Cover

1 Die Hochzeit

„Da kommt die Herrschaft ja noch mal gerade so eben an einer Blamage vorbei!“

Geraune und leises Gelächter des Gesindes vom Gut Erlenkamp begleitete diese respektlose Bemerkung von Maria, einer Magd des Hofes, und – nicht überraschend – wurde Maria umgehend von Elisabeth, der zweiten Magd, gerügt, wenn auch mit einem heimlichen Schmunzeln.

„Pass bloß auf, dass dich die Herrschaft bei solchen Reden nicht erwischt, sonst kannst du bald im Wald die Ziegen hüten!“

„Ist doch wahr,“ protestierte Maria, „man sieht bei der Braut ja schon ein kleines Bäuchlein! Wahrscheinlich hat der Brautvater den Pfarrer ordentlich geschmiert, damit die Braut noch in weiß heiraten darf!“

Maria wusste nicht, dass es nicht der Brautvater war, der dem Pfarrer eine beachtliche Spende übergeben hatte, sondern Antonius Gerhardus Schulte-Erlkämper, der Vater des Bräutigams.

Alle Knechte und beide Mägde waren seit Tagen von früh morgens bis spät abends schwer beschäftigt, der Hof musste tipptopp in Ordnung sein für die Hochzeit, nirgends durfte irgendetwas herumliegen, was da nicht hingehörte. Die Ställe für das Vieh mussten blitzsauber sein, die Tenne sowieso, denn da würde ja die Feier stattfinden. Eine Bauernhochzeit war zu der damaligen Zeit, im September 1837, im tiefsten Münsterland nämlich ein nicht alltägliches Fest, sondern eine eher seltene Gelegenheit, opulent zu feiern, und diese Gelegenheit wurde stets gerne ausgiebig genutzt, erst recht, wenn die Hochzeit auf einem so großen Bauernhof, wie dem Gut Erlenkamp gefeiert wurde.

Zwar war es damals auf dem flachen Land eigentlich üblich, dass der Brautvater die Hochzeit ausrichtet, doch, weil es Probleme mit dem dortigen Pfarrer gegeben hatte, der eine schwangere Frau nicht im weißen Brautkleid trauen wollte, war die Hochzeit von allen Beteiligten einvernehmlich nach Wessum verlegt worden und die Hochzeitsfeier auf das Gut Erlenkamp.

„Dass schon im Sommer Schweine geschlachtet werden…“, begann jetzt auch der Knecht Josef leise zu stänkern.

„Was willst du eigentlich?“, unterbrach ihn Elisabeth tadelnd, „geschlachtet werden darf in den Monaten mit ,R‘ und du kannst nicht bestreiten, dass der Monat September ein ,R enthält.“

„Ist ja auch egal, auch wenn es eigentlich noch viel zu warm ist zum Schlachten, die Schweine, Gänse und Hühner, die geschlachtet werden, werden ja sowieso bei der Hochzeitsfeier komplett aufgefressen.“

„Nun hab‘ dich mal nicht so,“ versuchte Elisabeth ein weiteres Lästern oder Stänkern zu verhindern, „für uns wird bestimmt noch genug übrigbleiben.“

„Warum hat denn der Pfarrer, der für die Braut zuständig ist, solche Schwierigkeiten gemacht?“, fragte die junge Magd Maria naiv.

„Warum wohl?“

„Weiß ich nicht, deshalb frag ich ja!“

„Der hat die Tatsache, dass die Braut schon vor der Heirat ein Kind erwartet, wohl zu heftig ausnützen wollen zugunsten der Kasse seiner Kirche.“

„Oder für seinen eigenen Messwein-Keller!“

„Jetzt ist es aber gut,“ versuchte Elisabeth energisch das Lästern zu verhindern, „wir bekommen sonst alle noch Schwierigkeiten mit dem Bauern, wenn der das hört. Und hört auf, über den Pfarrer des Dorfes zu lästern, in dem die Braut wohnt. Ihr kennt den doch gar nicht!“

„Wer hätte wohl damit gerechnet,“ fuhr der Knecht Josef fort zu lästern, ohne auf Elisabeths Warnung zu achten, „dass der jüngere Sohn zuerst heiratet und sogar, ohne dass es zuvor eine Verlobung gab?“

„Ja, ja“, fiel nun Maria in das Stänkern ein, „und das, wo sich gerade erst vor zwei Monaten der ältere Sohn verlobt hat! Hoffentlich wird das mal nicht die kürzeste Verlobung aller Zeiten!“

„Wie kommst du denn darauf? Was soll das denn heißen?“

„Na ja, eigentlich ist doch der ältere Sohn der geborene Hoferbe. Bleibt er das, wenn jetzt der jüngere zuerst heiratet? Warten wir’s mal ab! Außerdem denke ich: Wenn die Verlobte des Älteren das einzige Kind auf dem Hof Donnermeier ist, dann wird der ja wohl dort der künftige Bauer sein! Der kann doch nicht zwei Höfe gleichzeitig bewirtschaften und zwei so riesig große schon gar nicht!“

Damit hatte Maria etwas angedeutet, was schon bald zu einem fast unlösbaren Problem für Joa Antonius Bernadus Schulte-Erlkämper, dem ältesten Sohn des Bauern, werden sollte.

Abrupt brach plötzlich das Lästern ab, als sich die Tür öffnete und Christina den Raum betrat, Christina, die meistens nur Stina gerufen wurde. Stina war die jüngste Tochter des Bauern und obwohl sie erst dreizehn Jahre alt war, wussten die Knechte und Mägde selbstverständlich, dass auch ein dreizehnjähriges Kind ihr Lästern dem Bauern verraten könnte, wenn es das auch vielleicht nicht absichtlich tun würde. Sie alle mochten Stina, die immer ein so freundliches und hilfsbereites Mädchen war.

Schon seit Tagen war das Gesinde des Hofes, alle Knechte und Mägde, intensiv damit beschäftigt, Haus und Hof auf Vordermann zu bringen und selbstverständlich galt das auch für den Bauern und für die Bäuerin selbst und natürlich auch für deren Töchter und Söhne. Für sie alle herrschte seit Tagen absoluter Dauerstress. Das Haus wurde geputzt und gewienert wie selten zuvor, die Tenne wurde mit Reisigbesen gefegt, die in den langen Wintertagen angefertigt worden waren, als die Arbeiten auf den Äckern ruhten; die lange Hofzufahrt über die Kuhweide und der gesamte Hof mussten picobello sein und auch der Bauerngarten, in dem neben Blumen auch Gemüse und Kräuter gezogen wurden, musste gründlich hergerichtet werden. Es war nicht auszudenken, welchen Ärger es geben würde, wenn ein Hochzeitsgast den Garten mal inspizieren würde, zum Beispiel nach dem Essen bei einem kleinen Verdauungsspaziergang, und er Unkräuter entdecken könnte! Eine solche Blamage durfte es nicht geben! Und auch dem Vieh in den Ställen und auf den Weiden musste man den Wohlstand des Hofes ansehen! Anlässlich einer Hochzeit musste einfach allen Gästen gezeigt werden, dass man wer war, das war selbstverständlich, da durfte gestrunzt und geprotzt werden, was das Zeug hält, auch wenn man sonst eher sparsam war und stets für schlechte Zeiten vorsorgte, die es in jenen Jahren nämlich immer wieder mal gab.

Der Knecht Joan hatte trotz der spätsommerlichen Hitze zwei Schweine schlachten und verarbeiten müssen, er hatte Schinken und Speck eingepökelt, damit ihnen das Salz die Feuchtigkeit entziehen konnte und sie dadurch haltbar gemacht wurden und gelagert werden konnten. Nach einigen Tagen mussten Schinken und Speck in der hofeigenen Rauchkammer geräuchert werden und die Schinken wurden dann, wie üblich, noch in Leinensäcke eingenäht, damit kein Ungeziefer sich daran vergreifen konnte und keine Fliegen ihre Eier in ihnen ablegen konnten, nachdem sie auf dem Heuboden zum Trocknen aufgehängt wurden. Der Duft des Heus gab durch die Lagerung den Schinken erst den ganz besonderen Geruch und Geschmack. Die Speckseiten wurden im dunklen und kühlen Keller aufbewahrt. Die Teile der geschlachteten Schweine, die bei der Hochzeitsfeier verzehrt werden sollten, wurden so weit wie möglich bereits vorbereitet. Der Rest wurde, soweit er nicht zu Wurst verarbeitet wurde, gesalzen im Keller aufbewahrt. Ähnlich wurde mit den geschlachteten Gänsen verfahren und die Hühner wurden bereits am Tag vor der Hochzeit gekocht. So entstand eine kräftige Hühnersuppe mit anständigen Fettaugen und mit prächtigen Markklößchen. Es mussten schon mindestens drei große Suppenhühner sein, damit die Suppe genügend Fettaugen hatte, denn niemand sollte während des Hochzeitsessens sagen können:

„Es gucken ja mehr Augen hinein in die Suppe, als heraus!“

Man durfte sich keinerlei Blöße geben. Brot und diverse Kuchen wurden gebacken und Puddings gekocht und, und, und…

Langeweile gab es in diesen Tagen wahrhaftig nicht! Es gab jeden Tag von morgens früh bis abends spät enorm viel Arbeit für das Gesinde und für die ganze Familie. Wäsche wurde gewaschen, die weißen Tischdecken für die Bierzelt Garnituren auf dem dafür vorgesehenen Wiesenstück an der spätsommerlichen Sonne gebleicht, der Hof wurde geharkt und gefegt, die Pferde gestriegelt, ihre Mähnen und Schwänze gekämmt und ihre Hufe geschwärzt. Die Chaise, die am Hochzeitstag das Brautpaar von der Kirche abholen sollte, wurde peinlichst genau geputzt und gewienert. Nirgendwo durfte ein Staubkörnchen zu finden sein.

Die Chaise, das war eine einachsige Kutsche mit nur einer Sitzbank für zwei oder drei Personen, die nur zwei sehr große eisenbeschlagene Räder hatte, sie wurde stets nur von einem Pferd gezogen; weil sie ganz leicht gebaut war, sie hatte keine Türen, dafür offene Seitenteile, ein bewegliches, nach vorne offenes Lederverdeck, welches eine ungehinderte Sicht nach vorn und mit Einschränkungen auch zu beiden Seiten ermöglichte und eine lederne Decke, die hoch über den Füßen und Beinen der Insassen gespannt werden konnte. Sie ermöglichte eine durchaus angenehme Fahrt zur Kirche durch Wälder, Wiesen und Felder und zurück auch dann, falls das Wetter und die Zustände des Waldweges nicht mitspielen würden, wenn zum Beispiel nach heftigen Regengüssen der Weg schlammig und für Pferdegespanne nur schwer befahrbar sein könnte.

Es war zu der damaligen Zeit durchaus nicht üblich, dass geprasst und geschlemmt wurde; allerdings waren Hochzeiten auf großen Bauernhöfen stets ein willkommener Anlass, aufzufahren was Küche und Keller hergaben. Trotzdem wurde in aller Regel sehr genau darauf geachtet, dass stets Vorräte für schlechte Zeiten vorhanden waren. Es konnte schließlich niemals ausgeschlossen werden, dass die Zukunft schlechte Jahre bringen könnte. Missernten waren immer möglich und auch räuberische Horden gab es immer wieder mal und auch die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg war noch immer stets präsent. Davon wurde vor allem im Winter abends oft erzählt, wenn es dunkel wurde und die Familie und das Gesinde am offenen Herdfeuer saßen, das meistens die einzige Beleuchtung der Bauernstube war.


