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Es war wirklich interessant. Ich meine die Einladung hier vor mir auf dem Tisch. Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Ich, Takumi, wurde tatsächlich zu der Pool Party von Cho, dem mit Abstand beliebtesten Mädchen der Klasse eingeladen! Es war zwar nicht so, dass ich mich in sie verliebt hatte, nein, so starke Gefühle hatte ich nicht für sie, doch sie war eben einfach eine natürliche Schönheit, von der man, egal wie man zu ihr stand, täglich betört wurde. . .
Dass Kaito, mein wirklich allerbester Freund, auch eingeladen worden war, bekam ich allerdings erst während der Party zu wissen, da er es sich im Moment noch als einziger auf der großen Luftmatratze in der Mitte des Pools zwischen zwei Mädchen mit . . . schon sehr fraulichen Rundungen bequem gemacht und mir zugewunken hatte: „Mit dir hätte ich hier nicht gerechnet, sonst hätte ich dich abgeholt!“ Flötete er und legte seinen Arm wieder zurück auf die Plastiklehne, worüber sich das Mädel neben ihm tierisch freute. Ich entschied mich, lieber kein Gespräch mit ihm über eine Entfernung von fünf Metern anzufangen, hob noch einmal kurz die Hand und verschwand wieder zwischen den ganzen Leuten in Badekleidung.
Es war mittlerer Weile dunkel geworden und die Außenbeleuchtung wurde eingeschaltet. Nun tummelten sich die Partygäste rund um und im Pool, Kaito hatte ich aus den Augen verloren. Aber das war nicht schlimm, Shunsuke, ein Bekannter aus der Schule, den ich Shun nennen durfte, hatte mich angesprochen und wir waren ins Gespräch gekommen.
Da tippte mich jemand von hinten an: „Ähm . . . Takumi? Kann ich vielleicht . . kurz mit dir reden?“ Ich glaubs ja nicht! Es war tatsächlich Cho, die mich angesprochen hatte! „Öhm, ich . . . öh, klar . . .“, stotterte ich verlegen und folgte ihr unter die im Gegensatz zum Pool verlassene Überdachterrasse, wo sich ein kaltes Buffet über einen mindestens zwei Meter langen Tisch entlangzog. „Eigentlich kennen wir uns schon eine ganze Weile, aber so richtig miteinander gesprochen haben wir noch nicht. Und ähm . . ich dachte, vielleicht können wir uns mal außerhalb der Schule treffen? . . nur Wir . . wir zwei . . .“, wie niedlich, sie war offensichtlich verlegen und das ganze war ihr voll unangenehm! „Können wir.“, sagte ich schließlich, erstens um die unangenehme Stille zu brechen, die nach ihrer Frage eingetreten war und zweitens, damit sie nicht noch einem Herzinfarkt vor Nervosität unterlag . . .
„Hey, Takumi!!“, jemand, dessen Stimme mir nur allzu bekannt vorkam, rief nach mir. Fragend drehte ich mich um und als ich Kaito erkannte, der auf mich zu kam, wandte ich mich noch einmal an Cho, um mich zu versichern, sie jetzt allein lassen zu können. „K-könntest du mir vielleicht deine Handynummer geben . . ?“, fragte sie noch und sah durch ihren Pony in meine Augen. Bei einem solchen Anblick konnte Mann wirklich schlecht nein sagen. Nachdem wir also noch unsere Nummern ausgetauscht hatten, verschwand sie überglücklich wieder in der Menge etwas entfernt und ich stand mit Kaito allein hier. „Scheint so, als wenn die Kleine was für dich übrig hat!“, stellte er mit interessiertem Blick auf ihren Hintern fest. Mir war das ehrlich gesagt peinlich, wie sehr er sie so anstarrte, deswegen stieß ich ihn in die Seite und fragte: „Und was ist mit den zwei . . . Mädels von vorhin? Waren dir die etwa nicht gut genug? Ich meine . . . gut bestückt waren sie ja, daran konnte es also nicht gelegen haben, dass du jetzt hier bist und nicht mehr bei denen. .“, stellte ich fest und Kaito grinste. „Ach nee, lass mal. Denen steht „Schlampe“ doch schon dick und fett auf der Stirn . . warum glaubt mir eigentlich keiner, dass ich mich nach einer festen Beziehung sehne?“, für mich schien das eine Frage zu sein, auf die ich nicht antworten musste, deswegen schlenderte auf das Wasser zu – näherte mich aber nur so weit, dass ich sicher gehen konnte, nicht versehentlich hinein gestoßen zu werden. Mit dem Schwimmen hatte ich es nämlich nicht so. Doch das wusste nur Kaito und deshalb ging ich lieber auf Nummer sicher.
Der war übrigens immer dichter hinter mich getreten, je näher wir dem Pool gekommen waren. „Hey Takumi!“, rief mir Shun entgegen, er war mitten im Getümmel und winkte mich zu ihm, doch ich lehnte dankend ab. Das fehlte mir ja noch, dass jetzt alle mitbekommen würden, dass ich nicht schwimmen konnte. Mann, wäre mir das peinlich . .
Plötzlich aber drängten sich lauter Leute um mich und fingen an laut durcheinander zu reden, einige schrien laut: „Ta – ku – mi, Ta – ku – mi!“ und mir schwante übles. Das kannte ich doch, bei solchen Spielchen landete am Ende immer einer im Wasser . . . „Du bist der einzige, der noch trocken ist!“, Hilfe! Und dieses mal schien es mich erwischt zu haben!! Das eben hatte mir übrigens ein ein pink haariges Mädchen zugerufen und lachte mir jetzt zu. Plötzlich wurde ich an Armen und Beinen gepackt, in die Luft gehoben und hin – und her geschwenkt, wehren war zwecklos, so sehr ich mich auch anstrengte, meine Beine und Arme wieder zurück zu bekommen.
Und dann machte es Platsch, kühles Nass umgab mich von allen Seiten und drang durch meine Kleidung an meine Haut.
Der Pool war tiefer als ich gedacht hatte, von unten konnte man gut sehen, dass die Füße der anderen den Boden gar nicht berührten. Plötzlich begann ich heftig zu husten, dieses dumme Wasser war in meine Luftröhre geraten und nun begann meine Lunge zu brennen. Ruckartig begann ich nach Sauerstoff zu ringen, doch hier unter Wasser funktionierte das nicht so gut und ich strampelte wie verrückt, um wieder die Oberfläche zu erreichen – vergeblich. Dann sah ich verschwommen noch einige Luftblasen und hörte dumpf das Grölen und Lachen der anderen, bevor Alles schwarz wurde und ich das Bewusstsein verlor.
Kaito, der von den Anderen unsanft zur Seite gestoßen worden war, rammte jetzt die anderen unsanft zur Seite – ohne Verluste – und rief noch: „Seid ihr eigentlich voll bescheuert?!“ bevor er mir gekonnt hinterher sprang.
Warum eigentlich war ich überhaupt auf diese blöde Party gegangen, wenn ich doch gewusst hatte, dass das hier eine Party im Wasser war . . .
Im kühlen Nass bewegte er sich elegant vorwärts, Kaito's Augen suchten jeden Zentimeter ab, um mich auszumachen und wurden schließlich fündig. Als wenn es um sein eigenes Leben ginge, ruderte er zu mir und packte mich unter den Armen, um mich an die Oberfläche zu transportieren. Doch damit war mir leider noch nicht geholfen, wie ihm klar war, deswegen hiefte er mich aus dem Wasser, den anderen war das Lachen bereits vergangen und sie starrten, einige ungläubig, einige ängstlich, zu Kaito herüber. Der hatte mich bereits auf den Rücken gelegt und versuchte verkrampft mich wieder zu Bewusstsein zu bringen. Da aber nichts half, sah er keine andere Möglichkeit als eine Mund-zu-Mundbeatmung.
Einige Male hatte er mir Luft zu pusten müssen, doch dann begann ich zu husten und eine gute Menge Wasser verließ meine Lunge.
Mir, noch immer hustend und keuchend, wurde behutsam auf den Rücken geklopft und das Gegröle und Gerede von eben setzte wieder ein. Eine vertraute Stimme murmelte etwas unverständliches und langsam öffnete ich meine tränenden Augen. „K- Kaito.“, hustete ich und der Angesprochene meinte ein Lächeln auf meinen Lippen ausmachen zu können.

Am nächsten Morgen jedoch - den peinlichen Zwischenfall, wegen dem ich von Kaito höchstpersönlich nach Hause gebracht wurde, verdrängte ich - dämmerte mir langsam, was ich da eigentlich getan hatte, als ich Cho zugesagt hatte. Oh Gott, sicher erwartete sie dann . . . !! Aber in so etwas hatte ich doch noch gar keine Erfahrungen! Mit . . . küssen. Ich war zwar schon 14, eine feste Freundin hatte ich jedoch noch nicht gehabt – im Gegensatz zu Kaito, der, wenn man vom Teufel spricht, gerade in meine (!) Küche spazierte, sich einen Toast mit einem mir unbekannten Aufstrich nahm und mir die Flasche Milch aus meinem Kühlschrank zuwarf, bevor er sich breitbeinig auf den Stuhl schräg vor mir setzte. „Vielleicht wächst du dann ja mal ein bisschen.“, fügte er hinzu und grinste mich an. Beleidigt knallte ich die ungeöffnete Flasche auf den Küchentisch und stemmte die Hände in die Hüften: „Was geht es dich denn an, wie groß ich bin?! Und überhaupt . . . was machst du eigentlich hier?“ (Größe war immer ein heikles Thema was mich an betraf – und dass wusste Kaito . . .) Meine Wut hatte ich zurückgeschraubt, morgens tat das nicht gut, erst recht nicht, wenn man sich mit einem wie Kaito stritt . . . „Was ich hier mache? Heißt das, du willst mich raus werfen? Wie gemein! Dabei wohne ich doch so gut wie hier! - und hab dir gestern dein Leben gerettet . . .“, damit stand er auf und sein nasser Oberkörper glänzte, als der mit den Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fielen, in Berührung kam. Kaito war bedeutend größer als ich . . . Und er hatte bei mir geduscht?! „G-genau! So gut wie! Das heißt noch lange nicht, d-das du dich so benehmen kannst, als wärst du hier zu Hause!“, bekam ich heraus und versuchte wenigstens noch ein wenig von meiner ernsten Miene zu behalten, die ich aufgesetzt hatte. „Aber Chrissi hat mich rausgeworfen, der Schlüssel zu meiner Wohnung ha ich irgendwo in deinem Zimmer vergraben und zu meinen Eltern kannst du mich doch nicht ernsthaft zurück schicken wollen, . . oder?“, dieses „oder“ hatte er mit einem ängstlichen Unterton noch hinzugefügt, aber es wirkte trotzdem nicht sonderlich überzeugend, er hätte es auch gleich weglassen können . . . „ . . Egal. Ich hab andere Probleme . . .“, murmelte ich, nahm mir dann doch die Milchflasche und wollte gerade ins Wohnzimmer verschwinden, als mich, höchstwahrscheinlich war es wohl Kaito, ein sehr mysteriöser Jemand am Arm zurückhielt. „ . . . andere Probleme ?“, hörte ich ihn sagen, riss mich jedoch los und ließ mich auf das Sofa fallen. Kaito war allerdings schlauer gewesen und hatte sich zunächst die Fernbedienung ergattert. Damit schaltete er einen Musiksender ein, ließ den Song halblaut trällern und warf sich neben mich aufs Sofa. Im Gegensatz zu dem Mädel von gestern Abend freute ich mich jedoch nicht so sehr über seinen rechten Arm, der sich hinter mir auf der Lehne wiederfand. „Das kann dir doch egal sein . . .“, murrte ich und wollte mir die Fernbedienung in seiner linken Hand zurück erkämpfen, doch so einfach machte Kaito es mir nicht, weshalb es damit endete, dass ich mich auf ihn warf, meine Arme ausstreckte – und natürlich wieder mal zu klein war, um das zu kriegen, was ich wollte.
„Ich sag doch, trink mehr Milch!“, flötete er und begann mich am Bauch zu kitzeln, da mein Shirt etwas nach oben gerutscht war durch meine plötzliche Armbewegung. Vor Lachen fiel ich fast vom Sofa, doch ich konnte mich noch rechtzeitig festhalten und zog mich hoch. Er wusste leider, dass ich sehr empfindlich war was Berührungen anging, dummerweise aber auch, dass ich besonders kitzelig war, was er jedes Mal bei einem Machtkampf zwischen uns als ultimative Geheimwaffe einsetzte. Ultimativ, weil sie blöder weise immer funktionierte und geheim, weil man nie genau wusste, wann er zuschlug.
„Du . . bist fies!“, brachte ich heraus und ließ mich erneut mit der Flasche in das weiche Polster sinken. Gekonnt ließ ich den Deckel beim Öffnen einen Laut von sich geben, als wenn man eine Sektflasche mit Korken öffnet und nahm einen kräftigen Schluck. Nach einer Weile bemerkte ich aber, dass ich schräg von der Seite angestarrt wurde, setzte ab, schraubte den Deckel seelenruhig wieder auf das Behältnis, stellte es zurück auf den Tisch und wandte mich dann erst Kaito zu, der urplötzlich und ohne jeden für mich einsehbaren Grund anfing laut zu lachen. Doch das war ansteckend und so geschah es, dass wir einen gut gelaunten Start vormittags in unsere großen Ferien hatten.
„ . . . aber jetzt mal ernsthaft . . .“, Kaito und ich beruhigten uns langsam wieder und ich meinte den neuen Song, der so oft in den Radios und in den Einkaufszentren gespielt wurde, erkannt zu haben. „Ich bin nicht umsonst dein bester Freund – und drei Jahre älter! Du kannst mit mir echt labern, wenn was is . . .“, sagte er vertraut und klopfte mir danach aufmunternd auf die Schulter. Irgendwie schien er jetzt zu erwarten, dass ich ihm beichte, was mir auf dem Herzen liegt. „. . . also . . .“, verlegen rieb ich mir den Hinterkopf und wich seinen Blicken aus. „Du wirst lachen, wenn ich es dir sage . . .“, versuchte ich abzulenken, doch Kaito rückte noch näher an mich heran, ich schien ihn ungewollt auf die Folter zu spannen. „ . . . ich glaub, Cho erwartet von mir, dass ich sie küsse, wenn wir uns treffen . . .“, gab ich schließlich meine halbe Sorge zu, die allerdings ohne den zweiten Teil keine Sorge wäre, sondern eigentlich eher das Gegenteil davon. „Das ist doch nicht schlimm!“, ja, genau das hab ich doch eben auch gerade gedacht, lässt du mich dann bitte einmal ausreden?, fragte ich in Gedanken und fuhr schließlich fort: „Ja, aber. . . das wäre ja nicht das Problem . . . mein Problem ist, dass ich . . . ich . . .“ Weiter kam ich nicht, das war mir einfach zu peinlich, jemandem wie Kaito so etwas zu gestehen. „Kann es sein, dass du . . noch keine Erfahrungen im Küssen hast?“, fragte Kaito langsam und ich nickte betroffen. Gott, war mir das peinlich! Ich zählte die Sekunden, bis er anfangen würde mich auszulachen – doch zu meiner Überraschung passierte nichts dergleichen. Er blieb ganz ruhig und verzog keine Miene.
„Soll ich dir dabei helfen?“, natürlich! Egal wie, aber auf irgendeine Weise musste er das ganze ja wieder zunichte machen!! „Wie sollst du mir denn - . . .“, ich sprang auf, doch ich unterbrach mich, als mir glasklar wurde, worauf er hinaus wollte, bei diesem Grinsen, für das es mir wohl für ewig an passenden Wörtern zur Beschreibung fehlen wird . . .
„Wenn es dich nicht stört, versteht sich . . .“, fügte er noch hinzu, lehnte sich etwas nach vorne und streckte mir die Hand entgegen. Nein! Warum sollte es mich auch stören, meinen ersten Kuss von einem Kerl zu bekommen?! Natürlich stört mich das, du Trottel! Das hätte ich ihm am liebsten gegen den Kopf geworden und wäre anschließend aus dem Raum gestürmt. Doch in meiner Lage konnte ich mir das wirklich nicht leisten. Cho wollte ich echt nicht enttäuschen – zumal das ansonsten als neues Tratschthema in aller Leute Munde in der Schule landen würde, ich meine, immerhin war es Cho, ein wirklich heiß begehrtes Mädel bei den Jungs aus meiner jetzigen Klassenstufe . . .
