Delitto contra la famiglia (Das Verbrechen gegen die Familie)
Der Duft von gebackener Pizza, belegt mit frischen Tomaten und Basilikum, dringt von der Küche her ins Esszimmer. Die um den Esstisch Versammelten halten in ihrem angeregten Gespräch inne und schnuppern hungrig in die Luft. Es fallen ungeduldige Bemerkungen voller Vorfreude auf das baldige Essen, daraufhin hört man eine lachende, frohe Frauenstimme aus der Küche. „Ich komm ja schon, ich komm ja schon!“ Kurz darauf betritt eine junge, hübsche Frau das Esszimmer mit einem großen Blech Pizza in den Händen. Sie stellt das Essen auf den Tisch und man greift zu und lässt es sich schmecken. „Wunderbar, Sarah,“ lobt Marco, „der Geschmack, wie in Italien! Eine deutsche Frau, die Pizza macht wie eine Italienerin!“ - „Das habe ich von Georgio gelernt.“ sagt Sarah und wirft ihrem Mann einen verliebten Blick zu. „Und ich habe von ihr gelernt, wie man traditionell deutsch kocht.“ erwidert Georgio und lacht. „Um ehrlich zu sein, ich glaube, ich bin im Begriff zu „verdeutschen.“ - „Wann kamst du nach Deutschland?“ fragt Francesca, Marcos Frau, eine lebhafte, junge Frau mit dem dunklen Teint der italienischen Frauen. „Mit 14. Meine Kindheit verbrachte ich mit meinem Bruder und Vater und Mutter in Santa Monica, einem kleinem idyllischen Dorf in Süditalien. Dann sind wir von dem einen auf den anderen Tag nach Deutschland umgezogen. Mein Vater starb kurze Zeit später. Ein Arbeitsunfall sagten sie. Seitdem waren nur mein Bruder, meine Mutter und ich da. Ich habe mich dann im Laufe der Jahre mehr und mehr von meiner italienischen Heimat abgewandt und der Kultur meines neuen Heimatlandes zugewandt. Es war ganz natürlich für mich. Mein Bruder, Lorenzo, hat sich in die ganz entgegengesetzte Richtung entwickelt“ sagt Georgio lachend. Sarah fällt in sein Lachen ein und wendet sich ihrer Tochter zu, die darauf wartet, dass ihre Mutter ihr Pizzastück in kleine Stücke zerkleinert. „Er ist ja 4 Jahre älter als ich“ setzt Georgio fort „und hat sich sehr früh selbständig gemacht. Mit 18 ist er aus dem Haus. In den letzten Jahren hatten wir wenig Kontakt, aber ich weiß, dass er privat wie beruflich unserer italienischen Familie nahe steht. Er betreibt eine Bar hier in der Stadt und ist viel in Italien.“ - „Um die Familie zu besuchen?“ wirft Francesca fragend ein. „Sicherlich,“ bestätigt Georgio. „Wir haben eine große Verwandtschaft in Santa Monica. Dass ich Sarah und ihre deutsche Familie kennenlernte und wir dann zusammen ein Kind bekamen, wird meine Entwicklung stark beeinflusst haben. Irgendwie ist mir Deutschland mehr Heimat geworden als Italien.“ - „Dafür beneide ich dich.“ sagt Marco. „Wir leben zwar auch schon seit fast 6 Jahren in Deutschland, aber von Italien....“ Marco hält kurz inne, für einen Augenblick ist in seinem Gesicht ein befremdeter Ausdruck getreten... „von unseren italienischen Verbindungen haben wir uns nicht trennen können. Wir wünschen das eigentlich beide.“ fügt er mit einem Blick auf seine Frau hinzu. „Aber es ist nicht so leicht.“ - „Ja!“ lacht Georgio, „ich glaub, ich weiß, was du meinst. Ich erinnere mich gut an meine riesengroße Familie in Santa Monica. Im ganzen Dorf sind alle irgendwie miteinander verwandt, stecken sozusagen alle unter einer Decke. Alle diese geheimnisvollen Tanten, Onkeln und Vettern!“