Als die Hochzeit des zweitgeborenen Sohnes des Bauern, Joannes Lambertus, im September 1837 stattfand, war der Vater des Bräutigams, der Bauer Antonius Gerhardus Schulte-Erlkämper, fünfundfünfzig Jahre alt. Er und seine Frau Elisabeth, geborene Haller, hatten im Jahr 1810 die Tochter Anna-Maria bekommen und ein Jahr später die Tochter Johanna Elisabeth. 1813 wurde der erste Sohn geboren, der den Namen Joa Antonius Bernardus erhielt, der aber meistens nur Toni gerufen wurde, genauso wie sein Vater, und 1817 der zweite Sohn Joannes Lambertus, der üblicherweise Lambert genannt wurde. In den folgenden Jahren wurden noch die Töchter Anna Adelheid und Christina geboren, die jüngste Tochter, deren Vornamen vollständig Anna-Maria Christina lauteten, gerufen wurde sie gewöhnlich Stina, sonst hätte man sie ja auch zu leicht mit der ersten Tochter, Anna-Maria, verwechseln können.

Drei Jahre nach der Geburt ihres letzten Kindes starb die Mutter Elisabeth Schulte-Erlkämper, geborene Haller, und nach dem Ende des Trauerjahres heiratete Antonius Gerhardus Schulte-Erlkämper erwartungsgemäß die Witwe Johanna Wuttke, die ihm auch schon während des Trauerjahres eine große Hilfe in Haus und Hof gewesen war. Der Pfarrer für die Gemeinde Wessum, der selbstverständlich für seine Schäfchen eine absolute Respektsperson war, hatte eine zügige Heirat nach dem Trauerjahr angemahnt, er wusste: Der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach; aus unzählig vielen Beichtgesprächen kannte er seine Schäfchen ganz genau…

Mit Johanna, geborene Wuttke, zeugte Antonius noch sieben weitere Kinder.


Es gab anlässlich dieser Hochzeit im Jahre 1837 keinen Junggesellenabschied und es gab auch keinen Polterabend. Die Vorbereitungen für die Hochzeitsfeier waren am Vorabend der Hochzeit erst bei Eintritt der Dunkelheit abgeschlossen und nachdem die sechzehn Kühe des Gutes ein letztes Mal für diesen Tag gemolken worden waren, nahm die Familie Schulte-Erlkämper gemeinsam mit den Knechten und Mägden das Abendessen ein und ging, nachdem die Sonne untergegangen war, schlafen, wie sie es am Ende eines jeden Tages machte. Die Herrschaft und das Gesinde wünschten sich gegenseitig eine Gute Nacht und alle gingen zu Bett.

Fast alle gingen zu Bett, denn der Bauer Antonius Schulte-Erlkämper sagte überraschend zu seinen beiden Söhnen aus seiner ersten Ehe:

„Jungs, bleibt beide noch einen Augenblick hier. Lasst uns noch einen kleinen Schlaftrunk nehmen!“

Beide Söhne sahen sich erstaunt an. Sie wussten sofort, ihr Vater hatte sie nicht aufgefordert, noch bei ihm zu bleiben, weil er noch etwas trinken wollte, das hätte er auch alleine machen können. Er wollte ihnen etwas sagen und dabei wollte er offenbar mit ihnen alleine sein und weder seine Frau noch seine Töchter aus seiner ersten Ehe dabeihaben – und noch viel weniger wollte er die Kinder dabeihaben, die er mit seiner zweiten Frau gezeugt hatte. Und sie alle verstanden das auch sofort und alle, außer dem Bauern und seinen beiden ältesten Söhnen Toni und Lambert, gingen schlafen.

Nun ging der Bauer an den Schrank, nachdem seine Frau, seine weiteren Kinder und die Knechte und Mägde die Bauernstube verlassen hatten, holte ein kleines Öllämpchen heraus, stellte es auf den riesengroßen schweren Tisch in der Bauernstube, stutzte kurz den Docht des Lämpchens und entzündete ihn dann mit einem Fidibus, welchen er am offenen Herdfeuer entzündet hatte, denn dieses offene Herdfeuer erhellte die Stube nur noch unzureichend. Das Feuer hatte man bereits für die Nacht herunterbrennen lassen. Dann löschte er mit einem schnellen Wisch den Fidibus zwischen Daumen und Zeigefinger aus.

Nun holte er flugs die Flasche Korn und drei Schnapsbecher aus dem Bauernschrank, nahm schließlich seine Pfeife und seinen ledernen Tabaksbeutel. Dann stopfte er sorgfältig seine Pfeife und entzündete sie mit dem Fidibus, nachdem er ihn am Docht des Öllämpchens wieder entzündet hatte, drückte den aufquellenden glühenden Tabak mit dem Daumen seiner linken Hand wieder hinunter und fuhr mit dem brennenden Fidibus noch einmal über seine Pfeife. Während dieser fast rituell durchgeführten Handlung sahen die beiden jungen Männer ihm schweigend zu.

Der alte Bauer paffte nachdenklich ein paar kurze Züge ohne ein Wort zu sagen, um sich die ersten Sätze zurechtzulegen, die er zu seinen Söhnen sagen wollte, denn er wusste durchaus, dass das jetzt ein entscheidender Augenblick war. Dann goss er Schnaps ein.

„Eine Hochzeit ist ja immer ein sehr bedeutsames Ereignis,“ begann er endlich zögernd und leise, bedeutungsvoll, ohne seine Söhne anzusehen, sein Blick war stur auf die Platte des schweren Tisches gerichtet, „in jedem Alter und für alle Beteiligten, und für die Alten stellt sich die Frage, wann der richtige Zeitpunkt ist, aufs Altenteil zu gehen.“

Was kommt denn jetzt? Seine Söhne, die ihm voll gespannter Erwartung lauschten, wunderten sich. Wenn der Alte eine Rede derart feierlich beginnt, dann muss etwas in der Luft liegen, das wussten sie aus Erfahrung, dann konnten sie Bedeutungsvolles erwarten. Der Bauer unterbrach seine Rede, nahm seinen Becher und prostete seinen Söhnen zu, die schweigend und ernst auf das warteten, was der Alte ihnen zu sagen hatte.

„Lambert,“ sagte er nun zu dem jüngeren seiner beiden Söhne aus seiner erster Ehe, „du bist ja eigentlich noch viel zu jung, um zu heiraten, aber ich will dir jetzt keine Vorwürfe mehr machen. Auch Hedwig ist ja verdammt noch mal noch viel zu jung mit ihren gerade mal siebzehn Jahren. Aber es ist nun mal so wie es ist!“

Er seufzte einmal schwer auf, als ob er sagen wollte, ich kann es ja doch nicht ändern, nahm dann die Pfeife wieder zwischen die Zähne, paffte ein paar Züge und fuhr dann mit zusammengepressten Zähnen nur schwer verständlich fort, um die Pfeife nicht zu verlieren, „also habt ihr meinen Segen!“

Nun nahm er die Pfeife wieder aus dem Mund und legte sie auf den Tisch; er räusperte sich laut, um den Kloß loszuwerden, der ihm im Hals saß, bevor seine beiden großen Jungs etwas bemerken konnten. Es fiel ihm nicht leicht, das zu sagen, was er sich zu sagen vorgenommen hatte. Deshalb goss er die Schnapsbecher wieder voll, ließ sie aber noch stehen, nahm erneut zwei, drei Züge aus seiner Pfeife, legte sie wieder auf den Tisch und fuhr mit jetzt rauer Stimme fort:

„Toni,“ benutzte er den Kosenamen seines ältesten Sohnes Joa Antonius Bernardus, der sein Lieblingssohn war, „wenn früher die Höfe der Bauern an die nächste Generation weitergegeben wurden, dann wurden sie oft zersplittert, da wurden sie oft in möglichst gleiche Teile aufgeteilt und jedes einzelne Teil an jeweils einen Sohn übergeben. Es ist ja klar, dass die Töchter leer ausgehen mussten, abgesehen von einer Mitgift natürlich, die sie schon kriegen sollten. Die Töchter heiraten ja hoffentlich sowieso irgendwann und ihre Männer sind dann für ihren Unterhalt und den der gemeinsamen Kinder verantwortlich. Und wenn man früher die Höfe nicht zersplittern wollte, dann waren die Geschwister des Hoferben auszuzahlen, was praktisch kaum möglich war. Wo sollte der Hoferbe denn auch so viel Geld hernehmen, wenn er viele Geschwister hatte?“

Jetzt nahm er seinen Schnapsbecher wieder auf und trank erneut einen kleinen Schluck.

„Als man erkannte, dass das ein verrücktes Verfahren war, weil dadurch das urbare Land viel zu sehr zersplittert wurde und eine wirtschaftliche Bebauung so kleiner Felder auf die Dauer kaum noch möglich war, da war man gezwungen, eine andere Lösung des Übergangs von einer Generation auf die nächste zu suchen. Es machte ja auch keinen Sinn, dass der neue Bauer seinen Hof zu stark belasten musste, um seine Brüder auszuzahlen, denn der könnte ja dadurch schlimmstenfalls bankrottgehen. Normalerweise wurde deshalb der Hof an den ältesten Sohn übergeben und die jüngeren Söhne gingen einfach leer aus. So war es eben und so ist es immer noch. Sie müssen einfach sehen, wo sie bleiben und welche Berufe sie ergreifen und so ist es eben auch heute noch. Eine Auszahlung des jeweiligen Erbteils an die Geschwister und wenn auch nur an die Brüder, war und ist ja auch heute gar nicht möglich, denn das würde ja den Hoferben finanziell völlig überfordern und der Hof würde unweigerlich unter den Hammer kommen!“

Joa Antonius Bernardus, Toni, erinnerte sich bei dem, was sein Vater so ernst und bedeutungsvoll sagte, daran, dass seine Eltern, vor allem sein Vater, aber auch seine Mutter und später auch seine Stiefmutter, immer wieder darauf hingewiesen hatten, dass er als der Erstgeborene der spätere Hoferbe sei. Immer wieder hatten sie ihm klargemacht, er müsse bei der späteren Wahl seiner Frau unbedingt darauf achten, dass sie ihn nicht nur wegen des Hofes heiraten würde. Sie wollten keinesfalls eine Erbschleicherin auf dem Hof haben! So oft hatten sie ihn ermahnt, dass er diese Sprüche längst nicht mehr hören wollte, sie waren ihm schon lange in Fleisch und Blut übergegangen, sie waren schon lange eine Selbstverständlichkeit für ihn geworden.

Toni war stolz darauf, dass er der Hoferbe war! Er wusste seit seinen frühestens Kindertagen, dass er etwas Besonderes war.

Toni lehnte sich erwartungsvoll zurück, nahm seinen Becher, trank einen kleinen Schluck und stellte den Becher wieder ab. Er war ein für die die damalige Zeit recht großer Mann, fast 1,80 Meter groß. Toni war schlank, hatte aber von der Arbeit auf den Äckern und in den Viehställen breite Schultern, kräftige Arme und Hände, die von der schweren bäuerlichen Arbeit zeugten, er hatte blonde Haare, im Nacken kurzgehalten, und blaue Augen. Auf seinen, im Sommer braungebrannten Armen wuchsen blonde Haare und er war ein fröhlicher Typ, immer hatte er einen flotten Spruch auf den Lippen.

Toni war vierundzwanzig Jahre alt. War das das richtige Alter, den Hof zu übernehmen? Er bejahrte diese nicht ausgesprochene Frage für sich selbst. Er war längst erwachsen und er hatte schon oft daran gedacht, dass er gerne das Sagen und die Verantwortung für den Hof übernehmen würde. Toni wusste, dass er ein guter Bauer war und er wusste auch, dass er Erfahrungen genug hatte, den Hof bestmöglich zu bewirtschaften und auch, dass er mit allen Schwierigkeiten fertig werden könnte, die zweifellos auf ihn warteten. Dabei zweifelte er selbstverständlich nicht daran, dass jeder Mann lebenslang lernen soll. Außerdem würde sein Vater ihm ja auch im Alter noch als ein erfahrener Ratgeber zur Seite stehen. Deshalb und ohne jeden Zweifel: Er war bereit! Jetzt! Sofort!

