Cover

Vorwort

Die vorliegende Textsammlung von André Ekama möchte einen Einblick in die Lebenserfahrungen geben, die in Deutschland lebende Afrikaner gemacht haben. Der Leser erhält auch einen Einblick in das Leben in Afrika und den ersten Eindrücken im „fremden fernen Deutschland“ bis hin zur kompletten Anpassung an Deutschland. Verschiedene Situationen und Stationen im Lebensalltag der Afrikaner werden zum Teil auch humorvoll dargestellt, ohne den Sinn für den Ernst der Realität zu vernachlässigen. In einem eigenen poesievollen und lyrischen Stil werden die Charaktere gezeichnet, wie sie zum Teil widrige Umstände antreffen, sie aber schließlich meistern. Ein Stück afrikanische Lebensart und Weisheit werden von Metaphern afrikanischer Sprachen in die deutsche Sprache übertragen und so verständlich. Sein eloquenter Erzählstil, das spannend verknüpfte Handlungsgeflecht und seine feinfühlige Figurenzeichnung wecken Interesse. Es soll damit zum Dialog und der Annäherung fremder Kulturen zueinander beigetragen werden. André Ekama wendet sich hiermit ausdrücklich gegen Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz.

André Ekama stammt aus Kamerun. Geboren wurde er 1968 in einem Dorf, das die deutsche Bezeichnung Lolodorf trägt. Diese Bezeichnung entstand unter der deutschen Kolonialzeit in Kamerun. Seine Leidenschaft zur Poesie und seine Bewunderung von Senghor haben ihn dazu gebracht, seine Gedanken, die größtenteils auf eigenen Erfahrungen und Erlebnissen beruhen, niederzuschreiben. Der studierte Diplommathematiker und Betriebswirt lebt in der Metropolregion Rhein-Neckar und engagiert sich im kulturellen Bereich. In einigen deutschen Städten wie Chemnitz, Neuruppin, Berlin und Mannheim, in denen er schon Lesungen gehalten hat, wurden seine Texte sowohl bei Afrikanern als auch bei Deutschen sehr gut aufgenommen.

Auch andere afrikanische Migranten konnten das aufgezeigte Bild bestätigen. Er ist Mitglied im Migrationsbeirat der Stadt Mannheim und Leiter des Afrika-Kulturinstituts Mannheim.

„Durch seine unermüdlichen Einsatz zur Förderung des Verständnisses für afrikanische Kultur hat er Mannheim dem afrikanischen Kontinent ein Stück näher gebracht.“ Zitat: Stadtrat Matthias Meder.

Ekama bietet Workshops, Seminare und interkulturelles Training für jedermann an und wendet sich mit seinen Erzählungen auch an Kinder, die von frühester Jugend an lernen sollen, fremde Kultur als etwas „Normales“ zu empfinden.

 

 

 

Andreas Drobnitza

Okomje: Vom afrikanischen Gastwirt zum Bürgermeister der Gemeinde Wamsbuk

Die ersten Wochen nach der Ankunft aus Afrika in Deutschland waren sehr kühl. Es war eine große Umstellung für Okomje und die anderen, die hier angekommen waren. Sie waren an Temperaturen zwischen 30 und 40 Grad Celsius gewöhnt. Manche nahmen sogar noch ihre Malariatabletten ein, wenn sie sich plötzlich unwohl fühlten. Zum Sprachinstitut brauchte man 5 Minuten zu Fuß. Die Ortschaft war klein, die meisten Aktivitäten fanden im Campus statt. Nur zur Post oder der Kaufhalle musste man etwa zehn Minuten laufen. Autos oder Busse wurden von den meisten am Sprachinstitut nicht benutzt. Es war sehr ruhig und übersichtlich hier, es gab viele ältere Leute. Wenn man sie traf, sprachen sie oft von ihrer Zeit, als sie noch in der großen Chemiefabrik in der Umgebung arbeiteten.

Okomje hatte langsam Zweifel, ob er wirklich in einer Stadt war. Wo war er nur gelandet? Als jüngerer Mensch brauchte man ein wenig mehr Action. Das einzige Kino war nur tagsüber geöffnet und Eintrittskarten wurden lange im Voraus bestellt. Die Ruhe in dieser Kleinstadt war ideal zum Lernen, aber für diejenigen, die gerne tanzen wollten, gab es keine Diskothek. Die Sprachschüler saßen an den Wochenenden meist in ihren Zimmern zusammen und aßen und feierten. Es gab sonst keine Freizeitmöglichkeiten. Nach drei Monaten bekam Lipono, einer der Neuankömmlinge, Post aus der Heimat. Er freute sich riesig und las den anderen den Brief vor. Es waren gute Neuigkeiten. Seine Freundin würde bald ein Baby zur Welt bringen und Lipono bald Vater sein. Nun fragte er sich, wie er später die Familie zusammenführen könnte. Er hatte viele Eigenschaften an sich, die ihn leicht in einem negativen Bild erscheinen ließen. Er ging zum Beispiel oft zum Internatsleiter Komberg und erzählte ihm vertrauliche Dinge über seine Mitbewohner. Manche bekamen dadurch Ärger mit dem Sprachinstitut und wussten dann nicht einmal, warum. In dieser Zeit wirkten ausländische Studenten in dieser geschlossenen Region öfter wie eine Bedrohung. Der Kontakt zu den Einheimischen wurde überwacht und war unerwünscht. Zikore aus Rwanda kam sogar in politischen Verdacht, da er oft den evangelischen Pfarrer Midnay besuchte. Die Lage war angespannt, auch die Kirche hatte nicht nur treue Anhänger. Manchmal waren unter den Gläubigen auch Scheingläubige, die keine guten Absichten hatten. Man hatte einfach ein anderes Gefühl, wenn man in der Kirche war. Es war ein Gefühl von Geborgenheit, der Freiheit vor Gott. Man fühlte hier endlich auch Distanz zu der stetigen Ideologisierung der überzeugten Marxisten, die in ihrer Überzeugungsarbeit die Güte des sozialistischen Systems hervorhoben. Für viele afrikanischen Studenten, die aus nicht-kommunistischen Ländern stammten, war der Landeskundeunterricht die reinste Hölle. Sie nahmen widersprüchliche Thesen darin wahr. Leider konnte man sich dem nicht entziehen, sonst wurde man verdächtig und womöglich sofort als kapitalistischer Klassenfeind geoutet werden.

Die Dogmen über die klassenlose Gesellschaft und das gleiche Warensortiment in den Geschäften bewirkten, dass alle während eines Treffens oft die gleichen Jacken oder Anoraks trugen. So ließ man im Winter kaum jemals seine Jacke in einer Garderobe. Aber Kito hingegen war ein Mann, der es gewohnt war, luxuriöse Kleidung zu tragen. Seine Eltern waren im Kongo zu Mobutus Zeit hohe Beamte. Sie wollten ihren Sohn nicht nach Belgien schicken, da sie befürchteten, er würde dort nur Musik machen. In Leipzig aber waren sie sicher, dass er sich um sein Studium der Agrarwissenschaft bemühen würde. Er hatte in der DDR nicht die Ablenkungsmöglichkeit vom Studium wie anderswo. Hier konnte man sich systembedingt nicht so frei entfalten, die Individualität des Einzelnen wurde ein Stück weit aufgegeben. Sie schickten ihm regelmäßig Devisen, die er in Valuta bekam. Manchmal tauschte er auch Geld auf dem Schwarzmarkt. Er bekam dann soviel Ostmark, die ihm nicht mehr viel nutzte. Es gab auch Intershops, wo man aber nur in Valuta bezahlen konnte. Es kamen einmal vier Afrikaner in den Intershop und baten die Verkäuferin spezielle Nike-Schuhe zu bestellen, da sie diese nicht da hatte. Sie war erschrocken und sagte: „Haben sie überhaupt Geld? Hier zahlt man nicht mit Ostmark, ist das klar?“ Einer von ihnen war Kito, der sofort unter den scharfen Augen der Verkäuferin sein Portemonnaie aus Krokodilleder öffnete und 100 Dollar herauszog und zu ihr sagte: „Sind Sie jetzt überzeugt? Schwarzafrikaner haben auch Devisen!“ Trotzdem verlangte sie von ihnen, dass sie für die Bestellung ihre Pässe zeigten. Sembe war skeptisch und fragte sie, warum sie die Pässe bräuchte, sie sei doch nicht von der Polizei, denn sie alle hätten doch ein Visum, sonst könnten sie ja gar nicht hier sein. Da wurde die Verkäuferin zornig und sagte nur: „So lautet meine Anweisung, mehr brauche ich nicht zu sagen.“ Also zeigten sie schließlich ihre Pässe. Als sie dann den Intershop verließen und sich auf dem Heimweg befanden, begegneten ihnen drei Leute, die fragten, ob sie Devisen hätten. Sie würden sie zu einem sehr guten Kurs kaufen. Solche Geschäfte waren vom Staat streng untersagt. Wer dabei erwischt wurde, musste das Land verlassen oder wurde streng bestraft. Für die vier Afrikaner waren die drei Leute eindeutig Polizisten in Zivil, die von der Verkäuferin einen Hinweis bekommen hatten, dass sie Devisen hatten. Jedenfalls wollten sie sich nicht in eine Falle locken lassen.