Ich saß in einer Zwickmühle! Missmutig setzte ich mich also wieder neben Kaito, traute mich jedoch nicht, den Kopf zu heben – sonst würde er noch sehen, wie unangenehm mir das ganze war. „Soll ich etwa den männlichen Part übernehmen?“, fragte er mich, als wenn das das normalste auf der Welt wäre. Entgeistert starrte ich ihn an, da begann er leise zu lachen. „Schon gut, pass auf, ich hab ne andere Idee. Mach mir einfach alles nach, ja?“, schlug er mir vor. Das war jetzt auch nicht viel besser als die vorige Idee, aber was sollte ich denn tun? Immerhin war er hier der Spezialist, was diese Dinge anging, da konnte ich ja wohl schlecht nein sa – „Oder noch besser!“, rief er in meine Gedanken hinein und verschreckt zuckte ich zusammen. „Fang erst mal an, soweit wie du denkst, es sei richtig. Wenn ich merke, dass du unsicher wirst, mach ich es dir vor und du machst es nach!“, er freute sich sichtlich über seine Eingebung und schien ziemlich stolz auf seinen Intellekt zu sein . . na gut, wie gesagt, er war der Boss . . .
Mit zitternden Knien überlegte ich fieberhaft, wie ich denn anfangen könnte. Natürlich war Kaito nicht Cho und bei ihr würde ich mich wohl ganz anders verhalten, doch ich beschloss einfach nach Gefühl zu handeln. Während ich also hastig ein Konzept zusammenstellte, das ich im gleichen Moment sowieso wieder über den Haufen warf, stützte sich Kaito nach hinten mit den Händen ab und betrachtete mich amüsiert. Ein Glück, dass ich das nicht mitbekam . . .
Entschlossen, wie ich beginnen wollte, setzte ich mich schließlich auf seinen Schoß, Kaito war ganz überrascht, dass ich so plötzlich angefangen hatte. Erwartungsvoll musterte er mich und schien jede meiner Bewegungen genauestens zu beobachten. Jetzt war es also soweit, sagte ich mir, als ich sein Gesicht in die zitternden Hände nahm, ein wenig nach vorne rutschte und meine Lippen sanft seine berührten.
Dafür, dass er das erste Mal küsste, war er ziemlich gut, dachte Kaito im stillen. Schade eigentlich, dass es wohl bei so einem 'normalen' Kuss bleiben würde, den Taku von sich aus gab. Anscheinend musste Kaito doch selbst ein wenig nachhelfen . . .
So aufgeregt wie jetzt war ich noch nie in meinem ganzen Leben! Mein Herz schlug mir bis in die Ohren und ich zog Kaito noch fester an mich heran, sodass sich unsere Oberkörper berührten, sowie meine Oberschenkelinnenseiten seine Hüften. Ein ziemlich ungewohntes Gefühl, wie ich feststellen musste.
Plötzlich zuckte ich jedoch zusammen, als ich etwas feuchtes über meine Lippen streichen fühlte. Mach es mir einfach nach . . das hatte er gesagt und genau das geisterte mir in diesem Moment durch den Kopf. Doch als ich seine Zunge in meinem Mund spürte, huschte mir doch eine kalte Gänsehaut den Rücken hoch. Ih! So was macht man wirklich?! Wähh . . . aber er kannte sich da wohl besser aus als ich und mir blieb nichts anderes übrig, oder . .? Oder?
Immer selbstsicherer begann ich ihn nachzumachen und schlang schließlich meine Arme um seinen Hals.
Wow . . . damit hatte Kaito nicht gerechnet. Selbst wenn er sonst so selbstsicher war, dass hier sein jüngerer bester Freund gerade die Führung bei einem Zungenkuss (eigentlich sein Spezialgebiet) übernahm, brachte ihn so ziemlich aus dem Konzept. Überhaupt realisierte er gerade, was er hier gerade im Inbegriff war zu tun, weshalb er mich plötzlich forsch zurückschob und unseren Kuss damit beendete.
Als ich sein Gesicht sah, erschrak ich. Hatte ich etwa was falsch gemacht? Er sah richtig verwirrt aus . . Erst jetzt wurde mir klar, was ich gerade getan hatte, rutschte vor Schreck von seinem Schoß und landete mit dem Hintern auf dem Teppichboden. „Ich glaube . . .“, begann er etwas verloren, doch ich wusste, was er sagen wollte und half ihm: „J-ja . . . is o-okay.“ Und damit stand er auf, ohne nur ein Wort, und verschwand aus dem Raum, hoffentlich fand er auf die schnelle auch seine Schlüssel . . . Wenig später hörte ich die Wohnungstür ins Schloss fallen.
Oha! Was war das denn?! Das war mit Abstand das seltsamste, das ich jemals getan habe! Aber . . . mich würde schon interessieren, wie Kaito darüber denkt . . . ? Er war ja schon ziemlich komisch drauf . . ob ihm das wohl so unangenehm war, dass er jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben wollte? Aber eigentlich war er ja selbst Schuld, denn wem kam denn diese brillante Idee mit dem Kuss, hm? Ich war jedenfalls nicht der mit der Eingebung gewesen!
Die Tage verstrichen, ohne dass Kaito bei mir vorbei kam, was er sonst immer tat, und mir wurde tatsächlich langweilig. Klar, ich hätte einfach nur das Telefon in die Hand nehmen und eine Nummer wählen müssen, dann hätte ich schon längst wieder Abwechslung bekommen, doch selbst dazu war ich zu faul. Lieber hing ich auf dem Sofa, in einer (Anmerkung:) ziemlich abstrakten Lage und starrte auf den laufenden Fernseher, der irgendwelche Dokumentationen brachte, die mich im Normalfall prozentual ausgedrückt wirklich 0 interessierten.
Vor Schreck fiel ich natürlich, dank dieser seltsamen Lage, vom Sofa, als plötzlich meine Lieblingsmelodie in lautest einzustellender Stufe neben meinem Ohr anfing zu dudeln. Oh mann, ich werde sobald als möglich eine andere Melodie nehmen . . . UND die Lautstärke senken . . .
„H-hallo?“, räusperte ich mich, da meine Stimme vom wenigen Sprechen schon ganz rau war. Am anderen Ende konnte ich eine mir bekannte Stimme sagen hören: „Bist du das Takumi? Du klingst ja super! Hahaha! Wie auch immer, hast du Lust auf ein Eis? Ich warte am Stadteingang auf dich, Ausreden gibt’s nicht!“ Und schon hatte der Anrufer wieder aufgelegt. Oh Mann, diese Laute haben wirklich keine Manieren! Seinen Gesprächspartner nicht einmal zu Worte kommen zu lassen, tse! Ich jedenfalls, mich noch immer innerlich über eine solche Dreistigkeit aufregend, erhob mich tatsächlich vom Boden und marschierte ins Bad um mich noch einmal zu waschen.
Dass ich allerdings nicht meine besten Klamotten an hatte, war mir dummerweise gar nicht aufgefallen . . .
Vor dem riesigen Tor endlich angekommen, blickte ich mich suchend um – und wurde schnell fündig. Das lag allerdings nicht unbedingt an meinen sucherischen Fähigkeiten, sondern wohl mehr daran, dass mir jemand auf dem Platz vor der Stadt diagonal entgegenlief, winkend, und mich mit einem „Hey! Wie geht’s dir?!“, laut rufend begrüßte.
„Äh, ja . . . eigentlich ganz gut soweit?“, stotterte ich vor mich hin, doch bereits nach dem ja wurde meiner Antwort kein Gehör mehr geschenkt und Shun schob mich Richtung Eisdiele.
„Du siehst ja genau so Klasse aus wie du dich anhörst!“, amüsierte er sich, das war also das erste, was er zusagen hatte, soso . . .
„Ich hab gehört, du hast übermorgen ein Date mit dieser Cho?“, begann er unsere Unterhaltung und beugte sich ein wenig nach vorne, da er größer war als ich. Mann, meine Kleinwüchsigkeit wird mich wohl auf ewig verfolgen! Wir setzten uns an einen Tisch draußen, an dem nicht so viele Passanten vorbei kamen wie an denen dort drüben und mein Freund bestellte, ohne mich zu fragen, zwei mittelgroße Eisbecher. Wahrscheinlich war er der Meinung, ein Kerl wie ich würde so einen mickrigen Becher doch mit Links schaffen . . . Da hatte er sich aber geirrt. „Sieht wohl so aus.“, antwortete ich trocken auf seine Frage und versuchte möglichst vom Thema abzulenken, doch es schien Shun wohl mehr zu interessieren, wie es mit mir und Cho aussah als mit dem Wetter von letzter Woche.
„Und wo hast du geplant mit ihr hinzugehen? Das muss ja schließlich was sein, das nicht zu kitschig ist, aber schon etwas zu bieten hat . . . hmm . . .“, und tatsächlich brachte er es nun, den klassischen „Date – Plan – Schmieder“ zu spielen. Mit einem unverkennbaren Seufzen nahm ich die zwei wirklich riesigen Eisbecher entgegen, da Shun gerade völlig in seine eigene Welt versunken war und vor sich hin faselte, und begann in einem der Becher herumzustochern. Die Kirsche ganz oben interessierte mich am ehesten an diesem Berg von Eis, deshalb nahm ich mir diese zuerst vor. Dann begann ich damit, heimlich drei viertel des Eises auf Shun's Becher zu schaufeln und schob ihm schließlich seine . . . überfüllte Bestellung zu. Zum Glück hatte er das ganze gar nicht mitbekommen, sonst wäre er womöglich noch in seiner Ehre verletzt worden und es hätte einen wenn auch kleinen Aufruhr gegeben.
„Das hat gut getan!“, stellte er fest und rieb sich zufrieden seinen Bauch. Dass er fast zwei mal so viel Eis zu sich genommen hat, wie er bestellt hatte, war ihm zum Glück nicht aufgefallen. „So, aber jetzt zurück zum Thema. . .“, er machte keine Anstalten zu gehen, das heißt wohl, ich werde mir noch eine ganze Weile seine Ideen und Ratschläge anhören müssen.
„ . . . und wenn du sie dann in deiner Stretchlimousine nach Hause gefahren hast, verabschiedet ihr euch im Mondschein, beleuchtet einzig und allein von den Fackeln, die vereinzelt in ihrem Villengarten stehen, vor ihrer Haustür mit einem zarten, unschuldigen Kuss, bevor -“ „Moment mal . . . ich habe doch gar keinen Führerschein! Und überhaupt, wo soll ich denn bitte eine Stretchlimousine her kriegen?“, hakte ich Stirnrunzelnd nach und Shun machte abrupt halt mit seinem Fantasieren. „Lass mich doch noch ein wenig meine Kreativität ausleben, du . . . du Realist!“, schmollte der und verschränkte die Arme, nachdem er sich zurück in seinen dunkelblauen Plastikstuhl gelehnt hatte. Bei dieser Äußerung konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen und auch Shun grinste – wie so oft – schräg. „Lass uns noch ein wenig durch die Stadt ziehen, irgendwie muss ich mir noch die Zeit heute vertreiben . . . ist doch okay für dich, nicht?“, Wow! Das war das erste, und wohl leider auch das einzige Mal, dass er mich fragte, ob ich zu der nächsten Aktivität Lust hatte. Aber was solls, dann würde ich eben einen Tag mit Shun verbringen, immer noch besser als allein zu Hause auf dem Sofa rum zuhängen und – vor Schreck – herunter zu fallen, wenn das Handy läutete.
„Was tust du denn so, wenn du dich amüsieren willst?“, wollte er wissen und sah mich mit einem satten Gesichtsausdruck an. Ich überlegte. „Naja . . . ich gehe ganz gerne in die Spielhalle, ins Kino da drüben, spiele Playstation . . . ich denke mal, ich tue das übliche, was ein normaler 14 jähriger auch in seiner tut: genießen und faulenzen.“ Das war eine Antwort, die eines Shun würdig war, dachte ich im Stillen und sah auf. Der eben genannte hatte damit begonnen mich zu mustern und das weckte Unbehagen in mir. „Da fehlt aber noch etwas entscheidendes, mein lieber.“, stellte der Party – Experte fest und fuhr fort: „Die Party – Gänge!“ Ich sah ihn mit großen Augen an. Sprach er von Geburtstagsfeten, auf die man eingeladen wurde? „Pass auf, mir kommt da gerade eine super Idee!“, also wenn das auch wieder so endete wie bei der Idee von Kaito, dann kann mir seine Eingebung gleich gestohlen bleiben! „Wir gehen auf die Piste!“ Oh NEIN.
Langsam wurde es schon dunkel, doch da ich ja keine Eltern, jedenfalls im Augenblick, zu Hause hatte, die auf mich warteten, und auch keinen Babysitter, der ja eigentlich Kaito war, doch der hatte sich ja nicht mehr gemeldet, war das kein großes Problem.
Shun hatte mich mit in einen seiner Stammclubs gebracht, mir aber immer und immer wieder versichern müssen, dass der Laden hier sauber sei. Mit einer Alkoholvergiftung, einem gebrochenen Gliedmaßen, gebrochen dank einer Prügelei, oder sonstigen Versetzungen wollte ich nämlich nicht am nächsten Morgen unter heftigen Kopfschmerzen im Krankenhaus aufwachen. Doch Shun hatte mir versichert, dass dieser Laden hier kein Saftladen sei und noch dazu, dass er auf mich aufpassen würde . . .
Die Musik dröhnte ziemlich laut aus den Boxen, die an Vier Säulen, gleichmäßig im Raum verteilt, angebracht waren. Sie waren schon ein wenig ausgebleicht, genauso wie die Stühle, doch das schien hier keinen zu stören. Die Stimmung war ausgelassen und Shun wurde von unzähligen Mädels angemacht, die er aber mit der Ausrede, heute auf seinen Schützling aufpassen zu müssen, vertrösten musste. Tatsächlich passierte es aber auch, dass mich ein paar ansprachen, fragten ob ich allein hier sei. Warum sie allerdings enttäuscht abzogen, als ich darauf geantwortet hatte, dass ich das nicht war, ist und bleibt ein Rätsel für mich. Shun, der das ganze sehr unterhaltsam gefunden hatte, grinste mich nun an und wollte gerade etwas sagen, als die Musik langsam leiser wurde und einer der zwei DJ's auf die Bühne kam.
„Und jetzt Leute haben wir noch was ganz besonderes für euch! Viele kennen sie schon, aber heute sind sie Live bei uns zu Gast! Begrüßt mit einem Wahnsinns - Applaus . . . Key 4 Nightmare mit ihrer brandneuen Single 'Yes – please - breakfast' !! Mann, dieser Titel is echt einzigartig und hier bei uns hört ihr sie als erste!“, mit blieb die Luft weg und fast hätte ich mein Alkoholfreies Getränk in riesigem Bogen wieder aus meinem Mund befördert. Was hat Kaito denn mit seiner Band hier zu suchen?! Noch dazu um diese Zeit?? Normaler weise müsste er sich doch jetzt gerade mit seiner neuesten Eroberung amüsieren, Sherly oder wie sie hieß, die ihn rausgeworfen hatte, war schon längst vergessen, so wie ich ihn kannte.
Auf der Bühne begann sich seine Band, bestehend aus ihm, Sänger und Gitarrist, dem Drumer, einem Keyboarder und einem Bassisten, gerade aufzubauen und ein wilder Applaus schallte durch die schon ziemlich aufgeheizte Halle. War denn hier kein einziges Fenster da, das man hätte öffnen können? . . . Suchend sah ich mich um, fand aber leider keins. Währenddessen hatte Kaito die hiesige, ihm zujubelnde Menge auf sich aufmerksam gemacht und mit einem Gitarren Solo begonnen, bevor die anderen Drei einsetzten und er lautstark den englischen Text mit seiner im Gegensatz zu sonst fast wie ausgewechselten Stimme sang.
Wow. Klar, ich wusste, dass er eine Band hatte, ich war ja selbst schon mal drin gewesen, doch ich hatte keinen richtigen Nerv dazu gehabt und das war auch schon vor eineinhalb Jahren gewesen, noch vor dem Anfang seiner Karriere. Aber ich bereue es nicht, der Bassist, den sie jetzt haben, ist sowieso viel besser als ich es war, das konnte ich gelassen zugeben. Der neue Song kam super an und eigentlich sollten sie nur ein Lied spielen, doch das Publikum war ganz heiß und forderte weiter und weiter unaufhörlich Zugabe, bis sich Kaito schließlich erbarmte und mit einem DJ sprach, der ihnen dann mit Blick auf die jubelnden Leute freie Bahn gab. Typisch Kaito, dachte ich mit einem schmunzeln. Er war gerade völlig in seinem Element, als er schließlich den lang ersehnten nächsten Song anspielte.
