In meiner ersten Gedichte-Sammlung "Gedichte - aus meiner Schulzeit" habe ich Gedichte berücksichtigt, die ich während meiner Schulzeit - teilweise - auswendig gelernt habe.
Band 2 enthält Gedichte, die ich in uralten Lesebüchern gefunden habe und die ich erhalten wissen will; ich fände es schade, wenn sie irgendwann in Vergessenheit gerieten. Um die Authentizität zu erhalten, habe ich nichts verändert, weder Schreib- noch Ausdrucksweisen.
So gern hätt‘ ich ein schönes Lied gemacht
von deiner Liebe, deiner treuen Weise,
die Gabe, die für andre immer wacht,
hätt‘ ich so gern geweckt zu deinem Preise.
Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr,
und wie ich auch die Reime mochte stellen,
des Herzens Fluten wallten drüber her,
zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.
So nimm die einfach schlichte Gabe hin,
von einfach ungeschmücktem Wort getragen,
und meine ganze Seele nimm darin;
wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen.
(Annette von Droste-Hülshoff)
Klein ist, mein Kind, dein erster Schritt,
klein wird dein letzter sein.
Den ersten gehen Vater und Mutter mit,
den letzten gehst du allein.
Sei’s um ein Jahr, dann gehst du, Kind,
viel Schritte unbewacht,
wer weiß, was das dann für Schritte sind
im Licht und in der Nacht?
Geh kühnen Schritt, tu tapfern Tritt,
groß ist die Welt und dein.
Wir werden, mein Kind, nach dem letzten Schritt
wieder beisammen sein.
(Albrecht Goes)
Verschwunden ist die finstre Nacht,
die Lerche schlägt, der Tag erwacht,
die Sonne kommt mit Prangen
am Himmel aufgegangen.
Sie scheint in Königs Prunkgemach,
sie scheinet durch des Bettlers Dach,
und was in Nacht verborgen war,
das macht sie kund und offenbar.
Lob sei dem Herrn und Dank gebracht,
der über diesem Haus gewacht,
mit seinen heil’gen Scharen
uns gnädig wollt bewahren!
Wohl mancher schloß die Augen schwer
und öffnet sie dem Licht nicht mehr.
Drum freue sich, wer neu belebt
den frischen Blick zur Sonn‘ erhebt!
(Friedrich von Schiller)
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
im Tale grünet Hoffnungsglück;
der alte Winter, in seiner Schwäche,
zog in raue Berge sich zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
ohnmächtige Schauer körnigen Eises
in Streifen über die grünende Flur;
aber die Sonne duldet kein Weißes;
überall regt sich Bildung und Streben,
alles will sie mit Farben beleben;
doch an Blumen fehlt’s im Revier,
sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
nach der Stadt zurückzusehen!
Aus dem hohlen, finstern Tor
dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn;
denn sie sind selber auferstanden.
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
aus Handwerks- und Gewerbes-Banden,
aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
aus der Straßen quetschender Enge,
aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! Wie behend sich die Menge
durch die Gärten und Felder zerschlägt,
wie der Fluß, in Breit‘ und Länge,
so manchen lustigen Nachen bewegt,
und bis zum Sinken überladen
entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
hier ist des Volkes wahrer Himmel,
zufrieden jauchzet groß und klein:
„Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“
(Johann Wolfgang von Goethe)
Die Hänge streift ein goldner Hauch.
Und in die süße Stille
blüht feierlich ein Schlehdornstrauch.
Am Waldrand äst ein Reh.
In Spalt und Ackerrille,
und wohl im armen Herzen auch,
liegt noch ein wenig Schnee.
(Josef Weinheber)
Ich stehe im Waldesschatten
wie an des Lebens Rand,
die Länder wie dämmernde Matten,
der Strom wie ein silbern Band.
Von fern nur schlagen die Glocken
über die Wälder herein,
ein Reh hebt den Kopf erschrocken
und schlummert gleich wieder ein.
Der Wald aber rühret die Wipfel
im Traum von der Felsenwand;
denn der Herr geht über die Gipfel
und segnet das stille Land.