Die Typen verschwanden dann. Unterwegs lief ihnen noch jemand über den Weg, der betrunken war.

Als sie dann daheim ankamen, waren sie beruhigt. Sie erzählten anderen Afrikanern von dem Vorfall im Intershop und lachten. Sie berichteten, dass es dort andere Produkte und Marken gab, die man sonst nicht in den Läden zu sehen bekam. So langsam dämmerte ihnen der Unterschied zwischen Ost und West. Das Warenangebot war begrenzt und bei weitem nicht so vielfältig. Die Afrikaner kannten die Markennamen und Produkte. Sogar in Afrika war das Angebot diesbezüglich besser. Sie konnten dort viele Markenartikel aus Frankreich beziehen. So hatte es zum Beispiel Gwanzi schwer, wenn er in die normalen Läden ging und Nivea verlangte. Da bekam er immer nur ein Kopfschütteln der Verkäufer zur Antwort, denn sie wussten doch nicht, was der Kerl wollte. Bis man ihm klar machte, dass er einfach Hautcreme verlangen sollte. Dann kann ihm geholfen werden. Nur im Intershop konnte er die Nivea bekommen, da dort Westprodukte verfügbar waren. Die erste Creme, die er kaufte, schien ihm nicht zu gefallen. Er vermisste das Avocadoaroma. Er wollte lesen, welche Bestandteile in der Creme waren, aber auf der Dose war alles auf Russisch geschrieben. Als er dann zum Hautarzt ging, war der Arzt irritiert und empfahl ihm seine Creme nicht mehr zu verwenden und fragte Gwanzi, was für eine Creme er denn benutzen würde. Als Gwanzi antwortete, dass er Nivea verwende, erwiderte der Arzt, dass er das noch nie gehört hätte, und es bestimmt ein Westprodukt sei. Am nächsten Tag kam er wieder zu dem Arzt und zeigte ihm diesmal die Flasche. Als der Arzt die Aufschrift gelesen hatte, sagte er: „Wie können Sie sich nur mit Seife eincremen? Das ist doch Duschgel und keine Hautlotion“, und brach in schallendes Gelächter aus. Der Arzt sah an Gwanzis Gesichtsausdruck, dass dieser sich beleidigt fühlte. Gwanzi antwortete schließlich: „Ich nix verstehe, alles was Sie sagen.“ Der Arzt ließ nachfragen, ob irgendjemand Französisch sprechen würde. Es kam eine Dame Mitte 30. Sie sprach fließend Französisch und übersetzte noch mal alles. Er benutzte fortan eine Körperlotion. Er spürte nur beim Duschen noch seine Hautreizungen, die dann aber allmählich verschwanden. Er hatte gemerkt, wie wichtig es ist, die Landessprache zu beherrschen. Sein Freund Bafim hatte mit einer Fleischkonservendose ähnliches erlebt. Er kaufte schon seit einiger Zeit immer wieder die gleiche Fleischkonservendose. Eines Tages fragte ihn eine Frau, ob er eine Katze hätte, weil er so viel Katzenfutter kaufen würde. Er antwortete, dass er die Dosen zum Frühstück mit Toast nehmen würde. Sie lachte und riet ihm ab, dies nicht mehr zu essen, denn es sei für Katzen gedacht und nicht für Menschen. Es sei zwar nicht gefährlich, aber die darin enthaltenen Hormone könnten ihn dick werden lassen, behauptete sie. Bafim konnte seine Zunge kaum noch spüren, als die Frau ihm das erzählte. Er dachte, er hätte die ganze Zeit Katzenfleisch gegessen.

Es war wirklich eine Reihe von Erfahrungen, die jeder Neuling im Sprachinstitut machte. Manche fanden ihre Erlebnisse lustig, aber andere hatten einfach auch Glück, dass sie aufgrund ihrer mangelhaften Deutschkenntnisse keine schlimmeren oder gar lebensbedrohlichen Erfahrungen sammeln mussten.

Da Okomje Probleme beim Studium hatte, unterbrach er es und machte eine Ausbildung zum Gastronomiefachwirt, während seine Freunde weiter studierten.

 

Als er mit der Ausbildung fertig war, machte er sich selbstständig, indem er ein kleines afrikanisches Restaurant eröffnete. Einige Freunde aus der Studienzeit jobbten bei ihm, um ihr Taschengeld aufzubessern.

 

Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis er den Gewerbeschein bekommen hatte. Durch die Kontakte seiner Frau konnte er zum Schluss die Schikanen der Behörden umgehen, die verlangten, eine Liste aller Lebensmittel sowie Speisen, die er vorhatte zu servieren, zusammenzustellen.

Die Zutaten, die er Ihnen gegenüber erwähnt hatte, waren für Sie keine Gewürze sondern mögliche Voodoo Wurzeln, die in Afrika zwar als Nahrung galten, aber hier in Wamsbuk völlig verboten werden sollten. Sie äußerten große Zweifel an den Konservierungspraktiken von afrikanischen Einfuhrprodukten und waren auch geneigt, ihm jegliche Fremdwaren zu untersagen.

Okomje bekam einen Zettel zum Unterschreiben und als von der Sachbearbeiterin Bedenkzeit forderte, beschimpfte sie ihn und sagte ihm, dass das Feld, in das er sich begeben wollte, nicht leicht sein würde. Er müsste auch mit regelmäßigen Hygienenkontrolle rechnen. Sie gab ihm den Tipp, in seinem Restaurant ein weiße Bedienung zu beschäftigen, wenn er Kunden haben wollte. 

 

Okomje hatte nun die erste Bewährungsprobe gemeistert, indem er mit den Problemen im Gaststättengewerbe konfrontiert wurde. Für viele Restaurantbesitzer bedeutete eine Schließung ihres Lokals eine Vernichtung ihrer Existenz. Kompromisse scheiterten schon, als sein Vorgänger noch das Lokal hatte.

 

Neben seinem Restaurant gab es einen Kneipenbetreiber. Der verkaufte auch Alkohol an Jugendlichen unter 18 Jahren. Immer wieder kamen Beschwerden von den Eltern. Ihre Kinder erzählten oft, dass Sie im Restaurant gesessen waren obwohl das nicht der Fall war. Die Eltern äußerten sich schlecht über Okomje und waren nun bemüht, alles zu unternehmen, damit das Lokal von Okomje geschlossen wurde.