Als beide Söhne schwiegen, gespannt darauf, was er ihnen sagen wollte, redete der Vater weiter: „Selbstverständlich ist das kein Naturgesetz! Hin und wieder geht ein Hof auch mal an einen jüngeren Sohn. Ich habe mir nun viele Gedanken gemacht, was für uns richtig ist, denn das ist ja wirklich ein entscheidender Moment für den Hof und für uns alle, für die ganze Familie.“

Nach dieser langen Vorrede kam er nun endlich zur Sache:

„Klar ist ja wohl, dass eure Halbbrüder sowieso nicht als Hoferben in Frage kommen! Toni,“ jetzt sah er seinen Ältesten direkt an, „wir haben immer gesagt, schon als du noch klein warst, dass du viel von deiner Mutter hast, dass du auf sie herauskommst. Du kommst eher auf Haller raus, als auf Erlkämper, du bist schlank, feingliederig, du bist intelligent, deine Stärken liegen eher im Geistigen als im Körperlichen, obwohl du allemal kräftig genug bist, einen großen Bauernhof erfolgreich zu bewirtschaften.“

Jetzt räusperte er sich erneut kräftig, denn das, was er zu sagen hatte, fiel ihm wahrlich nicht leicht. Er wandte sich Joannes Lambertus zu und sagte:

„Lambert, du bist nicht der Schlaueste auf der Welt, hast aber riesige körperliche Kräfte und du kommst eher auf mich raus, du bist ein echter Erlkämper. Für mich galt es nun nicht zu entscheiden, wer von euch beiden den Hof verdienen würde, dass ist letztlich sogar vollkommen egal, sondern zu entscheiden, welcher neue Bauer nach mir am besten für den Hof ist. Der Schlaue oder der Starke?“

Tatsächlich war Lambert eine halbe Kopflänge kleiner als sein älterer Bruder, aber mindestens ebenso breit und kräftig, deshalb wirkte er geradezu stämmig, muskulös. Er hatte dunkelblonde, fast braune Haare und ebenfalls blaue Augen.

Noch einmal füllte der alte Bauer seinen Trinkbecher und die Becher seiner Söhne nach und noch ein paarmal sog er ruhig an seiner Pfeife, bevor er schließlich mit seiner Entscheidung herauskam:

„Ich habe mich entschieden,“ sprach er jetzt mit tiefdunkler Stimme weiter und sah dabei wieder stur geradeaus auf den schweren Tisch, sah seine Söhne dabei wieder nicht an:

„Du sollst den Hof bekommen, Joannes Lambertus!“

Jetzt war es heraus! Endlich!

„Auf einem Bauernhof braucht man Kraft, viel Kraft,“ fuhr der Alte nun fort, „die Arbeit ist niemals leicht, wie ihr beide ja selbst wisst. Und intelligent genug, einen großen Bauernhof zu bewirtschaften, bist du auch. Ich glaube deshalb, dass du der bessere Bauer sein wirst!“

Für Toni war es, als habe er einen heftigen Schlag in den Bauch bekommen. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet, damit hatte er trotz der langen Vorrede seines Vaters nicht rechnen können! Es zog ihm geradezu den Boden unter den Füßen weg. Seine bisherige Vorstellung von seinem künftigen Leben zerstob in diesem Moment unaufhaltsam ins Nirwana! Seine Eltern hatten ihn doch sein ganzes Leben lang darauf vorbereitet, dass er eines Tages den Hof übernehmen wird! Das war doch jetzt komplett für die Katz! Wieso war er denn dann vierundzwanzig Jahre lang der Hoferbe – und jetzt vollkommen überraschend plötzlich nicht mehr?! Minutenlang sah er seinen Vater sprachlos an, er war wie vor den Kopf geschlagen. Dann sah er seinen jüngeren Bruder an, dessen Gesicht freudige Überraschung ausstrahlte.

„Toni, du mit deiner Intelligenz könntest Theologie studieren“, fuhr der Alte fort, „und Pfarrer werden oder als Mönch Karriere machen, aber dazu ist es wohl zu spät, du bist ja schließlich verlobt und du wirst wahrscheinlich Trude nicht aufgeben wollen. Du könntest dir aber auch hier auf dem Hof eine Werkstatt einrichten und Holzschuhmacher werden. Aber dazu bist du wohl zu schlau. Du könntest auch in die Politik gehen oder beim Militär Karriere machen.“

Nun sah er Toni an, der blass geworden war, der jetzt ganz weiß im Gesicht war, von der Sonnenbräune seines Gesichtes, die er im Sommer und im Herbst bei seiner Arbeit auf den Feldern und Wiesen des Hofes bekommen hatte, war nichts mehr zu sehen.

„Ich glaube aber eher, dass deine Zukunft auf dem Hof Donnermeier liegen wird,“ sagte nun der Alte, der schlaue Fuchs, „sollte ich damit recht behalten, wirst du somit auch ein Bauer sein und sogar den größeren Hof bewirtschaften!“

Dass dann seine Söhne aus erster Ehe die Besitzer eigener großer Höfe sein werden, dass dann beide Großbauern sein werden, erfüllte ihn mit besonderer Genugtuung. Was er sogar vor sich selbst nicht zugeben würde, war, dass dieser Gedanke schließlich sogar für seine Entscheidung ausschlaggebend gewesen war.


*


Am nächsten Tag fand die Hochzeit in der Dorfkirche zu Wessum statt. Die Pferdekutschen der Kirchgänger und auch die Chaise, die nach der Messe das Brautpaar zum Gut Erlenkamp bringen sollte, waren im Dorf, auf dem Platz vor der Kirche, angebunden, den Pferden hatte man Säcke mit Hafer vor ihre Mäuler gehängt und so warteten sie geduldig und zufrieden das Ende der Messe ab.

Die Kirche war vollbesetzt, als der Brautvater Franz Bäcker die Braut, seine Tochter Hedwig, ruhigen Schrittes gemächlich und stolz am Arm durch den Mittelgang der Kirche zum Altar führte. Lächelnd blickte er dabei abwechselnd nach rechts und nach links in die mit Kirchenbesuchern vollbesetzten Bankreihen. Hedwigs Gesicht strahlte vor Glück und Stolz, weil sie heute den Erben des reichen Gutes Erlenkamp heiratete, und sie beide, Vater und Tochter, lächelten überaus selbstbewusst. Es war eine andächtige Stille in der Kirche, das leise Geraune in den Bankreihen hatte aufgehört, als die Braut und ihr Vater die Kirche betraten. Alle Kirchenbesucher drehten neugierig ihre Köpfe zum Mittelgang und sahen ihnen zu. Vater und Tochter fühlten alle Augen auf sich gerichtet und als sie sich der kleinen Bank mit den dunkelrot gepolsterten Sitzplätzen am Ende des Mittelganges der Kirche zwischen den beiden Kommunionbänken näherten, an der Joannes Lambertus Schulte-Erlkämper, Lambert, wartete, setzte verhalten passende Orgelmusik ein.


Nach gut einer Stunde waren die Messe und die Trauung beendet. Der Pfarrer und die vier Messdiener verließen den Chorbereich der Kirche und gingen langsam und andächtig in die Sakristei. Das frisch verheiratete Paar, Hedwig und Lambert, wartete, beide stolz und glücklich lächelnd, noch einen Augenblick lang unter den Klängen der Orgel ab und gingen schließlich Arm in Arm langsam durch den Mittelgang der vollbesetzten Kirche hinaus. An der nun weit geöffneten Kirchentür standen jetzt zwei der vier Messdiener in ihren rotweißen Gewändern; sie versperrten den Ausgang der Kirche mit einem locker gespannten Strick, wie es auf dem Land üblich war. Lambert griff in die Rocktasche seines Hochzeitsanzuges und gab beiden Messdienern je eine Handvoll Münzen, worauf diese das Seil fallenließen und damit den Ausgang frei gaben.

Auf dem Kirchplatz hatte sich inzwischen mehr als das halbe Dorf versammelt. Das Wetter hatte sich nach dem vielen Regen der letzten Tage endlich gebessert und die Sonne schien mit noch beachtlicher Kraft für diese Jahreszeit aus einem strahlend blauen Himmel herab. Hochzeitswetter. Der Himmel meinte es gut mit dem Brautpaar. Es wurde gejubelt und dem Brautpaar wurde ausgiebig und von allen Seiten gratuliert, denn es war die Hochzeit des Sohnes eines Großbauern.

Die Leute, die den etwa zehn oder elf Kilometer langen Weg von der Kirche zum Gut Erlenkamp zu Fuß gehen mussten, machten sich bereits auf den Weg. Sie mussten, im Gänsemarsch hintereinander laufend, den schmalen Pfad, das Pättken (Pfädchen), benutzen, da der nicht befestigte Hauptweg wegen des vielen Regens der letzten Zeit tiefgründig schlammig war. Den Pferden auf dem Kirchplatz wurden die Hafersäcke abgenommen und der Knecht Josef holte noch schnell von der Pumpe vor der Dorfkneipe, dem Lokal „Zur alten Post“, einen Eimer Wasser und stellte ihn vor Emma, der Stute, die die Chaise zu ziehen hatte. Emma tauchte ihr Maul tief in das Wasser und trank den Eimer in großen Zügen aus. Der Hafer hatte sie durstig gemacht. Das Brautpaar stieg in die Kutsche, was Hedwig mit ihrem langen weißen Brautkleid nicht leichtfiel – und Emma spreizte ihre Hinterbeine und strullte einen kräftigen Strahl unter die Chaise.

Lambert nahm die Zügel auf und rief laut „Hüh Ja und hott“ und Emma setzte sich langsam in Bewegung. Die Pferdeäpfel, die Emma hinterließ, wurden von Josef, dem Knecht, schnell mit einer Kehrschaufel und einem kleinen Reisigbesen beseitigt. Dann holte Josef noch einen Eimer Wasser von der Pumpe und spülte damit die Pferdepisse in die Gosse, um eine üble Geruchsbildung in der Nähe der Kirche zu vermeiden. Anschließend beseitigte Josef noch die Hinterlassenschaften der beiden Pferde, die vor dem Leiterwagen eingeschirrt waren, in der gleichen Weise. Auf diesem Leiterwagen hatte man an beiden Längsseiten Bohlen als behelfsmäßige Sitze angebracht, die jetzt mit Hochzeitsgästen besetzt waren. Dann stieg Josef auf den Bock des Leiterwagens und fuhr los, um der Chaise mit dem Brautpaar und den weiteren Kutschen mit Hochzeitsgästen zu folgen. Die Bauerhöfe lagen weit außerhalb des Dorfes.


Die Fahrt einer beachtlichen Prozession von Kutschen und Wagen ging durch Buchenwald und durch dunklen Tannenwald, durch Felder und Wiesen und war recht angenehm, obwohl der Regen der letzten Tage den Weg ziemlich aufgeweicht hatte, sodass die eisenbereiften Räder tief einsanken und die Pferde an den Fuhrwerken schwer zu ziehen hatten. Die Luft roch wegen der noch immer nassen Wiesen und der noch immer feuchten Baumwipfel leicht modrig. Noch hatte die Sonne den Weg nicht trocknen können, obwohl sie sich schon seit dem frühen Morgen durch frühherbstlichen Dunst gekämpft und noch eine beachtliche Kraft entwickelt hatte. Es musste ein wundervoller Tag werden. Ein Tag wie gemacht zum Heiraten.


Auf dem Gut Erlenkamp angekommen, wurden alle Gäste zügig mit einem Begrüßungsgetränk versorgt. Alle Knechte und Mägde und auch die Familie Schulte-Erlkämper waren schon lange vor dem Sonnenaufgang auf den Beinen. Auf der mit Blumen und Zweigen geschmückten Tenne und auf dem Weg und dem Hof davor waren Tische und Bänke aufgebaut, die den Hochzeitsgästen Platz boten, dort standen Tische mit Getränken und mit kleinen Happen, um die Zeit bis zum Mittagessen zu überbrücken, und auch der blitzsauber geputzte Kuhstall neben der Tenne war als Teil der Festräumlichkeiten hergerichtet worden. Die Kühe waren alle noch auf der Weide, noch war es Sommer. Hier war eine Musikkapelle untergebracht, die bereits jetzt landestypische Musik des neunzehnten Jahrhunderts spielte. Die Hochzeitsgäste unterhielten sich laut und fröhlich und es gab viel Gelächter und durcheinander Gerede und viel Spaß. Hedwig Schulte-Erlkämper, geborene Bäcker, genoss es stolz und glücklich, der Star des Tages zu sein und auch Joannes Lambertus, Lambert, genoss es, mit seiner Frau im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Stolz war er sich der Tatsache bewusst, dass er jetzt der Hoferbe war – und das vergaß er keinen Augenblick lang.


