gemurmelten Worten: «Überzeuge dich selbst. Auf dieser Krone ist dein Name eingraviert. Siehst du da.»
Wahrhaftig. Auf der Krone die Stephan übergeben worden war stand sein Name deutlich in das Metall geritzt. Auf der anderen, die Moritz fest umklammerte, als wollte er sie nie wieder von sich geben, der Name Moritz. «Was das wohl zu bedeuten hat», wunderte sich Stephan, ungläubig die in seinen Händen glitzernde Krone betrachtend. Auch Moritz konnte es sich nicht erklären. Da durchfuhr ihn ein Geistesblitz. «Natürlich!», schrie er so laut das Prinzessin Apelda die gerade zu ihnen getreten war heftig zusammenschrak. «Natürlich», wiederholte er noch einmal sich seiner Sache sicher. «Unsere Namen stehen auf den Kronen weil wir, du, und ich Stephan», Moritz faste seinen Freund erregt am Arm, «von nun an Herrscher über dieses Schlosses sein sollen!»
Stephan starrte Moritz fassungslos an als wäre das was sein Freund gerade gesagt hatte eine Ungeheuerlichkeit. «Herrscher... diese Schlosses», stammelte Stephan und schüttelte vor Unglaube den Kopf.
« Warum sollten denn sonst unsere Namen auf den Kronen eingraviert sein», ereiferte sich Moritz, der sich mehr und mehr in eine stärker werdende Erregung hineinsteigerte. «He, warum?!» Stephan antworte nicht. Ja warum, fragte er sich selbst. Konnte es eine andere Erklärung geben warum diese Kronen ihre Namen trugen? So vermessen sich Moritz Vermutung auch anhörte, vielleicht hatte er ja Recht?! Keiner der beiden Jungen beachteten in ihrer fieberhaften Aufregung Prinzessin Apelda die Stille dabeistand. Mit Furcht im Blick schaute sie Moritz an, der sich, da Stephan seiner Behauptung nicht widersprochen hatte, die Königskrone kurzerhand auf den Kopf gesetzt hatte.
Er gebar sich auf einer Art und Weise die das Entsetzen des Mädchens verständlich machte. Stolz die Brust gebläht, hochmütig den Kopf erhoben, stolzierte er herum, wie ein aufgeplusterter Hahn. Es hatte den Anschein, das sich im gleichen Augenblick indem er sich selbst gekrönt hatte, sein rotbackiges Bubengesicht gestrafft hatte, seine kindlichen Züge an Reife zugenommen, seinem vergnügtem Gesichtsausdruck einer harten gefühlslosen Maske gewichen war. «Das darfst du nicht tun», flüsterte Prinzessin Apelda. «Warum nicht?», fuhr Moritz beleidigt auf. Als er sich seines harten Tonfalls bewusst wurde, gab er seiner Stimme einen freundlicheren Klang. «Warum darf ich mir die Krone nicht aufsetzen. Prinzessin Apelda? Wenn doch mein Name drauf steht. Und Stephan glaubt ja auch das die Kronen für uns bestimmt sind.»
«Glaubst du das wirklich?», fragte Prinzessin Apelda, Stephan fest ansehend. Stephan wand sich unter dem vorwurfsvollen Blick des Mädchens. Auch in ihm, wenn es auch nicht so stark loderte wie bei Moritz, hatte sich beim Anblick seines Namens auf der goldenen Krone, ein Feuer der Begierde entfacht und von ihm Besitz ergriffen. Er und Moritz die Herrscher dieses Schlosses! Oh welch ein wundervoller Gedanke!
Doch dann kamen ihm Bedenken. War es nicht anmaßend so zu denken? Auch wenn die Versuchung groß war, es Moritz nachzutun und sich die Krone auf den Kopf zu setzen, vermochte Stephan sich zu zügeln. Mit einer schnellen Bewegung legte er die funkelnde Krone auf das Kissen zurück. «Wir sind nicht hierher gekommen um König zu spielen», sagte er ernst, «sondern wenn wir dürfen eine Nacht hier zu schlafen. Auch Moritz schien zu sich zu kommen. «Du hast recht», stimmte er bei, also last uns versuchen jemand zu finden den wir um Erlaubnis fragen können. Irgendwo in diesem riesigem Schloss muss es doch jemand geben, einen Diener oder so.»
Ein böser Zauber
Kaum waren Moritz Worte verklungen da stand wie aus der Erde gewachsen ein Mann vor ihnen. Er hatte eine feine mit silbernen Manschetten Knöpfen verzierte Diener Uniform an, die Hose ging ihm bis zu den Knien, eine weiße Strumpfhose bedeckte seine Unterbeine. Die Füße steckten in Blankgeputzten schwarzen Schuhen. «Zu Diensten», lispelte diese so aus dem Nichts aufgetauchte Person mit einer tiefen unterwürfigen Verbeugung zu Moritz hin. «Was wünscht mein Herrscher? Kein Wunsch ist zu groß, gebe den Befehl und es soll geschehen. Was wünscht mein Herrscher? Kein Wunsch ist zu groß... « begann der Diener von neuen seine Rede herunterzuleiern, wie eine Kassette die man zurückspult und erneut abspielt. «Ja, ja wir haben es gehört», unterbrach ihn Moritz ungehalten. Er schien es nicht im Geringsten merkwürdig zu finden dass man ihn Herrscher genannt hatte. Stephan und Prinzessin Apelda hingegen wunderten sich sehr über das Gerede des so plötzlich aufgetauchten Dieners, auch fanden sie sein Aussehen eigentümlich. Und das aus gutem Grunde. Wenn man ihn genauer und über längere Zeit anschaute sah man diese Erscheinung unmöglich aus Fleisch und Blut sein konnte. Der Diener wurde nämlich für Bruchteile einer Sekunde plötzlich durchsichtig, ja fast sogar unsichtbar als sei er nicht wirklich anwesend, wie eine auf einer Leinwand ausgestrahlten Figur.
«Ich bitte um Verzeihung mein großer Herrscher», ertönte erneut die leblose Stimme des Dieners. Moritz machte eine gebieterische Gebärde und schickte sich an etwas darauf zu erwidern, da kam Stephan ihm zu vor.
«Es sind wir die um Verzeihung bitten sollten», sagte er höflich, einen Schritt auf den Diener zugehend. «Wir haben uns ohne zu fragen bis hier hoch in den Saal begeben und sogar die Kronen die nicht für uns bestimmt sind von den Kissen genommen. Wir wollten nur fragen ob wir hier im Schloss übernachten dürfen.» Der Diener lächelte Stephan liebenswürdig an. «Ich muss widersprechen noch ungekrönter Herrscher, die Kronen auf den Kissen sind für die Menschenkinder mit dem Namen Moritz und Stephan angefertigt worden. Also für Euch, seid ihr doch die wahren Herrscher über dieses Schloss und dem Phantastischen Land.» «Ich wusste es», schrie Moritz triumphierend. Eine Welle schier unbändigen Glücksgewühls erfasste ihn. «Ich wusste es» Ja, dachte er voll wonniger Freude, nun ist mein größter Traum Wirklichkeit geworden. Diese funkelnde mit Edelsteinen versetzte Krone die meinen Namen trägt gehört mir, allein nur mir! Herrscher werde ich sein über alle diese Pracht über all den Reichtum! Moritz bebte über den ganzen Körper vor Erregung. Hastig wendete er sich Stephan zu. «Hast du gehört was der Kerl gesagt hat?!» Stephan hatte es gehört und noch nie war er von so vielen verwirrenden Gedanken auf einmal bestürmt worden. Erst wollte er in lauten Jubel ausbrechen, ja, in einem unbedachten Augenblick war er drauf und dran sich die noch auf dem Kissen liegende Krone anzueignen. Dann aber klangen die überschwänglichen Gefühle in ihm ab und die Vernunft siegte. Was es gewesen war das ihn zur Vernunft gebracht hatte wusste er selbst nicht. War es dieser gespenstischer Diener der ihm nicht geheuer war, die klugen Augen Prinzessin Apeldas, die so unentwegt auf ihm ruhten, oder die merkwürdige Veränderung seines Freundes, der so anders war, seitdem er die Krone auf dem Kopf hatte? Alle diese drei Empfindungen trugen dazu bei das Stephan der Versuchung Widerstand sich von diesen schmeichelnden Worten des Dieners überzeugen zu lassen. «Herrscher oder nicht», sagte er bestimmt. «Morgen müssen wir weiter zur flimmernden Stadt.»
Moritz tat so als wäre er damit einverstanden. «Ja, ja», aber heute Abend sind wir Herrscher dieses Schlosses bis in die tiefe Nacht hinein! Du da», fuhr er den immer noch völlig unbeweglich dastehenden Diener schroff an. «Wir wollen essen. Bereite uns die beste Mahlzeit die dieses Schloss zu bieten hat.» «Sehr wohl mein großer Herrscher», erklang die leiernde Stimme des Uniformierten. «Aber will der Herr sich nicht eine größere Anzahl von Bedienten wünschen die jedem seiner Wünsche nachkommen. Ich allein, bin ihm nicht würdig.» Moritz sah erstaunt auf. «Größere Anzahl von Bedienten? Wie das?»
«Nun», plapperte die komische Gestalt. «Sie brauchen es sich nur zu wünschen. Ritter, Knechte, Köche, Mägde, Diener was sie nur wollen, Euer Gedanke, oh großer Herrscher erschafft sie. So wie er mich erschaffen hat.»
«Mein Gedanke?» wiederholte Moritz verwundert.
«Ja ihr ausgesprochener oder unausgesprochener Gedanke.» So unsinnig sich diese Behauptung auch anhörte, Moritz gefiel sie. «Aha», sagte er mit einem belustigten Blick auf Stephan. «Ich glaube das ist hier wie im Phantastischen Spiel. Wie in den Abenteuern. Alles was wir uns damals vorstellten wurde wirklich.
«Gut dann mal los.» Moritz grinste selbstgefällig. «Zu aller erst brauche ich eine Menge von Köchen damit wir nicht lange aufs Essen warten müssen.» Kaum hatte Moritz das gesagt da standen ein ganzes Dutzend Köche, mit weißen Schürzen um den Leib und Kochmützen auf den Köpfen, im Saal.
«Es funktioniert!» stellte Moritz zufrieden fest. Der Erfolg spornte ihn an. Es folgten Ritter mit edlen Gesichtern in glänzenden Harnisch, schöne feine Damen in bauschigen Kleidern um deren schlanken Hälse wertvoller Schmuck prangte und noch allerlei anderes Hofvolk füllte den Saal sobald Moritz sie sich herbei wünschte. Er wurde immer eifriger und unbändiger in seinen Wunschäußerungen, wie besessen wünschte er sich, was immer ihm gerade in den Sinn kam. Und, Moritz wusste gar wohl wie ein ordentlicher Hofstaat zusammen zusetzen war. Bald war der große Saal bis zum Bersten voll, von einer Menge Gesindel, da war alles zugegen vom einfachen Stahlburschen bis hin zum reichen Adligen. Diese durch Moritz Wunschgedanken erschaffenden, benahmen sich wie eine Schar gackernde Hühner, da wurde geschwatzt und durcheinander geredet das man sich die Ohren zuhalten wollte. Die reizenden Damen tänzelten auf leichten Füssen umher, die charmanten Ritter küssten artig deren Hände, wechselten höfliche Frasen miteinander, der Haushofmeister, denn solch einen hatte Moritz sich auch gewünscht, um über all die Bedienten Ordnung zu halten , scheuchte Köche, Mägde und all das andere Dienervolk aus dem Saal. Die Köche in die Küchen des Schlosses, wo sie sogleich anfingen über großen Herdfeuern Essen zu zubereiten und die Mägde gab der in Eile hin und her laufende Mann allerlei zu verrichtende Aufgaben auf.
Die Stahlburschen machten sich in dem Schlosshof gelegenen Ställen zu schaffen, aus denen das Wiehern vieler Pferde zu hören war. Die Schmiede erwärmten in Rotglühender Glut hartes Eisen, das sie mit viel Geschick zu Gebrauchsgegenständen verarbeiteten, die Gärtner gossen Blumenbete und stutzten die vielen Hecken des großen Schlossgartens. Wachen mit buschigen Helmen und Haubaden patrouillierten mit grimmigen Gesichtern vor dem Schloss auf und ab. So ging jeder seiner Arbeit nach, das Schloss was gerade eben so verlassen dagelegen, war nun in einen Quirlenden Hexenkessel voll Leben und Geräusche verwandelt worden. Als Moritz meinte das der Hofstaat nun so gut wie vollständig war, befahl er dem Diener im blauen Rock der immer noch auf der gleichen Stelle stand, nun flankiert von zwei weiteren, das man den Tischlern die er sich zuletzt gewünscht hatte, sofort den Auftrag geben sollte eine goldene Tafel zu schreinern und das schleunigst, da er gedachte an ihr heute Abend zu speisen. «Sehr wohl, gnädiger Herrscher.» Sogleich eilte einer der Diener von dannen um diesen Befehl weiterzugeben. Moritz mischte sich unter die schwatzenden feinen Damen und die kecken Ritter die sich allesamt ehrfürchtig vor ihm verbeugten. Stephan und Prinzessin Apelda standen etwas abseits von dem Gewimmel. Niemand kümmerte sich um sie, abgesehen von einem Narr in buntem Narrenkleid, das von vielen winzigen Glocken behangen war, die bei jedem seiner Schritte lustig klingelten. Ein ebenso buntes Glöckchen behangenes Narrenhütchen thronte auf seinem lockigen Haar.