Es ist spät am Abend, als die Freunde sich trennen. An der Tür bedanken sich Marco und seine Frau für die Gastfreundschaft. Sie treten heraus auf die nächtliche, von den Straßenlaternen nur schwach erhellte Straße. Ein voller bleicher Mond steht bewegungslos am dunklen Himmel. Die Nacht ist warm und still. Das Paar geht zu ihrem Auto, das am Straßenrand geparkt ist. Georgio und seine Frau und ihre kleine Tochter verbleiben an der Haustür und winken zum Abschied. Die Kleine hat sich müde auf die Türschwelle gesetzt. Ihre Mutter setzt sich neben sie und schaut raus auf die Straße. Zwei Schatten kommen die Straße runter. Zwei Fußgänger in dunklen Kleidern. Sie gehen schnell auf das am Auto angelangte Paar zu, das dabei ist einzusteigen. Es fallen mehrere gedämpfte Schüsse, kurz hintereinander. Ein lauter männlicher Schrei zerreißt die nächtliche Stille, gefolgt von weiteren Schüssen. Kurze abgebrochene Schreie der Frau. Sarah sieht fassungslos, wie Marco und Francesca vor dem Auto zusammensinken. „Sarah, komm ins Haus!“ schreit Georgio und reißt das Kind an ihrer Seite hoch und läuft ins Haus. Sie folgt ihm benommen. Panisch wirft ihr Mann hinter ihr die Haustür zu. Man hört von draußen das Starten eines Autos, quietschende Autoreifen. Dann Totenstille.
Georgio wird von der Polizei am nächsten Tag zur Vernehmung geladen. Er antwortet auf jede Frage offen und wahrheitsgetreu. Doch auf die Frage, ob er sich denn einen Grund für die Morde vorstellen könne, verneint er heftig und sieht den Kriminalbeamten ratlos an. „Wir kannten die Septicos eigentlich nicht so gut, wir haben uns gegenseitig ab und zu besucht. Sie waren ein junges, liebes Paar. Wer sollte ihnen so etwas antun wollen? Ich verstehe das nicht!“ Der Kriminalbeamte schaut bekümmert drein. „Wir fürchten, es war ein Mafiamord. Aber Genaueres wissen wir noch nicht.“
Die Ereignisse überspringen sich. Sein Bruder kommt ihn am Nachmittag desselben Tages besuchen. Sein Bruder, mit dem er schon seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. Georgio erkennt ihn kaum wieder. Er sieht aus wie ein wohlhabender Geschäftsmann. In schwarzem Anzug und Schlips. An seinem Handgelenk eine teure Rolexuhr. Ihre Begrüßung verläuft wenig herzlich und etwas steif. Georgio ahnt nichts Gutes. Dieses glattrasierte, nach teurem Parfüm riechende Gesicht. Diese kalten und berechnenden Augen. Sein arrogantes Benehmen . Wie sich sein Bruder verändert hat. Ganz Geschäftsmann geworden. „Komm, Georgio,“ sagt Lorenzo, „wir haben Dinge zu bereden. Ich lad dich zu einem Cappuccino ein.“ Sie fahren in Sebastians schickem, blitzblankem Mercedes zu einer italienischen Cafeteria in der Innenstadt. Mein Bruder hat das weltmännische Benehmen eines Mannes, der Geld und Macht hat, findet Georgio. Als sie die Cafeteria betreten, wirkt es so, als sei Lorenzo der Eigentümer oder ein hoher Gast. Wie die Bedienten ihn begrüßen und ihm einen gesonderten Tisch zuweisen. Wie unterwürfig die junge italienische Kellnerin ihn anlächelt und die Bestellung entgegennimmt. All das fällt Georgio auf und es wundert ihn. Lorenzo erkundigt sich nach Georgios Familie. Georgio trinkt ungeduldig von seinem Cappuccino. „Du hast dich seit Jahren nicht mehr gemeldet, also was soll das, was willst du eigentlich von mir?“ Lorenzo bleibt unbeeindruckt von der schroffen Bemerkung seines Bruders. „Wie du willst. Ich werde mich kurz fassen. Ich bin das Oberhaupt der Familie geworden, hier in Deutschland. Es ist an der Zeit, dass du davon erfährst.“ - „Oberhaupt? Was willst du damit sagen?“ - „Ich steuere hier die Geschäfte der Familie,“ antwortete Lorenzo. Georgio sieht seinen Bruder irritiert an. „Ich kann mir denken, was für Geschäfte es sind, die ihr da betreibt. Schmierige, dreckige Mafiageschäfte! Und damit will ich nichts zu tun haben und werde es auch nie.