Schon sehr bald hatte es sich herumgesprochen, dass der Bauer Antonius Gerhardus Schulte-Erlkämper sich aufs Altenteil zurückziehen wollte und, was noch viel mehr das allgemeine Interesse der Hochzeitsgäste weckte, dass nicht Toni den Hof erben würde, sondern Joannes Lambertus, der zweitgeborene Sohn, was allgemein verwundertes Erstaunen auslöste, zumal Lambert gerade erst zwanzig Jahr alt war.

Auch Trude, Gertrud Donnermeier, gratulierte dem Brautpaar sehr herzlich, aber sie begrüßte ihren Verlobten Toni (also: Joa Antonius Bernardus) nur mit einem sehr schnellen und flüchtigen Kuss, einem geradezu distanzierten und kühlen Kuss. Deshalb nahm Toni die erstbeste Gelegenheit war, Trude nach dem Grund zu fragen, obwohl ihn sofort eine nicht nur dunkle und vage Ahnung beschlich. Bereits die ganze letzte Nacht lang hatte er sich Sorgen gemacht, und doch zweifelte er nicht an Trudes Liebe zu ihm. Toni machte sich eher Sorgen wegen Trudes Vater, Alfons Donnermeier. Zu Recht, wie sich schon bald herausstellen sollte.

„Was ist los? Was ist los mit dir? Bist du sauer? Habe ich dir etwas getan?“

„Nein, du nicht!“ Die Betonung lag auf dem Du.

„Was ist denn? Worum geht es denn?“

„Kannst du dir das nicht denken?“

„Ich ahne, dass etwas Fürchterliches auf mich zukommt, dass es auf uns beide zukommt!“

„Da liegst du genau richtig,“ giftete Trude ihren Verlobten geradezu an. „nur, dass es nicht mehr auf uns zukommt, sondern bereits da ist! Mein Vater will nämlich, dass ich dir den Verlobungsring zurückgebe; ich soll die Verlobung mit dir lösen!“

Für Toni fühlte es sich wieder an, als bekäme er einen Hieb in die Magengrube oder noch eher wie einen Tritt in die Weichteile.

„Wirst du es tun?“, fragte er dennoch äußerlich ganz ruhig, obwohl sein Puls sich schon erheblich beschleunigte.

„Ich kann dich doch gar nicht gegen den Willen meines Vaters heiraten, das weißt du ganz genau,“ wich Trude aus, „als du bei meinem Vater um meine Hand angehalten hast, da hat mein Vater unserer Verbindung zugestimmt, weil du als der Erbe von Gut Erlenkamp gegolten hattest. Vater wollte, dass sich unsere Höfe ergänzen, der Hof deines Vaters und der meines Vaters. Das wäre ein sehr beachtlicher Besitz geworden, wie du ganz genau weißt! Du weißt auch, dass ich als das einzige Kind meiner Eltern zwangsläufig den Hof meines Vaters erben werde. Dieser Plan ist ja jetzt kaputt, da dein Bruder Joannes Lambertus euren Hof übernehmen wird!“

„Was wirst du tun?“

Toni versuchte krampfhaft, die Ruhe zu bewahren, obwohl ihm sauelendig zumute war.

„Ich weiß es nicht!“

Trude weinte nun beinahe, vor Sorge und vor Wut gleichzeitig, sie hätte nicht sagen können, welches der beiden Gefühle überwog, „ich weiß es einfach nicht! Was kann ich denn schon tun? Ohne Vaters Erlaubnis kann ich dich doch gar nicht heiraten! Was soll denn dann eine Verlobung? Kannst du mir das bitte sagen? Eine Verlobung, obwohl man ganz genau weiß, dass es eine Hochzeit nicht geben wird?“

Gertrud Donnermeier war zutiefst enttäuscht über die Entscheidung von Tonis Vater, zerstörte sie doch alle ihre bisherigen Zukunftspläne und die ihres Noch-Verlobten. War sie auch auf ihren Vater sauer? Eher nicht. Für ihn hatte sie durchaus Verständnis. Aus dem geplanten riesigen bäuerlichen Besitz würde nun nichts mehr werden…

Toni schwieg geschockt und schon vertiefte sich seine ohnehin bereits bestehende Verbitterung gewaltig.

„Ich kann nicht anders,“ klagte Trude, „mein Vater hat einen beachtlichen Hof, das weißt du, und er hat nur mich, keinen anderen Hoferben! Kein anderes Kind! Soll ich den Hof und meinen Vater aufgeben? Soll ich meinen Vater in seinem Alter aufgeben? Ich kann es nicht! Ich kann es einfach nicht!“

„Kannst du mich aufgeben?“

Äußerlich war Toni noch immer ganz ruhig. Er wusste in diesem Moment, dass er keinen Einfluss mehr darauf hatte, wie es jetzt mit Trude und ihm weitergehen konnte, aber er ahnte, dass sein Leben jetzt mehr und mehr den Bach hinunterging.

„Was soll ich nur tun?“, klagte Trude, „oh Gott, ich kann mich doch nicht zwischen dir und meinem Vater entscheiden, das geht doch nicht! Oh, Gott, mein Gott, steh mir bei!“


*


Am Sonntag nach der Hochzeit auf Gut Erlenkamp ging Toni wie jeden Sonntag zu Fuß über das Pättken zur Messe nach Wessum. Die Chaise wurde normalerweise nur vom Bauern oder hin und wieder vielleicht auch noch vom Hoferben benutzt und das auch nicht alltäglich, noch nicht einmal jeden Sonntag, dafür war sie viel zu edel, viel zu kostbar. Und Toni war jetzt kein Hoferbe mehr. In der Dorfkirche sah er auf der linken Seite der Kirche, der Seite, die gewöhnlich den Frauen vorbehalten war, Trude, seine Verlobte. Noch-Verlobte, dachte er mit wachsender Wut und beginnender Verzweiflung, wann wird sie mir den Ring zurückgeben?

Auf der rechten Kirchenseite fand er Trudes Mutter und Trudes Vater, Anna und Alfons Donnermeier. In einem geziemenden Abstand hinter ihnen, in der letzten Bank, suchte Toni seinen Platz im Gestühl der Kirche. Er verfolgte andächtig die Messe, wäre aber bei der Predigt beinahe eingenickt, denn die letzte Woche war für ihn nicht einfach gewesen. Schlaflose Nächte hatten ihn gequält und er hatte nächtelang gegrübelt: Wie wird es mit Trude und mir weitergehen? Wie wird mein Leben weitergehen? Er hatte auf dem Hof hart gearbeitet, wie jeden Tag, so dass er abends immer rechtschaffend müde war. Trotzdem brachten ihn seine Sorgen um seine Zukunft seit der letzten Woche um so manche Stunde Schlaf, denn, so fragte er sich ständig, wie es mit ihm weitergehen konnte. Was sollte er nur tun? Denn, es ging ja auch um seine berufliche Zukunft und wie er sich beruflich entscheiden würde, das betraf ja auch seine Beziehung zu Trude. Trotz seines vielen Grübelns fand er keine Lösung.

Er war vierundzwanzig Jahre alt und er war die längste Zeit Hoferbe gewesen und auch die offene Frage, was aus seiner Liebe zu Gertrud, Trude, werden konnte, machte ihm bereits schwer zu schaffen. Könnte Trude sich gegen ihren Vater durchsetzen? War ihre Liebe zu ihm stabil genug, dass sie auch hielt, wenn er nur ein armer Schlucker sein wird? Wie wird sie sich entscheiden? Für ihn oder gegen ihn? Für ihren Vater? Wenn ihr Vater seine Einstellung nicht ändert, was wird Trude tun? Wird sie ihrem Vater nachgeben? Was wird stärker sein? Die Liebe zu ihm, Toni, oder die Liebe zu ihrem Vater? Schließlich gab es ja auch noch ihre Liebe zu ihrem väterlichen Hof, der Liebe zu ihrem Zuhause, dem recht beachtlichen Hof eines Großbauern.

Der väterliche Hof musste ihrer Zukunft, ihrem künftigen Leben, Sicherheit geben. Wie konnte ihr Leben mit Toni aussehen, ohne den Hof? Toni wusste sehr genau, dass Trude vor einer schier unmöglichen Entscheidung stand. Was wird gewinnen? Das Herz oder der Verstand? War ihre Liebe zu ihm so stark, so haltbar, um mit dieser fürchterlichen Situation fertig zu werden?


Nach dem Ende der Messe, nachdem der Pfarrer den Segen erteilt und die Kirchenbesucher entlassen hatte mit den Worten: „Gehet hin in Frieden“, verließ Toni als einer der ersten Kirchgänger die Kirche, noch bevor das Schlusslied verklungen war. Auf dem Kirchplatz wartete er auf Gertrud Donnermeier und ihre Eltern. Er wollte wissen, woran er war. Er wollte die grässliche Unsicherheit, die ihn eine Woche lang gequält hatte, endlich beenden. Diese eine Woche voller Ungewissheit hatte schwer an seinen Nerven gezerrt.

Trudes Eltern saßen während der Messe auf der rechten Kirchenseite und Trude, als junges Mädchen, auf der linken, so wie es sich gehörte. Trudes Eltern kamen zuerst aus der Kirche, sie warteten auf dem Kirchplatz auf ihre Tochter und grüßten währenddessen Freunde, Verwandte und Bekannte, es gab kurze Unterhaltungen wie jeden Sonntag nach dem Gottesdienst. Dann kam auch Trude und Toni ging auf sie zu. Trude sah ihn mit einem etwas verweinten Gesicht an und Toni erkannte, dass sie in der letzten Woche ebenso gelitten haben musste wie er. Obwohl Trudes Gesicht Spuren der letzten verweinten Tage zeigte, war sie dennoch eine wirkliche Schönheit. Trude war rank und schlank und recht groß für eine Frau. Sie hatte lange blonde Haare, die heute zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren und sie hatte strahlend blaue Augen, die ihrem Gesicht eine ganz besondere Note gaben. Wenn sie ihren Mund, der nur eine Kleinigkeit zu groß war, mit den vollen dunklen Lippen zu einem Lächeln öffnete - wozu es für sie hier und heute keinen Grund gab – sah man, dass sie ihre sehr gleichmäßigen und sehr weißen Zähne regelmäßig sehr gründlich pflegte. Sie trug heute natürlich ihren Sonntagsstaat, einen langen dunkelblauen Rock, eine weiße Bluse und darüber eine blaue Jacke.

Noch ehe Toni Trude erreichte, eilte Alfons Donnermeier, Trudes Vater, zu ihr, gefolgt von Trudes Mutter. Toni reichte Trudes Mutter die Hand und Trudes Mutter erwiderte freundlich und doch reserviert seinen Gruß. Toni spürte sofort die Veränderung gegenüber der Zeit vor der Hochzeit auf Gut Erlenkamp. Dann streckte er auch Trudes Vater seine rechte Hand hin. Vergebens! Trudes Vater übersah sie demonstrativ, was vielen Kirchgängern aufgefallen sein musste.

„Dir wird ja wohl klar sein“, sagte Alfons Donnermeier laut und äußerst bestimmt mit seiner tiefen Stimme, „dass sich unsere Abmachung erledigt hat. Ich kann meine Tochter, mein einziges Kind, nicht einem mittellosen Mann zur Frau geben, einem armen Schlucker, der vielleicht sein Leben als Holzschuhmacher auf dem Hof seines Bruders verbringen wird, deshalb will ich nicht, dass du uns weiterhin besuchst! Deine Verlobung mit Trude ist gelöst“, behauptete er, „und du hast jeglichen Kontakt zu ihr abzubrechen!“

„Ich bin mit deiner Tochter verlobt,“ protestierte Toni zu Tode erschrocken, aber gleichzeitig trotzig und sogar wütend, „wir haben uns gegenseitig ein Eheversprechen gegeben, mit deiner Zustimmung,“ ergänzte er noch schnell.

