Cover

Prolog


Soll ich springen oder nicht? Soll ich meinen Platz in diesem erbärmlichen Leben frei geben? Oder soll ich hinter Gitter gehen und mein Leben zerstören? Soll ich ihm nach gehen? Was ich getan habe kann man nicht rückgängig machen, aber es ist passiert und davor kann ich nicht weglaufen. Ich könnte mich auch weiter verstecken und so tun als wäre nichts passiert. Vielleicht eine neue Identität annehmen oder wenigstens einen warmen Unterschlupf suchen.
Langsam gehe ich auf dem rostigen Geländer einer Brücke entlang. Wo ich bin weiß ich nicht ,denn auf der Flucht vergisst man so einiges. Die Brücke ist hoch, wie hoch weiß ich nicht, aber ich weiß, das der Fluss unter ihr fast leer ist und die Felsen herausragen. Wenn ich springen würde, wäre ich sofort tot. Und wieder schießen mir Fragen über Fragen durch den Kopf. Doch die wichtigste Frage beschäftigt mich am meisten:
Warum hab ich es getan...

Wozu leben?


Ich zog meine Jacke zu ,um dem eisigen Wind zu entkommen, doch er versuchte immer wieder an meine Haut zu krabbeln und mir einen Schauer durch den Körper zu jagen. Die Straße war leer und leise. Man hörte nur das Rauschen des Windes, und lediglich das bellen eines Hundes in einer Scheune. An der Einfahrt zu unserem Haus blieb ich stehen und schaute die lange Straße entlang. Ich hätte problemlos abhauen können und mein Leben hinter mir lassen. Denn wie hätte ich meinen Eltern unter die Augen treten können? Und wie so oft entschied ich mich für das Falsche und schloss die Tür auf. "Emily?", schrie eine eisige, heisere Stimme aus der Küche. "Ja, ich bin wieder da", rief ich zurück. Ich rannte die Treppe in mein Zimmer hoch. Es war komplett grau von den Wänden bis zum Schrank. Der einzige Farbspritzer in meinem Zimmer war der pinke Teppich. Ich schüttelte den Kopf darüber, dass mein Vater immer noch nicht die Heizung repariert hatte. "Emily!", kreischte die Stimme meines Vaters wieder woraufhin ich hinunter ins Wohnzimmer ging. "Was?", fragte ich genervt, als ich ihn mit einer Flasche Wodka und 13 leeren Bierflaschen auf der Couch vor mir sitzen sah. "Sprüscht man so mit seinem beschen Vada?" ,fragte er betrunken, "Aber egal isch ver- ver--" Er drehte sich ruckartig um und übergab sich in einen blauen Eimer. Angeekelt ging ich einen Schritt zurück. Als er sich wieder zu mir drehte und taumelnd in die Küche ging um sich den Mund zu waschen, folgte ich ihm um mich weiter zu unterhalten. Jedes normal denkende Kind wäre abgehauen und hätte sich in seinen Tränen vergraben, wäre glücklich geworden.


Doch so war ich nicht. Ich liebte meine Eltern auch wenn sie mich verletzten.
"Wie warsch bei der Arbeit?", fragte er so benommen wie möglich. "Gut", trällerte ich fröhlich. Ein Fehler!
"Was ist passiert?", fragte er drohend ,als ob er sich jeden Moment in irgendein Raubtier verwandeln würde. Ich atmete tief ein:"Ich wurde gefeuert." Seine Augen weiteten sich und blitzen auf. Sein Körper zitterte und er war rasend vor Wut. "Was?", fragte er ,als hätte ich gerade behauptet das es pinke Hühner gibt. "Ja, die Chefin hat mich vor einiger Zeit schon vorgewarnt und jetzt...", verzweifelt suchte ich nach Worten, obwohl ich sowieso schon log. Denn ich hatte gekündigt! Ich hatte keine Lust mehr jeden Tag Leuten Pickel auszudrücken oder Hornhaut zu entfernen. Kosmetikerin was nichts für mich, doch da ich wusste, dass meine Eltern das niemals einsehen würden,weil es ja mit 7 Jahren mein Traum war, musste ich es auf meine Chefin schieben. Und wenn sie gewusst hätten, dass ich gekündigt hatte, wäre das noch deutlich schmerzhafter geworden. Ein stechender Schmerz trat auf meiner Wange auf und ich lag, nachdem ich auf der Tischkante aufgekommen war, am Boden. Eine warme Flüssigkeit lief mir übers Gesicht und ich rappelte mich auf, um mir eigentlich ein Tuch gegen die Stirn zu drücken. Stattdessen kassierte ich mir einen weiteren Schlag, diesmal von meiner Mutter, die gerade reingekommen war. "Du wurdest gefeuert? Haben wir dir nicht immer gesagt, du sollst dir mehr Mühe geben? Wir haben alles getan was wir konnten und dir alles ermöglicht! Und das bekommen wir als dank?", fragte sie rasend vor Wut. "Es ist mein Leben, Mutter, MEINS!", schrie ich und lief in mein Zimmer, damit ich nicht noch eine geflitscht bekam. "Emily Jean Wanston, du kommst auf der Stelle hier runter!", rief meine Mutter am anderen Ende der Treppe scharf. "Nein", zischte ich, und schloss mich in meinem Zimmer ein. So war es immer wenn irgendwas passierte, aber das war schon gar nichts. Wenn ich noch da geblieben wäre, hätte ich wahrscheinlich wieder ins Krankenhaus gemusst, so wie damals, als ich eine drei Minus mit nach Hause brachte. Als ich klein war, so sechs oder sieben Jahre alt, da hab ich es über mich ergehen lassen und immer gehofft, dass es endlich aufhört. Doch mittlerweile schaff ich es einfach zu gehen. Doch ich wollte das nicht mehr, ich brauchte eine Pause. Ich schnappte mir meinen Rucksack, gefüllt mit trinken und meinem übrig gebliebenen Sandwich aus der Schule und sprang aus meinem Fenster. Sollen sie jemand andren schlagen! Ich joggte bis zur Bushaltestelle, die zu James fuhr und stieg in den nächsten Bus der nach 20 Minuten kalter Wartezeit kam. Im Bus ging mir alles nochmal durch den Kopf und ich überlegte, ob es die richtige Entscheidung war... Sie schlugen mich zwar, aber waren sie deshalb schlechte Eltern? Sie hatten mir immer gesagt, dass es normal sei , man aber nicht drüber spreche. Meine Freundinnen hab ich deshalb niemals gefragt. Ich beschloss sie morgen zu besuchen und sie zu fragen und mich dementsprechend bei meinen Eltern entschuldigen oder nicht. Da James Haus direkt neben der Bushaltestelle war, musste ich beim Aussteigen nur geradeaus laufen. Anstatt zu klingeln ging ich durch die Hintertür in James „Garage“. Er hatte nämlich die ehemalige Garage als Zimmer oder besser gesagt als Wohnung bekommen, denn er hatte ein eigenes Bad, Schlafzimmer und eine Bar. Ohne zu klopfen sprang ich in sein Zimmer und schmiss meine Tasche in die Ecke. Er saß mit ein Paar Freunden rauchend und quatschend auf dem Boden. Ohne lang nach zu denken, ging ich auf James zu, nahm mir seine Zigarette und zog kräftig dran. Ich rauchte zwar, nicht, ich fand es ekelhaft, aber manchmal half es mir zum abschalten. Nach einem heftigen Hustenkrampf, über den sich die meisten seiner freunde schlapp lachten, bat ich James mit mir kurz ins Bad zu gehen, damit ich mit ihm reden konnte. Sofort sprang er auf und kam mit mir. Während ich ihm alles erzählte und fragte ob ich bei ihm übernachten konnte, beobachtete ich ihn. Seine schönen braunen Augen, seine kurzen blonden Haare, sein schiefes Lächeln... er war einfach perfekt und ich konnte mich so glücklich schätzen mit ihm zusammen zu sein.
das dachte ich damals zumindest, doch heute weiß ich zum Glück, das ich es viel besser hätte treffen können...


