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Kapitel


„Mama, sieh nur, ein Schmetterling!“ Voller Begeisterung renne ich dem kleinen Insekt hinterher. Der blaue Falter lässt sich flatternd auf einem Stein am Wegesrand nieder. Übermütig stürzte ich mich auf ihn und lande prompt in einer Pfütze. Der Schmetterling erhebt sich lautlos in die Lüfte und entschwindet in den klaren blauen Himmel. Staunend sehe ich ihm nach, während das Wasser aus meinem Kleidchen tropft. „Wenn ich doch auch nur fliegen könnte.“ Seufze ich. Meine Mutter lacht: „Ach Kleines, die Freiheit des Himmels ist etwas, das nur wenigen gegönnt ist. Komm, gehen wir nach Hause, dein Vater wartet sicher schon und außerdem holst du dir noch eine Erkältung.“
Ein wenig missmutig stapfe ich hinter Mama her. Mit jedem Schritt gibt es ein lustiges Geräusch in meinen Schuhen. Begeistert stampfe ich besonders fest auf, damit das Pflatschen noch lauter wird.
Als wir das Tor von Konoha erreichen, wird es schon dunkel. Die Sonne taucht den Himmel in viele bunte Farben. Ob sie sich nochmal von ihrer schönsten Seite zeigen will, bevor sie schlafen geht und der Mond mit seinen Freunden den Sternen aufgeht? Mit offenem Mund bleibe ich staunend stehen und male es mir aus, wie es wäre, durch diese Farben zu fliegen. „Sorano!“ höre ich die Stimme meiner Mutter, „Sorano, Kleines, wir müssen weiter.“ Langsam erwache ich aus meinen Tagträumen und trotte weiter, die Hände tief in meinen Hosentaschen vergraben und den Kopf in den Nacken gelegt. Als unser Haus in Sicht kommt, stürme ich schnell an Mama vorbei. Ich will unbedingt läuten. „Erster!“ brülle ich und drücke die Klingel im Sekundentakt.
Mein Vater öffnet die Tür. Sein Gesichtsausdruck ist nicht sonderlich fröhlich. Er sagt kein Wort, sondern geht einfach wieder rein. Ich will ihn umarmen, aber er drückt mich weg. „Essen hab ich heute keins gemacht, ich hatte eine wichtige Mission.“ Seine Stimme klingt müde und bedrückt.
„Ich werde mich hinlegen.“ Mit diesen Worten verschwindet er im Schlafzimmer.
„Haruto!“ meine Mutter will ihm erst hinterhergehen, dann dreht sie sich mit einem tiefen Seufzen wieder um und setzt ein Lächeln auf. Ich weiß genau, dass das nur gespielt ist. Mama ist sicher traurig. „Hat Papa uns jetzt nicht mehr lieb?“ frage ich sie vorsichtig. Sie lacht traurig. „Ach nein, das musst du verstehen. Er hatte einen anstrengenden Tag. Du weißt doch, dass Papa für die Sicherheit im Dorf zuständig ist.“ Sie kniet sich hin und umarmt mich. „Komm, wir gehen jetzt etwas zu Essen machen. Wie wäre es mit ein bisschen Reis und Gemüse? Das magst du doch so gerne.“ Ich nicke, mein Magen knurrt auch schon ziemlich laut. Wie ein Monster, das gefüttert werden will.

