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ÜBERWACHT


Auf einem Bildschirm, stetig bewacht von starren aufmerksamen Augen, ist ein von dicken, schwarzen Vorhängen verhangendes Fenster zu sehen und eine Treppe, die hinab zu einer Tür führt. Ein Fenster und eine Tür eines schäbigen herunter gekommenen Hauses. Hinter diesem Fenstern ist das Objekt, das es zu überwachen gilt, von dessen strenge Überwachung die Sicherheit des Landes abhängt, der aufmerksame Agent weiß dass, der Mann mit dem Kodename xx986 versteckt hinter diesen schwarzen Vorhangen ist gefährlich.
Der Agen kann nicht hinter diese Vorhänge sehen, er sieht den jungen Mann nicht, der hinter den Vorhängen in dem kleinen Raum in völliger Dunkelheit wach und angstvoll auf einem befleckten Sofa liegt und an die Decke starrt, mit großen, weitgeöffneten Augen, als erblicke er dort an der Decke etwas, trotz der ihn umgebenden Finsternis.
Er sieht Sarah bildlich vor sich, ihr schönes, fröhliches Gesicht, mit den weichen runden Formen, ihr Lächeln, ihren Mund, der voller Hoffnung lächelt, so hatte er sie zum letzten Mal gesehen, lächelnd und unbesorgt war sie durch die Tür verschwunden und nie wiedergekommen.
Ihr Lächeln und ihre letzten Worte; "es ist Einbildung, du bildest Dir das alles ein, bis gleich!" hatten sich in sein Gedächniss eingeprägt, wie ein unlöschbarer Abdruck in hart gewordenen Metall, für immer würde diese letzte Szene mit ihr, in seinem Inneren wach, klar umrissen und deutlich bleiben.
"Ich gehe nur schnell Zigaretten holen!" Das hatte sie gesagt, gleichzeitig hatten aber ihre flinken Händen, ihre Finger zu ihm geredet, auf einen geheimen lautlosen Sprache; ihrer beidigen Zeichensprache: "Die Ambassade wird uns sicher helfen, die Ambassade Norwagans. Sie werden uns helfen, es wird alles gut! Ich komme spätestens in einer Stunde zurück. Mehr wird es nicht dauern!"
Wie konnten die Überwacher es wissen?!
Der junge Mann krallte die Hände zusammen, wälzte sich vom Sofa, stieß hart auf dem Boden auf, blieb liegen, keuchte, atmete schwer.
"Wie?? Wie hatten sie es wissen können? Wie?!"
Ja wahrlich, es war eine berechtigte Frage des jungen Mannes.
In der gleichen Strasse in der sie lebten, einer langen Strasse, eine gepflegte Strasse mit schönen Allen, war die Residenz dieser Ambassade, des guten, demokratischen und Humanistischen Nachbarlandes.
Sarah, war aus der Wohnung gegangen, mit einem gelassenen, alltäglichen Gesichtsausdruck, als wollte sie nur eben Zigaretten kaufen.
Sie war in ruhigem, fast ziellosem Schritt die Strasse runter gegangen, die Ambassade lag auf dem Weg zum Zigarettenladen, sie musste an ihr vorbeigehen, um Zigaretten kaufen zu können. Sie nährte sich der Ambassade, sah geradeaus, sah in den Himmel, kramte ein paar Münzen aus der Hosentasche, zählte sie, ihr Ziel war der Laden, ja.
Dann kurz vor dem Eingang der Ambassade, nur noch Schritte entfernt von diesem, ein aufbrausend Motor hinter ihr, ein dunkler Wagen, preschte heran und vermummte Personen stürmten raus packen die ahnungslose Frau, die doch nur hatte Zigaretten kaufen wollen, zwangen sie ins Auto und schon raste die Entführer mit ihr weg.
Wie hatten sie wissen können, Sie die Überwacher, die Augen und Ohren des Staates? Wie?!
Der junge Mann in der Kellerwohnung flüsterte seine Frage immer wieder vor sich hin, voller Angst, voller Verzweiflung, mit tiefer Trauer.
Die Augen starrend auf dem Bildschirm zuckten leicht, die Ohren hatten es wahrgenommen, die lauten Stimmengeräusche aufgefangen, was ging hinter dem Vorhang vor?!
Er ist allein, sagte die leblose Stimme eines anderen Agenten aus dem Hintergrund im Überwachungsraum Nr. 2089. Er redet mit sich selbst, er ist allein.