Er stimmte der Übernachtung mit einem breiten Grinsen zu und wir gesellten uns zu den andren ins Schlafzimmer. Als Bier geholt wurde, lehnte ich ab, da ich Angst hatte so zu werden wie mein Vater. Den ganzen Abend lang lachten und scherzten wir. So gegen drei Uhr schickte James die andren betrunken weg und zog sich ,so wie ich, um. Als ich im Bad zähne putzte, kam er herein. Ich lächelte ihn durch den spiegel an und er lächelte schief zurück. Sofort schmolz ich dahin . Er trat hinter mich, legte seine Hand auf meine Hüften und zog meinen Duft ein. Als er in mein Ohr wieder aus atmete zuckte ich zusammen. Er küsste mich am Hals und drehte mich zu sich herum. Ich erwiederte seinen Kuss und er zog mich in Richtung Bett. "Nein", sagte ich und versuchte ihn weg zu schieben, "Hör auf." Ich war beherrscht doch hätte ich am liebsten los geschrien. Immer wollender küsste er mich und warf mich aufs Bett. "Lass das", quiekte ich mit zitternder Stimme und biss ihn in die Lippe, wodurch er mich wenigstens ansah und kurz inne hielt. Doch nach einigen Sekunden wurde er wütend und öffnete seine Hose. "NEIN!", schrie, ich und riss mich los. Schnell packte ich meine Sachen und rannte raus. In einem übergroßen Football Hemd von James und in Jogginghose und Schlappen, stieg in den nächsten Bus. Am Riverford Wald stieg ich aus und rannte hinein, in Richtung dem alten Haus meiner Oma. Sie lebte nicht mehr und das nur wegen meinem Vater! Ein weiterer Grund ihn zu hassen, doch das ist noch schlimmer als geschlagen zu werden. Denn damals da war ich noch elf, also vor sechs Jahren, waren wir bei meiner Oma zu Besuch und sie verkündete uns, dass sie uns ihr Haus nicht verkaufen Würde. Mein Vater ist ausgerastet und hatte sie solange geschüttelt, bis sie einen Herzinfarkt bekommen hat und gestorben ist. Er rief den Krankenwagen und verklickerte uns nichts zu sagen, damit er den Ärzten sagen konnte, wir hätten sie tot gefunden.Sie war meine Lieblingsoma. Sie hat mich verwöhnt und mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen, sie war sozusagen mein dritter Elternteil.
Doch mein Vater hatte sie ermordet!
Als ich am Haus ankam und durch die Geheimklappe, die nur meine Oma und ich kannten, hinein gestolpert war, kam ich im Wohnzimmer an. Am liebsten hätte ich gerufen, "Oma ich bin wieder da, und hab dir deine Lieblingsmarmelade mitgebracht." Doch das konnte ich nicht, zumindest hätte es nichts gebracht. Es gab meine Oma nicht mehr. Und selbst jetzt, bei der Wahl zwischen Leben und Freiheit, selbst jetzt bräuchte ich meine Oma mehr als alles andere. Sie würde mir jetzt sagen was am besten wäre. Mein Herz zieht sich zusammen, und ich drohe von Geländer zu fallen, deshalb halte ich mich an einem Pfahl fest. Also gut weiter...


Ich legte meine Tasche auf den Küchentisch und ging ein Stockwerk höher. Alles war an seinem rechten Platz, der Wäschekorb stand ,wie als ich das letzte mal da war, neben dem hölzernen Kleiderschrank, das Bett war leicht zerknüllt, da ich es das letzte mal machen musste und Omas Lesebrille lag mit ihrer Kreuzworträtsel Zeit und auf ihrem Nachttisch. Ich kauerte mich unter ihrer Mikrofaser Bettdecke zusammen und wollte einfach nur meinem Leben ein Ende bereiten. Zumindest wollte ich nichts mehr mit meinen Eltern zu tun haben. Immer wenn ich traurig war, brauchte ich Schokolade und da meine Oma immer Schokolade in dem zweiten Nachtisch aufbewahrte, öffnete ich die erste Schublade - Nichts. In der zweiten lag Krimskrams, doch unter diesem ganzen unnützem Zeug lag sie : Eine geladene Waffe!

Tote Freiheit


"Das tut mir Leid", murmelte meine beste Freundin Jessy und nahm mich in den Arm, "Warum hast du mir das nicht vorher gesagt?" Ich hatte ihr heute zum ersten mal von meinen Eltern und allem erzählt. Ich hatte ihr gesagt, dass mein Vater meine Oma umgebracht hatte und wie James gestern zu mir war. Als ich James erwähnte wirkte sie irgendwie komisch und wollte sofort wissen ob ich Schluss gemacht hab.
damals dachte ich, das sie einfach nur will, dass es mir gut geht und ich nicht mit so einem Typ zusammen bin.


Ihr Handy piepte und sie fing an zu strahlen - wahrscheinlich von ihrem Freund Jameston. Ich hatte ihn noch nie kennen gelernt, aber sie war unsterblich in ihn verknallt und er schrieb ihr auch immer süße SMS. Im Gegensatz zu James, der immer nur schrieb wenn ich schrieb. Ich hatte übrigens vor mich bei ihm zu entschuldigen, ich hatte wirklich überreagiert, auch wenn Jessy der Meinung war, dass ich Schluss machen sollte.
Nachdem ich mich drei Stunden lang aus geheult hatte, ging ich zu James. Da Sonntags kein Bus fuhr, musste ich das ganze Stück, zirka zwei ein halb Stunden laufen. Aber da ich nichts besseres zu tun hatte, tat ich dies. Ich öffnete die Garagentür und tippelte leise in Richtung Bad, in der Hoffnung ihn dort zu treffen, denn in seinem Bett war er nicht. Doch auch im Bad war er nicht auf zu finden, deshalb wollte ich ihm sein Football Shirt wieder geben - Doch ich hatte meine Tasche bei Jessy vergessen. Entnervt ging ich wieder in Richtung meiner Freundin. Nach weiteren ein ein halb Stunden Verschwendung kam ich endlich bei ihr an. Wenn sie auch nicht da ist, Reiß ich ihr den Kopf ab, dachte ich während ich klingelte. Ihre Mutter, die hoch gestylt und geh fertig vor mir stand, sagte mir, dass sie jetzt ginge und Jessy mit ihrem Freund in ihrem Zimmer war. Endlich! Ich freute mich ihn endlich kennen zu lernen, denn sie war immerhin schon seit 3 Wochen mit ihm zusammen ohne ihn mir vorzustellen. Ich öffnete ihre Zimmertür und blieb schockiert in der Tür stehen. Mein Herz hörte auf zu schlagen und James sagte: "Ich kann dir alles erklären." Jessy lag in BH und Jeans auf dem Bett, und über ihr gebeugt, James in Unterhose, welcher jetzt verzweifelt versuchte sich etwas über zuziehen.
"Ich will keine Erklärung!", zischte ich ihn an, wodurch er inne hielt. Ich war noch nie so sauer vor ihm, doch jetzt floss alles raus: "Du brauchst nicht versuchen, dir etwas über zuziehen, so dumm bin ich nicht, dass ich es nicht gesehen hätte! Hatte jetzt endlich mal eine gefunden, die deinen Ansprüchen entspricht? Mich wundert nicht, das du dir so 'ne falsche Schlange ausgesucht hast, da passt ihr beiden ja perfekt zusammen!" Bei dem Wort Schlange sah ich meine fassungslose Ex-ABF an, welche jetzt kleinlaut bekannt gab: "Ich bin keine Schlange."
"Ach nein?", fragte ich mit einem Hauch Sarkasmus in der Stimme, der aber durch die Wut überspielt wurde, "Stimmt ja, jede Freundin schläft mit dem Freund ihrer besten Freundin. Ach ja", ich drehte mich wieder zum verwirrten James, der mittlerweile ein Sweatshirt an hatte, "Ex-Freund!" Ich ging auch Jessy zu, gab ihr eine laut knallende Backpfeife, und verschwand nachdem ich mir meine Tasche genommen hatte, wieder aus der Tür.
Meine Wut verwandelte sich in Hass und schließlich fand ich mich In der Ecke zusammen gekauert Inder Küche meiner Oma wieder.
Wie konnte sie nur? Als meine beste Freundin, EX-beste Freundin, macht man sowas doch nicht. "Wieso?", gluckste ich immer wieder unter meinen Tränen hervor. Mein Leben machte keinen Sinn mehr. Meine Eltern wollen mich sowieso nicht mehr haben, meine EX-beste Freundin hat mich genauso wie mein EX Freund hintergangen. Was hab ich also noch? Nichts außer reine Einsamkeit. Ich schlang die Hände um meine angewinkelten Knie und schloss die Augen. Versuchte alles zu vergessen und mich zu beruhigen. Als ich dies endlich geschafft hatte, ging ich in die Küche um etwas zu essen. "Wie lange hab ich dort gelegen?", fragte ich mich selbst als ich aus dem Fenster sah und bemerkte das es Vollmond war. Ich schüttelte den Kopf über ich selbst, und suchte weiter nach Essen - Vergeblich. Wieso sollte auch in dem Haus einer toten Frau etwas zu essen sein? Aus Frust und Hunger schmiss ich einen Topf aus dem Regal und lehnte mich übers Waschbecken. Nachdem ich mich übergeben hatte stapfte ich ins Bad und sah in den Spiegel. Meine langen blonden Harre waren zerkaust und verfilzt, meine sonst hellen grünen Augen schauten mich traurig und glanzlos durch den Spiegel an. Unter meinen Augen sah man meine verlaufene Schminke und dicke Augenringe. Ich ließ Wasser in die riesen große Badewanne und zog mir meine Sachen aus. Langsam kletterte ich mit meinem abgemagerten Körper in die heiße Wanne. Ein gutes hat diese Renten Sache von Oma: Wasser. Sie hatte direkt nachdem mein Opa gestorben war ihr Testament geschrieben. An meine Eltern ging ihr kleiner roter Peugeot ,den sie allerdings sofort verkauften. Zum großen Protest meiner Eltern ging ihr Haus an mich und ´von ihrer kompletten Rente wurden Wasser und Strom bezahlt falls ich mal hier her kommen würde. Und da sie erfolgreiche Schauspielerin war, hatte sie genug Geld dafür. Ich hatte damals gedacht mich zu verhören doch so war es. Sie liebte mich über alles und hatte immer gesagt :"Ich habe alle meine Sachen ins Herz geschlossen. Und mein Herz gehört dir." Ich lächelte bei dem Gedanken an sie und schloss meine Augen.
Und ohne das ich es damals wollte kam in mir eine Idee auf. Eine Idee die, wie ich glaubte, richtig war. Und ich war bereit diese Idee um zu setzen ob aus Wut ,Frust oder gar Geisteskrankheit...


