Da stand ich mit meiner Gitarre bewaffnet in unserem Übungsraum um einige eben fertiggestellte Musik-Demos mit einfachsten Mitteln auf Video zu bannen. Die Stücke hatte ich für eine befreundete Sängerin mit viel Talent, gutem Aussehen (sehr hilfreiche Kombination)aber mit einer etwas grenzwertigen englischer Aussprache geschrieben. In der Musikszene der Mitte-Achtziger schien mir das aber kein nennenswertes Problem darzustellen. Möglicherweise hatte ich es damals selbst auch nicht bemerkt..
Wie gesagt da stand ich mit meinen engen , unten umgeschlagenen engen Jeanshosen, den hohen Adidas Turnschuhen mit heraushängender Zunge und einem grauenfhaften schulterwattiertem hellblau gestreiften Blazer, der in den modisch völlig aus dem Ruder laufenden 80igern unausweichlich nötig zu sein schien.
Das Tape begann, wir “posen” wie in einem schlecht gemachten US-Video, das am Ende wohl einer Karikatur aus Madonna und Bon Jovi alle Ehre gemacht hätte. Der Take startete und nach etwa 30 Sekunden krachte mir unvermittelt eine, mit schwarzem Stoff bespannte und als Deko-Hintergrund gedachte Spanplatte ins Kreuz. Das brachte damit die Aufnahme zunächst zum Stillstand. Nach dem ersten Schock und einer medizinischen Selbstanalyse, brachten wir die Deko wieder in Ordnung und setzten das Projekt Videoaufnahme fort. Wir arbeiteten noch mehrere Stunden konzentriert an den Aufnahmen umd waren am Abend nicht einmal unzufrieden. Gott sei dank sind die alten VHS Aufnahmen längst verschollen. So bleibt einem nur die Erinnerung daran und die ist sicher gnädiger als die auf Video-Band gebannte Wahrheit.
Im Verlauf der nächsten zwei Tage wurde mir immer mehr gewahr dass meine vor Tagen gestellte Selbstdiagnose womöglich schulmedizinisch nicht länger haltbar war.
Trotz meiner im Schnitt 60 Luckies, welche aber zum beträchtlichem Teil in Studioaschenbechern oder eben oben am Gitarrenhals vor sich hin glühten sowie auch einem Rock'n Roll-Mucker angemessenem Alkoholkonsumes war ich mit Anfang der dreisiger doch noch in leidlicher körperlicher Verfassung - aber jetzt glich meine Kondition doch eher einem astmakranken Achtzigjährigen.
Zudem vernahm ich vermehrt seltsame Geräusche in meiner, ja ehrlich - kein Witz, in meiner Achselhöhle. Es blubberte und gluckerte. Tja gerade so als würde man eine halbvolle Wasserflasche hin und herschwenken.
Du liegst im Bett und drehst Dich und es macht blub,blub,blub und blub. Man spürt dass es im Brustkasten Hohlräume gibt die da nicht hingehören. Nach ein paar Tagen des vergeblichen Wartens auf eine Wunderheilung entschloss ich mich endlich doch einen Arzt aufzusuchen. Gesagt, getan.
Übrigens:Dass der Mensch mit eher schlechten hellseherischen Fähigkeiten ausgetattet ist macht übrigens sehr,sehr viel Sinn.
Ich quälte mich also am folgenden Tag zu dem Arzt in der kleinen Stadt. Der brauchte auch nicht lange um festzustellen dass eine meiner Lungen den Dienst eingestellt hatte. Pneumothorax nannte er das. Dabei wir die Lunge undicht und fällt in sich zusammen. Er griff zum Telefonhörer um einen Krankenwagen abzurufen. Ich konnte Ihn gerade noch davon überzeugen dass ich noch Einiges zu regeln hätte und versprach Ihm auf Ehrenwort, sofort am nächsten Tag das Krankenhaus aufzusuchen. In Wahrheit wollte ich natürlich nur Zeit schinden um etwas runterzukommen und mir noch eine Galgenfrist erschwindeln. Ich musste die Sache einfach noch sacken lassen.
Die Spanplatte hatte wohl dazu geführt dass eine meiner Lungen, aus welchem Grund auch immer, kollabiert war. Anders ausgedrückt, der Lungenflügel hatte ein Loch und hing nun wie eine geplatzter Gummiball, so stellte ich mir das jedenfalls vor, schlaff in meinem Brustkorb herum. Durch das Loch entwich die eingeatmete Luft in das Innere des Brustkorbes und dort blubberte und pfuste Sie munter herum und gab, vor Allem wenn man sich im Bett drehte, dort nicht gern gehörte Geräusche von sich.