Weiter trällerten sie gekonnt insgesamt noch ganze zehn Songs, bevor es ihnen überhaupt nur im geringsten erlaubt wurde, die Bühne zu verlassen. Schon lustig, wie verrückt diese Leute hier nach ihm uns seiner Musik waren. Aus irgendeinem Grund machte sich ein mir gefallendes Gefühl in mir breit. War es vielleicht Stolz? Stolz zu sein, der beste Freund einer bereits lokalen Berühmtheit zu sein? Vielleicht war es das, ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Shun hatte sich in der Zeit bereits ein zweites Alkoholgemisch besorgt und wurde schon lustig als ich mich wieder zu ihm wandte. „Shun?“, fragte ich vorsichtig, doch er war ganz tief in ein anscheinend sehr lustiges Gespräch mit einem pink haarigen Mädchen verwickelt. Woher kannte ich sie bloß? . . .
Spät in der Nacht kam ich dann auch endlich nach Hause. Das lag allerdings daran, dass Shun mir, obwohl ich vorher noch extra nein gesagt hatte, ein alkoholisches Getränk zugeschoben hatte, jedoch ohne dass ich es mitbekommen hatte. Es war wenig-prozentig, es bestand also null Gefahr, doch ich war alles andere als Trinkfest, weshalb mich schon ein halbes Glas ganz lustig gemacht hatte. In dieser Phase soll ich wohl auf die Bühne gesprungen und mit Kaito meinen Lieblingssong seiner Band mitgesungen haben. Ihm und selbst seinen Fans hatte diese unverhoffte Gesangseinlage zwar gefallen, mir war diese Aktion jedoch mehr als peinlich und ich hatte auch noch das Pech, mich nicht mehr daran erinnern zu können was geschehen war, nachdem sie den zweiten Song durch hatten. Obwohl . . . vielleicht war gerade das meine Rettung, ich konnte den Leuten sagen, dass ich gar nicht wüsste, wovon sie sprachen und sagte dabei doch voll und ganz die Wahrheit! Dieser Gedanke war wirklich beruhigend.
Ich war mit leichten Kopfschmerzen in meinem Bett aufgewacht, als mich plötzlich eine Übelkeit so rasant überkam, dass ich es noch gerade so zum Bad schaffte. Dass ich bloß mit Boxershorts durch meine Wohnung lief, störte mich nicht, ich war schließlich allein – jedenfalls die ersten drei Wochen. Dann kamen meine Eltern wieder von einer Geschäftsreise zurück. Kaito hatten sie gebeten auf mich aufzupassen, er war schließlich ein enger Freund und verantwortungsbewusst. Das hatte er ja schon mehrmals beweisen können, nehmen wir den Poolunfall als ein Beispiel.
Im Moment hatte ich allerdings andere Probleme. Mein Mageninhalt wollte sich anscheinend mal mit mir unterhalten und hatte den schnellsten Weg gewählt – direkt geradeaus.
Dass jemand die Tür langsam geöffnet und im Rahmen stehen geblieben war, merkte ich gar nicht. „Im Wohnzimmer steht ein Glas Wasser mit einer Tablette. Das wird dir helfen.“, lachte ein offensichtlich ziemlich netter jemand vertraut und machte kehrt. Aber . . . so nett kann er gar nicht sein, immerhin befand er sich ohne meine Erlaubnis in meiner Wohnung! Jedenfalls war es im Moment meine . . . ach mann, wie ich diese Korrektstellungen hier hasse!
Missmutig wusch ich mir noch den üblen Geschmack aus dem Mund und sah mich nach etwas Baseballschläger ähnlichem um, fand jedoch nichts passendes, weshalb heute wohl mal meine rohen Fäuste ausreichen mussten zur Verteidigung.
Als ich jedoch den Wohnraum betrat, stellte sich heraus, dass ich die gar nicht gebraucht hätte. Natürlich war es Kaito gewesen, der sich darum gekümmert hatte, dass ich heil nach Hause gekommen war. Er hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und ließ wieder mal einen Musiksender laufen. Mir kam der Gedanke, dass das alles aussah wie letztens, selbst auf dem gleichen Platz auf dem Sofa saß er, doch das verdrängte ich schnell wieder. Ihn schien es ja auch nicht groß beschäftigt zu haben, also musste es mich das auch nicht. Gemütlich setzte ich mich in den Sessel rechts vom Fernseher und nahm das Glas mit der Tablette hin. „Woher hast du das?“, wollte ich wissen, doch Kaito lächelte bloß erwachsen. „Die sind nicht Rezeptpflichtig, die bekommst du in jeder Apotheke.“, erklärte er mir und schob seine Lesebrille ein Stück auf seiner Nase zurück, um die Zeitung besser lesen zu können. So sah er fast aus wie ein Student.
Über letzten Abend verloren wir kein Wort. Aber wir kamen auch eigentlich gar nicht richtig auf das Thema, viel mehr waren wir mit dem üblichen Kabbeln und meiner Frage, warum er sich länger nicht gemeldet hatte, beschäftigt. Für ihn war die Sache jedoch damit abgeschlossen, als er mir sagte, er habe mit seiner Band an einem neuen Song gebastelt.
„Sag mal, weißt du jetzt eigentlich, wohin du Cho ausführst?“, fragte er, als er gerade dabei war, das Kreuzworträtsel zu lösen, jedoch nicht viel ausfüllen konnte, da sein Wissen eher auf anderen Dingen basierte als dem üblichen Allgemeinwissen, was mir ab und an zugunsten kam, um ihn zu ärgern. Das war aber auch seine einzige Schwäche.
„Ja, ich denke, wir fahren mit dem Rad an den See. Da ist ein schattiger, grüner Park mit tollen Blumen. Müsste ihr gefallen.“, sagte ich beiläufig und schaltete den Fernseher aus, ich wollte in die Küche und, auch nur eine Kleinigkeit, essen, die Tablette hatte Wirkung gezeigt. Kaito sah auf, als ich mich erhob, legte prompt die Zeitung weg und folgte mir. „Bevor du etwas isst . . . willst du dir nicht lieber erst einmal was anziehen?“, fragte er lachend und ich meinte nur beiläufig: „Stört es dich? Mich nämlich nicht!“ Und damit wäre das auch geklärt.
Das Frühstück, das mir Kaito aufgetischt hatte, schmeckte wirklich . . . interessant. Diese Kombinationen hatte ich noch nicht ausprobiert, aber . . . „Das nächste mal kochst du wieder . . .“, beschloss Kaito, der anscheinend der gleichen Ansicht war wie ich. Seine hellbraunen Augen lugten über der schmalen Lesebrille hervor durch die dünnen Strähnen seines längeren Ponys. Selbst wenn ich keines dieser Mädels war, die so sehr auf ihn abfuhren und auch nicht schwul war, ich verstand, was sie alle an ihm fanden. Er sah wirklich super aus. Und dann sah ich an mir herunter, piekste mir ein, zwei mal in den Arm. Doch von Muskeln war da nichts zu spüren, geschweigedenn zu sehen. Kaito dagegen hatte ausgeprägtere Oberarme und breitere Schultern, einen Waschbrettbauch hatte er auch, war aber trotzdem keiner dieser Muskelprotze. Tatsächlich begann ich damit Minderwertigkeitskomplexe aufzubauen. . . Aber ich besann mich schnell wieder, indem ich mir eine Flasche Milch aus der Kühlschranktür nahm, ja ich hatte sie nachgefüllt, und mich erneut hinsetzte. Hey, so schmächtig war ich aber auch nicht! Einen Ansatz zu einem Six-pack konnte ich schließlich auch vorweisen! Immerhin machte ich, trotz meiner üblen Faulheit, zu der ich aber stand, Sport. Und das gar nicht mal so selten! Ich spielte Fußball, Basketball, wobei ich da allerdings nicht so gut war, wegen meiner Größe, und ich fuhr gern Waveboard. Dazu traf ich mich meistens mit Shun, da er ein absoluter Skateboard Künstler war und mir dabei half, Tricks auch mit meinem Gelenk in der Mitte enthaltenden Board durchzuführen.
„Naja, dann drück ich dir die Daumen, dass alles klappt“, mit einem fröhlichen Grinsen zwinkerte er mir zu und marschierte wieder ins Wohnzimmer, wo an der Decke der Ventilator begonnen hatte sich zu drehen. Wahrscheinlich hatte Kaito ihn angeworfen, weil es ihm in seiner langen Hose langsam zu warm geworden war. Ich hatte damit kein Problem, räumte noch schnell den leeren Teller weg und nahm die Milch mit. Ich folgte ihm. In Unterhosen.
Plötzlich klingelte es jedoch an der Tür und ohne daran zu denken, wie ich gekleidet war, machte ich mich auf den Weg die Tür zu öffnen, Kaito war mir gefolgt und lehnte sich hinter mir etwas vorgebeugt an die wand, sodass sich sein Kopf fast über meinem befand. „Hallo Takumi, wir wollten fragen, ob du Zei -“, Zwei Mädchen und ein blonder, ziemlich großer Kerl, der anscheinend unfreiwillig mitgekommen war, standen vor meiner Tür. Eines von den Mädchen war Pink haarig und kam mir von irgendwo her bekannt vor. Das andere war meine Klassenkameradin Ayumi. Ein ziemlich eigenwilliges Mädel, das einen etwas punkigen Style hatte und nebenbei diejenige war, die gefragt hatte. Erstaunt jedoch darüber, dass ich hier in Boxershorts und Kaito ziemlich eindeutig hinter mir stand, hatte selbst einem Mädel wie ihr die Sprache verschlagen. „Arme Cho . . .“, entglitt ihr noch, dann sammelte sie sich wieder und ich verstand gar nichts. Hä? Kaito schien allerdings zu wissen, was Ayumi gemeint hatte, öffnete die Tür ein wenig weiter, stellte sich neben mich und baute sich vor dem Mädchen, das ungefähr meine Größe hatte, auf. „Was reimst du dir da zusammen, huh? Frag lieber nach, bevor du voreilige Schlüsse ziehst!“, sagte er mit einer leicht gereizten Stimme, doch Ayumi ließ sich davon nicht einschüchtern. „Voreilig?“, auf ihrem Gesicht zeigte sich ein schiefes Grinsen und eine hochgezogene Augenbraue. „Sorry, aber das sieht für mich mehr als eindeutig aus, immerhin steht der Kerl neben dir in Unterhosen da und ihr seht beide ziemlich verschlafen aus! Das lässt darauf schließen, dass du hier übernachtet hast! Noch dazu weiß ich, dass ihr beiden gestern einen sehr lustigen Abend gehabt habt. Also sag mir jetzt noch mal, du hast nichts mit Takumi!“, sie war wohl ziemlich von ihrer Meinung überzeugt, verschränkte die Arme und wartete mit einem triumphierenden Lächeln auf eine Antwort. „Das alles muss noch lange nicht heißen, dass wir beide zusammen sind! Ich bin nicht schwul!! Außerdem würde ich mich sonst doch nicht mit Cho verabreden, oder?!“, hörte ich es nur so aus mir heraus sprudeln, doch als ich mir die Hände vor den Mund schlug, war es schon zu spät. Erst starrten sie mich alle perplex an, doch dann fing Kaito an zu lachen und wandte sich noch einmal an Ayumi. „Also . . . reicht dir das als Antwort?“, er kam ihrem Gesicht ziemlich nahe, doch sie ließ sich von ihm nicht sonderlich um den Finger wickeln, stieß ihn unsanft mit der Hand in seinem Gesicht zurück und richtete sich wieder an mich: „Wie auch immer, wir gehen jetzt ne Runde Basketball spielen. Ob du jetzt mit deinem Lover -“ „Ich hab doch gesa-“ „nachkommst, ist dir überlassen. Das wollten wir dich wissen lassen. Also, man sieht sich!“, und schon war sie verschwunden. Der große blonde Kerl war ihr gefolgt, das pink haarige Mädel aber blieb noch einen Moment stehen. „Wir haben uns ja schon ein paar mal gesehen, deshalb wollte ich mich jetzt endlich vorstellen. Mein Name ist Hitomi Kohana, wenn du möchtest, kannst du mich einfach Koko nennen. Hat mich wirklich sehr gefreut dich kennen zu lernen.“, mir schien es eine freundschaftliche Geste zu sein, als sie mir die Hand hinreichte und wir unsere darauf knallend zusammen fassten. Das hatte bis jetzt noch keiner gemacht und ich war noch etwas verwundert, sodass ich einfach starr stehen geblieben war, als sie sich noch mit einem Kopfnicken, das auf Gegenseitigkeit beruhte, von Kaito verabschiedete und schließlich den anderen hinterher eilte.
„Und? Hast du Lust auf eine Runde Basketball?“, wollte Kaito wissen, der am weit geöffneten Fenster im Wohnraum stand und, der Deckenventilator lief noch immer, den frischen Wind von draußen und die Sonne auf seinem Gesicht genoss. „Warum eigentlich nicht?“, antwortete ich ihm, zog noch zum Schluss das Schweißband über die linke Hand und band meine Schuhe zu.
Wenig später waren wir auch schon am Platz angekommen, wo die zwei, der blonde auf den einen, Ayumi auf den anderen Körbe warfen. Von Koko war weit und breit nichts zu sehen.
„Hey!“, rief ich und winkte den beiden lachend zu, als sie sich zu uns drehten. „Was haltet ihr von zwei gegen zwei?“, legte Ayumi gleich los und warf mir den prallen Lederball entgegen. „Du und dein Lover -“ „wir sind ni -“ „gegen mich und Dai. Einverstanden?“, die Unterbrechung von Kaito hatte sie getrost überhört.
Das Spiel verlief eigentlich ganz gut, wir gaben und schließlich nach eineinhalb Stunden mit dem durchgehenden Unentschieden zufrieden und ich warf mich erschöpft ins Gras. Schön kühl war es hier im Schatten, die Sonne prallte nicht so auf den Kopf und der Wind brachte den frischen Duft der Pflanzen in die Nase. Hier könnte ich ewig liegen.
Kaito hatte sich neben mich gesetzt, auch Dai und Ayumi hatten sich eine Pause gegönnt.
„ . . . hast du Schokolade?“, hörte ich plötzlich jemanden in mein Ohr raunen und wirbelte erschrocken herum, die Augen vor Erstaunen weit geöffnet. Auf der anderen Seite von mir saß Dai im Schneidersitz und hatte sich weit vor zu mir gebeugt. Seine blonden glatten Haare fielen Strähne für Strähne von seiner Schulter nach vorne, je weiter er sich mir näherte. „Sch – Schokolade?“, fragte ich entgeistert und starrte erst ihn, dann Ayumi und dann wieder Dai ungläubig an. Aber es schien ihm Ernst zu sein und ich wühlte doch tatsächlich in meinem mitgebrachten Rucksack nach dem Schokoriegel, an den ich mich noch erinnerte, ihn eingepackt zu haben. Doch leider war er schon halb geschmolzen, der Rucksack hatte in der Sonne gelegen, und die Verpackung klebte an der Schokolade. Aber das störte den großen blonden Kerl neben mir nicht sonderlich, er nahm mir den Riegel aus der Hand und schob ihn sich ohne die Verpackung seelenruhig und ohne ein Danke in den Mund. Gut, wem's schmeckt? . . .
Da hörte ich hinter mir ein leises Knipsen und drehte mich um. Etwas weiter von uns entfernt entdeckte ich endlich Koko, die mit einer teuer aussehenden Kamera rum hantierte. „Koko?“, fragte ich und drehte mich auf meinem Hintern zu ihr um, Ayumi hatte angefangen sich mit Dai und Kaito zu unterhalten. „Hi.“, sagte sie lächelnd, kümmerte sich aber nicht weiter um mich, ihre hauptsächliche Aufmerksamkeit lag bei den ungewöhnlich bunten Vögeln, die ich in dem dichten Blätterwerk entdeckte. Nun weckte sie aber auch mein Interesse, ich erhob mich und machte einige Schritte auf sie zu. „Du fotografierst also?“, fragte ich neugierig und sie richtete sich auf. Sie war ein wenig kleiner als ich und ihre pinken Haare schimmerten wie Naturfarben im Licht, das durch die Baumkronen fiel. „Ja. Schon länger.“, den Blick richtete sie auf das Display ihrer Hightech Kamera, drückte ein paar Knöpfe und richtete die Linse erneut auf ein Motiv, das sich ihrer Augen würdig erwiesen hatte. Obwohl sie nicht älter sein konnte als ich, verhielt sie sich wirklich unglaublich professionell, jedenfalls empfand ich das so. „Ich hab als Kind eine günstige Kamera bekommen, ohne eigentlich irgendeinen Grund. Das Bilder schießen aber hat mir damals schon sehr viel Spaß gemacht und deshalb habe ich dieses Hobby bei behalten.“, erzählte sie und wandte sich das erste mal direkt an mich. „Aber Leute fotografiere ich selten. Die Natur ist einfacher.“, ich verstand Bahnhof. „Was heißt denn das? Wieso ist die Natur einfacher?“, doch darauf sollte ich wohl so schnell keine Antwort bekommen, wie sich heraus stellte.