Als ich meine Augen wieder öffnete war das Wasser kalt und durch das Fenster schlang dich gedämpftes Licht. Ich stand auf, zog mir ein Handtuch um den Körper und ging zum Fenster: Schnee!
"Danke", flüsterte ich leise zum Schnee, "Das ich dich noch einmal vorher sehen darf." lächelnd zog ich mir meine alten Sachen über und ging in die Küche. Eigentlich wollte ich wieder nach etwas zu essen suchen, bis mir klar wurde das nichts da war, wie auch?! Doch ich konnte meine Idee auch mit leerem Magen voll führen, also nahm ich mir alles was ich brauchte und trat hinaus. Der Schnee blieb in meinen Haaren hängen während ich aus dem Wald in Richtung Straße stapfte. Die Straßen waren leer, zu leer für den Plan der in mir aufgekommen war. Doch irgendwie würde ich es schaffen, ich musste es schaffen. Man würde so oder so sagen, dass es wegen meiner Geistesgestörtheit war. Stück für Stück stapfte ich in Richtung Busbahnhof und sofort kam der richtige Bus. Ein Glückstag auch noch!
An der Richtigen Station angekommen trat ich raus und wurde sofort von Kälte umhüllt. Mein erstes Ziel war auch das einfachste, aber auffälligste. Bei ihnen würde es keiner bemerken wenn sie fehlten. Keiner mochte sie. Mit diesen Gedanken öffnete ich das kaputte Haus meiner Eltern und trat ein. Eine Geruchswolke aus Bier und Zigaretten überkam mich, und ich wollte sofort wieder umdrehen. Doch ich hatte einen Plan und diesen musste ich jetzt umsetzen! "Emily?!", hörte ich die vertrauteste und angsterregendste Stimme der Welt rufen. "Emily?",diesmal war es meine Mutter, sichtlich erleichtert und kurz danach stand sie in meinen Armen. Ich war kurz davor ihre Umarmung zu erwidern, mich zu entschuldigen und hier bleiben. Doch ich erinnerte mich an all die Schmerzen und Qualen. Wie sie dabei zusah wie mich mein Vater mit 7 Jahren missbraucht hat. Sie hatte bei allem zugesehen und nichts unternommen! Also schüttelte ich sie ab und fasste noch fester in meine Jackentasche wo sie

war. Vorsichtig tippelte sie zurück ins Wohnzimmer und ich folgte ihr. Meine Hand hatte ich immer noch in der Seitentasche und selbst als ich meinen Vater, betrunken und ungepflegt auf dem Sofa ausgestreckt , ließ ich meine Hand fest in der Tasche, an Ihr. „Was willsu?“, nuschelte mein Vater betrunken, „Raus hier!“ „Aber Maik, bitte sie ist unsere Tochter, sie...“, versuchte meine Mutter mich zu verteidigen, doch mein Vater erhob nur seine Hand und schlug sie, „Sie ist nicht mehr meine Tochter!“ Als er ein weiteres Mal auf meine blutende Mutter einschlagen wollte, schrie ich: „Stopp! Lass sie in Ruhe oder...“ „Oder was? Willst du mich etwa schlagen? Du kleines Mädchen? Du hast deinen Vater nicht zu schlagen, aber erst mal muss ich mich um deine Mutter kümmern bevor du dran bist“, zischte mein Vater und schlug meine Mutter abermals ins Gesicht, als sie versuchte sich aufzurichten. „Nein!“, rief ich und zerrte mit einer Hand an meinem Vater, die andere war immer noch in meiner Jackentasche. „Du wagst es mich anzurühren?“, meinte mein Vater lauter , mit wütend aufgerissenen Augen und gab mir eine Backpfeife. Die war noch harmlos hingegen zu dem ,was er mir sonst gab. Als ich meine Augen wieder öffnete , spielte sich vor mir eine grauenvolle Szene ab. Hinter meinem Vater stand meine Mutter mit einem Messer. Meine Mutter wollte es wahrscheinlich in seinen Rücken rammen, doch weil er sich umdrehte , streifte sie nur seinen Arm. Rasend vor Wut, zerrte meine Vater meiner Mutter das Messer aus der Hand und presste es ihr in den Bauch. Ungläubig sah ich wie meine Mutter an der Wand hinunter glitt und hustend und nach Luft schnappend am Boden lag. Ich bemerkte ,dass ich sie

so fest hielt, dass ein Glas schon längst zerbrochen wäre, und ohne eine Sekunde länger zu warten ,schoss ich meinem Vater ins Bein. Er taumelte zurück und stürzte zu Boden. Sein Kopf traf auf der Tischkante auf und der Teppich unter seinem Kopf färbte sich rot. Meine Hände zitterten und ich ließ die Waffe meines Opas fallen. Hatte ich das gerade wirklich getan? Hatte ich meinen Vater umgebracht? Er war immerhin mein Vater, trotz allem was er getan hatte. Ich bereute es und mein Herz schmerzte komischerweise. Doch als ich meine Mutter stöhnen hörte verflog dieser kurze Schmerz in Wut und ich krabbelte auf allen vieren zu meiner Mutter. Ich legte ihren Kopf in meinen Schoß: "Mama, alles wird gut." Emy, versprich mir eins", keuchte meine Mutter, "Pass auf dich auf." Eine Träne kullerte ihre Wange hinunter und auch meine Augen füllten sich. "Nein, Mama bitte", stammelte ich und meine Tränen flossen, "Es tut mir so leid." Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn, "Mama du darfst nicht sterben, bitte ich brauche dich." Ich konnte durch meine Augen kaum noch etwas sehen. "Emy, i-i-ich hab-b di-i-ich", sie stockte und hustete Blut auf meine Jeans, doch es war mir vollkommen egal. Ich redete mir ein, das meine Mama es schaffen würde irgendwie, doch ich wusste es natürlich besser. Sie beendete den Satz nicht, deshalb antwortete ich einfach: "Ich dich auch. Ich wollte das alles nicht, es tut mir so leid." Ich begann das Lied zu singen, welches sie mir immer zum schlafen vorsang:
Schlafe, Prinzesschen,
Schlafe in Ruh.
Den Vöglein auf den Bäumen,
fallen die Äuglein zu.
Schlafe, Prinzesschen,
Schlafe auch du.