“ - „Georgio,“ sagt Lorenzo ruhig. „Du bist einer von uns, du bist ein Teil von unserer Familie. Ich fürchte, dass du das über die Jahre vergessen hast. Wir haben dich in Ruhe gelassen, weil wir deine Wahl respektierten, aber jetzt...“ Lorenzo öffnet seine auf dem Tisch liegen Hände in einem Ausdruck des Bedauerns... “jetzt können wir das leider nicht mehr. Die Septicos haben für uns gearbeitet. Der Anschlag auf sie ist an deiner Türschwelle passiert und somit bist du in den Fall verwickelt. Die Polizei hat dich vernommen und wird es auch weiter tun.“ - „Du warst das also,“ begehrt Georgio auf, „du hast Marco dazu gezwungen, für die Familie zu arbeiten!“ -„Ja,“ kommt die sachliche Erwiderung, „ja, als Oberhaupt der Familie war das meine Pflicht.“ Georgio zittert innerlich vor Wut. „Dann bist du für mich gestorben. Lass mich verdammt noch mal in Ruhe.“ - „Georgio.“ Lorenzo legt seinem Bruder eine Hand auf die Schulter. Es soll eine versöhnliche Geste sein. Seine Stimme aber ist sanft, kalt und drohend. „Hör mir gut zu. Es ist ganz einfach. Die Familie erwartet von dir nicht viel. Marco war dein Freund und ein Teil unseres Clans. Er muss gerächt werden. Du bist immer noch ein Teil unserer Familie, ein Teil unser Traditionen und das wirst du auch für immer bleiben. Ich will, dass du dabei bist, wenn wir ihn rächen. Als Fahrer. Du fährst das Auto, du fährst uns hin, wir machen die Arbeit und du fährst uns zurück. Das ist alles, mehr erwarten wir nicht von dir.“ - „Niemals!“ schreit Georgio. „Ich werde alles der Polizei sagen, alles!“ Georgio läuft überhastet aus dem Café und stößt dabei gegen Tische und Stühle. Lorenzo sieht ihm nach, seine Augen funkeln wie zwei kleine, schwarze Kristalle.
Georgio nimmt ein Taxi nach Hause. Der Taxifahrer ist Italiener und schwätzt andauernd auf seinen Landsmann ein. Dabei verfährt er sich. Als Georgio eine Stunde später nach Hause kommt, trifft ihn der Schock. Die Haustür ist aufgebrochen. Im Haus herrscht Zerstörung und Verwüstung. Seine kleine Familie ist weg! Seine Frau, seine Tochter. Ein Brief liegt auf dem Küchentisch. Georgio reißt ihn auf: „Georgio. Ich habe versucht, mir dir zu reden, aber du wolltest nicht hören. Wir haben deine Familie. Keine Angst, wir werden ihr nichts tun, wenn du tust, was wir wollen. Es soll dir eine Warnung sein. Es soll dir die Wichtigkeit der eigenen Familie klarmachen. Unternehme nichts gegen uns. Du schneidest dich sonst ins eigene Fleisch. Also, keine Polizei. Komm zu mir heute Abend um 22.00. Dann machst du, was ich von dir verlange. Danach wirst du deine Familie zurückbekommen.“ Georgio rastet aus. Wie ein Wahnsinniger, voller grenzenloser Wut und Verzweiflung stürmt er aus dem Haus. Ohne nachzudenken, wirft er sich ins Auto und fährt zu der Bar seines Bruders ins italienische Viertel. Er platzt in die kleine, leere Bar und schreit nach seinem Bruder. Die Bedienten, zwei junge Männer, sagen, er sei nicht da. „Dann holt ihn“ schreit Georgio und fängt an, gegen das Mobiliar in der Bar mit Tritten und Schlägen vorzugehen. Man wirft ihn raus. Durch den Schmerz beim Aufprall mit dem harten Asphalt kommt Georgio zu sich. Ich werde mich fügen, entschließt er sich. Ich werde alles machen, was sie wollen. Ich werde heute Abend wieder kommen und alles machen, was er von mir verlangt. Meiner Familie darf nichts passieren. Benommen geht er zu seinem Auto und fährt nach Hause. Steigt aus und geht zu seiner Haustür. „Georgio Constello?