Noch eine Weile hielt ich mich bei Koko im Schatten auf und unterhielt mich vergleichsweise sehr seriös mit ihr. Normaler Weise war das nicht so meine Stärke, das bekam ich zu spüren, doch es war wirklich interessant, eine vielleicht 14 Jährigen? Ich schätzte sie auf dieses Alter, vielleicht auch auf 15, so erwachsen reden zu hören. Das war selten wie ich fand.
„Hast du Lust auf noch ne Runde?“, Kaito kam nach vergangener Zeit zu mir und sah seltsamer Weise ziemlich fertig aus. „Alles klar bei dir?“, fragte ich und konnte mir einen kleinen Lacher bei seinem Aussehen nicht verkneifen. „Unterhalte du dich doch mal mit dieser Ayumi . . . Jaja, amüsier du dich nur! Was ist jetzt? Die Sonne ist auch schon weg, lange können wir nicht mehr bleiben, die Wolken da hinten sehen sehr nach Gewitter aus.“, meinte Kaito und drehte mir den Rücken zu, um in die Richtung zu zeigen, in der er das noch ganz weit entfernte Grollen vorhin gehört hatte. Dort hinten am Horizont, hinter den großen, blinkenden Geschäftshäusern sah ich die ersten dunklen Wolken, sie türmten sich langsam und waren durch einen Schleier, wie es aussah, mit der Erde verbunden. Endlich. Nach langer Zeit fing es wieder an zu regnen! Schon mindestens seit zwei Wochen hatte die Sonne unaufhörlich auf den Erdball geschienen, die Strahlen machten es langsam schon unmöglich sich zu bewegen, geschweigedenn zu lernen, denn die lokal heißeste Zeit seit 23 Jahren bat durchgehend, nachts wie tags, 35° Celsius. Im Schatten. Die armen Pflanzen begannen schon damit zu verdorren, doch jetzt kam ihre Rettung. Noch einmal wandte ich mich an Koko, doch sie hatte sich schon wieder ganz auf ihre Fotografie konzentriert, war gar nicht mehr ansprechbar. Also ging ich mit Kaito zu den anderen und wir spielten noch so lange, bis das Grollen uns zu nahe kam. Gegen Regen hatten wir alle nichts, doch vom Blitz getroffen werden wollte keiner von uns, weshalb wir schnell unsere Sachen zusammenpackten, begleitet von einem Wind mit gemischten Temperaturen. Wahrscheinlich kam ein Tief in unsere Richtung, dessen Kühle auf die Hitze hier traf und sich das Gewitter bildete, um die aufkommende Elektrizität zu entladen.
„Was willst du denn noch? Hast du was vergessen?“, rief mir Kaito zu, Ayumi und Dai waren schon weiter weg, doch ich suchte nach Koko. Sie war nach dem letzten Spiel noch hinter dem Platz gewesen und hatte geknipst, jetzt war sie garantiert noch etwas weiter in das Gebüsch gegangen, so sehr wie sie sich auf das Fotos machen konzentriert hatte, war ihr sicher gar nicht aufgefallen, dass es kühler und windiger geworden war, sich ein Gewitter näherte.
„Koko!“, rief ich und eilte zurück, ihre Tasche lag noch da, wo wir unsere abgestellt hatten. Das hieß, sie musste noch hier sein, also rannte ich los, in das Gebüsch und fand sie auch schnell. „Koko!!!“, rief ich ganz außer Atem und erstaunt drehte sie sich um, den Apparat noch immer in den Händen. „Was ist denn los?“, wollte sie wissen und ich deutete nach oben in den Himmel. „Es fängt gleich an zu Gewittern, die anderen sind schon los gegangen, komm!!“, in der Eile packte ich ihr rechtes Handgelenk, ihre Kamera hielt sie fest umklammert in der linken Hand.
Gerade noch rechtzeitig hatten wir fünf es geschafft uns unter ein Überdach eines Kaufhauses zu stellen, die vorbei laufenden Leute hatten alle etwas über dem Kopf gehalten, wenn sie überhaupt noch draußen herum liefen.
„Sieht ja nicht so aus, als wenn das bald aufhören würde zu regnen . . .“, stellte Kaito fest und die anderen stimmten ihm still zu, gefolgt von einem kräftigen Donnern. Das Gewitter kam näher. Koko und Ayumi standen dicht nebeneinander, die beiden schienen gute Freunde zu sein. Auch Kaito stand dicht bei mir, doch Dai eher etwas abseits. Ein komischer Vogel, wie ich fand . . . Aber aus irgendeinem mir unbekannten Grund empfand ich das Bedürfnis, mich mit ihm anzufreunden, deshalb ging ich die paar Schritte, die uns trennten, auf ihn zu und begann zaghaft ein Gespräch: „Öhm . . . und du, Dai, magst also Schokolade?“, fragte ich und drukste ein wenig herum.
„. . . ja . . .“, sagte er und sah mir in die Augen. „. . . Hast du Schokolade?“ Am liebsten würde ich jetzt so ein Gesicht machen: -___-; Aber das ließ ich lieber.
Während ich also langsam damit begann ein Gespräch anzuzetteln, sah Kaito in den grauen Himmel, aus dem es wie aus Eimern goss. Jetzt hatte er nur noch wenige Tage.
„Kaito? Koko und ich gehen jetzt nach Hause, es hat grad ein bisschen nachgelassen. Das wollen wir ausnutzen. Dai? Kommst du mit oder bleibst du noch?“, letzteres sagte sie etwas lauter und reckte uns den Hals entgegen. Der große Blondschopf vor mir drehte sich zu ihr um, nickte mir noch einmal zum Abschied zu, bevor er sich seine Kapuze über den Kopf zog und den zwei Mädchen in den Regen folgte. Daraufhin waren Kaito und ich wieder allein.
Ich betrachtete ihn im Profil, wie er mit den Händen in den Hosentaschen in den grauen Himmel sah und ganz tief in Gedanken zu sein schien. Das T – Shirt auf seinem leicht gebogenen Oberkörper war so weit, dass es im Wind flatterte, seine braunen, glatten Haare, die er etwas länger trug, wehten teilweise in sein Gesicht und mir wurde ganz komisch. Um sicher zu gehen, drehte ich ihm den Rücken zu und sah selbst einmal in den Himmel – und erstaunte. „Ein Regenbogen?!“, rief ich aus und schon waren meine Gedanken von eben vergessen. Wie ein kleiner Junge zog ich Kaito am Ärmel zu mir, er war sichtlich überrascht und ich deutete mit dem Finger nach oben. „Da, sieh mal!!“, rief ich und Kaito duckte sich, sodass sein Gesicht auf gleicher Höhe mit meinem war, um besser sehen zu können. „Dann musst du dir jetzt etwas wünschen.“, sagte Kaito leise, rührte sich aber kein Stück. Etwas überrascht blickte ich ihn an, doch er schien es ernst zu meinen, also richtete ich meine Augen wieder auf die bunte Lichtspiegelung, schloss die Augen und überlegte. Was sollte ich mir wünschen? Da bekam ich eine Idee und mir entfloh ein leichtes Lächeln. Dieser Wunsch müsste sich doch eigentlich erfüllen, oder? Er war simpel, nicht zu viel verlangt.
„ . . . okay.“, sagte ich, wurde aber von einem ohrenbetäubenden Donnergrollen unterbrochen und zuckte vor Schreck zusammen. Das Gewitter war nun direkt über uns und selbst von den paar Leuten, die vorhin noch schnell an uns vorbei gerannt waren, war nichts mehr zu sehen. Wir waren allein hier und Kaito legte mir eine Hand auf die Schulter. „brauchst doch keine Angst zu haben . . .“, flüsterte er und legte kurzer Hand auch noch die zweite Hand auf die andere Schulter. „I-ich hab doch keine Angst . .“, log ich, um nicht schwächlich zu erscheinen, doch vergebens. Wenig später donnerte es nämlich noch einmal und ich war der Meinung, dass es noch lauter war als das Grollen zuvor. Vor Schreck hatte ich mich an Kaito geklammert, merkte es, doch ließ nicht von ihm ab. Freunde . . . Freunde konnten das schließlich tun. Die Fußballspieler gaben sich sogar Küsse, wenn sie ein wichtiges Spiel gewonnen hatten. Also war das hier doch noch im Rahmen! Und überhaupt hätte sich Kaito doch sonst schon längst gemeldet, oder? Seine Hände lagen auf meinem Rücken, also schien es ihm gar nichts auszumachen. „Kaito . . ?“, meine Lippen bewegten sich von alleine. Der braun haarige vor lockerte den Griff um mich, um mir in mein rundes Gesicht sehen zu können und bei meinem Anblick entglitt ihm ein grinsen. „Warum weinst du denn?“, wollte er wissen. „Ich - ich . . . weiß auch nicht . . .“, schniefte ich und wischte mir ungeschickt mit dem Ärmel über das Gesicht. „ . . . mir ist nur aufgefallen, dass wir . . . naja . . . uns selten umarmen . . oder?“, erklärte ich ihm und der große Kerl sah mich mit geweiteten Augen an. Dann jedoch schien irgendetwas in ihm vor zu gehen, er schüttelte unmerklich den Kopf und klopfte mir beherzt auf die Schulter. „Wie recht du doch hast!“, trötete er, doch vor mir konnte er diesen unsicheren Unterton nicht verheimlichen.
„Lass uns zu mir gehen, ist ja gleich da drüben . . Hier, sieh mal, es klart ein wenig auf, unsere Chance!“, meinte Kaito, packte mich kurzer Hand am Arm und rannte los – nur war er verdammt noch mal schnell (!) und ich musste wirklich die Beine in die Hand nehmen, um mithalten zu können.
Entsprechend außer Atem vor der Wohnungstür angelangt, kramte Kaito bereits nach dem Schlüssel in seinen Hosentaschen, während ich an der Wand daneben vor Erschöpfung kaum noch Luft bekam. Ich war ja sportlich, aber das hier eben war einfach nicht mehr in meiner Reichweite (Ausdauer-technisch betrachtet versteht sich natürlich, wobei eine Anspielung auf die Größe wiederum nicht ausgeschlossen sein kann). „Sag mal . . . hattest du vor, da draußen zu bleiben?“, wollte eine ganz gewisse Person wissen und schließlich vollbrachte ich nun doch das unmögliche und bugsierte meinen Körper auf seine Couch, was dessen Besitzer nicht wirklich störte. „Hast du . . . etwas zu trinken da?“, fragte ich Kaito, der gerade mit zwei Flaschen aus seiner Einbauküche wiederkam. Langsam wurde es wirklich gruselig, dass wir jetzt schon wussten, das der andere dachte . . . Die Flasche mit Apfelschorle, wie sich etwas später herausstellte, gefangen, setzte ich mich wieder richtig hin, um dem Wohnungseigentümer auch eine Sitzmöglichkeit zu bieten, die der natürlich gleich ausnutzte – und gezielt daran vorbei ging. Pah! Dann eben nicht. Da biete ich ihm sogar den Platz an, auf dem eigentlich meine Füße so bequemen Komfort bekommen hatten, und dann geht dieser Kerl einfach dran vorbei! „Taku, ich muss dir was sagen.“, hörte ich plötzlich eine tiefe Stimme und hob fragend die braunen Augen. Dieser Satz gefiel mir gar nicht . . .
Doch gerade in dem Moment, da sich seine Lippen wieder bewegten, drang ein schrilles Klingeln an meine Ohren – nebenbei erwähnt: es war die Wohnungsklingel – und ich musste wohl oder übel das Gesicht verziehen. Was danach kam, war allerdings super! Für mich, und das auch nur für den Anfang, aber egal! x3 Kaito hatte mich erst fragend angesehen, war dann in Richtung Tür marschiert - ich war ihm selbstverständlich heimlich gefolgt – und hatte sie ohne durch den Spion zu sehen geöffnet.
Vor ihm stand nun ein etwa 18 jähriges Busenwunder (und bei allem was mir heilig ist, dieses mal übertrieb ich nicht), eingekleidet in ein Stück Stoff, das meiner Meinung nach wie ein Fetzen von einem sehr edlen Abendkleid aussah. Was sich allerdings herausstellte, als sich besagtes Objekt ein wenig bewegte: Unter diesem nachtblauen „Abendkleid“ befand sich tatsächlich, ich hätte es nicht für möglich gehalten, eine Jeans! Sie war eben nur entsprechend kurz, sie könnte eigentlich schon als Höschen durchgehen . . . nur eben mit Jeans – Stoff.
Sah man aber auch noch in höher gelegene Zonen, so konnte man unter blonden Locken, jede mit viel Liebe, Schaumfestiger und sehr heißem Lockenstab eingedreht, zwei meerblaue Puppenaugen, jedenfalls waren sie so geschminkt, hervor blinzeln sehen. Eigentlich sah sie ja ganz niedlich aus . . .
„Kaai . . !“, sie verlieh diesem Ausruf noch einmal zusätzlichen Effekt, indem sie ihre vollen Lippen elegant zu genau diesem Namen formte und dabei unschuldig mit ihren so unechten Wimpern klimperte. Kaito war übrigens erstarrt, als er sie gesehen hatte, ich dachte, das wäre eventuell erwähnenswert * grins *. Naja, Busenwunder warf sich dem versteinerten Kaito an den Hals und stattete seine Wangen mit unzähligen Lippenstift-Kuss-Mündern aus. Erinnerte mich irgendwie sehr stark an meine Oma, nur mit dem Unterschied, dass sie mir, während sie das tat, nicht so lustvolle Blicke zuwarf, wie Busenwunder es gerade bei Kaito tat. Gerade wollte ich mich schon wieder wegschleichen, immerhin wollte ich den beiden ihre Privatsphäre wirklich von Herzen gönnen, doch da hörte ich Busenwunder mit Puppenaugen sagen: „Ohh! Habe ich dich etwa erschreckt?“, ich blieb stehen, den Rücken zum Geschehen . . . Meinte sie jetzt Kaito oder mich damit? Fragend drehte ich mich um, Busenwunder war schon direkt auf dem Wege zu mir. „Oh nein, wie niedlich du bist!“, o Mann. Weiß sie eigentlich, wie sehr es einem Mann (männlichen Jugendlichen) schmerzt, so etwas zu hören . . . ? Ich meine, 'niedlich' ?! Ernsthaft . . . Das tut sehr, sehr weh . . .
„Das ist also Takumi, von dem du mir immer so viel erzählt hast!“, sagte sie zu Kaito, mit fest verankertem Blick auf mich, und bearbeitete mein Gesicht mit ihren Händen, als wenn sie mich schon ewig kennen würde und ich ihr das je erlaubt hätte.
„Taku . . . der Regen hat nachgelassen. Ich bringe dich schnell nach Hause, okay?“, ich hatte das Gefühl, als wenn diese Frage eher an Busenwunder als an mich gestellt wurde, also wartete ich eine Antwort von besagtem Objekt ab. Und die kam sogar: „Ohh, musst du etwa schon gehen? Schade, dabei würde ich dich wirklich gerne endlich mal kennen lernen! Aber dann wird daraus wohl nichts . . .“, sagte sie etwas enttäuscht und ließ mit hängendem Kopf von mir ab.
Kaito war heute seltsam. Um genau zu sein, eigentlich seitdem wir zwei alleine waren, da wo die anderen gerade nach Hause gingen.
Wir schlenderten gemütlich nebeneinander her, doch in meinem Inneren herrschte gerade das ziemliche Chaos. War er nicht erst letztens derjenige gewesen, der mir noch gesagt hatte, dass wir immer über alles labern könnten? Damit war natürlich auch gemeint, dass ER MIR SEINE Probleme erzählen konnte.
„Was ist mit dir los?“, fragte ich demnach einfach direkt und ertappt warf mir Kaito einen erschrockenen Blick zu. Dann trat Schweigen ein. Ich hatte also Recht damit, dass ihn etwas sehr Großes beschäftigte. Aber was war das bloß? „Taku, ich . . .“, und schon wieder Schweigen. Mann, bei allem Respekt, aber in seiner Haut wollte jetzt auch nicht stecken. Es schien immerhin DEN Kaito eine Unmenge an Überwindung zu kosten, das, was ihn so beschäftigte, in Worte zu fassen.

„If you see with your eyes, you can see the world's created outside. But if you see with your heart, you can see human feelings and true love somewhere.“

Wir waren an meinem Haus angekommen. Schweigend, aber dennoch zufrieden. Zuerst hatte ich ihn nicht verstanden, hatte mir gedacht, er würde einfach wieder ein wenig seine Songs durchgehen, das tat er immer, indem er sie vor sich hin trällerte. Doch diese Phrase war ganz allein für mich bestimmt, das war mir langsam klar geworden.