Schlafe, Prinzesschen,
Schlafe in Ruh.
träume schön friedlich,
träume sehr gut.
Schlafe, Prinzesschen,
Schlafe auch du.
Schlafe, Prinzesschen,
Schlafe in Ruh.
Und wenn du aufwachest,
wink ich dir zu.
Schlafe, Prinzesschen,
Schlafe auch du.


Meine Tränen tropften in ihr samtweiches Haar und es wurde immer feuchter. Ich wartete darauf das sie etwas sagte und strich ihr mit meinen Händen durchs Haar. "Mama?", fragte ich und hielt kurz die Luft an. Ihr orangefarbener Pullover war rot verfärbt. Der Griff ihrer Hände an meinen Ärmeln hatte sich gelockert und ihre meerblauen Augen waren blass und blickten starr geradeaus. Sie schien traurig, doch auf irgendeine Art auch friedlich. Ich schloss meine Augen, vergrub mein Gesicht in ihren Haaren und sang das Lied immer wieder. Als ich es zum siebten Mal sang brach meine Stimme in der letzten Strophe ab und ich versuchte nicht länger erfolglos meine Tränen zurück zu halten. Ich ließ sie zu, ließ den Schmerz zu und versuchte erst gar nicht dagegen anzukämpfen. Als ich mich wieder beruhigt hatte und nicht mehr weinen konnte, stand ich wie versteinert auf und ging. Ich veränderte nichts in dem Raum, ich nahm einfach meine Waffe und ging. Als ich in den nächsten Bus stieg, schien es als würden mich alle anstarren, mit dem Finger auf mich zeigen und :"Du bist Schuld", rufen. Doch jeder war auf seine Sachen konzentriert, nur der Busfahrer sah mich besorgt an. Als der Bus endlich an der Station hielt, wo ich raus musste, kam es mir vor wie die Freiheit, endlich von den ganzen Menschen weg zu sein. Ich bog noch eine Seitengasse rein und kam Jessys Haus immer näher. Vor ihrer Tür kam mir plötzlich eine Erinnerung in den Kopf, und ich blieb stehen.Es war brühende Sommerhitze und ich rannte vor Roy und Tray, den zwei Schul-Streber-Schlägern

weg. Sie wollten mich schlagen, weil ich kein Geld dabei hatte. Als ich um die Ecke sauste, stoß ich mit Jessy zusammen und fiel hin. Ängstlich und in Panik, das die beiden näher kamen presste ich mich an die Wand. Jessy stand immer noch grade auf dem Bürgersteig. Sie hatte auch gute Noten und war immer fein angezogen. Als Roy und Tray um die Ecke kamen, blieben sie vor Jessy stehen, "Ey kleine. Hast du ein Mädchen in deinem Alter hier gesehen?" Jessy starrte sie nur an und antwortete nicht, "Ich rede mit dir!" Roy wollte sie berühren ,doch da zeigte Tray auf mich und rief, "Da ist sie!" Als die beiden auf mich zu kamen und ich mich immer näher gegen die Wand presste stellte sich Jessy schützend vor mich, "lasst sie in Ruhe!" "Sagt wer?", fragte Tray belustigt und kam immer näher. Doch Jessy ließ sich nicht beirren und blieb gerade stehen. In ihrem weißen Röckchen, der dunkelblauen Bluse und den Lackschühchen sah sie nicht gerade beängstigend aus, doch es reichte. Denn als sie mit ihrer Hand ausholte um Tray zu schlagen, bemerkte er irgendwas und ging auf einmal mit Roy davon. Ganz plötzlich. "Hi, ich bin Jessy", drehte sie sich um und half mir auf. Sie lud mich ins Haus ein und wir freundeten uns an und waren unzertrennlich... ch sank auf die Knie und fragte mich was ich tat. Ja, sie hatte einen Fehler gemacht, doch es war nur einmal. Wir hatten schöne Zeiten und ich wollte sie umbringen? Das hatte ich geplant? Was war ich nur für ein Mensch geworden... Ich presste meine Augen gegen meine Knie um die Tränen zu unterdrücken. Ich wollte alles Zerstören und dachte nur an mich! „Emily?“, fragte eine Stimme hinter mir und ich sprang sofort auf. Jessy stand völlig fertig und in Jogginghose vor mir. Ich schüttelte nur den Kopf, drehte mich um und rannte davon. Alles war verschwommen durch meine Tränen. Meine Brust stach und ich wollte einfach nur sterben. Sie war fertig wegen mir. Ich hatte nicht nur meinen Vater und meine Mutter umgebracht und hatte nicht nur vor Jessy umzubringen, sondern hatte sie sogar verletzt. Ich redete mir ein, dass sie es verdient hatte, doch so ganz ging das nicht. „Emily“, ihre Stimme war etwas weiter weg, doch ich hörte ihre schnellen, mutigen Schritte hinter mir. Ich beschleunigte, bog um die nächste Ecke und sah schon den Riverford Wald vor mir. Nur noch diese Hauptstraße und dann hatte ich es geschafft. Die Ampel verfärbte sich rot und ich sprintete die letzten zwanzig Meter nochmal los. Jessy beschleunigte ebenfalls, doch sie fiel etwas weiter zurück. Als ich auf der anderen Seite angekommen war, fuhren die Autos schon los und ich drehte mich um, riskierte einen Blick auf meine beste Freundin.
Ich hätte es lassen sollen. Hätte einfach weiter rennen sollen, dann hätte ich das nicht mit ansehen müssen...


Sie glaubte es noch zu schaffen, zwischen den Autos hindurch zu mir zu gelangen, doch ich wusste das sie es nicht packen würde. „Jess, nicht!“, schrie ich panisch und verzweifelt als sie die Straße erreichte. Das erste Auto blieb rechtzeitig stehen, doch die Autos dahinter krachten in das eine. Mein Herz ließ einen Stein fallen, doch die Panik kam zurück als ich sah wie Jessy trotzdem weiter rannte. Der Ford konnte nicht so schnell bremsen und ich sah nur Jessys Körper über das Auto fliegen. Auf der anderen Seite krachte das nächste Auto genau zwischen Jessy und den Ford. Unfähig mich zu bewegen beobachtete ich wie die einen sich über ihre Autos aufregten und die anderen zu Jessy rannten und sich um sie kümmerten. Doch keiner rief einen Krankenwagen und von der einen auf die andere Sekunde waren alle still. Jessy war tot. Bevor der Schmerz sich vor den Menschen hier auf der Straße in mir ausbreitete, rannte ich weiter in den Wald.
Keiner beachtete mich, keiner folgte mir.
Sobald die schützenden Bäume um mir waren ließ ich mich fallen und kauerte mich zusammen. Meine Oma hatte immer gesagt, dass es am besten sei, den Schmerz zu zulassen, egal wie schlimm er war. Denn danach würde es einem besser gehen. Und das tat ich auch jedes Mal und meine Oma hatte, wie bei so vielem, Recht. Dieser Schmerz war besonders Schlimm, doch ich war kein Mensch der lange Trauerte. Die Trauer kam mehr in Anfällen, mal dann, mal dann. Ich konnte es nicht entscheiden und nicht aufhalten.
Doch nach soviel auf einmal, meine Mutter, Jessy ,und sogar meinen Arsch von Vater betrauerte ich etwas, hatte ich keine Kraft mehr. Ich konnte irgendwie nicht mehr. Konnte nicht weinen, nicht mit dem Gedanken klar kommen sie alle umgebracht zu haben, wollte nicht mehr weiter leben. Mit zitternden Händen holte ich die Waffe, welche ich mir so fest gegen die Brust gedrückt hatte, dass es brachte und sah sie mir an. Schwarz, hier und da eine Spitze Kante durch die meine Hand blutete und sie hatte irgendetwas dunkles, böses an sich. Sie bebte unter meiner Hand und war schwer und kalt.
Mein gequältes, lautes Weinen wurde von dem plötzlichen Schnee-Regen übertönt. Ich holte noch einmal tief Luft, saugte den Geruch des Regens ein, und spürte ,wie das reine Gefühl, schwarz vor Schuld wurde und legte die Waffe an meinen Kopf. Ich konnte ganz genau den Waffenlauf an meiner Schweiß gebadeten Haut spüren. Meine Hand zitterte immer heftiger als ich abdrückte.