 

Okomje konnte es nicht fassen, dass er der Sündenbock war, obwohl er sich die ganze Zeit das Verhalten des Kneipenbetreibers mit Skepsis anschaute. Diesen Coup wollte er sich jedenfalls nicht gefallen lassen.Okomje blieb seinen Prinzipien treu und bestand auf einem Gespräch mit dem Kneipenbetreiber. Er äußerte seine Besorgnis, die Jugendlichen vom Alkohol weg zu bringen. Daher schlug er vor, leer stehende städtische Gebäude zu zinsgünstigen Krediten zu verkaufen. Dies war also zum Nutzen der Stadt. Es sollten diese Gebäude dann nicht zum Alkoholvertrieb, sondern zum Beispiel als Jugendzentrum genutzt werden.

Der Betreiber war mit diesem Vorschlag einverstanden. Der Konflikt wurde so gelöst und als Vorschlag beim Gemeinderat eingebracht. Von den 40 Gemeinderäten waren nur fünf gegen den Verkauf von städtischen Objekten. Sie waren der Meinung, dass man solche Objekte für Schulzwecke nutzen sollte.

Aber Wamsbuk konnte nicht so viele Schulen eröffnen, da man sonst womöglich nicht genügend Lehrkräfte für so viele Schulen hatte. Ein Ausgleich wäre wichtig. Okomje versuchte diese fünf Gemeinderäte auch noch zu überzeugen. Es ging um die Marktattraktivität und Privatinvestitionen, die eine Stadt braucht.

 

Wenn es genügend Cafés und Restaurants gäbe, dann könnten auch mehr Besucher in die Stadt kommen, betonte er. Die Gemeinde profitiert auch von der Mehrwertsteuer, die von den Gewerbetreibenden entrichtet würde. Schließlich wurde der Vorschlag einstimmig angenommen.

 

 

 

Die Geschäfte bekamen bessere Umsatzzahlen, da die Öffnungszeiten verlängert wurden. Auch die vielen Kleinläden profitierten davon. Die Bürger hatten keinen Grund, all ihre Einkäufe am Samstag zu tätigen, da nun auch sonntags regulär geöffnet war. Da Wamsbuk die erste Stadt mit diesen lockeren Öffnungszeiten war, kamen die Leute auch aus anderen Städten zum Einkaufen hierher. Okomje plante nun, die Kneipen in der Nähe von Schulen zu schließen, um den Jugendlichen das trinken von Alkohol zu erschweren. Aber die Kneipen demonstrierten für den Fall einer Schließung und forderten neue Plätze, wo sie wieder eröffnen könnten. Manche wollten für die Schließung ihrer Kneipe lieber dreistellige Entschädigungen von der Stadt. Dazu war der Gemeinderat nicht bereit.

 

Okomjes Teilnahme an der Bürgermeisterwahl der Stadt Wamsbuk

Okomje lebte nun schon 30 Jahre in der Gemeinde Wamsbuk. Er betrieb seine Gaststätte und verwöhnte seine Gäste mit kulinarischen Spezialitäten aus Ashante. Immer gut gelaunt erfreute er seine Mitmenschen mit seinem natürlichen Humor. Sein Lokal lief gut und die prächtigen Gemälde an den Wänden erinnerten an die Kolonialzeit. Okomje erzählte gern, dass sein Urgroßvater Deutsch sprach und er auch einen deutschen Onkel hatte. Daher hatte er auch seinen Vornamen Winfried. Er amüsierte sich, wenn man ihn fragte, warum er denn keinen afrikanischen Vornamen trüge. Da pflegte er zu antworten, dass die Afrikaner keine Vornamen kannten. Erst als die Weißen ins Land kamen und mit der Missionierung und Taufe begannen, bekamen auch die Afrikaner Vornamen.

Okomje war sehr bildungswillig. Er beteiligte sich an politischen Diskussionen, las viel und trat sogar in eine Partei ein. Sein Motto lautete stets: „Mittendrin sein und dann verändern können.“ Am Anfang hatte er mit Vorurteilen und Angriffen zu kämpfen. Denn viele Parteigenossen sahen ihn als Fremden, der sich nur einmischte. Obwohl er auch die deutsche Staatsbürgerschaft hatte, wurde er dennoch gefragt, wieso er als Afrikaner dieser Partei angehören konnte, die nicht gerade für die Rechte der Ausländer eintrat. Für ihn war es Motivation, Veränderungen zu bewirken. Gerade deshalb war er gekommen, um zu zeigen, dass man sein schwarzes Äußeres nicht verbergen musste. Er setzte sich durch und wurde langsam ernst genommen. Der Kreisvorsitzende, Herr Brathuhn, war sehr beeindruckt von Okomje und wollte seine politischen Ambitionen stärken, um ihm den Weg in die Parteispitze zu ermöglichen. Okomje hatte es durch sein unermüdliches Durchhaltevermögen geschafft, dass ihn nun viele schätzten. Vor allem, wenn es um Okomjes Beiträge zu den Themen Bildung und Haushalt ging.