«Hihi», stichelte der Narr, «ihr macht ja gar traurige Fratzen. Seht aus wie hungrige Katzen. Sagt, was verdarb euch die Laune?!»
«Verschwinde», sagte Stephan ungehalten und beschied den schelmisch grinsenden Narren mit einen bösen Blick, der zwar noch ein paar mal um sie forsch herumstelzte, Possen machend, dann aber als Stephan drohend auf ihn zu ging mit einem behänden Satz das Weite suchte. Stephan und Prinzessin Apelda setzen sich auf eine Bank. Beide schauten sie zu Moritz rüber der umgeben von vielerlei Hofvolk neben dem Kardinal stand, einem glatzköpfigen hageren Mann von hohem Wuchs und strengen Gesichtsausdrucks. «Was ist nur in Moritz gefahren?» wunderte sich Stephan indem er zu seinem Freund rüber sah der die beiden vergessen zu haben schien, die Königskrone auf seinem Kopf funkelte bei jeder seiner Bewegungen im grellen Schein der Kronleuchter. «Und wie kann all das möglich sein? Es ist so unwirklich. Prinzessin Apelda zuckte mit den Achseln. «Ich weiß es nicht», erwiderte sie langsam, auch sie war von all den Eindrücken um sie herum ganz benommen. «Ich glaubte ich wüste was im Phantastischen Land geschieht und geschehen kann. Aber das hier kann ich mir nicht erklären. Es ist wie Zauberei.»
«Ist dir auch aufgefallen das alle diese... « Stephan zögerte bevor er weiter sprach.... «das alle diese Menschen wenn es überhaupt Menschen sind, so wie der Diener der zuerst auftauchte... « Wieder brach er ab. «Ich weiß nicht wie ich es sagen soll. Sie wirken irgendwie nicht wirklich lebendig.» «Ja», stimmte Prinzessin Apelda eifrig bei. «Wenn man sie lange anschaut hat man das Gefühl das sie flimmern.»
«Vielleicht sind es Phantasie Wesen», rätselte Stephan. Prinzessin Apelda schüttelte entschieden mit dem Kopf. «Phantasie Wesen sind anders. Wenn ein Menschenkind im Phantastischen Land ein Phantasie Wesen erschafft in seiner Vorstellung, dann wird dieses Wesen wirklich lebendig. So wie bei Jeki , der aus Fleisch und Blut ist.»
«Jeki», rief Stephan erschrocken. «Wir haben ihn ganz vergessen. Er muss immer noch vor dem Schloss auf uns warten!»
Doch als Stephan und Prinzessin Apelda die Marmor Treppe herunter gerannt waren aus dem Schloss heraus, war da kein Jeki. Nur die Wachen standen rechts und links vor dem Eingang und musterten die beiden Kinder bei ihrem Erscheinen misstrauisch. Stephan redete sie an: «Habt ihr Jeki gesehen?» «Wer ist Jeki?», brummte einer der Wachen mürrisch. «Ein Löwe, nein kein Löwe», versuchte Stephan das Aussehen Jekis zu erklären, «er hat einen Löwen Kopf und einen Vogelkörper.» «Und Gazellen Beine», vollendete Prinzessin Apelda die sonderliche Beschreibung.
Der eine der Wachen begann herzhaft zu lachen, der andere an den Stephan seine Frage gerichtet hatte, zog missmutig seine buschigen Augenbraunen zusammen. «Macht keine Späße mit uns Kinder. Und jetzt schert euch von dannen!» Die Kinder wendeten sich von den rüden Männern ab und gingen auf dem Vorplatz des Schlosses herum laut den Namen Jekis rufend. Doch er war und blieb verschwunden. Sein spurloses Verschwinden betrübte die beiden sehr, da sie das gutmütige Tier lieb gewonnen hatten. «Vielleicht hat er sich im Garten versteckt», kam Stephan der Gedanke. Sie begannen den großen um das ganze Schloss herum verlaufenden Garten zu durchstreifen, in der Hoffnung das Jekis flinke Gazellen Beine ihn hierher getragen hatten, um hinter eine der hohen Hecken Schutz zu suchen, als das Schloss so urplötzlich zum Leben erwacht war. Doch so viel sie auch nach ihm riefen und im Gebüsch stocherten, Jeki war nicht aufzufinden. Das einzige was ihr gründliches Suchen mit sich führte, war das die Gärtner sie ungehalten ausschimpfte weil die Suchenden über den fein geschnittenen Rasen gingen oder in ihrer Unachtsamkeit manch mühevoll angelegtes Blumenbett zertrampelten. Es wurde nun auch so dunkel das sie sich im Licht der Schloss Lampen halten mussten, was ein Suchen außerhalb des Gartens sinnlos machte. Plötzlich spürte Stephan wie ihn jemand am Ärmel zupfte. Es war einer von den Dienern des Schlosses. Einen leichten Bückling machend, brachte er sein Anliegen vor. «Mein Herrscher lässt euch ausrichten, das, das Abendessen aufgetragen ist. Seine Majestät wünscht zusammen mit euch zu speisen.»
«Der Herrscher wünscht das also», trotzig überkreuzte Stephan seine Arme auf der Brust. «Da hat seine so genannte Majestät aber Glück das wir zufällig Hunger haben.» Der Diener machte ein ganz verblüfftes Gesicht, drehte sich entrüstet um und lief mit weit ausholenden Schritten davon, als wäre ihm die Gesellschaft der beiden Kinder nicht ganz geheuer. Die beiden folgten ihm gemächlich. Auf dem Rückweg, berieten sie sich, wie sie sich gegenüber ihrem so veränderten Freund verhalten sollten. Prinzessin Apelda schlug vor, dass sie ein gutes Gesicht zum bösen Spiel machen sollten. «Lassen wir ihn glauben wir würden ihn als Herrscher anerkennen. Es ist ja nur für diesen einen Abend. Morgen werden wir ja unsere Reise fortsetzen.» «Nur für diesen Abend?» - wiederholte Stephan nachdenklich. «Wollen wir es hoffen.» «Was meinst du»? - Prinzessin Apelda sah ihn fragend an. «Ach nichts», winkte Stephan ab, er wollte das Mädchen nicht unnötig beunruhigend. «Komm. Ich rieche Bratenduft! Oh, hab ich ein Hunger.» Mit schnellen Sprüngen lief Stephan zum Schloss voraus. Eigentlich war er aber gar nicht so fröhlich wie er sich gab. Unangenehme Vorahnungen bedrückten ihn. Was wenn Moritz nicht aufhören wollte Herrscher zu spielen, oder war es überhaupt ein Spiel für ihn, überlegte er sorgenvoll, als er von Prinzessin Apelda gefolgt die Marmor Stufen zum großen Saal hochging.
Der Kardinal
Im Saal herrschte reges Treiben. Auf einer länglichen Tafel, die überall mit kunstvollen Schnitzereien verziert war, standen viele große, tönerne Gefäße voll dampfendem Essen und Schalen mit allerlei Leckereien. Rein und raus hasteten schwitzende Bediente, von der Küche zum Saal hin und zurück, schwer beladen mit Tabletts auf denen sich die Speisen nur so auftürmten. Wieder andere deckten den Tisch mit weißen Keramik Tellern, im hellen Licht sich spiegelnden Kristall Gläsern und prunkvollen silbernen Besteck. Stephan wurde es, beim Anblick der reich gedeckten Tafel und dem verführerischen Duft der ihm in die Nase stieg, gleich besser zumute.
Am Haupte der Tafel saß Moritz, doch er war kaum wieder zu erkennen. Er war nun in einem schicken Abendanzug aus feinem Tuch gekleidet, um seine Schultern hing ein roter flauschiger Samtmantel. Die Krone hatte er nach wie vor auf seinem Kopf.
An seiner rechten Seite saß der Kardinal, der unaufhörlich scharf um sich blickte. Nichts entging seinem aufmerksamen Blick. «Ah, da seid ihr ja», rief Moritz, als er seinen Freund und das Mädchen ansichtig wurde, «wo habt ihr euch eigentlich die ganze Zeit rumgetrieben?»
«Wir haben nach Jeki gesucht», antwortete Stephan kurz angebunden. «Er ist verschwunden.»
«Ach, dem ist sicherlich ne Maus über den Weg gelaufen! Er hat sie mit seinem Löwenmaul angebrüllt und ist mit seinen Gazellen Beinen vor Angst bis ans Ende der Welt geflohen!» Moritz lachte schallend, die Herren und Damen, die an der Tafel versammelt waren, stimmten, wie ihm Chor, in sein Lachen ein. Die Herren lachten laut und dröhnend, die Damen kicherten rot werdend vor sich hin, verstummten aber schlagartig, als auch Moritz Lachen verklang. Als der Narr auf seinen kurzen Beinen tat als wäre er eine Gazelle und mit großen übermütigen Sätzen durch den Saal tollte, begann die allgemeine Heiterkeit von neuen auszubrechen. Die einzigen die nicht lachten, waren Stephan und Prinzessin Apelda die das unerklärliche Verschwinden Jekis überhaupt nicht lustig fanden. Als Moritz dem gewahr wurde, gebot er dem Narren mit drohendem Zeigefinger mit seinen Hampeleien aufzuhören. «War ja nur ein Scherz», sagte er beschwichtigend. «Das Tier wird schon wieder auftauchen. Kommt, setzt euch hier auf die Plätze neben mich. Darf ich euch den Kardinal vorstellen.»
Moritz deute auf den hageren Mann der neben ihm saß. «Er ist sehr klug. Er hat mir schon viele weise Ratschläge gegeben, wie ich ein starker und guter Herrscher sein kann.»
« Oh ihr seid zu großzügig mit eurem Lob», versetzte der Kardinal, dessen Stimme einen harten, unwirschen Klang hatte. Aus seinem glatten Gesicht, um dessen strammer Mund andauernd ein hinterhältiges Lächeln spielte, sprach List und Verschlagenheit hervor. Als er seine stechenden Augen abwechselnd auf Stephan und Prinzessin Apelda richtete, war es ihnen als wären es spitze Dolche die ihnen bis ins Herz drangen. Stephan empfand deutlich, das es nicht gut war das Moritz von einem solchen Mann Ratschläge entgegen nahm.
Eine große Anzahl von Dienern, die hinter den Stühlen standen, füllten Stephan und Prinzessin Apelda die Teller auf und schenkten ihnen die Gläser voll, so auch Moritz dem eigenem Leibdiener jeden Wunsch von den Lippen ablasen. Ebenfalls die feinen Damen und Herren wurden fleißig bedient, dass sie kaum selber einen Finger rühren mussten. Eine Weile hörte man nichts außer das Klappern des Bestecks. «Macht wirklich Spaß dieses Herrschersein», sagte Moritz schmatzend, den Blick auf Stephan gerichtet. «Du solltest es auch versuchen. Deine Krone liegt immer noch auf dem Kissen. Dort an der Wand in dem gläsernen Behälter, den ich extra habe anfertigen lassen. Hier», Moritz schob einen kleinen goldenen Schlüssel über den Tisch. «Das ist der Schlüssel für den Behälter. Der einzige. Du sollst ihn haben, damit du wann immer du willst die Krone an dich nehmen kannst.» Stephan ließ den Schlüssel unbeachtet neben seinem Teller liegen. «Willst du ihn nicht haben?» Der gefragte zuckte mit den Achseln. «Warum sollte ich. Du weißt Moritz, dass wir morgen weiterreisen werden?» Moritz nickte unwillig. «Ja, ja, ich komm auch ganz sicher mit, das verspreche ich, aber ich will trotzdem das du den Schlüssel an dich nimmst. Es könnte ja sein das du deine Krone im laufe des Abends doch mal ausprobieren möchtest.» Stephan wollte seinen Freund nicht verärgern, daher steckte er sich den Schlüssel in die Tasche. «Nach dem Abendessen ist Ball», verkündigte Moritz freudestrahlend. «Ball?!»- Stephan und Prinzessin Apelda hielten vor Verblüffung im Essen inne. «Jetzt übertreibst du aber wirklich», fand Stephan. «Warum? Das habe ich in einem Buch gelesen. Im Mittelalter war am Hofe eines Königs oft Ball am Abend. «Du spinnst», Stephan schüttelte genervt den Kopf.
«Na ja ich werde auf jeden gleich ins Bett gehen. Ich bin hundemüde und wir müssen morgen früh aufstehen.»
«Und du Prinzessin Apelda machst du beim Ball mit? wollte Moritz wissen.
