Cover

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Sie durchsuchte gekonnt die Taschen des Toten. Es befand sich nichts darin, was sie gebrauchen könnte oder was auch nur annähernd ihre Neugierde weckte. Nur zwei Papierfetzen, die die Form eines Rechteckes hatten. Sie waren in der Mitte gefaltet, so dass die Ränder präzise aufeinander lagen. Mit ihren schlanken Fingern, überzogen von eng anliegenden, schwarzen Handstulpen, entfaltete sie die Fetzen. Auf beide Papierstücken war jeweils ein Wort in Blockbuchstaben geschrieben. Ihre entschlossenen Augen verengten sich ein wenig, denn sie bemühte sich, die Worte zu entziffern. Doch egal, wie sehr sie sich auch anstrengte; man konnte es nicht lesen. Der Schweiß, den der Tote bei einem Kampf gegen ein , wahrscheinlich, wildes Tier abgestoßen hatte, hatte das Papier völlig durchnässt.
Sie steckte das Papier wieder zurück in die Taschen der Leiche und betrachtete sie noch einmal gründlich. Für sie war klar, dass der Mensch gekämpft haben musste. Aber gegen was? Und vor allem, mit was, wenn er keine Waffe bei sich trug?
Ihre klaren, aber kühlen Augen wanderten über seine Beine hinweg bis zu seinem Oberkörper. Eine Handbreit unter seiner Brust war eine sehr schwache Wölbung zu erkennen. Sie rang mit sich selbst, doch sie ließ sich zurück auf die Fersen sinken und fuhr mit einer Hand über die Wölbung. Dort war tatsächlich etwas.
Schnell öffnete sie geschickt einen Knopf der Kleidung des Toten, dann den nächsten. Etwas Rotes leuchtete kurz auf. Ihre Augen funkelten. Mit einer Hand fuhr sie in die nun halb offene Kleidung hinein und umfasste das, was sie für eine Waffe hielt. Sie spürte es. Doch es verschwand plötzlich aus ihrer Hand. Verdutzt sah sie zur Kleidung. Es bewegte sich. Die Wölbung war nun nicht mehr unter der Brust, sondern kurz vor dem mit Steinen verzierten Gürtel. Sie schob ihre Hand weiter hinein und umfasste es wieder unsanft. Ihre Gefühle verrieten ihr, dass es sich wieder bewegte. Doch diesmal entkam es nicht aus ihrem Griff, weshalb sie zügig die Hand hervorzog. Das, was sie sah, versetzte ihr zwar keinen Schrecken, doch sie hatte dies nicht erwartet. Kühle, gelbliche Augen stachen in ihre eigenen und ein blauer Edelstein an seinem Hals blitzte auf. Die Frau wich dem Blick des Tieres nicht aus, sondern starrte zurück. Sie wusste nicht genau, was es war, doch sie bezeichnete das Tier einfach als Echse. Das Wesen steckte kurz seine rote Zunge heraus und tastete sich an der schwarzen Handstulpe, bis hin zu dem weißen Arm der Frau entlang. Es lief diesen hinauf bis zu der Schulter. Dort blieb es still.
Rosé bewegte sich nicht. Ihre Augäpfel bewegten sich weites gehend zu dem Tier. Sie horchte auch Aufmerksam. Und wirklich, sie konnte das schnaufen der Echse hören. Es quietschte manchmal komisch in der Lunge des Geschöpfs. Wenn Rosé diesen Laut hörte, machte sich schlagartig eine Übelkeit in ihrem Magen breit. Es erinnerte sie an die alte, dicke Dame, die immer auf dem Marktplatz gesungen hatte, wo sie einst in jungen Jahren lebte. Sie verwarf ihre Gedanken schnell wieder.
»Du bist aber ein hübsches Kerlchen...«flüsterte Rosé der Echse entgegen, während sie ihren Hals in dessen Richtung wandte. Es sah sie noch immer mit den gleichen gelblichen Augen an. Ein leichtes Schmunzeln legte sich über die Lippenpartie der jungen Frau.
»Ich glaube, ich nehme dich mit. Als eine Art... Begleiter. Vielleicht wirst du mir noch einmal von nutzen sein. Wenn nicht, kann ich dich immer noch aussetzen und dich an die Bestien verfüttern, aber nicht jetzt und nicht heute.«
In ihrer Stimme lag ein bestimmender Ton. Nichts bösartiges, aber bestimmend.
Die Frau erhob sich und strich ihren, bis zu den Knöcheln reichenden, schwarzen Umhang sauber. Sie umfasste die Kapuze und schüttelte sie kurz aus, um sie danach wieder über ihren Kopf ziehen zu können. Die Kapuze, die an dem Umhang gefestigt war, verbarg die Haare der jungen Frau.
Als sie ihren ersten Schritt machte, spürte sie, wie sich die Echse von ihrer Schulter unter ihren Umhang verkroch und sich einen Platz zwischen ihrem Dekolletee suchte. Ein recht ungewöhnlicher, aber wohl angenehmer Platz für eine Echse, dachte sie. Ohne dem Tier weitere Beachtung zu schenken, setzte sie ihren Weg fort.
Sie verlor langsam den Schutz der Dunkelheit, da sich die ersten Sonnenstrahlen langsam über D`Horo erstreckten. Sie hielt ihre Hand schützend über ihre Augen, um über einen Hügel spähen zu können. Sie wollte diesen Hügel noch vor der heißen Morgensonne erreichen. Ein kühler Seufzer glitt durch ihre hellen, geschmeidigen Lippen und sie setzte ihren Weg fort, um ihr Ziel zu erreichen.