Sie hatten Recht. Der junge Mann war allein, allein, verloren, verzweifelt, gebrochen.
Der junge Mann lag nun still und regungslos auf dem kalten steinigem Boden, die Gedanken waren entschärft, begannen abzuschweifen, weg von den unbeantwortbaren, bedrohenden Fragen, weg von der puren Angst, weg von der bodenlosen Trauer, hin zur tröstenden Erinnerungen an vergangene Freuden, an schöne Zeiten und sorglose, lichte Stunden.
Er sah erneut Sarah vor sich und Dimitri und Sabine mit ihrem Freund Jochen, wie sie zusammen im Studentenheim roten Wein tranken und lebhaft diskutierten über Politik und über Freiheit und Bürgerrechte.
Das waren ihre Lieblingsthemen gewesen, besonders die Freiheit, die Freiheit des Bürgers, die Freiheit des Individuums zu wählen und zu tun was einem Recht erschien. Und das bedeutete auch, die Freiheit zu haben sich für seine Wahl und seine Überzeugung einzusetzen, gegen das zu kämpfen was einem falsch und betrügerisch erschien. Ach, welche feurige Diskussionen sie geführt hatten!
Dem jungen Mann gab die Erinnerung ein wenig Trost, ein wenig Kraft.
Es ist unglaublich rief Dimitri der mutige Afghane, der Wein war ihm wie immer ein wenig zu Kopf gestiegen, Millionen von Menschen und niemand tut was gegen diesen Staat! Dieses neue Gesetz, dieses so genannte "Gesetz zum Schutz des Staates gegen feindliche Instanzen", das uns eigentlich kurzum verbietet zu protestieren, uns verbietet gegen den Statt zu demonstrieren ist eine Frechheit, ist in sich eine Gesetzlosigkeit! Und warum lassen wir es mit uns machen?!
Wir fürchten den Staat, es sollte aber umgekehrt sein!
Dieser Abend war der Anfang gewesen, bis tief in die Nacht hatten sie diskutiert und in ihnen war der Entschluss gereift etwas zu tun. Dann hatten sie angefangen, die Pläne in die Tat umzusetzen. In der Universität Veranstaltungen arrangiert für die Redefreiheit und das Bürgerrecht. Reden gehalten, informiert und belehrt, über die Rechte des Bürgers und das dieser Statt dieser Rechte unterdrücke.
Ihre Arbeit hatte bei den jungen Menschen gefruchtet, bald war ihre kleine Gruppe zu einer großen Studentenorganisation gewachsen, die Demonstrationen durchführte und Flugblätter verteilte. Sie hatten sich so stark gefühlt, geglaubt den Staat und sein verbrecherisches System in die Knie zu zwingen!
Der junge Mann auf dem Steinboden wälzte sich herum und lachte laut, höhnisch, schüttelte sich vor Lachen.
Er lacht, sagte die leblose Stimme aus dem Hintergrund, in dem Überwachungsraum, so weit entfernt von dem jungen Mann und doch so nah.
Der junge Mann hatte aufgehört zu lachen, er weinte in Erinnerung, was dann geschehen war.
Das unglaublich, das unfassbare, Dimitri war verschwunden, der am meisten engagierte, der unermüdliche, der intelligente, so scharfsinnige Dimitri, er war in den letzen Monaten zum großen Leiter der Organisation herangereift, er wusste was zu tun war, er kannte die Schwächen des Staates, sein Glaube diesen Staat mit friedlichen Mitteln zu überwinden war unerschüttlich gewesen.
Der junge Mann im Keller rollte seinen Körper zusammen wie ein frierendes Schutz suchendes Tier, leise konnte der Agent ihn schluchzen hören.
Auf einen Tag auf den anderen, war der mutige Afghane spurlos verschwunden. Seine Familie, Verwandte, Freunde, Bekannte niemand wusste was, es war gewesen, als hätte dieser wunderbare, dieser starke entschlossene Mensch sich von einem Augenblick zum anderen in Luft aufgelöst.
Aber er war nicht kampflos aus der Schlacht gegangen, den Feind durchschaut, zu mindest erahnt, was niemand von den anderen jemals ahnen würde.
