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Wahlabend



Der Wähler hat gesprochen. Er hat gesagt: Euch wähle ich nicht mehr.

Die Partei bricht um die Hälfte ein.

Der Vorsitzende steht am Fernsehpult und bemüht sich, auf seine steinernen Züge einen Hauch Arro-
ganz zu legen, wenigstens dieses Gefühl; alle Konzentration legt er hier hinein.

Da rutscht ihm schon so manches unglaubliche Wort zwischen den optimistisch hochgezwungenen Lippen hindurch. Kann das sein, so unbedacht?

Gut, der Wahlkampf ist vorbei, man müßte eigentlich nicht mehr lügen, aber man hat sich das Lügen so angewöhnt, daß es zur zweiten Natur geworden ist. Die alten Worthülsen klingen blechern, aber sie bedecken immerhin die Scham.

Die Politiker stehen so da, wie Adam und Eva nach dem Sündenfall. Sie zeigen mit dem Finger auf die Schlange, mit der anderen Hand pressen sie das Feigenblatt zwischen die Beine, sie, die doch so gerne den Kranz aus Lorbeerblatt auf’s Haupt gesetzt hätten.

Sie haben vergessen, daß es nicht um sie geht, sondern um die Politik, die sie abgeliefert haben und die nun keiner mehr will.

Es geht überhaupt nicht um sie persönlich, sie sind Beauftragte der Wähler. Das haben sie vor lauter verletzter Eitelkeit vergessen. In ihrem Hinterkopf rotieren, wie Maschinen im Bauch eines kenternden Ozeanriesen, die Gedanken: Wie kann ich die Verant-
wortung abwälzen, wie kann ich mich an Bord halten, das Gesicht wahren, an der Macht bleiben? Ein Königreich für ein paar neue Lügen.

Ihr einziges Glück ist, daß alle gleich sind, auch die Vertreter der anderen Parteien, ihre Gegner. Keiner sticht hervor, alle stechen um sich. Keiner fällt unten hinaus, alle wollen und müssen gefallen.

Es gab eine seltsam hohe Wahlbeteiligung.

Ja, seltsam, daß die Menschen noch zur Wahl gehen, wo solche Lügner und Egoisten zur Auswahl stehen. Sie haben keine Wahl, eben nur die: sie abzuwählen.

Es scheint ihnen nicht weh zu tun, das Zeichen wird nicht verstanden.

Die Menschen haben ein Gefühl für den Wert der Demokratie, diese Errungenschaft, die nicht zu bezahlen ist.

Die Politiker nutzen das aus und sind es nicht wert.

Cecilia



Olivier Vogelsang, Swiss Press Photo, 97

Noch 'ne Feier



Bei der Wahlfeier, während der die erschöpften und nicht im mindesten zufriedenen Wahlkämpfer sich den Schweiß und die Tränen trocknen, letzte Giftpfeile in die Ecke des politischen Gegners abschießen und sich mit dünnlippigem Lächeln und zusammengebissenen Zähnen einem Millionenpublikum präsentieren (meinen sie), klopft es an die Tür.

Es klingt wie Donnerhall. Dieser und Jener verschluckt sich an seinem Honigseim und versucht, dem Ankommenden etwas zu husten. Die Augen weiten sich angstvoll, die Pupillen werden groß wie Teller-
minen. Der Blick in die hinteren Ränge bringt die Gewissheit: Die Security ist zur Stelle. (Kostet ja auch genug!)

Ta ta ta ta.

Ist das der Komptur? Der Rächer gar?

Aller Blicke richten sich auf die Tür.

Manch Einer fantasiert schon die Ankunft des Riesen Goliath und wünscht sich sehnlichst David herbei, der Andere fürchtet schlotternd den reißzahnbewehrten Grafen Dracula aus den fernen Bergen. Eine neue Virus-Epidemie könnte hereinschwappen, herein-
brechen; gebt mir ein steriles Tüchlein, auf dass ich meine Hände in Unschuld wasche!

Der verräterische Fleck, den die Geldscheine hinter-
lassen haben, ist nicht wegzuwischen. Die Wundmale Jesu! Soll ich um die Ecke schleichen, ehe Jemand mir auf die Schliche kommt? Die Security läßt ihn nicht aus den Augen, aus dem Sinn.

Es ist wie im Web. Einmal drin, immer drin. Das Web vergisst nicht und nie.

Was waren das für schöne Zeiten, die alten Zeiten! Man konnte nach Herzenslust mauscheln, die Hinter-
zimmer waren Orte der kreativen Betrügereien, nie beschmutzte Nester der Angepassten und Hinter-
bänkler. Gepolstert mit Häme, im Mief der Roben und im Bierdunst trauriger Besäufnisse kehrten wir da-
mals alles unter den Teppich, was unseren gestreck-
ten Galopp hätte einbremsen können. Wir waren schnell im Schmieren und Finanzieren, erwiesen Unsereinem diese und jene Gefälligkeit, nicht ohne Gegenwert oder gar Mehrwert. Apropos Steuer: Auch hier haben wir wahrlich bessere Zeiten erlebt.