Eine Weile standen wir uns noch gegenüber, zwischen uns waren gerade mal zwanzig Zentimeter Abstand und wir sahen uns in die Augen. Ich lächelte ihn zufrieden an, wollte gerade etwas sagen, doch da wurde mir ein Finger auf die weichen Lippen gelegt. Erstaunt blickte ich auf, in das andere von einigen dünnen Haarsträhnen verzierte Augenpaar, doch Kaito grinse nur einmal kurz, schloss für einen kurzen Augenblick die Augen und sah mich noch einmal intensiv an, bevor er behutsam den Finger von meinem Mund nahm und ohne sich noch einmal umzudrehen hinter dem nächsten Haus verschwand.
Verwirrt starrte ich ihm noch so einige Zeit hinterher. Was war das denn gewesen? Seltsam, wie er sich verhalten hat, seltsam. Da ist wirklich etwas faul! Aber warum erzählte er mir nichts davon? Schlendert da einfach so davon nach Hause ohne auch nur den leisesten Piep von sich zu geben. . . Ich musste wissen, was es damit auf sich hatte, ansonsten würde ich ganz sicher kein Auge zu tun können.
Wenig später also versuchte ich ihn auf seinem Handy zu erreichen, doch es war ausgeschaltet. Ein weiteres Seltsam auf meiner Strichliste! Ich versuchte es mit dem Telefon, doch es ging niemand ran, allenfalls eine Nachricht hätte ich hinterlassen können, doch dazu war ich wie immer zu faul und heute zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Gut, dann schrieb ich ihm eben eine SMS, eine Mail am besten auch gleich noch, doch dazu musste ich mich ja erst einmal wieder irgendwo anmelden . . . Das war dann aber auch schnell getan, denn Kaito ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich machte mir ein wenig Sorgen um ihn. Nicht, dass ich ihm keine Selbstständigkeit zutraute, das war es nicht. Ich kannte ihn bloß schon so lange und wusste bereits, dass Kaito gerne seine Schwächen versteckt, und bei ihm fallen alle möglichen Sorgen dummer weise auch unter diese Kategorie, weshalb es immer besonders schwer war, sich mit ihm über ihn zu unterhalten, wenn er schwerere Probleme hatte.
Es war schon tief in der Nacht, vielleicht Zwei Uhr morgens und ich hatte immer noch kein Lebenszeichen von Kaito. Aber ich war ungewöhnlich gelassen – wahrscheinlich weil ich wusste, dass in diesem Moment jemand bei ihm war . . . jemand sehr hübsches . . . mit sehr viel Lippenstift und fraulichen Rundungen, und nicht zu vergessen diese kurze Ho – ach, ich sollte aufhören zu denken! Sollte er sich ruhig heut Nacht mit diesem Mädel amüsieren und mich dafür hängen lassen. Aber solange er mal wieder von sich hören lässt,vor allem jetzt, wird das wohl schon klar gehen.
Am nächsten Morgen klingelte mein Handywecker schon vergleichsweise früh und verschlafen wuselte ich mir über die Augen. Es war sieben Uhr, Kaito hatte sich nicht gemeldet. Aaaaahhh!! Heute war ich ja mit Cho verabredet!!! Halsüberkopf hechtete ich ins Bad, vergaß komplett meine Kleidung und sprang unter die Dusche, wo ich mich dann wieder beruhigte, da ich doch eh noch viel Zeit hatte und das heiße Wasser auf meiner Haut genoss.
Mit einem Handtuch um die Hüften wanderte ich dann also wieder in mein ziemlich eigenwillig eingerichtetes Zimmer und zog die Schublade des Kleiderschranks auf. Da eine Boxershorts, hier ein Paar Socken . . . das T-Shirt hier könnte doch ganz gut mit der Dreiviertelhose dort hinten zusammenpassen, oder? Übergezogen und noch mit nassen Haaren stellte ich mich vor meinen Spiegel und musterte meinen Aufzug. Sah schön sportlich und nicht zu gemütlich aus, also genau richtig ;) Neu eingekleidet also verließ ich mein Gemach (ach, ich liebe dieses Wort) und begab mich erneut in das Zimmer ausgestattet mit sanitären Anlagen, die ich dann auch noch einmal benutzte, um mein Gesicht und nach dem Frühstück dann auch noch die Zähne zu reinigen. Die Haare musste ich gar nicht mehr föhnen, sie waren schon nach dem Toasten des Brötchens wieder trocken, also musste ich sie nur noch einmal kämmen, bevor ich mich schon nach draußen begab und mein Fahrrad aus dem Keller hoch hiefte. Jetzt nur noch die Tür wieder mit dem Zahlenschloss für unbefugte Unzugänglich machen und schon konnte es los gehen!
Demnach also befand ich mich ganze zwei Stunden früher am Treffpunkt und überlegte, was ich jetzt machen könnte, als mir Cho durch den Kopf geisterte. Cho . . . Schmetterling . . . ich könnte ihr doch ein kleines Geschenk besorgen! Entschlossen also spazierte ich in Richtung Einkaufsstraße und fand auch schnell einen richtigen Laden, einen Krimskrams Laden wohl bemerkt. „Hallo!“, rief ich herein und betrat den ziemlich voll gepackten Raum, der gerade mal die Größe meines Wohnzimmers (Normal groß für Wohnzimmer) hatte. Mit lauter Regalen an den Wänden und unzähligen Ständern in der Mitte des Ladens bekam die Erkenntnis, dass jedes Ding anscheinend extra seinem Platz zugewiesen wurde, gleich noch mehr Ansehen. Diese ganzen kleine Figürchen . . . ich persönlich hätte ja Angst, sie umzuwerfen bei mir zu Hause, aber jetzt suchte ich ja nicht nach einem Staubfänger für mein Haus . . . Und das war der Moment, in dem mir dieser kleine Anhänger in die Augen sprang. Völlig verloren war ich hier gewesen, war durch die Ordnung nicht im geringsten durchgestiegen, da tat es wirklich gut, einen positiven Anhaltspunkt zu finden. Scheinbar mit letzten Kräften griff ich nach dem kleinen, grünen Schmetterling an einem Anhänger, er lächelte mir glücklich entgegen. Er sagte förmlich 'Kauf mich', also beschloss ich endlich, dieses kleine Mitbringsel Cho zu überreichen und nachdem ich das gute Stück dann auch bezahlt hatte, verließ ich das kleine Geschäft wieder. Ein Blick auf die Uhr erstickte aber jegliche aufkeimende Freude. WAS?? Das eben waren gerade mal zehn Minuten gewesen?!
Entmutigt bummelte ich also noch ein wenig an den Schaufenstern der Geschäfte entlang, bis mich auch dazu die Lust verließ und ich mich wieder in der Nähe vom Treffpunkt wiederfand.
Dementsprechend entgeistert musterte ich dann auch Cho, die an meinem Fahrrad stand und sich umsah. Hatte ich etwa doch fast zwei Stunden mit dem Schaufenstersehen verbracht?! Wohl kaum wie mir meine Armbanduhr verriet. Sie war also auch viel zu früh dran und mit einem Lächeln ging ich auf sie zu, die kleine Tüte bewusst in meiner linken Hand haltend. „Hey!“, rief ich ihr entgegen und sie drehte sich fragend zu mir um. Ihre mittellangen, schwarzen Haare mit den blonden Strähnen wehten sachte im Wind, passend zu ihrem Kleid, unter dem sie eine schlichte, weiße Leggins trug, sicher um noch Fahrrad zu fahren. Der zarte Grünschimmer auf ihrem langen, nach unten weiter werdenden Oberteil erinnerte mich irgendwie an das Grün des Anhängers und bei dem Gedanken musste ich Grinsen. Schon seltsam, das wir uns anscheinend unbewusst abgesprochen hatten. Vor ihr zum Stehen gekommen lächelte sie mir glücklich entgegen und strich sich elegant den Pony aus den Augen, unter denen sich zarte Sommersprossen tummelten. Wie süß, dachte ich im Stillen. „Du bist also auch zu früh dran, was?“, lachte sie und hielt mir die Hand, ein schlichter Armreifen aus Perlen bestehend zierte das Gelenk, zum Willkommensgruß hin. Ich nahm diese Begrüßung entgegen und war der Meinung, sie auch ruhig Freundschaftlich in den Arm nehmen zu dürfen, also zog ich sie gleich etwas näher an mich heran und legte meine Hände auf ihre noch zierlichere Taille als meine es schon war. Zuerst schien sie ein wenig überrumpelt, doch es dauerte nicht lange bis sie meine Umarmung erwiderte, indem sie mir die Hände auf den Rücken legte.
„Ich hab dir was mitgebracht . . .“, sagte ich und holte den grünen Schmetterling aus der Tüte, um ihn dem süßen Mädchen hier vor mir zu schenken. Dieses freute sich ungemein über meine kleine Geste, das konnte man an ihren Augen sehr gut erkennen. Sie waren vor Freude ganz groß und glitzernd geworden, so sehr, dass ich mich schon wieder schämen musste, ihr ein solch vergleichsweise unansehliches Geschenk dargeboten zu haben. „Vielen Dank!“, glückstrahlend hatte sie diesen Anhänger betrachtet, ihn an ihr Schlüsselbund gehängt und mich daraufhin wieder angesehen. „Ich, ähm . . . also heute Nachmittag läuft ein Film in dem Kino da drüben, von dem ich schon von sehr vielen Leuten gehört hab, dass er ganz lustig sein soll. Wenn du möchtest, können wir uns den ja nachher ansehen? Er heißt Rango“, schlug sie vor und ich war von der Idee gar nicht mal abgetan. Das klang doch eigentlich sehr gut, wenn wir vorher noch ein wenig am See lang fuhren, denn diese Zeit blieb uns schließlich noch, war der ganze Tag durchgeplant und es würde keine Langeweile aufkommen!
Am See war nicht so viel los wie gestern, doch es waren schon so einige Leute hier aufzufinden, das konnte ich nicht leugnen. „Da hinten ist ein Fahrradständer, da können wir anhalten!“, rief ich nach hinten, da mir Cho hinterher gefahren war. Vor dem Radständer bremste ich langsam ab, damit Cho nicht versehentlich auffuhr und bugsierte mein Rad in die dafür vorgesehene Vorrichtung, um dann noch das Schloss anzulegen. Cho neben mir tat es mir gleich, jedoch bemerkte ich aus dem Augenwinkel, dass sie keine Anstalten machte ein Schloss aus ihrer Tasche zu holen, was mich darauf schließen ließ, dass sie keines dabei hatte. „Kannst dein Fahrrad an meins stellen, dann kann ich deins auch mit abschließen.“, bot ich ihr an und sie lächelte. „Danke.“, sagte sie etwas schüchtern, aber mit einem zarten Lächeln auf ihren Zügen.
Als das nun auch erledigt war, trödelten wir gemütlich ein wenig durch die Gegend und unterhielten uns angeregt, lachten viel. „ . . . und du entwirfst also tatsächlich deine Sachen selbst?“, fragte ich und Cho nickte kichernd. „Ja, das Kleid hier zum Beispiel habe ich auch selbst genäht. Aber Accessoires wie Armbänder bastele ich auch gerne, denn so ein Entwurf und dann das Zurecht nähen dauert schon seine Zeit.“, erklärte sie mir und ich fügte noch hinzu: „Klar, während der Schulzeit kommt man zu so etwas ja gar nicht.“ „Genau, da ist man so sehr mit Lernen beschäftigt, da kann man es sich kaum leisten, mal Freizeit einzukalkulieren.“ Ich merkte, wie sehr sie auf gute Noten fixiert war. „Lernst du eigentlich wirklich jeden Tag in der Schulzeit?“, wollte ich neugierig wissen. „Nicht jeden Tag, aber doch schon sehr oft, wenn ich so höre, wie oft meine Freundinnen in ihre Unterlagen sehen . .“, überlegte sie und musste bei dem Gedanken ein wenig Lachen. Wie schön, sie wurde ein wenig entspannter. Am Anfang hatte man noch das Gefühl gehabt, dass sie sehr verklemmt war, doch nun war davon zu meiner Erleichterung nichts mehr zu spüren.
Schließlich waren wir an der Blumenwiese angekommen und Cho ließ sich in das Bunte Gras fallen. „Wie schön das hier ist!“, rief sie und schloss die Augen. In langen, ruhigen Atemzügen sog sie die sie umgebende Luft voller Blumenduft ein und ein zufriedener Ausdruck machte sich auf ihrem Gesicht breit. Ich selbst tat mich schon mit diesem Anblick zufrieden und setzte mich neben sie. „Du und Kaito, ihr beiden seid ja schon seit ich dich das erste mal gesehen habe immer zusammen gewesen. Wie habt ihr euch kennen gelernt?“, wollte sie nach einiger Zeit wissen und öffnete ihre großen Rehaugen wieder, sah aber nur in den Himmel hinauf. „Wie .. wir uns kennen gelernt haben?“, hakte ich etwas erstaunt nach. Es war ja schon ungewöhnlich genug, dass sie mich über meine Freundschaft mit Kaito ausfragte, was mich aber nicht störte, das nur mal so erwähnt, aber dass ich das selbst gar nicht so genau wusste, wann wir uns kennen gelernt haben, brachte mir ein noch umso unwohleres Gefühl. Darüber musste ich einen Moment nachdenken.
„Ich denke . . . Das ist schon eine ganze Weile her, so genau kann ich mich auch gar nicht mehr erinnern . . . unsere erste Begegnung war in der Grundschule. Er war in der vierten Klasse, ich in der ersten. Durch die Fußball AG haben wir das erste mal aufeinander getroffen – und wir haben uns gehasst wie die Pest!“, bei diesem Gedanken musste ich lachen, wenn man mal bedenkt, wie nahe wir uns heute stehen. „Das lag wohl auch daran, dass er der beste in unserer AG war und ich damals noch mit einer der blutigen Anfänger. Schlimm war es immer, wenn ich mit in sein Team kam, er war immer einer derjenigen, der wählen musste, weil es ja sonst unfair wäre, da die besten sich immer gegenseitig wählten . . . jedenfalls wenn es so kam, dass wir in einer Mannschaft waren, war immer die Hölle los. Er wollte mich nicht spielen lassen, weil er wusste, dass ich nicht gut war, doch ich hab immer darauf bestanden. Ich weiß noch, einmal haben wir uns sogar geprügelt. . . Damals war Kaito noch ganz anders als heute.“, beendete ich meine kleine Geschichte und sah nun erwartungsvoll zu Cho hinunter. Hatte ich ihre Frage damit beantwortet? Oder war sie ihr viel zu lang gewesen? „Das ist doch eine wundervolle Erinnerung, nicht wahr?“, fragte sie in den Himmel hinauf und ich nickte nach einiger Zeit, die ich brauchte, um ihr folgen zu können. Damit hatte sie mehr als Recht, ich sollte solche Dinge nicht mehr so verdrängen, sondern umso besser in Erinnerung behalten.

In Gedanken fiel mein Blick auf die Uhr, als ich erschrocken hoch fuhr. „Oh nein!“, rief ich und sprang schwungvoll auf. „Unser Film fängt gleich an!!“, erklärte ich Cho meine plötzliche Reaktion und sie verstand. „Dann schnell zu den Fahrrädern!“, beschloss sie und folgte mir.
Mit ordentlich Tempo radelten wir die kurze Strecke wieder zurück zur Stadt, schlossen unsere Fahrräder aneinander und hechteten die Treppen hinauf zum großen Vorraum der Kinosäle. „ . . . Zwei Karten für . . . Rango, bitte . . .“, keuchte ich ganz außer Atem, Cho hinter mir stützte sich erschöpft aber glücklich auf ihre Oberschenkel. „Geht es Ihnen beiden denn auch gut?“, wollte die besorgte Kassiererin wissen, doch ich winkte ab. „Alles in Ordnung, wir waren nur spät dran.“, erklärte ich ihr kurz, in der Hoffnung sie gab sich damit zufrieden. Das tat die Frau mittleren alters mit ihren dunkelbraunen, offenen Haaren auch und reichte mir die zwei Karten, nachdem ich ihr das Geld hingelegt hatte.