«Es wäre wirklich schön wenn du, die Prinzessin vom Phantastischen Land, mich durch deine Anwesenheit am Ball beehren würdest.» Stephan traute seinen Ohren nicht. Warum redete Moritz plötzlich so geschwollen, wunderte er sich. Sein Freund hatte sich wirklich verändert seit er sich die Krone auf den Kopf gesetzt hatte.
Was Stephan nicht wissen konnte war, dass die Krone auf Moritz Haupt eine böse Kraft innewohnte, die den Träger mit jeder Stunde in der er sie trug mehr und mehr veränderte und entfremdete.
Als auch Prinzessin Apelda verneinte, wurde Moritz fast ein wenig ungehalten. « So langweilig ihr seid», murrte er. «Langweilig», wiederholte der Kardinal spitz, indem er Stephan und Prinzessin Apelda feindselig ansah. «Ihr seid in euer Wortwahl viel zu rücksichtsvoll, mein gnädiger Herrscher. Eine Einladung seiner Majestät nicht anzunehmen ist eine Frechheit, ja eine Unverschämtheit die nicht ungestraft sein darf, will ich mich erdreisten zu behaupten.»
Da erhob sich Moritz so abrupt das die Teller auf dem Tisch nur so schepperten. «Was eine Unverschämtheit ist, entscheide ganz alleine ich.»! schrie er entzürnt. «Wenn sie noch einmal meine Freunde beleidigen, dann wird das ihnen sehr schlecht bekommen. Haben sie verstanden?!»
«Voll und ganz», erwiderte der Kardinal kleinlaut, der sich unter den harten Worten, ganz so als empfinge er Peitschenhiebe, geduckt hatte. Als Stephan in das Gesicht dieses unangenehmen Mannes schaute, war es ihm als würde er ihn kaum merklich spöttisch Lächeln sehen.
Nach dem Abendessen wurde Stephan und Prinzessin Apelda von einem Pagen zu ihren Zimmern geführt die man für sie hergerichtet hatte. Sie sagten sich gute Nacht und gingen dann jeder zur Ruhe. Stephan war so müde, das er kaum wahrnahm, das das Bett indem er sich die Länge nach ausstreckte, eines Königs würdig war. Die flauschigen Daunen Decken und Kissen waren mit goldbestickter Seide bezogen, rund um das Bett herum war ein Vorhang aus blauen Brokat, die ehernen Bettpfosten hatten die Form verschiedener Gestalten.
Das Beste aber war die Matratze, die war so weich das es Stephan, der bald darauf in tiefen Schlaf fiel, vorkam als läge er auf einer Himmelswolke. Weder er noch Prinzessin Apelda, die in einem ebenso prachtvollen Bett friedlich schlummerte, wurde von der lauten Musik und dem Stimmengewirr geweckt, und all den anderen lauten Geräuschen die aus dem großen Saal drangen, indem Moritz seinen Ball in Gesellschaft seines erwünschten Hofstatt bis in die tiefe Nacht hinein feierte.
Ein junger Herrscher
Am nächsten Morgen waren Stephan und Prinzessin Apelda schon früh auf den Beinen. Nachdem sie in der Küche gefrühstückt hatten, die massiven Türen zum großen Saal waren noch verschlossen, und von einem Bedienten erfahren hatten, das der Herrscher noch schlafen würde, vertrieben sie sich ihre Ungeduld, indem sie draußen im Schlosshof herumliefen. Das lebhafte Wiehern der Pferde lockte sie in den Stall.
Braune und schwarze Pferde standen dort und fraßen Hafer, auch eine Schneeweise Stute die Prinzessin Apelda leise zu-wieherte als das Mädchen ihr zärtlich über die Nüstern strich. Stephan näherte sich vorsichtig einem feurigem Rappen dessen tiefschwarzes Fell schwach glänzte. Das Tier gebärdete sich ganz wild als Stephan es anfassen wollte, bäumte sich auf und schlug mit den Hufen aus, sodass der Junge schnell ein paar Schritte zurücktrat. «Was meinst du Prinzessin Apelda», sagte Stephan, «du auf der weißen und ich auf dem Schwarzen hier. Sie würden uns sicherlich in Windeseile zur flimmernden Stadt tragen!»
«Aber wir können doch Moritz nicht hier zurücklassen», gab Prinzessin Apelda zu Bedenken. «Wir dürfen ihn nicht mit dem Kardinal alleine lassen.»
«Du hast ganz Recht», erwiderte Stephan indem er dem schwarzen Rappen der sich inzwischen beruhigt hatte, Heu zuwarf. «Dieser Kardinal hat einen bösen Charakter. Er übt einen schlechten Einfluss auf Moritz aus.»
Stephan setzte sich auf einen Sattel, der gegen die Stahlwand gelehnt, am Boden lag. Prinzessin Apelda, die mit den Fingern durch die Mähne der weißen Stute fuhr, fragte ohne sich zu umzudrehen. «Glaubst du dass Moritz sich weigern wird zur flimmernden Stadt weiter zu reisen?» Stephan antwortete nicht sofort. Erst jetzt wurde ihm klar das weder er noch Prinzessin Apelda ernstlich annahmen das Moritz sich bereit erklären würde heute morgen die Reise zur flimmernden Stadt fortzusetzen. Er hatte ihnen zwar gestern sein Versprechen gegeben und Moritz hatte noch nie seitdem Stephan ihn kannte sein Wort gebrochen. Doch sein Freund, der nun oben im Schloss im tiefsten Schlummer lag, war in der kurzen Zeit des gestrigen Abends ein anderer geworden. Ein Fremder. Diese Erkenntnis erschreckte Stephan. Furcht um seinen Freund zog sein Herz schmerzlich zusammen. «Ach was», versuchte er heiter und unbesorgt zu klingen, von seinem Sitzplatz aufspringend. «Moritz kommt schon mit. Er ist nun halt mal ein Langschläfer. Komm wir gehen ins Schloss. Sicherlich ist er schon aufgestanden und wartet auf uns.»
Doch Moritz war nicht aufgestanden. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, bald war es Mittag, überall im und außerhalb des Schlosses herrschte reger Betrieb, doch wann immer Stephan und die Prinzessin sich erkundigten hieß es: Der Herrscher schlafe noch. Mit der Zeit wurde Stephan immer ungeduldiger, wie ein eingekerkertes Raubtier lief er vor Moritz Gemach hin und her. Prinzessin Apelda hatte sich auf die Marmortreppe gesetzt und sah dem Treiben des emsigen Hofvolkes zu. Die Köche begannen schon in der großen Küche Mittag zu kochen. Wieder einmal wendete sich Stephan an einer der Wachen die vor der Tür stramm standen: «Seid so nett und bestellt Moritz der da drinnen den Tag verschläft das seine beiden Freunde, Stephan und Prinzessin Apelda, es leid sind Däumchen zu drehen. Kurz, er soll gefälligst rauskommen!» Die Wachen hingegen schienen der Ansicht zu sein, dass ein gewöhnlicher Junge, auch wenn er sich als ein Freund des Königs bezeichnete, nicht erlaubt war so über ihren Herrscher zu reden. Sie hielten Stephan ihrer Schwerter vor die Brust. «Wenn du weiter so abfällig über unseren mächtigen König redest, lebst du nicht lange», zürnten sie und machten dabei drohende Gebärden. «Die Majestät steht auf wann es ihr beliebt ohne das so ein Bengel wie du da was zu sagen hätte.»
«Ja, ja ist ja schon gut», Stephan tat, als hätten die harten Worte der Wachen ihn in Angst und Schrecken versetzt. Er wendete sich halbwegs um, sodass die Wachen ihre Schwerter wieder senkten und sich zufrieden zunickten im Glaube sie hätten dem frechen Jungen die Leviten gelesen, da fuhr dieser freche Junge blitzschnell zwischen ihnen hindurch, riss die Tür auf und war mit einem Satz bei Moritz Bett. Moritz der im Halb Schlaf dagelegen hatte, nun aber beim plötzlichen und ungestümen Hereinkommen Stephans erwachte, richtete sich schwerfällig im Bett auf. «Wer wagt es mich zu wecken», hörte man ihn Schlaftrunken schimpfen. «Ich», Stephan zog ruckartig die Bett Vorhänge zur Seite. Moritz im Seidenen Nachthemd, seine Krone hatte er auch im Schlaf getragen, starrte ihn verwundert an. «Es ist Mittag wir hätten schon längst aufbrechen sollen.»
«Aufbrechen. Wohin?» fragte Moritz verwirrt, müde in das hereinflutende Licht blinzelnd. «Zur flimmernden Stadt natürlich», erwiderte Stephan, indem er behände den nach ihm greifenden Händen der Wachen auswich, die sich von ihre Überraschung erholt hatten und nun versuchten den Eindringling zu erhaschen. «Last ihn», befahl Moritz. «Wie sie wollen mein Herrscher», stammelten die Wachen und verließen gesenktem Hauptes den Raum, sich im Stillen darüber ärgernd dass sie von einem kleinen Jungen überlistet worden waren. «Ach so, daraus wird heute nichts mehr», beschied Moritz sich den Schlaf aus den Augen reibend. «Vielleicht Morgen.» Stephan lies sich ergeben in einem am Bett stehenden Sessel fallen. Er hatte diese Antwort eigentlich erwartet. Den ganzen Morgen hatte er sich in seinem Geist darauf vorbereitet dass Moritz das sagen würde. Er hatte sich vorgenommen das er daraufhin in gespielten Zorn von ihm Rechenschaft fordern würde, ihn entzürnt fragen wollte warum er sein Versprechen nicht hielt. Doch Stephan begriff nun das es nichts helfen würde mit Wut zu reagieren, das würde Moritz nur gegen ihn aufbringen. Gleichfalls sah er ein dass alle Überredens Versuche zwecklos wären. Er fragte nicht einmal warum. Wahrscheinlich, dachte er missmutig, war Moritz einfach zu müde. Und das war auch wirklich so. Moritz war aus dem Bett gestiegen und klingelte nun mit einer kleinen Klingel, worauf eine Tür zu einem anliegenden Raum sich öffnete und der Leibdiener, den einen solchen hatte sich Moritz bevor er zu Bett gegangen war noch nebenbei gewünscht , erschien. Stephan sah mit großen Augen zu wie der Leibdiener nun seinem Freund beim Ankleiden behilflich war. Das sah so ungemein komisch aus, wie Moritz vom Diener mit geübten Handgriffen unterstützt, in seine Königlichen Gewänder schlüpfte, das Stephan trotz allen Ärgernissen fast laut los gelacht hätte. «Seit wann macht es dir zu viel Mühe dich selbst anzuziehen?» Stephan sah Moritz halb belustigt halb ungläubig an. «Seitdem ich Herrscher bin. Das war so üblich bei allen großen Königen. Einen Leibdiener zu haben. Das habe ich in einem Buch gelesen.»
Eben wurden ihm die Blankgeputzten Lackschuhe hingestellt und nun hob Moritz abwechselnd die Beine und der Diener streifte ein Schuh über beide schmächtigen Jungen Füße.
Ja, Moritz schien sich mehr und mehr in die Rolle des Herrschers hineinzuleben. Nicht nur beim Ankleiden gebar er sich auf einer für Stephan so Fremdartig anmutende Art und Weise, auch als sie nun im großen Saal, dessen Türen bei ihrem Erscheinen geöffnet worden waren, Frühstückten, führte Moritz sich auf als wäre er wirklich ein junger König.
Im Laufe des Tages wurde allerlei Zeitvertrieb veranstaltet. Auf einer großen Wiese nahe beim Schloss, wurden Turniere begangen, wo Ritter in glänzenden Rüstungen im Lanzenkampf gegeneinander antraten. Moritz saß auf einem Thron, der inmitten auf einer für die Zuschauer errichteten Bühne platziert war, Drumherum klatsche das Hofgesindel begeistert Beifall, jedes Mal wenn ein Ritter im Waffengang besonderes Geschick gezeigt hatte. Wurde Moritz den Turnieren überdrüssig, ritt er in einem Naheliegendem Wäldchen auf die Jagd, in Begleitung vieler feinen Damen und Herren. Stephan und Prinzessin Apelda wichen anfangs nicht von seiner Seite, damit der Kardinal ihn nicht für sich alleine hatte. Moritz hatte Stephan den schwarzen Rappen und Prinzessin Apelda die weiße Stute geschenkt, als er erfahren hatte, das seine beiden Freunde an den schönen Tieren Gefallen gefunden hatten. Auf ihnen reitend nahmen Stephan und Prinzessin Apelda an den Ausflügen in die Umgebung teil. So oft sich eine Gelegenheit bot, versuchten die beiden Moritz daran zu erinnern das Morgen der Aufbruch zu flimmernden Stadt bevor stand. Er sagte dann immer nur: Ja, ja, ich weiß.