Rosé lief über Acker hinweg, umging riesige Löcher, die sich in dem taufeuchten Boden befanden und kam vor der Morgensonne auf dem niedrigen Hügel an. Eine sachte Windböe erfasste sie und löste eine Strähne ihres Haares aus der Frisur. Das durch den Wind leicht gewellte Haar wollte fliegen, doch der Körper konnte es nicht, an dem es hang.
Rosé erhob eine Hand und steckte ihre roten Strähnen, die sich gelöst hatten, wieder zurück unter die Kapuze. Erst jetzt blickte sie über das Land, das hinter dem Hügel lag. Es war eine kleine Stadt, in welcher sie noch nicht viel Leben erblicken konnte. Es liefen nur vereinzelt ein paar Leute umher, die ihre Läden öffneten und frische Waren verkauften.
Rosé entschloss sich, in die Stadt zu gehen. Sie hatte ein wenig Geld erbeutet, also konnte sie sich vielleicht für die nächsten Tage ein wenig Proviant besorgen, bis sie die nächste Stadt erreichte. Diese Denkensweise gehörte nun fast schon zu ihrem Tagesablauf, auch wenn sie damit nicht besonders Glücklich war. Aber was sollte sie tun? Sie lebte, mehr wollte sie gar nicht.
Ihr stockte kurz er Atem. Sie verspürte einen kurzen Schmerz in ihrer Brust. Prüfend tastete sie sich ab. Ein erleichterter Laut kam von ihr als sie wusste, dass es nur die Echse gewesen war, die sich mit einer Kralle kurz in ihren Sachen verhakt hatte.
»Pass doch auf...«, bemerkte sie mürrisch und gab der Echse einen kleinen Klaps. Es hörte sich so an, als würde das Tier auf den Klaps hin ein brummen von sich geben. Wieder umspielte ein sachtes Lächeln Rosés Lippen.

Die junge Frau bewegte sich auf das Tor der Stadt zu. Fein säuberlich angezogen in ihren roten Uniformen standen zwei Wachen an ihrem Posten, der ihnen zugeteilt worden war. Das Eingangstor.
Die Stadt war umringt von einer steinernen Mauer. Die Bürger fühlten sich so sicherer, doch für Rosé war es nur eines; ein Käfig. Eingefangen in einem steinernen Käfig. Die Menschen waren schon so blind, dass sie all das glaubten, was man ihnen erzählte. Sie würden es glauben, wenn man behauptete, dass die Erde morgen untergehen würde.
Rosés Augen musterten die Mauer genauer. Man könnte ohne Hilfsmittel über die Mauer klettern. Ohne jegliche Hilfe, mit den bloßen Händen. Sie schüttelte den Kopf und näherte sich den Soldaten. Zuvor zog sie aber die Kapuze noch zu Recht, so dass man ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. Den Kopf nach unten geneigt ging sie zu den Männern in den roten Uniformen. »Entschuldigen Sie, Sir. Sie können doch nicht einfach ... Sir!«. Rose ging, ohne dem Wachposten Beachtung zu schenken, ihren Weg weiter. Der Soldat gab auf. In der Hoffnung, das der ‚Mann’ zu den Bürgern gehörte, stellte er sich zurück auf seinen Platz. Er bemerkte, wie sein Kollege schmunzelte.
Die Frau seufzte. Wieder hatte man sie für einen Mann gehalten, zum Glück. Hätte man sie als Frau erkannt, hätten sie nach einer Erlaubnis verlangt. Das schwarze Cape von Rosé war zum Glück etwas größer geschnitten, so dass er auch nicht ihre weiblichen Knospen nachzeichnete.
Sie blickte auf. Viele Menschen liefen jetzt schon auf den Straßen herum und erfüllten diese mit etwas Bewegung und auch kleinlauten Auseinandersetzungen; dass hätte Rosé nicht gedacht. Sie raßen sich um die besten Angebote bei dem Obst und dem Gemüse, drängten sich aber auch vor den Textilien. Sie selbst wollte eigentlich nur etwas zu Essen und Wasser. Es hatte sich herumgesprochen, das man kein Wasser aus de Natur noch trinken solle, da die Gewässer wohl immer giftiger werden würden. Rosé wusste nicht, ob sie diesen Gerüchten glauben schenken sollte, aber was sollte sie sonst tun? Der Aussage misstrauen und es testen? Das wollte sie nicht aufs Spiel setzen, also kaufte sie sich lieber etwas.
Die junge Frau hatte Schwierigkeiten, sich in der großen Stadt zurechtzufinden. Leute versperrten ihr die Sicht und die Marktschreier übertönten sich, so dass man gar nichts mehr verstehen konnte. Rosé seufzte. Sie wollte erst einmal aus dem Gedränge heraus, in irgendeine stille Ecke – und sie fand auch eine. Super, dachte sie, nun müsse sie dort nur noch hinkommen.
Schweren Schrittes machte sie sich auf den Weg. Man wolle es nicht glauben, aber sie brauchte eine ganze Weile, um die sechs Meter Marktstraße zu überqueren. Ihre Augen erspähten einen Getränkestand. Ein Erleichterungsgefühl machte sich in ihr breit und sie steuerte auf den Stand zu.
»Junger Herr, passen sie doch auf!«, rief ein Mann, der sich, ihres Achtens nach, die Freiheit genommen hatte, sich vor sie zu stellen. Sie schwieg auf seine Worte hin. Ihr Blick wanderte unkontrolliert über seine Kleidung. Die Augen weiteten sich. Auf seiner Schulter war ein Zeichen aufgestickt. Ein Siegel. Ein Siegel, das sie nur zu gut kannte. Ihr Atem stockte kurz, und sie vernahm für kurze Zeit die Realität nicht mehr. Konnte das wirklich sein? ...
»Junger Herr, bitte, was möchten Sie?« Sie wurde zurück in die Gegenwart gezogen. »Ich... ich würde gern meinen Wasservorrat etwas aufstocken«, antwortete sie der Alten, der der Stand gehörte. Rosé bezahlte passend und ließ ihre beiden mit Leder überzogenen Flaschen auffüllen, welche sie dann wieder dankend an sich nahm. Die schlanke, junge Frau drängte sich durch eine weitere Masse von kauflustigen Menschen und blickte über die Köpfe der Leute umher. Wo war er hin? Sie war der Meinung, dass er eben noch genau vor ihr gestanden hätte. Hatte sie sich getäuscht? Nein, das konnte nicht sein. Ihre Sinne haben sie noch nie im Stich gelassen. Ein seufzen glitt abermals durch ihre halboffenen Lippen.
Sie steckte das Wasser in eine kleine Tasche, die unter ihrem Cape versteckt war, und ging ihren Weg weiter. Vielleicht hatte sie sich ja wirklich nur getäuscht und hatte die Stickerei falsch gedeutet. Vielleicht war es gar nicht das, für was sie es hielt. Sie wusste es nicht. Und sie versuchte, den Gedanken genauso schnell zu verdrängen, wie die anderen, nutzlosen Überlegungen.
In langsamen Schritten fügte sie sich wieder dem Gedrängel ein. Ihr Ziel war ein Ort, an welchem sie sich nicht verstecken musste und als Frau kein Aufsehen erregte – ihr Aussehen war an vielen Orten nicht gern gesehen. Nur, wohin sollte sie? Ihre Ortskenntnis war nicht genügend ausgebildet, um sich überall zurechtfinden zu können.
Die Rothaarige wich kurz zur Seite, da ein wohl schon älterer Mann hinter ihr nach Platz schrie. Der Alte hatte vier Männer im Schlepptau, alle samt betrunken. Sie johlten und grölten was ihre Stimme hergab. Rosé verzog angewidert das Gesicht. Sie spürte, wie ihr kleiner Begleiter genauso angewidert war, weil er sich bewegte. Sie lächelte kurz in sich hinein, dann blickte sie die Straße hinunter, von wo der Mann gekommen war. Wenn sie richtig dachte, müsste man auf eine Bar stoßen, wenn man dem Weg folgte. Dies wäre nun genau das richtige, und in etwa genau das, wo sie hinwollte. Ihre Schultern hoben sich sachte und sie ging einfach ihrem Gefühl nach. Sie verschwand in der Menschenmenge.

Impressum

Texte: Photo (c) by Soulveren
Tag der Veröffentlichung: 26.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
All meinen Freunden, die mich zu jeder Zeit unterstützt und aufgeheitert haben.

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