Später, als ich mit gefülltem Bauch und geputzten Zähnen im Bett liege, muss ich wieder an Papa denken. In letzter Zeit ist er immer öfter so schlecht drauf. Was, wenn er uns wirklich nicht mehr mag, oder einem seiner Freunde was passiert ist. Oder wenn böse Menschen das Dorf angreifen, oder… Leise Tränen kullern über meine Wangen. Mein Zimmer wirkt auf einmal so schrecklich dunkel. Wenn jetzt ein böser Ninja hinter dem Schrank steht? Oder dort, in dem Schatten bei der Tür, da könnte sich gut etwas Gefährliches verbergen.
„Mama.“ Flüstere ich leise. „Papa!“ Aber mich scheint niemand zu hören. Zitternd ziehe ich die Decke höher. Wenn ich jetzt aufstehe, könnte man mich an den Füßen packen und unters Bett ziehen.
Schließlich siegt mein Bedürfnis nach Trost und ich springe vom Bett. Schnell renne ich zur Tür und stürzte auf den Flur. Mit klopfendem Herzen schleiche ich den vom Mond beschienenen Gang entlang. An der Tür meiner Eltern bleibe ich stehen. Ich traue mich doch nicht, hineinzugehen. Leise weinend setzte ich mich auf den Boden. „Wir können das nicht verantworten, verstehst du das denn nicht?“ Das aufgeregte Flüstern meines Vaters dringt durch die Tür. Eigentlich soll man ja nicht lauschen, aber ich bin zu neugierig um der Versuchung zu wiederstehen. Vorsichtig lege ich ein Ohr an die Tür. „Sie ist unser Kind, wir können sie doch nicht wieder weggeben.“ „Nanami, sie ist nicht unser Kind, sondern eine der letzten Nachkommen aus dem verschollenen Clan. Du weißt doch noch wie ich-…“ Ich weiß! Aber sie ist mir einfach ans Herz gewachsen. Wo sollte sie denn hin, du weißt doch, dass ihre Eltern gestorben sind.“ „Das ist doch nicht unsere Sache, stell dir mal vor, wenn sie ihre Kräfte entwickelt. Wir wissen doch gar nicht damit umzugehen.“ „Da können uns doch sicher andere aus dem Dorf helfen, wir haben so viele fähige Ninjas und denke an den Hokagen. Wir können doch nicht einfach unser Kind aufgeben!“
Schon nach ihren ersten Worten war ich erstarrt. Ich verstehe nicht, was sie meinen. Wieso war ich nicht ihr Kind? Das konnte doch nicht sein, solange ich mich erinnern kann, waren sie immer bei mir. Und was für Kräfte? Und wieso damit umgehen. Ein Schluchzer entweicht meiner Kehle. Ich hasse es, wenn ich etwas nicht verstehe. Dann kann ich mich nicht mehr zurückhalten und beginne lauthals zu weinen. Die Tür wird aufgerissen und meine Mutter stürzt besorgt aus dem Zimmer. „Sorano, was machst du hier, du müsstest doch schon längst schlafen!“
„Ich kann aber nicht, ich habe Angst.“ Wimmere ich und klammere mich an meiner Mutter fest. Vorsichtig werde ich hochgehoben und in mein Zimmer getragen.
Meine Mutter wickelt mich in meine Decke und setzt sich neben mich. „Was bedrückt dich denn Kleines?“ Ich schluchze vor mich hin. Soll ich sie fragen, was sie und Papa meinten? Nein, sonst würde sie wütend werden, weil ich gelauscht habe. „Ich hab schlecht geträumt! Von Ninjas, die mich verfolgen!“ Ich ziehe trotzig die Nase hoch. Meine Mutter streicht mir beruhigend über die Stirn. „Papa passt doch auf dich auf! Er ist doch viel stärker als die anderen Ninjas. Komm, ich singe dir noch was vor und dann schläfst du, ja?“ Ich nicke.
„Wenn du ein Vogel wärst
Würdest du immer weiter fliegen
Denn Flügel tragen dich
Zum blauen, zum blauen Himmel hinauf.

Noch musst du lernen was wirkliche Traurigkeit ist
Denn momentan begreifst du nur was dein Schmerz verursacht
Und selbst die starken Gefühle, die ich zu dir hab, kann ich mit Worten überhaupt nicht erklären.

Wenn du erwachst aus einem Traum indem die Welt vor dir zerbricht.
Streck' deine Flügel aus und flieg soweit du kannst!“

Die Stimme meiner Mutter wird immer leiser und leise entschwebe ich in den blauen Himmel meiner Träume.

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Tag der Veröffentlichung: 20.03.2011

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