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Trügerisches Spiel

Von dem jungen energischen Mann angeführt, ja regelrecht vorwärts getrieben; kommt, kommt, meine Freunde, hier entlang, gleich sind wir da, so redete er uns zu, durchschritten wir einen kargen Flur, in dem es unrein roch, durchtraten einen türlosen Türbogen, der uns den Eintritt in ein völlig rundes Zimmer gewährte, von dessen Decke eine überaus grell leuchtende Deckenlampe uns aus dunkler Nacht Kommende blendete. Mitten im Raum, um einen schäbigen, abgenutzten Tisch herum, saß eine kleine Runde Männer, jung und alt, in ein Kartenspiel vertieft. Jeder der Spielenden hatte Geld vor sich angehäuft. Münzen und Scheine, große und kleine Haufen wurden von schützend über sie gehaltenen Händen bewacht, Gläser und eine Weinflasche standen auch auf dem Tisch, man war gerade dabei, die Karten auszuteilen. Ein schlanker, in einem zerschlissenen Anzug gekleideter Mann teilte aus mit verbissener Miene. Die anderen warteten geduldig, bis alle die gleiche Anzahl Karten erhalten hatten, einer von ihnen trank aus seinem Glas, in dem eine Flüssigkeit rötlich funkelte.
Als fertig ausgeteilt war, nahm jedermann seine Karten auf, gewissenhaft, mit fachmännischem Blick wurden sie geprüft und von flinken Fingern gesondert.
Bei unserem Erscheinen schauten die Männer auf, mein liebes Mädchen lenkte alle Augenpaare auf sich. Die Spielenden schienen auf einmal das Interesse für ihre Karten verloren zu haben, ein leises Gemurmel und lebhaftes Getuschel auf Italienisch entfachte sich, das Mädchen an meiner Seite wurde mit einer für mich und in aller höchstem Grad für sie unangenehmen Aufdringlichkeit und offensichtlichen Ergötzung angeguckt, als wäre sie die noch fehlende Karte in der Hand, die Herzdame etwa, belustigte Rufe wurden laut. Unser junger Freund trat zum Tisch, lehnte sich mit vornübergebeugtem Oberkörper auf ihn, die Männer beugten sich zu ihm vor. Wieder in diesem mir sonderbar anmutenden geheimnisvollen Flüsterton raunte er ihnen unser Auftauchen erklärende Wort zu, so vermutete ich, was zur Folge hatte, dass das Gemurmel verstummte, die Männer sich zu unserer Erleichterung wieder auf ihr Spiel und ihre Karten konzentrierten. Oder auf jeden Fall so taten, denn die, die uns im Blickfeld hatten, warfen uns weiterhin über die Karten hinweg verstohlene, neugierige Blicke zu. Unser junger liebenswürdiger Freund wendete sich uns wieder zu, und diesmal ganz besonders mir, wie ich nicht ohne eine gewisse Befriedigung zur Kenntnis nahm. «Do you want to play? Do you play Poker?»Ich, überrascht von diesem unerwarteten, mich gänzlich überrumpelnden Vorschlag, geschmeichelt von dieser ehrenhaften Einladung, mich zu diesen erwachsenen Männern an den Tisch setzen zu dürfen, erwiderte prompt, yes, in gedankenloser Voreiligkeit. Die Regeln des Kartenspiels waren mir geläufig, doch die Gefahren und Tücken, die jegliches Spiel um Geld für die Spielenden mit sich führt, waren mir mangels gemachter Erfahrung nicht bewusst. Ich wollte mich in dieser Männergesellschaft nicht blamieren, mich als ein Mann von Welt geben, mein gutes Mädchen damit, wie ich erhoffte, beeindrucken. Dass ich sie aber durch diese undurchdachte Bereitwilligkeit, mich mit den fremden Männern einzulassen, alles andere als beeindruckte, vielmehr verschreckte, wurde mir erst klar, als ich schon auf dem Stuhl am Tisch saß, den Don Juan mir hingeschoben hatte, und ich zu ihr hinschaute in Erwartung, ihre Augen in Stolz über mich glänzen zu sehen, mich aber ihr besorgter, tadelnder Blick traf, der mich fühlen ließ wie ein dummer Junge, der einen schlechten Streich begangen hat. Doch nun war es zu spät, ein Aufbruch meinerseits, kaum hatte ich mich zu ihnen gesetzt, wäre meiner Ansicht nach, eine unverzeihliche Unhöflichkeit gewesen, außerdem fehlte mir der Mut dazu. Ganz davon abgesehen, dass ich mich in dieser lustigen Männerrunde schon auf Anhieb wohl fühlte, die barschen, rauen Männergesichter nickten mir anerkennend zu, undeutbar lächelnd. Ein Glas wurde mir hingestellt, man füllte es mir großzügig bis zum Rand mit rotem Wein aus der dickbäuchigen Flasche. Ich wurde, so glaubte ich, von ihnen akzeptiert, das machte mich natürlich glücklich, die ausgeteilten Karten sammelte man wieder ein, der Einsatz wurde gemacht. Auch ich zollte den geforderten hohen Tribut, mein für diese Klassenfahrt vorgesehenes Vermögen enthaltender Geldbeutel war schnell gezückt, die Karten wurden erneut ausgeteilt, das Spiel konnte beginnen.