Doch am nächsten Tag und vieler darauf folgenden Tagen schlief Moritz wie schon am ersten Tag seit ihrer Ankunft bis in den Späten Nachmittag hinein, erschöpft von allen den Spielen, Ergötzungen und Vergnügungen an denen er sich den langen Abend und die halbe Nacht hindurch erfreut hatte. Wenn er dann endlich aufstand schob er den Aufbruch zur flimmernden Stadt auf Morgen heraus. Und das wiederholte sich Tag für Tag, immer war es das gleiche. Moritz der so entschlossen geschworen hatte, damals in Phantastischen Schloss, das er nicht ruhen würde, bis der Flimmerherrscher besiegt und die entführte Familie Prinzessin Apeldas befreit worden war, schien es nicht eilig zu haben diesen Schwur zu erfüllen. Langsam begann er, ohne sich dessen bewusst zu sein, den gegebenen Schwur zu vergessen.
Dieser Schwur war nicht das einzige an das er sich mit der Zeit nicht mehr erinnern konnte. Mit jeder Stunde in der er die Königskrone auf dem Haupt trug, vergaß er mehr und mehr dass dieses Phantastische Land zu dessen Herrscher er sich selbst gekrönt hatte, nicht die wirkliche Welt war sondern nur eine Schein Welt in der er und Stephan zu Besuch waren. Die Erinnerung an all das was vorher gewesen, bevor er zu diesem prunkvollen Schloss gekommen war, verblassten in ihm wie Traumbilder, wäre Stephan nicht bei ihm gewesen, sie wären ihm gänzlich entfallen.
Eines Nachmittags, als Stephan und Prinzessin Apelda gerade von einem Spaziergang durch den Garten zurückkamen, stieß Prinzessin Apelda plötzlich einen erstickten Schrei aus und wurde aschfahl im Gesicht. «Schau», brachte sie mit zitternder Stimme hervor. «Da. Am Eingang!»
Eine unliebsame Überraschung
Stephan folgte ihrem Blick. Was er nun sah, ließ einen kalten
Schauder über seinen Rücken gehen. Eine Schar von Affen mühte sich damit ab flimmernde Kästen in das Schloss Hineinzuschieben.
«Die Affen des Flimmerherrschers! schrie Stephan. Von tiefer Furcht ergriffen liefen die beiden Kinder in das Schloss hinein. Als sie in den großen Saal kamen, bot sich ihnen ein grauenvoller Anblick. Überall an den Wänden standen flimmernde Kästen, neue wurden von den Affen andauernd in den Saal geschoben. Stephan wurde von grimmigem Zorn gepackt. Wie ein wütender Stier fuhr er zwischen die Affenbande. Heiser vor Erregung, die geballten Hände drohend erhoben, schrie er sie an: «Weg mit euch! Schert euch von dannen!»
Doch die frechen Affen kreischten nur wild, streckten hämisch ihre Zungen raus und kletterten Geschwind auf die hohen Dachbalken an der Decke. Wenn Stephan ihnen den Rücken zuwendete sprangen sie wieder hinab und setzten ungerührt ihre Arbeit fort.
Wohl von dem Rabalder angelockt kam der Kardinal in den Saal getreten. Gerade eben war Stephan dabei einen der Affen hinter die Kästen zu verfolgen, und stieß bei dieser wilden Verfolgungsjagd einer der Kästen um, dessen gläserner Bildschirm in tausende von Scherben zersprang.
«Was tun sie», zischte der Kardinal gehässig, mit eiligen Schritten näherte er sich Stephan. «Was ich tue?» Stephan blieb stehen, stützte beide Hände in die Hüften und sah den Kardinal herausfordernd an. «Die Affen sollen weg von hier! Auch die Kästen. Zertrümmern soll man sie. Und das sofort!» Stephan war hochrot im Gesicht vor gerechtem Zorn, seine Stirn Schweißbedeckt. Der Kardinal stellte sich wie schützend vor die flimmernden Kästen, ein eigentümliches Flackern leuchtete nun aus seinen kalten, grausamen Augen. «Sie haben hier gar nichts zu befehlen», versetzte der große, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidete Mann. Stephan musste alle seine Willenskraft aufbringen um dem bohrenden, hasserfüllten Blick des Kardinals standzuhalten. «Warten wir ab bis Moritz nach Hause kommt,» brachte Stephan unter äußerster Anstrengung hervor, und fühlte sich mit einem mal furchtbar Müde und Erschöpft. Eine böse, lähmende Kraft schien von diesem Mystischen Mann auszugehen dem er nun gegenüber stand. Eine Kraft die Stephan nicht gewachsen war. Mehr und mehr schwächte sich sein Widerstandsvermögen.
Da hörte man in der zwischen dem Kardinal und Stephan eingetretener Stille, Pferdegetrappel und laute Rufe von Hof her. Moritz kam von der Jagd zurück. Die Minuten die es dauerte bevor er erschien, kam Stephan wie eine Ewigkeit vor. Die Blicke seines Widersachers wollten ihn in die Knie zwingen.
Es wurden Schritte auf der Marmortreppe laut und endlich trat Moritz in Begleitung von Prinzessin Apelda die ihm entgegengelaufen war, in den Saal hinein. «Was ist denn los», erkundigte er sich in verwundertem Ton, indem er erst Stephan dann den Kardinal die sich wie zwei Duellanten gegenüberstanden, fragend anschaute. Stephan löste sich aus seiner Erstarrung und ging auf seinen Freund zu. «Was los ist?! Schau dich doch um. Siehst du nicht all die flimmernden Kästen!»
«Ach so die», sagte Moritz unbetroffen, ohne den Kästen an den Wänden besondere Beachtung zu schenken. «Das war der Einfall des Kardinals. Um mir die Langweile zu vertreiben.» Stephan schockierte diese Antwort so sehr das er wie angewurzelt stehen blieb. Prinzessin Apelda wankte schwankend zu einem Stuhl auf dem sie sich niederfallen lies. «Aber du weist doch was es mit diesen Kästen auf sich hat», stammelte Stephan. «Wie auf sich hat? Der Kardinal hat mir gesagt dass man darin unterhaltsame Bilder sehen kann.
Ist es das was du meinst?» Stephan der erst geglaubt hatte Moritz würde scherzen, verstand nun zu seiner großen Bestürzung, als er in dessen ahnungsloses Gesicht sah, das es seinem Freund ernst war und er wirklich vergessen hatte welche Bewandtnis es mit den flimmernden Kästen hatte.
Moritz hatte nun schon für so lange Zeit die magische Krone getragen die ihm alle Erinnerungen nahm, dass er wirklich alles was passiert war, bevor sie zu diesem Schloss gekommen waren, vergessen hatte.
«Aber die Kästen sind doch ein Werk des Flimmerherrschers der sie gebraucht um all die Kinder davor zu bannen. Hast du denn das vergessen?!» Stephan warf seinem Freund einen fast flehenden Blick zu. «Davon hat mir der Kardinal nichts gesagt», antwortete Moritz und zog verwundert die Augenbraunen in die Höhe. Der Kardinal, der seit Moritz Bekennung das er nichts besonderes an den Kästen fand, siegesgewiss gegrinst und Stephan hämisch angeschaut hatte, sprach nun eindringlich auf Moritz ein: «Weil nichts davon wahr ist, ich kann es versichern, mein großer Herrscher. Kein Wort. Die Kinder phantasieren. Das ist alles.»
«Na also», sagte Moritz indem er an Stephan vorbeiging und sich auf seinen Thron an der Tafel setzte. «Wer ist überhaupt dieser Flimmerherrscher von dem du mir Tag ein Tag aus die Ohren voll paukst lieber Freund? Es gibt nur einen Herrscher im Phantastischen Land. Und der bin ich! Und nun wünsche ich zu essen.»
Als der Tisch gedeckt und man sich zum Mahle niedergesetzt hatte, fehlten Stephan und Prinzessin Apelda. Moritz der sich angeregt mit seinen Hofstab unterhielt merkte das überhaupt nicht. Der einzige der sich dessen bewusst war, war der Kardinal der sich gar nicht genug drüber freuen konnte. Er sann schon seit langem auf einen Weg wie er die beiden störenden Kinder aus Moritz Umfeld entfernen konnte. Sie hinderten ihn daran den jungen Herrscher voll und ganz unter seine Kontrolle zu bekommen. Nun glaubte er die beiden hätten das Schloss endgültig verlassen und für immer aufgegeben sich weiter um Moritz zu bemühen. Doch er freute sich zu früh. Stephan und Prinzessin Apelda hatten ihren Freund nicht im Stich gelassen. Sie saßen nebeneinander im duftenden Heu in einer stillen Ecke des Stalls und beratschlagten.
Hier hatten sie sich oft zusammengefunden in all den vergangenen Tagen, ja Wochen die sie nun schon in Schloss verweilten. Hier im Halbdunkel konnte sie niemand sehen oder hören, außer die Pferde, aber die fraßen nur still ihren Hafer ohne sich um die beiden Kinder zu kümmern, die ihnen aufgrund ihrer häufigen Besuche vertraut waren. «Was sollen wir bloß tun», fragte Prinzessin Apelda gerade. Ihre Stimme klang mutlos. Und das waren die zwei auch. Nicht nur mutlos sondern auch niedergeschlagen. Die Affen und die flimmernden Kästen hatten bewiesen dass der Kardinal in irgendeiner Verbindung mit dem Flimmerherrscher stand. Wie sollten sie verhindern dass Moritz in die Kästen hineinschaute und selbst davor gebannt wurde, hatte er doch vergessen welche böse Magie in ihnen lebte?!
Es würde vergebens sein, zu versuchen ihn davon zu überzeugen. Kindliche Phantasien, hatte der Kardinal spöttisch gesagt. Und Moritz hatte dem bösen Mann Glaube geschenkt.
Ja, was sollten sie bloß tun, grübelte Stephan betrübt. Er hatte jeden Tag von neuen gehofft dass Moritz eines Morgens die Reise mit ihnen fortsetzen würde. Erst jetzt sah er ein wie töricht das gewesen war. Das lange vergebliche Hoffen und Warten hatte sich als Zeitverschwendung entpuppt. Vielleicht er ist nun alles zu spät, durchfuhr es ihn. Moritz würden sie nicht mehr retten können. Wieder einmal hatte der Flimmerherrscher gezeigt welche Macht er besaß. Sie konnten gegen ihn nicht ankommen. Stephan kämpfte tapfer gegen die immer größer werdende Verzweiflung die sich seiner bemächtigte. So darf ich nicht denken, ermahnte er sich. Solange Prinzessin Apelda bei mir ist kann und darf ich nicht aufgeben! Wieder hörte er ihre traurige Stimme neben sich aus dem Dunkeln. «Ist alles verloren?» Stephan riss sich zusammen. «Nein noch nicht», sagte er entschieden.
Es gelang ihm sich zuversichtlich anzuhören. Aber schon kamen ihm neue Zweifel. Hatte es überhaupt einen Sinn so zu tun als hätte er noch Hoffnung? Er war doch genauso ratlos wie Prinzessin Apelda.
Da hörte er den Schwarzen Rappen unten im Stall laut und energisch wiehern. Und mit einem Mal wusste er was sie machen mussten. «Wir werden morgen früh alleine zur flimmernden Stadt aufbrechen», verkündigte er kühn. «Du und ich Prinzessin Apelda. Wir werden reiten! Ich auf dem schwarzem Rappen und du auf der weißen Stute.» Prinzessin Apelda wollte etwas einwenden, doch Stephan lies sie nicht zu Wort kommen. «Ich weiß was du sagen willst» , Prinzessin. «Aber glaub mir, Moritz können wir jetzt nicht helfen. Es ist zwecklos das wir hier weiter rumhängen.»
Und so wurde es zwischen den beiden beschlossen. Morgen wollten sie endlich von diesem fürchterlichen Ort entfliehen!
Ach, wenn es doch schon Morgen wäre.
Noch lange saßen sie beisammen und legten einen Plan für ihr gewagtes Unternehmen. Sie sahen sich nicht in der völligen Dunkelheit die nun im Stall überhand genommen hatte, aber das war auch gar nicht nötig, denn sie saßen ganz dicht beieinander, hielten sich vertraulich an den Händen und flüsterten , wie zwei Verschwörer, leise miteinander. Bevor sie den Stall verließen um zu Bett zu gehen, richteten sie die Sättel ihre beiden Pferde her und gaben ihnen beiden eine extra Portion Hafer, damit sie morgen ganz frisch und stark waren.
Überstürzende Ereignisse
Stephan fand wenig Schlaf in dieser Nacht. Vielerlei Gedanken plagten ihn, ließen ihm keine Ruhe. Nicht nur beschäftigten ihn die Geschehnisse des morgigen Tages. Er fragte sich immer wieder, ob es richtig war Moritz hier alleine zurückzulassen. Auch wenn sein Freund so sehr verändert war, so war er doch sein Freund. Und einen Freund lässt man nicht im Stich. Gerade wenn er in höchster Gefahr ist steht man an seiner Seite.
Aber wie er zu Prinzessin Apelda gesagt hatte; sie konnten Moritz jetzt wirklich nicht durch ihre Anwesenheit helfen. Oder sollte er lieber noch einmal versuchen Moritz zu überreden mitzukommen? Solche und ähnliche Fragen und Überlegungen bekümmerten Stephan, der sich viele Stunden schlaflos in seine Kissen wand. Nicht nur einmal musste er vor sich selbst seinen Entschluss Morgen aufzubrechen rechtfertigen. Erst als er sein schlechtes Gewissen niedergekämpft hatte schlief er endlich ein.