Auf einer Sprechkassette waren seine letzten Worte, von ihm selbst festgehalten worden, als eine Warnung, als eine letzte eindrucksvolle Botschaft an die anderen: Wir werden überwacht, alle unsere Telefone, alle unsere Computers, alles , ich weiß nicht was die wollen , wie weit die gehen, aber sie sind überall drin, jede Bewegung, jedes unserer Worte, jeder…hier war er abgebrochen um dann den Satz flüsternd zu vollenden;… wird von ihnen aufgezeichnet. "Rosenrot" hat mir alles erzählt und mich gewarnt, dass wir aufhören sollten bevor alles zu spät ist. Magnus, die, wer immer sie auch sind, wissen alles über uns! Wir müssen aufhören! Warum, ich hab da so eine Theorie, "Rosenrot" schließt es nicht aus, dass was dran ist, wenn es wirklich wahr sein sollte, wäre es unfassbar, ich komme heute Abend und erzähle es Euch.
Er war nicht gekommen und sie hatten nicht aufgehört.
Nachdem er verschwunden war, hatte die verbliebenen seine Führungsrolle übernommen, Magnus der junge Mann und Sarah. Voller Wut und Tatendrang Sarah, voller Angst und beginnendem Zweifel Magnus, zusammen hatten die beiden die Organisation weitergeführt.
Die Aktionen verschärft, die Aktivität erhöht, als wollten sie sich rächen für den furchtbaren Schlag den Ihnen der Staat versetzt hatte.
Die optimistische Sarah war sich sicher gewesen, dass ihr Freund und Führer nur irgendwo festgehalten wurde und dass ihre Aktionen und Proteste ihn wieder frei bekommen würden. Sie, die lebensfrohe junge Frau war bis zum Schluss überzeugt davon gewesen, dass man die, die sie überwachten, ihre Telefongespräche abhörten, sie auf der Strasse in dunklen Autos verfolgten, zu überlisten waren!
Vor zwei Monaten dann dieses schicksalhafte Gespräch zwischen dem zweifelnden Magnus und der nach wie vor auf Kampf eingestellten Sarah indem so deutlich geworden war, welche unbeirrbaren, im Nachhinein betrachtet naive Ansichten und Hoffnungen die junge Frau hegte:
Sarah, wir sollten aufhören. Lass uns das alles vergessen.
Nein, wenn wir jetzt aufgeben, haben die anderen gewonnen, die Tyrannen, die glauben sie könnten uns vorgeben wie wir zu leben haben, und uns verbieten gegen einen verbrecherischen Staat vorzugehen!
Du weißt was mit Magnus passiert ist. Er wollte aufhören, sogar er, er muss eingesehen haben, das wir nicht weitermachen dürfen, das wir keine Chance haben!
Nein, gerade wegen ihm müssen wir weitermachen. Wir müssen Druck ausüben um ihn wieder frei zu bekommen.
Schweigen.
Bitte mach nicht so ein Gesicht! Ich brauche dich! Wir schaffen das nur zusammen. Wie müssen uns nur viele cleverer verhalten!
Ab jetzt verständigen wir uns nur mit den Händen, oder schreibend, all unsere geplanten Aktionen und Pläne schreiben wir uns gegenseitig auf, dann vernichten wir sie sofort, jede Kleinigkeiten, die unsere Aktionen anbetreffen sagen wir uns durch unsere eigene geheime Fingersprache.
Und jetzt ziehe ich die Vorhänge zu! Sie werden nichts mehr über uns ausspionieren können, nichts mehr!
So hatten sie weitergemacht, die Wahrheit war bei ihnen verstummt, sich nur durch Schrift und einer Fingersprache ausgedruckt. Geredet hatten sie nur über belanglose Dinge. Sogar umgezogen waren sie, in eine abgedunkelte Kellerwohnung. Die Kommunikation mit der Außenwelt, mit ihren Verbündeten, war so gut wie ausschließlich in ihrer Wohnung vorgegangen, ohne Verbalem Ausdruck, nur in schriftlicher Form auf Papier. Papier das sofort, waren die Mitwisser gegangen, vernichtet worden war. Ihre heimliche Zeichensprache hatten sie ganz für sich behalten, niemand in sie eingeweiht.
Beide hatte sie geglaubt, die, die sie belauschten würden nun im schwarzen tappen, nichts mehr Neues über sie erfahren, nichts mehr von einer Aktion erfahren, bevor sie ausgeführt wurde.
Bis zu dem Tag, bis zu dem Vormittag, an dem Sarah gesagt hatte; ich gehe nur Zigaretten kaufen und ihrer Finger die Wahrheit vermittelt hatten;…ich gehe zur Ambassade…
Wie hatten ihre Überwacher nur die Wahrheit erfahren können?!