“ Ein älterer Mann tritt aus dem Schatten des Hauseinganges auf ihn zu. Kurze, leicht ergraute Haare. Eine schwarze Sonnenbrille verbirgt die Augen. Er trägt eine Cordhose und ein weißes Hemd. Georgio bleibt verwundert stehen. „Ja. Was wollen Sie von mir, wer sind Sie?“ - „Mein Name ist Franco Matessi. Ich bin Leiter einer Spezialeinheit der italienischen Polizei. Zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität. Lange Bezeichnung von etwas, das man einem Wort ausdrücken kann: Mafia.“ Der Mann lächtelt freundlich. „Ich bin Italiener wie du. Lass uns ein bisschen miteinander reden. Im Haus, wenn es dir recht ist.“ Georgio schließt auf. Sie setzen sich ins Wohnzimmer. Franco Mattesi nimmt die Sonnenbrille ab. Ohne sie wirkt sein braungebranntes, faltiges Gesicht offener. Vertrauenerweckend. Seine braunen Augen blicken Georgio mit einem Ausdruck von reger Teilnahme und Interesse an. „Ich bin hier, um dir zu helfen, mein junger Freund. Wir sind im Bilde. Das sie deine Familie entführt haben.“ - „Sie können mir helfen? Woher wissen Sie von mir?“ Georgio schöpft neue Hoffnung. „Nun, ich möchte dir nichts verschweigen, Georgio. Offenheit ist immer die beste Art, meiner Meinung nach. Wir arbeiten mit der deutschen Polizei zusammen. Wir sind schon seit Monaten an deiner italienischen Familie dran. Du bist dir sicherlich im Klaren darüber, dass sie ein Teil der Cosa Nostra sind, eines sizilianischen Mafiaclans. Keine Angst. Ich weiß, dass du mit deiner Familie kaum noch verkehrst und in ihre Geschäfte nicht verwickelt bist. Was das für Geschäfte sind, wirst du vielleicht schon ahnen: Drogenhandel, Menschenhandel, Prostitution, Erpressung. Und in der Finanzwelt: Betrug und Kontrolle. Durch die von deinem Bruder geleitete kriminelle Tätigkeit sterben jeden Tag Menschen, durch arrangierte Morde. Drogentote an der Nadel. Junge Mädchen werden zur Prostitution gezwungen. Und es gilt immer noch das alte traditionelle Schlagwort: „Auge um Auge, Zahn für Zahn.“ Der Anschlag auf die Septicos vor deiner Haustür war ein erneuter Beweis dafür.“ Franco beugt sich zu Georgio vor und sagt eindringlich: „Ich will nicht lange herumreden. Es wurde uns gesagt, dass dein Bruder vorhat, gegen die Borettis einen blutigen Vergeltungsschlag auszuführen. Wir wollen ihnen zuvorkommen. Öffne uns die Tür zu deines Bruders Anwesen und du bekommst deine Familie heil zurück, das garantieren wir dir.“ - „Anwesen, welches Anwesen? Ich habe keine Ahnung, wo mein Bruder wohnt,“ sagt Georgio. „Er ist nicht in seiner Bar.“ Franco Matessi winkt Geogios Einwand ab. „Sein Aufenthaltsort ist das an die Bar angrenzende Haus. Wir brauchen deine Hilfe, weil dieses Haus eine Festung ist. Wir können es nicht stürmen. Bevor wir drin sind ist er weg. Es hat nur eine schwache Stelle. Eine Hintertür in der ersten Etage führt in eine Seitenstraße. Öffne sie uns heute Abend um 23.00 Uhr und wir werden deine Familie befreien.“ – „Um 23.00 Uhr ist es zu spät.“ - „Ja, warum das?“ Franco Mattesi horcht auf. „Der Anschlag auf die Borellis ist um 22.00 Uhr geplant. Heute Abend.“ - „Aha, gut, dann machen wir es eine Stunde davor: 21.00 Uhr.“ - „ Ist meine Familie in dem Haus?“ fragt Georgio erregt. „Das ist sie.“ bestätigt Franco Matessi. „Er hat sie im Keller eingesperrt.“ Georgio spürt ein kaltes Frösteln durch seinen Körper gehen. „Ihr werdet meinen Bruder und die anderen festnehmen?“ - „So ist es, leider müssen wir das. Er ist ein Krimineller. Wir werden ihn einem Gericht übergeben, sonst wird ihm nichts passieren.“ Georgio sieht seine Frau und seine kleine Tochter in einem schmutzigen, dunklen Kellerraum gefangen und er hat nur einen Wunsch: dass sie daraus befreit werden und nach Hause kommen und er sie in seine Arme schließen kann. „Ja,“ sagte er „ich werde es tun.“