Es war früher Morgen, überall im Schloss war alles noch still und leer, als Stephan behutsam an der Tür zu Prinzessin Apeldas Gemach klopfte.
Sie hätte sich eigentlich schon längst unten im Stall einfinden sollen, denn so hatten die beiden es gestern miteinander verabredet. Doch Stephan hatte dort vergebens auf sie gewartet. Auf sein wiederholtes Klopfen hin, kam keine Antwort. Vorsichtig drückte er die Türklinke hinunter, öffnete die Tür einen Spalt und flüsterte leise Prinzessin Apeldas Name. Auch jetzt vernahm er keinen Laut aus dem Inneren des Raumes. Von beginnender Unruhe erfasst betrat er das Gemach. «Prinzessin Apelda», raunte er noch einmal, diesmal lauter und eindringlicher. Nichts bewegte sich hinter den Vorhängen ihres Bettes. Sie muss sehr fest schlafen, überlegte Stephan, angestrengt in die Stille lauschend. Doch er vermochte keine Atemzüge zu hören. Behutsam schob er die Bett Vorhänge ein wenig auseinander und lugte durch die schmale Öffnung. Das Bett war leer. Vollends riss er die Vorhänge zur Seite. Die Kissen waren unberührt, die Laken lagen ordentlich aufeinander. Stephan wurde es mulmig zumute, als er da vor dem leerem Bett stand. Entweder war Prinzessin Apelda gestern Nacht niemals zu Bett gegangen oder sie war schon aufgestanden. Aber wo war sie? Stephan versuchte ruhig zu bleiben. Sie war sicherlich in der Zwischenzeit zum Stall gekommen und wartete nun dort auf ihn, hoffte er bei sich. Mit schnellen Schritten verließ er ihr Gemach, und eilte die Marmortreppe hinunter.
Ein Affe kletterte ihm, schrilles Gekreisch ausstoßend, auf dem Treppengeländer entgegen. Auf seinem Kopf trug er ein kleines goldenes Krönchen. Stephan blieb bei seinem Anblick stocksteif stehen. Nicht das das Erscheinen des Affen ihn sonderlich erschreckte, seit dem gestrigen Tage wimmelte es im Schloss nur so von herumtollenden Affen, nein, es war das Krönchen auf des Affens Kopf das Stephan erstarren gelassen hatte. Dieses Krönchen gehörte nämlich Prinzessin Apelda!
Er erkannte es genau, als der Affe ihn blödsinnig angrinsend an ihm vorbei kletterte. Blitzschnell drehte sich Stephan um und setzte dem Affen nach, der, als er verstand das er verfolgt wurde, hohe aufgeregte Laute von sich gab und versuchte die Wand zu ersteigen. Doch Stephan war schneller und es gelang ihm einen der Hinterfüße des Affens zu fassen. Mit der anderen Hand riss er dem Tier die Krone von Kopf. «Du gemeiner Dieb»!, schimpfte Stephan , lies aber den Affen sofort wieder frei, der auf einen an der Decke hängenden Kronleuchter sprang, von wo er feindselig auf seinen Züchtiger hinab-glotzte. Stephan kümmerte sich nicht weiter um das Tier. Er hatte wichtigeres zu bedenken. Es konnte kein Zweifel sein: Die Krone in seinen Händen war wirklich Prinzessin Apeldas. Die Gewissheit was das zu bedeuten hatte lies ihn erschaudern. Prinzessin Apelda war von den Affen entführt worden! Wie ihre Eltern und der kleine Prinz Lulu durch die Schläuche gesaugt worden! Es konnte nicht anders sein. Die Krone im Besitz des Affen und das sie heute Morgen nicht wie verabredet bei ihrem vereinbarten Treffpunkt aufgetaucht war, war Beweis genug. Was Stephan nun tat, geschah ohne Nachzudenken. In Ohnmächtiger Wut, wie von Sinnen, stürmte er die Treppen zu Moritz Zimmer hoch. Die Wachen sahen ihn kommen und erkannten den Jungen der sich schon einmal unerlaubt Zugang zu ihres Herrschers Zimmer verschaffen hatte. Als er zwischen ihnen hindurch rennen wollte, hielten sie ihn zurück, ihre Hände schlossen sich wie Zangen um seinen Arm. Stephan spürte den Schmerz kaum, so besinnungslos, so außer sich war er. «Last mich los», schrie er, seine Lippen zuckten vor unbändigem Zorn. Wild sträubte er sich, mit aller Kraft die er besaß schlug Stephan um sich und versuchte sich dem Griff der Wachen zu entwinden. «Last mich los!» Da ging die Tür von innen auf und Moritz noch im Nachthemd erschien. Auch jetzt trug er die Krone auf dem Kopf. «Was zum Teufel geht hier vor», erkundigte er sich verärgert. «Sie haben Prinzessin Apelda entführt, sie haben Prinzessin Apelda entführt!» Stephan konnte nachher nicht sagen wie oft er diesen einen Satz wiederholt hatte. Wieder und wieder schrie er ihn heraus, so laut er nur konnte. Jedermann sollte es erfahren! Der Tumult weckte im Nu das ganze Schloss. Alle Türen öffneten sich, von überall kam man angelaufen. Auch der Kardinal stand wie aus dem Boden gewachsen plötzlich neben Moritz. «Ja, ja, ich habe es ja gehört», versuchte Moritz den schreienden zum Schweigen zu bringen. «Jetzt hör doch endlich mit dieser Schreierei auf.» Stephan kam langsam zu sich. Mit vor Erregung zitternder Stimme sagte er. «Die Affen haben Prinzessin Apelda entführt! Bestimmt im Auftrag des Flimmerherrschers.» «Ist das wahr?», Moritz wendete sich gebieterisch dem Kardinal zu. Der Kardinal war wie immer völlig gelassen und unberührt. In Aufrechter Haltung stand er da, die Hände auf dem Bauch ineinander gelegt. «Oh nein. Das Kind phantasiert mal wieder. Prinzessin Apelda wurde von niemand entführt. Sie machte sich gestern auf den Weg zurück zum Phantastischen Schloss.» Er warf Stephan, den die Wachen immer noch unbarmherzig umklammert hielten, einen versengenden Blick zu. Dann sprach er in der gleichen liebenswürdigen Art weiter. «Sie trug mir auf das ihnen heute mitzuteilen. Sie wird Heimweh bekommen haben, das arme Kind.» «Er lügt», behauptete Stephan, der seine Fassung wiedererlangt hatte. Die Verschlagenheit und Tücke des Kardinals lies ihn mit einmal ganz ruhig werden. «Er lügt», wiederholte er noch einmal, aufrichtig schaute er Moritz an. Wie bleich er ist, dachte Stephan als er in das müde blasse Gesicht seines Freundes sah.
Moritz war wirklich furchtbar blass. Nur die Augen lebten. Als brenne in ihnen ein ewig loderndes Feuer. Entfacht als Moritz Herrscher über das Phantastische Land geworden war. Mehr und mehr schien es ihn zu verzehren, ihm alle Kräfte zu rauben. Stephan wartete gespannt auf Moritz Antwort. Wem würde er glauben? Ihm oder diesem trügerischen Kardinal der ihn wie eine Spinne umgarnt hatte, ihn mit seinem Gift mehr und mehr betäubte. «Wenn sie es sagen, Kardinal dann wird es wohl so sein», sagte Moritz gleichgültig. «Was kümmerst mich.» Zu Stephan gewandt fügte er hinzu. «Mein lieber Freund, mäßige dich in deinen Phantasien und unterlasse es gefälligst ab jetzt meinen Schlaf zu stören. « Krachend ging die Tür hinter ihm zu. Die Wachen ließen Stephan los, gaben ihm einen unsanften Schubs sodass er zu Boden stolperte. Der arme Junge rappelte sich auf die Beine und ging von dannen ohne zu wissen wohin. Gedankenlos ging er Treppen hoch und runter ohne ein Ziel zu haben, nahm nichts von dem war was um ihn herum geschah. Fühlte nichts mehr, eine große Schwarze Leere hatte von seinem Innerem Besitz ergriffen. Lange lief Stephan so im Kreis durch die Rundgänge des Schlosses. Wieder einmal kam er an der Tür des großen Saales vorbei. Plötzlich durchfuhr es ihn heiß: Der Schlüssel!
Er hatte immer noch den Schlüssel den Moritz ihm gegeben hatte.
Der Schlüssel für den Glaskasten indem die andere Krone, die für Stephan bestimmt war, aufbewahrt wurde. Wenn Moritz nicht mit guten Worten beizukommen war dann musste man härtere Mittel in Gebrauch nehmen, überlegte Stephan zum Äußersten entschlossen. Ich werde mir meine Krone auf den Kopf setzen und selber Herrscher werden! Dann werde ich genauso mächtig wie Moritz! Verstohlen schaute Stephan sich um. Niemand schenkte ihm Beachtung. Oh hoffentlich war die Tür nicht verschlossen, flehte er im Stillen. Hastig drückte Stephan die Türklinke runter, die Tür glitt auf und schon war er in den großen Saal geschlüpft, behutsam die Tür wieder hinter sich zudrückend. Da war der Glaskasten, indem, auf einem rotem Samtkissen, die Krone lag. Die Krone auf dem sein Name eingraviert war.
Schon war Stephan bei ihm und steckte den Schlüssel ins Schloss. Vorsichtig öffnete er den Glasdeckel des Behälters, die Krone funkelte ihm in all ihrer Pracht entgegen. Und wieder, wie schon damals als er zusammen mit Moritz und Prinzessin Apelda die Kronen zum ersten Mal gesehen hatten, weckte ihr Anblick Gefühle der Begierde in ihm. Alle ihre strahlenden, glitzernden Edelsteine die sich im Licht grell widerspiegelten, blendeten seine Augen, nahmen ihn ganz und gar ihn ihren Bann. Das ist meine Krone, dachte Stephan stolz bei sich. Ich brauch sie mir nur auf den Kopf zu setzen um selbst ein Herrscher zu werden. Vielleicht werde ich sogar noch mächtiger als Moritz. Dann kann ich mir gewaltige Heere wünschen und den Flimmerherrscher besiegen. Prinzessin Apelda befreien und zusammen mit ihr über das Phantastische Land regieren! Seine Hände umfassten die Krone hoben sie zum Kopf. Doch als hätte die Erinnerung an Prinzessin Apelda ihn zur Besinnung gebracht, hielt er abrupt in seiner Bewegung inne. Du darfst das nicht tun hatte sie warnend gesagt als Moritz sich selbst gekrönt hatte. Moritz hatte es getan. Und was war aus ihm geworden? Aus dem lebhaften, mutigen, besten Freund der Welt? Ein hartherziger, gefühlloser Fremder der glaubte er sei ein mächtiger Herrscher und alles andere vergessen hatte. Die Welt aus der er gekommen war, seine Freunde. Moritz war gar kein Herrscher, wurde es Stephan mit einen mal klar, sondern ein Gefangener in diesem Schloss. Ein Gefangener des Kardinals der ihm sagte was er tun oder lassen sollte. Schnell legte Stephan die Krone zurück auf das Samtkissen. Gerade hatte er den Glasbehälter wieder verschlossen, da hörte er ein höhnisches Gelächter das von allen Seiten gleichzeitig zu kommen schien. Stephan schaute sich erschrocken um, wie ein Dieb den man auf frischer Tat ertappt hatte. Aber da war niemand. Auch das Gelächter verstummte sofort wieder. Nur die Kästen an den Wänden die die Affen dort gestern aufgestellt hatten, flimmerten leise vor sich hin. Auf ihren Bildschirmen war nichts anderes auszumachen als tausende von winzigen schwarzen und weisen Punkten. Erneut erscholl das laute Gelächter, das so konnte man meinen, von den Kästen her kam. Plötzlich hörte das Flimmern auf und ein hässliches ganz und gar Kantiges Gesicht wurde auf sämtlichen Bildschirmen sichtbar. Stephan schrak zusammen. Er erkannte diese bösartige Fratze wieder. Es war das gleiche Gesicht das zu ihm und Moritz aus den Flimmernden Kästen gesprochen hatte als sie in der Steppe zwischen ihnen hindurchgegangen waren. Er hatte es damals nicht wissen können aber nun begriff Stephan dass dies das Gesicht des Flimmerherrschers sein musste. Die dicken unförmigen Lippen des Gesichtes, das ihm von allen Bildschirmen entgegen starrte, begannen sich zu bewegen: «Oh, willst du dir die Krone nicht aufsetzen. Los, los setze sie dir auf. Werde wie dein kleiner Freund Herrscher über das Phantastische Land! Dann kannst du dir alles wünschen was dein Herz begehrt!»