Der junge Mann im Keller keuchte schwer, sein Gesicht war blass und schweißüberströmt.
Seit dem Verschwinden von Sarah hatte ihm diese Frage keine Ruhe gelassen, alle Details hatte er wieder und immer wieder durchdacht, alle Möglichkeiten analysiert, aber er konnte nicht verstehen, nein, er konnte einfach nicht begreifen wie ihre Überwacher weiterhin alles über sie zu wissen schienen, trotz ihrer Vorsichtsmassnahmen, und wie sie, trotz dieser Vorsichtsmassnahmen ihre Pläne durchschaut hatten.
Er hatte versucht mit Vernunft und Logik das unlösbare zu lösen: Wenn Person A mit Person B in einem abgedunkelten Raum, dessen Fenster mit schweren Vorhängen verhangen sind, mit eine geheimen, nur diesen beiden Personen bekannte Fingersprache eine Botschaft austauschen und wenn Person B gleichzeitig mit lauten, gut vernehmbaren Worten etwas anderes vorgibt tun zu wollen, als was sie wirklich plant, und wenn dann Person B den Raum verläst und auf die Strasse geht, augenscheinlich auf dem Weg das auszuführen, was sie gesagt hat ausführen zu wollen, wie können Außenstehende, sich außerhalb des besagten Raumes sich befinde Personen wissen, dass sie etwas ausführen wird, etwas was sie nur gedacht hat, einen nur in gedanklicher Form und in einer geheimen Sprache ausgedrückter Plan?!
Der junge Mann konnte es nicht begreifen, und es brachte ihn schier um den Verstand. Es machte ihn mehr und mehr desperat, sein körperlicher Zustand fiel und stieg von schweißnasser Erhitzung zu fröstelnder Unterkühlung.
Ein verzehrendes Fieber hatte ihn befallen, ein Fieber, das sich in seinem Hirn eingenistet hatte, seine Gedanken kreisten immer um das gleiche Thema, wie ein Karussell, immer schneller immer schneller, immer schwindeliger.
Das stetige Gefühl überwacht zu werden erfüllte ihn mit einer stressenden Wachheit, gab es eine Kamera in dieser Wohnung? Nein, sie hatten alles durchsucht, die Wohnung war so kahl, vielleicht eine sehr kleine in der Lampe. Er fing an die merkwürdigsten Verdachte anzustellen, zerlegte alles noch vorhandene Inventar der Wohnung, die einzige Lampe schraubte er auseinander, die Wände, die Decke tastete er ab, in peinlicher Gründlichkeit auf der Suche nach eine Kamera. Das er nichts fand machte ihn beinah verrückt, es beruhigte ihn überhaupt nicht, im Gegenteil; er war felsenfest davon überzeugt, dass es irgendwo sei, das winzige heulerische Ding, in seiner Wohnung und ihn überwachte, alles wahrnahm, diese teuflische Vorkehrung, die Magnus und Sarah verraten hatte!
Doch soviel er auch suchte er fand es nicht und dieses vergebliche endlose Suchen und diese ewigen kreischenden Gedanken, um das gleiche Thema über die gleiche Frage auf die es keine Antwort zu geben schien, versetzte ihn in einen Zustand von schleichendem Wahnsinn, in den krankhaften Zustand einer beginnenden, mit jeder Stunde an Stärke zunehmenden Psykose.
In seinen noch wachen, klaren Stunden weinte der junge Mann und wenn er weinte dachte er voller tiefem Schmerz darüber nach, dass das einzige an Freiheit, was dem Menschen in der heutigen Zeit, in diesem Land noch geblieben war, seine Gedanken seien.
Und es erinnerte ihn an dieses Lied aus seiner Kindheit; die Gedanken sind frei niemand kann sie erraten…

Er wusste nicht wie sehr er sich irrte. Das kleine teuflische Ding, nachdem er so vergeblich suchte, war in seinem Kopf, tief unter der Haut im Gehirn einoperiert und es sorgte dafür, dass seine Gedanken analytisch erraten wurden und hunderte anderer dieser Dinge sorgten dafür, dass die Gedanken aller "Staatsfeinde" nicht mehr frei waren.


Alle Rechte beim Autor.


Impressum

Texte: spreemann
Tag der Veröffentlichung: 07.11.2008

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