Das Spiel begann, und sofort war ich davon gefangen, was außerhalb dieser Spielrunde vor sich ging, nahm ich nicht wahr, da meine Aufmerksamkeit voll und ganz auf das Geschehen vor mir auf den Tisch konzentriert war. Man trank mir immer wieder zu, in einer eigentlich überaus eigenartigen Manier, ich ahnte aber keine Schlechtigkeit, nippte vom Wein, mit jedem Schluck verdunkelte sich die Klarheit meines Bewusstseins, das Schlimmste war: Bald hatte ich mein liebes Mädchen vergessen. Dass unser junger raffinierter Freund, kaum hatte das mich mit einbeziehende Spiel angefangen, mein gutmütiges Mädchen aufgefordert hatte, mit ihm zu kommen unter dem Vorwand, er wolle ihr etwas zeigen, hatte ich, vertieft in die Überlegung, welche der mir gerade ausgeteilten Karten ich schlau daran tat auszutauschen, nicht mitgekriegt. Des Mädchens kurzer Bescheid, dass es gleich wieder da sei, ging mir in das eine Ohr hinein und in das andere wieder hinaus. Aha ein Paar!, jubelte ich, ein guter Anfang, na dann tausche ich erst einmal den Rest der Karten und behalte das Paar, der mir gegenübersitzende Mann, ein unrasierter garstiger Kerl, hörte nicht auf, mir zuzugrinsen. Nach mehreren Runden war mein Geldbeutel schon so gut wie leer, mein Glas auch, es wurde mir schnell wieder nachgefüllt, mein Geldbeutel hingegen blieb leer, doch von Spieleifer gepackt zerrte ich auch die letzten Scheine heraus. Der Verstand, die Vernunft hatten mich verlassen, anstatt ihrer hatte der Rausch des Spieles von mir Besitz ergriffen, mir glühten die Wangen, schwitzende, unsichere Finger hielten die Karten, unruhig flackernd machten meine Augen die Runde von einem Männergesicht zum anderen, man lächelte weiterhin freundlich. Ich hätte aufhören sollen, zur Besinnung kommen, doch was hilft dem Menschen in einer solchen Lage die Fähigkeit des vernünftigen Denkens, wenn er von verzehrender Spielleidenschaft überkommen ist, hat er nichts anderes im Sinn als das Spiel, ist erst einmal das Feuer der Spiellust in ihm entfacht, wird das kalte Wasser der Vernunft es nicht mehr löschen können. Ein vereinzelter vernünftiger Gedanke ist dann nur ein Tropfen über einer versengenden Feuersbrunst.
Ich hätte ahnen sollen, was da im Gange war, was da wirklich gespielt wurde, nicht Karten, sondern eine ausgeklügelte Gaunerei, die Gefahrensignale waren nur allzu deutlich. Nicht nur eine Warnung erhielt ich, vielmehr zwei, drei, die Männer lächelten nicht freundlich, sie grinsten schadenfroh! Die Zeichen, die sie sich im Versteckten machten, waren nicht schwer zu deuten, sie verhöhnten mich, doch ich Trottel, ich Kindskopf, der ich mich als ein hoher Gast meinte in einer Runde auserwählter Kartengötter, ich, der von falscher Magie verzauberte Tor, tat es nicht!