(Joseph Freiherr von Eichendorff)
Geh aus, mein Herz, und suche Freud‘
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben.
Die Bäume stehen voller Laub,
das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide.
Narzissus und die Tulipan,
die ziehen sich viel schöner an
als Salomonis Seide.
Die Lerche schwingt sich in die Luft,
das Täubchen fleugt aus seiner Kluft
und macht sich in die Wälder;
die hochbegabte Nachtigall
ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder.
Ich selbsten kann und mag nicht ruh’n,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen.
Ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse was dem Höchsten klingt
aus meinem Herzen rinnen.
(Paul Gerhard)
Nun störet die Ähren im Felde
ein leiser Hauch;
wenn eine sich beugt, so bebet
die andre auch.
Es ist, als ahnten sie alle
der Sichel Schnitt –
die Blumen und fremden Halme
erzittern mit.
(Martin Greif)
Wie nun alles stirbt und endet
und das letzte Lindenblatt
müd‘ sich an die Erde wendet
in die warme Ruhestatt,
so auch unser Tun und Lassen,
was uns zügellos erregt,
unser Lieben, unser Hassen
sei zum welken Laub gelegt.
Reiner weißer Schnee, o schneie,
decke beide Gräber zu,
daß die Seele uns gedeihe
still und kühn in Wintersruh!
Bald kommt jene Frühlingswende,
die allein die Liebe weckt,
wo der Haß umsonst die Hände
dräuend aus dem Grabe streckt.
(Gottfried Keller)
In einem Kripplein liegt ein Kind,
da steht ein Esel und ein Rind;
dabei ist auch die Jungfrau klar,
Maria, die das Kind gebar.
Jesus, der Herre mein,
der war das Kindelein.
Da sang ihm aller Engel Chor
mit süßen Stimmen hoch empor:
Gloria, Lob und Preis zumal
sei Gott gesagt im Himmelssaal.
Jesus, der Herre mein,
der war das Kindelein.
(Heinrich von Laufenberg)
Da droben auf dem Turme,
da wehet der Wind,
da wieget im Sturme
der Adler sein Kind.
Hier unten im Turme,
hier wehet kein Wind,
hier betet die Mutter
und wieget ihr Kind
und hat von der Wiege
zur Krippe ein Band
von Glaube und Hoffnung
und Liebe gespannt.
Weit über die Meere
die Sehnsucht hin spinnt;
dort sitzet Maria
und wieget ihr Kind,
die Engel, die Hirten,
drei König‘ und Stern
und Öchslein und Eslein
erkennen den Herrn.
Wohl über dem Monde
und Wolken und Wind
mit Zepter und Krone
stehn Jungfrau und Kind.
Hier unten ward’s Kindlein
am Kreuz ausgespannt,
dort oben wiegt’s Himmel
und Erd‘ auf der Hand.
Komm mit! Laß uns fliegen
zu Maria geschwind,
komm mit und lern biegen
dein Knie vor dem Kind.
Komm mit! Schnür dein Bündlein,
schon führet die Hand
Maria dem Kindlein,
es segnet das Land.
(Clemens Brentano)
Feiger Gedanken
bängliches Schwanken,
weibisches Zagen,
ängstliches Klagen
wendet kein Elend,
macht dich nicht frei.
Allen Gewalten
zum Trotz sich erhalten,
nimmer sich beugen,
kräftig sich zeigen,
rufet die Arme
der Götter herbei.
(Johann Wolfgang von Goethe)
Ein Krämer hatte eine Frau,
die war ihm schier zu sanft und milde,
ihr Haar zu licht, ihr Aug‘ zu blau,
zu gleich ihr Blick dem Mondenschilde;
wenn er sie sah so still und sacht
im Hause gleiten wie ein Schemen,
dann faßt‘ es ihn wie böse Macht,
er mußte sich zusammennehmen.
