Herrscher der Worte
N
ino wollte seit er denken konnte ein aufregendes Leben führen. Doch war sein bisheriges Dasein so ziemlich unauffällig und angepasst, wie es eben nur sein konnte. Schon früh wurde ihm beigebracht, dass er in einer Welt lebte, in der er sich stets einzuordnen hatte und nicht auffallen dürfe. Nun war er Mitte Zwanzig, und arbeitete in einem großen Büro einer Versicherungsgesellschaft. So ging er nun Tagein und Tagaus jeden Morgen die Treppen des großen Hochhauses, in dem er in seiner kleinen Wohnung lebte, hinab. Stets korrekt gekleidet in einem grauen Anzug und mit einer schwarzen Aktentasche unter seinen Arm geklemmt. Jeden Morgen setzte er sich in den Bus, der direkt vor seinem Häuserblock hielt und ihn bis vor das Gebäude der riesigen Gesellschaft absetzte in der er arbeitete. Dort angekommen ging er dann zusammen mit den vielen anderen Menschen, die auch alle einen grauen Anzug trugen, einen riesigen Korridor mit vielen grauen Türen entlang. Jede dieser Türen führte in ein anderes Büro. Ganz am Ende des Ganges kam er dann an seine Tür. Dort setzte er sich an seinen Platz und begann die Versicherungsfälle, die ihm zugewiesen wurden zu bearbeiten. Er führte das langweiligste Leben, dass man überhaupt führen konnte.
Doch es gab noch etwas anderes in Ninos Leben, etwas das er gut versteckt hielt. Seit frühester Kindheit besuchte er in seinen Träumen eine andere Welt. In dieser Welt gab es große Ländereien mit prachtvollen Städten und Gebirgen. Es lebten dort viele merkwürdige Wesen die in alten Geschichten vor kamen, wie Elfen, Trolle und Einhörner. Wundervolle Abenteuer erlebte er dann und erlegte grausame Ungeheuer und rettete seine Prinzessin. Am nächsten Morgen schrieb er diese Erlebnisse immer in ein dickes Buch, dass er stets in seiner Aktentasche verborgen hielt. Immer dann, wenn er anfing zu schreiben, wurden die Wesen, über die er schrieb, in seinen Träumen noch lebendiger und er trug nahezu den Duft des Windes dieses Landes in seiner Nase. Fast schien es dann so, als würde er derjenige sein, der diese Welt gestalten würde. In letzter Zeit wurden seine Träume aber immer intensiver, er wachte danach schweißgebadet auf. Irgendetwas war dort nicht mehr, wie es war. Seine Prinzessin, die er zuvor immer abenteuerlich gerettet hatte bat ihn mit ständig wachsender Verzweiflung um Hilfe, denn es gab dort einen grausamen Herrscher der mit eisiger Strenge über seine Untertanen regierte. Er duldete keinen Widerspruch und seine Gefängnisse waren überfüllt. Hinrichtungen fanden überall im Land statt. Über das einstmals so glückliche und schöne Land hatte sich ein grauer Schatten gelegt, der es in seinen starren Klauen hielt und es zu erdrücken schien. Die Hilferufe der Frau wurden immer intensiver und nichts wünschte sich Nino so sehr, als zu ihr zu eilen. Es gelang ihm nie. Eine andere Frau zog sie jedes Mal von ihm fort. Sie konnte sich nie befreien. Am nächsten Morgen blieb immer eine leise Verzweiflung in ihm zurück. Doch wusste er auch, dass er nicht ein Teil dieser Traumwelt war und diese nur in seinen Träumen existierte. Er lebte hier in seiner kleinen einsamen Wohnung und hatte keine Möglichkeit aus diesem Leben zu entrinnen.