Kein Ende


Ein Kleines Kind rannte über eine riesen große Wiese und hüpfte überglücklich auf und ab. Ein älterer Mann hielt seine Arme auf und ließ sich lächelnd von dem Kind ins Gras werfen. Beide lachten, der Mann sprang auf und wirbelte das Kleine Mädchen herum. Ich lächelte, weil die beiden so glücklich aussahen. In diesem Moment setzte der Mann das Mädchen ab und während die kleine wieder herum sprang rief der Mann vertraut: „Emily. Emily, komm her.“ Automatisch bewegten sich meine Füße in seine Richtung. „Emily, na komm schon“, winkte er und lächelte vertraut das Lächeln meiner Oma. In mir machte sich ein Schmerz breit, doch hier war es friedlich. Bevor ich bei meinem Vater angekommen war, zog er eine schwarze Waffe aus der Tasche und erschoss das kleine Mädchen. Sie sah mir in die Augen und ich erkannte mich in ihr. Es lag soviel Hass, Anklage und Misstrauen in diesem Blick, dass ich nach hinten stolperte und plötzlich in einer großen Blutlache lag. Ich schloss meine Augen und wollte das alles nicht wahr haben. Wollte raus, weg aus meinem Leben...
Etwas kitzelte an meiner Nase und ich schlug instinktiv danach.
Mein Körper fühlte sich nass und der Boden unter mir hart an. Langsam rappelte ich mich auf und blickte auf die platt gelegte Stelle an der ich lag und die Waffe daneben. Verschlafen hob ich sie auf und ging zum Haus meiner Großmutter. Ich fühlte mich unbeschreiblich komisch. Als wäre diese Welt irgendwie zusammen gebrochen aber dennoch war sie da. Manche Menschen saßen jetzt wie jeden Morgen am Frühstückstisch und waren fröhlich. Manche Menschen wurden gerade von ihrem Chef angeschrien, fanden gerade heraus dass ihr Partner fremdging, und manche bekamen gerade ein neues Familienmitglied oder verloren gerade eins.
Doch trotzdem war die Welt kaputt, zerstört, existierte nicht mehr.
Ich schüttelte kurz meinen Kopf, um das Gefühl loszuwerden und ging zum Kühlschrank. Leer! Natürlich, der füllte sich ja nicht von alleine. Seufzend setzte ich mich auf den Küchenstuhl und begann nach zu denken.
Meine Oma ging immer mit mir auf einen Markt, jeden Sonntag wenn ich da war. Der war die richtige Lösung. Doch ich wusste nicht wo er war, also versuchte ich mit den Markt und den Weg bildlich vorzustellen.
Ich sah meine Großmutter und mich, wir gingen den Weg von ihrem Haus bis zu der Riverford Bridge entlang. Das Wetter war wunderbar, die Bäume von einem übernatürlich saftigen grün und die Vögel zwitscherten um die Wette. Von dem leichten, sanften Wind der wehte, flog mein zu meinem Kleid passender, blauer Hut nach hinten. Meine Oma rannte ihm hinterher als würde er von unvorstellbarer Bedeutung sein. Ich lächelte bei dem Gedanken an sie. Als sie mir meinen Hut wieder fest aufgesetzt hatte, gingen wir weiter durch den Wald. Sie erklärte mir jegliche Namen von Bäumen. Während sie sprach, beobachtete ich immer wie glücklich und komplett in ihrem Element sie dabei war. Sie schüttelte immer ihre kurzen grauen Locken, mit dem fest gesteckten Hütchen auf eine Art, die ich oft nachmachen wollte, weil sie so elegant aussah. Ihre blauen Augen glänzten immer voller Freude und Liebe wenn sie mich ansah. Eine Träne lief mir übers Gesicht und ich wünschte mir ,dass meine Oma wieder bei mir war. Ich versuchte mich weiter auf den Weg zu konzentrieren. Wir kamen gerade an der Brücke an. Der Fluss war gefüllt und das Wasser klar.
Auf der anderen Seite sah ich, wie auf einmal wie ein riesen großer Unfall geschah und ich sah zu meiner Oma. Doch neben mir stand Jessy und lächelte mit Tränen in den Augen. Ihre Lippen bewegten sich doch ich konnte sie nicht verstehen. Plötzlich kam ein Auto von links und Jessy war weg. Ich schrie laut auf, taumelte nach hinten und fiel. Ich wirbelte meinen Kopf hoch und gab mir selbst eine leichte Ohrfeige. „Hör auf!“, flüsterte ich heiser, „Keine Tagträume!“ Ich sollte mich wirklich ablenken, also zog ich mir einen der dicken Pelzmäntel meiner Oma an und trat die Tür raus.
Der kühle Wind, der mir in diesem Moment eine Gänsehaut über den ganzen Körper jagte, brachte mich dazu zwei weitere Mäntel und dicke Stiefel anzuziehen.
Ich folgte einfach meinem Instinkt und lief einfach blindlings drauf los. Nach einer dicken Stunde herumirren fand ich ihn endlich. Er war fast überfüllt. An den gut bestückten Ständen rangelten die Leute um die Besten Stücke, scherzten und machten Geschäfte. Zögernd und verunsichert ging ich zu einem Obststand. Die grünen, saftigen Apfel lächelten mich förmlich an und ich konnte fast nicht mehr widerstehen. Wie viel ich für einen dieser Äpfel gegeben hätte. „Miss“,raunte eine harte Männerstimme. „Miss“, wiederholte er und ich sah ihn an, „Möchten sie etwas kaufen?“ Ich schüttelte leicht meinen Kopf und ging weiter zum nächsten Stand. Ich kämpfte mich durch die Menschenmassen und stand plötzlich vor einer Theke mit saftigem Fleisch. Mein Körper bebte kurz auf, bei dem Gedanken daran, das Fleisch zu braten und rein zu beißen. Ich streckte meine Hand vorsichtig aus und griff mir das Stück Fleisch, dass am nächsten war. Mir kam es so vor als würden mich alle anschauen und beobachten.
Als ich meine Tasche öffnete um das Fleisch einzupacken, hörte man plötzlich das Sirenengeheul von Streifenwagen und Schreie von Polizisten. Sofort drehte ich mich um, ließ das Fleisch fallen und rannte los. Ich nahm all die Kraft und Energie die noch in mir steckte zusammen und rannte in die nächste Gasse hinein. Angst überkam mich, doch ich versuchte nicht dran zu denken, damit ich keine Schnelligkeit verlor. Ich pirschte um die nächste Ecke links und plötzlich wurde ich zurück geschleudert. Mist!, dachte ich, öffnete meine Augen und sprang wieder auf die Beine. Eine blonder Junge stand vor mir und spiegelte wahrscheinlich genau meinen verwirrten und geschockten Gesichtsausdruck wieder. Durch seinen Stahlblauen Blick schien ich wie gelähmt. Ich konnte und wollte mich auch nicht bewegen. Er schien mit dieser Begegnung besser klar zu kommen, denn er kam auf mich zu, packte meine Hände mit einer Hand auf meinem Rücken fest und zog mich plötzlich in eine kleine nach innen gerichtete Türluke in der Hauswand. „Lass mich los!“, zischte ich, und das überwältigende Gefühl von gerade eben verwandelte sich in Zorn. Doch bevor ich noch etwas hinzufügen konnte, hielt er mir mit meiner anderen Hand den Mund zu und klemmte meine Beine zwischen seinen ein. Ich räkelte mich und versuchte mich mit aller Kraft zu befreien, doch sein Griff blieb hart. Als plötzlich eine Hand voll Polizisten an uns vorbei raste verstand ich warum er das tat. Nicht um mir zu schaden oder mich zu verletzen sondern er half mir sozusagen. Nach einer kurzen Weile, ließ er mich los und ich taumelte nach vorne aus der Lücke hinaus. „Was sollte das?“, fragte ich trotzdem, „Was fällt dir ein mich einfach so anzufassen?“
Grinsend ignorierte er was ich sagte, was mich noch mehr aufregte,
„Hallo! Ich rede mit dir! Und ich rate dir eins, fass mich nie wieder so grob an!“ Er kramte in seinem Rucksack herum und schien schließlich gefunden zu haben was er suchte. „Hier“, sah er mich an, „Nimm.“ Er hielt mir einen der saftigen, grünen Äpfel hin und ich vergaß was ich ihm noch alles an den Kopf schmeißen wollte. Ich wollte einfach nur diesen Apfel und ich konnte nicht widerstehen.
„Na, du bist aber hungrig“, stellte er lächelnd fest, doch ich beachtete ihn nicht. Ich spürte was dieser Apfel mir gab. Es schien, als würde er neues Leben in mich pumpen und mir neue Energie geben. Ich fühlte mich lebendiger und ich wollte mehr ,immer mehr. Als auf einmal der komplette Apfel mit Stiel aufgegessen war, verschwand die Energie, dennoch fühlte ich mich lebendiger. Als ich den Jungen sah, wie er mich beobachtete, funkelte ich ihn wieder böse an: „Trotzdem sollst du mich nicht so anfassen!“ „Ein danke reicht auch“, sagte er sanft und irgendwie fühlte ich mich schuldig ihm gegenüber. „Danke“, stammelte ich von seinen blauen Augen völlig aus dem Konzept gebracht. „Gern“, lachte er und warf mir ein Stück Brot zu, „Ich hab noch genug keine Sorge.“ Ich wollte ihm zwar nicht alles weg essen, aber ich hatte so einen Hunger, dass ich nicht anders konnte.
Als auch das Stück Brot viel zu schnell von mir verputzt war, entschied ich mich dafür, dass ein “Danke“ ausreichte und stellte mich mit vor der Brust verschränkten Armen in seine Richtung. Er aß genüsslich sein Brotstückchen auf und beachtete mich nicht.
Erst als er fertig war und sich seinen Rucksack angezogen hatte, sagte er:
„Ich bin übrigens Tom.“ „Emily“, entgegnete ich ungewollt. Was ging ihn mein Name an? Und warum hatte ich ihn gesagt? „Okay Emily, kommst du mit?“, fragte er und ich hätte am liebsten in seiner sanften und so voller Freude geladenen Stimme gebadet. „Wohin?“, fragte ich etwas sanfter als ich vorher gesprochen hatte. „Ich muss die Tasche noch voll bekommen, und dann in den Wald. Ich denke nicht, dass wenn du schon vor Bullen, die nichts von dir wollen wegläufst, dass du dann noch irgendetwas besonderes zu tun hast. Also nur wenn du willst.“ Er grinste sich einen weg und ging schon mal los in Richtung Markt. „Glaubst du!“, rief ich, doch ich folgte ihm. Denn er hatte Recht, ich hatte nichts zu tun, was auch. Nach guten 10 Minuten laufen, mir kam es eben nicht so lang vor, kamen wir wieder am Markt an. Die Leute hatten sich beruhigt und Tom kramte hinter einer Wand wieder in seinem Rucksack. „Hier“, er hielt mich ein großes, schwarzes Tuch hin. „Was ist das?“, zögerte ich und sah es mir genauer an. „Keine Ahnung wie man das nennt, sowas wie ein über großes Kopftuch.“ Er wickelte es mir um die Haare und um dem Körper. Mein Körper erzitterte bei der Berührung seiner großen, starken Hände und er grinste jedes mal.
Als auch er sein Aussehen in lange Harre, Bärtchen und andere Klamotten geändert hatte, gingen wir wieder auf den Markt. Wir gingen einfach nur an den Ständen vorbei, vom Markt raus und Richtung Wald. „Warum hast du nichts mitgenommen?“, fragte ich verwirrt als wir etwas weiter entfernt waren. „Hab ich doch“, grinste er schelmisch und öffnete den Rucksack. Er war prall gefüllt und ich musste über seine Schnelligkeit, seine Cleverness und sein Können grinsen. Das ermutigte ihn auch zu einem Lachen und wir gingen weiter in den Wald. Wir bogen statt in den Weg zu dem Haus meiner Großmutter, nach links ab. Nach weiteren 10 Minuten kamen wir an einem dicht bewachsenen Waldstückchen mit einem kleinen See an.
Ich zog mir das Kopftuch aus, unter welchem mir viel zu heiß wurde und er machte sich auch wieder perfekt. Plötzlich pfiff er hell und lang und aus dem Gebüsch kam etwas geschossen. Ich riss mein Messer aus der Tasche und hielt es in Richtung Bär oder was das war. „Nein!“, rief Tom doch alles geschah so schnell, dass ich nicht mehr reagieren konnte. Tom schmiss sich vor das Vieh und ich erwischte in mit meinem Messer am Arm. „Scheiße“, schrie ich und taumelte zurück. Tom winselte leicht genauso wie der Bär neben ihm. Aber nein, es war kein Bär, sondern ein Schäferhund. „Oh Gott. Nein. Tut mir leid. Scheiße“, stammelte ich als ich mich wieder gefangen hatte. Mich neben Tom hockte und seine große Wunde betrachtete. Ich zog einen der Fetten Mäntel aus, zerriss ihn und legte das Stück auf die Wunde. Tom schrie qualvoll auf, was mir fast das Herz zerriss doch ich hielt das Tuch weiter drauf. „Warte kurz hier und drück es drauf“, befahl ich und stand mit einem weiteren Mantelstück auf. Der Hund knurrte mich an ,doch Tom sprach ruhig auf ihn ein, sodass er leise war.
Ich rannte zu dem nächsten kleinen See. Er war mehr eine Pfütze aber das Wasser war rein und klar. Ich tunkte das Stück Pelz in den “See“ und rannte zurück zu Tom. Er nahm das andere Stück, welches Schon durchnässt und rot war und ich reinigte die klaffende Wunde. Es blutete immer und immer weiter, sodass ich am Ende nur noch fröstelnd in meinem Top stand.
Drei komplette Pelzmäntel und ein Weißer Rollkragenpullover waren wie in roter Farbe getränkt, doch die Wunde hatte endlich aufgehört zu bluten. Das schwarze Kopftuch, das ich eben an hatte, diente als Verband.
„Tut mir so unendlich leid“, wiederholte ich nun zum 200sten Mal und Tom schien langsam genervt. „Ist doch okay. Du konntest es nicht wissen, es war einfach ein Reflex, sogar ein ziemlich guter.“ Ich lächelte leicht über sein Kompliment und half ihm dabei, sich hin zu stellen. „Naja, ich geh dann mal“, meinte ich und verabschiedete mich, „Bis dann.“ „Okay, bis dann. Wir sehen uns. Und mach dir keinen Kopf“, rief er mir nach während ich schon los gegangen war.