Vor allem macht ihm Überdruß
ein Wort, das sie an alles knüpfte,
das freilich in der Rede Fluß
gedankenlos dem Mund entschlüpfte:
„In Gottes Namen“, sprach sie dann,
wenn schwere Prüfungsstunden kamen,
und wenn zu Weine ging ihr Mann,
dann sprach sie auch: „In Gottes Namen.“
Das schien ihm lächerlich und dumm,
mitunter frevelhaft vermessen;
Oft schalt er, und sie weinte drum
und hat es immer doch vergessen.
Gewöhnung war es früher Zeit
und klösterlich verlebter Jugend!
So war es keine Sündlichkeit
und war auch eben keine Tugend.
Ein Sprichwort sagt: „Wem gar nichts fehlt,
den ärgert an der Wand die Fliege.“
So hat dies Wort ihn mehr gequält
als andre Hinterlist und Lüge.
Und sprach sie sanft: „Es paßte schlecht!“
durch Demut seinen Groll zu zähmen,
so schwur er, übel oder recht,
werd‘ es ihn ärgern und beschämen.
Ein Blütenhag war seine Lust.
Einst sah die Frau ihn sinnend stehen
und ganz versunken, unbewußt,
so Zwei an Zweig vom Strauche drehen.
„In Gottes Namen!“ rief sie, „Mann,
du ruinierst den ganzen Hagen!“
Der Gatte sah sie grimmig an,
fürwahr, fast hätt‘ er sie geschlagen.
Doch wer da Unglück sucht und Reu,
dem werden sie entgegeneilen;
der Himmel ist ein zart Gebäu
und ruhet gar sehr auf fremden Säulen.
Ein Freund falliert, ein Schuldner flieht,
ein Gläub’ger will sich nicht gedulden,
und eh ein halbes Jahr verzieht,
weiß unser Krämer sich in Schulden.
Die Gattin hat ihn oft gesehn
gedankenvoll im Sande waten,
am Kontobuche seufzend stehn,
und hat ihn endlich auch erraten;
sie öffnet heimlich ihren Schrein,
langt aus verborgner Fächer Grube,
dann, leise wie der Mondenschein,
schlüpft sie in ihres Mannes Stube.
Der saß, die schwere Stirn gestützt,
und rauchte fort am kalten Rohre:
„Karl!“ drang ein scheues Flüstern jetzt,
und wieder „Karl“ zu seinem Ohre;
sie stand vor ihm, wie Blut so rot,
als gelt‘ es eine Schuld gestehen.
„Karl“, sprach sie, „wenn uns Unheil droht,
ist’s denn unmöglich, ihm entgehen?“
Drauf reicht sie aus der Schürze dar
ein Säckchen, stramm und schwer zu tragen,
drin alles, was sie achtzehn Jahr
erspart am eigenen Behagen.
Er sah sie an mit raschem Blick
und zählte, zählte nun aufs neue,
dann sprach er seufzend: „Mein Geschick
ist zu verwirrt – dies langt wie Spreue!“
Sie bot ein Blatt und wandt‘ sich um,
erzitternd, glüh‘ gleich der Granate;
es war in kleines Eigentum,
das Erbteil einer frommen Pate.
„Nein“, sprach der Mann, „das soll nicht sein!“
und klopfte freundlich ihre Wangen.
Dann warf er einen Blick hinein
und sagte dumpf: „Schier möcht‘ es langen.“
Nun nahm sie aus der Schürze Grund
all ihre armen Herrlichkeiten,
Teelöffelchen, Dukaten rund,
was ihr geschenkt von Kindeszeiten.
Sie gab es mit so freud’gem Zug!
Doch war’s, als ob ihr Mund sich regte,
als sie zuletzt aufs Kontobuch
der sel’gen Mutter Trauring legte.
„Fast langt es“, sprach gerührt der Mann,
„und dennoch kann es schmählich enden;
willst du dein Leben dann fortan,
geplündert, fristen mit den Händen?“
Sie sah ihn an, – nur Liebe weiß
am lieben Blicke so zu hangen –
„In Gottes Namen!“ sprach sie leis,
und weinend hielt er sie umfangen.
(Annette von Droste-Hülshoff)
An einem Nachmittage war’s,
recht in der Mitte des Januars.