Eines Nachmittags fand er einen seltsamen Brief in seinem Postkasten. Er war gerade nach Hause gekommen und beinahe hätte er diesen grauen unscheinbaren Umschlag in den Papierkorb geworfen, als ihn ein merkwürdiges Gefühl übermannte. Er spürte ein eigenartiges Kribbeln in seinem Bauch und ein frühlingshafter Luftzug umwehte seinen Körper. Es war ihm fast so, als spüre er den Hauch einer anderen Welt, einer Welt, die ihm so merkwürdig vertraut war. Irgendwie spürte er, dass er diesen Brief öffnen musste. Also machte Nino sich einen Kaffee und setzte sich mit diesem Brief in seiner Hand an seinen kleinen Küchentisch. Der Brief hatte keinen Absender und seine Adresse war mit mit einer verschnörkelten Handschrift in goldener Farbe, genau in die Mitte des Umschlags geschrieben worden. Nino betrachtete diesen Brief. Er spürte, dass sich irgendetwas in seinem Leben ändern würde, wenn er ihn öffnete. Irgendwie zögerte er, obwohl das seiner Meinung nach eigentlich abwegig war. Was sollte einem schon passieren, wenn man einen Brief öffnete?
„Also gut!“ sagte er zu sich selber und riss den Brief vorsichtig auf. Ein graues sorgfältig gefaltetes Papier lag in dem Umschlag und wartete darauf, von Nino geöffnet zu werden. Er faltete den Brief vorsichtig auseinander. Dick war das Papier und es fühlte sich seltsam weich an, nicht so hart, wie das normale Papier, das er immer bei der Arbeit benutzte. Ein süßlicher Duft nach Veilchen um wehte das Schriftstück und drang mit jedem Atemzug den Nino tat, tief in seine Lungen ein, so dass ihm ganz schummrig wurde. Ein großes Wasserzeichen in Form eines Auerochsen schmückte das Papier. In derselben altmodischen Handschrift, wie auch schon auf dem Umschlag, stand in goldenen Lettern geschrieben:
Sehr geehrter Herr Auberg,
wir möchten Sie, auf Grund Ihrer einzigartigen Begabung als Dichter zu einem Wettbewerb einladen. Dort sollen Sie sich den größten Dichtern dieser Zeit in einem einzigartigen Duell stellen.
Wir werden uns in nächster Zeit, durch unseren Boten Sternauge, mit Ihnen in Verbindung setzen um mit Ihnen alle weiteren Details zu klären.
Wir erwarten Ihre baldige Anwesenheit.
Mit hochachtungsvollen Grüßen
Ihr
Herrscher der Worte
die Unterschrift war so sehr verschnörkelt, dass sie kaum lesbar war. Nino drehte das Stück Pergament in seinen Händen hin und her, konnte aber keinen Hinweis auf einen Absender erkennen. Nervös fuhr er sich durch seine dunklen Haare und las den Brief wieder und wieder. Was um alles in der Welt sollte das denn sein? Fragte er sich wieder und wieder. Er wusste nicht, wer sich so einen Scherz mit ihm erlauben wollte. Niemand wusste davon, dass er Geschichten schrieb und er hatte sein Buch auch noch nie jemandem gezeigt. Außerdem, wer sollte dieser Sternauge überhaupt sein und was war das überhaupt für ein komischer Name? Nun gut, dachte er bei sich, weiter komme ich jetzt auch nicht. Er schaute durch das kleine Küchenfenster und bemerkte, das es mittlerweile spät geworden war und der runde Mond bereits hell den Nachthimmel erleuchtete. Wie lange saß er eigentlich schon hier. Der merkwürdige Brief hatte ihn anscheinend schon ganz durcheinander gebracht. Eine bleierne Müdigkeit legte sich über ihn und er schleppte sich in sein Schlafzimmer. Bald darauf umfing ihn dann auch schon die wohlige Finsternis der Träume, bis ihn eine leise piepende Stimme neben seinem Ohr aus seinem Schlaf riss. Wie durch eine Nebelwand waberte sie anfänglich zu ihm hindurch, um dann immer hartnäckiger zu werden. Erschrocken fuhr er hoch und sah sich vorsichtig in seinem Zimmer um, doch außer den vertrauten Gegenständen, die aus einer einfachen Kommode und einem Nachttisch bestanden, war nichts zu erkennen.