Er redete wenig über Ausländerpolitik, denn er wollte nicht den Eindruck erwecken, nur zu seinem eigenen Vorteil zu handeln. Er hatte sich lieber für das Gemeinwohl Ziele gesetzt und konnte vielleicht durch den Schwerpunkt Bildung noch bessere Perspektiven für ausländische Bürger aus parteipolitischer Sicht erreichen. Man ernannte ihn zum Bildungsexperten der Partei. Seine Rivalen sahen es nicht gern, wenn jemand ohne höchsten Bildungsgrad und von afrikanischer Herkunft eine solche Position antreten sollte. Dennoch hielt ihn der Kreisvorstand für die beste Wahl. Okomje überzeugte in vielen Gesprächen, die er mit Bildungseinrichtungen führte. Er hörte sich um, was die Eltern an Verbesserungen wünschten und versuchte, alle Anliegen in der Partei zu erörtern. Er hatte den Vorteil, im Gegensatz zu vielen seiner Parteigenossen, nie die Nähe zu den Bürgern zu verlieren. Das Vertrauen in seine Arbeit wuchs, und so wurde er beliebt bei den Medien. Häufig konnte man seine Beiträge zu Bildungsreformen in der Zeitung lesen. Seine Thesen sprachen auch einfache Familien an, denn er formulierte seine Argumente in verständlichen Worten. Er wurde sogar zu Talkshows im Fernsehen eingeladen. So verschaffte sich Okomje mehr und mehr Anerkennung und Akzeptanz in der Partei und überall. Als der Bürgermeister Kumelin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weiterkandidieren wollte, schlug die Partei ihn als Nachfolger vor. Den Delegierten legte Okomje sein Programm vor und bekam per Akklamation mehr Zustimmung als sein Kontrahent Schelmhalz. Dieser fühlte sich beleidigt und verließ den Raum, als der Kreisvorsitzende Okomje zum Bürgermeisterkandidaten ausrief. In drei Monaten sollten die Bürgermeisterwahlen durch die Bürger stattfinden. Es waren insgesamt neun Kandidaten, die sich zur Wahl des Bürgermeisters aufstellen ließen.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Gemeinde Wamsbuk war auch eine Frau Kandidatin. Sie hieß Frau Oberwald und war Friseurmeisterin. Durch ihre Kundschaft besaß sie eine große Popularität in der Region. Verheiratet war sie mit einem Bäckermeister, der sein Geschäft schon über 40 Jahre betrieb. Die Bäckerei war auch für ihre tollen Marzipankuchen sehr bekannt. Nun sollte Okomje gegen diese starken Kandidaten im Wahlkampf antreten. Überall in den Straßen Wamsbuks waren die Plakate der Kandidaten zu sehen. Okomje hatte die besten Slogans auf seinen Plakaten und sein Bild strahlte irgendwie bürgernahe Sympathie aus. In den letzten Wochen schlief er kaum und ging von einer Sitzung zur nächsten und machte Werbung für sich, indem er sein Programm erklärte. In dieser Zeit hatte die Bäckerei Oberwald auch genug zu tun. Herr Oberwald war selbst als Wahlstratege für seine Frau an der Front. Er schenkte den Kunden belegte Brötchen und entwarf neue Kuchensorten, die er die Leute verkosten ließ. Auch hatte er eine neue Verpackung entworfen, auf der seine Frau abgebildet war. Es stellte sie dar, wie sie einem schwarzen Kind ein Brot schenkt. Dieses Bild auf der Verpackung war ein echtes Highlight im Wahlkampf. Wie sie darauf gekommen waren, blieb ihr Geheimnis. Man redete jedenfalls darüber. Es wurde von den Leuten in Wamsbuk als Zeichen für ihre Öffnung Ausländern gegenüber interpretiert. Manche sagten ihr nach, sie würde mehr leisten, um die Ungerechtigkeit in der Stadt abzubauen. Viel Zeit blieb nicht mehr bis zum Wahltermin. Alle Kandidaten mobilisierten in dieser Endphase des Wahlkampfes ihre ganzen Kräfte. Es herrschte Euphorie unter den jüngeren Wahlberechtigten. Okomje war musikalisch begabt. Er konnte ganz gut Hip Hop singen und rappte wie ein Teenager. Damit konnte er bei den jungen Wählern punkten. Die alten Wähler waren eher nüchtern. Denn nie zuvor hatte ein Schwarzer hier ein so hohes Amt angestrebt. Sie hatten keine klare Vorstellung, was da auf sie zukommen würde und was sie von ihm halten sollten. Diese älteren favorisierten Frau Oberwald. Aber man musste abwarten, wie sich das Ergebnis an der Wahlurne darstellte. Natürlich wäre es auch ein besonderer Tag für Okomje, wenn er als erster Farbiger in der Geschichte Wamsbuks die Wahl gewinnen würde. Komischerweise waren Okomjes Plakate häufig zerrissen oder mit Farbe besprüht worden. Man wusste nicht, wer die Täter gewesen sein konnten. „Schlimm“, sagten die Passanten. Was sie vergaßen war, dass Wamsbuk auch eine rechte Szene hatte. Denen konnte man eher so etwas zutrauen, da sie generell ausländerfeindlich eingestellt waren. Okomje nahm es gelassen. Er wusste, wenn die Wähler ihm vertrauten, dann hätte er einen Bonus gegen diese intoleranten Rechten. Am Tag der Wahl ging Okomje mit seiner Frau zum Gottesdienst, bevor sie ins Wahllokal weiterfuhren. Im Gottesdienst traf Okomje Leute, die ihm schon gratulierten und versprachen, ihm ihre Stimme zu geben. Der Weg zur Kirche kam ihm wie ein Kraftakt vor, und er fühlte sich, als ob er seinen Wahlkampf bis zur letzten Minute führte. Er hatte zwar keine Rede gehalten, aber allein durch seine Anwesenheit konnte er noch einige zu seinen Gunsten motivieren. Als Okomje dann im Wahllokal eintraf, waren dort schon Presse und Fernsehen anwesend. Sie wollten unbedingt vorab eine Einschätzung von Okomje hören, aber der wiegelte nur ab und meinte, sie sollten das Ergebnis abwarten, um dann ihre Fragen zu stellen. Bis 18.30 Uhr dachten alle Demoskopen, dass sich eine Sensation anbahnte. Frau Oberwald lag bis jetzt knapp vor Okomje. Man sollte aber erst noch die Stimmenauszählung in den Stadtbezirken mit hohem Ausländeranteil abwarten. Gegen 23 Uhr hatten nun alle Wahlkreise ihre Stimmen ausgezählt. Das Ungeheuerliche geschah: Die restlichen Bezirke stimmten mehrheitlich für Okomje. Es war nunmehr amtlich: Okomje war zum ersten farbigen Bürgermeister in Wamsbuk gewählt worden. Viele schätzten seinen Ehrgeiz. Er sprach die Sprache des Kleinbürgers und konnte gut überzeugen. Die Leute schrien: „Wie konnte das nur geschehen? Jetzt werden wir von einem Fremden geführt!“ An den Stammtischen der Lokale, wo Frau Oberwald siegessicher auftrat, hörte man: „Oh armes Wamsbuk, du hast deine Seele verkauft.“ Aber die Mehrheit der Wähler hatte sich entschieden, und so sollte man es dann auch akzeptieren. Die Presse war da. In Okomjes Lokal konnte man kaum einen Platz ergattern. Alle seine Parteifreunde kamen zum Gratulieren. Die Schwarzen hatten endlich einen Grund, um zu trommeln. Bis nach Mitternacht hörte man Trommeln auf dem Marktplatz, obwohl es um diese Zeit Lärmbelästigung war. Am nächsten Tag konnte man in den Zeitungen lesen: „Ein Afrikaner als Bürgermeister, Wamsbuk dem afrikanischen Trommelwahn verfallen.“ Manche schrieben noch krasser: „Afrika beschlagnahmt Wamsbuk, Wamsbuk wird afrikanische Kolonie.“ Ein solches Gefühl war für Afrikaner unbeschreiblich. Alle Afrikaner waren auf einmal Bürgermeister in Wamsbuk. Man wollte nun erst mal abwarten, welche Politik Okomje im Rathaus machen würde. Als er seine Rede nach dem Wahlergebnis hielt, sagte er: „Ich bin ein Wamsbuker, ich möchte Wamsbuk erhellen, wie die Sonne die Erde.“ Da fragten sich die Skeptiker, ob er mehr feiern oder sich doch mehr der desolaten Wirtschaftslage Wamsbuks widmen würde. Nicht wenige hatten Zweifel, aber es war noch viel zu früh, den frisch gekürten Bürgermeister zu beurteilen. Es gingen auch Faxe von einigen afrikanischen Botschaften ein, die Okomje zur Wahl gratulierten. Die Stadt war zum Mittelpunkt des öffentlichen Interesses geworden. Auch international war die Nachricht vernommen worden. Eine Gemeinde mit knapp 88.000 Einwohnern hatte seit ihrem 750-jährigen Bestehen erstmals überdurchschnittlich an Ansehen gewonnen. Es könnte sich dadurch auch ein gutes Investitionsklima für ausländische Investoren entwickeln und weitere internationale Verbindungen, an die man jetzt noch gar nicht denken konnte, meinten Wirtschaftsexperten. Jedenfalls hatte Okomje zunächst vor, die Priorität seiner Arbeit auf das Bildungswesen und die Arbeitslosigkeit zu lenken. Er berief eine Parteisitzung im Gemeinderat ein und stellte sein Konzept vor. Seine Vorschläge waren erfolgversprechend und realistisch genug, so dass auch seine Ideen zur Konsolidierung der Stadtfinanzen Zustimmung fanden. Er hatte auch vor, die Kriminalität zu bekämpfen und den Ausländern in Wamsbuk bessere Integrationschancen zu geben. Gerade in dieser Zeit war es häufig zu ausländerfeindlichen, rassistischen Übergriffen gekommen. Da hatte Okomje schon einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, wie man diesen Problemen Herr werden könnte. Einige Parteigenossen waren von Okomjes Ideenreichtum überrascht. Er wollte seine politischen Projekte mit den Menschen und für die Menschen vorantreiben. Er hatte die Vision, eine tolerante Gesellschaft zu schaffen, weil er aus einem fremden Kulturkreis kam. Er wusste aus eigener Erfahrung genau, wie schwer es war, in dieser neuen, fremden Welt ganz von vorn zu beginnen. Er kannte daher vor allem die Probleme der Ausländer fern der Heimat. Dennoch wollte er sich langfristig nicht als Anwalt der Ausländer verstanden wissen. Wichtig war für ihn, Strukturen zu schaffen, die ein friedliches, zufriedenes Zusammenleben ermöglichten. Sicher keine leichte Aufgabe, dessen war er sich wohl bewusst. Er hatte sich viel vorgenommen, aber Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. In allen Stadtteilen ließ er zunächst Bibliotheken errichten. Denn die Bürger sollten überall die Möglichkeit haben zu sitzen und zu lesen. In den Bibliotheken gab es auch Räumlichkeiten, wo Moderatoren regelmäßig Gesprächsrunden und Foren leiteten, in denen Bürger Meinungen austauschen konnten. Eine andere Innovation durch Okomje war die kostenlose Kinderbetreuung für berufstätige Mütter in den Kindertagesstätten. Er machte die Stadt auch für den internationalen Tourismus zugänglich und ließ neue Museen einrichten. Er wusste immer genau, was die Bürger am dringendsten brauchten und suchte dann nach Möglichkeiten, diesen Wunsch zu erfüllen. Er ließ Sportanlagen in den Stadtteilen mit vielen sozialen Problemen errichten.