Erst als ein lauter Hilfeschrei, den die Männer am Tisch mit lautem Reden versuchten zu übertönen, dumpf durch die Wand drang, ein Schrei, dessen Stimmenklang mir so sehr bekannt und in solch Inbrunst und Innigkeit aus einer von Furcht beengten Kehle hervorgewürgt wurde, es war ein Schrei so dringlich, so verzweifelt, dass die Wände des Kartenhochhauses, das ich in meinem Inneren erbaut hatte, einstürzten und ich zwischen seinen Trümmern endlich zu mir kam. Es war der Instinkt, der mich antrieb, als ich vom Tisch aufsprang und die Tür aufriss, durch die mein liebes Mädchen mit dem Fremden gegangen war, eine jähe, in mir sich ausbreitende Furcht beschleunigte jede meiner Bewegungen, ich riss die Tür auf, sprang in die dahinter herrschende Dunkelheit, die meine Augen mit aller Anstrengung zu durchdringen suchten. Das durch die von mir geöffnete Tür hereinflutende Licht fraß gierig einen rechteckigen Teil der sich bei meinem Eintritt im Raum zurückdrängenden Dunkelheit, das so entstandene Lichtfeld genügte, um mir zu entblößen, was die Dunkelheit verbergen wollte. Mein liebes Mädchen lag am Boden, wimmernde Laute drangen aus ihrem halb geöffneten Mund, ihre Augen richteten sich zu mir empor, von maßlosem Schreck weit geöffnet. Diese Augen bestätigten meinen ängstlichen Verdacht, dass etwas unbeschreibar Furchtbares vorgefallen war. Was bleibt mir noch zu sagen, es ist alles unwichtig, was weiter an diesem Abend geschah. Ohne Bedeutung war es, dass ich mich zu ihr niederwarf, sie in meine Arme nahm und hinauslief aus dem Haus der mit Karten und Menschen spielenden Teufel, die ich allesamt hätte umbringen wollen, doch das hätte nichts verändert, das Unglück war geschehen.
Die drei Lehrerinnen gingen mit uns zusammen ins Krankenhaus, für viele Stunden hockte ich innerlich abwesend vor einem Raum am Boden und wartete darauf, dass die letzte Trösterin mein liebes Mädchen verlassen würde. Ich versuchte, ein wenig in meinem kleinen Büchlein zu lesen, die Leiden des jungen Werther, von Goethe, das ich immer bei mir trage, es ist mein Lieblingsbuch, doch es war mir unmöglich, mich aufs Lesen zu konzentrieren. Nur ein Gedanke beschäftigte mich unablässig: Wie soll es nun zwischen meinem lieben Mädchen und mir weitergehen?
Es war tiefe Nacht, als ich mich zu ihr hineintraute und sie schlafend im Bett fand. Ich setzte mich zu ihr und wachte über die Schlafende, nahm ihre Hand, wenn sie vom Albtraum geplagt das Schreckliche nacherlebte, strich ihr beruhigend über die heiße Stirn, wenn ein kurzer Schrei des Albtraums Höhepunkt ankündigte.