„War wohl nur Einbildung!“ murmelte Nino leise, als plötzlich wieder diese leise piepende Stimme neben ihn ertönte und etwas seinen Arm piekte. Er drehte sein Gesicht in die Richtung aus der das Piepsen gekommen war und erblickte eine kleine leuchtende Gestalt mit Flügeln. Wenn dieses Wesen nicht geleuchtet hätte, hätte Nino gedacht, dass dort ein verirrter Nachtfalter aufgeregt neben seinem Bett umher flatterte. Bei genauerer Betrachtung konnte er allerdings den Körper einer zierlichen Frau erkennen, die ihre roten Haare mit winzigen Blümchen geschmückt hatte. Sie trug ein sommerblaues Kleid, das funkelnd strahlte, tief durchdrungen von einem goldenen Licht, das von diesem Wesen selber auszugehen schien. Nino glaubte, dass er noch immer träumte, als die geflügelte kleine Frau zu ihm hoch flatterte und sich auf sein angewinkeltes Bein stellte, so dass er ihr direkt in die winzigen schwarzen Äuglein schauen musste. Das Wesen deutete eine leichte Verbeugung an und sprach:
„Meister der Worte! Ich bin Sternauge und beauftragt dir folgende Botschaft zu überbringen. Mein Gebieter möchte dich zu seinem Duell einladen!“
„Ein Duell?“ Nino war immer noch ganz verschlafen.
„Ja Meister! Das Duell der Worte! Eine alte Tradition in unserem Land. Einmal in jedem zehnten Sommer, werden die großartigsten Dichter dieser Welt zu einem Duell geladen, auf das der Beste unter ihnen gewinnen möge. Dieses Mal ist unsere Wahl unter anderen auf dich gefallen, da wir der Meinung sind, dass du dein Land würdig vertreten wirst. Du hast unsere Einladung bereits bekommen.“
„Aber ich bin doch kein Dichter!“ bemerkte Nino verwirrt, er war mittlerweile wieder zu der Meinung gelangt, dass er noch schlafen musste und, das diese Sternauge aus einem seiner wilden Träume entsprungen war. Sie kam ihm jedoch seltsam bekannt vor, nur kam er nicht darauf woher.
„Aber natürlich seid ihr ein Dichter!“, dieses Mal verbeugte sie sich beinahe ehrfurchtsvoll vor ihm. „Ein sehr großer sogar! Wir haben deine ganzen Geschichten förmlich verschlungen und beschlossen, dass einzig du allein würdig bist, unser Land mit deiner Kunst zu beehren. Wir erwarten dich morgen Nacht auf der Sommerwiese. Bringe deine Geschichten mit!“, sagte sie noch eindringlich, ehe sie verschwand und nur noch ein leichtes Glitzern von ihr übrig blieb. Wiederum überfiel ihn eine heftige Müdigkeit die ihn wiederum in einen tiefen Schlaf fallen lies, ohne Träume. Als Nino am nächsten Morgen erwachte, konnte er sich zwar noch genau an die Ereignisse der letzten Nacht erinnern, hielt das alles aber für einen merkwürdigen Traum.
„Schade eigentlich!“ dachte Nino, nun doch ein wenig betrübt. Hätte er doch gerne daran geglaubt, dass es dieses seltsame Flügelwesen wirklich gegeben hätte und dass vielleicht doch dieses wundersame Land existierte, das so anders war wie seine Welt. Schwermütig machte er sich auf zu seinem Büro, so wie immer. Doch irgendwie war heute alles ein wenig anders wie sonst. Er hatte das eigenartige Gefühl beobachtet zu werden und glaubte hier und da merkwürdige und fremdartig gekleidete Wesen zwischen all den Menschen in den Straßen und in den Geschäften der großen Stadt zu erblicken. Aber immer nur so kurz, dass es jedes Mal auch eine Täuschung hätte sein können. Langsam zog sich dieser Tag dahin und er wollte einfach nicht zu Ende gehen. Die Dämmerung brach bereits herein, als Nino dann endlich sein Büro verlassen konnte. Er wollte nur noch nach Hause, in seine vertrauten vier Wände. Warum eigentlich? Es wartete doch nichts und niemand auf ihn! Egal, vielleicht hatte er ja wieder so einen eigenartigen Traum wie heute Nacht. Eine willkommene Abwechslung zu seinem Alltag. Ganz in Gedanken versunken und in einer leisen Vorfreude auf den heutigen Abend, stieß er mit jemanden am Ausgang seines Büros zusammen.