Wenig später, nachdem auch etwas zu Trinken und ein Becher Popcorn beschaffen war, saßen wir in dem riesigen Saal auf den besten Plätzen, so lobte ich mich. Doch davon war leider nicht mehr viel zu sehen, als sich direkt vor uns drei erwachsene Männer setzten und die wundervolle Sicht bis zur Hälfte mit ihren Köpfen verdeckten. Ich selbst konnte wohl noch etwas besser sehen, doch vor Cho saßen genau zwei von den, ich denke, man durfte sie schon kleine Kolosse nennen. „ . . . Cho?“, fragte ich leise, da der Film schon begonnen hatte. „Von meinem Platz aus kann man besser sehen, tauschen wir schnell die Sitze, hm?“, bat ich ihr an und sie sah mich mit dankbaren Augen an. Ich hatte ihr schon vor Anfang des Films angesehen, wie sehr sie sich auf genau diesen gefreut hatte und wollte ihr das auf keinen Fall vorenthalten. Schnell waren also unsere Plätze getauscht, doch Cho hatte versehentlich einen der Getränkebecher umgeworfen, leider so, dass ein Großteil der Flüssigkeit im Kragen von einem der . . . erwachsenen Männer vor uns landete. Der drehte sich darauf um, ich konnte wohl von Glück reden, dass gerade das Licht aus war, sein alleiniger Blick hätte mich wohl schon umgebracht. „D - dad . . .?!“, ungläubig hörte ich diese piepsige Stimme links von mir, dass es Cho war, stand außer Frage. Fragend betrachtete ich erst sie, dann wieder den angeblichen dad und dann wieder Cho. „Ähm . . . d – dad, das hier ist Taku.“, stellte sie mich ihrem Vater vor und ich drukste verlegen herum. Das war mir irgendwie peinlich, ihren Vater in einer solchen Situation kennen zu lernen. „Nett, sie kennen . . zu lernen.“, brachte ich schließlich doch hervor und reichte ihm die Hand, die kurz darauf sogar genommen und ziemlich fest zusammengedrückt wurde. Noch etwas fester und ich hätte unter normalen Umständen das Gesicht verzogen. „Mich freut es auch! Cho hat schon viel von dir erzählt!!“, trötete er und wurde dafür gleich mit einem vielseitigen „Schhh!“, bestraft. War wohl keine so gute Idee, sich mitten in einem Kinosaal, in dem gerade ein Film lief, zu begrüßen, was? Das sahen wir drei auch ein und verschoben unsere Konversation auf nach dem Film.
Der war übrigens so lustig, dass Cho und ich uns selbst während dem Nachspann gar nicht mehr ein kriegten und uns schon seit mindestens einer Stunde vor Lachen den Bauch hielten. Dieses Chamäleon war aber auch einfach zu komisch!
Meine Augen tränten schon etwas länger und verschwommen konnte ich Cho erkennen, wie sie vor Lachen schon fast vom Sitz fiel. „Also . . . ich glaub, ich . . . . weiß jetzt, warum die . . . anderen sagten, der Film ist . . Sehenswert!“, brachte sie unter lautem, mich ansteckenden Lachen hervor und schaffte es schlussendlich dann doch noch, auch das restliche Popcorn versehentlich auf dem Boden zu verteilen.
Selbst als wir den Saal verlassen hatten und mit ihrem dad unten an den Treppen standen, gab es selten einen Moment, in dem wir nicht urplötzlich wieder anfingen zu lachen, da uns jedes mögliche Objekt, das unsere Sehweite erreichte an irgendetwas aus dem Film erinnerte.
„Na gut, ich freue mich sehr, dich kennen gelernt haben zu dürfen, mein lieber Takumi. Auch bedanke ich mich dafür, dass du dich so gut um meine Tochter gekümmert hast. Aber ich glaube, so langsam sollten wir dann auch gehen, liebes.“, letzteres sagte Cho's Vater zu seiner Tochter gewandt, die sich die noch immer tränenden Augen rieb. „Ist gut . . . geh du schon mal vor, ich komme gleich nach.“, sagte sie und versuchte wenigstens, sich wieder zu beruhigen. „Aber mach nicht zu lange, nachher steht ihr noch eine Stunde hier und lacht . . .“, gab der Vater mit einem schiefen Grinsen zu bedenken und marschierte ein wenig vor. Als er um das nächste Gebäude verschwunden und somit nicht mehr zu sehen war, wandte sich Cho mit zufriedenem Gesichtsausdruck an mich: „Heute hat mir wirklich sehr viel Spaß gemacht, dafür möchte ich dir danken, Taku. Aber . . i - ich kann dir leider kein Geschenk anbieten, deshalb . . . ähh . . .“, ich sah, wie ihre Wangen sich leicht rosa färbten, in der Abendsonne hatte das etwas bezauberndes. Sie war meinen Blicken bis eben ausgewichen, doch jetzt legte sie ihre zierlichen Arme auf meine Schulten und trat einen Schritt näher an mich heran, sodass unsere Nasen sich fast berührten. Cho hatte die Augen halb geschlossen und flüsterte mir ein „Ich hab dich lieb“, ins Ohr, bevor sie mir einen elfenhaften Schmetterlingskuss auf die Lippen hauchte. „Ich schreib dir nachher, in Ordnung?“, sagte sie noch mit einem mädchenhaften Lächeln, dann ließ sie von mir ab und lief ihrem Vater hinterher.
Irgendwie hatte ich heute noch nach Hause gefunden, so richtig aber hatte ich das gar nicht mitbekommen. Ich war noch immer sehr benebelt von diesem Kuss. Aber immerhin hatte ich mit meiner Vermutung Recht gehabt, dass wir uns wohl küssen würden! Stimmt's . . ? Mehr oder weniger war diese Situation dann ja auch eingetreten! Triumphierend deswegen also schloss ich die Tür auf und betrat das leere Haus. Wenn Kaito jetzt nur hier wäre, ich hätte ihm das so was von unter die Nase gerieben! Hahaaah! . . . Kaito . . . und wieder verfiel ich in einen nachdenklichen Zustand. Mit einer gefüllten Müßlischüssel bewaffnet machte ich es mir in meinem Zimmer in dem Gamersessel gemütlich und schaltete den schon bestimmt sieben Jahre alten Fernseher ein, den ich mir mit Mühe und viel viel Betteln verdient hatte. Naja, eigentlich hätte ich mir das auch sparen können, da meine Eltern sich sowieso einen neuen Fernseher zugelegt, und für den hier keinen Gebrauch mehr gehabt hatten, aber es hatte trotzdem nichts geschadet, denn innerhalb der nächsten drei Wochen fand dann nämlich auch eine gebrauchte Spielkonsole den Weg zu mir, die ich dann, glücklich wie ich war, zusammen mit Kaito in einer sehr langen Spielenacht eingeweiht hatte. Das war lustig gewesen! Hach, die Erinnerungen sprudelten nur so hoch, bei dem Gedanken und ich musste aufpassen, nicht noch sentimental zu werden . . . Ich ließ die Nachrichten laufen und verfolgte halb den Wetterbericht, da ich den Rest schon verpasst hatte. Morgen sollte es wieder regnen . . . also ein Tag zu Hause, beschloss ich und stellte die leere Schüssel erst einmal auf meinen Schreibtisch, da ich im Moment zu faul war, sie wieder runter zu bringen.
Kurz bevor ich aber in meinem Sessel eingeschlafen wäre, raffte ich mich noch einmal auf und begab mich mit der leeren Schüssel und dem Löffel in die Küche, wo ich das gesamte Geschirr, das noch zu waschen war, in den Geschirrspüler räumte und ihn anschaltete.
Der nächste Morgen ließ sich Zeit, wie ich spätnachts in meinem Bett merkte. Ich war sehr müde, konnte aber dennoch nicht schlafen. Ein ziemlich unangenehmes Gefühl, sollte jemand mal danach fragen. Es geisterte mir einfach zu viel in meinem Kopf herum . . .
Schließlich aber war ich wohl doch eingeschlafen, wie ich am nächsten Mittag dann merkte, als mir klar wurde, dass ich heute bereits den halben Tag verschlafen hatte. Gemächlich rollte ich mich aus der Bettdecke und nahm gleich die dreckige Wäsche mit ins Bad, wo ich sie in dem dafür vorgesehenen Korb verstaute und mich der täglichen Pflege widmete. Von draußen prasselten die Regentropfen ans Fenster und hinterließen lange Flüsse, in denen das Wasser an der Scheibe herunter lief. Mit der Zahnbürste im Mund torkelte ich noch schlaftrunken ins Wohnzimmer und schaltete das Fernsehgerät ein, da wir im anschließenden Bad kein Radio hatten und mir das Gedudel im Hintergrund fehlte.
Der folgende Tag verlief ähnlich, nur war ich früher wach, da ich früher ins Bett gegangen war. In mir sammelte sich die lange weile . . . Endlich die Zeit, um mal wieder an Kaito und sein seltsames Benehmen letztens zu denken! Hatte er sich eigentlich mal wieder gemeldet? Ich schaltete den Computer an und forschte in meinem Postfach nach einer neuen Mail von Kaito, doch das einzige, das ich dort fand, war Werbung. Weiter sah ich auf das Telefon, ob ich vielleicht einen Anruf von einem gewissen jemand, der sehr gerne und vor allem oft zu den unmöglichsten Uhrzeiten anrief, verpasst hatte, doch auch hier Fehlanzeige. Entmutigt sah ich auf mein Handy, wo sich meine Miene auch nicht sonderlich aufheiterte, allenfalls Cho hatte mir eine Nachricht geschrieben, über die ich mich natürlich freute und ihr sogleich antwortete.
Und so verging eine Woche, die ich die meiste Zeit draußen verbrachte – und in Kaito's Wohnviertel herumschlich. Es könnte doch sein, dass man sich ganz zufällig und völlig unbeabsichtigt über den Weg laufen könnte, nicht wahr? Doch leider blieb mir das nicht vergönnt und nach 17 Tagen ohne irgendeinen Anhaltspunkt verließ mich dann doch die Geduld. Meine Eltern waren wieder da, eine kleine Bemerkung am Rande, aber das hieß doch noch lange nicht, dass er sich jetzt einfach verpieseln kann, nein, ich fand das nicht richtig. Ungeduldig also verbrachte ich weitere Minuten, Stunden, ja sogar nächste Tage damit, auf irgendeine Antwort auf ihn zu warten. Vergebens. Natürlich hatte ich es weiterhin täglich versucht, ihn per Telefon zu erreichen, aber wie zu erwarten war, ohne Erfolg.
Jetzt reichte es mir! Ich wollte etwas von ihm hören! Ich wollte ihn sehen! Mann, das war doch wohl nicht zu viel verlangt?!
Fest entschlossen also polterte ich den Weg hin in die Küche, wo sich meine Eltern gerade aufhielten und einerseits Zeitung lasen, andererseits Kaffee tranken. Sehr entspannt schienen sie, sie waren jetzt schon wieder so gechillt, obwohl sie erst gestern von ihrer Geschäftsreise gekommen waren. „Mom, hat sich Kaito mal wieder gemeldet? Oder dir irgendetwas mitgeteilt, über das du mich eventuell informieren könntest?“, fragte ich mein weibliches Elternteil unbewusst mindestens schon zum fünften Mal, doch auch heute musste sie mich vertrösten: „Tut mir Leid, aber mich ruft er normaler weise nicht an, wenn er so etwas zu berichten hat, Schatz.“ Noch ein Beileid aussagendes Lächeln wurde mir von beiden zugeworfen, dann widmeten sich die beiden wieder ihrem Tun. Gut, wenn nicht die beiden, dann rief ich eben meine Freunde an!
Mit einem angestrengten Gesichtsausdruck ging ich meine Kontaktliste durch und wurde schließlich fündig.
*klick * „Hallo?“, Shun hatte bereits nach dem dritten Tuten abgenommen und klang sehr erfreut mich zu hören.
„Hey Shun!“
„Was verschafft mir denn die Ehre, vom Date master höchstpersönlich kontaktiert zu werden?“
„Was meinst du denn damit?!“, jetzt hatte er mich aus dem Konzept gebracht.
„Ich meine das Date mit Cho ~ Du hast ja anscheinend mehr als nur alles richtig gemacht, Taku! Ich hab euch beiden vor dem Kino knutschen sehen!“
„Ach, d – das meinst du . . .“
„Ich bin ja so stolz auf dich! Das wird dir einen gewaltigen Schub nach oben in die Liste der heißesten Kerle verschaffen, mein Lieber . . .“
„Wer sagt, dass ich das überhaupt will?“, ich meine, klar, es war nicht unbedingt schmerzhaft, die Vorstellung von lauter süßen Mädels umschwärmt zu werden . . . aber nein! Nicht ablenken lassen!!
„Wer will so etwas denn bitte nicht?“
„Das mal beiseite!“, unterbrach ich ihn etwas forsch. „Hast du seit meinem Date mal wieder etwas von Kaito gehört?“
„Von Kaito? Sorry, aber nee, mit ihm hab ich nicht so viel zu tun, weißte. Oh . . . warte mal . . . .“, seine Stimme intensivierte sich und mein Puls begann zu steigen. Konnte er mir etwa einen Anhaltspunkt liefern? „Du weißt doch, dass ich nebenbei Essen ausliefere, oder? Is mein Nebenjob. Normalerweise bestellt Kaito mindestens drei mal die Woche etwas bei uns, doch in letzter Zeit kommt plötzlich gar nichts mehr . . . könnte dir das vielleicht weiterhelfen?“
„Das . . . kann mehrere Gründe haben. Danke Shun!“, rief ich noch und legte wieder auf, bevor Shun auch nur etwas sagen konnte. Schnell griff ich nach dem nächstbesten Stück Papier und irgendeinem Stift, um eine Liste anzulegen:

Gründe für keine weiteren Bestellungen:

1.Kaito wohnt jetzt bei seiner lockigen Freundin von letztens und braucht kein essen mehr.
2.Kaito ist spontan umgezogen..
3.Kaito ist nicht mehr in seiner Wohnung.
4.Kaito ist wieder zu seinen Eltern gezogen, warum auch immer.


Ich betrachtete diese Vier möglichen Gründe und beschloss, dem dritten schon heute auf den Grund zu gehen. Ich wusste schon von den letzten Tagen, dass er kein Licht angemacht hatte, wenn es dunkel geworden war - jedenfalls wenn er noch da sein sollte, hatte er das nicht getan. Ich nahm die dünne Jacke vom Haken, verabschiedete mich noch schnell von meinen Eltern, die sichtlich überrascht von meinem Tatendrang waren und marschierte los. Die Temperaturen sind in letzter Zeit gesunken, deshalb auch die, wenn auch dünne Jacke.
Heute würde ich aber nicht nur um sein Haus schleichen, nein, ich würde bei den Nachbarn klingeln und sie fragen, ob sie etwas gesehen, gehört oder vielleicht ja auch gerochen haben, kann ja sein, dass es in seiner Wohnung einen Brand gegeben hat und er jetzt im Krankenhaus lag . . . oh je, bei diesem Gedanken wurde mir ganz flau im Magen. Sollte ich vielleicht zuerst im Krankenhaus nachfragen, ob er dort stationiert war? Nach kurzem Überlegen entschloss ich mich für Zweiteres, zu seiner Wohnung konnte ich jederzeit, das Krankenhaus hatte für Besucher nicht ewig geöffnet. Schnell war dann noch das alte Fahrrad ausgeschlossen und hergeholt, sodass ich gleich los radeln konnte.
Aber den Weg musste ich erst einmal finden, das war gar nicht so leicht, bei der wagen Beschreibung, die ich bekommen hatte und bei meinem eigenen Wissen. Ich wusste, wenn ich es sehen würde, würde ich es erkennen, doch das musste erst einmal geschehen. Ganz in Gedanken fuhr ich die Hauptstraße herunter, die Augen aufmerksam auf Wegweiser in jeglicher Form gerichtet, doch nicht auf die Straße. Super. Das war keine gute Idee gewesen, wie sich wenig später herausstellte. Da ich nämlich so vertieft in das Suchen von irgendwelchen Schildern war, von denen ich noch nicht einmal wusste, wie sie aussehen könnten, war ich ohne nach rechts zu sehen über eine T – Kreuzung gefahren – direkt vor ein fahrendes Auto.
Es ging viel zu schnell, als dass ich oder der Fahrer hätten bremsen können. Das was ich noch merkte, waren lautes Reifen quietschen und das nicht ganz normal klingende Geräusch meiner Klingel, bevor ich durch einen Ruck vom Fahrrad geworfen wurde und mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug, was dazu führte, dass mein Bewusstsein sich erst einmal verabschiedete.

In diesem Zustand begann ich zu träumen.