Es war, als würden sie eine Wettrennen machen. Wer war erster unten, wer konnte den anderen ausschalten oder sich mit ihm verbinden. Einige versuchten durch andere, stoppende Tropfen auf dem geraden Weg nach unten, andere nahmen lieber den Hindernislosen Weg um die Tropfen herum. Ich wandte mich von den Regentropfen am Fenster ab und setzte mich in meinen Lieblingssessel. Er war auf altmodische hübsch, die Lehnen verziert mit Gold, rosé farbenen Blümchen auf dem abgenutzen beige. Früher hatte ich jeden morgen beim Frühstück, jeden Mittag für den Mittagsschlaf und Abends für die gute Nacht Geschichte in dem gemütlichen Sessel ,der sich beim Hineinsetzen weit nach hinten beugte, gesessen.
Müde schaukelte ich auf und ab und wog mich selbst in den Schlaf.
War ich froh, jetzt hier in einem gemütlichen Haus zu sein, während jetzt da draußen das Unwetter tobte. Wenn ich jetzt da draußen sein müsste, wäre mir viel zu kalt und ich würde mich wahrscheinlich erkälten. Aber wer war bei dem Wetter schon da draußen? Und dieser Tom, war schon süß, aber irgendwie geheimnisvoll. Tja er musste jetzt da draußen in einem Zelt schlafen und wahrscheinlich wurde er hin und her geschleudert. Der hatte echt Pech und... „Scheiße!“, sprang ich auf, „Tom!“ Ich schrie seinen Namen laut während ich nach mir einen Mantel überzog und nach draußen Eilte. Ich hatte zwar keine Ahnung wo Tom war, aber ich konnte ja doch nicht hier im warmen sitzen, während er da draußen dem Tod nahe war!
Der Regen peitschte mir ins Gesicht und der Wind machte es nur noch schlimmer. Ich rannte hilflos umher, denn ich hatte mir nicht gemerkt wo Toms Platz war. Und noch dazu war es stockdüster, nur der Blitz ließ den Wald für drei Sekunden so hell erleuchten, dass man trotzdem kaum etwas erkennen konnte. Es war grauenvoll, wie ein Spiel um Leben und Tod. Ich lief immer schneller und schneller, wohin war mir in diesem Moment egal, Hauptsache ich würde Tom finden. Denn aus irgendeinem Grund war er mir wichtig. Plötzlich überschlugen sich meine Beine und ich stolperte über einen Baumstamm. Mit dem flachen Gesicht viel ich in den Matsch und ich fühlte wie unter der braunen, kalten Flüssigkeit sich etwas warmes dickflüssiges lang schlängelte. Blut.
„Tooom!“, schrie ich laut, lang und sehr hell. Der Schrei endete in einem erstickendem, heiseren nach Luft schnappen und ich begann laut zu Husten. Ich schlang mich zu einem Ball zusammen, die Knie fest an meine Brust gedrückt und ich versuchte den Schmerz meines linken Beins zu ignorieren. Viel schlimmer fand ich, dass es meine Schuld sein würde wenn Tom sterben würde. Der vierte Mensch der meinetwegen starb, den ich umgebracht hätte!
„Emilyyy!“, schrie eine Stimme fast so hell und panisch wie ich eben.
Ich nahm meine letzte Energie zusammen und antwortete: „Toooom!“
Die Bäume vor mir wurden immer mehr von der Dunkelheit verschluckt und alles wurde schwärzer und schwärzer. „Emily!“, rief Tom wieder und schnelle Schritte näherten sich mir. „Tom“, flüsterte ich heiser und versuchte die Schwärze um mich herum zu klären und gerade zu sehen. „Emily“, Tom rüttelte feste an mir, sodass ich mein Gesicht vor Schmerz in meinem Bein zusammen zog und meinen Oberkörper hoch drückte. „Scheiße!“ Tom schlang seinen einen Arm unter meinem Hals, den anderen unter meinen Kniekehlen entlang und hob mich mit einem Schmerzensschrei von mir hoch. „Wohin?“, fragte er mich, viel zu laut wie ich fand. „Geh zur Straße an der Brücke“, nuschelte ich, „Ich erklär dir dann mehr.“ „Gut!“, sagte er wieder mega laut und seine Beine bewegten sich sehr schnell in irgendeine Richtung. Die Bäume standen verkehrt herum und entfernten sich immer mehr und mehr. Die Wärme von Toms Körper war wie der lebendige Frieden und ich vergrub mein Gesicht in seinem T-Shirt.
„Emily wach bleiben“, zischte Tom und ich versuchte meine Augen offen zu halten, als wir plötzlich an der Straße ankamen. „Wohin?“, fragte er wieder laut und ich murmelte ein kurzes „Haus von meiner Granny“ und hob meine Hand in die Richtung bevor meine Augen gewannen und ich sie schloss.