„Zu ihnen wollte ich doch!“ hörte er eine wunderbar klingende Frauenstimme sagen. Nino sah überrascht auf und erblickte die schönste Frau, die er je gesehen. Sie hatte so strahlend blaue Augen, dass er glaubte er könne Sterne in ihnen sehen. Silbern glänzendes Haar fiel sanft auf ihre Schultern hinab und ihre Haut war so rein, als ob sie ein Wesen aus einer fremden Welt wäre.
„Tut mir Leid!“stammelte er entschuldigend. Er wollte auf keinen Fall einen schlechten Eindruck auf diese wundervolle Frau machen. „Ich habe sie gar nicht bemerkt.“
Ein hochmütiges Schmunzeln flog über ihre Lippen, die Augen wirkten kühl, aber nur für einen Hauch, als ob es Einbildung gewesen wäre. Nino schüttelte den leichten Hauch von Unbehagen ab, der ihn überfiel und schon strahlte ihn die Frau wieder mit einem so hinreißenden Lächeln an, dass Nino ganz weiche Knie bekam.
„Ich bin übrigens Fiona!“ stellte sie sich vor und reichte ihm ihre Hand.
„Nino!“ antwortete er und nahm die ihm angebotene Hand in die seine. Sie war eisig kalt, ein heftiges Prickeln nahm bei dieser Berührung sofort seinen gesamten Körper in Besitz. Alles um ihn herum begann sich zu drehen und ein starker Schwindel überkam ihn. Gleichzeitig entstand ein heftiger Wirbel um ihn herum und zog ihn mit sich. Immer tiefer und tiefer wurde er von dem Sog mitgerissen, alles um ihn herum wurde Schwarz und er bekam keine Luft mehr. Nino hatte das Gefühl ohnmächtig zu werden, doch bevor dieses Gefühl übermächtig wurde war alles wieder vorbei und Nino schlug mit einem heftigen Aufprall auf eine grüne Wiese auf.
„Au!“ entfuhr es ihm und er rieb sich sein heftig schmerzendes Knie, während er sich wieder aufstellen wollte. Eine helfende Hand war ihm dabei behilflich, Sternauge! Diesmal in menschlicher Größe.
„Herzlich willkommen in meinem Reich!“, sagte die nun nicht mehr kleine Frau neben ihn. Sie war so wunderschön ein leichtes Erkennen machte sich in ihn bemerkbar, als eine andere Hand von der anderen Seite sich auf seine Schultern legte.
„Ich hoffe, du hast dir nicht allzu sehr weh getan! Dieser Wirbel ist manchmal etwas tückisch!“ Fiona lächelte wieder dieses betörende Lächeln, so dass Nino die Welt um sich herum vergaß. Verliebt sah er sie an und ließ sich widerstandslos von ihr über die wunderschöne Sommerwiese führen. Wenn das ein Traum sein sollte, wollte er nicht wieder aufwachen. Sternauge hob indessen die schwarze Aktentasche vom Boden auf, die bisher achtlos von Nino liegen gelassen wurde.
„Ich bringe dich zu unserem Herrscher!“ erklärte unterdessen Fiona, „Die anderen warten bereits auf dich!“
Verwundert sah Nino sie an: “Wer wartet auf mich?“
„Na, die anderen Dichter! Hattest du mir gestern Nacht nicht zugehört? Heute findet das Duell statt und du wirst daran teilnehmen!“ bemerkte Sternauge spitz. Anscheinend behagte es ihr nicht sonderlich, dass Nino seine Augen nicht mehr von Fiona lösen konnte. Böse funkelte sie ihn an. Betreten sah Nino zu Boden, er hatte das alles bereits vergessen, seitdem er Fiona begegnet war, hatte er irgendwie alles um sich herum vergessen. Auch war es ihm kaum möglich einen klaren Gedanken zu denken. Fiona zog ihn zum Rand der Wiese, an der drei schwarze Pferde mit blauen Satteln und silbernen Zaumzeug schon auf sie warteten.
„Himmelsreiter!“ stellte Sternauge die drei Pferde vor und schwang sich wütend auf das vorderste der drei. Verwirrt starrte Nino sie an. Was hatte er nur getan, um sie so wütend zu machen? Fiona lächelte kühl und kletterte auf das zweite Pferd.