Im Zuge der Integrationspolitik wollte er ebenfalls Akzente setzen. Ausländer, die Wohnungen suchten, sollten Wohnungen in allen Stadtteilen angeboten bekommen. Somit durchbrach er das Klischee der reinen Ausländerviertel. Die Afrikaner erwarteten noch mehr von ihm, da sie dachten einer von ihnen könnte all ihre Wünsche erfüllen. Aber Okomjes Politik zielte nicht darauf ab, einzelne Gruppen zu favorisieren, sondern diente dem Gemeinwohl. Okomje setzte sich auch für den Abbau von Privilegiertenschulen ein. Eines seiner obersten Ziele bestand darin, den Bürgern Vertrauen in seine Politik zu geben. Vor allem suchte er immer das Gespräch mit den Bürgern, um immer Kontakt mit der Basis zu halten. Innerhalb eines Jahres hatte er mehr Bürger empfangen als sein Vorgänger während seiner gesamten Amtszeit. Okomjes Sekretärin hatte ein gutes, entspanntes Verhältnis zu ihm. Er konnte viel scherzen mit ihr, und immer wieder erinnerte er sich an seine Zeit als Gastronom.

Er hatte in all den Jahren in Deutschland gelernt, dass man sich anstrengen musste, wenn man erfolgreich sein wollte. Jetzt waren es eben keine Gäste mehr, die in seinem Lokal mit Essen und Getränken zufrieden gestellt werden mussten, sondern seine Bürger, die es galt, ernst zu nehmen und nach Möglichkeit zufrieden zu stellen. Obwohl Okomje einen Dienstwagen hatte, konnte man ihn oft auch als Fahrgast in der Straßenbahn sehen. Er machte dies bewusst, um sich über die Anliegen und Probleme mit der Bevölkerung zu unterhalten. Als Fußballfan hatte er sich auch dafür stark gemacht, dass die Mannschaft von Wamsbuk eine neue Orientierung bekam. Diese Mannschaft spielte in der Kreisliga. Es gab einige Leute, die mit dem Trainer unzufrieden waren, da er nur auf alte Spieler baute, obwohl es viele junge Talente gab. Auch das Stadion war in schlechtem Zustand und wirkte ungepflegt. Für den Bürgermeister Okomje stand die Investition für die Sanierung des Stadions auf der Liste der anzugehenden Projekte. Dieses Projekt sollte mehrere hunderttausend DM kosten. Es gab einige Firmen, die sich gerne an diesem Projekt beteiligen wollten. So war es möglich, dass die nötigen Gelder mobilisiert wurden. Innerhalb kurzer Zeit entstand ein modernisiertes, schönes Stadion in Wamsbuk. Viele Bürger in Wamsbuk schlugen vor, das Stadion Okomje-Stadion zu nennen. In Stammlokalen wurden heftige Debatten darüber geführt. Eine Entscheidung hierüber sollte vom Gemeinderat unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen werden. Okomje selbst wollte sich aus solchen Diskussionen heraushalten. Für ihn war es unwichtig, ob sein Name so verewigt wurde oder nicht. Es gab auch andere Vorschläge zur Namensgebung im Gemeinderat. So war zum Beispiel „Stadion der Freundschaft“ oder „Stadion der Völkerverständigung“ im Gespräch. Ein weiterer Wunschname war „Stadion Okomje von Wamsbuk“. Okomje war während der Namensfindung für das neu renovierte Fußballstadion mit dem Besuch eines Bürgermeisters aus Afrika beschäftigt. Er kam nach Wamsbuk, da er auf der Suche nach einer Städtepartnerschaft war. In den letzten Monaten waren es mindestens 20 Gemeinden und Städte in Afrika, die eine solche Städtepartnerschaft mit Wamsbuk eingehen wollten. Auch Okomjes Heimatland hatte hohe Erwartungen geäußert. Aber Okomje würde alleine keine Entscheidung treffen können. Er berief eine Gemeinderatssitzung ein, um darüber zu befinden. In seiner Rede hob Okomje hervor, dass er sich zwar sehr über eine Partnerschaft Wamsbuks mit einer Gemeinde aus seinem Heimatland freuen würde, aber die Gemeinderäte sollten selbst entscheiden, welche afrikanische Gemeinde am vorteilhaftesten für Wamsbuk sein würde.