„Das hat sich erledig,“ entgegnete Gertruds Vater äußerlich gleichmütig und gelassen, aber innerlich voll mit bebendem Zorn, „ich kann sie nicht zwingen, dass sie dir den Ring zurückgibt und die Verlobung löst, aber eine Heirat zwischen euch beide kann ich durchaus verhindern – und die werde ich verdammt nochmal auch verhindern! Eine Heirat mit dir ist vollkommen ausgeschlossen und dich will ich auf meinem Hof nicht mehr sehen! Hast du das verstanden? Du kannst dich bei deinem Vater dafür bedanken. Meine Zustimmung zu deiner Verlobung mit meiner Tochter ist unter vollkommen anderen Voraussetzungen erfolgt und mit dem Wegfall dieser Voraussetzungen ist auch die Verlobung obsolet geworden. Auf meinem Hof hast du ab sofort Hausverbot!“

Brüsk wandte er sich ab und forderte Frau und Tochter auf, ihm zu folgen. Trude warf Toni einen verzweifelten Blick zu und Toni erkannte mit grausigem Entsetzen ihr Leid. Trude liebte ihn, daran konnte es für ihn nicht den Hauch eines Zweifels geben – und sie liebte ihren Vater, auch daran konnte es keinen Zweifel geben. Sie saß in einer fürchterlichen Zwickmühle, der sie aus eigener Kraft nicht entkommen konnte. Was um Himmels willen konnte sie denn nur tun?

Und mit grausigem Schrecken erkannte Toni auch, in welch verzwickter Situation er selbst sich befand: Auch er liebte, er liebte Trude, er liebte sie viel mehr als sich selbst! Aber wäre es nicht vernünftig, wäre es nicht besser für alle, er gäbe sie frei? Wäre ein Ende mit Schrecken nicht einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen? Was sollte er nur tun? Er fühlte sich hundeelendig, als er sich wie ein Idiot stehengelassen vorkam, was nur wenigen Kirchgängern entgangen sein konnte. Toni hätte heulen mögen vor Verzweiflung und vor hilfloser Wut.


Toni wusste ganz genau, dass er ein Öhm werden würde, wenn er auf dem väterlichen Hof bliebe. Schon gar nicht wollte er als ein Holzschuhmacher auf dem Hof bleiben, er wusste ganz sicher, dass das nicht funktionieren konnte. Auf dem Hof bleiben konnte nicht gehen. Er, der verstoßene Hoferbe, musste sich eine Unterkunft und einen Beruf suchen. Pfarrer oder Mönch? Das kam für ihn sowieso nicht in Frage, Politik oder Militär auch nicht. Toni war ein Bauer und er wollte ein Bauer sein, er war gerne ein Bauer. Er, vier Jahre älter als sein Bruder, der jetzt der Hoferbe war, hatte längst bewiesen, dass er ein guter Bauer war. Schon seit seinen frühesten Kindertagen hatte er Landwirtschaft gelernt, wenn er seinem Vater auf den Feldern und Wiesen und in den Viehställen helfen musste, und er konnte mit Vieh umgehen, mit Rindern und Schweinen, mit Gänsen, Enten und Hühnern und er konnte mit Pferden umgehen, er wusste, welche Felder er wann und womit bestellen konnte, wann welche Felder brachliegen bleiben mussten, damit sie sich erholen konnten. Er war ein Bauer durch und durch, ein Bauer mit Leib und Seele.


Ein Öhm, abgeleitet von Oheim oder Onkel, das war meistens ein ledig gebliebener Sohn des Erblassers, der nicht Hoferbe war, der vom Hofbesitzer nicht geliebt, sondern nur gegen Mitarbeit auf dem Hof geduldet wurde. Ein Öhm war lebenslang von seinem Vater und später von seinem Bruder abhängig. Ein Öhm war wahrlich nicht zu beneiden, oft wurde er gar als ein geistig etwas zurückgebliebener Einzelgänger angesehen. Jedenfalls als ein Mensch, der das Leben nicht wirklich gemeistert hat, ein Verlierer.


2 Wo ist Toni?

Trude verzweifelte fast. Den ganzen langen Winter über hörte sie nichts von Toni und obwohl sie sich ihr Hirn zermarterte, immer und immer wieder, wie es mit ihr und Toni weitergehen konnte, war sie bisher zu keiner Entscheidung gelangt. Dabei wusste sie es ohne Zweifel: Eine Entscheidung musste her! Es ging nicht anders. Sie musste sich entscheiden und sie wollte ihr junges Leben, ihre Jugend, nicht vertrödeln. Auf der einen Seite waren ihr Vater und natürlich auch ihre Mutter und selbstverständlich war da auch der riesige Hof, den sie eines nicht mehr so fernen Tages übernehmen sollte. Ein großer und reicher Hof mit beachtlichen Feldern und Wiesen und beinahe gewaltigen Wäldern, viel größer sogar als das Gut Erlenkamp.

Auf der anderen Seite war Toni. Was sollte sie mit einem Hof ohne Toni?

Wie konnte ihr Leben aussehen mit Toni, aber ohne den Hof?

Was werden ihre Eltern machen, wenn sie sich für Toni entschied? Wird ihr Vater sie wirklich vom Hof jagen, wie er es angedroht hatte? Was soll denn dann aus dem Hof werden, wenn sie enterbt mit Toni lebt?

„Ich werde meine Tochter niemals einem Habenichts geben,“ hatte ihr Vater gedroht, „ich habe den Hof nicht so weit gebracht, um ihn jetzt einem Erbschleicher zu überlassen!“

Trude hatte wütend gekontert:

„Wenn ihr, du und Mutter, eines Tages aufs Altenteil geht, kann ich den Hof sowieso nicht alleine bewirtschaften, der Hof braucht einen Mann, einen ganzen Mann, einen Bauern, und das weißt du auch genau! Und Toni ist ein ganzer Mann!“

„Ja sicher! Aber auf gar keinen Fall heiratest du einen Mann, der nichts hat! Das kommt überhaupt nicht in Frage!“

Trude wusste aber, dass ihr Vater genauso in der Klemme saß, wie sie selbst. Sollte der Hof in der Familie bleiben, wird ihr Vater nachgeben müssen. Wird er es tun, ihr nachgeben, oder wird er den Hof einem entfernten Verwandten überlassen? Schließlich hatte der Bruder ihres Vaters Söhne. Wenn ihr Vater sich entschließen sollte, seinen Hof einem seiner Neffen zu geben, wird ja sogar der Name erhalten bleiben. Aber aus bloßer Sturheit seiner eigenen Tochter den Hof verweigern? Ob das ihr Vater fertigbringt? Wer wird eher nachgeben? Ihr Vater oder sie selbst? Trude wusste ganz genau: Die Westfalen können Dickköpfe sein und die Münsterländer ganz besonders.

Trude wusste aber auch, dass ihr Vater schon anfing, seine Fühler auszustrecken, um nach einem, seiner Meinung nach geeigneten, Kandidaten zu suchen, nach einem Kandidaten als künftigen Bauern – und als künftigen Schwiegersohn.



Jetzt, nach dem langen Winter, lag Trude in einer lauen Frühlingsnacht wach in ihrem Bett und konnte nicht wieder einschlafen. Ein wenig fahles Mondlicht fiel durch das nur einen Spalt breite offene Fenster und ein schwacher kühler Wind erreichte Trudes Gesicht. In der Ferne hörte sie leise den Ruf eines Nachtvogels. In Trudes Kopf raste das Gedankenkarussell wild und unablässig. Unruhig wälzte sie sich hin und her. Gehorchte sie ihrem Vater und nahm einen anderen Mann – Anwärter darauf gab es wahrlich genug, denn sie war ein bezauberndes Mädchen von achtzehn Jahren mit einer schlanken und dennoch fraulichen Figur und trotz ihres etwas zu breiten und gleichwohl hübschen Gesichts mit herrlichen eisblauen Augen und einem schönen Mund mit gleichmäßigen strahlendweißen und kerngesunden Zähnen – wäre das Leben für sie nicht mehr lebenswert. Jeden anderen Mann würde sie immer mit Toni vergleichen und keiner würde dem Vergleich standhalten. Wenn sie einen anderen Mann küssen würde, müsste sie dann nicht immer an Toni denken? Plötzlich dachte Trude mit grausigem Entsetzen:

Ein Mann in meinem Bett und ein anderer in meinem Herzen? Soll ich so etwas zulassen? Kann ich so etwas Fürchterliches einem Ehemann zumuten, einem Ehemann, den ich nicht lieben könnte, jedenfalls niemals so, wie ich Toni liebe?

Sie hätte weinen mögen, so ratlos und hilflos fühlte sie sich, so einsam, so schrecklich allein gelassen, und so entschied sie vorläufig gar nichts, noch immer nicht. Sie konnte ihren Vater nicht zwingen, Toni zu akzeptieren und ihr Vater konnte sie nicht zwingen, Toni den Ring zurückzugeben. Sie waren zwei echt westfälische Dickköpfe, keiner würde nachgeben! Den Ring wird sie niemals hergeben, allerdings konnte ihr Vater sehr wohl eine Heirat verhindern, das Recht dazu gab ihm das Gesetz.

Wie geht es weiter, dachte Trude verzweifelt, was kann ich nur tun?

Ihr ganzes Grübeln führte zu nichts.

Was wird sich ändern, dachte sie, wenn sie sich für Toni entschied? Würde ihr Vater sie tatsächlich des Hofes verweisen? Wahrscheinlich nicht, glaubte sie. Aber was sollte sie auf dem Hof ohne Toni? Trude war sich sehr sicher, dass ihr Vater Toni auf dem Hof nicht dulden wird. Außerdem: Falls sie sich für Toni entschied, wie könnte sie ihn denn überhaupt finden? Sie wusste doch schon längst nicht mehr, wo er war und wie sie ihn erreichen könnte, wenn sie ihn sehen wollte, schon seit so langen Wochen nicht mehr. Wie lange hat sie ihn schon nicht mehr gesehen? Den ganzen langen Winter über konnte sie ihn nicht aus dem Kopf kriegen.

Sie dachte oft daran, was wohl aus ihm geworden ist, nachdem ihr Vater ihn so schrecklich konsequent aufgefordert hatte, auf sie, Trude, zu verzichten? Auf Gut Erlenkamp jedenfalls war er nicht mehr, das wusste sie aus sicherer Quelle und dafür hatte sie auch durchaus Verständnis. Toni war stolz, auch das wusste sie, er würde sich niemals seinem jüngeren Bruder unterordnen. Sollte Toni sich inzwischen geschlagen gegeben haben? Hat er sie schon aufgegeben? Konnte das sein? War seine Liebe zu ihr so wenig belastbar? Das konnte sie sich nun wirklich nicht vorstellen und diesen grausigen Gedanken wollte sie auch nicht zulassen, das konnte einfach nicht sein. Sie war sich seiner Liebe sicher, so absolut sicher und sie hatte keinen Grund daran zu zweifeln. Aber wo war er denn? Warum hörte sie nichts mehr von ihm?

Sie überlegte hin und her; entschied sie sich für ihn, wie könnte sie ihn suchen? Und wo könnte sie ihn suchen? Wo war er? Wo war Toni, den sie so sehr liebte, an den sie Tag und Nacht mit fürchterlicher Sehnsucht denken musste?

Ihr wurde warm. In den beiden letzten Tagen hatte der beginnende Frühling gewaltige Fortschritte gemacht, es waren schon wunderbare Frühsommertage und selbst die Nächte ließen den nahen Sommer ahnen. Trude stand auf und öffnete ihr Fenster weiter. Ganz leise hörte sie das junge Laub der Pappeln im sanften Frühlingswind rascheln und ein silberner Mond streute sein mildes Licht auf den Hof.