«Niemals», sagte Stephan entschieden. Mit eiligen Schritten ging er zu einem der Fenster, riss es auf und schleuderte den Schlüssel soweit er nur konnte heraus. Das Gelächter erklang von neuen, diesmal hatte es einen spöttischen Klang. Laut echote das Getöse zwischen den Wänden des großen Saales hin und her. «Schmeiße ihn nur weg», krächzte es aus den Kästen. «Das tut nun nichts mehr zur Sache. Ihr seid alle drei sowieso verloren. Du, die kleine Prinzessin Apelda und dein törichter Freund Moritz. Ich stellte euch eine Falle und meine List gelang!»
«Was für eine List?», fragte Stephan, wachsam auf einen der Kästen zugehend. «Dieses Schloss, ich errichtete es um Euch hier zurückzuhalten, damit ihr eure Reise nicht fortsetzen würdet. Die Kronen in denen ich deinen und Moritz Namen ritzte, um euch glauben zu lassen ihr wärt auserkoren Herrscher über das Phantastische Land zu werden, sind nur Trug wie alles hier im Schloss. Ja wie das Schloss selbst. Alles Trug, Einbildung, Zauberei!
Jedes Menschenkind das die Krone trägt, verliert die Verbindung zur Welt der Menschen, für immer bleibt es hier im Phantastischen Land gefangen.» Die Stimme verstummte als wollte sie Stephan Zeit lassen über das gesagte nachzudenken. Dann, nach einer kurzen Pause, begann sie von neuen: «Weist du denn nicht wer ich bin? Der Flimmerherrscher, sagte Stephan voll Abscheu. «Ja, aber schau mich nun an. Erkennst du mich?» Stephan, der bis her nur kurze, furchtsame Blicke auf die Bildschirme geworfen hatte, betrachtete nun das Gesicht genauer. Es hatte sich verändert. Seine Lippen waren schmaler geworden, die Augen stechen, die Nase spitz. Das Gesicht was ihn nun von allen den flimmernden Kästen entgegen leuchtete, war das Gesicht des Kardinals. Er und der Flimmerherrscher waren also ein und dieselbe Person! Stephan stürmte Hals über Kopf, von unkontrollierbarer Panik ergriffen, aus dem Saal heraus. Schadenfrohes Gelächter verfolgte ihn bis die schwere Saaltür hinter ihm zufiel.
Ein nächtliches Unternehmen
Stephan lag auf dem Bauch in seinem Bett. Dunkle,
schwermütige Gedanken beherrschten ihn. Er hätte es ahnen sollen dass der Kardinal und der Flimmerherrscher eins waren, tadelte er sich. Voll Wehmut dachte er an Prinzessin Apelda. Solange sie noch bei ihm gewesen war hatten sie einander Trost zusprechen können. Nun war er ganz auf sich gestellt und in seiner Einsamkeit erschien ihm alles hoffnungslos. Wie hatte der Flimmerherrscher gesagt? Jedes Menschkind das die Krone trägt verliert die Verbindung zur wirklichen Welt, für immer bleibt es im Phantastischen Land gefangen. Stephan setzte sich abrupt auf. Wenn die Krone schuld an Moritz Veränderung war, überlegte er fieberhaft, dann muss ich versuchen sie zu rauben und zu vernichten. Aber wie? Durch die Tür war kein Durchkommen, dort hielten die gemeinen Wachen Tag und Nacht Wache.
Da erinnerte er sich daran, das das Gemach in dem Moritz schlief ein großes Fenster, zum Garten hin hatte. Ja, durchfuhr es ihn. Wenn es mir gelingt mit Hilfe einer Leiter durch das Fenster in Moritz Gemach zu klettern... Es könnte gehen! Ich kann es schaffen! Diese waghalsige Idee gab Stephan verlorenen Mut zurück. Von stürmischen Tatendrang und neuer Hoffnung erfüllt sprang er vom Bett herunter. All seine Verzweiflung war mit einem mal wie weg geblasen. «Oh nein Flimmerherrscher», sagte er laut und kriegerisch vor sich hin. «Noch hast du nicht gewonnen. Noch nicht!»
Im Laufe dieses Tages gab sich Stephan sehr vergnügt und ausgelassen. Ritt mit Moritz auf die Jagd, mengte sich mitten zwischen die schwatzenden feinen Damen und Herren des Hofs, lachte und scherzte mit ihnen, was mit Verwunderung zur Kenntnis genommen wurde, da Stephan sonst immer still und traurig und nur in Begleitung von Prinzessin Apelda dahin geritten war. Nun verhielt er sich hingegen munter und fröhlich, als gäbe es nichts was ihn bekümmerte oder seine Gedanken beschäftigten. Nur wenn der Kardinal, der ihn nicht aus den Augen lies, ihm ab und zu verächtliche Blicke zuwarf, wurde Stephan für eine Weile still und in sich gekehrt.
So ging auch dieser Tag seinem Ende zu, die warmen Strahlen der Sonne wurden kürzer und kraftloser bis sie gänzlich erstarben und tiefe Dunkelheit sich über das Land senkte. Die Jagdgesellschaft war inzwischen zum Schloss zurückgekehrt und nun setzte man sich zum Abendessen im großen Saal zusammen. Stephan schien einen Löwenhunger zu haben, beherzt griff er zu. Nur er allein wusste warum er heute Abend mit so großem Appetit speiste. Er wollte sich nämlich für sein nächtliches Abenteuer stärken, damit er den Anforderungen dieses nicht ungefährlichen Unternehmens gewappnet war. «Ist heute Nacht wieder Ball», fragte Stephan, indem er sich den Teller nachfüllen lies. «Nee, heute Nacht nicht», gab Moritz Bescheid. «Ich werde heute früh zu Bett gehen, da ich große Müdigkeit verspüre.»
«Schade», fand Stephan voll gespieltem Bedauern, «ich habe heute Abend Lust auf einen richtig großartigen Ball!» Er hielt als er das sagte seinen Kopf gesenkt, in Furcht man könnte ihm ansehen, das dies nicht der wahre Grund sei warum er sich erkundigt hatte. Hätte er aufgeschaut, wäre sein Blick dem des Kardinals begegnet, der ihn aus seinen stechenden, grausamen Augen misstrauisch anstarrte.
Nach dem Abendessen ging Stephan sofort auf sein Gemach und wartete dort, ungeduldig hin und her gehend, bis er sicher sein konnte das Moritz zu Bett gegangen war. Dann schlich er sich auf leisen Sohlen aus dem Schloss heraus. Die Wachen am Eingangsportal beachteten ihn kaum als er sie passierte, da ihre Aufgabe ja daraus bestand zu kontrollieren wer in das Schloss hereinkam, nicht wer heraus spazierte. Es war eine sehr finstere Nacht, Mond und Sterne hinter schwarzen Wolken verborgen. Überall herrschte vollkommene Stille. Stephan lief geschwind um das Schloss herum zum Fenster von Moritz Gemach. Zu seiner großen Freude fand er, nach nur kurzer Suche, eine Leiter die an einer der hohen Hecken, die den Garten umsäumten, gelehnt war. Die Gärtner hatten sie wohl dazu benutzt um die obersten Zweige der Hecke zu beschneiden. Das man sie sie auch dazu benutzen konnte, um bei Nacht und Nebel in Fenster reinzuklettern, hatten die Gärtner anscheinend sich nicht vorstellen können, sonst hätten sie die lange Leiter wohl kaum so unachtsam stehen gelassen.
Stephan nahm die Leiter und lehnte sie gegen die Wand, dicht unter Moritz Fenster. Behutsam, Stufe für Stufe erklimmend, kletterte er höher und höher, bis er sich auf gleicher Ebene mit dem Fenstersims befand. Die Vorhänge bewegten sich leicht im säuselnden Nacht Wind. Stephan spürte ein nervöses Kribbeln in seiner Magengegend. Seine Hände waren vor Aufregung ganz feucht geworden. «Also los», sagte er leise, sich selber einen Ruck gebend. Geschickt schwang er sich über den Fenstersims und stand im nächsten Augenblick im dunklen Zimmer. Regungslos blieb er stehen, lauschte gespannt in die Stille. Vom Bett her, dessen Umrisse man gerade so aus der Dunkelheit erkennen konnte, waren tiefe, regelmäßige Atemzüge zu vernehmen. Moritz war also nicht von den Geräuschen, die der nächtliche Eindringling bei seinem Einstieg in das Gemach unweigerlich gemacht haben musste, aufgewacht. Oh so gut das geht, frohlockte Stephan, indem er sich auf Zehenspitzen dem Bett näherte. Dort angekommen zog er nicht die Bettvorhänge beiseite, sondern hob sie sich nur vorsichtig über den Kopf. Da lag Moritz in unruhigem Schlaf, hin und her wandte er sich, als wäre er von Alpträumen geplagt. Sein bleiches, fahles Gesicht erschien in dem milchigen Licht des soeben hinter einer Wolke hervorgetretenen Mondes wie das Leblose Antlitz eines Toten. Stephan wurde von grenzenlosem Mitleid überkommen, es schmerzte ihn seinen Freund in diesem kläglichen Zustand vorzufinden, den die böse Kraft der Krone so schwach und krank gemacht hatte. Auch jetzt war dieses teuflische Kleinod mit Hilfe eines Bändchens, das stramm um Moritz Hals gebunden war, auf seinem Kopf befestigt.
«Jetzt werde ich dich endgültig von dieser grausamen Last befreien, Moritz», flüsterte Stephan leise und machte sich an dem Bändchen zu schaffen, das so fest angezogen war, das es in der Haut rote Striemen hinterlassen hatte. Doch kaum hatten Stephans Finger Moritz Hals betastet, es war nur eine ganz leichte kaum merkbare Berührung gewesen, da erwachte der schlafende aus seinem unruhigen Schlummer, riss die Augen auf und schrie laut, auf als er eine dunkle Gestalt an seinem Bett stehen sah. Stephan wäre, wenn er sofort die Flucht ergriffen hätte, wohl ungeschoren davongekommen, doch ihm war es egal ob man ihn erwischte oder nicht, gelang es ihm nur Moritz von dieser magischen Krone zu befreien und sie durch das Fenster zu werfen das sie auf der Erde in hunderte von Stücken zersprang. Ganz nah beugte er sich zu Moritz hin, der abwehrend beide Hände ausgestreckt vor sich hielt, auch wenn er erkannt haben musste, das es Stephan war der sich über ihn beugte. «Ich bin es», raunte Stephan und versuchte, seinen sich wild sträubenden Freund, durch sanftes Schütteln zur Besinnung zu bringen. «Du musst mir die Krone geben. In ihr wohnt eine böse magische Kraft!» Stephan sprach eindringlich, fast beschwörend. «Hörst du Moritz, du musst mir die Krone geben!» Doch Moritz wollte nicht hören. Ein zweiter panischer Schrei drang aus seiner Kehle. Im selben Augenblick ging die Tür zum Gemach auf, mit einem lauten Knall krachte sie gegen die Wand. Stephan sprang zum Fenster doch es war zu spät. Brutal wurde er von groben Händen nach hinten gerissen. Die hereingestürmten Wachen hatten ihn erhascht. Einer von ihnen hielt eine Fackel vor Stephans Gesicht. «Ha, wenn haben wir denn da?! Der freche Bengel!» Ist wohl diesmal durchs Fenster rein geflogen wie ein Vöglein. Die Hände der beiden Männer drückten sich so fest um Stephans Arm das er die Zähne zusammenbeißen musste um nicht vor Schmerz laut aufzuschreien. Moritz war aus dem Bett aufgestanden und trat mit vorwurfsvoller Miene vor den Gefangenen hin. «Warum wolltest du mir meine Krone rauben», fragte er, mehr Verwundert als Entrüstet. «Weil in ihr eine böse Kraft ruht», antwortete Stephan voll Innigkeit. Fest und mit hoch erhobenem Kopf schaute er Moritz in die Augen. «Der Flimmerherrscher ...»
« alles Phantasien, mein großer Herrscher», unterbrach der Kardinal der in selben Moment im wehenden Morgenrock durch die Tür geeilt kam. «Alles nichts als Phantasien, Majestät. Ich weiß den wahren Grund warum der freche Junge im Schutze der Nacht sich hierher schlich. Er wollte ihnen, oh große Majestät, die Krone stehlen um Herrscher dieses Schlosses zu werden.» Moritz blickte verdattert von dem Kardinal zurück auf Stephan. «Aber er hat doch selber eine Krone, unten im Glasbehälter im großen Saal. Er brauch sie sich ja nur aufzusetzen.»
«Oh, eine Krone reicht diesem verschlagenen Kerl nicht», faselte der Kardinal sofort los, bedacht darauf dass der, den er Anklagte nicht zu Worte kam. «Er möchte der alleinige Herrscher über das Phantastische Land sein.» Als Moritz das hörte zuckte er , wie von einem Peitschenhieb getroffen, zusammen, seine Augen blitzten zornig im flackernden Licht der Fackeln, drohend ging er ganz nahe an Stephan heran. «Ist das wahr», fragte er in strengem, unerbittlichem Ton.