Die Sitzung war sehr spannend und der Okomje sollte am Ende die Entscheidung bekannt geben. Die Entscheidung fiel auf das Nachbarland von Okomjes Heimatland. Diese Nachricht wurde in Okomjes Heimat bestimmt mit großer Bestürzung aufgenommen. Sogar die Botschafter wären bestimmt unzufrieden. Nun war es Okomjes Aufgabe, eine Entscheidung zu erklären, für die er nicht verantwortlich war. Er sollte die Wogen glätten und die leicht überkochenden, temperamentvollen afrikanischen Emotionen besänftigen. Also waren hier auch Okomjes diplomatische Fähigkeiten gefragt. Er schrieb an den Botschafter, der ihm antwortete: „Lieber Okomje, deine Brüder würden mehr von deiner Amtszeit profitieren, wenn Wamsbuk mit uns die Städtepartnerschaft einginge. Bitte überreden Sie unbedingt den Gemeinderat.“ Okomje befand sich in einer Zwickmühle, er wollte seinen Ehrenkode nicht verletzen. Natürlich war nach außen hin der Eindruck entstanden, dass er sein Heimatland nicht genügen unterstützt hatte. Da er aber dem Gemeinderat unterstellt war, wurde die Demokratie bei jeder Handlung gewahrt. Okomje war schließlich kein unumschränkter Alleinherrscher, wie es sie noch in manchen afrikanischen Staaten gab. Jedenfalls war die Partnerschaft mit Bamako, einer Stadt in Okomjes Nachbarland, beschlossene Sache. Über die Inhalte dieser Kooperation hatte man noch nicht verhandelt. Als die Zeitungen die Nachricht mit „Bamako, Wamsbuks Partnerstadt: Entwicklungschancen?“ betitelten, gingen die Meinungen auseinander. Viele kannten Bamako nicht und hörten diesen Namen zum ersten Mal. Es wurde behauptet, die Vorteile einer solchen Partnerschaft lägen nur auf der afrikanischen Seite. Welchen Vorteil Wamsbuk daraus ziehen sollte, war niemandem so recht klar. Die afrikanische Gemeinde reagierte sehr positiv darauf. Der Tourismus könnte dadurch gestärkt werden. Es könnten Handelsbeziehungen zwischen den Partnerstädten entstehen und es könnte zu verschiedenen Austauschprogrammen kommen. Es begann sich nun in Wamsbuk etwas zu bewegen. Wamsbuk hatte bisher nur Städtepartnerschaften mit europäischen Städten unterhalten. Der Kontakt mit Afrika war für viele wie ein Sprung des Raumschiffs Enterprise in eine fremde Galaxie, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Wie es üblich war, sollten nun die Wappen der beiden Partnerstädte auf einem Plakat zu sehen sein und an einer gut einzusehenden Stelle in Wamsbuk aufgestellt werden. Dieser symbolische Akt hatte die Afrikaner in Wamsbuk dazu angeregt, noch ihre eigene Botschaft auf das Plakat zu drucken. Sie diskutierten über die künstlerische Fertigkeit, mit der das Plakat gestaltet worden war. Einige unter ihnen waren der Auffassung, dass man auf ihm Afrika wieder erkennen müsste und hatten viele unterschiedliche Ideen. In Wamsbuk lebte ein bedeutender Künstler aus Bamako, der neuen Partnerstadt Wamsbuks. Er hieß Jbieson. Er hatte einen Holzrahmen entworfen und darauf verschiedene Motive in typisch afrikanischem Kunststil dargestellt. In diesem Rahmen sollte noch ein Blech angebracht und die Städtewappen eingraviert werden. Als Jbieson sein Kunstwerk fertig hatte, stellte er es vor dem Rathaus aus. Viele Menschen kamen, um es zu besichtigen. Er tat dies demonstrativ ohne den Auftrag einer städtischen Instanz dafür erhalten zu haben und schenkte sein Werk der Stadt Wamsbuk. Okomje war sehr von diesem Geschenk angetan und bedankte sich herzlich im Namen der Gemeinde. Jbieson war überrascht, dass die Medien mit soviel Lob über ihn berichteten, er hatte nicht damit gerechnet. Für ihn war es zunächst einmal ein Zeichen für die Unterstützung des Kooperationsabkommens zwischen Bamako und Wamsbuk. Er wusste nicht, dass sein Kunstwerk auch ein wenig die Herzen der Menschen erobern würde. Seine Popularität wuchs und man sah diese afrikanische Holzschnitzerei mit anderen Augen. Die Kulturabteilung Wamsbuks fand es besser, das Werk im Empfangsbereich des Rathauses auszustellen, und beauftragte Jbieson mit der Anfertigung eines Duplikats, das im Freien aufgestellt werden konnte. Schnell wurde man sich über die Entlohnung einig. Jbieson bekam nun Aufträge von verschiedenen Einrichtungen. Die Stadtparkverwaltung bat ihn um Konzepte zur Verschönerung der Parks. Jbieson verstand dies als Gunst der Stunde und wollte noch einige andere Künstler, die hier unbekannt waren, in diese Projekte mit einbinden. Damit sollte sich die afrikanische Kunst in Wamsbuk verbreiten. Man begann langsam diese Art der Kunst zu schätzen und zu respektieren. Okomje hatte mittlerweile eine Einladung aus Bamako bekommen. Er sollte Bamako in den nächsten Monaten besuchen. Diese Einladung nahm er gerne an. Er würde jedoch nicht alleine reisen. Zu einer solchen Reise gehörte die Bildung einer Delegation, um Wamsbuk nach außen zu repräsentieren. Da meldeten sich Ärzte, Unternehmer und Künstler an. Man hatte über das Konzept eines Bildungsprojektes diskutiert, das Wamsbuk in Bamako verwirklichen sollte. Man hatte vor, dort eine Art technische Berufsschule zu bauen. Der Gemeinderat war bereit, dafür 10.000 DM aus der Stadtkasse zur Verfügung zu stellen. Einige Unternehmer hatten ebenso finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, sodass schließlich eine Summe von 100.000 DM zusammenkam. Damit konnte man noch eine Sanitätseinrichtung errichten. Okomje bewies einen starken Charakter bei seinen Parteifreunden und hatte sogar bei seinen Skeptikern Sympathien. Seine Art zu regieren beruhte auf Kompromissen, aber er konnte auch einen harten Ton anschlagen, vor allem wenn er es mit Menschen zu tun hatte, die ihr Wort nicht hielten. Okomjes Amt war auf drei Jahre befristet. Nach einem Jahr hatte er schon so viele Aktionen bewerkstelligt, dass man sich unweigerlich fragte, woher er nur diese Energie nahm. Seine Reden schrieb er allein. Er verfügte über einen flüssigen Sprachstil und konnte während einer Diskussion bemerkenswert gute Formulierungen finden. Der Marktplatz in Wamsbuk hatte jetzt ein anderes Gesicht. Jedes Wochenende verkauften hier Afrikaner Kunstobjekte und tropische Früchte. Aber viele Afrikaner hielten sich auch für einen Bürgermeister, wenn sie zum Beispiel ihre Autos falsch parkten oder unerlaubterweise Rasenflächen betraten. Okomje hatte strikte Anweisungen gegeben, um Störenfriede jeglicher Art mit Bußgeldern zu bestrafen. Oft ärgerten sich die Afrikaner darüber und meinten er sei noch schlimmer als sein Vorgänger und besäße kein afrikanisches Gemüt mehr. Manche Kommentare lauteten: „Oh, Okomje möchte wohl noch deutscher sein als ein echter Deutscher. Hoffentlich verliert er die nächste Wahl. Wir dachten durch ihn bessere Jobs und einfacher Kredite bei Banken zu bekommen. Aber nichts dergleichen. Wem hilft er eigentlich? Für wen hält er sich denn? Wir Afrikaner sind noch schlechter gestellt als die anderen Ausländer hier. Er muss uns Perspektiven anbieten und mehr für uns tun.“ Die hitzigen Diskussionen nahmen kein Ende, bis zufällig Kebiyono ins Lokal kam. Er versuchte sie davon zu überzeugen, dass Okomje zwar aus Afrika stammte, er aber kein Anwalt und Bürgermeister für Afrikaner werden sollte, sondern für ganz Wamsbuk. Was sollten denn die anderen sonst von ihm halten? Kebiyono schaffte es nach und nach, die Gemüter zu besänftigen und bot allen schwarzen Brüdern eine Bierrunde auf seine Kosten an. Da sagte Musila zu ihm: „Hey, du wärst bestimmt ein guter Bürgermeister, Bruder. Wir haben jetzt unseren Durst gestillt. Gott beschütze dich und deine Familie und öffne dein Herz für die Armen.“

Kebiyono lächelte und blieb noch eine Weile, bevor er weiter zum Krankenhaus fuhr, da er an diesem Wochenende Dienst hatte. Langsam verstand Kebiyono, wie die Brüder auf Okomje zu sprechen waren. Er konnte es allerdings nicht nachvollziehen, denn Okomje hatte seiner Ansicht nach doch schon viel positiv bewirkt. Vielleicht waren die meisten Afrikaner zu egoistisch und konnten mit dem Begriff Gemeinwohl nichts anfangen, was das Aushängeschild Okomjes Arbeit als Bürgermeister war.

Hatte er doch immer betont, für das Gemeinwohl in Wamsbuk zu sorgen und nicht ein Anwalt der Ausländer zu sein. Da konnte Kebiyono die Einstellung der Brüder mit seinem Projekt vergleichen, wo es große Schwierigkeiten mit den kamerunschen Behörden gab, die Einfuhrgenehmigung für dringend benötigte Medikamente zu bekommen. Kebiyono und Okomje waren befreundet und trafen sich gerne in ihrem Lieblingsrestaurant. Kebiyono erzählte Okomje beim nächsten Treffen von der Unzufriedenheit der afrikanischen Mitbürger in Wamsbuk, von den Vorteilen, die sie nicht bekämen und wie sehr sie sich von ihm im Stich gelassen fühlten. Okomje war zunächst ziemlich erschüttert, als er davon hörte, aber er machte klar, nichts an dem von ihm eingeschlagenen Kurs ändern zu wollen. Er sei schließlich nicht nur von Ausländern gewählt worden und müsse sich auch um die Belange der anderen hier lebenden Menschen kümmern. Wenn er eine Gruppe bevorzugen würde, würde er seiner Funktion nicht mehr gerecht werden. Er mache schließlich nicht die Gesetze und müsse sich bestimmten Einschränkungen bei der Ausübung seiner Tätigkeit unterwerfen. Er hatte festgestellt, dass in den zwei Jahren, in denen er nun schon im Amt war, ihn einige Freunde, mit denen er vieles gemeinsam hatte, als er noch seine Gaststätte betrieb, nicht mehr besuchten. Er sagte zu Kebiyono: „Afrikaner können schon schwierige Menschen sein, komm lass uns ein Glas Wein trinken, mein lieber Kebiyono.“