Ich träumte von einem ruhigen, weißen Strand mit ein paar Palmen hier und da, weiter hinten standen vereinzelt Strandkörbe. Das hellblaue Wasser näherte sich meinen Füßen in weichen Wogen und umspülte sie. Unter der Wasseroberfläche entdeckte ich auch viele bunte Muscheln, etwas weiter entfernt von mir. Da sprach plötzlich eine Stimme zu mir: „Hallo . . .?“ Fragend sah ich mich um, doch konnte niemanden erkennen. Und wieder: „Taku??“
Plötzlich schlug ich die Augen auf und wurde sogleich von einem sehr unangenehmen Schmerz im linken Bein zurück auf den Boden der Realität gezogen. Vorsichtig wagte ich es, mich in den weißen Zimmer umzusehen. Ich lag in einem Bett, rechts das große Fenster, links ein zweites, leeres Bett. Weiter im Raum war noch ein Tisch, geziert mit einer schlicht gehaltenen Vase aufzufinden, an dem ein Stuhl stand. Links waren noch zwei Türen in den Wänden, eine von denen führte sicher aus diesem Raum heraus! Entschlossen also warf ich die genauso weiße Decke von meinen Beinen und wollte mich auf genau diese zubewegen, da erst bemerkte ich die zwei Personen, die rechts an meinem Bett saßen. Es waren meine Mom und Shun! „Was macht ihr denn hier?“, war das erste, was ich mit meiner ganz rauen Stimme von mir gab und betrachtete den Aspekt, vielleicht einmal zu fragen, was ich hier eigentlich tat, erst gar nicht. „Was wir hier machen?“, überglücklich und zugleich weinend fiel mir meine Mutter um den Hals. „Was-“ „Du hast dein Bein sicher schon bemerkt, was?“, begann Shun mir die ganze Situation zu erklären, während meine Mom gerade in eine Phase fiel, in der man sie, das wusste ich aus Erfahrung, lieber nicht störte und in der sie nicht mehr ansatzweise ansprechbar war. „Ja. Das tut ziemlich weh . . . was soll eigentlich der Gips?“ „Der soll der Heilung dienen.“, sagte plötzlich eine mir fremde Stimme in einem friedlichen Tonfall. Durch die zweite Tür von rechts waren ein Arzt, wie er aussah, mit seinem weißen Kittel und dem Stethoskop um den Hals, und mein Dad getreten. Der war offensichtlich erleichtert, als er sah, dass ich wieder wach war. „Mein kleiner . . .“, murmelte er und wuschelte mir durch die Haare, nachdem er links am Bett Platz genommen hatte. Der Arzt begnügte sich mit dem Abstützen auf der Stange am Bettende. „Wie geht es dir, Takumi?“, wurde ich von Weißkittel gefragt und musste für eine ehrliche Antwort erst einmal in mich gehen. „Meinen Sie mein körperliches oder seelisches Befinden?“, fragte ich noch einmal nach, bevor ich ihm meine Lebensgeschichte erzählte. „Wenn möglich hätte ich gerne eine, meinetwegen detailreiche, mündliche Fassung von dem Teil deines gesamten Befindens, das mit deinem Unfall zu tun hat.“, präzisierte sich Weißkittel mit einem Grinsen und fügte noch hinzu: „Aber ich muss sagen, auf mich wirkst du nicht sonderlich stark seelisch schwer belastet, als dass du deswegen hättest nachfragen müssen . . .“ Wenn der mal wüsste! Aber egal, ich stattete noch Bericht über meine Wehwehchen und dann zog der nette Herr im weißen Kittel zufrieden wieder ab und ließ uns vier allein.
„Taku . . .“, hörte ich meine Mom schluchzen, als sie sich wieder zurücksetzte. „Mir geht’s gut Mom, alles in Ordnung.“, und das war noch nicht einmal gelogen. Selbst der Arzt eben meinte noch hinzufügen zu müssen, dass es mir den Umständen entsprechend wohl sehr gut ginge. „Was wolltest du eigentlich in dieser Gegend?“, fragte Shun, der bis jetzt noch nicht sehr viel gesagt hatte. „In welcher Gegend?“, entgegnete ich mit einem fragenden Blick in seine Augen, doch mir wurde klar, wovon er sprach, noch bevor er antworten konnte. „Ich . . . wollte im Krankenhaus nachfragen, ob Kaito ein-stationiert wurde oder ob er hier eventuell behandelt worden ist – ich wollte ihn doch bloß sehen . . .“, ein komisches Gefühl überkam mich und ich ließ den Blick hängen. Ich wollte dich sehen . . . Immer noch will ich dich wieder sehen! Dass er nicht hier war, hatte sich bereits geklärt, hier war kein Kaito stationiert oder behandelt, geschweigedenn untersucht worden. . . Kaito, wo bist du bloß . . .?

Der Nachmittag verflog schnell und meine Eltern hatten sich bereits von mir verabschiedet, nur noch Shun war für einen weiteren Augenblick geblieben, anscheinend um mir etwas mitzuteilen. Er setzte sich zurück an mein Bett, nachdem er hinter meinen Eltern die Zimmertür wieder geschlossen hatte und beugte sich ein Stück vor. Sein eindringlicher Blick verhieß nichts gutes . . . „Hör mal, vorhin bin ich an Kaito's Wohnung vorbei gefahren, ich hatte in der Gegend zu tun. Seine Adresse hab ich ja von dir, kannst du dich noch dran erinnern? Jedenfalls wollte ich die Straße runter fahren, aber das war gar nicht möglich, selbst mit dem Fahrrad bist du an den Umzugswagen gar nicht vorbeigekommen, die genau vor seiner Tür standen. Ich meine, okay, das muss noch lange nicht heißen, dass er es ist, der da umzieht, aber nach dem, was ich bis jetzt von dir weiß . . .“, ich war sprachlos. Das konnte doch nicht sein! . . . oder? „ . . . nein . . . VERDAMMT! Und ich sitz jetz hier fest!! Das kann doch wohl nich wahr sein!“, schnell stieg die Wut in mir auf und ich fluchte noch eine Weile so, bis ich mich langsam wieder beruhigte. Immer leiser wurde mein Wutausbruch mit Flüchen auf ihn und am Ende war ich mehr wütend auf mich. Nun übermannte mich die Traurigkeit und ohne auf Shun zu achten, liefen mir auch schon die ersten Tränen über die Wangen. Ein Schluchzer verließ meinen Mund. „Hey . . .!“, Shun war sichtlich überrascht von meinen Gefühlsschwankungen und wusste nicht recht, was jetzt mit einem weinenden Nervenbündel wie mir zu tun war, weshalb er sich dazu entschied, einfach nichts zu sagen und mir aufmunternd den Rücken zu streicheln, da ich mich aufgesetzt hatte.
„K-kann ich dich um einen Gefallen bitten . . ?“, brachte ich hervor und der Kerl mit der sportlichen Baseballmütze sah mir in die Augen: „Klar.“
Die Tage vergingen und langsam wurde ich depressiv. Dank Shun, der für mich Nachforschungen basierend auf dem Umzug letztens vor Kaito's Wohnblock angestellt hatte, war ich schlauer geworden. Es hatte sich nämlich schon einen Tag später herausgestellt, dass Kaito wirklich umgezogen war, das hatten die Nachbarn bestätigt, und auch auf dem Klingelschild war es einzusehen, er hatte sein Namensschild abgenommen. Wann ich wohl endlich wieder hier raus konnte? Der Arzt sagte doch, dass es mir gut ginge, also warum durfte ich dann nicht verschwinden? . . . Aber nach Hause wollte ich auch nicht. Nirgendwo hin wollte ich – nur zu Kaito. Der war mir die letzten zwei Tage nicht einmal aus dem Kopf gegangen. Mein erster Gedanke am Morgen galt ihm, während ich auf den Krücken das Gehen übte, dachte ich an ihn, ja selbst unter der Dusche geisterte er vor meinem Inneren Auge herum. Schon irgendwie seltsam, oder?
„Taku!“, mal wieder kam Shun mich besuchen, doch heute hatte er noch jemanden mitgebracht. Ein junges Mädchen mit dunklen Haaren und blonden Strähnen betrat hinter ihm den Raum, der sogleich viel rosiger wirkte, soweit das mit weißer Wandfarbe möglich war. „Cho!“, rief ich glücklich überrascht und sie lief an mein Bett, stützte sich mit einem Knie auf die Matratze und fiel mir in die Arme. „Es geht dir gut . . .“, flüsterte sie und ich glaubte ein leichtes Zittern an ihrem Körper spüren zu können. Hatte sie mich etwa vermisst? „Hey, ich bin ja nicht todkrank!“, lachte ich leise und legte meine Hand auf ihren Kopf. Shun stand etwas abseits mit verschränkten Armen da und betrachtete uns beide. Nur seltsam . . . sein Blick hatte eine unterschwellige Bedeutung, das spürte ich. Doch was er mir mitteilen wollte, verstand ich nicht wirklich.
„Ich bin dann mal kurz weg und lasse euch allein . . .“, murmelte er, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Etwas perplex sah ich ihm noch einen Moment hinterher, doch dann meldete sich Cho wieder zu Wort und setzte sich zurück: „Ich hab dir hier etwas mitgebracht, ich dachte, ich . . . ähm . . .“ Verlegen brach sie ab und zauberte eine kleine Tüte aus ihrer Tasche. „Für dich . . .“, sie reichte mir den Inhalt und aus der kleinen Packung kam das Chamäleon Rango zum Vorschein, der Hauptcharakter aus dem Kinofilm, den wir zusammen gesehen hatten. Prompt fing ich auch schon wieder an zu prusten und selbst Cho konnte sich nicht halten, also brachen wir wohl oder übel in schallendes Gelächter aus.
Doch lange hielt unsere Zweisamkeit nicht an, denn nun öffnete sich die Tür und die Visite betrat das Krankenzimmer. „Okay, bin gleich wieder da.“, sagte sie noch, stand auf und ging zur Tür, hinter der Shun gestanden hatte.
Hinter sich schloss sie die Tür und schon standen die beiden allein auf dem Flur. „Sag mal . . . kann es sein, dass du irgendwelche Gefühle für Taku hast?“, fragte Cho direkt heraus und von ihrer niedlichen Miene war nichts mehr zu sehen. Man könnte fast meinen, ihre Persönlichkeit hätte sich gespalten, ihr Wesen nun war das perfekte Gegenstück zu ihrem alltäglichen. Nicht sehr überrascht allerdings von diesem Wandel schloss Shun die Augen, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste: „Warum denn so neugierig?“ „Als wenn du das nicht wüsstest, Shun.“, ihre Augen funkelten - finster. „Und was wäre wenn?“, „Dann wird das alles etwas schwieriger, denn bei aller Liebe, aber Taku werde ich dir nicht überlassen.“, war die Antwort auf Shun's Frage. Doch anstatt weiter auf Cho einzugehen, begnügte er sich mit einem lächelnden Seufzer.
Die Visite verließ den Raum und richtete den beiden noch aus, dass sie wieder eintreten könnten, doch Shun nickte mir bloß noch einmal zu und verschwand dann. Ein seltsamer Ausdruck hatte sein Gesicht gehabt, als er mir zum Gehen den Rücken zugedreht hatte. War eben etwas zwischen den beiden vorgefallen? Aber mit einem Blick auf Cho, die mir freudestrahlend entgegen lächelte, begrub ich diesen Gedanken wieder und führte noch eine angeregte Unterhaltung, bevor auch Cho gehen musste und ich wieder allein war.
Schon früh am nächsten Morgen kamen meine Eltern vorbei, um meine Sachen mitzunehmen, heute durfte ich schon wieder gehen. Shun und Cho wussten auch Bescheid, der Arzt sagte mir, er hätte es ihnen noch mitgeteilt, bevor sie das Krankenhaus verlassen hatten, da er selbst noch nicht genau wusste, wann er mich gehen lassen wollte. Bei einem glatten Schienbeinbruch war zwar nichts zu befürchten, jedenfalls nach dem, was ich gehört hatte, doch anscheinend sollte man doch auf Nummer sicher gehen. „Gut geschlafen, heute?“, wollte mein Vater wissen und meine Mutter nahm mich in den Arm. Die blauen Gehhilfen lehnten an meinem Bett.
Eigentlich hatte ich ja doch noch einmal Glück gehabt. Hätte ich mir den Knochen weiter oben gebrochen, dann wäre der Gips über mein Knie gewesen, und somit hätte ich das nicht mehr bewegen können. Was das für Auswirkungen gehabt hätte, darüber hatte ich mir gestern ein wenig Gedanken gemacht. Ich hätte mein Knie nicht mehr bewegen können . . . Das zum Beispiel Erschwernis beim Hinsetzen (Auf jegliches Mobiliar) heraufbeschwörte.
Das meiste von meinen Sachen hatte ich schon gestern zusammen gepackt, deshalb konnte ich mein Zimmer mit den Gehhilfen schnell verlassen.
„Endlich . . .“, auch wenn ich erst eigentlich gar nicht nach Hause wollte, ich war doch erleichtert, vertraute Wände um mich zu haben. Doch mit den Krücken musste ich mich erst einmal auseinander setzen. Das war gar nicht so einfach, jetzt mit noch mal zwei weiteren Beinen zu laufen, doch es funktionierte nach etwas Übung schneller als gedacht, das merkte ich als ich die Stufen hoch in mein Zimmer nach dem dritten Versuch dann auch erklommen hatte. „Und jetzt erst mal duschen!“, beschloss ich, doch darauf beschlich mich gleich ein weiterer Gedanke. Wie sollte ich das eigentlich mit dem Gehgips anstellen? Der durfte schließlich nicht nass werden . . . Dann musste ich wohl doch baden und das Bein, so weit es eingegipst war, raus hängen lassen. Gesagt, getan. Funktionierte sogar!
Mit einer weiten Jogginghose und einem Handtuch auf den Schultern verließ ich das Bad wieder. Das hatte gut getan. Mit einem Seufzer ließ ich mich vorsichtig auf mein Bett sinken und sah aus dem Fenster, wo draußen die Sonne hinter ein paar dünnen, weißen Wolken am Himmel stand. Was für eine Idylle da draußen. Jetzt im Grünen sitzen zu können, dafür würde ich so einiges geben – doch meine Mom machte mir das leider unmöglich. Sie bestand darauf, dass ich bloß aufstand, wenn ich aufs Klo musste, den Rest würde sie erledigen. Die Firma hatte ihr frei gegeben, damit sie sich um mich kümmern konnte . . . wussten die etwa nicht, wie meine Mom umsorgt? Wussten sie überhaupt, was sie da angestellt hatten, meine Mom auf mich, einen Verletzten, loszulassen?! . . . Nicht, dass sie sich nicht um mich kümmerte, nein, das war es mit todernster Sicherheit nicht. Es war genau das Gegenteil der Fall. Nicht einmal eine halbe Stunde hatte ich Ruhe gehabt, da schritt sie auch schon mit einer Schüssel und einem kleinen Aufklapptisch an mein Bett und stellte die Miniunterlage über meinen Beinen auf, rechts und links von ihnen wurde die kleine Tischplatte durch Beine gestützt. Beine . . . schon wieder . . .
Darauf fand auch die Schüssel Platz und ein Löffel daneben gleich mit dazu. Der Duft des dampfenden, flüssigen Inhaltes des runden Behältnisses, auch Suppe genannt, stieg in meine Nase und ich schloss für meinen Moment die Augen, um diesen Geruch aufzunehmen. Diese Suppe, mit Buchstabennudeln, kleinen Fleischbällchen und ein wenig Gemüse, die Brühe natürlich nicht zu vergessen, mochte ich am liebsten und das schien meine Mom sich bereits gemerkt zu haben. „Hmmmh, wie das duftet!“, lobte ich und meine Mom freute sich einen Keks/ wie ein kleines Kind darüber, dass ich von ihrer selbst erwärmten Tütensuppe schwärmte. Schon witzig, meine Mom, musste ich in diesem Moment des perplexen sie Anstarrens denken.
Dass ich diese Tütensuppe jedoch als lecker bezeichnet hatte, stellte sich als fataler Fehler heraus. Schon seit vier Wochen hatte sie mir fast nichts anderes mehr aufgetischt! Ehrlich, es waren viereinhalb Wochen. Kein normaler Mensch würde das durchhalten, so eine Tütensuppen“-diät-“ ohne dass da die Pfunde schwanden! Da ich aber nicht sonderlich . . . dick war, war ich jetzt einfach nur leichter geworden. Ich meinte, etwas von meinem schon da gewesenen, kleinen Bauch verloren zu haben. Als meine Mom das jedoch in der letzten Woche gemerkt hatte, war sie völlig aufgelöst gewesen, hatte sich schwere Vorwürfe gemacht und mir seitdem eine delikate Kalorienbombe nach der nächsten serviert, bis ich mein Normalgewicht wieder erreicht hatte. Meinen kleinen Bauch hatte ich mir jedoch nicht erneut angefuttert.
Sie meinte es eben manchmal einfach so gut, dass man schon aufpassen musste . . .