Zu Pömsen über den alten Turm
treibt graue Wolken der Wettersturm.
Schneeschanzen war er an Rain und Hecken,
sich vor dem Lenz dahinter zu decken.
Erfroren starrten Bach und Eich,
der Wald stand einem Bettler gleich
und klagte dem Winde Blöß und Not.
Die Felder lagen wüst und tot.
Gelbgänschen und Spatz, Markolf und Krähe,
sie zogen ins Dorf, in der Menschen Nähe.
Wo Rauch aufsteigt, da wird gekocht,
und Körner gibt’s, wo der Drescher pocht.
Da rennt ein Bote in schnellem Lauf
die steile Straße des Dorfes hinauf;
aus Tür und Fenster sieht man ihm nach
und fragt, was er wohl eilen mag?
Im Pfarrhof droben steht er nun
und stampft den Schnee von den Nagelschuh’n.
Der Wigand ist es von Schonenberg;
ins Fenster lugt er überzwerch,
ob heute der alte Herr wie immer
liest oder betet in seinem Zimmer.
Er will ihn rufen in Todesnot;
sein Vater aß das letzte Brot
und schmachtet nun nach der Himmelsspeise,
der Labekost für die schwere Reise. –
Der Pfarrer Gerhard Lödige sitzt,
das greise Haupt auf die Hand gestützt,
vertieft in einen schweren Quartanten,
beschlagen mit Messingspangen und Kanten.
Er hatte schon so manches Jahr
als treuer Hirt die Lämmerschar
bewacht und geweidet auf grüner Halde.
Nun denkt er des Heimgangs, balde, balde.
Und müde der Welt, der Nacht und Not,
geh’n seine Gedanken ins Morgenrot.
Er hört des Boten geflügeltes Wort,
nach Nieheim schickt er zum Arzt ihn fort.
Dann ruft er den Hausknecht sonder säumen,
der soll ihm hurtig den Fuchsen zäumen.
Demütig war er jahrelang
zu Fuß gewandert so manchen Gang,
bis Gliederreißen und Zipperlein
ihm allmählich lähmten Arm und Bein.
Jetzt muß er, will er die Pflicht erfüllen,
ein Rößlein reiten, auch wider Willen.
Er küßt das heilige Sakrament
im Silberkreuz und birgt es behend
an seiner Brust: die Stelle ist rein
wie in der Kirche der Heiligenschrein.
Und Hut und Mantel nimmt er dann,
zuletzt noch zieht er die Handschuh an,
zwei langgeschonte und tugendreiche,
wildlederne, pelzgefütterte, weiche,
vielwerte Gabe vom Probst Finet,
der lange schlummert im kühlen Bett.
Schon harrt der Knecht mit dem Pferde sein,
er hinkt zur Tür mit Müh‘ und Pein.
Halb steigt er auf, halb wird er gehoben,
und Bügel und Mantel zurechtgeschoben.
Das Füchslein, das den Weg schon weiß,
führt man es nur ins richtige Gleis,
hebt seine Füße mit Gemach,
es tritt bedächtig, ihm ist nicht jach.
Und als sie kommen hinaus auf die Höh‘,
da weht und wogt und wirbelt der Schnee.
Es pfeift der Wind so eisig kalt
herüber gerade vom lippischen Wald.
Der Alte drückt sich den Hut ins Gesicht,
er zieht um die Schultern den Mantel dicht,
doch schützt er die Brust und den Hals ihm nicht,
und es will der beschuhten Hand nicht gelingen,
den störrigen Knopf durch das Knopfloch zu bringen.
Da zieht er den Handschuh aus und rückt
und tastet und schiebt und drängt und drückt,
bis endlich den lahmen Fingern es glückt,
und als er will nach dem Handschuh fassen,
oh weh, da hat er ihn fallen lassen!
Da ist nun große Verlegenheit,
kein Mensch zu sehen weit und breit!
Absteigen könnt er zur Not erträglich,
Aufsteigen aber allein unmöglich!
Was ist zu tun? Der alte Mann,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 24.01.2017
ISBN: 978-3-7396-9452-8
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