Okomje wollte sich immer noch mehr rechtfertigen, aber Kebiyono bremste ihn und sagte: „Ja Okomje, lass es jetzt mal gut sein mit den Brüdern. Versuch deine diplomatischen Fähigkeiten ihnen gegenüber mehr einzusetzen. Sie denken, du hättest es als Bürgermeister leicht, alles zu beschließen. Du weißt ja, welche Macht die Bürgermeister in Afrika besitzen. Sie können Grundstücke verkaufen und über Gott und die Welt bestimmen.“ Aber hier sei doch alles sehr viel anders als in Afrika, meinte Okomje. Man solle nicht vergessen, welche Macht auch die Medien hier besitzen. Allein durch die Tatsache, dass ich Bürgermeister bin, sind so viele Augen auf mich gerichtet und erwarten, dass ich schon beim banalsten Fehler zurücktrete.“ Okomje war sehr froh, dass Kebiyono ihm diese Nachricht überbrachte und konnte so noch besser die Stimmung der Afrikaner einschätzen. Er beauftragte Kebiyono mit den afrikanischen Vereinen zu sprechen, damit sie ein großes Fest mit afrikanischer Kultur veranstalten sollten. Als Kebiyono ihn fragte, ob er dort als Bürgermeister kommen würde, meinte Okomje, er wolle lieber als Schirmherr der Veranstaltung kommen. Es gab unzählige Vorbereitungen für das afrikanische Kulturfest. Viele Künstler wollten auftreten. Zum Glück hatten die Organisatoren die Veranstaltung als Open Air Veranstaltung vorgesehen, um möglichst vielen einen leichten Zugang zu ermöglichen. Okomje wollte dies auch nutzen, um die Probleme und Wünsche der afrikanischen Brüder zu diskutieren und ihnen seine Möglichkeiten besser vor Augen zu führen. Am Tag der Veranstaltung erschien Okomje gegen 19 Uhr mit seiner Frau Clara. Der Empfang war majestätisch. Tänzerinnen begleiteten sie bis zu ihren Plätzen. Es herrschte eine unbeschreibliche Atmosphäre, die ein wenig an die Feierlichkeiten bei den afrikanischen Sultanen erinnerte.

Okomje brachte in seiner Ansprache seine Freude über das Afrika-Kulturfest zum Ausdruck und appellierte an seine afrikanischen Landsleute, sich mehr zu öffnen. Er unterstrich, dass er sich als Bürgermeister um die Sorgen und Nöte aller Bürger kümmerte. Er beendete seine Rede mit der Bitte, dass alle bei der Umsetzung seiner Reformen mit anpacken sollten, wenn man die Früchte in der Zukunft ernten wollte. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, könnte man erfolgreich etwas bewirken, er allein könnte dies nicht schaffen. Während er gesprochen hatte, herrschte Stille, aber als er fertig war, konnte man tosenden Beifall hören. Seine Zuhörer erhoben sich von ihren Stühlen und schrien: „Okomje Präsident!“ Man hatte in dieser lockeren Atmosphäre viel Spaß, es war familiär und unprotokollarisch. Die Organisatoren hatten für Sicherheit gesorgt und waren darauf vorbereitet, dass einige unkontrolliert tranken und anfingen herumzupöbeln. Die Feier ging bis sechs Uhr morgens und alle waren zufrieden. Okomje und seine Frau Clara waren schon gegen ein Uhr gegangen, da Okomje am nächsten Tag schon einen Empfang im Rathaus gab. Nun hatte er durch seine Präsenz und Nähe wieder mehr Sympathien bei seinen Landsleuten gewonnen. Viele wollten nur sehen, ob er trotz seiner Funktion noch richtig tanzen konnte. Andere sahen in seiner unkomplizierten Art, Gespräche zu führen, eine Bestätigung seiner Größe und Ausstrahlung seiner Persönlichkeit.

Selbst diejenigen, die nur hochgesteckte Erwartungen hatten, fühlten sich an diesem Abend richtig ernst genommen. Vor allem als Okomje sagte, dass er wegen der vielen Probleme keineswegs resignieren werde. Er werde alles tun, damit die Sprachkurse für Ausländer kostenlos angeboten werden. Denn ohne Sprachkenntnisse hatte man nicht die geringste Chance, sich in ein fremdes Land zu integrieren. Er werde weiter gegen Ausländergettos kämpfen und sich für humane Integration in den Wohnvierteln einsetzen. Er bekräftigte nochmals, dass Ausländer überall in der Stadt und Umgebung Wohnungen angeboten bekommen sollten. Otamza, ein 70-jähriger Mann, der schon lange in Wamsbuk lebte, hatte mit dem Kopf genickt und immer wieder geklatscht, während Okomje gesprochen hatte. Er sagte: „Okomje, du bist unser Stolz! Wer hätte das gedacht noch vor 40 Jahren, als ich hierher kam. Wamsbuk hat sich geändert, und die Ausländer hier, insbesondere die Afrikaner, sollten sich glücklich schätzen. Zu meiner Zeit war alles noch viel schwieriger als heute. Alleine durch den ausländischen Namen blieben einem viele Türen verschlossen. Aber nun, da wir einen solchen Bürgermeister haben, gibt es keinen Grund mehr, sich zu isolieren.“

Mittlerweile lebten mehr als 1000 Afrikaner in Wamsbuk und bildeten einen Afrikarat, der aus Vertretern aller afrikanischen Länder bestand, die hier lebten. Dieser Afrikarat hielt seine Sitzungen immer in dem Lokal ab, das vorher einmal Okomje betrieben hatte und es entwickelte sich dort ein kleines Afrikazentrum. Das Leben begann sich zu normalisieren. Die Afrikaner verstanden sich nunmehr als Teil der Gesellschaft und hatten auch attraktive Berufe ergriffen. So gab es auch Lehrer, Ärzte oder Übersetzer, die afrikanischer Herkunft waren. Für die Wamsbuker Bürger war dieser Wandel sehr positiv. Wamsbuk wurde beispielhaft für die Integrationspolitik in Deutschland und in vielen anderen Städten zitiert. Dafür hatten die Wamsbuker durch ihre Wahl die Weichen gestellt. Man durfte Toleranz nicht nur predigen, sondern musste sie auch ausüben. Die Einwohner standen hinter diesem Modell. Es irgend woanders einfach kopieren zu wollen, würde bestimmt sehr schwer, ja vielleicht sogar zum Scheitern verurteilt sein. Diese funktionierende Integrationsgesellschaft in Wamsbuk hatte einige positive Nebeneffekte. So entfaltete sich der Tourismus und es kamen Investoren aus dem Ausland. Letztendlich war diese Entwicklung Okomjes Einsatz zu verdanken. Man konnte irgendwie stolz auf ihn sein, hatte er doch mehr bewegt als so mancher Spitzenpolitiker während seiner gesamten Amtszeit.