„Worauf wartest du noch?“ rief sie herausfordernd zu ihm hinüber, „Willst du, dass der Wettbewerb ohne dich statt findet? Es wartet ein großartiger Preis auf dich!“, fügte sie dann noch geheimnisvoll hinzu. Nino kletterte etwas unbeholfen auf sein Pferd, leider nicht ganz so elegant wie in seinen Träumen, jedoch auch nicht ganz so ungeschickt, wie er zuerst befürchtet hatte. Kaum saß er auf dem Ross, als es sich auch schon in die Luft erhob. Nino konnte sich gerade noch in das Geschirr des Pferdes krallen, bevor er von dessen Rücken zu fallen drohte.
Deshalb also Himmelsreiter, dachte er und geschwind raste das Pferd durch die Luft und erreichte schon gleich die Wolken am Himmel. Im strengen Galopp rasten die drei Pferde durch den Himmel und schon nach kurzer Zeit senkten sie ihre Schritte wieder hinab in Richtung Erde. Als Nino mit dem Pferd wieder durch die Wolken brach, erblickte er ein Land, das Land, so wie er es zuvor nur in seinen Träumen erlebt hatte. Seltsam vertraut kam es ihm vor und dennoch gänzlich unbekannt. Wieder hatte er das seltsame Gefühl, Sternenauge von irgendwo her bereits zu kennen. Doch ehe er diesen Gedanken auch nur zu Ende denken konnte, setzte sein Ross bereits auf die prächtig gepflasterte Straße der Stadt auf. Überall um ihn herum standen menschenähnliche Wesen in bunten Kleidern, die ihm zujubelten. Die Gassen waren geschmückt mit bunten Fähnchen und Ballons auf denen überall Auerochsen prangten, gerade solche wie auf dem Brief, den er bekommen hatte. Die Straße war mit vielen roten Teppichen belegt, so dass sein Pferd leise und würdevoll auf ihnen dahinglitt. Sternauge schien seine Verlegenheit zu spüren, denn sie ritt, diesmal ein wenig sanfter gestimmt, neben ihm her und lächelte ihm aufmunternd zu.
„Du bist ihre ganze Hoffnung, weißt du!“ Und schon war sie wieder verschwunden und ritt stolz voran. Der Ritt durch die Straße dauerte fast so lang, wie der Ritt durch die Wolken, bis sie endlich an ihrem Ziel angekommen waren. Ein riesiger Tor bogen mit allerlei unterschiedlichen Buchstaben verziert, überspannte die Straße und führte sie in einen prächtigen Hof, der von einem noch prächtigeren Schloss umgeben war. Mächtige steinerne Stufen führten zu dem Eingang des Schlosses, vor dem auf einem goldenen Thron ein mächtig erscheinender Herrscher saß. Sternauge verbeugte sich vor ihm und bedeutete auch Nino sich zu verneigen. Nachdem er sich wieder erhoben hatte, sah er, dass der Herrscher bereits die Treppen herunter schritt, gekleidet in einen prächtigen roten Mantel. Eine Stufe über Nino, blieb der Herrscher stehen und betrachtete ihn kalt. Es war der grausame Herrscher aus seinen Träumen. Nino erstarrte.
„Du möchtest also meinen Platz in diesem Reich einnehmen!“ sprach der König eisig. Erschrocken sah Nino den Herrscher an und stammelte: “Nein, Herr! Ich würde es nie wagen...!“
„Schweig!“ herrschte ihn der König an. „Was solltest du hier wollen, wenn du nicht der Meinung wärst, meinen Platz einnehmen zu können. Du und die anderen dort!“ Erhaben zeigte der König mit seinem Zepter in eine Richtung schräg hinter Nino. Dort sah er vier Herren eng zusammengepfercht in einen goldenen Käfig sitzend. Ängstlich sahen sie aus. Der König wandte sich nun an das Volk:
„Der Wettbewerb kann beginnen. Hier sind die Spielregeln:
1. Jeder Teilnehmer darf eine Geschichte vortragen.
2. Die Geschichte muss eigenhändig verfasst worden sein.
3. Mindestens eine Geschichte muss besser sein, als die des Herrschers über die Worte.
4. Schafft es eine Geschichte von euch, besser zu sein, als meine, wird er die Herrschaft dieses Landes übernehmen. Für mindestens zehn Jahre, bis der nächste Wettbewerb stattfinden wird.