Georgio fährt am Abend in das italienische Viertel, es ist kurz nach 20.00. Im italienischen Viertel sind die Straßenlaternen angegangen. Es regnet. Buntes, grelles Licht der Reklameschilder über den Eingängen der Bars, Clubs und Geschäfte spiegelt sich in den Pfützen und auf dem nassen Asphalt der Straße wider. Georgio parkt sein Auto, mit der Front zur Bar seines Bruders. Er bleibt für ein paar Minuten im Auto sitzen. Die Straße, in der die Bar seines Bruders liegt, ist eine der größeren im italienischen Viertel und belebt von Menschen. Auch heute Abend, bei diesem nasskalten Regen. Menschengruppen gehen an seinem Auto vorbei, lachend, sich laut unterhaltend. Viele Männer sind unter ihnen, in angetrunkenem Zustand. Auf dem Bürgersteig vor den Bars und Clubs stehen junge Frauen in kurzen, aufreizenden Kleidern. Manche gegen die Häuserwände gelehnt, andere von ihnen gehen hin und her. Sie frieren. Prostituierte! durchfährt es Georgio. Zwei Männer stehen nah zusammen. Sie scheinen über etwas zu verhandeln. Ein Drogengeschäft ist dort im Gange, glaubt Georgio. Prostitution, Drogenhandel, ganz wie es Franco Matessi gesagt hat. Georgio ist voller Hass und Abscheu gegen seinen Bruder. Er ist ein skrupelloser Verbrecher! Alles Elend und Verbrechen in dieser Stadt geht von hier aus! Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Mein Bruder, ein Krimineller, wird der Staatsmacht ausgeliefert. Meine Frau und meine kleine Tochter werden befreit. Da erinnert sich Georgio plötzlich an die Worte seinen verstorbenen Vaters: „Die Familie ist das Heiligste, das du besitzt. Sei ihr gegenüber immer loyal und treu bis zum Tod. Verrate sie niemals!“ Verdammter Ehrenkodex! Meine eigene Familie bedeutet mir mehr als Loyalität gegenüber einer von Kriminalität und Menschenverachtung verseuchten Familie. Meine Familie ist mir wichtiger. Meine eigene! Es ist nun meine einzige Familie, weiß Georgio. Meine andere Familie, meine Herkunft, habe ich verraten. Sie werden mich ausstoßen und verabscheuen. Vielleicht werden sie hinter mir her kommen. Es ist mir egal, was ich jetzt tun werde, ist richtig und gerecht. Schnell steigt er aus und geht entschlossen in die Bar seines Bruders.
Am nächsten Tag schreien alle Tageszeitungen des Landes die gleiche Nachricht auf ihrer Titelseite heraus: Blutiges Mafiagefecht in einer Bar in einer deutschen Stadt. Eine große Anzahlt Tote. Eine deutsche Familie, die in dem Keller des Hauses als Geisel gefangen gehalten worden war, konnte unverletzt entfliehen. Die Polizei spricht von einem internen Gefecht zweier verfeindeter Mafiagruppen. Die Mafia sei auch in Deutschland zu Hause, betont der Polizeisprecher. Sie habe sich von Italien aus immer mehr ausgebreitet. Das kriminelle Netz der Mafia kenne keine Grenzen.
Georgio und seine kleine Familie fahren über die Grenze nach Norden. Sie flüchten, um in einem sicheren, fernen Land noch einmal neu anzufangen. In einem Land, in dem die Mafia noch nicht zu Hause ist.
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Texte: spreemann
Tag der Veröffentlichung: 09.03.2010
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