Plötzlich erschrak sie. Was war das? Sie hatte ein Geräusch gehört. Was war da los? Sie lauschte.

Nichts! Da war nichts. Nur Stille in der Frühlingsnacht.

Oder doch? War da doch etwas?

Angespannt lauschte sie hinaus.

Schritte. Männerschritte. Sie blieb am offenen Fenster stehen, sah hinaus und lauschte wachsam. Zu sehen war nichts.

Doch! Tatsächlich! Da war jemand!

Wieso schlugen die Hunde nicht an?

Einbildung! Da ist nichts!

Sie öffnete das Fenster ganz und sah weit über den Hof. Nichts war zu sehen. Noch immer nicht. Niemand war da. Auch das Geräusch, das sie gehört hatte, war verstummt.

Doch, still! Sie lauschte angestrengt. Da ging doch jemand! Jemand ging vorsichtig und leise an der Hauswand entlang!

Eine ängstliche, zugleich aber wilde Freude, ergriff sie und ließ ihr Herz schneller schlagen. Leise schlich sie barfuß zur Tür der Bodenkammer, in der sie schlief, öffnete sie äußerst vorsichtig, um ein Knarren zu verhindern, und schlich die Treppe hinunter. Jetzt öffnete sie, wieder ganz langsam, um ein Quietschen zu vermeiden, die in der großen Tennen Tür eingearbeitete kleine Tür und sah hinaus.

Da stand er! Da stand er, in seinen hellen Holzschuhen, Toni, groß und stark und schlank, ganz ruhig, verlegen, Toni! Sie sah sein wettergegerbtes Gesicht und seine blonden Haare in der milden Helle des abnehmenden Mondes, Toni! Ihr Toni! Trude blieb einen Augenblick lang wie gelähmt stehen, ihr Herz raste vor überschäumender Freude und wollte sich schier überschlagen. Toni!

„Du,“ flüsterte er ganz leise, um niemanden aufzuwecken, „ich musste dich sehen! Es ging nicht mehr anders! Ich musste einfach kommen!“

Er hatte Sehnsucht nach ihr! Schnell nahm sie seine Hand und zog ihn mit sich.

„Komm,“ hauchte sie leise, „bevor jemand wach wird!“

Sie schlichen vorsichtig zu der Treppe, die zu ihrer Kammer führte. Barfuß ging sie voraus. Toni zog vor der Tennen Tür seine Holzschuhe aus, die viel zu viel Geräusch gemacht hätten, stellte sie vor die Tür und folgte Trude vorsichtig auf Socken, damit niemand wach wird. Vor Trudes Kammer blieben sie stehen, hielten einen Moment lang den Atem an und lauschten. Alles war ruhig und still. Kein Laut war zu hören, kein Geräusch.

„Komm,“ sagte sie leise noch einmal, nahm wieder seine Hand und zog ihn hinein. Schnell huschte sie, die nur ein dünnes Nachthemd trug, unter die Bettdecke. Toni stand vor ihrem Bett. Er beugte sich zu ihr hinunter; sie nahm sein stoppelbärtiges Gesicht in ihre Hände und vorsichtig und zärtlich suchten seine Lippen ihren Mund.

„Wie geht es dir?“, fragte sie zwischen den Küssen atemlos ihren Verlobten.

„Mir geht es gut,“ flüsterte Toni, „den Umständen entsprechend, das ist ja klar, aber ich sehne mich so nach dir! Ich konnte nicht mehr anders, ich musste einfach kommen.“

„Wie bist du gekommen?“, hauchte sie, „bist du zu Fuß gekommen, den ganzen Weg?“

Toni dachte: Ja, was macht es denn schon aus, die Nacht durchzuwandern, sieben oder acht Kilometer oder noch mehr in Holzschuhen, wenn man zu dir will?

Der Mond schien die ganze Nacht und tausend Sterne hatten seinen Weg über das Pättken beleuchtet, den kleinen Pfad neben dem Fahrweg. In der Ferne lockte Trude! Toni atmete einmal tief durch und sagte dann:

„Ja, sicher! Ich konnte nicht anders, ich musste zu dir kommen!“

„Ich bin ja so froh und glücklich, dass du gekommen bist! Ich hatte schon eine wahnsinnige Angst, dass ich dich verloren hätte!“

„Ich werde dich niemals aufgeben! Das schwöre ich dir bei allem was mir heilig ist! Ich werde dich niemals aus meinen Gedanken kriegen. Ich habe noch niemals einen Menschen so sehr geliebt wie dich!“

Ihre Küsse wurden mehr und intensiver und schließlich sagte Trude:

„Zieh deine Sachen aus und komm in mein Bett!“

Obwohl die beiden Liebenden keine Sekunde lang vergaßen, dass sie jedes Geräusch vermeiden mussten, damit Trudes Eltern nicht geweckt werden, wurde diese Nacht für sie unvergesslich. Tiefe Liebe. Echte, bedingungslose Liebe. Absolute und uneingeschränkte Hingabe. Später fuhr Toni mit seinem Bericht fort:

„Meine Zukunft hat sich sowieso total verändert, das kannst du dir sicher denken, und mein Leben auch. Bereits am Abend vor Lamberts Hochzeit, als der Alte uns seinen Beschluss verkündete, brach für mich eine Welt zusammen. Aber das Leben geht ja weiter. Mein Vater hat mir verschiedene Vorschläge gemacht, wie mein künftiges Leben aussehen könnte, die aber für mich alle nicht in Frage kommen!“

„Man erzählt sich im Dorf,“ flüsterte Trude, „dass du einen aufgelassenen Hof in Besitz genommen hast?“

„Ja,“ entgegnete Toni, „zu Hause konnte ich doch nicht bleiben. Sollte ich mich meinem jüngeren Bruder unterordnen und irgendwann ein alter Öhm auf dem väterlichen Hof werden? Dass der eines Tages zu mir sagen kann: Öhm, steh auf, da will der Hund liegen? Da sei Gott vor! Dann erinnerte ich mich an diesen verlassenen Hof an der Aa, du weißt, welchen ich meine? Ich bin nun mal Bauer mit Leib und Seele. Der frühere Besitzer hat den Hof schon vor vielen Jahren aufgegeben und ist dann aus unserer Gegend verschwunden, auf Nimmerwiedersehen. Ganz in der Nähe fließt der Flossbach.“

„Ja, ich weiß, welchen Hof du meinst! Aber…“, zögerte Trude, „ist das nicht eine uralte Ruine? Kann man da überhaupt noch richtig leben? Und was machst du, wenn der rechtmäßige Eigentümer zurückkommt, dich verjagt und den Hof zurückhaben will?“

„Das halte ich für ausgeschlossen! Niemand erinnert sich mehr an ihn, es heißt, da habe vor langer Zeit ein Ehepaar gelebt und als die Frau bei der Geburt ihres ersten Kindes starb – und das Kind auch – da hätte der Mann durchgedreht. Angeblich hat er alles liegen und stehen lassen und ist ausgewandert, vermutlich nach Amerika. Ein anderes Gerücht sagt, dass der Mann diesen Schicksalsschlag nicht verwinden konnte und sich im Wald in einem Baum aufgehängt hat. Wie auch immer: Ich glaube nicht, dass mir jetzt noch irgendjemand den Hof abnehmen kann. Mein Problem ist aber, dass die Äcker, Wiesen und Weiden schon seit ewigen Zeiten nicht mehr bearbeitet werden! Die sind schon lange völlig versteppt und verwildert! Überall wächst Gestrüpp, überall wachsen Sträucher, Büsche und Bäume!“

„Ist dieser Hof im Laufe so vieler Jahre nicht insgesamt fürchterlich heruntergekommen? Sind die Gebäude nicht auch schon ziemlich verfallen?“

„Das kannst du wohl laut sagen! Aber das kann ich ändern! Ich habe zuerst versucht, mir einen Raum einigermaßen bewohnbar zu machen und ich habe mit der Bauernstube angefangen. Ich muss mir schließlich irgendwo mein Essen zubereiten, und einen Schlafplatz habe ich mir neben dem Herd eingerichtet.“

„Hast du eine Feuerstelle oder gar einen richtigen Herd?“

„Ja, sicher!“

„Auch ein Bett?“

„Auch das!“

„Hast du Möbel? Einen Tisch und Stühle?“

„Ja, habe ich, aber selbstverständlich ist alles ziemlich primitiv. Die Möbel, die der frühere Besitzer hinterlassen hat, sind uralt, teilweise sind Holzwürmer darin, die Stühle sind wackelig, aber der große Tisch ist richtig massiv. Und ich habe die letzten Monate, den ganzen Winter über, gut genutzt und erneuert, was unbedingt erneuert werden musste! Es gibt aber noch so viel zu tun! Wenn das Wetter es zuließ, musste ich mich ja auch um die Felder und Weiden kümmern, die ja längst versteppt waren und voller Unkraut, Sträucher und Baumbewuchs. Die Felder sind ja seit vielen Jahren gar nicht mehr bestellt worden und die Wiesen wurden jahrelang auch nicht beweidet. Und ich kann ja nicht erst im Frühjahr anfangen, die Äcker vorzubereiten!“

Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus, unaufhaltsam, leise, flüsternd. Lange hatte er seine Sorgen, aber auch seine kleinen Erfolge, mit niemanden mehr teilen können. Diese Nacht mit Trude erlebte er als eine wahre Wohltat, sie tat ihm auf eine wunderbare Weise gut.

„Adelheid hat mir viel geholfen, weißt du, meine jüngere Schwester Anna Adelheid, und auch die kleine Stina, beide haben sehr hart gearbeitet, um mir zu helfen. Stina hat mir einmal etwas von Mutters Sauerteig mitgebracht, deshalb kann ich mir jetzt immer richtiges Brot backen! Ich achte nämlich ganz pingelig darauf, dass immer etwas Sauerteig übrigbleibt!“

„Hast du einen Backofen?“, fragte Trude erstaunt.

„Ja, habe ich! Einen steinernen Backofen in der Pottkammer, den musste ich nur gründlich saubermachen. Jetzt benutze ich ihn regelmäßig.“

Toni seufzte einmal kurz und verhalten auf, es klang beinahe wie ein Schluchzen, aber es war ein total erleichtertes Schluchzen. Trude hörte ihm zu. Trude, seine Trude!

„Die Hilfe meiner Schwestern, die ist jetzt aber vorbei. Adelheid wird wohl bald heiraten und Stina geht nach Borghorst in Stellung, sie wird ja im Juni schon vierzehn Jahre alt. Ich muss demnächst sehen, wie ich klarkomme. Weißt du, Trude, es gibt so viel zu tun, so wahnsinnig viel! Die Tage sind einfach immer viel zu kurz für mich. Die Felder sind noch längst nicht alle wieder urbar gemacht und auch die Weiden müssen noch bereinigt werden. Ich werde bald die Kuh wieder auf die Weide bringen und…“

„Du hast eine Kuh?“, unterbrach Trude ihn erstaunt.

„Ja, mein Vater hat mir eine trächtige Kuh mitgegeben, wahrscheinlich habe ich ihm leidgetan, schließlich war ich mal sein Lieblingssohn, und inzwischen habe ich auch ein Kalb und deswegen habe ich nun auch jeden Tag Milch! Ich habe eine Sau mit neun Ferkeln und ich habe Gänse und Hühner…

Tja, Trude, mein Vater war ziemlich geschockt, als er erfuhr, dass ich seinen Hof verlassen wollte, aber das konnte ich nicht ändern, es ging einfach nicht!“

Trude staunte nicht schlecht:

„Du kannst doch nicht alleine bleiben! Das kannst du doch gar nicht alles alleine schaffen! Wenn du den Hof auf Vordermann bringen willst, das Haus und die Ställe herrichten willst, wie willst du dich denn dann gleichzeitig um deine Felder und Weiden kümmern und um deine Tiere? Der Tag hat doch auch für dich nur vierundzwanzig Stunden!“

„Dann nehme ich eben die Nacht hinzu,“ witzelte Toni.