Und was schon! Ich hätte die Geschändete auf Himmelswolken betten können, das Geschehene hätte sich auch dadurch nicht rückgängig machen lassen, nichts hätte ich dadurch wieder gutmachen können. Ich war schuldig. Ich hatte versagt. Nur ein einziges Mal hatte sie, die mir ein Schutzengel gewesen war, meinen Schutz gebraucht, nur dieses eine Mal, hätte die, die mich mit ihrer Fürsorge am Leben gehalten hatte, meine Hilfe bedurft. Da hatte doch wahrlich das Schicksal mir die Gelegenheit gegeben, Gutes mit Gutem zu vergelten, die Hand, die mich sooft geführt und gelenkt, hatte sich nach mir ausgestreckt, damit ich sie ergreife und schützend meine Faust drum herum schließe, sodass die weiße, reine Haut von dem Dreck der Welt unbeschmutzt blieb. Ich hatte mein liebes Mädchen, dieses unschuldige gütige Wesen, einsam und verlassen in die Dunkelheit schreiten lassen, in dem die Dämonen gelauert hatten, bereit, sobald die schwere Tür sich hinter ihr schloss, sich auf die Ahnungslose zu stürzen und ihr weißes, unbeflecktes Gewand mit ihrer Schlechtigkeit zu beschmutzen. Ein Ritter hätte ich sein können, wenn ich mit gezücktem Schwert und von gerechtem Jähzorn ergrimmter Stirn zur rechten Stunde der Bedrängten zu Hilfe gekommen wäre, die Bösen wären nur durch mein Erscheinen auseinander gestoben und hätten sich in ihren dunklen Ecken verkrochen. Doch was hatte ich getan? Ich hatte mich unholdem Treiben hingegeben, war ein verlachter, begrinster, verspotteter Schwächling in der Runde der Verschwörer gewesen! Wie siedend heißes Pech floss mir das peinigende Schuldgewühl durch die Adern bis zum Herz und füllte es mit bleierner Schwere. Gedanken unverzeihlichen Vorwurfs wühlten in meinem Kopf. Da saß ich in dumpfem, quälendem Selbstzweifel neben der schlafenden Kranken, deren Erwachen und dann auf mich gerichteter Blick ich fürchtete, wie der treulose Verräter die Augen des einstigen Freundes, den er in der Stunde der Not im Stich ließ. Im sterilen Zimmer, dessen weiße Wände im Halbdunkel von einer grauen Schicht übermalt waren, saß ich auf dem einzigen Stuhl bewegungslos. In meinem Innern war es finsterer als die Nacht vor dem Fenster. Ich blickte unablässig, wie gebannt auf das Gesicht der Schlafenden, das von dem runden, blass leuchtenden Antlitz des durch das Fenster schauenden Mondes trübselig angelächelt wurde. Wirre Haarsträhnen lagen auf dem weißen Kissen, die geschlossenen Augenlider zuckten manchmal leicht, als wollten sie sich öffnen, und wenn dann auch noch der laute Atem der Schlafenden leiser wurde, fürchtete ich, der Augenblick des Erwachens und die endgültige Verurteilung sei mir, dem Schuldigen, nahe. Ich war der Todgeweihte, der schlaflos dem Morgen seiner Verurteilung harrt, der die ersten Strahlen des frischen Morgens verflucht, weiß er doch, dass ihr Licht seinen Mördern leuchten wird. Als der Vorhang der Nacht sich langsam hob, das Zwielicht der Morgendämmerung die Konturen im Zimmer deutlicher erkennen ließ und die schützende Decke der Dunkelheit, in die ich mich gehüllt hatte, wegnahm, steigerte sich meine innere Unruhe zum Unaushaltbaren. Dieses Warten auf das Erwachen des Mädchens, dessen Zuneigung ich durch meine Schlechtigkeit, durch mein Versagen in Hass, Verachtung und Abscheu verwandelt haben musste, wurde mir schier unerträglich. Bei dem kleinsten Anzeichen, dass der Schlaf sich von ihr löste, wollte ich fliehen, so entschloss ich mich. Ihr lauter Atem brach ab, wurde gleichmäßiger, kaum noch hörbar, ich beugte mich über sie, war sie wach, öffnete sie ihre Augen? Ein erster sich durch den halbdunklen Raum tastender Sonnenstrahl erreichte ihr Bett, da, ihre Augen waren geöffnet, richteten sich auf mich! Welch anklagender Vorwurf aus ihnen sprach! Es war der Blick des unerbittlichen Richters, dessen Augen zum ersten Mal den ihm vorgeführten, schändlichen Verbrecher erblicken. Ihr Mund, der für mich bisher immer gesprochen, mich verteidigt hatte und mir nun spotten sollte, formte sich zum alles entscheidenden Wort. Da zerriss ich die Bande, mit denen ich mich selbst an meinen Stuhl gefesselt hatte, und entfloh, bevor des Richters unwiderrufliches Urteil fallen konnte.


Dieser Text ist Teil eines unveröffentlichten Romans.

Impressum

Texte: spreemann
Tag der Veröffentlichung: 28.05.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Veronika

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