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An meine frühe Kindheit habe ich nicht mehr sehr viele Erinnerungen. Aber mir sind ein paar kleine Reiseerlebnisse eingefallen.
Ende der fünfziger Jahre, waren die Menschen noch damit beschäftigt, den Krieg irgendwie zu „verdauen“ und das deutsche Wirtschaftswunder aufzubauen.
Mein Vater war ein Mensch, der allem Neuen aufgeschlossen war. Er war einer der ersten, die einen Fernseher hatten. Seine Teilnehmernummer war noch im ersten Hunderterbereich.
Und er entdeckte das Reisen. Früher war es das Riesengebirge, Schneekoppe und die Ostsee. Aber jetzt wurde zu ferneren Ufern aufgebrochen.
Als ich knapp sechs Jahre alt war durfte ich nach Italien mitfahren. Da meine Eltern nichts von Gruppenreisen und Massentourismus hielten, wurde ein kleines Familienzelt gekauft und der schöne weiß-grüne Ford-Taunus von meinem Vater vollgeladen.
Damals gab es ja den „wunderbaren“ Gotthardt-Tunnel – den ich hasse – noch nicht. Also begann eine abenteuerliche Reise über die schweizer Alpen. Die Passstraßen waren oft nicht breiter als ein Feldweg und nicht sehr gut abgesichert. Unser Auto schnaufte die steilen Straßen hoch und meine Mutti meinte <sollen wir schieben?>, mein Vater hatte daraufhin nur ein etwas verkniffenes Lächeln übrig, sagte aber nichts. Das hatte meine Mutter wohl auch nicht erwartet, denn sie schmunzelte nur vor sich hin. Das Lächeln verging ihr aber bald, als die Abgründe immer tiefer wurden. Sie klammmerte sich am Haltegriff fest und schien immer kleiner auf dem Vordersitz zu werden. Wahrscheinlich wurde damals schon der Grundstein für meine Höhenangst gelegt.
Wir drei waren erleichtert als wir endlich wieder unten waren. Der Anblick des blauen Mittelmeeres entschädigte uns dann vollends.
Maine Mutter fing an zu zitieren "Kennst da das Land wo die Zitronen blühen" (Goethe?) und "Trink oh Auge, was die Wimper hält (Anette von Droste-Hülshoff). Das waren ihre Lieblingsverse.

In Rimini fuhren wir zum Campingplatz. Nach gefühlten fünf Stunden stand unser Zelt dann endlich. Natürlich waren "wir Frauen" schuld, dass es so lange gedauert hatte, weil wir die Anweisungen meines Vaters nicht richtig ausführten. Schließlich meinte meine Mutti auf ihre ruhige Art, dass er doch mal die eine Schnur durch die Öse dort ziehen solle und mit dem Hering befestigen. Und voila, das Zelt war aufgebaut. Und hielt auch den nächtlichen heftigen Gewittern stand.
Die Italiener waren mir ein bißchen unheimlich. Ständig wurde mein Vater gefragt, wieviel Lira er für die bella Bambina wollte. Wahrscheinlich wirkte ich mit meinen hellblonden Haaren und den blauen Augen ein bißchen exotisch auf sie. Die meiste Zeit lebte ich in der Angst, dass meinem Vater das Geld ausginge, er mich letztendlich doch verkaufen würde und ich bei diesen schrecklich lauten Menschen bleiben müßte.
Das war auch noch so ein Punkt, warum mir diese Leute so suspekt waren. Ihre Lautstärke! Sie waren ununterbrochen am Streiten, dachte ich.
Meine Eltern erklärten mir zwar, dass das ihr normaler Umgangston sei aber ich konnte mir das einfach nicht vorstellen.

Wir machten dann noch eine kleine Rundreise in die Toskana. Pisa und Florenz.

Zu guter letzt dann Venedig.
Diese Stadt ist mir besonders gut im Gedächtnis geblieben. Es gibt noch ein Foto von mir auf dem Markusplatz, wo ich mit ausgestreckten Armen, vollbesetzt mit Tauben , heulend dastand. Am Anfang fand ich das ja noch ganz lustig aber dann wurden es immer mehr....

Diese erste Reise hat mich und mein Bild über Italien sehr geprägt. Viele Jahre später, inzwischen war ich selber Mutter, fuhren wir wieder nach Venedig.
Nichts erinnerte mehr an das Italien in meiner Kindheit. Selbst das Meer schien sich verändert zu haben.
Nur Venedig hatte nach wie vor den alten Zauber. Aber die Tauben habe ich trotzdem nicht mehr gefüttert.

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Tag der Veröffentlichung: 26.05.2011

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