„Außerdem, Toni,“ fuhr Trude fort, ohne auf Tonis Einwurf einzugehen, „du weißt ja: Es ist nicht gut, wenn der Mensch alleine ist! Das steht ja sogar schon in der Bibel!“

„Trude, auch wenn ich ein ganz kleines bisschen stolz bin auf das, was ich schon erreicht habe, ein ganz kleines bisschen nur: Mein Hof ist ja gar kein richtiger Hof, es ist nur ein kleiner uralter Kotten, eine Kate, und das Leben dort ist tatsächlich noch immer äußerst hart und primitiv! Das Haus ist ja wirklich eine Ruine, wie du vorhin richtig gesagt hast. Aber ich krieg das schon wieder hin! Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel! Es kostet aber alles Zeit, so fürchterlich viel Zeit!“

„Aber du schaffst etwas, Toni,“ flüsterte Trude bewundernd, „und du weißt doch: Reichtum wächst aus Armut! Ich werde zu dir kommen und ich werde dir helfen, wir sind beide noch jung genug, um etwas aufzubauen, und wir haben noch das ganze Leben vor uns!“

„Du kannst doch nicht mitkommen!“

Toni war jetzt doch erschrocken, beinahe entsetzt, und er fürchtete plötzlich, dass er aus der Stimmung des Augenblicks heraus seine kleinen Erfolge zu sehr übertrieben haben könnte.

„Trude! Trude, bei mir ist alles noch so fürchterlich primitiv! Ich lebe doch praktisch mit meinen Tieren unter einem Dach, mit meiner Kuh und mit meinem Kalb, mit meinen Schweinen, Gänsen und Hühner! Im Winter muss ich sogar mit meinem Brennholz sparsam umgehen, weil mir einfach die Zeit fehlt, in den Wald zu gehen und Brennholz zu schlagen. Mein Essen ist äußerst eintönig, es besteht hauptsächlich aus Bratkartoffeln und aus Pfannkuchen und hin und wieder gibt es mal ein Kaninchen, das ich mit einer Schlinge fange. Aber letztens habe ich einen Rehbock geschossen, das war vielleicht ein Fest! Aber natürlich ein ziemlich einsames. Das ist vielleicht am schwersten zu ertragen: Die gnadenlose und grausame Einsamkeit! Das kannst du dir ja denken!“

Toni holte ganz tief Luft, es klang fast wieder wie ein Schluchzen.

„Je mehr du mir erzählst,“ wurde Trude jetzt energisch, „umso klarer wird es mir, dass du nicht alleine bleiben kannst! Du brauchst mich und ich werde zu dir kommen! Zu zweit werden wir doppelt so viel schaffen und viel schneller vorankommen!“

„Das wird dein Vater nie zulassen!“

Toni war sich auch gar nicht sicher, ob er ein solches Angebot überhaupt annehmen durfte. Diesem so jungen und so hübschen Mädchen ein Leben in seiner uralten und völlig heruntergekommenen Ruine zuzumuten und ein Leben voll harter Arbeit und voll erbärmlicher Armut. Ein sorgenfreies Leben wird es in dieser kleinen Kate niemals geben…

„Mein Vater kann meine Heirat mit dir verhindern, mein Leben mit dir aber nicht! Wenn mein Vater stur ist, ich bin es auch, schließlich bin ich sein eigen Fleisch und Blut!“

„Willst du ohne Trauschein mit mir zusammenleben?“, fragte Toni erstaunt, „wie willst du das Gerede der Leute ertragen? Sie werden über dich herfallen wie die Fliegen über ein Stück Aas! Der Pfarrer wird Druck machen, auf dich und auf deine Mutter und deinen Vater! Wie lange wirst du das aushalten? Wie lange wirst du den öffentlichen Druck aushalten? Das ganze Dorf und alle Bauern der Umgebung werden mit ihren dreckigen Fingern auf dich zeigen!“

„So lange, wie es notwendig ist, halte ich es aus,“ rief Trude energisch und nun schon beinahe zu laut, es bestand ja das Risiko, dass ihre Eltern erwachen könnten.

„Was ist, wenn Kinder kommen?“

„Hoffentlich! Ich will viele Kinder haben!“

„Unsere Kinder werden nicht getauft sein!“

„Wir werden sie selbst taufen und christlich erziehen!“

Trude wollte keinen Einwand gelten lassen und diese so zauberhafte Nacht ging weiter und ganz langsam, in wahrlich glückseliger Stimmung, fiel ein barmherziger Schlaf über die beiden Liebenden.



Plötzlich, die Nacht war schon weit fortgeschritten und der frühe Morgen nahte, da schreckten beide aus ihrem Schlaf auf, sie hörten einen lauten Ruf:

„Was ist denn das? Was sind das da für Klotschen?“ Die erstaunte Stimme von Trudes Vater, der plötzlich schrecklich laut und wütend brüllte:

„Wem gehören diese Holzschuhe?“

Schon bei seinem ersten Schrei war Toni aufgesprungen. Hastig zog er sich wieder an. Sie hatten in dieser Nacht lange miteinander gesprochen, es gab so viel zu erzählen und sie waren einander so nah, wie nie vorher. Irgendwann waren beide eingeschlafen und sie schliefen glücklich, tief und fest, bis der Schrei von Alfons Donnermeier sie brutal aus dem Reich der Träume riss.

Toni verabschiedete sich kaum von Trude. Er raste überstürzt die schmale Stiege hinunter, schnappte sich vor dem überraschten alten Donnermeier seine Holzschuhe und verließ schleunigst den Hof, seine Holzschuhe in der Hand. Toni wollte unbedingt eine nicht auszuschließende Prügelei mit Alfons Donnermeier vermeiden. Alfons Donnermeier war viele Jahre älter als er selbst und er konnte immer noch sein Schwiegervater werden, ausgeschlossen zumindest war es noch lange nicht. Auf gar keinen Fall durfte er sich mit ihm prügeln! Er würde sogar stillhalten müssen, wenn der Alte auf ihn einschlagen würde!

„Dachte ich es mir doch gleich, du erbärmlicher Erbschleicher du,“ schrie Donnermeier wütend, „verschwinde hier, du lausige Ratte. So schnell es geht! Du hast hier Hausverbot! Wenn ich dich noch einmal auf meinem Hof erwische, hetze ich die Hunde auf dich oder ich knall dich einfach ab wie einen räudigen Köter, du dreimal verfluchter dreckiger kleiner Scheißkerl du!“

Toni erkannte zutiefst erschreckt den abgrundtiefen Hass des alten Mannes, dabei hatte er doch nichts getan, was den alten Mann so erzürnen konnte. Es war doch Antonius Vater, der die Situation total verändert hatte. Toni begriff jetzt endlich mit einem brutalen Erschrecken, was doch eigentlich längst klar war: Er war nicht mehr der Erbe eines reichen Hofes! Er war jetzt nur noch ein nichtsnutziger Haderlump! Ein echter Nichtsnutz! Ein Habenichts! Toni wurde brutal und wie ein Dieb in der Nacht vom Donnermeier Hof gejagt!



3 Der aufgelassene Hof

Joa Antonius Bernardus Schulte-Erlkämper, Toni, musste fluchtartig seine Verlobte und den Hof ihres Vaters verlassen, nachdem er seine Holzschuhe direkt vor Alfons Donnermeiers Füßen geschnappt hat. Er war wie ein Dieb oder wie ein räudiger Hund von ihrem Vater aus seinem Haus und von seinem Hof verjagt worden und Toni hat diese schwere Beleidigung wehrlos und wortlos hingenommen, hinnehmen müssen.

Wie wahnsinnig tief kann ich denn noch sinken, dachte er wütend und gleichzeitig zutiefst traurig, wie tief kann man sinken, wenn man liebt?

Vor der Tennen Tür konnte er seine Klotschen, die Holzschuhe, nicht anziehen, in der eiligen Hast seiner überstürzten Flucht lief er auf Strümpfen davon durch die laue Nacht, nur ein fahler Mond und unzählige Sterne am langsam grau werdenden Himmel zeigten ihm das Pättken. Die Nacht war bald vorüber. Auf seiner Flucht sprang er über das erste Heck, das Tor, das die Kuhweide zum Hof hin sicherte, und rannte über die Weide, auf der noch keine Kühe standen, denn dazu war es noch viel zu früh im Jahr; dann kletterte er über das zweite Heck, das die Kuhweide zum Weg hin sicherte, und jetzt, da Alfons Donnermeier ihm nicht folgte, stieg er wieder in seine Holzschuhe und ging so zügig, wie diese es erlaubten, über das Pättken zu seinem „Heim“, dem heruntergekommenen Bauernhof, den er in Besitz genommen hat.

Als er den Buchenwald verließ und den dunklen Tannenwald erreichte, durch den er laufen musste, kreuzte ein scheues Reh schnell seinen Weg auf der Suche nach einem frühen Futterplatz in einer Lichtung des Waldes. Es war noch immer eine wunderschöne Frühlingsnacht, was Toni in seiner zornigen Verwirrtheit aber gar nicht auffallen konnte.

Bald wird die Sonne aufgehen, wusste er, im Osten war bereits ein noch schwaches Morgenrot zu erkennen und schon erwachten die ersten Vögel und begannen ihren friedlichen und fröhlichen Morgengesang. Es hätte ein schöner Morgen sein können, nach einer wunderschönen Nacht, die leider wie in einem grässlichen Alptraum endete. Toni kam sich vor wie ein scheußlich geprügelter Hund.



*



Zu Hause angekommen ging Toni zuerst in die Ställe, in den Kuhstall und den Schweinestall, die beide direkt neben der Bauernstube lagen, in der er gewöhnlich schlief. Ein eigenes Schlafzimmer hatte er bisher noch nicht herrichten können, dazu fehlte ihm noch immer die Zeit. Die Tiere waren ruhig. Die Sau hatte schon vor einer Woche geferkelt und die kleinen Ferkel ließen sich durch Toni nicht stören. Jedes Ferkel hatte seine eigene Zitze, an denen es gewöhnlich friedlich nuckelte. Es gab keinen Futterneid. Ein paar Ferkel waren satt und zufrieden am Bauch ihrer Mutter eingeschlafen. Als Bauer wusste Toni natürlich, wenn mehr Ferkel geboren werden, als die Sau Zitzen hat, nämlich zwölf bis vierzehn, dann müssen die Ferkel, die keine Zitze mehr erwischt haben, unweigerlich sterben, sie müssen verhungern, wenn sie zu spät geboren werden und wenn alle Zitzen bereits vergeben sind, denn kein Ferkel teilt seine Zitze mit einem anderen Ferkel. Die Natur kann grausam sein.

Die Kuh hatte vor zwei Monaten gekalbt und Toni wusste, dass er sie heute Morgen als erstes melken musste. Doch vorher ging er zu seiner Pumpe, um sich zu waschen. Dann trank er durstig einen Schöpflöffel voll Wasser, die lange Wanderung zu Trude und der hastige lange Rückweg hatten ihn durstig gemacht. Frühstücken würde er, wie jeden Morgen, nach dem Melken der Kuh und nachdem er Eier aus dem Hühnerstall geholt hat.

Er nahm den Melkschemel, den er sich im Winter gemacht hatte, und den Melkeimer und ging zu der Kuh, die er Lisa nannte, und melkte sie. Stripp, strapp, strull, is de Emmer noch nicht vull? Unablässig dachte er an Trude, während die Milch in den Eimer strömte. Was wird passieren? Was wird der alte Donnermeier tun? Was wird er mit Trude machen? Und was wird Trude tun? fragte Toni sich. Was soll er selbst machen? Wann wird er wieder von Trude hören? Soll er es wieder wagen, sie zu besuchen? Seine Gedanken rasten, es war eine für ihn fast unerträglich gespannte Situation.