«Ja», erwiderte Stephan ehrlich. «Ich wollte dir die Krone stehlen. Nicht aber um sie mir selber aufzusetzen sondern um sie für immer zu zerstören!»
Stephan wusste dass Moritz ihm nicht glaubte. Nun, in der Gegenwart des Kardinals war es sinnlos sich noch weiter zu bemühen.
«Ich werde morgen über dich richten», entschied Moritz. Es war deutlich aus seiner Stimme herauszuhören das er Stephan nicht gut gesinnt war. Der Kardinal wandte sich hastig an die Wachen. «In den Kerker mit ihm!»
Im Kerker
Man schleppte Stephan viele Treppen hinab, durch finstere Gänge, tief hinunter unter die Erde wo die Verliese des Schlosses waren.
Stephan sträubte sich nicht. Ihm war nun alles egal. Hatte er doch getan was er konnte. Er war fast erleichtert dass nun alles vorbei war, das seine Anstrengungen nun endlich ein Ende gefunden hatten. Als die Tür des Kerkers in den man ihn geworfen hatte , hinter ihm ins Schloss fiel, die Schritte der sich entfernenden Wachen langsam verhallten, setzte er sich mit dem Rücken gegen die kalte Mauerwand und lies seinen Kopf erschöpft auf die Brust fallen. Zum ersten Mal seit langem, dachte Stephan voll Trauer und Schmerz an die Wirkliche Welt zurück, an Vater und Mutter zu Hause. Ach, wie er sich jetzt zu ihnen zurück sehnte. Ein fürchterlicher Gedanke kam ihm; Moritz würde vielleicht nie mehr zu seinen Eltern zurückkehren können! Stephan bereute nun bitterlich dass er damals vor der Tür des Rektors den Vorschlag gemacht hatte, sie sollten versuchen sich in das Phantastische Land zu wünschen. Besser wäre es gewesen, fand er nun, sie hätten ihre verdiente Straffe bekommen. Nichts konnte schlimmer sein als das was sie jetzt erlebten.
Da war es ihm als sähe er Prinzessin Apeldas anmutiges Gesicht aus der Dunkelheit zu ihm lächeln. Er hätte sie nie kennen gelernt wenn er nicht ins Phantastische Land gekommen wäre! Auch nicht Kelum das mystische Phantasie Wesen, Heras den lustigen Händler, das Mufflonsvolk im Berg, den kleinen bunten Prinz Lulu, seine Königlichen Eltern, und Jeki das seltsame Löwenvogelgazellentier. Und niemals hätte er alle die tollen und außergewöhnlichen Dinge gesehen, wie den Zitronenkuchenbaum, den magischen Wegweiser, die schaukelnde Brücke, niemals hätte er auf seinem eigenen Sternzeichen am Himmel reiten können oder das Phantastische Spiel spielen, das, auch wenn es am Anfang ein wenig erschreckend gewesen war, doch sehr viel Spaß gemacht hatte. All diese lebhaften, bunten Erinnerungen wurden in Stephan wach, als er da saß im engen kalten Verlies, tief unter der Erde in den Kellergewölben des Schlosses. Sie gaben ihm Trost und ließen ihn nicht gänzlich verzweifeln.
Plötzlich hörte er ein Geräusch, ganz nahe bei sich. «Ist da jemand?», fragte er ängstlich in die Dunkelheit hinein. «Ja ich», hörte er eine wohlbekannte Stimme. Das ist die Stimme von Kelum dem Phantastischen Wesen! - erkannte Stephan voll inniger Freude. «Kelum bist du es?»
«Warte nur ein Weilchen», kam die Antwort, «muss nur den Lichtschalter finden.» Bevor Stephan sagen konnte, dass es in diesem Kerker ganz sicherlich keinen Lichtschalter gab, leuchtete mit einem mal eine helle Lampe von der Decke hinab. Kelum das Phantastische Wesen stand an der Tür. Stephan erkannte es an dessen Gesicht, das sich im Gegenteil zu seiner Gestalt ja nie veränderte. Nun hatte es gerade das Aussehen eines Gefangenen angenommen, es trug dieselben Kleider die Gefangenen anziehen müssen wenn sie ihm Gefängnis sind. Kelum grinste Stephan fröhlich an.
«Mit ein bisschen Licht wird alles schon viel angenehmer, meinen sie nicht auch junger Mitgefangener? Oh, aber was für ein abscheulicher Kerker das ist», fügte das Wesen hinzu, indem es sich missbilligend umschaute. «Machen wir es uns Sträflinge etwas gemütlicher. Alles müssen wir uns ja auch nicht bieten lassen!» Kaum hatte das Phantastische Wesen das gesagt, verwandelte sich wie durch Magie der enge Kerker in ein nettes Kämmerchen. In einem offenen Kamin brannte ein Wärmespendendes, lustig knisterndes Feuer, über dem ein großer Kessel hang, indem es gluckste und brodelte. Zwei breite bequeme Sessel standen vor dem Kamin und zwischen ihnen ein Tischlein auf dem zwei Becher bereitgestellt waren. Der Fußboden war nun nicht mehr aus hartem Stein sondern aus Holz von einem flauschigen, wolligen Teppich überdeckt. «Darf ich bitten, junger Herr.» Kelum wartete bis Stephan sich auf einen der Sessel niedergelassen hatte, bevor es in dem anderem Platz nahm. «Wäre eine Tasse fantastisch leckeren Getränks gefällig», erkundigte sich Kelum das Phantastische Wesen, das nun die Gestalt eines alten Mannes angenommen hatte, der eine Brille auf der Nase trug und einen langen weisen Bart hatte. «Ich habe es selbst gebraut.» Mit einer breiten Kelle füllte es beide Becher mit dem verführerisch duftenden Getränk aus dem Kessel.
«Du bist ein ganz tapferer Junge», meinte Kelum mit beifälligen Nicken, indem es Stephan einen Vollgefüllten Becher darbot. Stephan nahm dankbar entgegen und trank kleine Schlücke von dem köstlichen Getränk.
Kelum lehnte sich in seinem Sessel zurück und strich sich nachdenklich durch den weißen Bart. «In welch böses Abenteuer ihr euch da verstrickt habt. Ich wollte euch helfen, doch der Flimmerherrscher baute eine unsichtbare Mauer um das ganze Schloss herum, sodass es mir nicht gelang in das Schloss hereinzukommen. Nun ist die Mauer weg, wohl weil der Flimmerherrscher annimmt er hätte sowieso gewonnen.»
«Aber bist du nicht mächtiger als der Flimmerherrscher», fragte Stephan hoffnungsvoll. Kelum schaute verdrossen drein. «Oh ich war es einmal, doch seitdem alle die Kinder statt Abenteuer zu erleben in diese blöden, ich bitte um Verzeihung für diesen unschönen Ausdruck, in diese erbärmlichen, dummen, flimmernden Kästen schauen, nimmt meine Kraft und Macht ab, der Flimmerherrscher aber, wird immer stärker. Du musst wissen», setzte Kelum fort, mit ernster, trauriger Stimme, «ich und der Flimmerherrscher bekommen unsere Kraft von den Menschenkindern. Desto mehr von ihnen im Phantastischen Land sind und es mit ihrer Phantasie beleben desto mehr Kraft und Leben erfüllt auch mich. Desto mehr von ihnen aber Taten und Gedankenlos vor diesen flimmernden Kästen stehen, desto größer wird die Macht des Flimmerherrschers. Mit jeder Stunde in der die Menschenkinder in die Flimmerkästen gucken wird ihre Phantasie schwächer, manche von ihnen werden in ihrem Inneren sogar bösartig. Du hast die schreibenden Federn im Raum der Phantastischen Geschichten gesehen. Wenn alle diese Federn aufhören zu schreiben, weil keine Menschen Kinder im Phantastischen Land Abenteuer erleben, werde auch ich und das Phantastische Land aufhören zu existieren.» Stephan brauchte nicht lange, über das was Kelum ihm erzählt hatte, nachzudenken um zu verstehen wie alles zusammenhing. Es wurde ihm nun klar dass er schon oft in diesem Phantastischen Land gewesen war. Als er sich vorgestellt hatte er sei ein edler Ritter, oder ein berüchtigter Pirat, der auf allen Welten Meeren segelte. Und all die anderen Male, als er sich Geschichten und Abenteuer ausgedacht hatte. Aber nie hatte er richtig dran geglaubt und darum waren ihm seine Phantasien auch nie wirklich erschienen. Als er aber mit Moritz vor dem Tür des Rektors gestanden hatte, da war ihr vereinter Glaube so stark gewesen, das das Phantastische Land wirklich geworden war, für ihn und Moritz. Und nun drohte diesem Phantastischen Land, Kelum und Prinzessin Apelda und alle den anderen Wesen die es in ihm gab ein Ende.
Der Flimmerherrscher darf nicht gewinnen dachte Stephan grimmig. Ich will es nicht geschehen lassen! Zuerst muss ich Moritz aus des Flimmerherrschers Gefangenschaft befreien.
«Du willst deinen Freund sicherlich helfen» , sagte Kelum als hätte er Stephans Gedanken erraten. Stephan nickte eifrig. «Sage, was ich tun kann um Moritz aus der Betäubung zu erwecken?» Das Phantastische Wesen starrte auf diese Frage hin, lange Gedankenverloren in das flackernde Feuer. Als es endlich sprach, war es als käme seine Stimme von weit her. «Im Norden den Phantastischen Landes, inmitten des weißen Schneegebirges, liegt der grüne Berg auf dem es immer Sommer ist. Ewig blühen dort Blumen und Pflanzen, im nie endenden Tageslicht. An seinem Fuß ist eine Felsenhöhle, bewacht von einer dreiköpfigen Hydra die jeden verschlingt der sie für wirklich hält.»
«Ist sie denn nicht wirklich», fragte Stephan verständnislos. «
«Oh nein, nur wenn du dich vor ihr fürchtest und du sie mit deiner Angst als etwas Wirkliches anerkennst kann sie dir was antun.
In der Felsenhöhle fliest eine Quelle die tief im grünen Berg ihren Ursprung hat. Es ist die Quelle der Phantasie auf deren Grund der Spiegel der Wirklichkeit liegt. Wenn dein Freund in ihn reinschaut wird die Betäubung von ihm lassen und er wird wieder zu sich kommen. Aber bedenke, du darfst nur einmal nach dem Spiegel fassen. Fast du ein zweites Mal erstarrt das Wasser zu ewigem Eis! «
«Ist es weit bis zu dem Schneegebirge?»
«Ja, es liegt fern von hier, im hohen Norden. Und dir bleibt nicht viel Zeit. Die Quelle der Phantasie trübt sich mehr und mehr, so wie die Phantasie der Menschenkinder. Wenn ihr Wasser Schwarz ist, wirst du den Spiegel der Wirklichkeit auf ihrem Grunde nicht mehr sehen können. Und dann ist es für deinen Freund und alle die anderen Kinder die der Flimmerherrscher in seiner Gewalt hat zu spät.»
«So muss ich mich beeilen», rief Stephan. «Hab dank Kelum!»
Schnell erhob er sich aus dem Sessel und lief zur Tür. Aber da entsann er sich das er ja in einem Kerker gefangen war und es durch die eiserne Tür seines Gefängnisses kein Durchkommen gab. Hilfe suchend drehte er sich zu Kelum um. Doch das Phantastische Wesen war nicht mehr da. Auch der Kamin war verschwunden, ebenso die Sessel und all die anderen Dinge die so plötzlich beim Erscheinen Kelums aufgetaucht waren. Stephan stand wieder Mutterseelen-allein in der kalten, dunklen Zelle. Als er sich erneut zur Tür umwandte war da ein kleiner Zettel befestigt. Seine Schrift leuchtete wie von selber in der Dunkelheit. Es stand: Kümmere dich nicht um die Tür. Sie ist wie die dreiköpfige Hydra. Viel Glück, mein tapferer Junge. Stephan las die Zeilen mehrmals. Was meinte Kelum wohl damit dass die Tür wie die dreiköpfige Hydra ist? Er erinnerte sich an das was Kelum ihm über die Bewacherin der Felsenhöhle erzählt hatte. Und mit einmal begriff er die Bedeutung von Kelums Botschaft. Ich darf einfach nicht glauben dass die Tür Wirklichkeit ist, überlegte Stephan bei sich. Ich muss so tun als gäbe es sie nicht! Er schloss die Augen und stellte sich ganz fest vor das keine Tür vor ihm sei. Voll Vertrauen machte er einen großen Schritt nach vorne. Ein zweiter folgte und dann noch einer. Kein Hindernis versperrte ihm den Weg und als Stephan seine Augen wieder auftat war er auf der anderen Seite der verschlossenen Kerker Tür. Ha! dachte er. Die werden Augen machen wenn sie sehen dass ich spurlos verschwunden bin! Moritz hält sich für den Herrscher des Phantastischen Landes. Wer bin dann ich? Ein Zauberer?! Stephan war so voll von dusseliger Freude und neuer Zuversicht dass er drauf und dran war ein lustiges Lied vor sich her zu pfeifen. Behände sprang er die Treppen hoch die aus dem Kellergewölben des Schlosses heraus führten. Im Schloss schien alles tief und fest zu schlafen. Der Tumult für den Stephan mit seinem Einstieg in Moritz Gemach gesorgt hatte, hatte nicht lange die Nachtruhe stören können. Der aus seinem Gefängnis entschlüpfte kam unbehelligt bis zum Eingang des Schlosses. Das einzige was nun noch zwischen ihm und der Freiheit stand, waren die zwei Wachen deren Silhouetten sich draußen in der Dunkelheit abhoben. Stephan zauderte nicht lange. Er nahm ordentlich Anlauf und schoss wie ein Pfeil durch das Tor hindurch. So schnell ging das , das die Wachen die stumpfsinnig vor sich hingestarrt hatten, erst reagierten als Stephan schon in der Finsteren Nacht verschwunden war und eine Verfolgung aussichtslos gewesen wäre. Der Flüchtende lief und lief, mit nur einem Ziel vor Augen, nämlich so weit wie möglich vom Schloss wegzukommen. Als Stephan nicht mehr Weiterrennen konnte krabbelte er unter ein dichtes Gebüsch und war vor Müdigkeit bald darauf in tiefen Schlaf gesunken.