„Guten Morgen“, fragte eine sanfte Stimme vorsichtig und ich schlug meine Augen langsam auf. „Tom“, wollte ich sagen, doch meine Stimme war weg. „Schon okay“, lächelte er vorsichtig und setzte sich an die Bettkante.
Ich versuchte meine Beine zur Seite zu legen, doch mit dem entstehenden Schmerz, wegen welchem ich mein Gesicht verzog, kamen auch alle Erinnerungen an gestern in meinen Kopf und ich war kurz geschockt. Doch als Tom weiter sprach, fühlte ich mich wieder gut, „Ich weiß, dass es weh tut, aber es geht weg.“ „Mach dir keine Sorgen“, fügte er auf meinen fragenden Gesichtsausdruck zu, „Es ist nicht gebrochen oder so.“
Erleichtert atmete ich aus und sah auf das Tablett ,dass er mitgebracht hatte. Als würde er meine Gedanken nach Hunger lesen können, setzte er es auf meinem Bauch ab und erklärte: „Hier, lass es dir schmecken.“
Auf dem Tablett waren zwei Brote mit lecker aussehender Wurst und zwei Gläser Wasser. „Danke“, formte ich mit meinen Lippen und er nickte lächelnd. Vorsichtig schlängelte ich meine Hände unter der Bettdecke hervor und Tom half mir, wenn auch mit Schmerzen, mich aufrecht hinzusetzen.
Er fasste mich so vorsichtig an, als würde ich aus sehr dünnem Glas sein und ich fand es wundervoll, dass er so lieb zu mir war. James hatte mich immer nur grob und unvorsichtig angefasst. Das Brot schmeckte lecker, doch obwohl er mir beide Scheiben anbot und ich unaushaltbar großen Hunger hatte, aß ich nur eine. Ich konnte Tom ja nicht sein ganzes Essen wegnehmen.

Die nächsten Tage teilte Tom sein ganzes Essen mit mir, und da er nur für Lexa und sich Essen geklaut hatte, vielen die Mahlzeiten sehr mager aus.

„Ich muss sowieso abnehmen“, sagte er immer wenn ich mich weigerte sein Essen zu essen, obwohl er dünn aber durch trainiert war. Jeden Morgen wurde ich um die gleiche Zeit, mit einem Brot geweckt. Danach brachte er mich immer ins Badezimmer, wo bereits eine volle Badewanne auf mich wartete. Ich machte mich frisch und zog die von ihm frisch gewaschenen Nachtkleider meiner Oma an. Sie waren in fast allen Farben vorhanden, von weiß bis marine blau und alle aus Seide. Nachdem ich zwei mal gegen die Tür klopfe, kam Tom in Sekunden schnelle wieder ins Bad und hob mich zurück ins meist frisch mit Mikrofaser bezogene Bett. Gegen Mittag aßen wir meist einen Apfel oder eine Mandarine, mehr gab's nicht.

Danach schaffte er es immer wieder, dass ich den halben Nachmittag Spaß hatte. Entweder sahen wir Fern, spielten irgendein unsinniges Spiel oder redeten einfach. Er erzählte mir viel von seinem Leben, zum Beispiel das seine Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen und er ins Heim musste, weil er sonst keine Familie hatte. Insgesamt, ist er 16 mal aus dem Heim ausgebrochen, er wollte lieber frei sein, sagte er. Und jedes mal befreite er auch Lexa aus dem Tierheim, weil sie die einzige Erinnerung an seine Eltern war. „Dann lebte ich einfach mit Lexa im Wald weiter“, sagte er.

„Wie hast du es geschafft, dass der Staat nicht mehr nach dir sucht?“, fragte ich einmal. „War einfach so“, antwortete er immer knapp und ich merkte das er irgendetwas nicht sagen wollte. Doch ich wollte ihn nicht zwingen, er tat so viel für mich. Seit einem halben Jahr, lebte er mit Lexa in einem Zelt hier im Wald. Er erzählte mir auch, wie schwierig es war im Sommer an Essen zu kommen, da der Sommer Markt etwas weiter weg ist, und es zu schwierig ist in Supermärkten zu klauen.

Ich erzählte ihm alles von Jessy, James und meinen Eltern, ließ die Morde aber weg. Ich hatte Angst vor seiner Reaktion.

„Bei solchen Freunden kann ich das verstehen“, sagte er. „Was kannst du verstehen?“, fragte ich, gefüllt von Angst, dass er von den Morden irgendwo gelesen haben könnte. „Na, dass du hier im Wald, im dunklen Haus, wohnst“, entgegnete er und sah mich weich und eindringlich an. Durch seinen Blick fühlte ich mich einerseits wie ein Säugling in den Armen seiner Mutter, geborgen und wohl. Andererseits, versetzte mich sein Blick etwas in Angst. Angst davor, diesen Blick nie wieder zu sehen. Angst, Toms Stimme niemals wieder zu hören. Angst, Tom zu verlieren und vor allem hatte ich Angst, Tom ein bisschen zu sehr zu mögen...

„Was meinst du mit dem dunklen Haus?“, fragte ich um mich selbst abzulenken.