Die Schule hatte wieder anfangen, mein Bein war soweit auch wieder verheilt, zum Glück, denn keine Sekunde länger hätte ich dieses grausame, keine Gnade walten lassende Jucken rund um die Innenseite des Gipses ausgehalten! Vor einigen Tagen war ich mal wieder im Krankenhaus gewesen, mal wieder, weil ich öfters zur Kontrolluntersuchung kommen sollte, zum Gips entfernen. Doch dieses Gerät, das wie ein elektrisches Pizzamesser ausgesehen hatte, hatte mir doch etwas sehr viel Angst eingejagt. Ich dachte wirklich, sie würden mir damit versehentlich ins Fleisch schneiden! Aber natürlich ist etwas dergleichen nicht passiert, ich wurde den Gips los und hatte mein helles, dünnes rechtes Bein das erste mal seit langem wieder vor Augen. Wie verkümmert und schlaff es aussah, im Gegensatz zum anderen . . . - jedenfalls das, was ich vor lauter Kratzen in dem Moment von meinem Schienbein sehen konnte.
Jetzt jedenfalls war das auch wieder vorbei, der Knochen vollständig verheilt und die Muskeln um das rechte Bein auch fast vollständig wiederhergestellt. Den Rest trainierte ich mir schon wieder an, wenn ich wieder normal herum lief, was ich ja auch tat und somit mein Training ausführte.

Die erste Woche hatte meine Mom noch felsenfest darauf bestanden, dass ich zu Hause blieb, doch ich konnte sie doch dazu erweichen, schon nach dem vierten Tag wieder hingehen zu können, da jetzt die neunte Klasse begann und somit mehr schwierigerer Stoff drankam, den es im Unterricht zu verstehen galt. Außerdem musste sie ja auch langsam mal wieder arbeiten gehen, was sollten ihre Kollegen denn denken . . . die dachten wahrscheinlich jetzt schon die krassesten Geschichten über mich und meinen Unfall.
Und endlich, mein erster Schultag nach den Sommerferien war da! Ich freute mich so sehr, dass es mir schon fast wieder Angst machte . . .
Nur noch ein Verband war das letzte Zeugnis meines gebrochenen Beins, mehr konnte ich jetzt gar nicht mehr vorweisen.
„Hey!“, rief ich Shun entgegen, der am Schultor stand und anscheinend auf mich gewartet hatte. Mit zügigen Schritten ging ich auf ihn zu, natürlich immer schön auf mein Bein achtend, und winkte ihm lächelnd entgegen. Was ich bis jetzt übrigens noch nicht wusste: Cho und Shun waren in der Zeit seit ich im Krankenhaus gelegen hatte zu den bittersten Erzfeinden geworden. Wieso, sollte sich mir noch früh genug offenbaren . . .
Freundschaftlich klopfte mir der etwas größere Kerl mit den selten aufzufindenden, silbernen Haaren auf den Rücken. „Dann bist du ja jetzt zusammen mit Ayumi in einer Klasse.“, teilte er mir mit. Interessant, wirklich sehr gut zu wissen, in der neunten Klasse mit einem diesen Jahrgang wiederholenden Lehrerschreck zusammen Unterricht zu haben! Er selbst war ja mit seinen 16 Jahren schon in einer höheren Klasse, doch das merkte man ihm nicht wirklich an. „Und du?“, entgegnete ich, während wir auf das Schultor zugingen, er war mir ebenfalls entgegen gekommen. „Hab das letzte Jahr natürlich auch geschafft und muss mich jetzt ran halten, damit auch dieses klappt. Aber wenn ich mich anstrenge, dann wird das schon was!“, lachte er und lächelte mir aufmunternd zu, als wenn er damit mich gemeint hatte. Woher wollte der denn wissen, dass ich Schwierigkeiten bekommen würde??
Hmm, also an Hellseherischen Fähigkeiten mangelte es Shun anscheinend nicht. So ziemlich als einziger saß ich verloren in den folgenden vier Stunden im Klassenraum. Klar, meine Freunde waren ja da und versuchten wenigstens, mir den Stoff zu erklären, aber ich verstand natürlich nur Bahnhof. Seltsam, warum war das bloß nur bei mir so? Bei den anderen schien es ja super zu klappen . . .
In der zweiten Pause kam mich Shun besuchen. Er sagte zwar, er wäre auf dem Weg zu seiner nächsten Unterrichtsstunde hier vorbei gekommen, doch das kaufte ich ihm nur halb ab – zumal er noch nicht einmal einen Block, geschweigedenn irgendeine Tasche oder ähnliches mit sich herumtrug. „Und? Wie sieht es aus?“, wollte dieser gut gelaunte Kerl vor mir wissen und ich sagte resigniert: „Du bist echt angst einflößend . . . also noch mal deutest du mir aber nicht die Zukunft, wenn du etwas schlechtes siehst, okay?“, natürlich verstand Shun das nicht so ganz und ich seufzte: „Du hattest Recht mit deiner Vermutung heute Morgen, als du gesagt hast, dass ich wohl Schwierigkeiten in der Schule mit dem Stoff bekommen würde.“, fasste ich es noch einmal für . . . Leute wie Shun zusammen und musste dabei ein wenig lächeln. „Möchtest du, dass ich dir Nachhilfe gebe?“, wurde ich dann prompt gefragt und war erst einmal ein wenig überrumpelt. Hatte er das Angebot jetzt etwa Ernst gemeint? O.o Das war sehr . . . spontan! „W-warum eigentlich nicht?“, brachte ich schließlich hervor und als ob der große Kerl mit den silbernen Haaren nur auf diese Antwort gewartet hatte, schlug er erfreut die Hände zusammen: „Super! Ich komme dann gleich nach der Schule mit zu dir nach Hause, dann können wir noch mal den Stoff der letzten Tage durchgehen, dass du ja nicht nachhängst! Immerhin bringt es dir ja nichts, erst mit dem aufholen am Wochenende anzufangen und dann die nächsten Tage noch weniger zu verstehen, nur um damit am Wochenende noch mehr zum abarbeiten zu haben, stimmts?“, wow, dass er so schnell reden konnte, wusste ich gar nicht. Überfordert nickte ich einfach mal, wird schon schief gehen dachte ich mir. Obwohl . . . ich sollte mir abgewöhnen, das zu sagen . . . wirklich.
Mit dem Klingeln der Schulglocke war es dann soweit, dass ich die Hauptfestung des Bahnhof Verstehens verlassen durfte. Mit müdem Gesichtsausdruck und nicht wirklich motiviert schlurfte ich den Flur herunter, Shun kam mir schon freudig entgegen. Der hatte heute wirklich gruselig gute Laune . . . „So, bist du bereit?“, flötete er. „ . . . nein . . .“, „Super, dann lass uns jetzt schnell zu dir nach Hause, damit wir noch alles rechtzeitig schaffen! Hier ich habe dir für heute einen Lernplan aufgestellt, da . . .“, danach schaltete ich erst einmal ab. Dass er im Unterricht für so etwas überhaupt Zeit fand, wunderte mich. Aber was solls, immerhin wollte er mich freiwillig und ohne irgendwelchen Stundenlohn beim Lernen betreuen, ein vernünftiger Schüler würde dazu niemals nein sagen.
Meine Mom war gerade mit dem Auto vorgefahren, als Shun und ich die Haustür erreicht hatten. „Hi Taku!“, rief sie, schloss schnell das Auto ab und winkte uns zu, bevor sie sich beeilte, zu uns zu kommen. Shun grüßte sie und die beiden unterhielten sich noch kurz, wahrscheinlich erklärte Shun meiner Mom jetzt die Situation und wie es dazu gekommen war, dass er jetzt so spontan vorbei gekommen war. Mich musste das ja nicht interessieren, halb schlafend und mit Kopfschmerzen schloss ich die Tür auf, trat ein, die zwei sich unterhaltenden Individuen ließ ich einfach stehen, die würden schon irgendwann daran denken, auch mal das Haus zu betreten.
Die Treppen unversehrt überstanden ließ ich mich auf mein weiches Bett fallen und versenkte mein Gesicht in dem Kopfkissen.
Lange war mir diese Ruhe allerdings nicht vergönnt gewesen, denn, nach meiner Meinung, schon im selben Moment spazierte mein ab sofortiger Nachhilfelehrer in den schnell umfunktionierten Klassenraum und ließ seine Tasche neben dem aufgeräumten Schreibtisch nieder. „So, dann wollen wir doch gleich mal anfangen!“, rief er, doch als ich keine Reaktion zeigte, piekste Shun mir fragend in den Rücken.
Nichts passierte.
Stirnrunzelnd begab sich der silbern haarige zu mir ans Bett und drehte mich ein wenig, sodass man mein Gesicht wieder sehen konnte. Dieser Anblick ließ Shun ein erwachsenes Lächeln von den Lippen gleiten. Ich war bereits tief und fest eingeschlafen.
Er streichelte mir noch einmal durch die Haare, legte auch meine Beine aufs Bett, nachdem er mir die Schuhe ausgezogen hatte und machte sich dann an seine Arbeiten, an meinem Schreibtisch. Doch er versuchte nicht ein mal mehr mich zu wecken. Mann (egal ob Uke oder Seme) konnte mir, wenn ich schlief, die Müdigkeit immer sehr gut ansehen.
Die Sonne stand schon weit im Nachmittag, da öffnete ich erst wieder ein verschlafenes Auge. „Mhhh . .“, schlaftrunken musterte ich die Gestalt neben mir, die da am Schreibtisch wütete. „Was machst du da . . . ?“, murmelte ich und rieb mir verschlafen die Augen.
„ . . . . arbeiten . . .“, bekam ich als Antwort. Noch nicht mal eines Blickes wurde ich gewürdigt hier! Na, mir sollte es Recht sein, ich ließ den Kopf wieder in die Kissen fallen und seufzte. Vielleicht sollte ich mich aber doch auf bequemen . . . immerhin war es bereits 16:30 Uhr und ich hatte bis jetzt noch rein gar nichts getan, obwohl ich auch noch extra einen, wenn auch spontanen Nachhilfelehrer bei mir sitzen hatte. „ . . . sollten wir langsam anfangen . . . ?“, nuschelte ich in mein Kissen und streckte Arme und Beine in einer Geste von mir. „Wenn du dich dann erheben würdest, könnten wir anfangen mit dem von mir eigenhändig erstellten Lehrplan.“, schlug Shun mit einem Grinsen vor und tatsächlich setzte ich mich auf.
„Hier!“, rief er da plötzlich und hielt mir einen dünnen Stapel beidseitig beschriebener Blätter hin. Etwas perplex noch starrte ich diese Papiere an, doch nach einem kurzen Moment der Verwirrung nahm ich sie hin und begann sie zu studieren.

Es war erstaunlich. Ich brauchte mir das nur einmal durchlesen und schon erklärte sich mir so einiges, das im Unterricht für mich noch als Bahnhof gegolten hatte! Shun hatte wirklich Talent, Dinge verständlich zu erklären.
Doch gegen halb 11 hatte ich dann doch keine Lust mehr, verständlich, und Shun, der die ganze Zeit über hervorragende Hilfe geleistet hatte, wuschelte mir zum Abschied noch einmal über den Kopf. „Morgen komme ich wieder, dann schaffen wir das schon. Okay . .?“, sagte er im Gehen, warf mir noch einen letzten Blick zu und schloss schließlich hinter sich die Tür.
Todmüde ließ ich mich nach hinten auf meine Matratze fallen und gähnte lautstark, bevor ich dann doch recht schnell in einen tiefen Schlaf über glitt, völlig geschafft von der ganzen Arbeit heute.
Der nächste Schultag kam jedoch schneller als gewollt und widerwillig schlug ich auf den Wecker ein, der darauf verstummte. Schlaftrunken torkelte ich ins Bad, wo mir erst auffiel, dass ich mich gestern Abend gar nicht mehr umgezogen, sondern meine Alltagskleidung gleich angelassen hatte. So müde war ich gewesen . . ? Oh mann . . . Verschlafen kratzte ich mich am Kopf und drehte den Wasserhahn über dem Waschbecken auf.
„Taku?!“, hörte ich meine Mom von unten rufen. „Hast du schon wieder das heiße Wasser benutzt??!“ Oh nein! Ich hatte ganz vergessen, dass ich das ja morgens gar nicht durfte, da wir eine noch fast mittelalterliche Terme hatten, die es uns nicht erlaubte, aus zwei Anschlüssen heißes Wasser zu fordern. Deswegen hatten wir abgesprochen, dass meine Mom morgens um diese Uhrzeit die Dusche unten in Benutzung brachte, während ich mich in derweil schon einmal mit anderen Dingen wie frühstücken unterhielt, um gerade nicht auf eine solche Idee (mich mit, wenn auch nur warmen, Wasser zu waschen) zu kommen. „Sorry!!“, brüllte ich so laut es mir mein Organ an dieser frühen Tageszeit erlaubte und drehte rasch den Hahn zu. Immerhin, das Gesicht war wenigstens schon einmal gewaschen, also ging ich nun in die Küche, deckte den Tisch zu Ende und schmierte mir ein Brot. Zum Hinsetzen und gemütlich speisen war allerdings keine Zeit, wie ich mit einem Blick auf die Uhr diagnostizieren musste, raffte mich daher auf und trabte wieder in mein Zimmer, das Brot hielt ich mit meinem gut trainierten Mundmuskeln fest. Schnell packte ich meinen Rucksack für die Schule, kramte die Sachen heraus, die mir als nächstes unter die Augen traten, schob noch das letzte Stück vom Frühstück in meinen Mund, während ich die Schultasche an die Haustür stellte und verschwand schließlich noch einmal im Bad, um mich endgültig fertig zu machen.
„Morgen!“, wurde ich begrüßt und winkte, da das Brüllen über den ganzen Schulhof nicht unbedingt meine Stärke war. Ein mir sehr bekannte Kumpel lief, soweit es auch ihm die frühen Morgenstunden erlaubten, mir entgegen und legte seine Hand freundschaftlich auf meine Schulter, während er mich anlächelte. Was für ein Strahlemann . . . dachte ich im Stillen und musste darüber erst einmal kichern. Gut, dass er selbst noch ein kleines bisschen Müde war und das nicht so ganz verstand.
Während des Unterrichts wurde uns mitgeteilt, dass heute die dritte und vierte Stunde Freistunden würden, was daran lag, dass unser Chemielehrer wohl einen Arbeitsunfall gehabt und sich die Augenbrauen versengt habe. Das allein war natürlich nicht alles, er habe sich wohl auch die Arme verbrannt, was dazu führte, dass er im Moment nicht in der Lage war, seine Tätigkeit als Lehrer zu betreiben.
Das war das erste Mal, dass ich wieder an Kaito dachte. Seit meinem Krankenhausaufenthalt hatte ich wenig an ihn gedacht. Warum er wohl einfach abgehauen war? Was steckte dahinter? Immerhin hatte er sich nichts anmerken lassen, jedenfalls fiel mir spontan nichts ein . . . Kaito . . . Ich hatte es aufgegeben, nach ihm zu suchen. Shun hatte sich für mich schlau gemacht, hatte die Ex - Nachbarn ausgequetscht, bis sie ihm dann offiziell Hausverbot wegen Belästigung erteilt hatten, war selbst zu Kaito's Eltern für mich gefahren, doch das alles hatte uns kein bisschen weiter gebracht.
Wenigstens von seinen Eltern hätte ich Auskunft und Information erwartet, schließlich waren das seine Eltern! Doch ich hatte ihr Verhältnis wohl besser eingestuft als es war, wie sich herausgestellt hatte. Gewusst hatte ich, dass die drei (die zwei Eltern und Kaito) nicht gut aufeinander zu sprechen waren, aber dass er noch nicht mal ihnen 'lebe wohl' sagt, wenn er von Erdboden verschwand, war erstaunlich.
Doch obwohl ich keine Ahnung hatte, wo er stecken könne, ich noch nicht mal ein Lebenszeichen von ihm bekam, konnte ich ihn nicht abschreiben. Ihn einfach so vergessen . . ? Das schien mir unmöglich. Es konnte einfach nicht sein! Doch ich hatte schon alles durch und noch immer keinen Anhaltspunkt.
War ihm diese Stadt vielleicht einfach zu langweilig gewesen? War . . . war ich ihm zu langweilig geworden? Wollte er lieber einen anderen Freundeskreis, in dem es mehrere mit seinen Interessen, also der Musik, gab? Aber das hätte er mir doch sagen können! Und überhaupt, das wäre nicht seine Art. Er würde doch nicht einfach abhauen, nur weil ihm seine Freunde nicht gefielen . . .
Oder?

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Tag der Veröffentlichung: 01.09.2010

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