5. Ist keine der vorgetragenen Geschichten besser als meine, werden die Dichter mit dem Tode bestraft.
Erst jetzt bemerkte Nino die riesige Guillotine im Hof. Schwarz und bedrohlich ragte sie hinter den gefangenen Dichtern auf. Die scharfe Schneide blinkte im Sonnenlicht. Nino erstarrte. Auf was hatte er sich hier nur eingelassen? Warum hatten ihn die beiden Frauen nicht gewarnt? Hilflos sah er zu Fiona hinüber, die nun kalt lächelnd neben den König trat. Der König sah Nino an und bemerkte:
„Die Königin ist die wahre Herrscherin dieses Landes und ruft alle zehn Jahre den Wettkampf aus. Denn nur derjenige ist ihrer würdig, der die besten Geschichten erzählen kann. Denn nur mit diesen Geschichten kann unser Land überleben.“
Aus einer Seitentür wurde eine blaue Urne von zwei Dienern getragen und direkt vor den König gestellt. Die Dichter wurden frei gelassen und von schaurigen Wächtern mit fratzenhaften Masken vor den Gesichtern und glänzenden Schwertern in ihren Händen neben Nino geführt. Ein kräftiger Trommelwirbel erklang und augenblicklich wurde es ganz still auf dem riesigen Hof.
„Der Wettbewerb“, erschall die liebliche Stimme von Fiona über den Hof, „ist eröffnet!“
Das Volk jubelte! Doch schon erhob der König seine Hand und es wurde wiederum still.
„Du!“ der König zeigte auf den Dichter neben Nino, „bist der erste!“
Erschrocken starrte der arme Dichter den König an, zitternd begann er seine Geschichte zu erzählen.
Nachdem er geendet hatte, stieg schwarzer Rauch aus der Urne. Selbst zufrieden zeigte der König auf den zweiten Dichter, dann auf den nächsten. Jedes Mal, wenn eine Geschichte beendet wurde war stieg schwarzer Rauch aus der Urne. Nino war als letzter an der Reihe. Erstaunt hatte er den übrigen Geschichten zugehört. Alle waren sie großartig. Sie handelten von Liebe und Leid, Glück und Armut und alle gingen ihm unter die Haut. Sie alle waren großartige Schreiber. Wie um alles in der Welt kam er nur hier her?
Dann war er an die Reihe. Nino hatte sich noch nicht überlegt, welche Geschichte er überhaupt vortragen sollte, es gab seiner Ansicht nach keine, die irgendeine der voran gegangenen Geschichten hätte übertreffen können. Er blieb stumm wie ein Fisch. Argwohn überkam den König und er blitzte Nino böse an:
„Nun, möchtest du gleich als erster unter die Guillotine oder hast du doch noch etwas zum Vortragen? Es wurde schließlich behauptet, dass du ein hervorragender Dichter wärst!“
Nino wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Noch immer brachte er kein einziges Wort über seine Lippen, als er plötzlich bemerkte, dass sich Sternauge neben ihn gestellt hatte.
„Doch!“, erklang dann auch schon ihre Stimme anstatt der seinen, „Er hat!“
Sie öffnete Ninos schwarze Aktentasche, die sie noch immer bei sich hatte und zog das Buch mit seinen Geschichten heraus. Erstaunt sah der König sie an.
„Du weißt, dass du mit ihm sterben wirst, solltest du sie für ihn vorlesen?“ erklärte Fiona ihr.