Ein frohes Wiedersehen
Viele Stunden schlief er, bis weit in den Morgen hinein. Er
wachte davon auf das sich etwas neben ihm rührte. Es war inzwischen helllichter Tag geworden, die Vögel zwitscherten, von einem strahlend blauen Himmel schien die goldene Sonne. Wieder spürte Stephan eine Bewegung neben sich. Verwundert drehte er den Kopf zur Seite und hätte vor Freude fast laut aufgeschrien. Neben ihm lag niemand anders als Jeki das Löwenvogelgazellen Tier, friedlich schlummernd!
Der glückliche Zufall hatte gewollt das Stephan genau in dem selben Busch Schutz gesucht hatte den Jeki schon seit mehreren Nächten als sein Schlafplatz benutzte. «Jeki», rief Stephan überglücklich. «Jeki wach auf ich bin es Stephan!» Jeki hob träge seinen mächtigen Löwenkopf, blinzelte schlaftrunken mit den Augen, war aber beim Anblick des Jungen neben ihm, sofort hellwach. «Träume ich», stammelte es und sah Stephan ganz verdattert an. Stephan stupste Jeki freundschaftlich an. «Nein du träumst nicht. Ich bin aus dem Schloss geflohen!» Der Junge erzählte Jeki alles was sich im Schloss zugetragen hatte. «Es tut mir so leid das ich euch nicht beistehen konnte», sagte Jeki als Stephan mit seinem unerfreulichen Bericht von den Geschehnissen im Schloss geendet hatte. «Als das Schloss so lebendig wurde, trugen meine Gazellen Beine mich weit von dannen. All die vergangenen Tage habe ich versucht zurückzukehren, doch meine feigen Gazellenbeine weigerten sich nur einen einzigen Schritt in die Richtung des Schlosses zu tun, als wären es Eselbeine! «Ach, dafür kannst du noch nichts», lachte Stephan vergnügt, der sich sehr darüber freute das liebe Tier wieder zu sehen. Dann wurde er mit einem mal ganz ernst. «Willst du mir helfen den Spiegel der Wirklichkeit zu finden?»
«Wie kannst du nur fragen», antworte Jeki, «natürlich werde ich dir helfen! Ich weiß auch wo das weiße Gebirge ist. Komm, machen wir uns sofort auf den Weg. Es ist sehr weit bis dorthin.»
Die beiden krochen aus dem Gebüsch heraus. Stephan setzte sich auf Jekis Vogelrücken und schon erhob sich das Löwenvogelgazellentier in die Lüfte. Zum Frühstück pflückte Stephan eine Handvoll Äpfel von einem Baum, sozusagen im Vorbeifliegen. Viele Stunden flogen sie so dahin, dem Norden des Phantastischen Landes zu. Ab und zu legten sie kurze Pausen auf der Erde ein, um sich auszuruhen. Als es Nachmittag wurde, sah Stephan in der Ferne ein großes Gebirge auftauchen. «Ist das das weiße Gebirge?»
«Ja», bestätigte Jeki. «Das Gebirge dort am Horizont, ist das Schneegebirge indessen Mitte der grüne Berg liegt. Wenn wir zügig vorankommen werden wir unser Ziel erreichen bevor es Abend wird.»
Dank Jekis schier unermüdlichen Löwenkräfte und ihrer beiden starker Wille, der sie alle Anstrengungen ertragen ließ, kamen sie dem Gebirge schnell näher. Und als die Sonne sich zum Untergehen anschickte, hatten sie das weiße Gebirge erreicht. Jeki flog hoch über die schneebedeckten Gipfel der Berge hinweg, bis sie unter sich den grünen Berg entdeckten, auf dem alles grünte und blühte, inmitten der felsigen, kargen Schnee-öde. Über ihm war der Himmel von reinem Blau, die anderen Berge waren von grauen tief liegenden Wolken umhüllt. Jeki setzte Stephan vor dem grünen Berg nieder.
Und richtig, wie Kelum das Phantastische Wesen es gesagt hatte, führte eine Felsenhölle in das innere des Berges. «Sei vorsichtig», raunte Jeki seinem Menschlichem Gefährten zu. «Mein mutiger Löwenkopf würde gerne mitkommen doch der Rest meines Körpers ist leider nicht so Abenteuerfreudig!»
«Ich schaff das schon alleine», versicherte Stephan wohlgemut, winkte Jeki zum Abschied zu und kletterte den steinigen Abhang zur Felsenhöhle empor. An ihrem Eingang angekommen, schaute er sich ängstlich nach der dreiköpfigen Hydra um, die, so hatte Kelum ihn ja gewarnt, die Felsenhöhle bewachte. Da sie nirgends zu sehen war, ging Stephan vorsichtig, Schritt für Schritt, in die Felsenhöhle hinein, aufmerksam in das Halbdunkel vor sich spähend.
Der Spiegel der Wirklichkeit
Er hatte sich nur ein paar Meter in das innere der Höhle
vorgewagt, da entdeckte er zu seinem Schrecken hinter einem Felsbrocken etwas Riesiges hervor kriechen. Es war die dreiköpfige Hydra, das furchtbarste Ungeheuer was man sich vorstellen konnte. Sie hatte drei Schlangen Köpfe, deren lange Hälse aus einem fetten von glänzenden Schuppen bedeckten Rumpf kamen, der hinten zu einem dünnen Schwanz verlief. In jedem der Köpfe funkelten zwei rötliche Augen, aus ihren drei abscheulichen Schlangenartigen Rachen züngelte jeweils eine schwarze Zunge hervor. Stephan war wie angewurzelt stehen geblieben und war kurz davor die Flucht zu ergreifen, als die Hydra sich zügig auf ihn zu schlängelte.
Da kamen ihm die Worte Kelums in den Sinn: Sie wird nur wirklich wenn man sich vor ihr fürchtet. Nur wenn man sie mit seiner Angst als Wirklich anerkennt. Stephan schloss die Augen, so wie er es damals im Schloss vor der Kerkertür getan hatte. Doch nun stand er nicht vor einer harmlosen Tür, an der man sich schlimmsten Falls den Kopf anschlagen konnte, sondern vor einer bösartigen, dreiköpfigen Hydraschlange deren Gift tödlich war. Stephan hatte aber im Laufe seiner Reise durch das Phantastische Land gelernt, das, das was man mit den Augen sieht, nur die Oberfläche der Wirklichkeit ist. Er nahm all seinen Mut zusammen, ging stetig nach vorne, und fühlte weder Furcht noch Angst, da er die Hydra nun nicht mehr sah, er stellte sich einfach vor es gäbe sie nicht. Und somit verschwand dieses schreckliche Untier, wie ein Bruchstück eines Alptraumes. Lange öffnete Stephan seine Augen nicht, war es ihm doch als könnte er auch mit geschlossenen Augen seinen Weg finden. Sicheren Schrittes und ohne nur ein einziges Mal zu stolpern ging er weiter und weiter in die Höhle hinein, bis er das Plätschern von Wasser vernahm. Erst dann öffnete er die Augen.
Er befand sich in einem Hohlraum, von dessen felsiger, mit langen Tropfsteinen behangener Decke, es andauernd tropfte. An der hinteren Wand der Höhle, floss eine Quelle aus einer Felsenspalte hervor und sammelte sich in einem ovalen Steinbecken. Das einzige was zu hören war, war das Geräusch von fliesendem Wasser und das regelmäßige Tropfen von der Decke, es klang wie ein wunderliches, unendliches Lied. Hier, tief im Inneren des grünen Berges, herrschte ein mystisches, bläuliches Licht dessen Ursprung nicht zu erraten war. Dies muss die Quelle der Phantasie sein, dachte Stephan und ein fast feierliches Gewühls bemächtigte sich seiner. Vielleicht war es die Geheimnisvolle, Zauberhafte Stimmung in dieser Felsenhöhle, die auf sein Gemüt einwirkte.
Stephan trat zu dem Becken und beugte sich über das Wasser. Es war trüb und von fast schwärzlicher Farbe. Wieder gingen ihm die Worte Kelums durch den Kopf: Die Quelle der Phantasie trübt sich mehr und mehr wie die Phantasie der Menschen Kinder. Wenn ihr Wasser schwarz ist, wirst du den Spiegel der Wirklichkeit, der auf ihren Grund liegt, nicht mehr sehen können. Und bedenke du darfst nur einmal nach ihm fassen. Fast du ein zweites Mal erstarrt das Wasser zu ewigem Eis.
Wenn Stephan nur ein wenig getrödelt hätte auf seinem Weg zum grünen Berg, wenn er trotz seiner Müdigkeit und seinem Hunger, sich nicht jedes Mal mit gleichem Eifer auf Jekis Rücken geschwungen hätte, nach den nur allzu kurzen Pausen, die sie sich gegönnt, dann wäre er zu spät gekommen und hätten das Wasser gänzlich Schwarz vorgefunden.
Stephan hatte Jeki mit aufmunternden Worten angespornt, wann immer das treue Tier auf dem langen Flug ermüdet war, hatte für es die größten und rotbäckigen Äpfel gespart. Ihr vereinter, unermüdlicher Wille hatte sie vorangetrieben und noch rechtzeitig kommen lassen.
Als Stephan nun in das zwar schon trübe aber noch durchsichtige Wasser schaute, konnte er bis auf den Grund der Quelle sehen. Und dort unten schimmerte ihm etwas entgegen. Es lag dort ein kleiner silberner Spiegel, nicht größer als die Handfläche eines Kindes.
Der Spiegel der Wirklichkeit! - durchzuckte es Stephan.
Langsam tauchte er mit seiner rechten Hand armtief in das kalte Wasser und fischte das Kleinod heraus. Dann trocknete er den Spiegel, der eine völlig runde Form hatte, an seinen Kleidern und schloss behutsam seine Hand um ihn. Gleich darauf war Stephan wieder bei Jeki draußen vor der Höhle. Das Tier sah ihm erleichtert entgegen. «Oh da bist du ja endlich, ich fürchtete schon die neunköpfige Hydra hätte dich zum Abendessen verspeist.»
«Dreiköpfig», lachte Stephan. «Und außerdem war die so Wirklich wie ein sprechender Kohlkopf. Und Kohlköpfe die sprechen können gibt es wohl auch hier im Phantastischen Land nicht. Oder?!»
«Zum Glück nicht», erwiderte Jeki ebenfalls lachend. «Muss schaurig sein wenn der Kohlkopf dem man gerade zu Leibe rücken will einem guten Appetit wünscht!»
Sie lachten beide heiter und ausgelassen, wollten gar nicht mehr aufhören, so müde waren sie und so glücklich das alles gut gegangen war. Stephan öffnete seine Hand und zeigte Jeki den kleinen Silbernen Spiegel. «Ich habe ihn», sagte er stolz. «Nun werde ich Moritz und all die anderen Kinder aus ihrer Betäubung erwecken.»
«Ja, auf meinen Rücken mit dir und los geht’s!»
Jeki bewegte seine Flügel, plusterte unternehmungslustig mit seinen Vogelfedern. Doch es ging nicht los als Stephan auf den Rücken Jekis Platz genommen hatte, der so weich und bequem war wie eine Daunen Decke. Stephan schlief im gleichen Augenblick ein, die kuschelige Löwenmähne als Kopf Kissen benutzend. Jeki machte ein paar klägliche Flügelschläge, doch dann verließen auch ihn seine Löwenkräfte. Sein Kopf sank vornüber, seine Gazellen Beine knickten unter ihm ein, von völliger Erschöpfung übermannt, fiel das gute Tier in tiefen Schlaf.
Wie es weitergeht könnt ihr ihm zweiten Teil erfahren:
Stephan und Moritz im Land der Phantasie. Zweites Buch.
(Voraussichtlicher Erscheinungstermin: 2014)
Texte: spreemann
Tag der Veröffentlichung: 10.03.2013
Alle Rechte vorbehalten