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Ich stieg aus dem Zug und roch die Stadt, dieser leicht dunstige Geruch, eine Mischung aus Abgasen und feuchter Luft im Herbst…
Grinsend schulterte ich meine Tasche und ging mit den anderen in die Bahnhofshalle, es wird wärmer. Die Menschen verteilen sich, strömen mehr oder weniger schnell wieder hinaus, rufen sich ein Taxi oder wollen noch weiter nach unten, zur U-Bahn, so wie ich.

Ich war ein Jahr fort, in der Armee, doch hier hatte sich nicht viel verändert. Alles geht hier seinen gewohnten Gang, der Bahnhof sieht so aus, wie ich ihn in Erinnerung habe. Etwas alt, lauter Obdachlose am Eingang, der Alte Mann mit seinem grünen Bettelhut lag mal wieder an dem einen Geländer und schlief. Er tat niemandem etwas. Ich war beruhigt durch die vielen Geräusche, die Ansage der Frau, die die Züge ankündigte, der Zeitungsmann, der sein Extrablatt ausrief, Schritte auf steinernem Boden, wundervoll.
In dem Land, in dem ich war…
Stille war nie ein gutes Zeichen. Stille bedeutete Gefahr.
Aber hier, in dieser Stadt, die niemals schlief…
Ich musste unweigerlich lächeln, ich war endlich wieder zuhause unter all den vielen verschiedenen Menschen, sie lebten und lachten, fuhren ihre Autos, machten immerzu Geräusche…
Ich stieg hinab zur U-Bahn, der Geruch wurde intensiver, metallischer, die Geräusche gedämpfter durch die dicken Mauern um mich herum. Es war wie ein wiedergefundener Traum, den ich gerade erlebte. All diese Lichter, diese Eindrücke, es war wirklich schier unglaublich für mich, ein wahrer Rausch, den mir meine Heimatstadt gab, und ich dankte ihr dafür. Ein Zug fuhr in die Station ein und hielt an. Menschen kamen mir entgegen, und ich strömte mit den anderen schließlich hinein. Die Luft war schlecht, aber ich sog sie trotzdem ein wie einer, der gerade aus den untiefen der See auftauchte. Ich hatte schon angst, die anderen würden mich für verrückt halten, aber niemand beachtete mich, den Heimkehrer. Und ich war sehr froh darum. Ich wollte noch nicht sprechen, nicht mit Fremden. Ich wollte nur meine Frau und meine Tochter wiedersehen. Während ich an die beiden dachte lief ein wunderschöner Song in einem Radio, und der Zug schien im Rhythmus des Liedes zu schaukeln, ach, es war ein schöner sonniger Tag heute, die Sonne schien das erste mal seit langer Zeit wieder in meinem Herzen.
Ich hätte nicht gedacht, dass es nochmal dazu kommen würde, dass ich es zulassen könnte. Aber nun war es so und meine Seele lachte, selbst das Elend, das ich in diesem Waggon sah, ein halbtot aussehender Junkie oder die arme alte Frau mit den zerfetzten Kleidern…
Sie gehörten dazu wie der Mann im Anzug, der etwas weiter weg mit seinem Laptop in der Hand stand. Ich sah aus dem Fenster, der Zug kam an die Oberfläche, ich hatte es nicht mehr weit. Wieder strahlte die Sonne von dem azurblauen Himmel herab, ich sah nicht einmal die Dunstglocke. Mein Herz klopfte und ich wollte meine Janine wieder in meine Arme nehmen, sie waren noch stärker geworden und ich hoffte dass es ihr gefiel.
Und meine kleine Dora, ach, sie war bestimmt noch viel größer geworden, sie wurde jetzt sieben. Noch eine Haltestelle, der Zug leerte sich immer etwas am Stadtrand. Der Manager war weg, nur noch die Frau saß mit traurigem Blick da. Ich überlegte nicht lange und gab ihr einen Schein, denn ich hatte ja genug davon. Sie bedankte sich mit einem Lächeln und es freute mich für sie, dass ich ihr zumindest für heute die Sorgen nehmen konnte.
Dann kam meine Station, mein Viertel.
Die Luft hier war etwas anders, auch die Geräusche, sie waren mir jedoch vertraut, ich habe sie vermisst, diese Gegend, auch wenn sie etwas heruntergekommen war. Ich hatte es nicht weit, schlenderte gemütlich an dem einen oder anderen Lokal vorbei, Leute sahen mich, kamen heraus und umarmten mich. Sie sprachen nicht viel, sie wussten ja wo ich gewesen war. Einige machten ein trauriges Gesicht und schwiegen. Ich ließ mich nicht stören, denn ich war noch immer in dem Bann der großen Stadt, schwang mit ihr, tanzte innerlich im Puls mit. Und dann stand ich vor meinem Haus, das mir meine Eltern hinterlassen hatten. Leider sah es bei weitem nicht mehr so gepflegt aus wie ich es hinterlassen hatte. Das letzte mal, als ich mit Janine sprach lag einen Monat zurück.