„Ja, Schwester!“ ihre Stimme klang klar und ohne Zögern „Doch so soll es sein!“
Erschrocken starrte Nino Sternauge an. Was war nur in sie gefahren? Warum tat sie das. Er konnte es nicht zulassen, dass sie dieses Opfer für ihn auf sich nahm. Doch schon erklang ihre Stimme über den Schlosshof und tauchte diesen bald darauf in eine wunderbare Melodie. Die Geschichte die sie vorlas, klang so wundervoll, dass Nino anfing vor Rührung zu weinen. Hatte er das wirklich selber geschrieben? Erstaunt betrachtete er Sternauge und während sie aus seiner Geschichte vorlas, fiel irgendetwas von ihm ab und er sah sie mit klaren Augen. Jetzt erkannte er sie. Sie war es, die ihm immer in seinen Träumen erschienen war, für die er all diese Geschichten überhaupt geschrieben hatte. Sie! Einzig und allein sie war es gewesen, die ihn zu diesen Worten inspiriert hatte. Immer hatte er sie vor den Ungeheuern in seinen Träumen gerettet, sie war die geheimnisvolle Prinzessin aus seinen Träumen. Er fasste es nicht, dass er sie nicht sofort erkannt hatte. Sollte es jetzt zu spät sein, jetzt, da er sie gerade erst gefunden hatte?
Sternauges Stimme verstummte und ein allgemeines Raunen machte sich unter den Wesen auf dem Schlosshof bemerkbar. Mit großen erschrocken Augen sah der Dichterkönig sie an. Aus der Urne stieg goldener Rauch empor. Das Gemurmel der Menge verwandelte sich in lautstarken Jubel! Sternauge lächelte ihn erleichtert an. Der König begann vor seinen Augen zu verblassen. Nino konnte es nicht glauben. Sollte seine Geschichte besser gewesen sein, als die des alten Dichterkönigs? Auf einmal stand Fiona vor ihm und lächelte ihr schönes Lächeln, ihre wundervollen Augen strahlten und versuchten ihn zu verzaubern. Schon wieder. Sie trat auf ihn zu!
„Ich wusste es!“ sagte sie schmeichelnd „Ich wusste, dass du der bist, der den alten König ablösen wirst. Jetzt bist du der Herrscher über diese Welt und du darfst mich zu deiner Frau nehmen.“
Siegessicher stieß Fiona Sternauge zur Seite und wollte Ninos Hände ergreifen. Doch diesmal wirkte der Zauber, den Fiona über ihn verhängen wollte nicht. Nino hatte erkannt, wer seine wahre Königin war. Er drehte sich zu Sternauge um, schaute ihr tief in die Augen und sagte ganz sanft zu ihr:
„Du bist meine Königin, nicht wahr! Du bist die wahre Dichterin, denn du hast mir die Worte gebracht in meinen Träumen!“
Glücklich strahlte Sternauge ihn an.
„Ja, ich kenne dich aus meinen Träumen.“ sagte sie „Jede Nacht habe ich dich in meinen Träumen gesehen und gewusst, dass du die Rettung über unser Land bringen wirst. Der Dichterfürst war so ein grausamer Herrscher, aber eigentlich doch nur ein Werkzeug meiner Schwester, die die Herrschaft so für sich ergriffen hatte. Sie konnte durch ihn die Geschicke dieses Landes bestimmen und bisher ist es noch niemandem gelungen ihn zu besiegen. Wenn ich dich in den Nächten besucht hatte, fand ich deine Geschichten die du über unsere Welt geschrieben hattest. Sie waren so wunderschön und voller Hingabe geschrieben, da erkannte ich, dass du derjenige sein würdest, der unser Land befreien kann. Deshalb habe ich dir die Einladung zukommen lassen, damit du unser Land betreten konntest.“
Glücklich nahm Nino seine Sternauge an die Hand und gemeinsam schritten die beiden auf den Thron zu. Die Menge jubelte ihrem neuen Herrscherpaar zu. Nur Fiona verschwand wütend in der Menge und schwor ihnen Rache. Doch das interessierte die Beiden neuen Herrscher über die Worte nicht! Nicht heute, denn von nun an, würden sie Seite an Seite ein glückliches Leben führen und alle Abenteuer gemeinsam bestehen.
Texte: © Copyright Alle Rechte vorbehalten/ all rights reserved by
Tanja Lachenmann/Sonnmetchen
Tag der Veröffentlichung: 24.07.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Träume, Märchen und Geschichten
manch einer mag sie alle dichten!
Für alle die sich vom grauen Alltag nicht das Träumen verleiden lassen.