Wamsbuk hatte einen neuen Zoopark nicht weit vom Krankenhaus entfernt eröffnet. Es gab dort ein Vogelreservat, Giraffen, Löwen und eine Schlangenfarm. Man konnte den Park für eine Eintrittsgebühr von 2,50 DM besuchen. Der Park war etwa zehn Hektar groß und dort gab es auch einen See, in dem sich eine Fischzucht befand. Es hatte zuvor viele Diskussionen über den Standort eines solchen Zooparks gegeben. Vor allem waren die Naturschützer daran interessiert, dass man die alte Parkanlage, die nicht mehr genutzt wurde, erneuerte. Aber die Stadt Wamsbuk hatte andere Pläne und wollte dort einen Busbahnhof errichten. Durch den neuen Zoopark wurden den Bürgern attraktive Programme mit Tierschauen angeboten. Im Park gab es auch Restaurants, Tanzlokale und Bootsfahrten auf einem künstlich angelegten Fluss. Man suchte noch einen Parkdirektor und schaltete Anzeigen in allen gängigen Zeitungen. Der Zoopark gehörte der Stadt, und daher musste sie auch entscheiden, wer Direktor des Parks werden würde. Es gab zahlreiche Bewerbungen für diese Stelle. Auch Bitongo bewarb sich. Er schrieb darin, dass er im einem afrikanischen Dorf aufgewachsen sei und aus einer Jägerfamilie stamme und so den Umgang mit Tieren von Kindsbeinen an gewohnt sei. Er besaß zwar kein Zeugnis, aber er wäre bereit, bei einem persönlichen kennen lernen zu demonstrieren, dass er sogar mit Tieren kommunizieren könnte. Er wäre sogar fähig, mit Schlangen zu tanzen ohne angegriffen zu werden. Im Fachbereich Freizeit gingen die Bewerbungen ein. Man sortierte die interessantesten Bewerber heraus und lud sie zum Gespräch ein. Bitongo bekam auch eine Einladung zum Vorstellungstermin, der etwa eine Stunde dauern sollte. Der erste Teil sollte die Motivation des Kandidaten feststellen, im zweiten Teil kam die Phase der Besichtigung der Tieren. Diesen Teil absolvierte Bitongo sehr gut. Er zeigte keinerlei Berührungsängste mit Schlangen. Er zeigte einige Übungen mit ihnen, dass es sogar dem Abteilungsleiter des Schlangenhauses mulmig wurde. Bitongo küsste die grüne Mamba, eine der giftigsten Arten überhaupt, auf den Kopf und faszinierte mit seiner unnachahmlichen Art, die Tiere zu behandeln. Der vor Angst blasse Abteilungsleiter Herr Amboss war zutiefst beeindruckt. Zurück im Büro wollte er noch testen, inwieweit Bitongo auch betriebswirtschaftlich denken konnte. Er fragte Bitongo, wie er sich vorstelle, den Park rentabel zu halten und Gewinn damit zu machen. Darüber hatte Bitongo nicht wirklich viele Kenntnisse. Er war ein guter Schlangenbeschwörer, aber das Management war nicht sein Ding. Der Abteilungsleiter wollte einerseits die Fähigkeiten Bitongos nutzen, aber er brauchte auch einen Manager. Aus einer geplanten Stelle mussten zwei gemacht werden. Am Ende des Gesprächs bedankte er sich und versprach Bitongo, ihm eine baldige Entscheidung zukommen zu lassen. Bitongo verließ den Park und ging anschließend in sein Lieblingslokal, wo er von seinem Vorstellungsgespräch erzählte. Er scherzte auch ein wenig, indem er sagte, dass es im Park verschiedene Tiere gäbe, die gebraten eine wahre Delikatesse seien. Der Lokalbetreiber Kimwo lachte und meinte, dass er hier aufpassen müsste. Auch wenn man hier im Wald einem Kaninchen begegnen würde, dürfte man es nicht einfangen oder gar essen. In Afrika ist jedes Tier, sofern es nicht heilig ist, einfach nur Beute. Aber hier sind die frei lebenden Tiere Eigentum der Jagdpächter. Alle Gäste lachten und tranken genüsslich ihr Bier. Nach ein paar Tagen erhielt Bitongo einen Brief vom Fachbereich Freizeit. Er sollte als Tierpfleger im Park arbeiten und auch bei Tierschauen und Vorführungen eingesetzt werden. Über die Bezahlung wollte man sich noch einigen. Bitongo freute sich natürlich über diese Neuigkeit und rief seine Freunde herbei. Sie feierten bis Mitternacht bei ihm. Bitongo erzählte ihnen, dass er der neue Parkdirektor sei und er vielen Freunden Jobs beschaffen könne. Er zeigte dieses Schreiben seinen Freunden. Einer lächelte ihn an und meinte, ob er sicher sei den Inhalt des Briefes richtig verstanden zu haben. Denn da sei nur die Rede von Tierpflege und Fütterung. Bitongo sagte, dass es für ihn eine Verbesserung seiner Lage sei, da er nun Angestellter der Stadt wäre und somit automatisch mehr verdienen würde und weitere Vergünstigungen hätte. Am nächsten Tag hatte er einen weiteren Termin, um das Entgelt zu besprechen und den Vertrag zu unterzeichnen. Bitongo erfuhr dann, dass man sich für ihn entschieden hatte, da er so gut mit den Tieren umgehen konnte. Er bekam einen Vertrag als Tierpfleger und Vorführer von Tiershows. Er würde jedoch nur während des Sommers beschäftigt und im Winter beurlaubt werden. Als Bitongo fragte, was er während des Winters machen sollte, da sagte man ihm, dass er zu Hause bleiben solle vor dem Fernseher. Alle seien in diesem Saisongeschäft davon betroffen, nicht nur er. Er könnte sich dann auch einen Job in der Fabrik suchen, um diese freie Zeit zu überbrücken. Im Tierpark würde er 500 DM monatlich verdienen und einen Essenszuschlag von 40 DM bekommen. Bitongo akzeptierte und unterschrieb den Vertrag. In einer Woche sollte er anfangen. Man empfahl ihm, sich noch auf dem Gesundheitsamt gegen Tollwut impfen zu lassen. Die Kosten hierfür sollte er selbst übernehmen. Er hatte nun einen Job mit einem festen Einkommen, das er jeden Monat in seine Finanzen einplanen konnte. Denn seit er sich selbstständig gemacht hatte und die Reinigungsfirma betrieb, hatte er immer mehr Ausgaben als Einnahmen und fühlte seine Existenz gefährdet. Er wollte sich von nun an mehr seinem neuen Job im Tierpark widmen und seine selbstständige Tätigkeit aufgeben. Den Auftrag zur Reinigung der Schultoiletten, den er noch zu erfüllen hatte, übertrug er einem Freund, der so als Subunternehmer fungierte. Bitongo hatte jetzt neue Pläne und dachte darüber nach, einen Kredit zur Finanzierung eines Hauses aufzunehmen. Er musste jedoch mindestens 3 Monate arbeiten, bevor er einen Kredit beantragen konnte. Es sollte ein neues Leben für ihn werden. Der Job hätte den Vorteil, dass er für ihn nicht schwer sein würde, sondern eher wie ein Hobby. Seine Freunde dachten, dass er diesen Job dem Bürgermeister Okomje zu verdanken hätte, da Bitongo sich zuvor deswegen an ihn gewandt hatte. Nur Bitongo wusste, dass er diesen Job ohne fremde Hilfe aus eigener Kraft bekommen hatte. Seine Eigeninitiative hatte sich gelohnt. Im Grunde gab es immer Stellenanzeigen in den Zeitungen, aber die meisten Afrikaner kauften sich keine und waren daher nicht informiert. Bitongo hatte die Anzeige zufällig gelesen, da er die Zeitung auch nicht regelmäßig kaufte. Die meisten Afrikaner gingen an die Kioske, wenn sie Zeitungen lesen wollten und stöberten darin herum ohne eine zu kaufen. Viele bekamen oft Ärger mit den Verkäufern, die dann schrien: „Das ist kein Lesesaal, lass die Zeitung liegen oder kauf eine!“ Einmal ereignete sich ein Vorfall mit Mandio, einem guten Bekannten von Kebiyono. Als er versuchte, gemütlich am Kiosk eine Zeitung zu öffnen, stand ein kräftiger Kerl vor ihm und ohrfeigte ihn. Es war ein Mann, der eigens

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 29.07.2014
ISBN: 978-3-7368-2846-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich danke allen, die mir Mut gegeben haben das Buch zu schreiben. Meine Jahre im Migrationsbeirat der Stadt Mannheim haben mir auch viel geholfen um Menschen mit Migrationshintergründe besser zu verstehen.

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