Wieder klopft es unnachgiebig. Eine knöcherne Hand, geduldig, verschwielt von Arbeit.

Die hehre Gesellschaft ist mittlerweile in Selbstmitleid und Depression verfallen. Krawattenknoten werden gelockert aus Angst, ja: der Gewissheit, ob der eigenen Taten erdrosselt zu werden; Perlenketten werden vorsorglich abgenommen aus Gründen des Werterhalts. Die Konten sind jedenfalls sicher, bombensicher.

Das eben verschlungene Essen sucht sich seinen Weg nach oben. Die Ecken sind schon besetzt und vollgekotzt. Der Rest der pompösen nouvelle cuisine passiert den Darm in Windeseile und landet in der Hose. Die Blase drückt, die Prostata schwillt, die Harnröhre knickt endgültig ab. Der Restharn träufelt die Beine entlang. Schmerzen, Krampf und Gestank erreichen nie dagewesene Ausmaße.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!

„Macht die Tür auf, um Gottes willen.“

„Nur um des Teufels willen, Exzellenz.“

„Na dann. Dann muss ich eben Fehler einräumen, alles Leugnen, alles Lügen hilft nun nichts mehr. Ich werde mich in Demut auf mein Schloss zurückziehen.“

Die Flügel der Tür fliegen auf.

Der Souverän tritt in’s Rampenlicht, der hydraköpfige, medusenhäuptige Souverän. Das Wahlvolk und überhaupt: das Volk ohne Wahl, das Humankapital, die Geknechteten, Gebeutelten, Ausgebeuteten, Leistungsverdichteten, der Staat in Gestalt der Menschen, die ihn bezahlen. Die, über deren Köpfe die großen Jahrhundertentscheidungen gefällt wurden, die, die keine Lobby haben (und auch sonst nichts), gemarterte Hirne, geprügelte Hintern, gebrochene Träume.

Der Souverän, meine Damen und Herren.

Cecilia


Unter einem Souverän (von lateinisch superanus ‚über allen stehend‘) versteht man den Inhaber der Staatsgewalt, in Republiken ist dies das Staatsvolk, in Monarchien der Monarch, häufig also ein König oder Fürst.


Souverän der Souveräne



Der steigende Goldpreis ist vor allem ein Zeichen für das schwindende Vertrauen in die Regierungen dieser Welt.
Die Magie des Goldes fasziniert die Menschen seit Jahrtausenden. Sie schmückten sich damit, kämpften darum, tauschten es wahlweise gegen Blut oder Eisen. Um dieses Edelmetall wurden Kriege geführt, Menschen drangsaliert, betrogen und ausgerottet. Sein Glanz lockt Glücksritter, Spekulanten und Normalverbraucher - derzeit zahlen sie Höchstpreise für Gold.
Helga

Souverän der Souveräne
oder der Superanus



Wer möchte nicht über allen stehen?
Die Staatsgewalt.
Deshalb wird gekrochen und nicht hin gerochen, was im Anus brodelt.
Es wird angeblich fürs Volk gejodelt und unglaublich viele kriechen
hin zu denen, die unsäglich riechen nach Korruption.
Wen kümmert’s schon.
Egal ob alte und junge Faschisten oder Lobbyisten, sie halten sich für souverän,
sind es aber nicht. Doch ihr Gewicht besticht
die Staatsgewalt, die mit Getöse aus dem Superanus bricht, um über allen zu stehen.
Bis der Souverän angeblicher Souveräne erwacht und dem Spuk ein Ende macht.
Das mündige Volk.


Helga

Gemeinplätze

(aber deshalb nicht weniger wahr)

Der Strom kommt aus der Steckdose.
Das Unverdauliche wird in’s Klo gespült.
Die Kanalisation verstopft.
Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?
Zieh die Leine,
zieh die Zugleine!

Das Chamäleon passt sich an, a b e r :
es hat auch den Rundumblick.
Der Politiker taucht ab
und rechnet mit unserem kurzen Gedächtnis.
Zieh die Leine,
zieh die Zugleine!



Quelle: Wikipedia



Er verlässt sich auf unser kurzes Gedächtnis
oder unsere Müdigkeit.
Es ist nicht schön,
immer belogen zu werden
und das andere Ohr hinzuhalten.
Zieh die Leine,
zieh die Reißleine!

Cecilia


Impressum

Texte: Copyright bei den Autorinnen
Bildmaterialien: Titelbild: Hyacinthe Rigaud : Louis XIV (1701)
Tag der Veröffentlichung: 16.05.2012

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