Auch fand ich beim Rauchen die Vorstellung dass in meinem Brustraum blaue Rauchschwaden herumwehen nicht gerade erbaulich. Was mich aber nicht davon abhielt weiter zu qualmen. - zunächst nicht..!!
Meine leidgeplagte Familie, vor allem aber meine, vom Rock’n Roll gestählte Ehefrau, wurden von mir mit der frohen Botschaft beglückt dass ich, ja ich, ins Krankenhaus müsse. Nur ein paar Tage. Wenn man dem Doktor trauen kann..
Man würde mir einen Schlauch einsetzen, die Lunge wieder aufblasen, welche sich dann wieder selbst anlegt und abdichtet und dann ist alles wieder gut... Also alles halb so schlimm...
Am nächsten Morgen fuhren wir dann los, nicht ohne noch in der Tanke ein paar Schachteln Luckies zu kaufen..
An der Patientenaufnahme des Krankenhauses nahm dann die Sache Fahrt auf. Und wie... Aber der Reihe nach..
Ich stellte mich also brav an und als ich an die Reihe kam sagte ich mein Sprüchlein auf.
”Hallo mich schickt mein Hausarzt und ich habe einen Pneumothorax..”
“Ja is klar” sagte die Schwester und bat mich Platz zu nehmen. Ich konnte noch ein geduldig-zweifelndes Kopfschütteln aus den Augenwinkeln sehen. So als wollte Sie sagen - "Pneumothorax und dann zu Fuss mit der Tasche unterm Arm hier antanzen.."
Wenige Minuten später kamm flotten Schrittes ein Arzt, ein Pfleger, ein Rollstuhl und schwupps war ich unterwegs zur Behandlung..
Was dann kam war gar nicht witzig..
Zunächst wurde ich geröngt und dann ziemlich flott in den OP gebracht. Man zeigte mir kurz mehrere, im Betrachter aufgehängte, Röntgenbilder. Selbst mit ungeschultem Auge sah ich sofort dass die eine Seite des Brustkorbes sich deutlich von der anderen Lungenhälfte unterschied. Genaugenommen sah man auf der einen Seite nur ein schmalen Schatten. Dieser Schatten war der zusammengefallene Lungenflügel.
Der behandelnde Arzt sagte mir in etwa das gleiche was mir schon der Hausarzt mitgeteilt hatte. Nur hatte Dieser wohlweislich ein paar hässliche Details weggelassen.
Nun gut.-, man werde mir eine Kanüle zwischen zwei Rippen in den Brustraum einführen, dann werde man eine Vakuumpumpe anschliessen welche dann mittels Unterdruck im Brustraum die Lunge zur Ausdehnung bringen werde. Die ausgedehnte Lunge würde sich dann an den Brustraum anlegen und sich mittels der körpereigener Heilfunktionen selbst verkleben und die Löcher würden sich verschliessen. Nach zwei Wochen wäre das dann spätestens wieder in Ordnung. - Zwei Wochen - ich dachte in zwei Tagen wäre die Sache gelutscht... - große Katastrophe - alle meine “lebenswichtigen” Termine und Aufgaben - zwei Wochen - grande Katastrophe.!! ...Trau niemals einem "Weisskittel" wenn er was von 2 Tagen oder so sagt..
Als nächstes lag ich seitlich auf einer Op-Liege. Eine freundliche blickende OP-Schwester, welche nur aus grünem Stoff und zwei großen freundlichen Augen zu bestehen schien, sprach mit mir und sagte so was wie; ich solle mich entspannen und dass es nicht lange dauern würde.
Hinter mir schien betriebsame Unruhe zu herrschen. Ein Arzt, so vermutete ich, beugte sich von hinten zu mir herüber und sagte dass jetzt eine lokale Betäubung Betäubung gesetzt würde.
Wieso lokal???? - ich will ne Vollnarkose!! -hilfe!! -schrie es in mir auf, doch äusserlich war ich der Held, der hartgesottene Rock'n Roller. Ich nickte irgendwie brav und ergab mich in mein Schicksal.
Hinter wurde in “doktorischem-Fachchinesisch” diskutiert und mir fiel mit grossem Unbehagen auf, dass da irgendwie nicht alle Beteiligten einer Meinung waren. Der Tonfall war angespannt,die Sätze kurz und laut. Dann schien jemand die Sache abzuwürgen.
Die beiden so vertrauenswürdigen OP-Schwester-Augen schweiften zwischen mir und den anderen Probanten hin und her. Dabei fiel mir auf dass immer wenn Sie in die Richtung hinter mir blickte zeigte sich eine kleine steile senkrechte Falte auf Ihrer Stirn. Blickte sie mich wieder an verschwand Diese und der Blick wurde wieder weich und tröstend..
Das mich das beruigte kann ich nicht gerade sagen..
Die Minuten vergingen und ich wurde innerlich immer nervöse und mir ging der A... auf Grundeis.. antarktisches Tiefsee-Grundeis wohlgemerkt.
Ich lag auf der Seite, den oben liegenden Arm am Kopf vorbei gestreckt und mit der Hand den oberen Rahmen der OP-Liege umklammernd.
Dann kam der Arzt wieder von hinten und sagte dass es nun los gehe und ich auf sein Komando hin die Luft anhalten solle.
Dann geschah alles sehr schnell.. Ich spürte einen, gefühlsmässig monströse kalte Nadel an den Rippen - dann einen Druck, einen unglaublichen Schmerz als die Kanüle zwischen zwei Rippen hindurch in meinen Brustkorb eindrang. ...Wo war eigentlich die "fu...ng" örtliche Betäubung..??
Sterne tanzten vor meinen Augen, ein dumpfer Schrei presste sich aus meinem Mund, die Augen meiner Op- Schwester weiteten sich und Ihre auf meinem unteren Arm liegenden Hand packte fest zu als ich mich vor Schmerzen krümmte. Als der stechende Schmerz sich anschickte etwas nachzulassen, spürte ich einen eiskalten Hauch in der Brust, gefolgt von einem neuen,rasenden aber gänzlich anderen Schmerz. Zeitgleich hörte ich einen lauten Ausruf eines der Beteiligen hinter mir. “ Anlegen - vorher - sagte ich..” war ein Wortfetzen der sich bis heute in mein Hirn eingebrannt hatte.
Instinktiv hielt ich die Luft an während die Luft über die Kanüle in meinen Brustraum strömte -
Ich hatte das Gefühl zu ersticken schnappte unwillkürlich nach luft. Der eiskalte Schmerz, der sich anfühlte als würde man mit offenen Zahnhälsen und blankliegenden Nerven in ein schockgefrostetes Zitroneneis beissen wurde übermächtig. Ich zuckte wild auf dem OP Tisch umher.. Ich spürte einige Hände auf meinem Körper die mich auf das Bett drückten..Luftanhalten -schoss es mir durch den Kopf - Deswegen sollte ich die Luftanhalten - aber der Arzt hatte mich nicht dazu aufgefordert, so wie er es angekündigt hatte.
Mein linker, obenliegender Arm hatte inzwischen den Bettrahmen so umklammert dass ich das Gefühl hatte er würde gleich abbrechen..
"Zumachen - schliessen" - waren die nächsten Worte die ich hörte und dann liess der eiskalte Hauch in der Brust schlagartig nach ...
Dann war der Höllen-Spuk vorbei... Es blieb ein dumpf drückender Schmerz in der ganzen Brust, eine Erlösung nach dem eisig-schreienden Desaster zuvor.
Die Augen der Schwester sahen ein wenig bedeppert aus und sie strich mir mit ihrer Hand über den Arm..
Hinter mir herrschte ein eigenartiges Schweigen welches sich nach einiger Zeit zu einem mir unverständliches Gemurmel entwickelte..
Dann sagte man mir ich könne mich auf die Seite legen und dass es nun auf die Station gehe..
Ich blickte an meiner linke Seite herunter und sah dass aus einem Pflastergebilde in Höhe meiner vierten Rippe ein Schlauch herauskam..
Der Schlauch verschwand an der Bettkante..
Ich war restlos erschöpft und wurde das Gefühl nicht los dass hier gerade Etwas schiefgelaufen war..
Nun gut - ich kam auf die Station - und harrte der weiteren Dinge die kommen sollten..
Ein Gedanke aber ging mir nicht mehr aus dem Kopf... Als dieser eiskalte Hauch in meinen Körper schoss - beschloss ich dass nie wieder in meinem Leben etwas anderes als “Luft” in meine Lungen kommen würde. Jedenfalls nicht bewusst und vor Allem nicht in Form von Zigaretten.
Ich hatte die schnellste und brutalste Rauchentwöhnung hinter mir.. Und das hielt an - bis heute...
to be continued....
Texte: ©SFM2010
Tag der Veröffentlichung: 08.03.2010
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