Bislang hatte er sich nach seinem Weggang aus dem Vaterhaus nur um seinen kleinen Kotten gekümmert, seine kleine Kate, die ihn so wahnsinnig beanspruchte. Seine Zeit war immer viel zu kurz, es gab immer so fürchterlich viel zu tun, zum Grübeln blieb ihm gar keine Zeit, obwohl er natürlich oft an Trude denken musste. Aber er hatte Ablenkung genug, mehr als genug sogar, reichlich. Und doch, man kann auch bei schwerer körperlicher Arbeit grübeln, das Denken lässt sich nun mal nicht abstellen. Die Gedanken sind frei!

Nach dem Melken der Kuh fütterte er die Sau, die schwerfällig aufstand und stracks zum Trog trottete, während Toni ihn mit Schweinefutter füllte, welches er vor wenigen Tagen in der Pottkammer gekocht hatte. Der Schweinestall bestand aus sechs Boxen, die jeweils durch halbhohe Mauern voneinander getrennt waren. Je zwei Boxen waren jeweils durch eine ebenfalls halbhohe Tür miteinander verbunden, die aber nicht bis zum Boden reichte, sodass unter ihr zwar die Ferkel hin und her laufen konnten, die Sau aber nicht. Das verhinderte, dass die Sau beim Schlafen ihre kleinen Ferkel totdrückt! Jetzt liefen die Ferkel lebhaft umher, sie wussten aus ihrer kurzen Erfahrung, dass es für die Sau gerade Futter gab. Schon hörten sie ihre Mutter laut und heftig schmatzen.

Dann waren die Gänse an der Reihe, sie schnatterten aufgeregt, als er sie fütterte, und schließlich ging Toni in den Hühnerstall, warf ein paar Hände voll Körner als Hühnerfutter hinein und holte frisches Wasser für die Tränke. Dann sammelte er die Eier aus den Nestern und legte sie in einen Korb aus Weidenruten, den er sich im Winter geflochten hatte.

Danach ging er in die Bauernstube und entfachte im Herd ein Feuer. Nun schnitt er ein paar Scheiben durchwachsenen Speck ab, briet sie in der gusseisernen Pfanne, ließ das Fett aus, nahm mit dem hölzernen Spachtel noch etwas Butter aus dem Butterfass, da ihm das ausgelassene Speckfett in der Pfanne nicht reichte, und schlug zuletzt drei Eier hinein. Dann holte er das Brot hervor, welches er in seinem eigenen steinernen Backofen gebacken hatte, schnitt mit seinem derben Messer zwei große Scheiben ab, legte sie auf einen Holzteller und gab den Speck und die gebratenen Eier darüber. Dazu trank er einen Becher Milch. Zuletzt wischte er mit einem Stück Brot das übriggebliebene Fett in der Pfanne auf und vertilgte auch das genussvoll.



Nach dem Frühstück ließ er das Feuer im Herd erlöschen, denn das Wetter schien frühlingshaft schön zu werden und könnte es an diesem Tag ermöglichen, dass er die Kuhweide weiter von Sträucher und Bäumen befreien kann. Es gab immer so viel zu tun, es gab jeden Tag so wahnsinnig viel Arbeit und schon bald wird er mit der Feldarbeit beginnen müssen, das wusste Toni. Roggen hatte er bereits im letzten Herbst auf einem kleinen Ackerstück gesät. Für ein größeres Stück hatte seine Zeit noch nicht gereicht.

Die Weiden mussten instandgesetzt werden, damit die Kuh und das Kalb dort weiden können, sobald der Winter vorbei ist und das Gras wieder wächst. Einen Teil seiner Weide musste er absperren, damit das Gras wachsen kann und nicht von Kuh und Kalb gefressen wird, damit er es im Mai mit seiner Sense mähen kann und damit die Sonne es trocknen und er das Heu als Winterfutter auf den Heuboden bringen kann.

Sein Tag verging wie seit Monaten jeder Tag. Jede Minute war mit Arbeit ausgefüllt. Mit seiner Axt und seiner Säge, mit dem Spaten und der hölzernen Schubkarre ging er auf die Kuhweide. In seiner Lederflasche war Wasser für den Vormittag und in seiner ledernen Tasche war ein Knust altbackenes Brot. Das war seine Essensration für diesen Tag.

Die Arbeit ging ihm flott von der Hand. Sträucher und kleine Bäume rodete er komplett, auch mit den Wurzeln und Stümpfen. Zweige und Äste, die groß genug waren als Brennmaterial, schaffte er mit der Schubkarre in die Scheune, wie auch die Stämme der gefällten Bäume. Jahrhunderte alte Bäume mit dicken Stämmen gab es auf der Kuhweide natürlich nicht.

Im Winter hatte er im Wald kleinere Bäume geschlagen, sie entastet und die Stämme und die dicken Äste zu Brennholz verarbeitet. Zweige, die für Reisigbesen, Buschenbesen, taugten, brachte er in seine Scheune. An den Abenden hatte er die Zweige zu Besen zusammengebunden und, solange das Licht des offenen Herdes in der Bauernstube noch reichte, Schüsseln und Schalen geschnitzt. Manchmal mussten auch Kienspäne herhalten, damit er spätabends wenigstens noch ein schwaches Licht hatte und in die Nacht hinein weiterarbeiten konnte. Meistens aber hatte er, solange das Mondlicht und die Sterne genügend Helligkeit gaben, noch bis spät in der Nacht auf den Wiesen und Feldern gearbeitet. Es war wahrlich kein leichtes Leben, aber es erfüllte ihn mit vorsichtigem Stolz, was er bereits alles erreicht hat.

Am Mittag verließ Toni die Weide und ging zurück zum Hof. Die Kuh war wieder zu melken, das Kalb und die Schweine wieder zu füttern, die Hühner suchten sich tagsüber ihr Futter selbst im Wald, er musste nur für Wasser sorgen und nur ein wenig zufüttern. Den Gänsen schmiss er noch ein paar Hände voll Körner zu. Dann ging er zur Pumpe, trank einen Schluck Wasser und füllte seine Flasche wieder auf. Danach ging er wieder zur Kuhweide und nahm dort seine Arbeit wieder auf. Auf ein Mittagessen verzichtete er. Seine Zeit war einfach viel zu knapp. Die Arbeit machte ihm Spaß und deshalb kam er sehr gut voran. Heute brauchte er kaum eine Pause und auch während der Arbeit dachte er ununterbrochen an Trude.

Jetzt ging der Tag zur Neige. Es war noch zu früh im Jahr, um lange draußen arbeiten zu können und die schmale Sichel des Mondes gab nicht mehr genug Licht. Im Haus mit seiner schwachen Beleuchtung durch das Herdfeuer und durch Kienspäne konnte er leider nicht sehr viel tun, er hatte zwar ein Öl-Lämpchen, doch war Öl ziemlich kostbar und er musste einfach das wenige Geld, das er noch besaß, für die Anschaffung von Werkzeugen und Arbeitsgeräten verwenden. Zu Anfang hatte er sogar noch Saatgut und Pflanzkartoffeln zukaufen müssen und in seiner ersten Zeit auf diesem Hof auch noch Futter für seine Tiere. Das Geld war immer äußerst knapp.

Nun reichte es ihm für den heutigen Tag, er hatte wahrlich genug gearbeitet. Zwar war Toni nicht ganz zufrieden mit dem, was er bisher erledigen konnte, aber so ging es ihm schließlich jeden Tag, nie war es ihm genug gewesen, ihm ging einfach alles nicht schnell genug. Es gab immer noch so viel zu tun, viel zu viel für einen einzelnen Mann. Nachdem er die Kuh Lisa das dritte Mal an diesem Tag gemolken und alle seine Tiere versorgt hatte, zog er sich aus, wusch sich und stieg in sein primitives Bett neben dem Herd in der Bauernstube.

Bevor er einschlief gingen seine Gedanken zurück in die letzte Nacht. Was Trude wohl macht? War sie auch schon im Bett? Dachte sie an ihn? Wie war es ihr ergangen heute mit ihrem Vater? War es ein schwerer Tag gewesen für sie? Dann dachte er an ihr wunderschönes Gesicht, an ihre zärtlichen Hände, an ihre so weiche Haut, die so wunderbar duftete. Er dachte daran, wie vorsichtig und leise und zärtlich sie sich geliebt hatten und plötzlich stiegen ihm Tränen in die Augen und er vergrub sein Gesicht in den mit Laub gefüllten Sack, der ihm als Kopfkissen diente, und weinte lautlos seinen Kummer hinein.



Am nächsten Morgen stand Toni wie an jedem Tag wieder frühzeitig auf, er war ja auch früh schlafen gegangen. Zwar war es noch dunkel, doch gab es auch im Dunkeln immer irgendetwas zu tun. Zuerst wieder das Vieh versorgen, das hatte immer Vorrang, Lisa melken, Tagesroutine. Dann machte er sich sein Frühstück, das heute aus mit Milch übergossenen hartgewordenen Brotbrocken bestand. Er hätte gerne Honig hineingerührt, doch den hatte er nicht und Zucker war leider nur für die Reichen erschwinglich. Reich war er nun wirklich nicht. Es musste auch so gehen.

Nun ging Toni wieder auf die Weide. Sobald die Weide ausreichend von den Sträuchern und Büschen und Bäumen befreit ist, dachte er, muss ich mich unbedingt um die Zäune kümmern, die sind ja dermaßen verrottet, dass sie keine Kuh mehr vom Ausbüxen abhalten können!

Toni hatte noch so viel vor, es gab noch immer so unheimlich viel zu tun, noch so viel, was er zwingend zu erledigen hatte. Seine Gedanken waren voller Pläne und statt, dass diese im Laufe der Zeit abnehmen konnten, wurden es täglich mehr und mehr. Immer mehr entdeckte er, was es noch zu tun gab und manchmal erfasste ihn geradezu Angst darüber, wie langsam er nur vorankam – und trotz seiner so wahnsinnig vielen Gedanken verging nicht eine Stunde für ihn, ohne dass er an Trude dachte. So vergingen die Tage, Wochen und Monate.



*



Der Sommer war vergangen und der Herbst und nach einem schier endlos langen Winter wurde es endlich wieder Frühling. Den letzten langen Winter hatte Toni genutzt, viele Dinge im Haus, in der Bauernstube und in den Ställen, zu verbessern. Seine Tage verliefen zwar immer nach dem gleichen Muster, wurden aber niemals langweilig, denn immer hatte er genug zu tun. Jetzt endlich wurden die Tage wieder länger und wärmer und mit wachsender Kraft und wachsendem Eifer wandte er sich wieder der Pflege seiner Felder zu.

„Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt“, sang er leise vor sich hin, als er Lisa aus dem Kuhstall holte. Obwohl sie wieder kurz vor dem Kalben stand, brauchte er jetzt ihre Hilfe. Er legte ihr das Geschirr an, was sie nur widerwillig zuließ, nahm den kleinen Pflug, einen größeren hatte er sich nicht leisten können, und ging mit der Kuh auf das erste Feld, das er in diesem Frühling bestellen wollte.

„Ich habe zwar keine Rosse, noch nicht mal ein Rösslein,“ sagte er zu der Kuh, sonst gab es ja niemand, mit dem er sprechen konnte, „aber den kleinen Pflug wirst auch du ziehen können. Ich lass dir auch Zeit dazu, denn ich will nicht riskieren, dass dein Kalb vorzeitig kommt und bei der Geburt möglicherweise irgendetwas schiefgeht.“

Toni wusste, dass das Pflügen für Lisa nicht zu schwer war, denn sein Land war ein lockerer und weicher Sandboden. Seine Mahlzeiten, ob Frühstück, Mittag- oder Abendessen, hatten sich seit dem letzten Sommer erheblich verbessert, denn er hatte neben Roggen und Kartoffeln auch Gemüse gezogen: Kohl für die Schweine, Grünkohl für sich, Weißkohl, Rotkohl, Möhren, Wirsing, Porree, Kohlrabi. Für das Vieh hatte er im letzten Jahr Klee ausgesät und auf einem Feld Runkelrüben. Auf Milch musste er schon seit fast einem Jahr verzichten, weil er Lisa zum Bullen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 15.05.2021
ISBN: 978-3-7487-8279-7

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /