Cover

Mia - eine Tochter

MIA – eine Tochter

 

„Ihr habt wundervolle Kinder, Maddy.“, sagte man oft zu mir. Doch auch wenn ich diesen Satz mit einem Lächeln hinnahm, war diese Aussage eine Qual für mich.

Mein Sohn war wirklich wundervoll, aber „sie“ war es ganz und gar nicht.

 

Ich lebe mit meinem Mann Marcel und meinen Kindern in einem kleinen Haus.

Luka, mein Sohn, war mein Ein und Alles, er war eben wie jeder normale Junge in seinem Alter.

Nun zu seiner Schwester Mia, natürlich war sie meine Tochter, aber sie ähnelte weder innerlich noch äußerlich mir, geschweige denn Marcel. Mia war schon immer sehr speziell und gruselig gewesen. Anders kann man es nicht beschreiben, einfach monsterhaft. Zwar sah sie aus wie eine kleine Puppe, mit ihren langen braunen Haaren und ihren Knopfaugen, doch ihr Verhalten war ganz und gar nicht puppenhaft. Nein, sie war nicht aufmüpfig oder rebellisch wie andere Kinder im Kindergartenalter, sie hatte so eine angst einflößende Art. Sie sprach wenig und fühlte sich schon immer von Friedhöfen und auch vom Tod angezogen.

Einmal gingen wir mit den Kindern spazieren und kamen an einem Friedhof vorbei. Wir bemerkten nicht, dass Mia in den Friedhof hineingegangen war. Als ich mich zu ihr umdrehte, sah ich sie nicht mehr. Also lief ich den Weg zurück, während Marcel mit Luka weiterging. Als Mutter bekam ich natürlich Panik. Als ich Mia im Friedhof an einem Grab stehen sah, rief ich nach ihr, aber sie reagierte nicht. Ich ging zu ihr und wollte sie mitnehmen, doch ihre Worte trafen mich wie ein Schlag. Sie sprach sehr, leise nur für meine Ohren bestimmt. Die Worte höre ich immer noch in meinem Kopf „ Ich hasse dich. Die Person hier hat den gleichen Tod erlitten, wie du es eines Tages tun wirst.“. Ich stand starr da und spürte jeden einzelnen ihrer Blicke auf meiner Seele ruhen. Langsam näherte sie sich und berührte mich kurz an der Hand, dann brach ich zusammen und wachte erst zu Hause wieder auf. Ich wollte wissen, was passiert war,aber niemand sagte etwas. Es war, als ob ich gar nichts gesagt hätte. Mia grinste nur, mit dem kalten Lächeln einer Geisteskranken.

Selbst eine erfahrene Kinderpsychologin konnte sich das Verhalten und die Liebe für den Tod und für die Dunkelheit nicht erklären. Im Gegenteil, sie hatte Angst vor Mia und sagte uns, wir sollen nie wieder kommen. Ich war also nicht die einzige die Angst vor meiner Tochter hatte.

 

Mia's Verhalten wurde immer schrecklicher. Sie ging damals in den Kindergarten, als sich etwas Grausames ereignete. In ihrem Kindergarten gab es einen Tag, an dem die Kinder selber kochen dürfen, natürlich unter Aufsicht. Mia und ein anderes Kind hatten die Aufgabe, Gemüse zu schneiden. Als die Erzieherin nur kurz den Raum verließ, hörte man keine 10 Sekunden später einen hohen, grellen Schrei. Die Kinder und die Erzieherinnen rannte sofort in die Küche, von wo der Schrei kam. Das Bild war für die Personen so entsetzlich, dass mehrere davon einen Schock erlitten.

Mia hatte sich nicht bewegt, sie stand immer noch da und schnitt die Karotten klein. Doch das andere Kind lag am Boden und schrie immer wieder auf. Der Arm des Kindes war entlang der Pulsschlagader aufgeschnitten. Überall im Raum war Blut, auf dem Fußboden, an den Wänden, einfach überall. Wieder schauten sie zu Mia, die mit einem blutigen Messer Gemüse schnitt. Die Verantwortlichen brachten das Kind ins nahegelegene Krankenhaus und Mia wurde mit auf das Polizeipräsidium genommen. Von dort wurde ich auch angerufen. Als ich erfuhr, was passiert war und meine Tochter mit nach Hause nehmen sollte, bat ich den leitenden Polizisten, Mia in eine geschlossene Anstalt bringen zu lassen. Der Polizist sah Mia genau an, und wieder spürte ich diesen Blick von Mia ausgehend. Der Polizist verneinte und ich musste mit ihr gehen.

Der Kindergarten blieb geschlossen, da es für alle Beteiligten ein zu großer Schock war. Am Schlimmsten war die Nachricht, dass das Kind, welches verletzt wurde, nicht überlebt hatte. Also waren wir gezwungen, Mia zu hause zu betreuen.

 

 

Jedes Mädchen liebt es doch zu malen, nicht wahr? Ja, auch Mia zeichnet gerne, doch ganz andere Dinge als ich früher. Normale Kinder malen Blumen, Schmetterlinge oder einen bunten Garten. Meine Tochter zeichnet brennende Häuser, blutende Menschen und sonstige Katastrophen. Immer wieder kam sie ganz stolz zu Marcel und mir: „Mama ich hab gemalt!“ dann verschwand sie wieder in ihrem Zimmer. Neulich hat sie Marcel ein Bild gemalt. Total geschockt rief er bei mir auf der Arbeit an und erzählte mir panisch, was darauf zu sehen war. Als ich am Abend nach Hause kam, saß Marcel zusammengerollt mit einer Decke im Wohnzimmer und starrte das Bild an, als ich zu ihm ging, zuckte er zusammen und sah mich an. Er hatte ganz rote Augen und sehr blasse Haut. Ich küsste ihm auf die Stirn und ohne das Bild gesehen zu haben, fing ich an zu weinen, ich konnte nicht mehr. Wir brauchten eine Auszeit.

Das Bild zeigte ein brennendes Haus und zwei Strichmännchen im Vordergrund, unter den Köpfen war jeweils ein roter Fleck.

 

Ich legte das Bild weg und ging zu Mia ins Zimmer. Mit unterdrückten Tränen und geschlossenen Augen sagte ich zu ihr: „Mia, komm, wir packen ein paar Sachen für dich zusammen. Du wirst ein paar Tage bei Oma und Opa bleiben.“. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging ich zum Telefon und rief meine Eltern an, die nichts von dem schrecklichen Verhalten meiner Tochter mitbekommen hatten. Noch am gleichen Abend holte mein Vater sie ab. Ich hatte schon immer guten Kontakt zu meinen Eltern und sprach über alles mit ihnen ,aber über dieses Kind konnte ich auch meinen Eltern nichts sagen.

Als Mia weg war und Luka schon im Bett lag und tief und fest schlief, kümmerte ich mich um Marcel, der genauso da saß, wie vor ein paar Stunden. Ich fing nach einigen Minuten allein mit meinem Mann an, zu weinen, ich war ein einziges Nervenbündel geworden.

Damals wusste ich nicht, wozu mein Kind noch alles fähig sein würde, außer mich in einen solchen Zustand zu befördern.

 

Keine 24 Stunden nachdem wir Mia bei meinen Eltern untergebracht hatten, kam ein Anruf von einem verwirrten Feuerwehrmann, der uns fragte, ob wir die Eltern von Mia seien und dass wir sie von meinen Eltern abholen sollen. Als wir nachfragten, was passiert war, gab er uns keine Antwort, sondern legte einfach auf. Mein noch unter Schock stehender Mann wollte unbedingt mit, obwohl ich ihm abriet mitzukommen, doch er beharrte darauf. Also fuhren wir Böses ahnend, zu dem Haus meiner Eltern. Schon als wir in die kleine Altstadt hineinfuhren, sahen wir Rauch aufsteigen. Innerlich schickte ich ein Stoßgebet zu Gott, möge er es erhören. Ich hoffte nur, dass es nicht das alte Holzhaus meiner Eltern betraf, doch meine Hoffnung und mein Gebet wurden nicht erhört. Wir parkten das Auto zwischen Polizei-, Feuerwehr- und Krankenwägen.Marcel rannte aus dem Auto und ging vor dem zwar nicht mehr brennenden aber immernoch rauchenden Haus auf die Knie und schrie. Ich suchte geschockt und verstört nach einem Ansprechpartner, und nach Halt. Keins von beiden fand ich. Erst nach einiger Zeit voller Schock und Schmerz kam ein Polizist auf mich zu und bestätigte mir, dass meine Eltern tot waren.

Mehr hörte ich nicht, nur noch Rauschen und noch einen Schrei, vielleicht war es mein Eigener oder war es doch Marcel? Ich kann es nicht sagen, denn kurz darauf verschlang mich die Dunkelheit.

 

In einer Woche sollte die, von Marcel organisierte, Beerdigung stattfinden. In dieser einen Woche hatte ich Zeit mich abzulenken, doch es gelang nicht immer.

Ich wurde mir bewusst darüber, dass meine eigene Tochter ein Haus abgebrannt hatte und damit zwei liebenswürdige Menschen umgebracht hatte. Am Tage der Beerdigung brachte Marcel mich dazu, aufzustehen und meinen Eltern die letzte Ehre zu erweisen, auch wenn ich mich an diesem Tag am liebsten in eine Ecke verkrochen hätte und nie wieder herausgekommen wäre. Aber Marcel hatte Recht, ich sollte wirklich zur Beerdigung, also zog ich mich an und ging schließlich hin. Marcel und allen anderen Anwesenden war klar, dass ich mich ungern zeigte, doch ich tat es für meine Eltern. Mia stand die ganze Zeit hinter mir und sah mich an, ich spürte ihre Blicke in meinem Rücken. Dabei lief mir immer wieder ein kalter Schauer über meine Haut. Nach einiger Zeit kam Mia zu mir, nahm meine Hand und sagte mit einem lieblichen Ton in ihrer Stimme: „Mummy.“. Doch die Wut auf meine Tochter überkam mich und ich schlug ihr ins Gesicht. Die meisten Anwesenden sahen mich erschrocken und entsetzt an, während Mia mich nur mit finsterem Blick anstarrte,und ich glaubte ihre beängstigende Stimme zu hören: „Das wird Konsequenzen haben!“. Ich selbst war erschrocken über meine Reaktion und konnte die Blicke nicht verarbeiten, also rannte ich nach Hause. Ich konnte mit meiner eigenen Tochter nicht in einem Raum bleiben. Sie war einfach ein Monster.

 

Zu hause angekommen warf ich mich auf mein Bett und weinte. Wieso war sie so, ich habe ihr nie etwas getan? Hab ich sie falsch erzogen? Solche Fragen gingen mir durch den Kopf. Die Beerdigung war noch nicht vorbei und dennoch hörte ich ganz leise Schritte unten im Erdgeschoss. Sofort kam mir der Gedanke, dass sie mich auch umbringen will. Vor lauter Panik setzte ich mich in den Schrank, obwohl ich wusste, dass mir das keinen Schutz bieten würde, falls man mich angreifen würde, falls „sie“ mich angreifen wird.

 

Als ich durch die Tür des Schrankes lugte, sah ich zu meiner Erleichterung meinen kleinen, humpelnden Luka, aber warum humpelte er? Ich verließ mein Versteck, lief zu ihm hin und wollte ihn in meine Arme nehmen, doch er fiel neben mir auf den Boden und dann sah ich den Grund warum er humpelte. Jemand hatte Luka ein Küchenmesser in den Rücken gerammt und ihn somit getötet. Tränen der Trauer und der Verzweiflung liefen mir über die Wangen, ich konnte es nicht fassen: Meine Tochter bringt meine Familie um, war es das, was sie wollte? Ich konnte es mir nicht anders erklären, eigentlich wollte ich es nicht wissen.

Wahrscheinlich war ich so geschockt über den Tod meine Sohnes, dass ich Mia nicht bemerkt hatte. Sie stand in der Tür des Schlafzimmers und sah mich bedrohlich an. Ich schrie sie an: „Warst du das? Hast du das getan? Du hast deinen eigenen Bruder getötet?“, sie stand weiterhin nur starr da und grinste mich finster an. Meine Wut war nun stärker als meine Trauer, so rannte ich also auf meine Tochter zu und schrie sie an. Kurz bevor ich sie erreichen konnte, richtete sie ein weiteres Messer auf mich. Ruckartig blieb ich stehen und starrte sie an. Immer noch hatte sie die Klinge auf mich gerichtet. Aus Reflex ging ich einige Schritte zurück und stieß an die Wand. Noch immer starrte sie mich an und lächelte bedrohlich. Gerade wollte meine Tochter auf mich zu gehen, da hörte ich wie Marcel ins Haus kam und nach mir rief. Mia lachte noch bedrohlicher als vorher. Hatte sie etwa auch vor Marcel, ihren eigenen Vater, zu töten? Immerhin hatte sie ihren Bruder ebenfalls getötet.

 

 

Aus irgendeinem Grund konnte ich Marcel nicht warnen, meine Muskeln waren wie gelähmt. Mein Mann war gerade dabei, die ersten Stufen unserer Holztreppe hinauf zu rennen, wahrscheinlich auch in den Tod, als sich Mia dazu entschloss, die Klinge runter zu nehmen. Wieder rief Marcel nach mir und spurtete die letzten Treppenabsätze hinauf. In einer gekonnten Bewegung rammte Mia, noch bevor Marcel es merkte und sich wehren konnte, das Messer in seinen Bauch und stieß ihn mitsamt dem Messer die Treppen hinunter. Ich schrie laut auf und drängte mich weiter in die Ecke des Zimmers. Verzweifelt rief ich nach Hilfe, obwohl ich jetzt mit diesem Monster allein in einem Haus war und wusste, das mich niemand hören wird. Langsam kam Mia immer näher und lachte nun, wie eine Hexe, laut auf und da sah ich sie. Ihre spitzen Zähne, fast wie bei einem Raubtier. Verängstigt und verstört fragte ich sie: „Warum?“, und mit einer Stimme, die ich nie meiner Tochter zuordnen konnte antwortete sie : „Das liegt in meiner Natur, Mummy.“. Kurz darauf sprang sie auf mich und versuchte mich, ja sie versuchte mich zu beißen. Eine Weile konnte ich sie immer wieder abschütteln, doch irgendwann gelang es mir nicht mehr. Mit einer unbändigen Kraft drängte sie mich mit ihrem kleinen Körper noch enger in die Ecke, sodass ich sie nicht mehr zurückdrängen konnte. Ich versuchte es, leider erfolglos. Sie biss mich in den Hals und das letzte was ich sah, war ein Blutbad meiner Familie, ausgelöst durch meine Tochter.

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.01.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /