Die Kürbisse würden bald reif sein. Farmer Lamson stand mit den Gummistiefeln mitten auf seinem Feld und machte ein zufriedenes Gesicht. Pesius 13 – dieser Planet war eine Wucht! Seine ganze Oberfläche bestand praktisch nur aus Vulkanasche, welche ein ausgezeichneter Nährboden für viele Nutzpflanzen bot. Das Wort ‚Missernte’ hatte auf Pesius 13 keine Bedeutung. Wer hier als Farmer nicht zurande kam, sollte sich besser nach einem anderen Beruf umschauen.
Lamson ging rüber zum Zuchettifeld. Hier war die Robotererntemaschine schon voll am Werk. Mit einem leisen Summen glitt die leichte Konstruktion vorüber; tat ihre Arbeit ohne den Boden zu beschädigen.
Farmer Lamson besass drei dieser Maschinen; und er hatte genug Geld auf der hohen Kante, um eine von ihnen ersetzen zu können, falls dies notwendig werden sollte.
Die Erntemaschinen bezogen ihren Strom von dem gemeinschaftlich betriebenen Windturm. Der Betrieb dieses Windturms wurde von 3000 Farmern finanziert und aufrechterhalten. Der Turm erstreckte sich fast einen Kilometern in die Höhe und berührte manchmal beinahe die Staubschwaden, die den Himmel von Pesius 13 fast ständig bedeckten. Unten am Turm wurde warme Luft angesogen, welche dann von selbst zur anderen Seite der riesigen Röhre zu den kälteren Luftschichten nach oben drängte. Durch diesen Prozess konnte einerseits Elektrizität gewonnen werden. Andererseits schieden die abkühlenden Luftmassen auf dem Weg nach oben Wasser ab, welches auf diesem warmen, trockenen Planeten höchst willkommen war.
Lamson kontrollierte noch sein Tomatenfeld. Wie die meisten Farmer auf Pesius 13 praktizierte er die Sieben-Felder-Wirtschaft, welche das Maximum an Ertrag bot, ohne dabei die Felder auszulaugen. Auf Pesius 13 wurde fast ausschliesslich Gemüse angepflanzt, welches dann auf andere Planeten exportiert wurde. Viel von der Agrarproduktion landete auf den Tellern der Erdbewohner. Diese besassen wegen dem jahrhunderte währenden Raubbau kaum mehr eine funktionierende Landwirtschaft. Lamson konnte das nur recht sein: Milliarden hungrige Mäuler warteten auf das Gemüse von Pesius 13. An Absatzmärkten würde also auch in Zukunft kein Mangel herrschen.
Die Tomaten sahen weniger gut aus: Die Tommson-Flugschnecken hatten sich an ihnen zu schaffen gemacht. Farmer Lamson fluchte. Er hatte von der Erde extra ein paar Exemplare der fast ausgestorbenen Raubvögel importiert, doch die Viecher waren einfach nur jämmerlich zu Grunde gegangen. Lamson vermutete, dass die Vögel mit der staubigen und warmen Umgebung einfach nicht zu Recht gekommen waren. Es war auch nur ein verzweifeltes Experiment gewesen – niemand wusste, ob Falken und Mäusebussarde überhaupt Tommson-Flugschnecken zur Strecke bringen und verdauen konnten.
Lamson ballte die Faust, eine Menge Geld war da schon den Bach runter gegangen und das Problem harrte noch immer einer Lösung.
Lamson beschloss, heute noch zu den Wilsons herüberzufahren. Wilson besass eine weit umfangreichere Tomatenplantage als er. Vielleicht hatte der Nachbar bereits eine Mittel gegen die Flugschnecken gefunden.
Hilfe unter Nachbarn war ganz selbstverständlich auf Pesius 13; es gab einige äussere Faktoren, welche die Farmer eng zusammenschweissten und viel Solidarität untereinander entstehen liess.
Lamson setzte den Woogie in Betrieb, der nur nach mehreren Anläufen ansprang. Der Starter wurde oft durch den vulkanischen Staub in Mitleidenschaft gezogen; Lamson nahm sich vor, das Gefährt noch heute zu reparieren.
Die Wilsons wohnten nur wenige Kilometer Luftlinie vom Lamsons Farm entfernt, doch es standen zwei grosse Rauchspucker zwischen den beiden Anwesen. Es wäre viel zu gefährlich gewesen, den direkten Weg zu nehmen und der Umweg betrug beinahe 15 Kilometer. Lamson umfuhr die unberechenbaren Rauchspucker grossräumig. Woogies besassen eine spezielle Art der Federung – äusserst nützlich, da es auf Pesius 13 keine Strassen gab und der Planet in weiten Teilen von Tuffsteintrümmern übersäht war.
Es war schon Abend und die Sonne senkte sich bereits bedächtig dem grauschwarzen Horizont entgegen als Lamson endlich auf das Anwesen der Wilsons gelangte. Sofort bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Einige Felder waren zertrampelt, da und dort Zäune niedergerissen. Etwas weiter vorne lag eine zerstörte Robotererntemaschine. Nun sah Lamson den Rauch, der von der Farm Wilsons aufstieg. Er beschleunigte den Woogie auf eine unvernünftig hohe Geschwindigkeit und achtete nicht auf das verzweifelte Heulen des Motors.
Jan Wilson stand vor den Überresten seiner Farm – er lebte. Neben ihm stand seine Frau, seine Tochter sass gekrümmt auf dem Boden, sie schien Schmerzen zu haben. In ein Tuch gehüllt lag ein regungsloser Körper. Lamson vermutete unter dem Tuch Raul Wilson, der einzige Sohn der Familie. Der impulsive Junge war wohl nicht mehr…
Lamson sprang aus dem Woogie und eilte zu Jan Wilson. Wortlos umarmten sich die beiden – Jan konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten; sein Körper schüttelte sich bald vor Weinkrämpfen.
„Sie haben Raul… Und Wilna, sie haben sie…“, Vater Wilson stand kurz vor dem Zusammenbruch.
„Die Nunga?“
Mutter nickte; sie war kreidebleich und ihr Blick seltsam glasig.
„Sie haben uns alles genommen – verstehst du? Alles!“, schrie Jan Wilson in Tränen aufgelöst.
Lamson nickte und hielt Jan weiterhin fest.
Die Nunga waren seltsam borstige Wesen, halbintelligente Humanoide, die in Horden auftraten und blitzschnell zuschlugen. Niemand wusste, woher sie kamen, wie sie lebten oder was sie dazu brachte, die Farmer so zu quälen. Schon oft hatte man versucht, ihre Lagerstätten aufzuspüren, um den Spuk ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Aber es war höchst seltsam: Nach jedem Angriff verschwanden die Nunga und waren wie vom Erdboden verschluckt.
„Ich habe etwas Verbandszeug im meinem Woogie, vielleicht…“
„Da hilft kein Verbandszeug mehr!“, schrie Jan Wilson.
Lamson sagte nichts.
„Entschuldige“, meinte Jan nach einer Weile, „ich bin nur so dermassen am Ende...“
Lamson spürte, wie ein dicker Kloss sich in seinem Hals breit machte. Auch er war den Tränen nahe.
„Wo sind bloss die Soldaten gewesen! Wir bezahlen sie, doch wenn sie gebraucht werden, sind sie nie da!“
‚Da ist was dran’, dachte Lamson.
Als die Sonne schon längst untergegangen war, begruben sie Raul Wilson. Und weil die Wilsons einer christlichen Wiedererweckungssekte angehörten, zimmerten sie notdürftig ein hölzernes Kreuz und rammten es tief in den Boden, direkt neben Rauls sterblichen Überresten.
Lamson konnte alle überlebenden Mitglieder der Wilson-Familie in seinem Woogie unterbringen. Zusammen fuhren sie zu Lamsons Farm – Wilna wimmerte während der Fahrt ständig leise, was Vater Wilson schier das Herz brach.
Lamsons Farm war gross, und weil er selbst keine Familie hatte, konnte er die Wilsons ohne Probleme bei sich unterbringen.
Die ganze Nacht machte Lamson kein Auge zu und schon früh am Morgen stand er auf und reparierte den Anlasser des Woogies.
Plötzlich stand Jan Wilson hinter ihm: „Ich danke dir, du bist sehr gut zu uns“, meinte er mit fester Stimme.
„Keine Ursache.“
„Du reparierst den Woogie? Willst du irgendwohin?“
Lamson nickte: „Ich will zurück zu deiner Farm und mich umsehen.“
„Ich will mit“, meinte Jan Willson bestimmt.
„Bist du dir ganz sicher?“
„Ich muss!“
Der Woogie bewegte sich schwankend über den mit Trümmern übersäten Boden.
„Ich habe einen Funkspruch ans nächste Soldatencamp gesendet – heute Nachmittag wird ein Offizier vorbeikommen und dann besprechen wir die Sache.“
„Es gibt nichts zu besprechen – als wir sie gebraucht haben, waren sie nicht da.“
„Ich glaube, sie wollen einen Rachefeldzug starten.“
„Niemand weiss wo die Nunga wohnen – es kann keinen Rachefeldzug geben.“
Die Überreste der Farm rauchten immer noch. Obwohl die Temperatur heiss wie immer war, stand Jan Wilson da, die Arme eng ineinander verschränkt, so, als friere er. Lamson stapfte währenddessen in den Trümmern herum und durchwühlte da und dort den Boden.
„Was suchst du? Es ist nichts mehr da.“
„Ich weiss nicht – irgendein Hinweis.“
„Ein Hinweis für was?“
„Was passiert ist.“
„Die Nunga haben angegriffen – das ist alles.“
Doch während Jan Willson seinen Farmerkollegen noch davon überzeugen wollte, dass es nichts zu finden gab, wurde er auf einmal stutzig: „Hey, was ist das?“
„Wo?“
„Da drüben.“
Lamson eilte zu dem Ort, dem Jan ihm wies. Etwas Weisses lag da auf den Boden – Lamson hob es auf.
„Was ist das?“
„Ich weiss nicht. Sieht mir wie ein Armband aus Plastik aus.“
Wilson verlangte danach: „Zeig mal.“
Er betrachtete das Plastikband näher: „Das gehört nicht zu uns. Ich bin mir sicher, dieses Ding gehört weder mir, meiner Frau – auch nicht Wilna oder… Raul.“
Lamson nahm das Plastikarmband wieder zu sich. „Es scheint einen Chip im Plastik eingeschweisst zu sein. Da! Ich kann es deutlich fühlen.“
Wilson befühlte die Stelle und bestätigte.
„Ich habe zuhause ein Elektroskop“, meinte Lamson, „damit untersuche ich elektronische Bauteile und versuche abzuschätzen, ob sich eine Reparatur lohnt.“
„Wirf einen Blick darauf“, meinte Jan Wilson nur.
Lamson stellte das Gerät scharf. Er schaute durch die Stereookulare und liess das Gewirr der Schaltkreise vorüberziehen. Das Elektroskop begann mit der Analyse des Chips. Immer neue Verbindungen wurden aufgezeigt und das Gerät lieferte Interpretationen der möglichen Funktionen.
Lamson schaute auf: „Es scheint ein Identifikationschip zu sein. Und falls es wirklich niemandem aus deiner Familie gehört, dann müssen es die Nunga mitgebracht haben.
„Die Nunga bringen nichts mit – ausser vielleicht ihren primitiven Waffen – sie holen sich nur.“
Lamson schaute wieder durch die Okulare. „Hier sind Daten abgespeichert, die von einer Krankheitsgeschichte herrühren könnte - vielleicht eine Art Gentherapie. Dann Daten diverser Eingriffe…“
„Das ergibt alles keinen Sinn – lass uns auf die Soldaten warten.“
„Deinen Raul können sie dir nicht wieder zurückbringen.“ Lamson fragte sich, wieso er das gesagt hatte. Jan Wilson hatte wirklich genug um die Ohren – er musste sich nicht noch solche Sprüche anhören.
„Ich werde mich um Wilna kümmern – sie braucht mich“, meinte Wilson schwermütig.
Am Nachmittag kam ein Militärtransporter, ein Offizier stieg aus und klopfte an die Tür von Lamsons Farm.
„Ich bin der Überwachungsoffizier dieses Sektors. Ich habe gehört, sie haben Nungaaktivitäten gemeldet.“
„Nungaaktivitäten? Hören sie guter Mann: Mein Sohn ist tot und meine Tochter von diesen fürchterlichen Viechern geschändet! Wenn sie das als ‚Aktivitäten’ abtun wollen, dann tun sie das gefälligst woanders!“
Jan Wilsons Lippen bebten vor Wut und Lamson fürchtete schon, der verzweifelte Familienvater könnte gegenüber dem Soldaten gewalttätig werden. Mit diesen Leuten war aber nicht zu spassen – viele fürchteten sich fast mehr als die Nunga.
„Ich gebrauche lediglich die dafür vorgesehene militärische Terminologie“, erwiderte der Offizier, „ich muss sie ausserdem dringend bitten, unsere Vorgehensweise und Abwehrmassnahmen vollumfänglich zu unterstützen. Wir verlangen Kooperation – ihre Emotionen könne sie woanders abladen – Farmer!“
Jan Wilson wollte noch etwas entgegnen, aber Lamson zog ihm am Ärmel: „Kommt, am besten, wir besprechen alles im Wohnzimmer.“
Am Tisch sitzend beruhigte sich Jan Wilson wieder etwas. Er schaffte es sogar, dem Offizier den Angriff recht genau zu schildern. Dieser stellte ab und zu ein paar Fragen, sagte sonst aber nichts. Am Ende wurde Jan Wilson aber doch noch einmal emotional: „Ihr Soldaten müsst mir eins klarmachen: Wir zahlen euch einen Haufen Geld, manchmal nehmt ihr euch sogar noch mehr. Aber vor den Nunga könnt ihr uns doch nicht beschützen. Was also haben wir von euch?“
„Sie zweifeln an der Effektivität unserer Vorgehensweise?“, fragte der Offizier drohend.
Jan Wilson hatte sich genug im Griff um zu schweigen.
Der Offizier lächelte befriedigt, er schien das Schweigen als ein ‚Nein’ zu werten: „Das Unternehmen Pesius 13, an welches wir alle glauben und uns mit einem tiefen Gefühl von Patriotismus beseelt, lebt von der Kooperation zwischen Soldaten und Farmer. Wir tun was wir können, doch wenn sie ein grosses Feld mit Tomaten haben, dann fressen die Tommson-Flugschnecken einen Teil davon weg – egal wie gut sie arbeiten. Genauso ist es mit unserem Kampf gegen die Nunga.“
„Wir sind aber keine Tomaten – wir sind Menschen!“, zischte Jan Wilson zwischen geschlossenen Zähnen hervor.
„Trotzdem handelt es sich um den gleichen Effekt – es ist das gleiche!“
Jan Wilson schwieg wieder.
„So, wenn das alles geklärt wäre, dann…“
„Eine Frage hätte ich noch“, unterbrach Lamson den Offizier, der sich eben zum Gehen anschicken wollte.
„Ja.“
„Diese Nunga – woher kommen sie eigentlich?“
„Woher soll ich das wissen – ich bin Soldat, kein Wissenschaftler.“
„Ist es nicht seltsam, dass es auf diesem Planeten keine höheren Lebensformen gibt – nur diese Nunga.“
„Wollen Sie die Nunga als höhere Lebensform bezeichnen?“
„Im Vergleich zu einer Tommson-Flugschnecke vielleicht schon. Ich will nicht vorgeben, besonders viel von evolutionären Gesetzmässigkeiten zu verstehen, aber diese Lücke zwischen den Nunga und den übrigen Lebewesen ist doch seltsam. Auf der Erde gab es Säugetiere, dann den Affen, schliesslich…“
„Wenn sie es sagen… Es wird Zeit für mich.“ Der Offizier stand auf und wollte gehen – überraschend drehte er sich auf der Schwelle zum Ausgang noch einmal um: „Meine Herren: Ich kann ihnen eins versichern: Das Korps von Pesius 13 wird sie nicht enttäuschen! Trotz anders lautenden Gerüchten sind wir unser Geld wert und können dies auch jederzeit unter Beweis stellen. Lassen sie uns gemeinsam stark sein und nicht zulassen, dass der Zweifel unsere tapferen Herzen vergiftet! Wir werden die Nunga jagen, sie aus ihren Löchern treiben oder dort ausräuchern. Meine Herren: einen schönen Tag noch!“
Damit drehte er um und ging – der Militärtransporter startete, sobald der Offizier zugestiegen war.
„Diese verdammten Drecksäcke! Es kümmert sie nicht das Geringste, wie es uns hier ergeht! Die sind nicht besser als die Nunga, auch wenn sie sprechen können! Wilna hätte genauso gut von einen von ihnen geschändet werden können – und sag’ mir nicht, dass so etwas nicht oft vorkommt!“
„Du hast Recht Jan – trotzdem musst du vorsichtig sein…“
„Vorsichtig? Du hast keine Familie, du kannst unmöglich ahnen, wie ich mich fühle!“
Lamson legte Jan Wilson die Hand auf die Schulter – dieser begann sich wieder zu beruhigen. Er schüttelte den Kopf: „Ich wollte dich nicht anschreien – du bist so gut zu uns.“
„Vergiss es.“
Lamson konnte wieder nicht schlafen. Erst jetzt in der Nacht, bemerkte er, wie ihm die ganze Geschichte zu schaffen machte. Er wälzte sich noch eine weitere Stunde hin und her, dann stand er auf und machte sich einen Kaffee. ‚Besser ganz wach sein als eine ganze Nacht nur halb schlafen’, dachte er.
Er ging in sein Arbeitzimmer, dort schaltete er das Elektroskop ein und begann das weisse Armband weiter zu untersuchen.
Lamson fand weitere Angaben, die auf eine Art Krankheitsgeschichte zu deuten schien. Daneben gab es aber noch Informationen, die aus einem leicht verschlüsselten Code zu bestehen schienen. Das Elektroskop besass eine kleine Decheffriereinheit, die tatsächlich in der Lage war, mit dem einfachen Code fertig zu werden.
Lamson traute seinen Augen kaum, als er die entschlüsselten Angaben lass. Nun hatte er den endgültigen Beweiss, dass etwas faul war.
Lamson spielte gerade mit dem Gedanken, Jan Wilson zu wecken, als ein heulendes Etwas plötzlich mit voller Wucht gegen die Fensterscheibe zu schlagen begann.
Ein Nunga! Sie waren also noch immer in der Gegend! Und wo einer waren, da waren auch zehn oder zwanzig!
Die Fensterscheiben bestanden aus Kunststoff, es würde eine Weile dauern, bis die Nunga sie durchgedrungen haben würden.
Lamson rannte ins Gästezimmer: „Auwachen! Die Nunga! Bewaffnet euch mit irgendetwas!“
„Nicht schon wieder!“, krächzte Frau Wilson mit halberstickter Stimme.
Lamson holte seine Schrottflinte – stärkere Waffen waren für Farmer nicht erlaubt. Die Wilson bewaffneten sich mit Messern aus der Küche.
Die erste Kunsstoffscheibe brach.
‚Nun ist alles aus!’, dachte Lamson. Sie konnten vielleicht noch den einen oder anderen Nunga mit in den Tod reissen, aber selbst das bezweifelte Lamson; die alptraumhaften Kreaturen waren stark und kannten keine Furcht.
Plötzlich kam von überall her grelles Scheinwerferlicht. Maschinengewehrfeuer begann zu knattern und das Heulen der Nunga nahm einen seltsam schrillen Unterton an. Sie waren getroffen, sie starben!
Das Maschinengewehrfeuer ebbte bald wieder ab, doch die Scheinwerfer blieben. Es klopfte an die Tür. Zögernd ging Lamson hin und öffnete – Nunga klopften nicht an Türen, sie schlugen sie einfach ein.
Ein Soldat in voller Montur stand vor ihm, aus dem Lauf seines tragbaren Maschinengewehrs kräuselte noch immer Rauch.
Der Soldat schien prächtiger Laune zu sein: „Den Nunga haben wir’s gezeigt! Schaut her: Ein Dutzend Leichen liegen hier! Ihr habt Glück gehabt, dass wir gerade in der Nähe waren.“
Damit trottete der Mann mit seiner schwerfälligen Ausrüstung bereits davon.
„Ein Glück“, meinte Wilna Wilson mit bebender Stimme, „ich glaubte schon… es wiederholt sich alles.“
Mutter Wilson stand unter schock, sie brachte kein Wort hervor.
Jan Wilson schüttelte den Kopf: „Ist das nicht seltsam?“
„Ja, es ist seltsam“, meinte Lamson beim Frühstückstisch und warf Jan Wilson das weisse Plastikarmband hin.
„Noch mehr herausgefunden?“
Lamson nickte: „Es sind einige verschlüsselte Angaben auf dem Armand – Zahlen.“
„Was für Zahlen?“, fragte Frau Wilson in seltsam tonloser Stimme.
„Eine Zeit und Koordinaten.“
„Zeit?“, fragte Jan Wilson mit finsterer Stimme. Er schien bereits zu ahnen, was folgen würde.
„Kurz vor der Attacke auf euer Haus. Ausserdem die Koordinaten, die eine Stelle markieren, welche nur zwei Kilometer von euerer Farm entfernt liegt.“
„Was bedeutet das?“, fragte Wilna.
„Das alles geplant worden ist – von jemanden der denken kann, also keinem Nunga“, schloss Jan Wilson messerscharf.
„Wie ich schon seit einiger Zeit vermutet habe, ist an dieser Nungageschichte einiges faul“, doppelte Lamson nach.
„Nur – wer könnte dahinterstecken?“
„Ich weiss nicht, aber mir scheint, die Soldaten profitieren ganze schön von der gegenwärtigen Situation.“
„Du meinst die Soldaten selbst...?“, fragte Jan Wilson erstaunt. Der Gedanke war ungeheuerlich.
Lamson zuckte mit den Achseln: „Möglich wär’s.“
Jan Wilson überlegte einen Moment: „Dieser Kampf letzte Nacht; die Soldaten heroisch zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Wiedergutmachung – das sah tatsächlich wie ein abgekartetes Spiel aus.“
„Du hast sie mit deiner Kritik vielleicht ganz schön in die Ecke gedrängt und sie sahen sich möglicherweise gezwungen zu reagieren.“
Jan Wilson senkte den Blick: „Mann, das wär’ ein Ding! Die Nunga die ganze Zeit nur eine Ausrede, damit sich die Soldaten an den Früchten unserer Arbeit mästen können…“
„…Und sich als die grossen Herren aufspielen können“, beendete Lamson den Satz.
„Es muss etwas gesehen!“, meinte Jan Wilson bestimmt.
Lange Zeit sagte niemand etwas, dann meldete sich Frau Wilson zu Wort: „Du wirst nichts gegen die Soldaten unternehmen – hörst du!“, sprach sie im befehlenden Tonfall zu ihrem Mann. „Wir wollen behalten, was von unserer Familie noch übrig ist.“
„Aber man hat Raul möglicherweise ans Messer geliefert, nur weil sich ein paar Drecksäcke hier eine schöne Zeit machen wollen!“
„Wilna und ich brauchen dich. Du kannst nicht gegen die Soldaten ankommen!“
„Wir könnten versuchen, eine Botschaft zu anderen Planeten zu schicken. Allen erzählen was hier läuft.“
Lamson schüttelte den Kopf: „Der Raumhafen und alle Kommunikationphalanxen befinden sich in den Händen der Militärs. Wenn jemand von uns jetzt Ausreisen oder eine Botschaft senden würde, dann wäre denen sofort klar, worum es geht. Ausserdem stellen wir bislang nur Vermutungen an. Wir haben keine Beweise.“
„Ausserdem würde der Vertrag der Planetenautonomie verhindern, dass jemand intervenieren würde.“
Jan Wilson amtete schwer und überlegte. Schliesslich meinte er: „Lamson – hör’ mal her: Du weisst, ich bin sicher kein Feigling, aber meine Frau hat recht. Unsere Familie steht kurz vor dem Ende. Ich muss neu aufbauen und darf mir nichts erlauben. Deine Nachforschungen sind brillant; ich glaube deinen Vermutungen – und ich spüre, wie mir die nackte Wut hochkommt. Aber dennoch…“, Jan Wilson schaute traurig drein, während ihm seine Frau den Nacken massierte. „Wenn du Beweise suchen willst, dann musst du es alleine tun – tut mir leid.“
Lamson nahm das Armband wieder an sich. Er hatte einen Entschluss gefasst: „Ich werde die Beweise finden! Und dann informieren wir die Anderen.“
„Tu das! Ich bete für dich!“
Lamson packte den Woogie – er nahm alles Mögliche mit; man konnte ja nie wissen. Nur seine Schrotflinte liess er zuhause. Ihm war wohl bewusst, dass er den Soldaten nicht auf diese Weise das Wasser reichen konnte.
Jan Wilson trat vor die Tür – er schien sich zu schämen, seinen so hilfsbereiten Nachbarn nicht unterstützen zu können. „Mach’s gut – und komm heil zurück. Du weißt ja: mit den Soldaten ist nicht zu spassen.“
„Wenn ich nicht zurückkomme, dann braucht ihr keine neue Farm zu bauen – nehmt meine.“
Jan Wilson lachte gequält: „Du kommst brav zurück – hörst du? Das ist deine Farm und so soll es auch bleiben.“
Lamson fuhr mit grossem Tempo über die zerklüftete Landschaft. Verwehungen aus Vulkanasche durchfuhr er einfach – keine ungefährliche Fortbewegungsmethode.
Er wollte in das Hauptquartier des Pesius 13-Korps eindringen. Wenn es irgendwo Antworten gab, dann dort. Eine Weile spielte Lamson auch mit dem Gedanken, sich selbst als Soldat zu verdingen, um dann heimlich in den eigenen Reihen zu spionieren. Doch das würde ihm zu lange dauern; ausserdem heuerten die Soldaten keine Farmer an.
Lamson staunte selbst über seinen Wagemut – nicht dass er sonst ein Feigling gewesen wäre: aber zu versuchen in das Hauptquartier einzudringen und dort herumzuschnüffeln, war doch ein reichlich tollkühner Plan. Vielleicht hatten der Zweifel und der Hunger nach Antworten einfach schon zu lange an ihm genagt – der Überfall auf die Wilson-Farm war nun nur noch der Auslöser gewesen um wirklich tätig zu werden.
Nach einigen Stunden Fahrt stellte Lamson den Woogie direkt hinter einem schroffen Felsen ab. Hier war das Fahrzeug nicht so leicht zu entdecken.
Den letzten Teil der Strecke wollte Lamson zu Fuss zurücklegen; ansonsten hätte man ihn sofort entdeckt.
Bevor er sich auf den Weg machte, zwängte er sich noch in den engen Klimaanzug, den er sonst für die besonders heissen Tage auf dem Feld benutzte. Anstatt ihn auf eine angenehme Temperatur einzustellen, eichte er den Anzug exakt auf Umgebungstemperatur.
Lamson hatte gehört, dass die Soldaten die Nunga mit Wärmedetektoren aufspürten – sicher konnte man auf diese Weise auch einen Menschen entdecken. Er schnallte seinen Rucksack an und nahm noch seine Werkzeugkiste mit.
Lamson stapfte langsam vorwärts und hoffte, dass der Trick mit dem Klimaanzug funktionierte. Er schwitzte fürchterlich, aber es musste sein.
Nach rund einer Stunde Fussmarsch schälte sich nach und nach die Silhouette des Hauptquartiers aus der staubigen Luft heraus. Er war nun nur noch etwa ein Kilometer entfernt. Lamson eilte in gebückter Haltung weiter.
„Halt! Wer Da?“
Eine Stimme in schrillem Befehlston hallte durch die mit Staubschwaden verhangene Luft.
Lamson warf sich seitlich hinter einen Felsen. Auf allen vieren kroch er weiter. Er hörte in das Geräusch eines Militärtransporters – das Fluggerät kreiste über ihm. Lamunson kroch so schnell er konnte und warf sich dann in einen Aschehügel und grub, bis ihn die graue Masse überall bedeckte. Der Klimanzug besass einen Staubfilter – dieser würde es ihm erlauben, eine Weile hier zu verharren.
Das Geräusch des Militärtransporters kam näher – und obwohl Lamson es unterdrücken wollte, begann er am ganzen Körper vor Angst zu zittern. Endlos lange schien der Militärtransporter genau über seiner Position zu verharren. Dann endlich begann sich das Geräusch zu entfernen – sie hatten ihn offensichtlich nicht entdeckt.
Lamson kroch langsam und vorsichtig aus dem Aschehügel heraus – es war weit und breit niemand zu sehen.
Aus dieser schlechten Erfahrung lernend, beschloss Lamson bis zum Anbruch der Nacht zu warten, bevor er sich näher an das Hauptquartier heranpirschen würde.
Nach Sonnenuntergang ging Lamson weiter, noch vorsichtiger diesmal, immer den Horizont nach Positionslichter der Militärtransporter absuchend.
„Wieso tue ich das eigentlich? Das ist doch Selbstmord!“, sprach er mit sich selbst. Aber zugleich fühlte er auch, dass seine Mission wichtig war; wichtig für ihn und wichtig für alle Farmer auf Pesius 13.
Lamson war nun ganz nahe an das Hauptquartier herangelangt. Der riesige Betonkomplex war mit Antennen und Satellitenschüsseln nur so gespickt.
Es gab keinen Zaun um den Komplex, doch schien es nur einen Eingang zu geben, der sicherlich schwer bewacht war.
Lamson schaltete den Klimanzug ab und zog ihn aus – er hielt diese Hitze einfach nicht mehr aus. Nach dem er sich einige Minuten ausgeruht hatte, bemerkte er zu seiner Überraschung einen stetigen Luftzug; zu stetig, um einen natürliche Ursache zu haben. Lamson benetzte einen Finger mit Spucke und machte die Richtung des Luftstroms aus. Bald gelangte er zu einer breiten Metallröhre, die sich etwas drei Meter in die Höhe erstreckte und dann oben seitlich um 90 Grad abknickte.
Ein Luftschacht.
Lamson wusste sofort: das war seine Chance. Er öffnete seine Werkzeugkiste, die er bis jetzt tapfer mitgeschleppt hatte und durchwühlte diese nach geeigneten Werkzeugen. Zuerst musste er die Höhe von drei Metern überwinden und dann noch die obere Abdeckung des Luftschachtes entfernen. Zuerst fräste er mit einem Ultraschall-Universalwerkzeug Haltegriffe für Füsse und Hände in das Rohr; bei diesen Schliff er noch die Kanten, damit er sich nicht verletzen konnte. Dann kletterte er hinauf und Schnitt ein kreissrundes Loch in das Gitter der Abdeckung. Das war geschafft!
Lamson beschloss, nur das Unversalwerkzeug mitzunehmen – die ganze Werkzeugkiste war einfach zu schwer und zu sperrig.
Er kroch durch das ausgesägte Loch und benützte wieder die Haltegriffe, diesmal aber von innen. Als Lamson drei Meter in das Rohr hinabgestiegen war, endeten die Haltegriffe natürlich. Lamson getraute sich zum ersten Mal, seine Taschenlampe einzuschalten, die er zuvor aus Angst vor Entdeckung nicht benutzt hatte. Das Rohr fiel noch etwas zwei Meter senkrecht herab und machte dann erneut eine 90 Grad Biegung.
Lamson liess die Haltegriffe los und mit einem dumpfen Aufschlag landete er zwei Meter weiter unten. Er war unverletzt.
Das Rohr besass etwa einen Durchmesser von einem Meter und zwang Lamson zur Fortbewegung auf allen Vieren.
Er konnte befriedigt feststellen: die Richtung stimmte, der Luftschacht führte direkt in das Hauptquartier.
Lamson musste sich schon tief im Komplex befinden, als er endlich einen anderen Ausgang entdeckte. Zuvor war er durchaus in Gefahr geraten, bei den vielen Abzweigungen des Luftschachtsystems die Orientierung zu verlieren.
Wieder brachte er das Ultraschall-Universalwerkzeug zum Einsatz, welches lautlos in kurzer Zeit ein grosses Loch in das Gitter schnitt.
Lamson zündete mit der Taschenlampe in den Raum: Es schien sich um eine Art bessere Besenkammer zu handeln. Mehrere roboterisierte Putzfahrzeuge standen herum, alle in ausgeschaltetem Zustand.
Lamson kletterte aus dem Belüftungsschacht in dem Raum. Es gab nur eine Tür und diese war verschlossen. Lamson fluchte und wollte schon wieder in den Belüftungsschacht steigen, da fiel ihm auf, dass diese Tür überhaupt kein Schloss hatte. Es gab weder einen Prüffeld für eine Chipkarte noch einen Hand- oder Netzhautscanner. Die Tür musste sich durch einen anderen Mechanismus öffnen und schliessen.
Ein Geistesblitz brachte die Lösung: Lamson schaltete eines der roborterisierten Putzfahrzeuge ein – sofort öffnete sich die Tür. Bevor das Putzfahrzeug nach draussen fahren konnte, um dort seinen Dienst zu tun, wurde es von Lamson bereits wieder abgeschaltet. Schnell schlüpfte der Farmer durch die Tür, bevor sie sich wieder verschloss. Er stand in einem breiten Korridor, welcher von grell scheinenden Deckenleuchtern mit kaltem Licht durchflutet wurde. Lamson ging in die Richtung, von welcher er vermutete, dass sie ihn noch tiefer in den Komplex hinein führt.
Der Korridor endete an einer Doppeltür, welche die ganze Breite des Korridors einnahm. Ein leichter Druck und die beiden Flügel schwenkten elegant nach aussen.
Lamson stand in einem grossen Raum. Es schien sich um ein gewaltiges Grossraumlabor zu handeln. Überall standen Bioreaktoren und Fermenter. Auf breiten Labortischen lagen in Plastikfolie eingeschweisste Gewebeproben neben wuchtigen Gensequenzierern. An der Decke hingen durchsichtige Tanks mit farbig schimmernden Nährlösungen.
Lamson ging ein wenig verwirrt im Labor umher. Als Agronom mit Abschluss erkannte er einige Geräte, anderes blieb ihm dagegen rätselhaft.
Im hinteren Teil des Labors war in einer Nische eine künstliche Gebärmutter montiert. Lamson kannte diese Vorrichtung aus Zeitschriften. Viele Gruppen der christlichen Erweckungslehre auf Pesius 13 lehnten den Gebrauch dieser Geräte kategorisch ab. Diese Maschine war ein Politikum.
Lamson kamen diese Gebärmütter seltsam gross vor – ein erwachsener Mensch hätte problemlos darin Platz gefunden.
Lamson ging näher heran und versuchte etwas durch die halbdurchsichtige Membran der künstlichen Gebärmutter zu erkennen. Für einen Moment glaubte er die schwarz beharrte Haut eines Nunga zu erkennen – aber er war sich nicht ganz sicher.
Lamson fuhr herum – ein Geräusch hatte ihn aufgeschreckt. Jemand schien gegen eine stählerne Tür zu hämmern.
Lamson lokalisierte das Geräusch – es schien tatsächlich vom anderen Ende einer stählernen Tür zu kommen.
Die Tür war von aussen gesehen nicht wirklich verschlossen – ein komplizierter Mechanismus, der mit beiden Händen zugleich bedient werden musste, diente zum Öffnen. Lamson zögerte. Der seltsame Türmechanismus deutete darauf hin, dass man weniger intelligenten Lebewesen den Zutritt verweigern wollte.
Nunga?
Lamson beschloss, trotzdem zu öffnen. Schliesslich war er hier, um herauszufinden, was los war. Er betätigte den Mechanismus und ein Ruck ging durch die Tür. Lamson trat sicherheitshalber zwei Schritte zurück.
Die Tür wurde aufgestossen und Lamsons schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt. Mit einen lautem Kreischen sprangen etwa ein halbes Dutzend Nunga hervor. Sie waren unbewaffnet, aber jeder von ihnen war körperlich einem Menschen deutlich überlegen.
Gleichzeitig ging der Alarm an: Rote Lampen begannen zu blinken und die Doppeltür zum Labor fiel automatisch zu. Ein hoher summender Ton schwoll auf und ab.
Es war Lamsons Glück, dass die Nunga durch die roten Lampen und das Warngeräusch kurz irritiert wurden – dies gab ihm einige Sekunden, um ein paar Labortische zwischen sich und den schrecklichen Kreaturen zu bringen.
Trotz dem Krach und den blinkend Lichter wurden die Nunga seiner gewahr. Eine wilde Hatz begann, bei dem Lamson als ausgemachter Verlierer galt. Zwar gelang es ihm immer wieder, einen Labortisch zwischen sich und den Nunga zu bringen, oder einen Fermenter umzuwerfen, um die Nunga kurzfristig aufzuhalten, aber das konnte unmöglich auf Dauer gut gehen. Der Ausgang war versperrt – es gab kein Entkommen. Die Nunga würden ihn in Stücke reissen.
Die Doppeltür wurde aufgestossen, Uniformierte Soldaten strömten herein. Befehle gellten durch den Raum und das hässliche Knattern von automatischen Waffen brandete auf. Lamson warf sich auf den Boden und rollte sich unter einen der Tische.
Die Nunga heulten verzweifelt auf, doch es half nichts: Einer nach dem anderen wurde getroffen und sank nieder.
Die Soldaten hatten ihren Job schnell erledigt; der hässliche Gestank von verbrannten Fleisch machte sich breit.
„Feuer einstellen!“
Schritte – jemand trat an Lamson heran, der immer noch unter dem Tisch Deckung suchte.
„Sieh an – ein Farmer.“
Ein Mann ohne Uniform, gekleidet in einen feinen Anzug, stand vor Lamson.
„Wer sind sie?“
„Eigentlich müsste ich sie das fragen, aber ihr Name tut wohl nichts zur Sache – sie sind ein einfach ein Farmer.“
„Und sie?“
„Man nennt mich Zek, was natürlich nicht mein richtiger Name ist. Ich bin Wissenschaftler und arbeite hier. Genauer gesagt bin ich sogar der Chef des Wissenschaftler-Teams hier. Wir arbeiten ihr eng mit den Soldaten zusammen – wir sind auf diesem öden Vulkanplaneten aufeinander angewiesen.“
Lamson stand langsam auf. Ihm entging nicht, wie ein Soldat zu seiner Rechten nervös an am Abzug seines tragbaren Maschinengewehrs zu fummeln begann. „Ihr produziert die Nunga, die ihr dann anschliessend zur Strecke bringt. Ihr spielt euch als Helden und Beschützer auf, dabei habt ihr die Gefahr selbst heraufbeschworen. Unschuldige müssen jeden Tag sterben, nur damit ihr ein einträgliches Leben habt – auf kosten von uns Farmern!“
Zek lachte, er lachte so laut und so heftig, dass Lamson an seinem Verstand zu zweifeln begann. „Armer kleiner Bauer! Sie erkennen die Tragweite dieses Projektes nicht annähernd! Natürlich machen sich die Soldaten auf eure Kosten ein schönes Leben – aber das ist nicht der Punkt.“
„Und was ist dann der Punkt?“
„Das wirst du am eigenen Leib erfahren. Farmer, ich verhafte dich im Namen des Gesetzes! Du wirst beschuldigt, in eine militärische Sperrzone eingedrungen zu sein. Weiter wird dir zur Last gelegt, durch Fahrlässigkeit Materialien der Streitkräfte zerstört zu haben. In beiden Punkten wäre früher die Todesstrafe verhängt worden. Aber seit deren Ächtung durch das Konzil wird diese umgewandelt.“
„Kein Gerichtsverfahren?“
„Wie du sicher weist, wird Pesius 13 militärrechtlich geführt…“
„…wegen der Bedrohung durch die Nunga, welche das Militär selbst verursacht…“
„…daher kann dich jeder Offizier zu jeder beliebiger Strafe verurteilen – die Todesstrafe ausgenommen. Und ich habe nebenbei den Rang eines Offiziers.“
„Das ist Faschismus!“
„Das ist konsequent – mehr nicht.“
„Ich mag gescheitert sein, doch irgendjemand wird kommen und die ganze Sache an die Öffentlichkeit bringen!“
„Niemand interessiert sich für Pesius 13 – vielleicht vom Gemüse einmal abgesehen. Abführen! Einzelhaft!“
Soldaten packten ihn, drehten Lamson den Arm auf den Rücken, so dass er vor Schmerz laut aufschrie. Sie schleiften ihn aus dem Labor und quer über den Korridor. Weiter ging es über eine Treppe nach unten. Schliesslich schlugen und traten sie ihn windelweich und warfen ihn in eine kleine, fensterlose Zelle.
Stöhnend blieb Lamson in der Dunkelheit liegen. Irgendwo tropfte Wasser von einer lecken Leitung von der Decke, sonst war es totenstill. Er wäre am liebsten einfach hier gestorben.
Was hatte man mit ihm vor? Die Ungewissheit war für ihn schlimmer als die Aussicht auf die fürchterlichsten Strafen. Man wollte ihn also nicht einfach erschiessen – soweit wurde das interplanetare Recht beachtet. Aber Lamson bezweifelte, ob man ihn einfach in dieser Zelle verrotten lassen würde.
Lamson hätte nicht sagen könne, ob zwei Tage oder zwei Wochen vergangen waren. Er hatte ab und zu von der Pfütze getrunken, die durch das Tropfen der lecken Leitung entstanden war. Oder handelte es dabei etwa um eine Art Trinkwasserversorgung für den Zelleninsassen?
Lamson hatte seltsamerweise keinen Hunger, sein Magen schmerzte bloss.
Die Tür wurde aufgerissen, gleissendes Licht blendete seine Augen.
„Komm schon!“
Kräftige Arme packten ihn und zerrten ihn ganz ans Licht. Er blinzelte und versuchte mit der Hand seine Augen zu beschützen. ‚So muss sich ein Dummkopf fühlen, der mit Gewalt erleuchtet wird’. Lamson lachte leise über diesen gedachten Witz.
„Dir wird das Lachen noch vergehen – glaub’ mir, Freundchen!“
Nahrungsmangel und Schmerzen benebelten seinen Geist. Er wurde sogar kurz ohnmächtig. Als er wieder aufwachte, befand er sich wieder im Grossraumlabor. Man hatte alles wieder in Stand gesetzt – es sah so aus, als hätten die Nunga nie hier drin gewütet.
Die Soldaten hatten ihn auf einer Pritsche an Armen und Beinen festgeschnallt; selbst sein Kopf war fixiert.
Zek war da – oder wie auch immer der Mann in Wirklichkeit hiess.
„Du hast nach Antworten gesucht, und du wirst sie bekommen.“
Lamson zerrte an den Gurten: „Was habt ihr mit mir vor? Lasst mich los, ihr dreckigen Faschisten!“
Ein Soldat trat blitzschnell hervor und hob den Kolben seiner Maschinenpistole, doch bevor er zuschlagen konnte, hob Zek die Hand. „Halt! Er darf nicht zu geschwächt sein, wenn er an Projekt TransX teilnehmen soll.“
„Projekt TransX? Was soll das?“
„Du bist von einem Offizier der Streitkräfte zum Tode verurteilt worden. Aber wegen der Ächtung der Todesstrafe durch das Konzil wird die Strafe umgewandelt. Normalerweise handelt es sich bei Teilnehmern des Projekt TransX um Strafgefangene von anderen Planeten – aber keine Angst, wir sind nicht wählerisch.“
Eine ungeheure Ahnung stieg in Lamson hoch – sie konnten doch nicht… Nein! Es war schlicht undenkbar!
„Nun beginnst du die Tragweite des Projektes langsam zu verstehen. Pesius 13 kann stolz sein – es erfüllt eine wichtige Funktion.“
Das genetische Labor; das seltsame Auftauchen der Nunga; das weisse Plastikarmband mit dem Chip darauf – es passte alles zusammen. Lamson konnte den hochsteigenden Gedanken nicht länger zurückdrängen: „Nein!“, kreischte er verzweifelt, „das könnt ihr nicht tun! Das ist schlimmer als Mord!“
Zek lächelte schon fast väterlich: „Es wird keinen Mord geben. Wir halten die Vorgaben des Konvents exakt ein.
„Ihr perversen Genetiker!“
„Die Umwandlung wird nur ein paar Tage in Anspruch nehmen – so perfektioniert ist sie bereits. Danach wirst du noch einmal kurz freigelassen – zusammen mit anderen. Vielleicht geben wir dir sogar noch eine primitive Keule mit auf den Weg. Deine genetische Struktur und deine astronomischen Testosteron-Werte werden dafür sorgen, dass du rasend vor Wut alles töten willst, was sich in deiner Nähe befindet. Ein Art ‚Rassebewusstsein’ wird verhindern, dass du andere deiner Art angreifst. So gesehen bist du dann sogar weiter entwickelt als Menschen – ist das nicht witzig?“ Zek lachte – es war wieder sein viel zu lautes, nie enden wollendes Gelächter. Zek erholte sich wieder: „Lange wird dein Wüten aber nicht dauern. Bald werden Soldaten kommen und dich zur Strecke bringen. Dies ist keine Todesstrafe – glaub’ mir! Du wirst inflagranti erwischt. Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Auf Pesius 13 herrscht Militärrecht. Du darfst also bei einer Straftat sofort erschossen werden. Selbst wenn die Soldaten freundlicherweise noch eine Warnung aussprechen sollten, spielt das keine Rolle. Ich habe noch einen von euch Umgewandelten gesehen, der auf Kommandos reagiert hat.“
Lamson zitterte. „Eines Tages wird die Öffentlichkeit der Planeten davon erfahren, was ihr hier tut! Dann hat der ganze Spuk ein Ende!“, stiess Lamson zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
Zek schüttelte mit gespielter Traurigkeit den Kopf: „Du verstehst nicht… Natürlich würde sich die Öffentlichkeit schockiert geben, wenn man ihnen Einzelheiten von Projekt TransX unter die Nase reiben würde. Aber du willst Informationen verbreiten, die im Grunde niemand haben will. Die Masse der Menschen giert nicht gerade nach hässlichen Details, wie das System genau funktioniert. Wenn sich im Haus gut leben lässt, wen interessiert dann, was im Keller vor sich geht?“
„Es gibt Menschen, die würden dagegen ankämpfen, wenn sie’s wüssten!“
„Ein paar Intellektuelle vielleicht, vermengt mit ein paar anderen Spinnern. Doch ich gehe noch einen Schritt weiter: Ich glaube, die breite Mehrheit steht uns als heimlicher Verbündeter zur Seite. Niemand will für Sträflinge wie dich ein Leben lang Nahrung und Unterkunft bezahlen. Im Grunde genommen, sind wir nur der Vollstrecker des Willens, den die schweigende Mehrheit heimlich hegt.“
Lamson zitterte am ganzen Leib, sagte aber nichts.
Zek hob die Hand: „So - die Unterhaltung ist beendet. Es ist Zeit, wir müssen zur Tat schreiten.“ Damit wandte er sich zum gehen.
Lamson versuchte sich loszureisen: „Nein!“
Zek drehte sich noch einmal um: „glaub mir, auch wenn du als Individuum jetzt leiden musst, für das Gesamte ist es besser so. Versuche die Dinge von einer höheren Warte aus zu sehen.“
Zwei Tagen lief die ‚Umwandlung’ schon. Lamson hatte gehört, wie die Genetiker es „genetische Regression’ genannt hatten. An seinem Arm hatte man ein weisses Plastikband befestig – sicher befand sich ein Chip darauf, der alle relevanten Daten aufnahm.
Lamson spürte die Auswirkungen der ‚Umwandlung’; sein höheres Bewusstsein begann langsam seine Arbeit einzustellen. Er kämpfte mit aller Macht dagegen an, doch das Denken bereite ihm immer mehr Mühe, kostete ihm immer mehr Kraft.
Nach einem weiteren Tag dachte Lamson nur noch wie durch dicke Nebelschwaden. Er begann mehr und mehr nur noch elementare Bedürfnisse zu spüren: Hunger, Durst, Kälte, Schmerz…
Er driftete immer wieder weg und musste seinen Geist mit Gewalt zurückzerren. Gleichzeitig spürte er ein heisses Pochen, das immer stärker wurde. Es war wie ein feuriger Strom von Verhaltensweisen, die ungefragt zur Anwendung kommen wollten: Seine Triebe und Instinkte, die langsam die Oberhand gewannen.
„Lamson… Lamson ist mein Name“, lallte er ständig; sich an dem festhaltend, was ihm vom Menschsein noch geblieben war.
Lamson… Lam..“, irgendwann war das Wort weg. Es war nichts mehr da. Er brauchte keinen Namen mehr; sein Bewusstsein konnte nichts mehr damit anfangen.
Ein Wesen erschien, das sich seltsam elegant bewegte. Es hielt ihm etwas silbern Schimmerndes vor seine Augen und er konnte nicht danach schlagen, weil noch immer festgebunden war. In diesem Ding erschien ein Gesicht; haarig, wutverzerrt.
Vom dem sich elegant bewegenden Wesen kam ein Geräusch auf, wie von in die Lungen gepresster Luft, welche ruckartig ausgestossen wurde – früher hatte er dies als Lachen erkannt.
Die Ladelucke des Militärtransporters öffnete sich. Das, was einst Lamson gewesen war, war frei. Stinkende Dämpfe wurden in den Laderaum des Transporters gesprüht. Er und ein Dutzend andere seiner Art flohen ins Freie.
Draussen stolperte er fast über etwas. Er bückte sich und hob es auf. Es war eine Keule. Er packte sie mit beiden Händen und hob sie hoch über seinen Kopf. Dann stiess er einen Schrei aus – dröhnend und kehlig. Es war der Schrei eines Nunga.
Daniel Seelhofer
Daniel.Seelhofer@Bluewin.ch
Tag der Veröffentlichung: 20.10.2010
Alle Rechte vorbehalten