Ich nahm meinen Schlüssel und versuchte die Türe aufzusperren, aber er passte nicht.
Die Sonne, ich spürte, wie sich eine Wolke vor sie schob.
Ich probierte einen anderen, aber auch der passte nicht. Dann klingelte ich, an meiner eigenen Tür. Ich dachte an Dora. Hoffentlich…
Ich hörte Schritte.
Ein Klicken. Ein Riegel wurde beiseite geschoben, die Tür ging auf und vor mir stand Janine. Sie war dünner geworden, und auch blasser, dabei war der Sommer noch nicht lange vorbei. Sie sah mich mit leerem Blick an, doch da war auch…
Dora! Wo war sie? Meine Kleine, ich wollte sie unbedingt sehen! Also stürmte ich wortlos an meiner Frau vorbei und sie schrie etwas, das in meinen gehetzten Gedanken unterging. Ich fand Dora unten nicht, rannte nach oben. Die Tasche hatte ich unterwegs irgendwo abgestellt. Oben angekommen ging ich ins Kinderzimmer, sie saß mit dem Rücken zu mir.
Dora!
Sie drehte sich um.
Und ich erstarrte. Eine blutige Wunde prangte auf ihrer Wange. Mit weit ausgebreiteten Armen kam sie auf mich zu und umarmte mich, ich spürte, wie sie zitterte, und ich machte es nicht besser.
Ich sagte zu ihr, sie solle hier warten und die Tür zumachen, dann gab ich ihr einen Kuss und verließ das Zimmer.
Von irgendwoher kam der Geruch von Bier. Ich hörte auf einmal nichts mehr.
Stille.
Sofort veränderte sich alles. Aus der Wolke wurde ein Gewitter, ich spürte es, das Knistern, es lag in der Luft.
Im Bad war niemand, auch nicht in dem Gästezimmer. Also konnte es nur noch das Wohnzimmer sein. Ich ging leise nach unten und lauschte auf jedes Geräusch.
Schritte. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Janine hatte die Tür zugemacht und war nun in der Küche, ich hörte Geschirr. Dann stand er vor mir. Urplötzlich.
Ein widerlicher Mann, mit einer Bierflasche in der Hand. Und er grinste mich an, betrunken wie er gerade war. Ich glaubte zu träumen, es war wirklich so passiert, wie mir ein Freund gesagt hatte, nur dass ich ihm damals nicht glauben wollte.
Verschwinde, sagte er.
Ich hörte es nicht.
Ich merkte auch nicht wie ich meine Waffe zog und ihm viermal in die Brust schoss. Ich sah es nur, ich spielte mich selbst, es war nur ein Film. Ich erschoss auch sie, die mich um meine Liebe, mein Eigentum betrogen hatte. Es tat mir absolut nicht leid. Es waren auch nicht die ersten Leichen, die ich sah. Man hatte mich zum töten ausgebildet. Und ich tat es diesmal nur aus einem Gefühl heraus.
Doch dann kam Dora herunter. Sie weinte und sah mich so unendlich traurig an. Ich ließ die Waffe fallen und kniete mich zu ihr nieder. Ich hörte nicht was sie sagte, ich hörte gar nichts. Langsam nahm ich sie an der Hand und führte sie schließlich hinaus. Dort standen viele Menschen, sie hatten es scheinbar gehört. Ich sah auch meinen besten Freund und gab ihm Dora. Warum, wusste ich nicht.
Irgendwie entkam ich der Masse an Menschen und irrte durch diese riesige Stadt, alles war still. Die Autos, die Menschen, ich hörte nichts. Immer und immer wieder sah ich diese traurigen Augen meiner kleinen Tochter, wie sie unter Wasser standen.
Ich wusste nicht wo sie jetzt war, ich wusste nichts mehr.
Und ich wollte mich von einer Brücke stürzen.
Dann sah ich Licht, es flackerte, denn es war die Polizei, sie hatte mich doch nun gefunden. Sie hielten Waffen und zielten auf mich, ihre Lippen bewegten sich, doch ich hörte nichts. Ich sah das Gewitter, ein Blitz fuhr vom Himmel herab und traf mich.
Es waren in Wirklichkeit die Kugeln.
So sank ich blutend zu Boden und dachte an Dora.
Meine kleine süße Dora, nie wieder sollte ich sie sehen.
Ihre zarte Stimme begleitete mich nun nach unten.

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Tag der Veröffentlichung: 11.03.2009

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