„Ach, nicht so wichtig. Als ich für Lexa und mich einen Platz fürs Zelt gesucht hab, bin ich an deinem Haus vorbei. Und weil es dunkel war und ich mir einbildete jemanden am Fenster zu sehen, hab ich's dunkles Haus genannt.“

„Achso!“, trug ich unbeeindruckt bei, „ich dachte schon es würden irgendwelche über das Haus oder mich herum gehen.“ „Wieso sollte es Gerüchte über so ein hübsches Mädchen geben?“, konterte Tom. Hatte er das gerade wirklich gesagt, hatte er mich hübsch genannt? Ich hielt die Luft an, während ich innerlich vor Freude tanzte. Ich musste mir ganz eindeutig eingestehen, dass dieser Junge, der süßeste Junge auf der Welt war und nicht so ein Ekel wie James, der immer nur an das eine Dachte. Nein, Tom machte mir Komplimente und kümmerte sich um mich!

Da ich nur mit hochrotem Kopf, und verlegen zur Seite schaute, beschloss Tom Abendessen zu machen. Es gab, wie jeden Abend, Ein kleines Stückchen Fleisch mit einer Ecke Brot. Mein Magen meldete sich, etwas zu laut, sodass Tom darauf bestand, das ich sein Brot auch noch aß.

Doch ich bestand, wie jeden Abend, nach einer langen Diskussion doch darauf, dass er sein Brot selbst isst.

Von Tag zu Tag ging es mir immer besser und ich fühlte mich immer wohler in Toms Nähe, auch wenn ich das niemals zugeben würde. Mittlerweile konnte ich schon ohne Hilfe , aber langsam, durchs Haus marschieren. Am Samstag kam Tom auf die Idee, mit mir raus zu gehen. „Frische Luft tut dir auch mal wieder gut!“, warf er ein, bevor ich protestieren konnte. Er hielt mir meine Jeans und meinen Pulli hin: „Hier hab ich frisch gewaschen... nur deine Unterwäsche hab ich nicht angerührt, war mir nicht sicher ob du das willst...“, verlegen starrte er auf den Boden. Grinsend nahm ich die Klamotten und schmiss sie aufs Bett. „Aber hier“, Tom zauberte eine grau karierte Boxershorts hinter seinem Rücken hervor, „Kannst eine von meinen anziehen.“ Ein Kichern rutschte mir heraus, woraufhin er noch verlegener schaute und sich nicht traute mir in die augen zu schauen. „Du bist so süß“, sagte ich bevor ich es zurück halten konnte, doch als ich merkte wie er sich etwas entspannte und sich über meine Worte freute, ging ich zu ihm gab ihm einen Kuss auf die Wange und flüsterte: „Danke.“ Einen Moment lang standen wir beide regungslos da, doch dann räusperte ich mich und schmiss ihn mit den Worten, „Ich muss mich jetzt umziehen“ ,raus. Froh über meine Tat, zog ich ihm zu liebe die Boxershorts, einen BH meiner Oma und die restlichen Sachen an und ging hinunter. Tom wartete in dem schmalen Eingangsflur meiner Oma. Die rosa farbene Tapete war mit unzähligen Bildern von mir geschmückt, was mich sofort erröten ließ. „Muss dir nicht peinlich sein... Bilder sind etwas schönes“, meinte Tom als er meinen verlegenen Blick sah und streichte vorsichtig über ein Bild neben ihm. Als ich mich ihm näherte erkannte ich das Bild. Es war im Sommer gemacht worden, meine Oma stand Arm in Arm mit meinem Opa hinter meinen Eltern. Meine Mutter war gerade schwanger mit mir gewesen und trug ein Hochzeitskleid. Mein Vater hielt ihre Hand und lächelte in seinem Anzug in die Kamera. Sie sahen alle so glücklich und problemlos aus, dass ich das Bild, genauso wie Tom, nur anstarren konnte.

Er hatte sich als erstes wieder gefasst und holte auch mich aus der Traumwelt einer glücklichen Familie. Während er mir Jacke, Mütze und Schal wie einem kleinen Kind anzog dachte ich weiter über das Bild nach. Wie wäre mein Leben gewesen wenn mein Opa nicht gestorben wäre? Wäre mein Vater dann vielleicht nicht so abgestürzt? Hätte er mich dann geliebt wie andere Väter ihre Kinder und würde meine Oma dann noch Leben? Ich stellte mir hundert Fragen auf einmal, doch weil ich wusste, dass ich darauf niemals eine Antwort finden würde, versuchte ich mich abzulenken und lächelte Tom an. „Also dann, ab in die Kälte“, lächelte Tom zurück und öffnete die Tür. Mit dem kalten Windstoß der uns überraschte kam auch ein Deja-vu. Ich fühlte mich wieder, wie an dem Tag wo ich meinem Vater das mit meiner Kündigung erzählt hatte und ich fühlte wieder den Schmerz in der Wange. „Alles okay?“, fragte Tom und nahm meine Hand von meiner Wange. „Ja alles super. Es ist nur... so kalt“, lächelnd versuchte ich ihn zu überzeugen und er zog mich ohne weiter zu fragen nach draußen. „Es wird dir gleich wärmer Ly, vertrau mir!“, beteuerte er mir doch mein Lächeln verwandelte sich in Wut. „Nenn mich nie wieder Ly!“, schrie ich etwas zu laut. Die Verwirrtheit stand ihm ins Gesicht geschrieben, „Okay mach ich nicht... ist gut!“ „Gut“, lächelte ich wieder. Ich war selbst erschrocken über meinen Ausraster und Ohrfeigte mich innerlich selbst. Was musste Tom jetzt nur von mir denken? „Ahh“, schrie ich kindisch als mich ein Schneeball in die Hüften traf, „Boa das bekommst du zurück!“ Kindisch kichernd humpelte ich zu ihm. Doch er ging ganz lässig vor mir weg. Mindestens fünf Minuten versuchte ich ihn zu fangen, während er mich humpelnd und langsam gehend verarschte. Doch endlich hatte er erbarmen und ließ sich von mir umwerfen. Ich landete im weichen Schnee auf ihm und wir lachten uns grundlos schlapp. Als wir uns langsam wieder gefasst hatten, sprang er auf, zog mich in seine Arme und wirbelte mich im Kreis herum. Kichernd schrie ich, dass er aufhören soll, was er schließlich auch tat. Arm in Arm sahen wir uns in die Augen. Seine blauen Augen sahen so schuldlos und treu in meine, dass ich nicht anders konnte, als seinen Kuss zu erwidern, als er sich hinunter beugte und meine Lippen sanft seine berührten.

In dieser Sekunde fühlte ich so viel auf einmal. Die Geborgenheit und Liebe die mir sein Kuss gab, erwärmte meinen ganzen Körper und ließ ihn beben. Toms Kuss war so anders als der von James. Er war nicht so wollend und voller Alkohol und Zigaretten Geschmack, sondern er küsste mich ganz vorsichtig und zart. Sein Atem war süßlich und seine Arme umschlungen mich behutsam. Aber warum verglich ich die Beiden überhaupt? Tom war nicht James und würde auch niemals so sein wie er! Ich setzte zu einem zweiten Kuss an, doch Tom stoppte plötzlich, sah mir voller Schmerz in die Augen und murmelte noch ein, „Es tut mir so Leid Claudia“, bevor er in den Wald rannte und aus meinem Sichtfeld verschwand. Ich verstand gar nichts mehr und kniete mich nurnoch weinend auf den Boden. Ich muss wohl lange dort gesessen haben, denn als ich aufstand war der Himmel bereits angedunkelt.



weiter gehts wie immer morgen oder heute abend :)) ein Kommi oder ein Herzchen würde mich sehr freuen :D

Gegenwärtige Vergangenheit

fd

Impressum

Texte: text is aus eigener Hand geschrieben, also meiner :) Bitte wundert euch nicht über einige Ausdrücke ;)) Und berücksichtigt die Rechtschreibfehler, wird alle nochmal überarbeitet :D
Bildmaterialien: Das Bild ist aus BookRix, deshalb erheb ich keinerlei Ansprüche an ihm
Tag der Veröffentlichung: 23.01.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch meinen Freunden und Familie :)

Nächste Seite
Seite 1 /